Politik & GESELLSCHAFT
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Die Chefarchitektin Bratislavas, DI Ingrid Konrad, ist eine sehr beschäftigte Frau. Es hat eine Weile gedauert, bis die energische Freiraumgestalterin einen Freiraum in ihrem Terminkalender gefunden hatte. Sie kam zu unserem Interviewtermin erschöpft nach einem anspruchsvollen Arbeitstreffen, der Termin wurde beinahe nochmals verschoben. Doch nach einer Weile erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht und sie war im entflammten Erzählen über ihre Arbeit und ihre Pläne fast nicht mehr zu halten. Text: Slávka Dzureková, Fotos: Viera Kiselová (1), Martina Jakušová (1), Slávka Dzureková (1)
NPZ: Sie sind in den 1980-er Jahren aus der damaligen Tschechoslowakei emigriert und lebten danach lange in Wien. Wie verlief Ihre Karriere in Österreich? Ingrid Konrad: Ich konnte mit verschiedenen Architekturbüros zusammenarbeiten und machte alles Mögliche. Ich plante Einfamilienhäuser, Wohnungen, Industriebauten, Tankstellen und auch einen Pferdestahl. Besonders interessant war der Umbau der Synagoge in der Seitenstättengasse in Wien in Zusammenarbeit mit dem Architekten Thomas Feiger. Um mein Diplom aus Bratislava zu nostrifizieren, musste ich auch an der Technischen Universität Wien noch einige Fächer nachholen, die in Bratislava nicht unterrichtet wurden, darunter zum Beispiel Baurecht, Gartengestaltung und Freiraumgestaltung. Von 1993 bis 2005 hielt ich dann an der TU selbstständige Vorlesungen in Freiraumplanung. Parallel dazu eröffnete ich mein eigenes Büro.
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Was hat Sie wieder nach Bratislava gezogen? Die Umstände meiner Rückkehr waren überhaupt nicht fröhlich. Leider ist 2006 mein Ehemann verunglückt, und ich musste nach seinem Tod in seinem Büro in Bratislava einige Sachen fertig stellen. Sonst wäre ich möglicherweise gar nicht hierher zurück gekommen. Wo fühlen Sie sich mehr zu Hause? Ich lebe seit einigen Jahren in Bratislava und fühle mich sowohl hier als auch in Wien zu Hause. Ich bin in Bratislava aufgewachsen und habe hier viele Freunde und Bekannte, meine Söhne und Verwandten wohnen jedoch in Wien.
Was hat Sie dazu bewegt, sich um die Position der Chefarchitektin zu bewerben? Ich habe an Projekten für die Stadt gearbeitet und war vier Jahre in der Kommission für die Entwicklung des Stadtteils Vajnory tätig. Somit habe ich einen Einblick in die Probleme der kommunalen Selbstverwaltungen bekommen. Durch die Arbeit an der Stadtentwicklung lernte ich viele hervorragende Menschen kennen und bin bis heute überzeugt, dass man in Zusammenarbeit mit solchen Menschen die Stadtentwicklung positiv beeinflussen kann. Leider machte ich dabei auch die Erfahrung, dass der Magistrat oft wie eine unüberwindbare Glaswand funktionierte und ich wollte das ändern. Auch Freunde und Kollegen überredeten mich zu einer Bewerbung. Dabei hatte ich in Österreich immer eine Beamtenposition abgelehnt. Was sind Ihre wichtigsten Aufgaben als Chefarchitektin? Der Chefarchitekt ist vereinfacht gesagt für die Stadtentwicklung und deren Regulierung zuständig. Er wirkt an der Gestaltung der Flächenwidmungspläne mit, sowohl bei neuen Plänen als auch bei Änderungen und Ergänzungen. In einem Flächenwidmungsplan wird beschlossen, wo, was und wie gebaut werden soll. Es ist etwas wie eine generelle Vision, wie die Stadt aussehen und funktionieren soll. Außerdem geben wir zu allen Bauten in allen 17 Stadtteilen Bratislavas verbindliche Stellungnahmen ab, ob sie mit dem Flächenwidmungsplan übereinstimmen. Es gab jahrelang keinen Chefarchitekten in Bratislava. Sie sind nach einer langen Pause die zweite.
