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Politik & GESELLSCHAFT

Jahrelang saß Anton Srholec für seine Überzeugung in kommunistischen Gefängnissen und Arbeitslagern (unter schwersten Bedingungen in einem Bergwerk), während sich viele offizielle Vertreter der katholischen Kirche mit dem Regime arrangierten. Der Gründer und Leiter des Obdachlosenzentrums RESOTY am Stadtrand von Bratislava gilt Vielen als Vorbild für christliche Nächstenliebe und als eine Art slowakischer „Vater der Armen“. Text: Christoph Thanei, Fotos: Tomáš Kostka

NPZ - Neue Pressburger Zeitung: Wie viele Menschen betreuen Sie in Ihrem Zentrum? Anton Srholec: Wir sind hier jetzt ungefähr 40 Leute. Wir achten zum Beispiel auch sehr streng auf Sauberkeit und solche Dinge wie eine strikte Mülltrennung, die funktioniert bei uns vorbildlich. Darum kümmert sich ganz besonders einer unserer Bewohner, der halb blind ist, aber die Mülltrennung ausgezeichnet im Blick hat. Damit hat er eine schöne Aufgabe für sich und kann sich auch für die Gemeinschaft nützlich machen. Es kann jeder eine Aufgabe übernehmen, wenn er will. Wie beteiligen sich die Bewohner selbst an der Finanzierung des Zentrums?

„Den Menschen ihre Würde wiedergeben“ Anton Srholec: Vom politischen Häftling zum Helfer der Obdachlosen 26

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Wir verlangen fünf Euro von jedem Bewohner pro Tag mitsamt Verpflegung. Ich lege Wert darauf, dass die Bezahlung nicht mehr als zwei Packungen Zigaretten ausmacht. Wer sich die leisten kann, kann auch die Miete hier bezahlen. So funktionieren wir nach dem Prinzip einer Einrichtung, die sich selbst erhalten kann. Wir haben ja keine großen Ausgaben, unsere Verpflegung ist bescheiden. Wenn einer vorübergehend finanzielle Schwierigkeiten hat, helfen wir ihm zwischendurch aus. Aber wenn sich jemand nicht einfügen will und auch längerfristig nicht seinen Beitrag bezahlt, dann schicken wir ihn notfalls nach einiger Zeit wieder weg. Anton Srholec: Wohin gehen die Leute, die Sie wegschicken. Sie gehen in Einrichtungen niedrigerer Kategorie. In Bratislava gibt es auch Einrichtungen, in denen man um einen halben Euro übernachten und sich duschen kann. Und am Morgen geht man dann wieder auf die Straße. Aber bei uns kann man 24 Stunden wohnen und es herrscht größere Freiheit. Diese Freiheit des Einzelnen respektieren wir. Wir haben keinen Portier. Niemand kontrolliert, wann jemand kommt oder geht. Jeder hat seine eigenen Schlüssel und kann machen, was er will. Es gibt eine Vertrauensbasis, die wir dauerhaft aufrecht erhalten. Das schafft auch Eigenverantwortung. Die Männer achten selbst darauf, dass Ordnung herrscht. Wenn jemand betrunken von der Straße kommt und Unordnung

machen oder jemanden bedrohen will, schreiten die anderen Bewohner ein und sorgen dafür, dass es keine Gewaltanwendung gibt, die ist hier als etwas vom Wenigen streng verboten. Wir sind wie eine große Familie, um deren Wohl sich alle gemeinsam kümmern. Kommen nicht doch manchmal Bewohner auch betrunken? Da drücken wir ein Auge zu, solange er keine Probleme macht. Wir können und wollen die Leute nicht völlig umkrempeln, das geht einfach nicht. Alle wissen, was wir von ihnen erwarten und welche Regeln hier eingehalten werden müssen. Wenn einer trinken will, dann weiß er auch, wo er hier seine Flasche entsorgt. Es ist besser, wenn er seinen Alkohol hierher bringt und mit den Kameraden teilt, als wenn er sich allein

zurück zieht und einsam trinkt. Alle haben einen Kühlschrank und einen Fernseher zur Verfügung. Das ist nicht nur für Obdachlose, sondern auch für andere Arme keine Selbstverständlichkeit. Das ist ein Haus der Freiheit, aber auch der Erziehung zu Mitverantwortung. Wir zwingen niemandem eine bestimmte Verhaltensweise auf und hier schreit keiner die anderen an. Wir wollen eine gewisse Wohnkultur bieten. So steht auch die Küche allen zur Verfügung, wenn die Köchin weggeht. Wer außer Ihnen kümmert sich um den ganzen Betrieb der Einrichtung? Wir sind drei Pensionisten: Die Köchin arbeitet auf Freiwilligenbasis. Dann ist da noch Schwester Rita, die einige Zeit in Irland war, sie kümmert sich mit mir um die Buchhal-

