OBS-Arbeitsheft 93
OBS-Arbeitsheft 93
OBS-Arbeitsheft 93
Haller – „Die Flüchtlingskrise“ in den Medien
Otto Brenner Stiftung
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Michael Haller
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien Tagesaktueller Journalismus zwischen Meinung und Information www.otto-brenner-stiftung.de
Eine Studie der Otto Brenner Stiftung Frankfurt am Main 2017
OBS-Arbeitsheft 93
Die Otto Brenner Stiftung …
ISSN-Print: 1863-6934 ISSN-Online: 2365-2314
... ist die gemeinnützige Wissenschaftsstiftung der IG Metall. Sie hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Als Forum für gesellschaftliche Diskurse und Einrichtung der Forschungsförderung ist sie dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Ausgleich zwischen Ost und West.
Herausgeber: Otto Brenner Stiftung Jupp Legrand Wilhelm-Leuschner-Straße 79 D-60329 Frankfurt am Main
... initiiert den gesellschaftlichen Dialog durch Veranstaltungen, Workshops und Koopera tionsveranstaltungen (z. B. im Herbst die OBS-Jahrestagungen), organisiert internationale Konferenzen (Mittel-Ost-Europa-Tagungen im Frühjahr), lobt jährlich den „Brenner-Preis für kritischen Journalismus“ aus, fördert wissenschaftliche Untersuchungen zu sozialen, arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitischen Themen, vergibt Kurzstudien und legt aktuelle Analysen vor.
Tel.: 069-6693-2810 Fax: 069-6693-2786 E-Mail: info@otto-brenner-stiftung.de www.otto-brenner-stiftung.de Autor: Prof. Dr. phil. Michael Haller Wissenschaftlicher Direktor des Europäischen Instituts für Journalismus- und Kommunikationsforschung (EIJK) haller@uni-leipzig.de
... macht die Ergebnisse der Projekte öffentlich zugänglich.
Projektmanagement:
... veröffentlicht die Ergebnisse ihrer Forschungsförderung in der Reihe „OBS-Arbeitshefte“ oder als Arbeitspapiere (nur online). Die Arbeitshefte werden, wie auch alle anderen Publikationen der OBS, kostenlos abgegeben. Über die Homepage der Stiftung können sie auch elektronisch bestellt werden. Vergriffene Hefte halten wir als PDF zum Download bereit.
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Analyse und Handreichungen
OBS-Arbeitsheft 91
Alexander Hensel, Florian Finkbeiner u. a.
Vom Protest zur parlamentarischen Opposition
OBS-Arbeitsheft 90
Hans-Jürgen Arlt, Martin Kempe, Sven Osterberg
Die Zukunft der Arbeit als öffentliches Thema
Presseberichterstattung zwischen Mainstream und blinden Flecken
OBS-Arbeitsheft 89
Christina Köhler, Pablo Jost
Tarifkonflikte in den Medien
Was prägt die Berichterstattung über Arbeitskämpfe?
OBS-Arbeitsheft 88* Bernd Gäbler
Quatsch oder Aufklärung?
Witz und Politik in heute show und Co.
OBS-Arbeitsheft 87*
Kim Otto, Andreas Köhler, Kristin Baars
„Die Griechen provozieren!“
Lektorat:
Druck:
Bernd Gäbler
Die AfD vor der Bundestagswahl 2017
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OBS-Arbeitsheft 92
AfD und Medien
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Lutz Frühbrodt
Wie „Unternehmensjournalisten“ die öffentliche Meinung beeinflussen
OBS-Arbeitsheft 85*
Sabine Ferenschild, Julia Schniewind
Folgen des Freihandels
Das Ende des Welttextilabkommens und die Auswirkungen auf die Beschäftigten
OBS-Arbeitsheft 84* Fritz Wolf
„Wir sind das Publikum!“
Autoritätsverlust der Medien und Zwang zum Dialog
OBS-Arbeitsheft 83
Thomas Goes, Stefan Schmalz, Marcel Thiel, Klaus Dörre
Gewerkschaften im Aufwind?
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OBS-Arbeitsheft 86*
Content Marketing
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Die öffentlich-rechtliche Berichterstattung über die griechische Staatsschuldenkrise
Stärkung gewerkschaftlicher Organisationsmacht in Ostdeutschland
OBS-Arbeitsheft 82
Silke Röbenack, Ingrid Artus
Betriebsräte im Aufbruch?
Vitalisierung betrieblicher Mitbestimmung in Ostdeutschland
* Printfassung leider vergriffen; Download weiterhin möglich.
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Vorwort
Vorwort
Nach der Politik der Westintegration in der Adenauer-Ära, der Ostpolitik Willy Brandts in den 1970er Jahren und der friedlichen Überwindung der staatlichen Teilung in der Regierungszeit von Helmut Kohl stellt die Flüchtlingspolitik Angela Merkels 2015/16 für viele Beobachter eine weitere prägende Weichenstellung in der bundesrepublikanischen Geschichte dar. Die Aufnahme Hunderttausender Flüchtlinge hat gesellschaftspolitisch erheblich polarisiert: Soziales Engagement in der Zivilgesellschaft und die spontane Hilfsbereitschaft vieler Menschen beschreiben die eine Seite – massive Distanz und teilweise auch aggressive Ablehnung der Geflüchteten stehen für eine andere, „dunkle“ Seite. Innenpolitisch hat die Flüchtlingspolitik u. a. den rasanten Aufstieg einer rechtspopulistischen Protestpartei begünstigt – außenpolitisch hat das „einseitige“ Vorgehen Angela Merkels eine europäische Verständigung und den weiteren Integrationsprozess einer schweren Belastungsprobe ausgesetzt. Manche zeitgenössischen Beobachter sehen in den wenigen entscheidenden Tage im September 2015 gar einen epochalen Einschnitt: Gesprochen und geschrieben wird von einer Zeitenwende – der Zeit vor und der Zeit nach der „Grenzöffnung“. Schon lange bevor die „Flüchtlingsproblematik“ die innenpolitische Agenda zu bestimmen begann, sahen sich Teile der Medien mit einem Vertrauensverlust seitens des Publikums und einer veritablen Glaubwürdigkeitskrise konfrontiert. „Lügen presse“ wurde 2015 „Unwort des Jahres“, der öffentlich-rechtliche Rundfunk wie auch etablierte Printmedien standen massiv in der Kritik, und die weit verbreitete Skepsis gegenüber Establishment und Eliten schloss explizit auch Medienmacher und journalistisch Tätige mit ein. In dieser Gemengelage von Politikverdruss und Medienfrust geriet die Berichterstattung über die Flüchtlingspolitik schnell ins Visier kritischer Betrachtungen. Später waren auch selbstkritische Töne aus dem Medienbetrieb zu vernehmen und kreisten beispielsweise um die Frage, ob Medien in der sogenannten Flüchtlingskrise von der Rolle des kritischen Beobachters in die des politischen Akteurs gewechselt seien. Aktuelle medienkritische Studien und medienpolitische Untersuchungen gehören seit Jahren zum publizistischen Profil der Otto Brenner Stiftung. Die Ergebnisse unserer Forschungsförderung stießen dabei immer wieder auf erstaunlich große öffentliche Aufmerksamkeit. Zuweilen war die Anerkennung unserer Arbeit aber nicht mit ungeteilter inhaltlicher Zustimmung verbunden, hin und wieder wurden wir sogar durch „Beifall von der falschen Seite“ überrascht bis irritiert. Dass die „Flüchtlingskrise“ und die Berichterstattung über Angela Merkels Flüchtlingspolitik ein gesellschaftspolitisches Megathema ist, das, wenn es nicht zum Streit einlädt, dann doch sicher für hitzige Diskussionen sorgen würde, war der Stiftung bewusst, als wir
1
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
entschieden, uns diesem Thema ausführlicher zu widmen. Wir sind deshalb dankbar, dass wir die Untersuchung gemeinsam mit dem weit über enge Fachgrenzen hinaus renommierten sowie international profilierten Wissenschaftler Professor Dr. Michael Haller auf den Weg bringen konnten. Die Studie geht erstmals der Berichterstattung zur sogenannten Flüchtlingskrise im Detail nach: Dazu wurden insgesamt weit über 30.000 Medienberichte erfasst – und insbesondere für einen gut zwanzigwöchigen Zeitraum, in dem sich im Jahr 2015 die Ereignisse überschlugen, rund 1.700 Texte analytisch ausgewertet. Im Fokus der innovativen Untersuchung stehen Printleitmedien wie FAZ, SZ, Welt und Bild, über achtzig verschiedene Lokal- und Regionalzeitungen sowie die reichweitestarken Onlinemedien focus.de, tagesschau.de und Spiegel Online. Michael Haller geht in seiner Pionierarbeit einer Reihe wichtiger Fragen nach: Wurde in den analysierten Medien neutral über die Ereignisse berichtet? Trug die mediale Berichterstattung zu einer gesamtgesellschaftlichen Erörterung und Verständigung über eine allgemein gewollte Form der Willkommenskultur bei? Sind die veröffentlichten meinungs betonten Formate ein Beispiel für etablierten Meinungspluralismus, oder bilden sie das allgemeine Meinungsbild eher einseitig ab? Wer kam überhaupt in der Berichterstattung zu Wort – vornehmlich regierungsnahe Stimmen oder auch die direkt Betroffenen, also Geflüchtete oder engagierte Freiwillige selbst? Auf diese und weitere Fragen gibt die Untersuchung vielfältige Antworten. Durchaus spannende Antworten, die, im Gegensatz zu vielen öffentlich geäußerten Mutmaßungen oder vorschnellen Urteilen, auf einer intensiven Auseinandersetzung mit Quellen aufbauen und auf der kritischen Analyse breiter Daten fußen. Aber es kristallisieren sich in der Untersuchung auch Befunde heraus, die für weitere Diskussionen sorgen werden. Angesichts der historischen Relevanz von Angela Merkels Flüchtlingspolitik 2015/16 bleibt aus Sicht der OBS eine genaue Betrachtung von Rolle, Funktion und Selbstverständnis der Medien in dieser Phase unerlässlich. Wir hoffen, dass unsere Studie dazu einen ebenso kritischen wie konstruktiven Beitrag leistet, der zu kontro versen Debatten einlädt und zu weiteren Forschungen motiviert.
Jupp Legrand Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung
2
Frankfurt am Main, im Juni 2017
Inhalt
Inhalt
Einführung ...................................................................................................................... 4 Teil 1: Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16.........................................................16 1. Die Dynamik der Ereignisberichterstattung........................................................................ 16 2. Die prägenden Medienereignisse im Jahr 2015................................................................... 23 3. Die Leitmedien und ihre Vermittlungsleistung.................................................................... 24
Teil 2: Die Erfindung der „Willkommenskultur“................................................................53 1. Turbulentes Meinungsklima............................................................................................... 53 2. Die Politik – Vom Argument zur Kampagne........................................................................ 70 3. Willkommenskultur in der regionalen Tagespresse.............................................................80 4. Mitmachen – Schweigen – Schimpfen...............................................................................101
Teil 3: Die Dynamik der Großereignisse.......................................................................... 103 1. Wie die Leitmedien die Vorgänge vermittelt haben............................................................103 2. Was, wer, wann, wie? Die Einzelanalyse der zehn Großereignisse..................................... 106 3. Die Meinungen über Gründe, Handhabung und Folgen der „Flüchtlingskrise“................... 120
Teil 4: Fazit – Diskussion – Deutungen........................................................................... 132 1. Zusammenfassung der Studienergebnisse........................................................................132 2. Thesen zur Wirkung der Flüchtlingsberichterstattung....................................................... 141
Anhang Zur Methodologie................................................................................................................147 Daten der Analyse der redaktionellen Texte über die zehn Großereignisse ........................... 148 Analyse von 30 ausgewählten Kommentaren aus den untersuchten Leitmedien ....................155 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen........................................................................... 166 Literatur............................................................................................................................. 168 Hinweise zum Autor.............................................................................................................176
3
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Einführung
Das Wort „Flüchtlinge“ – von der Gesellschaft
(vgl. Arlt/Wolling 2016); dies kann aber nicht
für deutsche Sprache (GfdS) zum Wort des Jah-
darüber hinwegtäuschen, dass im Fortgang
res 2015 gewählt – wurde für die dramatischen
des Jahres 2015 ein wachsender Teil der Bevöl-
Ereignisse des Jahres 2015 zum Schlüsselbe-
kerung auf die Flüchtlingsberichterstattung der
griff.
sogenannten Mainstreammedien mit Skepsis
1
Man erinnert sich an die erschütternden Be-
und Misstrauen reagierte. „Den Medien wird
richte aus dem Mittelmeerraum, an Bilder von
von vielen nicht mehr zugetraut, die Bürger
deutschen Bürgern mit Willkommensfähnchen,
wahrheitsgetreu zu informieren. Sie stehen
an die Hilfeappelle – aber auch an zunehmend
in Verdacht, heikle Informationen, z. B. über
kontroverse Debatten, protestierende Demons-
Moslems und Flüchtlinge, zu unterschlagen“,
tranten und hasserfüllte Beschimpfungen (vgl.
resümierten die Medienwissenschaftler Volker
Bade 2016). Letztere galten neben der Politik
Lilienthal und Irene Neverla.3
Unbehagen über
vor allem den Medien. Die Journalisten berich-
Ist diese Medienkritik gerechtfertigt? Hat
die Rolle der Medien
teten einseitig, übergingen Andersdenkende
Frank-Walter Steinmeier, damals Außenminis-
und verschwiegen unbequeme Tatsachen. Die-
ter, recht, wenn er vom hohen „Konformitäts-
se Vorwürfe kamen nicht nur aus dem Umfeld
druck in den Köpfen der Journalisten“ spricht?4
der Bewegung Patriotische Europäer gegen
Und Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich
Islamisierung des Abendlandes (Pegida) und
in einer Rede tief besorgt zeigt, dass die Mehr-
der deutschnational ausgerichteten Alternative
heit der Bürger – übereinstimmenden Um-
für Deutschland (AfD) mit ihren „Lügenpresse“-
fragen von Anfang 2016 zufolge – kaum noch
Kampagnen. Sie wurden auch in zahllosen
Vertrauen in die Medien habe (dpa-Bericht
Zuschriften, Blogkommentaren und Diskus
02.06.2016)?