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staltung in Bratislava muss ich für diese Position erst erkämpfen. Ich sollte gar nicht in diese Verwaltungsstruktur eingebunden sein, sondern ebenso wie der Chefverkehrsingenieur Tibor Schlosser eine strategische Funktion ausüben. Unter diesen Umständen empfand ich das fachliche und organisatorische Niveau der Ausschreibung der Position des Chefarchitekten als sehr erfreulich. Das erweckte in mir die Hoffnung, dass positive Änderungen möglich sind.
Kurzportrait Seit Juni 2011 ist DI Ingrid Konrad Chefarchitektin der Hauptstadt der Slowakischen Republik Bratislava. Sie wurde in der Region Liptau im Norden der Slowakei geboren, lebte seit ihrem 5. Lebensjahr in Bratislava. 1986 emigrierte sie nach Österreich und lebte seitdem in Wien. Sie studierte Architektur in Bratislava und Wien und unterrichtete an der Technischen Universität Wien. Außerdem sammelte sie langjährige Berufserfahrung als Architektin. Sie schätzt engagierte Menschen und mag nicht Gleichgültigkeit und nutzlose Arbeit. Haben Sie von ihrem Vorgänger etwas „geerbt“? Mein Vorgänger Professor Štefan Šlachta war eher als Berater des Oberbürgermeisters Ďurkovský tätig. Die wirklichen Kompetenzen des Chefarchitekten definierte erst ein 2008 in Kraft getretenes Gesetz, also ich leiste auf diesem Gebiet praktisch Pionierarbeit. Die Kompetenzen sind leider bis heute nicht alle umgesetzt worden, und die Struktur der Stadtverwaltung ist noch nicht auf die gesetzlichen Bestimmungen eingestellt. Ich bin durch das Stadtparlament gewählt worden und bin Mitglied des Stadtrates, was ein Erfolg für die Baukultur dieser Stadt ist, weitere Rollen, wie die Zuständigkeiten für die Qualität der Baukultur und Freiraumge-
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Welche sind die wichtigsten Aufgaben, die Sie als Chefarchitektin umsetzen möchten, und was ist Ihnen bereits gelungen? Bratislava hat einen Flächenwidmungsplan, aber es fehlen flächendeckende Bebauungspläne. Das ist ein generelles Regelwerk, wo und wie gebaut werden kann, wie die Baulinien verlaufen, wo die Fläche nicht bebaut werden darf etc. Außerdem wäre mir sehr wichtig, dass alle Projekte und Investitionsabsichten gleich begutachtet werden, das heißt, dass Projekte transparent und objektiv ausgewertet werden. Es ist mir bereits gelungen, einen sogenannten „Chefarchitektinrat“ ins Leben zu rufen, in dem größere Projekte unter Teilnahme von Fachleuten, VertreterInnen des Magistrats, des Stadtteiles und des jeweiligen Investors begutachtet werden. Ich halte es für sehr wichtig, dass die im Konsens gefundenen Ergebnisse der Ratssitzungen niedergeschrieben werden und für die genehmigten Projekte verbindlich sind. Ohne transparente und verbindliche Absprachen ist es sehr schwer, im bestehenden Umfeld von InvestorInnen, PolitikerInnen und BeamtInnen zu arbeiten. Mein Anliegen ist es, dass eindeutige Regeln einer Projektbeurteilung festgelegt werden. Klar ist es ein mühsamer Prozess und es geht alles nur schrittweise vor sich. Man muss einfach optimistisch sein. Als positiv sehe ich zum Beispiel, dass der jetzige Oberbürgermeister Milan Ftáčnik das Magistrat wortwörtlich transparent für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat und die verbindlichen Stellungnahmen auf
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der Webseite der Stadt veröffentlicht werden. Die Bürger konnten bisher etwa 900 Stellungnahmen einsehen. Seit der Wende hat sich schon viel geändert, doch leider wurden die Umbruchszeiten nicht zur Stabilisierung der öffentlichen Verwaltung genutzt. Das öffentliche Interesse ist an die letzte Stelle gerückt worden. Nach jeder Wahl gibt es bei der öffentlichen Hand grundlegende z.B. auch parteipolitisch beeinflusste personelle Änderungen, somit fehlt es an Kontinuität, es fehlt so etwas wie ein Gedächtnis der Stadtentwicklung.