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tung und organisatorische Notwendigkeiten wie Einkäufe. Gemeinsam führen wir dieses Zentrum. Wie lange gibt es diese Obdachlosenunterkunft schon? Seit 1991, also jetzt schon gut 22 Jahre. In dieser Zeit habe ich schon jede Menge an Lebensgeschichten mitgekriegt. Manche Erlebnisse schreibe ich jetzt auf, so als eine Art Chronik. Manchmal werde ich gefragt, wie viele Menschen wir hier erfolgreich „umerzogen“ haben. Aber das kann man nicht sagen. So wie in einem Krankenhaus nicht alle Menschen geheilt werden. Im Gegenteil: In Krankenhäusern sterben mehr Menschen als sonstwo. Auch wir betreuen hier Menschen, von denen uns einzelne Ältere auch schon weggestorben sind. Aber sie alle finden hier eine Art Oase. Sie werden aufgenommen und respektiert als Menschen wie sie sind. Wenn wir versuchen würden, neue Menschen aus ihnen zu machen, würden wir sie nur quälen und hätten doch keinen Erfolg. Von Anfang an war es mir aber wichtig, dass es ein Gemeinschaftsgefühl gibt. Gerade ältere Menschen fühlen sich oft verlassen. Hier muss sich niemand verlassen und einsam fühlen. Wenn einer jemanden braucht, mit dem er reden und dem er von seinen Problemen erzählen kann, dann findet er hier immer wen. (Das Gespräch wird durch Klopfen unterbrochen. Ein Mann kommt herein und stellt sich stolz in der Arbeitsklei-

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dung eines Kochs vor Anton Srholec hin, erzählt, dass er sich jetzt erfolgreich um eine Arbeitsstelle gekümmert hat und geht nach wenigen Minuten wieder freundlich grüßend weg.) Wie gesagt: Wir sind wie eine große Familie. Er zum Beispiel war im Gefängnis und hat sich eine Arbeit als Koch gefunden. Jetzt ist er extra gekommen, um wie ein Kind seinen Eltern zu zeigen, dass er nicht gelogen hat. Solche kleinen Erfolge sind natürlich immer eine besondere Freude. Ist es nicht gerade für Bewohner einer solchen Einrichtung besonders schwierig, eine Arbeit zu finden? Allein schon, wenn er sagt, dass er in einer Obdachlosenunterkunft wohnt, weckt das ja schon Misstrauen bei Arbeitgebern. Die meisten, die hierher kommen, haben keine große Qualifikation. Aber sie müssen nicht hinausposaunen, dass sie in einem Obdachlosenasyl wohnen, das klingt tatsächlich nicht sehr gut. Es reicht, dass einer hier eine Adresse hat und dass er anständig aussieht. Wir haben ständig Warmwasser und schauen, dass die Leute auch eine ordentliche Kleidung bekommen, dann können sie schon immer wieder eine Arbeit finden. Naheliegend wäre aber wohl für viele Ihrer Bewohner, dass sie sich fallen lassen. Wie erreichen Sie, dass sie sich nicht aufgeben?