2
sionsveranstaltungen aus der Mitte der liberal eingestellten Bevölkerung formuliert.
Diese Fragen greifen thematisch über die Flüchtlingsberichterstattung hinaus und sind
Das Unbehagen über die Rolle der Medien
seit mehreren Jahren Gegenstand verschiede-
wurde zwar insbesondere von rassistisch ein-
ner politik- und medienwissenschaftlicher Un-
gestellten Protestgruppen instrumentalisiert
tersuchungen, die ihrerseits kontrovers disku-
1 Die in den einschlägigen Forschungsdisziplinen gängige Bezeichnung „Migranten“ erfasst auch diejenigen, die mit sogenanntem Migrationshintergrund in Deutschland leben. Die in manchen Studien ersatzweise gewählte Bezeichnung „Einwanderer“ soll die objektiven Gründe, die zur Zuwanderung führten, ausklammern und das Phänomen auf die binäre Unterscheidung „die hier Lebenden“ und „Fremde, die hier bleiben wollen“ verkürzen (etwa Goedeke Tort u. a. 2016: 498 ff.). Demgegenüber fokussiert unsere Studie genau solche Zuwanderer, deren physische Existenz durch Krieg, Katastrophen, Hunger in ihrem Ursprungsland akut bedroht ist. Stichproben zeigen, dass die journalistischen Medien in der Regel die Worte „Flüchtling“ und „Asylsuchende“, nicht aber „Migranten“ u. Ä. in dieser Bedeutung verwendet haben (zur strittigen Semantik vgl. http://www.sprachlog.de/2015/12/12/ fluechtlinge-zu-gefluechteten/). 2 Zur Genese des Schlagworts „Lügenpresse“ vgl. Katzenberger (2015). 3 Öffentliche Vortragsreihe Wintersemester 2016/17, vgl. https://lecture2go.uni-hamburg.de/l2go/-/get/v/20641. 4 Rede vom 15.11.2014, unter: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse /Reden/ 2014/141115_ Rede_BM_anl%C3%A4sslich_Verleihung_Lead_Awards.html (abgerufen Januar 2017).
4
Einführung
tiert werden.5 Wir wollen diese Diskussion hier
Teil auch durch diese ersetzt. Diese neuen,
nicht aufarbeiten, zumal der Forschungsstand
stark ausdifferenzierten Medienwelten erzeu-
zum Thema Flüchtlingsberichterstattung karg
gen eigensinnige Orientierungsräume, in de-
ausfällt und keine für unseren Ansatz verwert-
nen unterschiedliche Zielgruppen mit ihren
baren Anschlussfragen ermöglicht (Goedeke
Kommunikationsmustern interagieren und da-
Tort u. a., 2016).
durch den gesellschaftlichen Diskurs zuneh-
Für unsere Untersuchung leiten wir aus der seit dem Frühherbst 2015 öffentlich geäußerten breiten Medienkritik folgende Fragen ab:
mend erschweren (Wimmer 2007: 153 ff.). Immerhin: Soweit es um Glaubwürdigkeit, vielleicht auch um Vertrauen in die Informa-
Stimmt es, dass die Journalisten der Infor-
tionsangebote geht, dominiert weiterhin die
mationsmedien über die Flüchtlingsthema-
von den journalistischen Informationsmedien
tik des Jahres 2015 parteiergreifend, viel-
gesetzte Agenda (vgl. ARD/ZDF-Online-Studie
leicht auch nur einseitig berichtet haben?
2015). In Zeiten, in denen Schlagworte wie
Trifft es zu, dass sich die sogenannten Leit-
„postfaktisch“ und „Fake News“ die Angst vor
medien mit der politischen und wirtschaftli-
Desinformation zum Ausdruck bringen, kommt
chen Elite verbündet und Andersdenkende,
gerade den journalistischen Medien die Auf-
auch die Unzufriedenen und Oppositionel-
gabe zu, das relevante politische Geschehen
len, missachtet haben?
nachrichtlich so zu bearbeiten und zu publizie-
Ausgangsfragen der Untersuchung
ren, dass die verschiedenen Gruppen erreicht Die Mediengesellschaft als Kontext
werden und sich die Diskurse inhaltlich über-
Diese Forschungsfragen ergeben sich aus un-
lappen und interferieren. In den Medienwissen
serem Aufklärungsinteresse, das von einem
schaften ist die Rede von kommunikativen Kop-
Es geht um
normativen Verständnis der Funktionen der
pelungen, die gesellschaftliche Verständigung
gesellschaftliche
Informationsmedien in der Mediengesellschaft
auch im digitalen Zeitalter ermöglichen.
Verständigung
6
ausgeht. Um den Preis, vorübergehend ins Ab-
Sind dies weltfremde Wünsche? Tatsächlich
strakte abzuheben, möchte ich zunächst den
zeigt sich ja die aktuelle Krise in der Entkoppe-
unsere Forschung begründenden Rahmen kurz
lung der Orientierungsräume: Die politische
erläutern.
Öffentlichkeit scheint in Öffentlichkeitsinseln
Die analogen Informationsmedien – allen
auseinanderzufallen, deren Kommunikations-
voran die Tageszeitungen – wurden in der di-
modus eher auf Abgrenzung ausgerichtet ist.
gitalen Welt des Web 2.0 um die partizipatori-
Die Tendenzen in der Welt der Social-Media-
schen und interaktiven Kanäle erweitert, zum
Plattformen – vor allem die Personalisierung
5 Beispielhaft sind hier die Debatten rund um journalismuskritische Polemiken (beispielsweise Ulfkotte 2001; 2014) wie auch wissenschaftlich fundierte Studien (Krüger 2013; Meyer 2015). 6 Unter Normen verstehen wir existierende, rational begründete Vorstellungen von anzustrebenden Zuständen oder Handlungsweisen in der Gesellschaft. Normativität drückt den Forderungscharakter dieser Vorstellungen aus.
5
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
6
(Filterblasen) und Selbstreferenz (Echoräume)
Der theoretische Rahmen
der Foren und Blogs – führen zumal bei akuten
Diese normativen Thesen lassen sich mit der
politischen Themen zu Kommunikationsabbrü-
deliberativen Demokratietheorie begründen.
chen (Neumann/Arendt 2016). Gesellschaftli-
Sie stellt die Teilhabe der Bürger an der öffent-
che Verständigung verflüchtigt sich zur Idee.
lichen Kommunikation in den Mittelpunkt (de-
Gegen diese Tendenzen könnte sich gera-
liberieren = beratschlagen). Ihr Kerngedanke
de der Informationsjournalismus stark machen
besteht darin, dass durch Austausch von Wis-
und Geltung zurückgewinnen – vorausgesetzt,
sen (Informationen) und Argumenten (Beurtei-
er lässt seine Vorstellung fallen, Öffentlichkeit
lungen, Meinungen) ein auf Problemlösungen
sei etwas (nur) von ihm Hergestelltes. Statt-
gerichtetes öffentliches Gespräch (medialer
dessen müsste er sich an die veränderten Kom-
Diskurs) in Gang kommt, vorausgesetzt, die
munikationsverhältnisse anpassen und die
Kommunikatoren sind an Aufklärung interes-
verschiedenen Teilöffentlichkeiten interessiert
siert und verfolgen keine verdeckten Drittin-
wahrnehmen und über kommunikative Koppe-
teressen. Indem der Informationsjournalismus
lungen beleben.
diese Aufgabe übernimmt, verknüpft er politi-
Die von der Journalistik erarbeitete Funk-
sche Entscheidungsprozesse mit dieser diskur-
tionszuschreibung an den Journalismus – er
siv organisierten, Verständigung und Klärung
habe „Informationen zur öffentlichen Kommu-
anstrebenden Öffentlichkeit.
nikation aktuell zu vermitteln“ (Jarren/Donges
Diese Theorie geht auf den US-Politologen
2002: 200) und dabei die „Selbstbeobachtung
Joseph M. Bessette (1980) zurück und wurde
der Gesellschaft“ (Weischenberg 1995: 97)
insbesondere von Jürgen Habermas (1992 ff.)
sicherzustellen – passt zu diesen veränderten
und Bernhard Peters (2001; 2002) weiter aus-
Erfordernissen: In diesen Zeiten sollte Journa-
gebaut. In unserer komplexen Gesellschaft, so
lismus nicht als Verlautbarer, auch nicht als
Habermas, lasse sich Öffentlichkeit „am ehes-
Journalismus als
Geschichtenerzähler und Meinungsverkünder,
ten als ein Netzwerk für Kommunikation von
informierender
vielmehr als informierender Aufklärer, als Ku-
Inhalten und Stellungnahmen“ beschreiben
Aufklärer
rator und Moderator des gesellschaftlichen
(Habermas 1992: 436). In den vernetzten Kom-
Diskurses auftreten (Leif 2016). Damit verbin-
munikationsräumen könnten die Medien den
det sich die uns leitende These, dass der In-
Diskurs mit Informationen, Beschreibungen
formationsjournalismus, wenn er die Kommu-
und Deutungsvorschlägen füttern und „Ver-
nikationsräume thematisch durchdringt, auch
ständigungsprozesse“ zwischen den Gruppen
die abgekoppelten Gruppen erreichen und
und Lagern anstoßen. Auch Entscheidungen
übergreifende Diskurse in Gang setzen bzw.
des politischen Systems sollten auf diesen
halten kann, was den sozialen Zusammenhalt
öffentlichen Diskurs bezogen sein, damit sie
– trotz Segmentierung und Stratifizierung –
demokratische Legitimität beanspruchen kön-
wieder stärken könnte (Haller 2016: 179 ff.).
nen. In diesem medialen Diskurs ist aus der
Einführung
Sicht von Peters die „wichtigste spezialisierte
Für unseren Forschungsansatz sind folgende
Teilnehmerrolle […] natürlich die der Journalis-
Überlegungen relevant: Im Internetzeitalter be-
ten, die ja weit mehr Funktionen ausüben als
handelt das deliberative Öffentlichkeitskonzept
die des Türhüters und des Nachrichtenprodu-
vor allem die (möglichst) diskursiv zu verkop-
zenten oder -bearbeiters oder des Reporters“
pelnden digitalen Kommunikationsräume und
(Peters 2001: 671). Der Journalismusforscher
-inseln. Von daher gehört es zur anspruchsvol-
Carsten Brosda, heute Kultursenator der Stadt
len Aufgabe des Journalismus, dass er die aktu-
Hamburg, entwickelte daraus ein Konzept des
ellen Problemthemen nicht nur als Nachrichten
Das Konzept
„diskursiven Journalismus“. Eine zentrale Di-
und Meinungen transportiert, sie vielmehr ver-
des „diskursiven
mension der Diskurstheorie der Öffentlichkeit,
ständigungsorientiert aufbereitet (Peters u. a.
Journalismus“
so Brosda, liege in der „Kommunikativität jour-
2007: 212). Wenn ihm dies gelingt, erreichen
nalistischen Handelns“. Unter diesem Leitbild
seine Berichte nicht nur das angestammte Pu-
agierten die Medien nicht ziel- und zwecklos,
blikum, sondern auch die Welten, in denen die
sondern gemäß ihrer normativen Orientierung
Skeptiker, die Verängstigten und Verärgerten in-
stets im Interesse des offenen Diskurses und
teragieren. Und wenn er es im normativen Sinne
so auch der gesellschaftlichen Verständigung
richtig gut macht, werden viele Individuen und
(Brosda 2008: 324).
Gruppen – nun als informierte Bürger – für den
Zwei Einschränkungen sollten allerdings
öffentlichen Diskurs (wieder) aufgeschlossen
mit bedacht werden: Zum einen ist Journalis-
sein. Der gleiche Gedanke in der abstrakten For-
mus nicht nur Diskursveranstalter; die ihm u. a.
mulierung von Habermas: „Die mediengestützte
vom Bundesverfassungsgericht zugeschriebe-
politische Kommunikation kann den Legitimati-
ne Aufgabe, Kritik und Kontrolle des politischen
onsprozess in der Öffentlichkeit hochkomplexer
Entscheidungshandelns wahrzunehmen, steht
Gesellschaften nur in dem Maße fördern, wie
in der Tradition der repräsentativen Demokra-
erstens ein selbstgeregeltes Mediensystem Un-
tie. Zum anderen steckt in der Habermasschen
abhängigkeit von seinen sozialen Umgebungen
Idee, dass „demokratische Legitimität […] die
erlangt, und zweitens das diffuse Massenpub-
Kombination vernünftiger Kommunikation
likum, also die Leser, Hörer und Zuschauer der
mit der Teilnahme aller potentiell Betroffenen
Massenmedien, eine Rückkoppelung zwischen
Die Bürger
am Entscheidungsprozess [erfordert]“ (2007:
den informierten Elitediskursen und einer auf-
einbeziehen
431), ein sehr emphatisches Verständnis des-
nahme- und reaktionsbereiten Zivilgesellschaft
sen, was „Teilnahme“ ausmacht. So bleibt of-
herstellen“ (2007: 139).
fen, was es bedeutet, wenn auch überzeugte
Carsten Brosda zog daraus Folgerungen,
Demokraten nicht teilnehmen wollen. Dass
die wir in die Operationalisierung unserer
umgekehrt diejenigen nicht beteiligt werden,
Forschungsfragen einbezogen haben: „[Der
die unsere Grundordnung missachten oder gar
Journalismus] fungiert als Anwalt gesellschaft-
bekämpfen, steht hier außer Frage.
licher Diskurse und mithin als ein Korrektiv in
7
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Fällen ungleicher Verteilung kommunikativer
terlegene Minderheiten gibt, die ihre distinkte
Artikulationschancen in der Öffentlichkeit. […]
Position erhalten und stärken (wollen) mit dem
Unparteiisch
Das bedeutet, dass alle relevanten Positionen
Ziel, eines Tages selbst Mehrheit zu werden.
beobachten
gleichermaßen zu beachten sind – nicht in ers-
Politik kritisch prüfen
ter Linie gemäß der Häufigkeit oder Lautstär-
Gegen diese Einwände lassen sich drei Argu-
ke ihrer Artikulation, sondern vor allem auch
mente aufführen.
hinsichtlich der Qualität ihrer Begründungen“
Das erste besagt, dass der Hinweis, der Ak-
(2008: 327). Damit verbindet sich die Forde-
tualitätsdruck verhindere Diskurse, nicht ge-
rung an den politischen Journalismus, „unpar-
gen das Diskursmodell gerichtet ist. Es nennt
teiisch vorzugehen“ und die „Geltungs- und Le-
ein derzeit wohl triftiges Hemmnis, das aber
gitimationsansprüche“ des Outputs der Politik
kein allgemeines Gesetz, vielmehr durch den
kritisch zu prüfen (vgl. Habermas 1992: 457).