Das würde ein konfliktloses Zusammenleben in der Stadt fördern. Es geht sowohl ums Wohnen, als auch um die Infrastruktur, Sport und Erholung, Arbeitsräume, Kultur, Gesundheit, Soziales usw. Die Menschen sollten mitreden und aktiv an der Stadtentwicklung teilnehmen. Und das geht ohne Regeln nicht. Die SlowakInnen sind aus der Vergangenheit gewohnt, alles durchzustehen, gegenüber der Staatsgewalt sich eher zurückzuziehen. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass wir lernen, mit der Öffentlichkeit zu diskutieren.
Sie haben an der Technischen Universität Wien Freiraumplanung unterrichtet. Wie sehen Sie als Expertin auf diesem Gebiet die Entwicklung der öffentlichen Räume in Bratislava? Das grundlegende Ziel der Freiraumplanung sehe ich darin, dass die Stadtplanung als Planung der nicht zu bebauenden Räume gesehen wird und damit eine neue Qualität der Stadt entstehen kann. Bis dato sind die öffentlichen Freiräume als Resträume rund um die Häuser verstanden worden, jeder Quadratmeter der bebauten Fläche zählte, weil die Inverstoren Hand in Hand mit den Politikern ohne Rücksicht auf das öffentliche Interesse handeln konnten. In Wien werden alle Bauten unter Berücksichtigung der öffentlichen Interessen begutachtet und die Öffentlichkeit kann an der Freiraumgestaltung teilnehmen. Das vermisse ich in Bratislava. Der Freiraum sollte nicht nur als nur nicht bebaute Fläche wahrgenommen werden, er sollte in den Mittelpunkt des öffentlichen Lebens rücken, spezifische Funktionen des Stadtlebens auch aus der traditionellen Sicht, eine spezifischen Stadtästhetik übernehmen und den Bedürfnissen der Einwohner entgegenkommen. Unsere Aufgabe soll sein, die öffentlichen Interessen zu verteidigen, zum Beispiel indem wir einen Rahmen für die Zusammenarbeit mit privaten Investoren festlegen und Korruption verhindern. Die Bautätigkeit betrifft ja alle in der Gesellschaft, nicht nur die Politiker und Investoren. Ich stoße immer wieder darauf, dass in Bratislava für viele Bereiche Konzepte mit Regeln fehlen, die für alle gleich gelten.