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Es sind natürlich oft schwierige Schicksale: Probleme mit Alkohol, verlorene Arbeit, von der Familie verlassen oder die Frau gestorben, ... - Aber hier fangen wir sie wieder auf. Wer dazu bereit ist, kann wieder eine Arbeit finden, die Unterstützung geben wir ihm. Manche sind aber psychisch in so schlechtem Zustand, dass sie ärztliche Hilfe, etwa von einem Psychiater brauchen. Auch die vermitteln wir. Wir fördern die Leute, damit sie wieder auf eine höhere Ebene kommen. Es gibt hier viel zu lesen und wir schauen aufeinander. Der gegenseitige Respekt muss gewahrt sein. Keiner muss sich für seine Armut schämen, aber er soll sich um sich bemühen, dass er anständig auftritt. Wenn einer sich hier nicht einfügen kann, ist das in Ordnung, aber auch die Art, wie er uns verlässt, muss korrekt und in Ruhe sein. Es gibt in Bratislava vierzehn Unterkünfte, in die jemand gehen kann, der mit unseren Regeln nicht einverstanden ist. Es stimmt nicht, dass jemand in dieser Stadt auf der Straße leben muss. Wenn er auf der Straße lebt, ist das seine Entscheidung, weil ihm die Freiheit wichtiger ist, als sich an Regeln zu halten. Im Winter ist die Nachfrage nach Unterkünften wahrscheinlich größer? Es gibt auch solche freien Vögel, die den ganzen Sommer lieber im Freien leben, aber im Winter suchen sie dann doch Unterschlupf bei uns. Auch das müssen wir akzeptieren. Wir helfen nur denen, die selbst zu uns kommen wollen. Ist es nicht frustrierend, wenn Sie dann doch immer wieder erleben, dass Sie jemandem auf einen guten Weg geholfen haben, und dann lässt er sich doch wieder fallen? Natürlich ist es frustrierend. Aber jeder von uns hat seine eigene Geschichte. Woher einer kommt, ob er zum Beispiel im Gefängnis war, das ist seine Sache. Wenn er darüber reden will, hören wir zu. Wichtig ist mir, den Menschen ihre Würde wiederzugeben. Das ist das, woran mir besonders liegt. Aber wir zwingen niemanden, sein Leben zu ändern, wenn er es nicht will. Was wir hier bieten können, ist eine Gemeinschaft, in der sich jeder seine Wunden heilen kann. Wir haben hier unser bescheidenes gemeinsames Leben.


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Lebensmittel bekommen wir zum Beispiel günstig von Geschäften, die sie sonst wegschmeißen müssten, weil sie kurz vor dem Ablaufdatum sind. Mir tut es manchmal leid, wenn ich sehe, dass sogar die Leute hier so wenig Respekt vor Lebensmitteln haben, dass ich immer wieder Essen im Müll finde. Ich war zehn Jahre lang im Gefängnis und weiß, was Hunger ist und wie viel einem ein Stück Brot bedeuten kann. Aber wenn einer diesen Respekt nie hatte, können auch wir ihn ihm nicht aufzwingen. Wie sind Sie zu dieser Aufgabe gekommen? Sie sind ja so prominent, dass Sie nach der Wende auch eine große Karriere in der katholischen Kirche machen hätten können. Mit meiner religiösen Überzeugung gehe ich hier nicht hausieren. Das ist nicht meine Mission. Ich bin kein Bekehrer und frage auch nicht, ob jemand Katholik ist oder nicht, das spielt für mich keine Rolle. Wir haben keine eigene Kapelle. Wenn einer in eine Kirche gehen will, ist er bei uns willkommen und wir zeigen ihm, wo er sie findet, ob Katholik oder Protestant. Mir geht es um eine Kultur der Menschlichkeit in einem umfassenderen Sinn:

Gemeinsam eine menschlichere Welt aufzubauen, ist eine Aufgabe, die Konfessionsgrenzen überschreitet. Wir haben hier auch einen Moslem, dem wir genauso gezeigt haben, wo er nach seinem Glauben beten kann. Aber trotzdem nochmals nachgefragt: Warum haben Sie nicht in der Kirche Karriere gemacht, wie ist Ihr Verhältnis zur katholischen Amtskirche? Das ist schon ein etwas heikles Thema. Ich bin ein freier Mensch und die Freiheit ist mir wichtig. Nach der Wende habe ich auch einmal beim damaligen Erzbischof nachgefragt, ob er keine Aufgabe für mich hätte, aber er konnte mit mir nicht viel anfangen. Ich schätze aber gerade diese Freiheit, dass ich die Bibel nach meiner Art interpretieren kann. Ich kann als Christ frei sein und trotzdem meiner Religion treu bleiben. Ich sehe mein eigenes Christsein eher so auf die Jesus-Art. Das ist nicht immer das Gleiche wie die Praxis der katholischen Kirche. Mir hat eine Antwort des Theologen Karl Rahner gefallen auf die Frage, wie wohl Jesus die heutige Kirche sehen würde. Rahner hat damals gesagt, wahrscheinlich würde Jesus das alles überhaupt nicht verstehen. (Lacht.)