Medienwettbewerb und insofern von Menschen gemacht und darum veränderbar ist.
Ist gesellschaftliche Verständigung (noch)
Der zweite Einwand besagt, dass die gesell-
möglich?
schaftliche Realität solche Diskurse nur in
Mit diesem normativen Konzept sind Annah-
begrenztem Rahmen ermögliche; deshalb
men verknüpft, die zu diskutieren sind. Ein
sei das Modell unrealistisch. Dies ist kein
Einwand lautet, dass die Beschleunigung der
Einwand, sondern der richtige Hinweis,
Transaktionsprozesse und, damit verbunden,
dass unser deliberatives Konzept normativ
der Aktualitätsdruck der Informationsmedien
zu denken ist, darin nicht anders als die
öffentliche Diskurse abbremsten. Ein anderer
Grundrechte. Dies heißt: Wir wollen dies,
besagt, dass verständigungsorientierte Dis-
wissend, dass es nur begrenzt und nur mit
kurse auf bereits informierte, zudem neugieri-
Mühen – zum Beispiel durch die Vermitt-
ge Teilnehmer angewiesen seien; die nichtin-
lung von journalistischer Professionalität
formierte Mehrheit des Publikums verweigere
hier und Medienkompetenz dort – der Rea
sich solchen Diskursen und bevorzuge, wenn
lität nähergebracht werden kann.8
Drei Einwände und
überhaupt, vorurteilsbestätigende Medien-
Der dritte Einwand übersieht die Differenz
die Gegenargumente
aussagen. Ein dritter Einwand stellt das Dis-
zwischen der funktionsdefinierten Organi-
kursmodell an sich in Frage. Er verweist auf
sation des politischen Systems und dem
das Konzept der Mehrheitsbildung durch Wah-
intermediären Flow der Kommunikations-
len und Abstimmungen, weil in Demokratien
räume, wie sie dem Zivilgesellschaftlichen
die politische Exekutive auf die Bildung von
eigen sind und aus den oben genannten
Mehrheiten angewiesen sei, zu denen es un-
Gründen weiter an Bedeutung gewinnen.
7
7 Vgl. John R. Searles Polemik gegen Jürgen Habermas, in: Hoheluft 3/2012. 8 Vgl. die von der Bundeszentrale für politische Bildung eingerichtete Datenbank zur Förderung der „Medienkompetenz als Kernkompetenz“.
8
Einführung
Anforderungen an den Journalismus –
Wahrheit“ verkauft und darin Recht haben will
Das Forschungsdesign
(Rudolf Augstein: „Schreiben, was ist“), spürt
Unser deliberativ begründetes Konzept von
den Gegenwind des Misstrauens oder sieht
Öffentlichkeit geht demzufolge von der These
sich mit dem (irreführenden) Schimpfwort „Lü-
aus, dass gerade der Informationsjournalismus
genpresse“ konfrontiert. Daraus ergeben sich
im Zeitalter der digitalen Medien (auch) eine
für unseren Forschungsansatz die Fragen:
diskursive und insofern integrativ funktionierende Kommunikationsleistung zu erbringen habe. Unter diesem Leitbild können wir die (im ersten Abschnitt formulierten) Forschungsfragen nun mit den folgenden, als Merkmale von (normativ: als Anforderungen an) Diskursivität geltenden Kriterien konkretisieren.9 Das erste Kriterium (Ereignisebene) be-
Die Forschungsfragen
Wie haben die Informationsmedien als „Gatekeeper“ das komplexe Geschehen reduziert? Wurden Ereignisse, Perspektiven und Positionen ausgeklammert, die aus der Sicht von Beteiligten oder Betroffenen bedeutsam gewesen wären?
zieht sich auf die Komplexität des Großthemas
Hier stößt die Operationalisierung auf metho-
„Flüchtlinge“. Ereignisthemen sind dann kom-
denbedingte Grenzen, weil die quantitative In-
plex, wenn sie zugleich auf verschiedenen Ebe-
haltsanalyse ja nur untersucht, was in den Me-
nen spielen, darunter die institutionelle Ebene
dien berichtet wird, und nicht, worüber nicht
wie auch die Alltagswelt der Menschen. Jour-
berichtet wird. Deshalb werden wir die quan-
nalisten müssen, wenn sie über das relevante
titativen Befunde (Umfänge und Frequenz der
Geschehen informieren und verständigungs-
Berichte) vor dem Hintergrund des jeweiligen
orientiert kommunizieren wollen, Komplexität
Ereignisthemas interpretieren.
reduzieren (siehe Synopse am Ende der Ein-
Das zweite Kriterium (Akteure) liegt auf der
führung). Dabei sollte diese Reduktion nicht
medialen Ebene und gilt den berichtenden In-
zur Ausklammerung bzw. Unterdrückung rele-
formationsjournalisten (in Abgrenzung zu Hyb-
vanter Aspekte, vielmehr zu einer „angemes-
ridformen, etwa Textmanagern und Kuratoren,
senen“ Verdichtung führen. Die Kontroversen
Bürger- und Leserjournalisten). Ihrem überkom-
über die Flüchtlingsberichterstattung lassen
menen Berufsverständnis zufolge sehen sie sich
vermuten, dass Komplexität je nach Stand-
als Berichterstatter, die auf der Einbahnstraße
ort unterschiedlich reduziert („eingedampft“)
unterwegs sind vom Urheber/Akteur zum Pub-
wird. Und dass diese Reduktion je nach Posi
likum. Dem oben beschriebenen deliberativen
tion verschiedene Wahrheitsausschnitte (Ver-
Öffentlichkeitskonzept zufolge sollten sie sich,
sionen) generiert. Der klassische Journalismus,
wenn es um Vermittlung geht, als Interakteure,
der seinen engen Ausschnitt als „die ganze
auch als Moderatoren des öffentlichen Diskur-
9 Als Referenz dient hier die empirische Studie von Peters u. a. (2007: 203-247).
9
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
ses begreifen (Brosdas Formulierung „Anwalt“
in der Angemessenheit der jeweils gewählten
des Diskurses kann hier zu Missverständnissen
Form zeigt. Die Wahl der Darstellungsform ist
führen). Die Operationalisierung erfasst die Rol-
keine Geschmacksfrage, sondern beeinflusst
len und Funktionen der Akteure und Sprecher in
die Kommunikationsleistung und damit auch
den Berichten: Dem normativen Ansatz zufolge
– transaktional gedacht10 – die Rezeption sei-
sollten die Journalisten die Perspektive (auch)
tens des Publikums. Beispielsweise erfordern
derjenigen einnehmen, für die sie Vorgänge
augenscheinlich erfasste bzw. recherchierte
recherchieren, Aussagen produzieren und pu-
Vorgänge authentische Formen (Erzählmodus,
blizieren: ihres Publikums. Dazu gehört, dass
etwa Reportage oder Feature); die Befragung
sie ihre Sicht der Dinge in Beziehung setzen
von Akteuren oder Experten hingegen bedarf
zu anderen Sichtweisen und Perspektiven. Für
dialogischer Formen (insbesondere Interview);
unseren Forschungsansatz ergeben sich daraus
redaktionelle Bewertungen erfordern Kom-
Fragen wie diese:
mentarformen. Umgekehrt gesagt: Wenn eine
Wer kommt in der Berichterstattung zum Themenkomplex „Flüchtlinge“ zur Sprache? Werden Vorgänge und Themen auch aus der Sicht der direkt Beteiligten und Betroffenen aufgegriffen und behandelt?
Redaktion zu wenig authentisches Material beschafft oder nur selten mit Experten oder direkt Beteiligten gesprochen hat, spiegelt sich dies in der Art und Verwendungshäufigkeit entsprechender Darstellungsformen. Unsere Definition und so auch Operationalisierung
Praktischer
Für die Interpretation der Befunde in Teil 4 der
der verschiedenen Darstellungsformen bzw.
Journalismus
Studie wird (auch) die „Indexing-Hypothese“
Genres orientiert sich an den im praktischen
als Maßstab
herangezogen, der zufolge die journalistische
Journalismus gültigen Merkmalen. Nach Maß-
Elite (entgegen dem Konzept des diskursiven
gabe dieses Kriteriums wurden die redaktio-
Journalismus) dazu neigt, den politischen Mei-
nellen Texte der drei Leitmedien Die Welt, Süd-
nungsführern nicht nur in der Themenagenda,
deutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine
sondern auch in deren Sichtweisen und Bewer-
inhaltsanalytisch untersucht.
tungen zu folgen. Es wird zu klären sein, ob die
Das vierte Kriterium (Vermittlungsmodus)
Hypothese in Bezug auf das Thema Flüchtlinge
zielt auf das Rollenverständnis vor allem des
und Asylbewerber zutrifft.
politischen Journalismus. Unstrittig gilt, dass
Das dritte Kriterium (Darstellungsformen)
er das aktuelle Geschehen aus einer „unab-
orientiert sich an der klassischen Professions-
hängigen Position“ heraus recherchieren, auf-
norm des Informationsjournalismus, der zufol-
bereiten und publizieren soll. Aus historischen
ge sich die Breite des Geschehens erstens in der
Gründen denken viele Journalisten dabei (nur)
Vielfalt der Darstellungsformen und zweitens
an die Risiken, die mit der Abhängigkeit ihres
10 Das „dynamisch transaktionale Modell“ versucht Wirkungsprozesse der Massenmedien im Kontext ihrer Nutzung plausibel zu modellieren (vgl. Früh 1991).
10
Einführung
Hauses vom Eigentümer und von Wirtschaftsin-
bzw. Politikern der Regierungsparteien und
teressen (insbesondere Werbekunden) verbun-
insofern der politischen Elite?
den sind. Es gibt aber auch die psychologisch zu deutende Bereitschaft, sich von vorherrschenden Überzeugungen wie auch von machtvollen Akteuren vereinnahmen zu lassen. Viele Journalisten, die im Dunstkreis einflussreicher Politiker agieren, fassen ihre räumliche und mentale Nähe zur politischen Machtelite indessen nicht als Abhängigkeit auf, sondern vielmehr als Vorteil (Krüger 2007: 54 ff.; 2013: 153 ff.). Sie begründen dies damit, dass diese Nähe nicht durch Dritte erzwungen, sondern quasi freiwillig erarbeitet worden sei. Nach Maßgabe unseres theoretischen Konzepts kollidiert dieses Selbstverständnis mit den oben genannten Funktionszuschreibungen an den Informationsjournalismus. Der durch Umfragen bestätigte Glaube, Chefredakteure würden von Regierungsvertretern instruiert, zeugt davon, dass ein beachtlicher Teil des Publikums den Eindruck hat, diese Medien gehörten zu jener abgehobenen Sphäre, wo die politischen Eliten wirkmächtig sind.11 In unseren Forschungsansatz übertragen, lautet die Frage: Folgt die Berichterstattung dem Neutralitätsprinzip? Operationalisiert gefragt: Ent-
Das zweite und vierte Kriterium zusammengenommen führen zu der Frage, ob die Flüchtlingskrise in ein mentales Klima passt, das die Akteure (Politik), die Medienmacher und die Rezipienten verbunden und beeinflusst haben könnte. Vorsichtig formuliert, geht es um den thematischen Kontext, der dem öffentlichen Diskurs seine Richtung und Prägung gibt. In der Medienforschung werden solch prägende Kontexte als „Frames“ beschrieben,12 quasi als Brille, durch die die Akteure, die berichtenden Journalisten und ihr Publikum, auf das Großthema blicken oder blicken sollen13 (in analogen Zeiten wurde hierfür das Kunstwort „öffentliche Meinung“ benutzt). Eine qualitativ angelegte Durchsicht der Medienberichte zeigte uns, dass bis zum Sommer 2015 tatsächlich ein stimmungsmachender Kontext entstanden war, der mit dem Schlagwort „Willkommenskultur“ verbunden ist. Deshalb haben wir eine zusätzliche Forschungsfrage formuliert. Sie lautet: Mit welchen Sinngehalten wurde das Nar-
Was bedeutet
rativ Willkommenskultur im medialen Dis-
„Willkommens-
kurs aufgeladen?
kultur“?
spricht die Auswahl der Quellen und Spre-
Die Antworten sollen uns helfen, den Zusam-
cher eher den realen Ereignissen oder folgt
menhang zwischen den Medieninhalten und der
sie eher der Themenagenda der Regierung
Meinungsbildung auf Seiten der Publika besser
11 Vgl. IfD-Allensbach, IfD-Umfrage 11049 vom Oktober 2016. 12 Im Sinne der funktionalen Definitionen von Entman (1993: 52 f.) und Reese (2001: 11). Wichtigstes Merkmal des Framings: Die Medienberichterstattung hebt (nur) bestimmte Aspekte des Themenkomplexes heraus; sie vermittelt eine bestimmte Sicht sowie auch spezifische Ursachen eines Problems und bewertet diese meist implizit. Disparate Aspekte bleiben ausgeblendet. 13 Frame verstehen wir hier nicht als abhängige Variable der Medienberichterstattung, sondern als thematischen Kontext, der (auch) die Medienberichte einbezieht.
