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KULTUR

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„Nur was man sich erkämpft, gehört einem auch.“ Josef Winkler schreibt an gegen die Gewalt des Vaters, gegen das Rohe im bäuerlichen Dorfleben, das Verlogene in der katholischen Kirche, gegen den Tod, das Verdrängte und Vergessene in der Sprache und nun auch gegen das Schweigen der Mutter. Aus einem seiner neueren widerständigen Werke, „Mutter und der Bleistift“, las der Autor im Österreichischen Kulturforum in Bratislava. Text: Ingrid Blasge, Fotos: Bohumil Chúťka für das Österreichische Kulturforum in Bratislava

„Josef Winkler ist nicht nur einer der bedeutendsten österreichischen, sondern überhaupt deutschsprachigen Autoren“, hob die Leiterin des Österreichischen Kulturforums, Brigitte Trinkl, die Leistungen und den Rang des Büchner-Preisträgers zum Auftakt seiner Slowakei-Lesereise hervor. „Er schreibt in unglaublicher Intensität und ebensolchem Umfang“. Seine Art vor Publikum zu lesen ist nicht weniger eindringlich. Winklers kraftvolle, kantige Stimme ließ den Zuhörenden im vollbesetzten Kulturforum wenig Raum zum Abdriften. „...in meinem Kopf immer und immer wieder die umstürzenden und auf den Kopf gestellten katholischen Kirchtürme, die mit ihren Spitzen aufstampfen auf diesem gottlosen und blutverschmierten Boden, ..., als kreisend schwarze Schallplatte in hundert verschiedenartigen Stimmen...“. Und immer und immer wieder in neuen Variationen erzählt der 60-Jährige die Geschichte seiner katholischen, bäuerlichen Herkunft. Zwar beginnen beide Erzählungen, die im 2013 erschienenen Buch Mutter und der Bleistift vereint sind, auf Reisen des Autors in Indien und Frankreich, aber es braucht nur ein paar Sätze und beiläufige Auslöser, einen Bund Petersilie oder ein paar Kalkflecken am Weihwasserbecken, bis der Erzähler erneut dem Sog seiner Kinder- und Jugendjahre erliegt. Mit seiner kreisenden Sprache schraubt sich Winkler gleichzeitig hinein und wieder heraus aus seiner Familiengeschichte, zertrümmert und erbaut sie im gleichen Zug. Arbeitete er sich in den vergangenen Wer-

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ken vor allem an der väterlichen Gewalt ab, so schreibt er in Mutter und der Bleistift gegen das Schweigen der mütterlichen Familienseite an. „Nach dem Tod der drei Söhne also war die Familie vollkommen verstummt, mein Elternhaus mütterlicherseits war eines der stillsten Bauernhäuser im ganzen Kärnter Drautal geworden, niemand mehr sprach ein Wort, zwei Jahrzehnte lang nicht, man erzählte sich keine Geschichten mehr, es gab nichts mehr zu erzählen, denn auch diese meine Großmutter … hat nicht nur die drei erwachsenen Söhne im Krieg verloren, auch zwei Kleinkinder starben ihr unter den Händen weg.“ Wiederholt greift eine Erzählung den Moment auf, in dem der jüngste der drei Söhne als einziger aus dem Krieg zurückkommt, „aber anders“, wie Winklers Urgroßmutter zu sagen pflegte. „...unweit vom Gravensteinerapfelbaum im Garten meines Großvaters Johann Winkler..., unter dessen blühenden Ästen der einst gesessen, gewartet, geweint und gebetet hatte..., als er auf die Ankunft des Heuleiterwagens aus Villach wartete, auf dem kein Gras und kein Heu, keine Türkenkolben und keine Erdäpfel, keine Krautköpfe und auch nicht die großen weißen Rettiche lagen, sondern der Sarg seines dritten gefallenen Sohnes stand, den die überlebenden Kameraden in Jugoslawien eingesargt, dessen einen abgerissenen Fuß sie in eine frisch gebügelte Kluft der Wehrmachtsuniform gesteckt, die beiden abgerissenen Arme ebenfalls, und dem sie den abgerissenen Kopf über die Schärpe des Rockes gelegt, und das