Dr. h.c. Anton Srholec wurde am 12. Juni 1929 als Sohn einer Kleinbauernfamilie in Skalica geboren. Schon als Jugendlicher Eintritt in den katholischen Salesianer-Orden. 1951 misslungener Fluchtversuch aus der Tschechoslowakei, weil ihm das kommunistische Regime kein Theologiestudium erlaubte. Deshalb verbrachte er zehn Jahre im Gefängnis, davon den Großteil im Uranbergwerk Jáchymov. Nach der Öffnung im Zuge des „Prager Frühlings“ Abschluss des Theologiestudiums und Priesterweihe in Italien, freiwillige Rückkehr in die inzwischen wieder politisch rauer gewordene Tschechoslowakei. Mit seiner seelsorgerischen Tätigkeit (trotz Priesterweihe bekam er keine eigene Pfarrei) sprach er vor allem Jugendliche an, wurde aber nicht nur von der staatlichen Obrigkeit, sondern auch der Amtskirche schikaniert, mehrfach versetzt und schließlich vom Priesteramt ausgeschlossen. 1989 Pensionsantritt als Arbeiter, weiterhin verschiedene ehrenamtliche Tätigkeiten in Menschenrechtsorganisationen und Sozialinitiativen, vor allem in dem von ihm gegründeten Obdachlosenzentrum Resoty. Mehrere nationale und internationale Auszeichnungen für seine Verdienste um die Menschenrechte und seinen sozialen Einsatz, zum Beispiel das Ehrendoktorat der Universität Trnava, die Ehrenbürgerschaft von Skalica, den Ľudovít-Štúr-Orden II. Klasse, den Kardinal-König-Preis in Österreich und zuletzt ein Ehrendoktorat der Slowakischen Universität der Heiligen Elisabeth.

Mich einer anderen Religionsgemeinschaft zuwenden würde ich mich trotzdem nie. Da würden sich einerseits meine Eltern im Grab umdrehen. Und andererseits widerspricht das auch meinem eigenen Empfinden: Man kann nicht aus einem Nussbaum einen Marillenbaum machen. Ich bin mit dieser Religion aufgewachsen und gehöre zu ihr. Was immer wir aber machen, muss aus dem Herzen kommen. Es können nicht alle Bischöfe sein, jemand muss auch die bescheidenere Arbeit machen. Ich sehe mich den Desorientierten näher, denen kann ich Vorbild und behilflich sein. Ich bin Christ, aber ich pflege gerne den Kontakt zu anderen Religionen. Ärgern Sie sich nicht gelegentlich über die slowakische Amtskirche, die doch so anders lebt als es der Bibel entspricht? Eine Kirche als Institution halte ich für sinnvoll. Wenn aber Repräsentanten meiner Kirche lieber in unbiblischem Reichtum leben und ihr Business machen wollen, ist das ihr Problem. Sie schaden sich nur selbst. Jesus hat gesagt, nach den Früchten werdet ihr den Baum beurteilen. Für mich ist das Christentum eine Inspiration, die mir Hoffnung gibt. Was die Amtskirche macht, muss mich ebensowenig kümmern wie der Fisch sein Leben lebt, ohne sich viel Gedanken über das Meer zu machen. Sie haben Ihr Theologiestudium in Italien abgeschlossen und wurden vom Papst persönlich zum Priester geweiht. Trotzdem sind Sie freiwillig zurück gekehrt, als Viele andere aus der so genannten „Normalisierung“ der Tschechoslowakei geflohen sind. Dabei waren Sie zuvor noch gerade deshalb zehn Jahre lang im Gefängnis gewesen, weil Sie einen illegalen Fluchtversuch unternommen hatten. Ist das nicht ein Widerspruch? Ich liebe die Freiheit. Das ist etwas, das ich auch in meiner jetzigen Arbeit als wichtig für jeden Menschen respektiere. Aber was zählt Freiheit ohne die Menschen, die man liebt? Es konnte nicht das ganze Volk emigrieren. Ich bin zurück gekehrt, weil hier alle die Menschen waren, die ich geliebt habe.

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