11
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
zu verstehen. Für die Interpretation werden die
dann lautet unsere operative Untersuchungs-
Theoriekonzepte der Schweigespirale und der
frage so: Mit welcher Intensität (Frequenz und
Reaktanz herangezogen (Näheres siehe Teil 4).
Umfänge) haben die Informationsmedien das
Das fünfte Kriterium (Textaussagen) greift
Großthema „Flüchtlinge in Deutschland“ in
ein konkretes, für die Diskursivität der Bericht-
welcher Weise (Kontexte und Darstellungsfor-
erstattung ebenfalls bedeutsames Prinzip des
men), über welche Akteure (in Texten auftre-
Die Trennungs-
Informationsjournalismus auf: die Trennung
tende Personen und Einrichtungen), aus wel-
regel
zwischen tatsachenbetonten und meinungs-
cher Sicht vermittelt (Berichte) und beurteilt
betonten Vermittlungsformen. Dieses Prin-
(Kommentare)? Die Beantwortung dieser Frage
zip wurde nach dem Zweiten Weltkrieg beim
anhand der einzelnen Kriterien versetzt uns in
Neuaufbau der deutschen Informationsmedi-
die Lage zu bewerten, ob die Medien ihre Auf-
en vom angelsächsischen Journalismus über-
gabe – für einen offenen, integrativ wirkenden
nommen und standardisiert. Damit sollte die
Diskurs zu sorgen – erfüllt haben.
früher im deutschen Journalismus verbreitete manipulative Mischung aus Nachricht und Be-
Die synoptische Übersicht auf S. 14 zeigt das vollständige Forschungsdesign.
wertung („Gesinnungsjournalismus“) unter
Zusammengefasste Untersuchungsfragen
bunden werden14 – eine Qualitätsnorm, die
Die Durchführung der Studie
derzeit zur Abwehr der Lügenpresse- und Fake-
Mit dieser Studie haben wir die Berichter-
News-Vorwürfe eine hohe Geltung besitzt. Stu-
stattung tagesaktueller Informationsmedien
dien zur Handhabung dieser Trennungsregel
(Schwerpunkte: Leitmedien und Lokal-/Re
machten allerdings deutlich, dass es nicht nur
gionalzeitungen) im Verlauf der 13 Monate von
um die formale Trennung (Kennzeichnung der
Februar 2015 bis März 2016 untersucht. Dies
Textsorte) geht, sondern auch um die Art der
ist der Zeitraum, der mit den erschütternden
Präsentation der Nachrichten (Wertungen im
Berichten über viele Tausend im Mittelmeer
Titelkomplex) sowie die Tonalität der Bericht-
ertrunkene Flüchtlinge beginnt und mit der
erstattung (etwa durch wertende Attribuierun-
Diskussion der brutalen Übergriffe in der Sil-
gen). Um zu prüfen, ob solche subtilen, in die
vesternacht 2015/16 endet. Die von den Me
Berichterstattung inkludierten Modi der Mei-
dien kolportierten und damit auch angeheizten
nungsmache verwendet wurden, haben wir
Stimmungen während des Sommers 2015 (wir
sowohl die Stilistik wie auch die Tonalität der
sprachen weiter oben vom thematischen Kon-
Berichte der genannten drei Leitmedien unter
text als „Frame“) gehen auf ein spezifisches,
die Lupe genommen.
in den vergangenen Jahren entstandenes Mei-
Wenn wir diese Kriterien bzw. Anforderun-
nungsklima zurück. Für diesen wichtigen As-
gen auf der medialen Ebene zusammenfassen,
pekt – es geht um die oben erwähnte Willkom-
14 Zur Geschichte und Bedeutung dieser Trennungsregel vgl. Haller 2003: 105 ff.
12
Einführung
menskultur – haben wir den Analysezeitraum
erfasst. Für die zwanzig Wochen wurden
zurück bis ins Jahr 2005 ausgedehnt.
480 Zeitungsausgaben durchsucht und
Unsere Untersuchung durchlief nun folgende, hier knapp umrissene Methodenschritte:
2.240 Zeitungsseiten ermittelt, die Texte zu unseren Ereignisthemen enthielten. Der dritte Schritt bestand in der Inhaltsana-
Im ersten Schritt wurden die sehr zahlrei-
lyse der redaktionellen Beiträge, die von
chen Ereignisverläufe des Jahres 2015 re-
den drei Leitmedien im Verlauf der zwan-
konstruiert und in eine Übersicht gebracht
zig Wochen über die zehn Großereignisse
(als Materialbasis für den zweiten Schritt).
publiziert wurden. Dies sind 1.687 Texte.
Hierfür wurden drei der beim Publikum als
Diese wurden in einer sehr differenzierten
besonders glaubwürdig und reichweite-
Textanalyse von zwei geschulten Codierern
stark geltenden Medien gewählt: die Ta-
anhand eines ausgetesteten Codebuchs
gesschau sowie Spiegel Online und tages-
durchgeführt. Die Auswertung und Interpre-
schau.de. Die Rekonstruktion zeigt uns die
tation der Befunde liegen Teil 1 (Abschnitt
– medial vermittelte – Flüchtlingsthematik
1.2) sowie Teil 3 zugrunde.
im Durchgang des Jahres 2015 als eine Art
Im vierten Schritt sollte exemplarisch die
nachrichtliches Grundrauschen. Dies wird
Themenkarriere des Frames mit dem Schlüs-
zu Beginn von Teil 1 dargestellt.
selbegriff „Willkommenskultur“ rekonstru-
Die Methodenschritte
Der Interpretationsrahmen
Im zweiten Schritt wurden für die Meinungs-
iert werden. Hierfür haben wir die (als Gat-
bildung markante (d. h. konflikthaltige
tung auf Lesernähe konzipierte) Lokal- und
und dissonant bewertete) Großereignisse
Regionalpresse herangezogen. Vermittels
identifiziert und anhand der Medienbe-
der von Genios betreuten WISO-Datenbank
richte (unter Hinzunahme der ebenfalls
wurden für den Zeitraum von 2005 bis Früh-
reichweitestarken Online-Medien welt.de
jahr 2016 in 85 Regionalzeitungen mehr als
und focus.de) rekonstruiert. Die so identifi-
26.000 Texte identifiziert, in denen dieses
Umfang
zierten insgesamt zehn Ereignisthemen er-
Wort vorkommt. Über einen mehrstufigen
der Erhebungen
strecken sich über zwanzig Wochen. Durch
Weg der Quellenlisten- und der Textberei-
sie sind die Zeiträume definiert, aus denen
nigung haben wir einen Offline-Analyse
alle Texte erfasst wurden, die in den drei
korpus von rund 17.000 redaktionellen
Leitmedien Süddeutsche Zeitung, Frankfur-
Beiträgen erstellt. In Kooperation mit dem
ter Allgemeine Zeitung und Die Welt zum
Informatik-Institut der Universität Leipzig
Thema Flüchtlinge und/oder Asylsuchende
wurden diese Texte mit Instrumenten des
publiziert wurden. Als eine zusätzliche Per-
Textmining morphologisch analysiert. Ein
spektive wurde für diese Phase die Bericht-
auf unsere Fragestellung zugeschnittener
erstattung und Kommentierung des Themas
Auszug aus dieser Untersuchung liegt Teil 2
in der Bild-Zeitung als Boulevardmedium
über „Die Erfindung der ‚Willkommenskul-
13
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Synopse: Das Untersuchungsdesign Normativ begründete Erwartungen an die Medien Der Informationsjournalismus berichtet über komplexe Ereignisthemen; er ordnet sie ein und bringt die an den Vorgängen Beteiligten zur Sprache. Damit sorgt er für einen offenen gesellschaftlichen Diskurs (Deliberative Demokratietheorie und Anforderungen an den Journalismus)
Operationa lisierung:
Kernthema: Die Flüchtlingsberichterstattung der Informationsmedien im Jahr 2015 und ersten Quartal 2016 Mediale Inhaltsebene
Die Ebenen
Ereignisebene
Leitfragen der Analysen
Akteure
Darstellungsform
Informationsleistung
Vermittlungsmodus
Themengerechte Wahl der Darstellungsform
Neutralität der Berichterstattung
Trennung von Nachricht und Meinung
Merkmale für Diskursivität
operative An forderungen (=Kriterien)
Reduktion von Komplexität
Die direkt und indirekt Beteiligten kommen zur Sprache
Die Indika toren
Gatekeeping: Umfänge und Häufigkeiten (Frequenzen)
Rollen und Funktionen der Akteure/ Sprecher in den Berichten
Neben berichtenden Formen auch dialogische und authen tische
Attribute und Tonalität in den Berichten
Attribute und Tonalität der Berichte und Kommentare
Umgang mit abweichenden Positionen & Wertemuster
Die Mess methoden
Quantitative Ermittlung der Frequenzen
Inhaltsanalysen (Katego rien: die Funktionsrollen der Handlungs träger)
Inhaltsanalysen (Kategorien: die im J. praktizierten Darstellungsformen)
Quantitative und morpho logische Textanalysen
Semantische und stilistische Text analysen
Themenkontexte und politische Positionen der Akteure
Untersuchungsgegenstand
Nachrichten reichweitestarker Newsmedien*
3 Leitmedien & Lokal-/Re gionalpresse
3 Leitmedien
3 Leitmedien
Theorie gestützte Modelle der Interpretation
Agenda Setting & Überforderung („Themenverdrossenheit“)
„Indexing“, Schweige spirale & Reaktanz
Transaktionale Kommunikation & Meinungs bildung
Journalistische Qualitätsnormen
Journalistische Qualitätsnormen
Normativ begründete Journalismusfunktionen
S. 18 f., 23, 104 f.
S. 10 f., 23, 143 ff.
S. 10 ff., 27, 105
S. 11 f., 30, 45 ff.
S. 10 ff., 45 ff., 58, 120
S. 6 ff., 10 ff., 141-145
In der Studie näher erläu tert
3 Leitmedien & Lokal-/Regionalpresse
3 Leitme dien, News medien & Lokal-/Regionalpresse
*ARD-Tagesschau, tagesschau.de, spiegel.de; fallbezogen zusätzlich focus.de, bild.de Quelle: Eigene Darstellung
14
Einführung
tur’“ zugrunde. Dort wird das Analysever-
Meinungsumschwung, auch das Misstrauen
fahren näher erläutert.
gegenüber der Flüchtlingsberichterstattung
Als fünfter und letzter Schritt wurden die
nicht vom Himmel gefallen, sondern vermut-
inhaltsanalytisch gewonnenen Befunde un-
lich auch darauf zurückzuführen, wie die Me-
ter Berücksichtigung der oben beschriebe-
dien dieses Großthema verhandelt haben.
nen fünf Erfordernisse analysiert und unter
Für diese These sind Daten über den Ein-
dem Dach der vorgestellten deliberativen
stellungswandel in der Bevölkerung und ein
Demokratietheorie und nach Maßgabe der
Wirkungsmodell als Brückenschlag zwischen
mit den Forschungsfragen verbundenen
Medieninhalt und Mediennutzer erforderlich.
Modelle interpretiert.
Im Sinne eines Interpretationsvorschlags haben wir ein empirisch bewährtes Modell he
Die Frage nach den Medienwirkungen
rangezogen: die sogenannte Schweigespirale
Die gewählten Methoden (Text- und Inhalts-
in Verbindung mit der Theorie der Reaktanz.
analysen) erlauben keine direkte Antwort auf
Dieses Konzept wird in Teil 4 der Studie erläu-
die Frage nach der Wirkung der Medienberich-
tert. Es dient dazu, vermeintliche Widersprü-
te auf die Einstellungen in der Bevölkerung.
che im Verhalten großer Teile des Publikums
Und doch sind der in einem wachsenden Teil
zu deuten und Denkanstöße für zukünftige
der Gesellschaft demoskopisch ermittelte
Forschungen zu geben.
Diese Studie basiert auf einem Forschungsvorschlag meinerseits. Ihre Ausarbeitung wurde in keiner Weise vom Auftraggeber, der Otto Brenner Stiftung, beeinflusst. Für den Inhalt (einschließlich allfälliger Fehler) bin ich verantwortlich. Das Forschungsprogramm wurde überwiegend im zweiten Halbjahr 2016 realisiert. Ein Großteil der empirischen Arbeiten (komplexe Datenrecherchen und codebuchgestützte Inhaltsanalysen) führte ich mit meinem Forscherteam an der Hamburg Media School (HMS) durch, an der ich bis Ende 2016 die Forschung leitete. Mitgearbeitet haben Johannes Truß (Leitung der Inhaltsanalyse und Datenauswertung der drei Leitmedien), Philipp Weiß (Internet- und Datenrecherchen für die Rekonstruktion der Medienereignisse) sowie Anika Lohse und Ribana Wollermann (Projektmanagement). Rechercheaufgaben übernahmen AnnChristin Busch, Juliane Kumst und Jan-Philipp Friese (Projektassistenten). Die Big-Data-Analyse der Berichterstattung der Lokal- und Regionalpresse wurde im Rahmen einer Kooperation durch Andreas Niekler und Christian Kahmann am Informatik-Institut der Universität Leipzig durchgeführt. Ihnen allen danke ich für die stets konstruktive und anregende Zusammenarbeit. Michael Haller
Hamburg, im März 2017
15
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Teil 1: Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
1. Die Dynamik der Ereignis berichterstattung
dien zusammenhängen, sofern sie ihrerseits die Komplexität des Großthemas „Flüchtlinge“ nicht bewältigen konnten.