Wie funktioniert gegenwärtig die öffentliche Diskussion in Fragen Stadtentwicklung und Freiraum in Bratislava? Das kritische Umfeld gestalten gegenwärtig insbesondere etwa 80 Non-Profit-Organisationen aus verschiedenen Bereichen. Sie engagieren sich auch in verschiedenen Themen der Stadtentwicklung, wie z.B. die Umleitung der Erdölpipeline außerhalb des Stadtgebietes, Aufbau der Radwege oder Schaffung und Erhaltung von Grünräumen. Neben engagierten Bürgern sind in diesen Vereinen oft Fachleute aktiv, die nach einem Amtswechsel nach den Wahlen aus der Verwaltung ausgeschieden sind. Das sind fachlich kompetente Menschen, mit denen ich sehr gerne zusammenarbeite und die mir eine große Hilfe sind. Sie schaffen oft Großes mit wenig Geld, für ihre Tätigkeit nützen sie manchmal auch Gelder aus den EU-Fonds. Was sehen Sie persönlich als Prioritäten der Stadtentwicklung für die Zukunft? Die nachhaltige und umweltfreundliche Entwicklung der Stadt. Eines der wichtigsten Anliegen ist der Aufbau der grünen Infrastruktur. In den kommenden Jahren werden die alternativen Energiequellen immer bedeutender. Das ist in Bratislava ein absolut vernachlässigtes Thema. Außerdem werden die Grünflächen, Alleen, Parks und Erholungszonen immer weniger. Die Stadt wächst ständig, die Einwohner brauchen dringend neue Grünflächen und Erholungszonen. Es fehlt eine stabile sozialpolitische Konzeption, die die Stadt
nicht mehr als industriellen Ort, sondern als Lebensraum sieht. Das ist der Trend überall in der Welt. Bei Nachhaltigkeit und Umweltschutz soll die Wirtschaftlichkeit Hand in Hand mit der Ökologie gehen. Die Energiepolitik in Bratislava macht endlich größere Schritte. Bratislava soll eine ökologische Stadt werden. Wir engagieren uns für die Projekte der EU, die Bratislava Richtung „Smart City“ bewegen. Es werden Fachleute geschult, die den Wohnungseigentümern umweltverträgliche Beratung in allen Bereichen wie Wohnen, Arbeiten, grüne und technische Infrastruktur anbieten. Gerade arbeiten wir an einer Strategie zu den Veränderungen, die durch den Klimawandel verursacht wurden und werden, und stoßen dabei auf eine breite Zustimmung aller Beteiligten. Wie gefällt Ihnen, das endlich genehmigte Projekt der Erneuerung der Alten Brücke? Die Brücke wird als eine neue Konstruktion für Straßenbahn, Fußgänger und Radfahrer ausgeführt, was für den Stadtteil Petržalka sehr wichtig ist und sicher Verbesserungen im öffentlichen Verkehr und eine Entwicklung in Richtung sanfter Mobilität voran treibt. Angesichts der jahrzehntelang diskutierten U-Bahn, für die sich wohl nie das Geld finden wird, denke ich, dass die Straßenbahn eine ausreichende Lösung sein könnte. Die Brücke wird wie eine Eisen-
bahnbrücke aussehen. Ich persönlich glaube nicht, dass die Straßenbahn unbedingt durch soviel Eisen von Fußgängern und Radfahrern getrennt werden muss. Auch die Abweichung vom historischen Bild ist nicht ganz in meinem Sinne. Aber Hauptsache die Brücke wird dann wieder benutzbar. Positiv ist auch, dass durch die neue Konstruktion der Brücke zugleich die Donau besser schiffbar wird. Der Schiffsverkehr hat auch eine große Bedeutung für die künftige Lösung der Verkehrsprobleme. Neben dem „Propeller“, der die zwei Donauufer verbinden wird, sollen noch Linienschiffe von Devín bis nach Vrakuňa verkehren und den Straßenverkehr reduzieren. In diesem Zusammenhang ist die Renovierung des Personenhafens in Bratislava sehr wichtig. Er dient auch der Schiffsverbindung des Twin City Liner zwischen Wien und Bratislava und gibt in seinem jetzigen Zustand für den Tourismus kein schönes Bild der Stadt ab. Sind Sie trotz aller Probleme in Ihrer Arbeit noch immer optimistisch? Ja, doch. Sonst könnte ich meine Arbeit gar nicht machen. Ich habe hier in Bratislava viele gute Fachleute getroffen, und die SlowakInnen sind offen für Neues und engagieren sich gerne im öffentlichen Leben. Es gibt auch sehr begabte und engagierte junge Menschen, die neue Ideen einbringen. Das gibt mir Energie und stärkt meinen Glauben, dass sich doch Vieles durchsetzen lässt.
Beginn des Umbaus der Alten Brücke
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