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Innere des Sarges hatten sie ausgestopft mit Feldblumen, mit Margeriten und Sauerampfer, mit Löwenzahn und Butterblumen, mit Vierklee und Fünfklee, mit Glücks- und Unglücksklee, damit die losen Körperteile des leblosen Hampelmannes, dem auch keine Schnüre mehr in den Himmel hinaufhalfen, im Inneren des Sarges nicht verrutschen...“ Er habe sich von Anfang an mehr für die Form interessiert, erklärte er im anschließenden Publikumsgespräch. Er habe weder Abitur noch Studium absolviert, habe immer nur gelesen und schon sehr früh damit begonnen darauf zu achten, wie andere schreiben – mehr als darauf, was sie schreiben. So entwickelte er seinen markanten Stil, „verwinklerte“ Schachtelsätze, die einer aus dem anderen haltlos, scheinbar ohne Ende herausstürzen, würde er ihnen nicht irgendwo einen künstlichen Punkt setzen. Außerdem das penetrante, unerbittliche Zurückkehren zu den Steinen des Anstoßes, zum Schweigen und zum Tod. „Am meisten lerne ich durch die Varianten des Immergleichen“, lässt er Handke sagen. Winkler ist ein Bildwirker. Mit seiner Füllfeder, die er immer bei sich trage, habe er tausende von Seiten mit minutiösen Beobachtungen gefüllt, die ihm als Material für seine Texte dienen. „Sich das Tranchiermesser des Bilderdenkens durch das geredeverwucherte Gehirn schieben.“, zitiert er Handke an einer anderen Stelle. Dem Publikum bot er für Mutter und der Bleistift das Bild eines gestickten Wandteppichs (passend zum

mütterlich-weiblichen Thema des Buches), auf dem die Elemente seiner Geschichte symmetrisch eingestickt sind – wahrscheinlich im Kreuzstich: links der Nussbaum, rechts der Gravensteinerapfelbaum, die Großeltern väterlicherseits, die Großeltern mütterlicherseits, zwei Geschenkkisten an den Großvater, eine mit einem Pfau und eine mit einem Fernseher, Winkler als Mädchenname der Mutter sowie Familienname des Vaters usw.; alle Teile vielfach gespiegelt und verzerrt, gestaucht und gestreckt, ornamental verschlungen, in die Vergangenheit und Zukunft gedreht. Ilse Aichinger und Peter Handke, die er immer wieder zu Wort

kommen lässt, krönen den Stammbaum als seine literarischen Eltern. Als Kind, berichtete Winkler, wurde er, wie alle anderen Bauernkinder, vom Dorflehrer in der achtjährigen Volksschule gehalten, nur dessen eigene Söhne durften das Gymnasium in der Stadt besuchen. Er wollte in Kamering aber nicht „verrecken“. „Ich wollte heruntersteigen vom elterlichen Misthaufen meines katholischen Dorfes.“ So nutzte er die Unachtsamkeit des Vaters und die Nachsicht der Mutter, um ihnen kleine Geldsummen zu stehlen, mit denen er sich dann Bücher leisten konnte. Heute, meinte der Vater zweier Kin-

der, würden die Kinder die Stapel an Büchern, die man vor sie hinstellt, mit den Füßen wegschieben. „Aber nur was man sich erkämpfen muss, gehört einem dann auch.“, gab er den zahlreichen Studierenden im Publikum als pädagogischen Rat mit auf den Weg.

Alle Zitate stammen aus dem Buch: Josef Winkler: Mutter und der Bleistift. Berlin: Suhrkamp 2013. ISBN: 978-3-518-42358-5

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