Wer weiß noch, was im Jahr 2015 im Zusam
Hier einige Zahlen: Allein das Informa
menhang mit der sogenannten Flüchtlingskri
tionsangebot der Tageszeitung Die Welt (inklu
se alles passiert ist? Was wurde von wem ge
sive Welt kompakt) umfasste in unserem Unter
tan, was beschlossen, was durchgeführt – und
suchungszeitraum (Februar 2015 bis 31. März
Die Informations
was nicht? Fragt man gut gebildete Bürger, die
2016) laut Datenarchiv16 5.456 redaktionelle
überflutung
sich tagtäglich über Nachrichtenmedien infor
Beiträge und Leserzuschriften zum Thema.
mieren, was ihnen rückblickend in den Sinn
Die Nürnberger Nachrichten etwa publizierten
komme, dann sind es wenige als „krass“ emp
5.289 Texte, der in Berlin als Regionalzeitung
fundene Bilder vom September, besonders
erscheinende Tagesspiegel 6.051; Welt On
die Fähnchen schwingenden Münchner am
line präsentierte zum Thema 6.484, Spiegel
Hauptbahnhof, die sich ins Gedächtnis gleich
Online 5.097 Texte. Statistisch ausgedrückt:
sam eingebrannt haben.15 Sie dienen quasi
Jedes dieser als zuverlässig und professionell
als Ausweis für einen „Gesamteindruck“, den
geltenden Informationsmedien veröffentlichte
die Befragten in Form eines Urteils oder einer
im Laufe jener 15 Monate bzw. 64 Kalender
Meinung zur Sprache bringen. Viele nennen
wochen – unserer Datenbank- und Archivre
auch die verstörten Gesichter nach der Kölner
cherche zufolge – im Mittel 5.675 Beiträge, in
Silvesternacht und äußern Widersprüchliches:
denen die Themen Flüchtlinge oder Asyl vor
Einerseits hätten „wir“ diese Herausforderun
kommen. Umgerechnet auf Zeitungsausgaben
gen ganz gut bewältigt; andererseits seien
waren dies 17,5 Beiträge pro Ausgabe (beim
„wir“ auch sehr naiv gewesen. Und derzeit
Tagesspiegel mit 7 Ausgaben wöchentlich 15,7
seien wir Deutsche politisch „irgendwie“ ge
pro Ausgabe).
spalten.
Diese Zahlen lassen das Volumen erahnen,
Diese konflikthaltige Stimmungslage er
das dem lesenden Publikum entgegenschwoll.
klärt sich nicht allein aus der Dynamik der Er
Doch sie sagen noch nichts über die Dynamik
eignisse und der komplexen Situation, in der
der Ereignisse selbst und deren mediale Ver
sich beim Flüchtlingsthema lokale, regionale,
arbeitung. Deshalb wollen wir uns zuerst eine
nationale und internationale Problemfelder
Übersicht über das mediale Informationsge
überlagern. Sie könnte – so unsere Vermu
schehen des Jahres 2015 verschaffen. Das ers
tung – auch mit der Informationsarbeit der Me
te Quartal 2016 haben wir, wie oben erwähnt,
15 Befragung (Meinungsbild) von 65 Teilnehmern zu unserem Thema im Rahmen einer Veranstaltung im Oktober 2016 in Hamburg durch den Verfasser. 16 Eine Beschreibung der Datenbank und der Verfahren kann online eingesehen werden; siehe Hinweis „Zur Methodo logie“ auf S. 147. Der Suchstring hier: „Flücht* OR Asyl*“.
16
Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
zum Betrachtungszeitraum hinzugenommen,
Ab Mitte Juli – über Ungarn und Österreich
weil wir die mit „Silvester 2015/16“ apostro-
gelangen immer mehr Flüchtlinge nach Deutsch-
phierten Ereignisse in unsere Studie einbezie-
land – springt die Intensität rasant nach oben;
hen wollten.
Mitte August überschlagen sich die Nachrichten
Informatorisches
geradezu (bei Spiegel Online 4 bis 5 Nachrich-
Grundrauschen
Die Fieberkurve der Berichterstattung
ten pro Tag); sie ebben im Verlauf des Herbstes
Wann und wie viel haben die Informationsme-
allmählich ab und bewegen sich im Dezember
dien über die einzelnen Ereignisse und Vorgän-
wieder auf dem Niveau des vorigen Aprils.
ge rund um das Thema „Flüchtlinge in Deutsch-
Diese Kurve bildet erstens den zunächst
land“ im Verlauf unseres Untersuchungszeit-
geringen Stellenwert des Themas und dann
raums vermittelt?
die Dramatik der sich überstürzenden Ereig-
Um eine Übersicht zu gewinnen, haben wir
nisse und der damit verbundenen Konflikte ab.
zunächst die Tagesschau sowie die reichwei-
Auffallend ist, dass die Kurve der Nachrichten
testarken und als handwerklich zuverlässig
frequenz zwischen den beiden Webmedien
geltenden Newsmedien Spiegel Online und
überraschend synchron verläuft, wobei tages-
tagesschau.de nach Berichten abgesucht, die
schau.de in der Hochphase den Output von
das Suchwort „Flücht*“ bzw. visuelle Aus-
Spiegel Online kurzfristig überholt.
17
sagen zum Thema „Flüchtlinge“ enthielten.
18
Dieser parallele Verlauf lässt sich mit der
Bereits die Verteilung der Häufigkeiten
Wettbewerbssituation (beide wollen möglichst
(siehe Abb. 1) zeigt ein unerwartetes Bild: Im
aktuell möglichst viele News bringen) und mit
ersten Halbjahr berichtete die Tagesschau im
den für Newsseiten spezifischen Verarbei-
Durchschnitt nur etwa an jedem dritten Tag
tungsroutinen (derselbe Input und Newsma-
(10 bis 12 Mal pro Monat). Per Web zeigte ta-
nagement) erklären. Eine Rolle spielt vermut-
gesschau.de zunächst eine sporadische Be-
lich auch das ähnliche, die Handhabung der
Dieselben
richterstattung, die sich im 2. Quartal intensi-
Nachrichtenfaktoren prägende Rollen- und
Verarbeitungs-
vierte; im Durchschnitt brachte sie im Ablauf
Funktionsverständnis des professionellen
routinen
von 24 Stunden 1,5 Nachrichten. Auch Spie-
Newsjournalismus. Stichproben (welt.de und
gel Online war bis März zurückhaltend und
focus.de; siehe auch Teil 3) zeigen, dass Unter-
ab April mit einer dichteren Berichterstattung
schiede im politischen Selbstverständnis der
(2,5 Nachrichten) relativ nah an den Themen.
Redaktionen offenbar keinen Einfluss haben.
17 Ein Asterisk (*) steht in der Suchfunktion als Platzhalter dafür, dass auch nach Worterweiterungen, wie z. B. „Flüchtlinge“, „Flüchtlingsheim“ etc. gesucht wird. 18 Für die ereignisbezogenen Studien konnte mit der Rekonstruktion ab März 2015 begonnen werden, da die in der Mediathek archivierten Tagesschau-Sendungen nur 12 Monate zugänglich sind; auf ältere Sendungen konnte nicht zugegriffen werden. Weiterführende Materialien zum methodischen Vorgehen können auf der Website der Otto Brenner Stiftung abgerufen werden (siehe Hinweis S. 147).
17
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Überforderte Medienmacher?
her. Sie überlagern und durchdringen sich wie
Auf der Suche nach einer plausiblen Erklärung
ein kaum zu entwirrendes Knäuel. Hinzu kommt
für diesen an eine Fieberkurve erinnernden
die ungewöhnlich große Vielfalt der Akteure in
Verlauf haben wir die gesamte Flüchtlingsbe-
den Berichten: Flüchtende, Kriegstreiber, Hun-
richterstattung von Tagesschau, tagesschau.de
gernde, Rettende, Geschäftemacher, Militärs,
und Spiegel Online im Jahr 2015 registriert und
Politiker, Regierungssprecher, Behörden, Ge-
die Themenkarrieren inhaltlich nachvollzogen.
setzgeber, Protestierer, Terroristen, Strafver-
Im Rückblick fast schon verwirrend erscheint
folger, Gerichte, Passanten und Bürger.
neben der Frequenz auch die Vielschichtigkeit
Nimmt man die Perspektive der Mediennut-
Kognitive
der Ereigniszusammenhänge sowie die Mehr-
zer ein, so hat man im Rückblick den Eindruck
Überforderung?
dimensionalität der Ereignisebenen: Die Hand-
der kognitiven Überforderung durch die Infor-
lungsorte der Berichte springen innerhalb we-
mationsüberflutung mit meist kontextlosen
niger Tage zwischen Nordafrika, Nahost, euro-
Nachrichten. Diese Deutung lässt sich durch
päischen Staaten und Regionen, den deutschen
eine Reihe von Untersuchungen stützen, die
Bundesländern und Städten, Berlin und Brüs-
sich mit dem Phänomen der Informationsver-
sel, dem Pazifik und dem Mittelmeer hin und
weigerung (Theorem der „Themenverdrossen-
Abbildung 1:
Gesamtjahresübersicht 2015 aller Beiträge auf Tagesschau.de und Spiegel Online 546
590
357 351 227 209 85
Spiegel.de zum Thema „Flüchtlinge“
Tagesschau.de zum Thema „Flüchtlinge“
Quellen: Google+ sowie ARD-Mediathek und Spiegel-Online-Archiv
18
Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
heit“) bei einem beachtlichen Teil der Erwach-
(„weiche“) Ansichten mehr und mehr zu „stand-
senenbevölkerung befassen.
festen“ Überzeugungen verhärtet hat.20
19
Insbesondere
die Faktoren Informationsüberlastung, unzureichende Berichterstattungsqualität sowie
Tagesschau: Bundespolitik und
die emotionale Nähe zum Thema selbst („In-
Rechtsradikale
volvement“) bewirken oder verstärken solche
Zurück zur Dynamik jener Medienberichter-
Verweigerungshaltungen (Metag/Arlt 2016:
stattung: Unsere um Strukturierung bemühte
553 ff.). Die damit verbundenen Effekte – Filte
Durchsicht des ersten Halbjahres 2015 zeigt,
rung der Informationen und visuellen Reize
dass bei der Tagesschau drei Faktoren die Be-
nach Maßgabe eigener Überzeugungen – wer-
richtsintensität (hier definiert als Umfang und
den in der Kognitionsforschung nach dem Mus-
Frequenz der Berichte) markant steigerten:
ter der „kognitiven Dissonanz“ (Festinger 1957)
(1) Die Kaskade symbolischer Handlungen von
als selektive Wahrnehmung beschrieben: Um
Politikern (Akteuren, Regierungen, Partei-
der Dissonanz von widersprüchlichen Wahr-
en), wie: Vorschläge, Gegenvorschläge, For-
nehmungen zu entgehen, neigen Menschen
derungen, Ankündigungen, Deklamationen
dazu, aus der sie überfordernden Informa
(Motto: „Politiker fordern“);
tionsüberfülle die ihre Denkmuster und Vorur-
(2) von der Politik als „deutsch“ deklarierte
Gefahr der
teile bestätigenden Nachrichten zu nutzen und
Positionen im Kontext der EU und ihrer po-
Vorurteils-
die zuwiderlaufenden auszublenden.
litischen Sprecher, Akteure und Staatschefs
bestätigung
Wenn wir dieses Deutungsmodell auf die Flüchtlingsberichterstattung im ersten Halb-
(Beispiele: Dublin-Abkommen, Königsteiner Verteilungsschlüssel);
jahr 2015 übertragen, dann ist die Vermutung
(3) Gewalttätiges Verhalten von Gruppen und
naheliegend, dass die Mediennutzer das un-
Personen aus dem rechten und rechtsex
überschaubar große Nachrichtenknäuel des
tremen Umfeld, insbesondere gegen Asyl-
Komplexes „Flüchtlinge“ nach Maßgabe ihrer
unterkünfte, wie auch deren konfrontatives
Tagesschau
jeweiligen Präferenzen, Denkmuster und Vorur-
Auftreten gegenüber Politikern und Magis-
sorgte für
teile entwirrt haben. Andersherum gesagt: Die
traten (Polarisierungseffekte).
Polarisierung
Unübersichtlichkeit, Überfülle und Dynamik der
Umgekehrt sind im ersten Halbjahr 2015 in der
Ereignisse und Ereignisorte könnte wesentlich
Tagesschau auch viele Unterlassungen zu re-
dazu beigetragen haben, dass die selektive
gistrieren. Nach Maßgabe der Nachrichtenwer-
Wahrnehmung bei einem Teil der Bevölkerung
te (Faktoren: Prominenz; räumliche, politische
bereits im Sommer 2015 zuvor noch disponible
und wirtschaftliche Nähe; Konflikt; Nutzen/
19 Dieser Ansatz geht davon aus, dass Selektionsentscheidungen nicht nur der „kognitiven Dissonanz“ des Rezipienten geschuldet sind, sondern auch mit Merkmalen der Medienangebote zusammenhängen (vgl. Matthes/Kohring 2003; Kuhlmann u. a. 2014). 20 Die Hypothese müsste noch überprüft werden (etwa durch eine Längsschnittanalyse von User-Kommentaren auf den Websites der reichweitestärksten Newssites).
19
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Schaden) wurde das Flüchtlingsthema in der
2015 immer neue Flüchtlingstragödien aus
Tagesschau im ersten Halbjahr oft abgedrängt
dem Mittelmeerraum (Probleme und Nöte in
Rivalität der
von dem seinerzeit die Fernsehnachrichten be-
den Auffanglagern im Libanon, der Türkei; die
Großthemen
herrschenden Großthema „Griechenland“ (die
dramatische Situation auf den griechischen In-
EU und das Verhalten der deutschen Regierung
seln; die Geschäfte der Schlepperbanden). Die
bzw. deutscher Politiker). Wenn dann doch das
schwierige Arbeit der italienischen Küstenwa-
Flüchtlingsthema zur Sprache bzw. ins Bild kam,
che und der aufopfernde Einsatz der Helfer und
fehlten oft die für das Verständnis notwendigen
Betreuer in den Auffanglagern wird bilderreich
Ereigniszusammenhänge. Einerseits wurden
thematisiert. Mehr als zehn Gastbeiträge und
Bilder rhetorisch agierender Politiker, Minister
Kommentare diskutieren die Frage nach der
und Behörden, andererseits Bilder gewalttäti-
Verantwortung des Westens für die verheeren-
ger Gruppen vor allem im Osten Deutschlands
de Kriegslage im Nahen Osten. Entsprechend
gezeigt (z. B. Tagesschau vom 5. April 2015,
kritisch, oft mit ironischem, auch zynischem
einen Tag nach dem Brandanschlag in Tröglitz:
Unterton fallen die Berichte über den Aktionis
„Politiker fordern mehr Einsatz gegen Fremden-
mus der Politiker in EU-Europa aus (Muster:
feindlichkeit“). Die Bildbeiträge verstärkten die
„Gescheiterte EU-Flüchtlingsquote: Triumph
bipolare Botschaft: hier (Standpunkt der Kame-
der Egoisten“; Spiegel Online 25.06.2015).
21
ra) die große Mehrheit der Gutmeinenden und
Intensiver noch als tagesschau.de berich-
Spiegel.de
Wohlwollenden, dort die brutal-militante Mino
tet Spiegel Online auch über die fremdenfeind-
mit großer
rität der Verweigerer und Gegner – und zwischen
lichen Ausschreitungen im Zusammenhang mit
den Fronten die Ordnungskräfte.
Pegida und AfD sowie über Gewalttätigkeiten
Vielfalt
rechtsradikaler Gruppen gegen Asylbewerber Differenziertes Nachrichtenbild der
heime und liberale Mitbürger (Bericht aus Frei-
Online-Newssites
tal/Sachsen: „Kriminelle Ausländer – raus,
Im Unterschied zu den Fernsehnachrichten bo-
raus, raus! So wurden am Mittwoch 50 Flücht-
ten die beiden Onlinemedien tagesschau.de
linge in Freital begrüßt […] Der Streit um die
und Spiegel Online ihren Lesern ein wesent-
Bewohner des blassgelben DDR-Baus mit dem
lich breiter gefächertes Nachrichtenbild (Spie-
irreführenden Namen ‚Hotel Leonardo‘ veran-
gel Online z. B. auch zur Not der Flüchtlinge in
schaulicht, wie die deutsche Flüchtlingspoli-
Fernost). In zahlreichen Meldungen, Berichten,
tik derzeit das Land spaltet – und vor allem
Reportagen, Videodokus und Interviews zeigt
eines mit sich bringt: Hass“; Spiegel Online
Spiegel Online von Mitte März bis Ende Juni
25.06.2015).
21 Basis: Auszählung der Themen-Items der Tagesschau-Sendungen zum Flüchtlingsthema und Abgleich mit der Griechenlandberichterstattung (Otto u. a. 2016). Beispiel Februar 2015: Insgesamt sieben Items zum Flüchtlingsthema, davon zwei an erster Position. Im selben Zeitraum 31 Items zu Griechenland, davon 16 an erster Position (Otto u. a. 2016: 41-44).
20
Tabelle 1: Die für die Meinungsbildung als relevant identifizierten Großereignisse 2015 und ihre Codierung Nr. des Dauer der Ereig Codierung nisses von/bis
Hauptereignis
Nachrichtenwert (Konflikt)
Begründung für Auswahl
Suchstrings für die Archivrecherche
Sozialer Konflikt/ Kriminalität
Beginn der emotio nalen Polarisierung in der Bevölkerung; Proteste auf der Straße; Demo-Verbot u. a.
Nicht berücksichtigt
16.01. 2015
19.01. 2015
Tod eines Flüchtlings in Dresden
06.02. 2015
20.02. 2015
Drei Länderchefs Politik/ fordern besseres Länderebene/ Bleiberecht Kritik
Vollzugsebene: Exekutive suchen konstruktive Problemlösung
Bouffier OR Kretschmann OR Dreyer OR Länderchef OR Flüchtling* OR Bleiberecht OR Einwanderung*
10.02. 2015
18.02. 2015
Bundesstatistik: 630.000 Flüchtlinge leben in Deutschland
Faktizierende Nachrichten
Daten gegen Spekulationen, ein Beitrag zur Versachlichung
zahl* AND flüchtling* OR *statistik* OR asyl*
10.03. 2015
15.04. 2015
Rücktritt des Bürgermeisters von Tröglitz
Politik/sozialer Konflikt
Radikalisierung des rücktritt AND bürgermeisProtests und Defensive ter AND tröglitz/tröglitz* der Politik OR flüchtlingsheim* OR flüchtlingsunterkunft OR asyl*/tröglitz* OR flüchtlingsheim* OR flüchtlingsunterkunft OR asyl*
Brand des geplanten Flüchtlingsheims in Tröglitz
Kriminalität/ sozialer Konflikt
Beginn verschiedener Brandstiftungen; Ambivalenz in der Politik; Zulauf für die AfD
–
E1
E2
E3
Aus 05.04. nahme 2015 situati on (Teil von E3) 19.04. 2015
04.05. 2015
Tote im MittelPolitik/Konflikt meer – Deutsch- EU-Staaten land fordert europäische Flüchtlingspolitik – 10-Punkte-Plan
Dublin-Abkommen scheitert de facto; Probleme (Grenzen, Schengen) werden zerredet
10.08. 2015
23.08. 2015
Beginn der sog. „Flüchtlingsflut“ mit vielen Unglücksfällen, Übergriffen usw.
Politik/Sozialverhalten/Moral-/ Wertekonflikte
Beginn der politischen Flücht* OR Asyl* Wertedebatte um Menschenrechte einerseits und Lösungskapazitäten andererseits; Bundesländer: Zumutbarkeitsdebatte
24.08. 2015
30.08. 2015
Krawalle in Heidenau
Sozialer Konflikt/ Kriminalität
„Neuer“ Rassismus in Deutschland; Pegida Nutznießer; Politiker verschärfen Polari sierung
E4
E5a
E 5b
10-Punkte-Plan OR 10 Punkte Plan OR ZehnPunkte-Plan OR Zehn Punkte Plan OR europäi sche Flüchtlingspolitik OR Merkel OR Atalanta OR Mittelmeer OR Mare Nostrum OR Flüchtlingsgipfel OR Triton
Flücht* OR Asyl*
21
31.08. 04.09. in Merkels Aussage Politik/appellatiDie „Flüchtlingskrise“ den Medien 2015 2015 „Wir schaffen ves Handeln E5c das“ Aus 03.09. nahme 2015 situati on (Teil von E5c)
Bild von totem Jungen am Strand Bodrum
Symbol für Hilf losigkeit
E8
Sinnbild für Flucht elend; indirekt das schmutzige Geschäft der Schleuserbanden
Flücht* OR Asyl*
Flücht* OR Asyl* AND Politik/ Aufnahme neuer grenz* Differenzen mit EU- Flüchtlinge; Verteilung auf BundesNachbarstaaten länder (Königsteiner Schlüssel); Probleme an der Grenze Deutschland/Dänemark
05.09. 2015
18.09. 2015
Grenzöffnungen und neue Grenzkontrollen
05.10. 2015
28.10. 2015
Politik/ Debatte TranParteienkonflikt sitzonen und „Obergrenze“ für Flüchtlinge in der Union
„Asylpaket“ – öffentliche Reaktionen und Kontroversen; neuer Koalitions-Flüchtlingsgipfel
Obergrenze* OR Transitzone*
03.01. 2016
16.01. 2016
SilvesterereigSozialer Konflikt/ nisse in Köln und Normverstöße anderen Städten (Übergriffe auf junge Frauen)
Verzögerte Infos durch Behörden und Leitmedien; öffentliche Debatte über Glaubwürdigkeit von Politik und Medien; Verschärfung der Polarisierung
(Silvester* OR Köln OR Hamburg) AND (Flücht* OR Asyl*)
E6
E7
Der Satz wird in den Flücht* OR Asyl* Medien zum Motto und verschärft die Polarisierung
Datenbasis: ARD-Mediathek (Tagesschau) sowie Online-Archive Tagesschau und Spiegel Online. Quelle: Eigene Darstellung
Insgesamt zeichneten die beiden reichwei-
Zweitens erfahren sie, dass es am Rande
testarken Onlinemedien im Unterschied zur
unserer Wohlstandsgesellschaft politisch
Tagesschau ein informationsreiches, stark
radikalisierte Außenseiter gibt, Krawall
ausdifferenziertes Bild des Geschehens. Dabei
macher, die ihren Fremdenhass lauthals
vermittelten die Berichte im Laufe des ersten
auf die Straße tragen, und dass manche von
Halbjahres 2015 drei sich widerstreitende Bot-
ihnen zu Brandstiftern werden.
schaften:
Die dritte Botschaft entspricht jener der Tageschau: Die anscheinend ziellos agierende,
22
Erstens schauen die User gleichsam von
intern uneinige, auch zerstrittene Politik ver-
den Zinnen der „Festung Europa“ zu, wie
mag die zunehmenden Herausforderungen
in Nordafrika, im Nahen Osten und in Fern-
durch Flüchtlinge und Asylsuchende wohl
ost viele Millionen Menschen auf der Flucht
rhetorisch, nicht aber praktisch befriedigend
sind; sie schauen zu, wie Flüchtlinge die
zu lösen. Ihr „Palaver“ erzeugt ein hand-
rettenden Küsten und Grenzen erreichen,
lungspolitisches Vakuum, in das die rechts-
viele aber auch, alleingelassen, auf grausa-
nationalen Fremdenhasser mit ihren Parolen
me Weise umkommen.
und Aktionen auf der Straße hineinstoßen.
Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
2. Die prägenden Medienereignisse im Jahr 2015
(Handlungsort Inland oder „Brüssel“) und Konflikt (konfligierende Interessen und interagierende Akteure – siehe Tab. 1) mit der
Im Folgenden sollen mit einer textinhaltlichen
Wahrnehmung aus Sicht der Rezipienten ver-
Analyse die zuvor berichteten Eindrücke quan-
knüpft. Dies geschah vermittels einer begrün-
titativ ausdifferenziert werden. Allerdings ist
deten Ereignisbewertung durch jede und jeden
eine Vollerhebung sämtlicher Medienberichte
der fünf am Projekt tätigen Mitarbeiter*innen
zu diesem Großthema vom Aufwand her nicht
(keine Journalisten). Anschließend wurden die
zu leisten. Angesichts der Dynamik des Gesche-
Ergebnisse in einer moderierten Gesprächs-
hens und der Vielfalt der Akteure und Ereignisse
runde überprüft und bereinigt. Übrig blieben
Zehn Einzelfall-
hätte auch eine auf Repräsentativität angelegte
zehn relevante Ereignisthemen (siehe Tab. 1).
studien
Stichprobe in die Irre geführt. Dasselbe gilt für
Diese Ereignisthemen definieren unsere
Clusteranalysen (Verfahren zur Entdeckung von
Untersuchungsphasen. Wir werden sie in Teil 3
Ähnlichkeitsstrukturen), die mögliche Bewer-
in der Art von Fallstudien detailliert beschrei-
tungen (Attribuierungen) in der Berichterstat-
ben und ihre mediale Vermittlung bzw. Thema-
tung herauszufiltern suchen.22 Wir haben uns
tisierungsweise durch die drei ausgewählten
daher von Forschungen über mutmaßliche Me-
Zeitungen unter die Lupe nehmen.
dienwirkungen leiten lassen und uns am Theo
In diesem ersten Teil über das nachricht-
rem der Agenda-Setting-Funktion der Medien
liche „Grundrauschen“ binden wir die zehn
orientiert.23 Davon ausgehend haben wir die
Untersuchungsphasen zu einem Analysekor-
Frage gestellt: Welche unter den vielen medialen
pus zusammen. Er umfasst insgesamt zwan-
Zwanzig
Großereignissen waren im chronologischen Ver-
zig Wochen (wobei die Stichproben der Hoch-
Untersuchungs-
lauf mutmaßlich für Einstellungsänderungen,
phase den Zeitraum vom 10. August bis 18.
wochen
für die Meinungs- und vielleicht auch Willens-
September umfassen) und soll auf der Struk-
bildung einflussstark? Jede identifizierte Phase
turebene Aufschluss darüber geben, wie die
sollte nach dem Muster einer Einzelfallstudie
meinungsführenden Informationsmedien den
untersucht und mit den anderen Phasen im chro-
Themenkomplex „Flüchtlinge“ während der
nologischen Nacheinander verglichen werden.
Ereignisphasen zwischen Februar 2015 und
Für dieses Verfahren haben wir das Kriterium „Relevanz“ der Nachrichtenwerte Nähe
Mitte Januar 2016 behandelt und bewertet haben.
22 Vgl. hierzu die Studie von Goedeke Tort u. a. (2016), deren Framing-Ansatz (nach Entman 1993) zu nicht wirklich belastbaren Ergebnissen kommt, weil sie für den gesamten Untersuchungszeitraum – das Jahr 2014 – die intervenierende Variable „Ereignisse“ unberücksichtigt lässt (Näheres Goedeke Tort 2016: 500 ff.). 23 Dieses von McCombs (1972) und Weaver (1977; 1980) entwickelte, in der empirischen Forschung seit Jahrzehnten gut etablierte Wirkungsmodell unterstellt, dass die Medien mit ihrer Art der „Thematisierung“ dann wirksam sind, wenn die Menschen das fragliche Ereignisthema für relevant halten, aber in der Kenntnis und Einschätzung unsicher sind. Hohe Relevanz und hohe Unsicherheit steigern das Orientierungsbedürfnis und in der Folge auch die Wirkung des Medieninhalts (i. S. der Einstellungsänderung) (vgl. Schenk 2007: 465 ff.; Bonfadelli/Marr 2008: 131 ff.).
23
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
3. Die Leitmedien und ihre Vermittlungsleistung
Deutschlands Journalisten durchführen. Unter den Printmedien wurden diese Titel am häufigsten genannt: Süddeutsche
Zunächst gilt es zu klären, was eigentlich Mei-
Zeitung, Der Spiegel, Frankfurter All
nungsführer sind. Wenn es zutrifft, dass die aus-
gemeine. Unter den Fernsehnachrichten
gemachten zehn Großereignisse das Potenzial
war es mit großem Vorsprung die ARD-
besaßen, drängende Orientierungswünsche zu
Tagesschau. Seither ist der Begriff des
bedienen und auf die Meinungsbildung Einfluss
Leitmediums zwar differenziert worden
zu nehmen, dann ist dies der Vermittlungsleis-
(Qualitäts-, Prestige- und/oder Eliteme-
tung solcher Medien zuzuschreiben, die auf die
dien). Auch führte der Medienwandel zu
anderen in die Breite wirkenden Medien prä-
Verschiebungen im Ranking, weil inzwi-
genden Einfluss nehmen und so die öffentliche
schen die Onlineangebote vieler Medien-
Meinung (im Sinne von Noelle-Neumann 1980)
häuser an Reichweite und Reputation ge-
Leit- und
beeinflussen. Was diese sogenannten Leit- oder
wonnen haben (vgl. u. a. Neuberger 2012;
Folgemedien
Elitemedien auszeichnet und wie sie wirken, ist
ARD/ZDF-Onlinestudie 2015). Doch die
seit vielen Jahren eine in den Medienwissen-
mit dem Begriff Leitmedium verbundene
schaften intensiv bearbeitete Fragestellung.
These, dass sich die Medienöffentlichkeit (auch) daran orientiert, was und wie diese
Exkurs: „Eine besondere Rolle bei der
medialen Meinungsführer die großen Er-
Orientierung von Journalisten an ande-
eignisthemen aufbereiten, hat sich nicht
ren Journalisten spielen die sogenann-
verändert, sie wurde mehrfach bestätigt
ten Leitmedien“, schrieben drei Medien-
(Krüger 2013: 101 ff.).
wissenschaftler vor zehn Jahren in ihrer
24
damals viel beachteten Journalismus-
Gut belegt sind Funktionsmodelle, die „Leit-
Enquete „Die Souffleure der Medienge-
und Folgemedien“ unterscheiden (Mathes/
sellschaft“. Das wichtigste Merkmal eines
Czaplicki 1993; Jarren/Donges 2002) und den
Leitmediums war für sie, dass es „häufig
Leitmedien quasi eine Pilot-, den Folgemedien
oder regelmäßig von besonders vielen
eine Schwarmfunktion zuschreiben. Leitme-
Journalisten genutzt wird – als Informa-
dien werden durch eine Reihe sie auszeich-
tionsquelle und zur Orientierung für die
nender Kriterien gekennzeichnet, die auch mit
eigene Berichterstattung“ (Weischenberg
dem Label „Qualitätsjournalismus“ etikettiert
u. a. 2006: 133 f.). Die Forscher ließen nach
werden (vgl. Weischenberg u. a. 2006: 133 f.;
Maßgabe dieser Definition („Welche Me-
Wilke 2009: 42 ff.).
dienangebote nutzen Sie beruflich häu-
Dieses Label gilt unstrittig für die überre
fig bzw. regelmäßig?“) 1993 und erneut
gional verbreiteten Tageszeitungen Süddeut-
2005 eine Repräsentativbefragung unter
sche Zeitung und Frankfurter Allgemeine; we-
Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
niger eindeutig scheint die Reputation der drit-
Der Untersuchungsgegenstand
24
ten überregionalen Zeitung Die Welt zu sein.
Um mit Hilfe der Inhaltsanalyse Antworten zu
Allerdings findet das reichweitestarke Welt-
finden, wurden zunächst über Google+ und (zur
Ensemble aus zwei Tages- und einer Sonntags-
Kontrolle) über die jeweiligen Zeitungsarchive
zeitung auch bei den elitären Zielgruppen hohe
mit den in Tabelle 1 genannten Suchstrings alle
Beachtung (vgl. LAE 2015 ). Zudem zeigt diese
redaktionell verantworteten Beiträge ermittelt,
Zeitung eine gegenüber den beiden anderen Ti-
in denen das Ereignisthema im Kontext „Flücht-
teln abweichende politische Ausrichtung. Von
ling“ vorkommt (nicht berücksichtigt wurden
daher vermitteln diese drei Blätter drei eigen-
also Leserbriefe, fiktionale Texte, Advertorials
sinnige Sichtweisen auf die Ereigniswelt und
und dergleichen). Diese Texte wurden durchge-
bilden – so möchte man glauben – ein breites
sehen, ob sie tatsächlich im Zusammenhang
Themen- und Meinungsspektrum ab.
mit dem aktuellen Geschehen stehen und ge-
25
26
Aufgrund dieser Überlegungen wurden
mäß Erscheinungsdatum dem entsprechenden
Mikroanalyse
die genannten drei Tageszeitungen für die
Großereignis zuzuordnen sind. Über diese Ar-
der Leitmedien
Feinanalyse herangezogen. Dabei verfolgten
beitsschritte wurden 1.687 Beiträge der werk-
wir zwei Ziele: Zum einen sollte die zunächst
täglich erscheinenden Zeitungen Welt, SZ und
kursorisch gewonnene Übersicht auf die zehn
FAZ identifiziert und als Volltexte in einer eige-
Ereignisthemen heruntergebrochen und die
nen Datenbank abgelegt.27 Da wir vermutlich
jeweilige Informationsleistung der Medien be-
sämtliche Beiträge zu den Ereignisthemen rund
schrieben werden. Das zweite Ziel steht unter
um „Flüchtlinge“ in den Zeitintervallen (siehe
der leitenden Forschungsfrage: Wie entwickel-
Tab. 1) erfasst haben, handelt es sich (bezogen
te sich die medienvermittelte Dynamik des The-
auf die jeweilige Ereignisphase und den Gegen-
mas „Flüchtlinge in Deutschland“? In Unter-
stand) um eine Vollerhebung. Sie stellt für die
Vollerhebung
fragen gegliedert: Wer alles kam mit welchen
Inhaltsanalyse die Grundgesamtheit dar. Als
zum Thema
Aussagen (Inhalten) in den Leitmedien wann
Analyseeinheit gilt der in sich geschlossene
„Flüchtlinge“
zu Wort – und wer nicht? Welche Wertemuster
Text mit Überschrift (d. h. keine redundanten
sind wann in den Berichtskontexten und Kom-
Elemente wie Inhaltsverzeichnisse, Verweise,
mentaren erkennbar?
Anrisse u. Ä.).
24 Die Tageszeitung (taz) und die Frankfurter Rundschau würden das politische Meinungsspektrum sinnvoll erweitern und abrunden. Allerdings besitzen sie keine hinreichend große Reichweite in den genannten Zielgruppen. Die BildZeitung besitzt Reichweite; trotz mangelnder reputativer Glaubwürdigkeit hat sie großen Einfluss auf die Themen agenda der Medien; deshalb haben wir auch sie in unsere Studie einbezogen. 25 Unter den Entscheidungsträgern mit einer Reichweite von rund 10 Prozent ähnlich wie die FAZ (http://www.m-cloud. de/lae2015/welt1.html; abgerufen Januar 2017). Einer von der FAZ in Auftrag gegebenen Eliten-Studie zufolge sprechen die Eliten weiterhin diesen Zeitungen die größte Glaubwürdigkeit zu. Vgl. http://meedia.de/2015/06/24/lae-2015-diese-print-und-online-medien-lesen-entscheider/ (abgerufen Juni 2017). 26 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass diese Rollenzuschreibung mit der Ausbreitung des Internets und der sich ausfächernden Palette an Webmedien und -plattformen zumal bei den jüngeren Zielgruppen an Kontur verliert. 27 Durchsucht wurden die in den zwanzig Wochen erschienenen 360 Zeitungsausgaben. Weitere Informationen zum Datenbank-Korpus können online eingesehen werden (siehe Hinweis S. 147).
25
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Tabelle 2: Anzahl der Beiträge je Zeitung zu den Ereignisthemen betreffend Flüchtlinge 2015/16
Zahl der Beiträge
Anteil
Frankfurter Allgemeine Zeitung
615
36,5 %
Süddeutsche Zeitung
578
34,3 %
Die Welt
494
29,3 %
Gesamt
1.687
100,0 %
Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, n=1.687. Quelle: Eigene Darstellung
Intensität der Berichterstattung
Bezogen auf alle Ereignisse, das heißt aufs
Der Häufigkeitszählung zufolge hat die FAZ die
ganze Jahr, sind die Volumenunterschiede in-
zehn Ereignisse am intensivsten behandelt,
dessen marginal. Mit anderen Worten: Obwohl
Die Welt dagegen relativ am knappsten (siehe
es sich – im Rahmen des Gesamtthemas Flücht-
Tab. 2). Nimmt man jedoch die Textumfänge (Zei-
linge – um unterschiedliche Arten von Ereignis-
chenanzahl) als Maßstab (siehe Tab. 3), dann
sen an unterschiedlichen Austragungsorten mit
Die „Welt“
haben die FAZ und Die Welt grosso modo etwa
jeweils sehr verschiedenen Akteuren handelt,
bringt am
die gleichen Textmengen produziert, die SZ ge-
geben die drei Leitmedien dem gesamten The-
meisten Text
ringfügig (10 Prozent) weniger. Die relativ hohen
menkomplex in etwa denselben Stellenwert.
Standardabweichungen
erklären sich durch
Dies kann als Beleg dafür genommen werden,
die Mischung von kurzen Meldungen und langen
dass die Redaktionen der drei Qualitätszei-
Berichten. Setzt man beide Dimensionen in Bezie-
tungen ihren Nachrichtenstoff in quantitativer
hung, dann hat Die Welt weniger, im Durchschnitt
Hinsicht nach ähnlichen Relevanzkriterien und
aber die längsten Beiträge publiziert: Sie sind im
etwa denselben Professionsroutinen aus dem
Mittel gut 600 Zeichen länger als die der FAZ und
tagtäglichen Informationsinput auswählen, auf-
800 Zeichen länger als die der SZ. Andersherum:
bereiten und mit Eigenleistungen erweitern. Es
Die Süddeutsche brachte zwar 66 Beiträge mehr,
wird sich noch zeigen, ob dies auch für die inhalt-
insgesamt aber ca. 170.000 Zeichen weniger als
lichen Dimensionen – die Textaussagen – gilt.
28
Die Welt. Diese großen Unterschiede stehen für unterschiedliche publizistische Konzepte.
Wenn wir das Informationsangebot (nach Umfängen) den zehn Ereignisphasen zuord-
28 Die empirische Standardabweichung gibt an, wie weit die Stichprobe im Schnitt um das arithmetische Mittel (hier: Mittelwert) streut.
26
Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
Tabelle 3: Umfang der Beiträge je Zeitung (Anzahl Zeichen) zu den Ereignisthemen
Mittelwert
Anzahl Texte (n=)
Standardabwei chung
Summe Gesamtumfang
Frankfurter Allgemeine Zeitung
3.460
494
470
1.705.988
Süddeutsche Zeitung
3.211
483
376
1.551.131
Die Welt
4.122
414
1.445
1.706.556
Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, n=1.687. Quelle: Eigene Darstellung
nen, zeigen sich bereits einige Besonderheiten
spektakulär und emotionalisierend wirken,
(siehe Tab. 4): Dem abstrakten, politisch zen-
gibt Die Welt relativ viel Raum (hier: E5a und
trierten Thema der EU-Flüchtlingspolitik (E4)
E8).
gibt die FAZ doppelt so viel Raum wie die beiden anderen Blätter. Auch der Slogan der Bun-
Mehr als ein Viertel Meinungsbeiträge
deskanzlerin „Wir schaffen das“ (E5c) findet in
Wie wurden die Ereignisse aufbereitet und
der FAZ die relativ größte Beachtung. Über die
vermittelt? Mit dieser Frage kommen wir zur
aggressiven fremdenfeindlichen Vorgänge in
inhaltlichen Textanalyse. Sie wurde durchge-
Tröglitz (E3) äußert sich die Süddeutsche im
führt mit einem auf unsere Forschungsfragen
Vergleich zu den anderen Blättern eher beiläu-
ausgerichteten Kategoriensystem anhand ei-
fig (hier immer im Kontext „Flüchtlinge“). Den
nes sorgfältig getesteten Codebuchs.29
inhaltlich vergleichbaren Ereignissen in Heide-
In der Variablen „Darstellungsformen“ ha-
nau hingegen gibt sie sehr viel mehr Raum (das
ben wir alle Kategorien so definiert, wie sie im
könnte mit Zufällen, etwa der Präsenz eines
Journalistenberuf gehandhabt und in der Jour-
Reporters am Ort, zu tun haben). Vorgängen,
nalistenausbildung gelehrt werden.
die räumlich nahe sind (Themen Grenzöffnung,
Demnach (siehe Tab. 5) brachten die
Transitzonen), schenkt die Süddeutsche mehr
drei Tageszeitungen neben den dominant
Aufmerksamkeit. Dies ist naheliegend, da die
nachrichtlich-informierenden Texten (rund
SZ ihrer Verbreitung zufolge in erster Linie
60 Prozent) erstaunlich selten dialogische
als Regionalzeitung fungiert. Ereignissen, die
Formen (4,4 Prozent Interviews), eher selten
Große Meinungsfreude
29 Das Codebuch kann online eingesehen werden (siehe Hinweis auf S. 147).
27
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien Tabelle 4: Anzahl der Beiträge je Ereignisphase in den drei Zeitungen zu den Ereignisthemen
E1: Drei Länderchefs
E2: Statistik
E3: Tröglitz
E4: Gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik E5a: Rapide Zunahme der Flüchtlingszahlen
E5b: Heidenau
E5c: „Wir schaffen das“
E6: Grenzöffnung/Grenzkon trollen E7: Obergrenzen und Transit zonen
E8: Silvesterereignisse
Gesamt
Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Süddeutsche Zeitung
Die Welt
Gesamt
10
7
6
23
43,5 %
30,4 %
26,1 %
100,0 %
15
12
12
39
38,5 %
30,8 %
30,8 %
100,0 %
23
8
21
52
44,2 %
15,4 %
40,4 %
100,0 %
43
21
21
85
50,6 %
24,7 %
24,7 %
100,0 %
102
97
106
305
33,4 %
31,8 %
34,8 %
100,0 %
95
104
78
277
34,3 %
37,5 %
28,2 %
100,0 %
110
85
76
271
40,6 %
31,4 %
28,0 %
100,0 %
29
46
27
102
28,4 %
45,1 %
26,5 %
100,0 %
109
107
69
285
38,2 %
37,5 %
24,2 %
100,0 %
79
91
78
248
31,9 %
36,7 %
31,5 %
100,0 %
615
578
494
1.687
36,5 %
34,3 %
29,3 %
100,0 %
Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, n=1.687. Quelle: Eigene Darstellung
28
Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
Tabelle 5: Die Darstellungsformen aller redaktionellen Beiträge zu den Ereignisthemen
Häufigkeit
Anteil
Bericht
820
48,6 %
Kommentar/Glosse
296
17,5 %
Meldung
117
6,9 %
Reportage/Porträt
108
6,4 %
Interview
74
4,4 %
Bildnachricht
7
0,4 %
Schlagzeile, Anreißer
32
1,9 %
Serienteil
26
1,5 %
Sonstiges
48
2,8 %
Fremdbeitrag
159
9,4 %
1.687
100,0 %
Gesamt
Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, n=1.687. Quelle: Eigene Darstellung
augenscheinlich recherchierte Erzählstücke
heißt: Ihr Bezugssystem ist in erster Linie die
Auf die Politiker
(6,4 Prozent) – und im Vergleich dazu sehr
Politik, ihr Interesse gilt den Handlungsop
fixiert
häufig meinungsbetonte Beiträge: Kommen-
tionen der politischen Akteure. Wir werden im
tare, Analysen, Leitartikel. Wenn man die
Fortgang der Inhaltsanalyse sehen, ob sich
meinungsbetonten Beiträge der Gastauto-
dieses Zwischenfazit bestätigen wird.
ren (Kategorie Fremdbeiträge) hinzurechnet, zählt jeder vierte Beitrag zu dieser Kategorie.
Akteure/Sprecher: Monolog, Diskurs
Pointiert gesagt: Die Akteure, die Beteiligten
oder „Palaver“?
und Betroffenen kamen in den drei Leitmedi-
Wer alles kommt im Laufe des Großthemas
en vergleichsweise selten im O-Ton zu Wort.
„Flüchtlinge“ zu Wort – und wer nicht? Diese
Die Journalisten waren offenbar – neben dem
Frage bezieht sich auf die Akteure und Spre-
tagesaktuellen Nachrichtengeschäft – mit
cher, die in den Berichten als Wissende und
der Bewertung, Beurteilung und Deutung der
Beobachtende, als Handelnde und Betroffene
Ereigniszusammenhänge beschäftigt. Das
namentlich genannt werden.
29
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Diese Kategorie fasst ein zentrales Merk-
der in der Kommentierung zutage tretenden
mal der Informationsvermittlung. Würden wir
Werteauffassung in Teil 3 untersuchen. Aller-
nun alle erfassten Texte inklusive der Kommen-
dings verbleibt eine gewisse Unschärfe, da die
tare und Glossen – also der interpretierenden
Gastautoren in ihren Beiträgen meist nicht be-
Beiträge der Journalisten – einbeziehen, wür-
richten, sondern einordnen und interpretieren.
den die Ergebnisse verfälscht. Wir haben des-
In diesem reduzierten Textcorpus (siehe
halb für die folgende, die Informationsleistung
Tab. 6) gehören rund vier von fünf Texten zu
analysierende Untersuchung die als Meinungs-
den sogenannten tatsachenbetonten Darstel-
beitrag (wie: Leitartikel, Kommentar) oder Es-
lungsformen, deren Hauptfunktion die Infor-
say kenntlichen und entsprechend codierten
mationsvermittlung ist.
296 redaktionellen Texte ausgenommen. Diese
Wir haben alle natürlichen und juristi-
werden wir gesondert unter dem Gesichtspunkt
schen Personen, die in den Beiträgen genannt
Tabelle 6: Akteure/Sprecher (A/S) in den Texten nach Darstellungsformen* zu den Ereignisthemen: Häufigkeiten und Anteile
Darstellungsform
Anzahl Texte
Prozentualer Anteil an allen Texten
Anzahl Akteure/ Sprecher
Prozentualer Anteil an allen A/S
Bericht
820
59,0 %
7.029
76,3 %
Meldung
117
8,4 %
281
3,0 %
Reportage/Porträt
108
7,8 %
1.209
13,2 %
Interview
74
5,3 %
74
0,8 %
Bildnachricht
7
0,5 %
9
0,1 %
Schlagzeile, Anreißer
32
2,3 %
13
0,1 %
Serienteil
26
1,9 %
175
1,9 %
Sonstiges
48
3,5 %
270
2,9 %
Fremdbeitrag
159
11,4 %
156
1,7 %
1.391
100 %
9.216
100 %
Gesamt
* ohne redaktionelle Meinungsbeiträge Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16; reduziertes Textkorpus n=1.391. Quelle: Eigene Darstellung
30
Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
wurden, als Akteure/Sprecher ermittelt.30 Ins-
lich. Da sich unsere Akteursanalyse auf die
gesamt wurden 9.216 Akteure/Sprecher identi-
als bedeutsam präsentierten Personen fokus-
fiziert, je Text rund sieben Personen (siehe Tab.
sieren soll, haben wir Akteure/Sprecher dann
6 und 7). Nur jeder zehnte Text – meist Kurz-
genauer untersucht, wenn sie in einem Bericht
meldungen, Faktenberichte, Anrisse – kommt
(a) als erste und (b) relativ am häufigtsen ge-
ohne Personennennung aus; in der FAZ sind
nannt werden – eine Gewichtung, die mit den
es erstaunlich viele derartige, in der Welt fast
Relevanzkriterien des Nachrichtenjournalis-
keine. Umgekehrt nennen die Berichte der Welt
mus und dem Nachrichtenfaktor „Prominenz“
Relevante
relativ viele Akteure/Sprecher, was vermutlich
gut übereinstimmt (vgl. Weischenberg 2001:
Akteure
mit dem größeren Textumfang der Beiträge zu
81 ff.). Über eine Stichprobe aus Texten der
im Fokus
tun hat. Journalistisch argumentiert, nutzen
drei Zeitungen haben wir die Validität dieses
die Welt-Redakteure mehr Akteurskontakte,
Kriteriums getestet. In den 1.391 erfassten
um unterschiedliche Positionen zu zeigen, was
Berichten entsprachen 3.308 Akteure/Spre-
auf eine breitere Recherche schließen lässt.
cher diesem Relevanzkriterium. Dabei fällt als Erstes auf, dass unser Großthema in den
Wer ist wichtig – und wer nicht?
drei Leitmedien offenbar von Männern domi-
Die Rollen der in den Texten genannten Akteu-
niert wird, und zwar im Verhältnis: 3:1 (siehe
re/Sprecher sind natürlich sehr unterschied-
Tab. 8). Überraschend ist auch die Präsenz der
Tabelle 7: Anzahl der Akteure/Sprecher (n=9.216) in den Berichten zu den Ereignisthemen je Zeitung
Gesamtzahl A/S (n=)
A/S pro zentual
Durch schnittliche Anzahl A/S pro Beitrag
Beiträge ohne A/S (n=)
Prozen tualer Anteil Beiträge ohne A/S
Frankfurter Allgemeine Zeitung
2.988
32,4 %
7,00
67 (von 494)
13,6 %
Süddeutsche Zeitung
3.138
34,0 %
7,16
45 (von 483)
9,3 %
Die Welt
3.090
33,6 %
7,56
5 (von 414)
1,2 %
Gesamt (n=)
9.216
100 %
7,23
117 (von 1.391)
8,4 %
Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, Anzahl Texte: 1.391. Quelle: Eigene Darstellung 30 Definitionen können im Codebuch online eingesehen werden (siehe Anhang, „Zur Methodologie“, Hinweis S. 147).
31
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Institutionen und Einrichtungen: Rund jede
Themen (vgl. Eilders u. a. 2004; Berkel 2006).
dritte Akteursnennung gehört zur institutio-
Für ein Themenfeld jedoch, in dessen Mittel-
nellen und insofern abstrakten Kategorie. Bei-
punkt die vor Ort zu leistende Aufnahme, Un-
de Ausprägungen finden wir deshalb erstaun-
terbringung, Betreuung und Begleitung von
lich, weil davon auszugehen ist, dass die mit
vielen Hunderttausend Individuen steht, war
dem Thema „Flüchtlinge“ befassten Akteure
dies nicht zu erwarten. Doch den drei Leitme-
(jedenfalls auf der regionalen Vollzugsebene)
dien zufolge fand diese Ereigniskette in den
genderneutral zusammengesetzt und von bür-
Konferenzräumen der Politik statt und nur aus-
gergesellschaftlichen Impulsen getragen sind.
nahmsweise draußen bei den Beteiligten und
Wen oder was (Zuständigkeitsbereiche)
Betroffenen in den Ländern und Städten (häu-
vertreten diese relevanten Akteure bzw. Spre-
figer in den Berichten der Welt, ganz selten in
cher in den Zeitungsberichten? Nach den Zu-
der FAZ).
Sprecher
ständigkeiten (siehe Tab. 9) dominiert der
Unterhalb der Landesebene, in den Städ-
der Institutionen
politisch-institutionelle Bereich (Regierungen,
ten vor allem, kümmern sich zahlreiche Ad-hoc-
dominieren
Parteien, Ministerien mit den zugehörigen Be-
Initiativen, Helfergruppen, NGOs und kirchli-
hörden) die gesamte Berichterstattung. Ähnli-
che Einrichtungen um die Betreuung und Ver-
che Häufigkeiten kennt man aus Analysen des
sorgung der Flüchtlinge – einerseits. Anderer-
Politikteils von überregionalen Zeitungen im
seits, so weiß man inzwischen, kam es gerade
Hinblick auf bundespolitische Vorgänge und
auf dieser subregionalen Ebene zu einem Zu-
Tabelle 8: Gender der Akteure/Sprecher (n=3.308*) in den Berichten zu den Ereignisthemen je Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Süddeutsche Zeitung
Die Welt
Anteil am Mittel der drei Zeitungen
Männlich
49,6 %
50,4 %
47,7 %
49,2 %
Weiblich
14,1 %
15,9 %
17,2 %
15,7 %
Institutionen, Gruppen
36,3 %
33,8 %
35,1 %
35,0 %
Summe
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
*Ab Tab. 8 sind nur die als relevant identifizierten Akteure/Sprecher berücksichtigt (3.308 von n=9.216). Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, Anzahl Texte: 1.391. Quelle: Eigene Darstellung
32
Tabelle 9: Zuständigkeit der Akteure/Sprecher (n=3.308) in den Berichten über die Ereignisthemen je Zeitung
Frankfurter Allge meine Zeitung
Süddeutsche Zeitung
Die Welt
Anteil*
68,0 %
64,0 %
55,3 %
62,5 %
Verwaltung auf Bundes- und Landesebene
1,8 %
1,7 %
3,4 %
2,3 %
Wirtschaft
0,9 %
1,8 %
2,0 %
1,5 %
Kirche , Religion
0,9 %
1,7 %
1,4 %
1,3 %
Einrichtungen aus dem Bereich Kultur und Bildung
0,6 %
1,5 %
0,7 %
0,9 %
Soziale Einrichtungen, Medizin, Gesundheit, Rettungsdienst
0,7 %
1,1 %
2,3 %
1,4 %
Medien
3,3 %
4,7 %
3,9 %
4,0 %
Judikative
8,3 %
9,0 %
9,0 %
8,8 %
Militär
0,1 %
0,8 %
0,3 %
0,4 %
Interessenverbände
3,8 %
1,6 %
3,7 %
3,0 %
Internat. Nichtregierungs organisationen (NGOs)
0,6 %
0,5 %
0,4 %
0,5 %
Fachleute, Experten, Gutachter
0,5 %
0,4 %
0,9 %
0,6 %
Personen (keine Institutionen, keine Funktionsträger)
6,0 %
8,3 %
12,8 %
9,0 %
Unpersönliche Quellen
3,6 %
2,6 %
2,7 %
3,0 %
Sonstiges
0,9 %
0,3 %
1,2 %
0,8 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
Politik Ebene allgemein, institutionell, personenbezogen
Summe
* Anteil der jeweiligen Kategorie am Insgesamt (n) Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, Anzahl Texte: 1.391. Quelle: Eigene Darstellung
33
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Tabelle 10: Akteure/Sprecher des Bereichs „Medien“ (n=132) in den Berichten über die Ereignisthemen je Zeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung
Süddeutsche Zeitung
Die Welt
Anteil*
Rundfunk: Fernsehen und Radio
13,9 %**
5,6 %
2,4 %
6,8 %
Zeitung; Zeitschrift (online wie offline); Agentur; Bildagentur
38,9 %
22,2 %
40,5 %
32,6 %
Internet: Newsfeed, Blogs, Social Media u. Ä.
19,4 %
22,2 %
9,5 %
17,4 %
Journalist allgemein; Autor allgemein; sons tige Medienakteure und -institutionen
22,2 %
40,7 %
38,1 %
34,8 %
Sonstiges (z. B. Film: Schauspieler; Regis seure; Agenturen; Bildagenturen)
5,6 %
9,3 %
9,5 %
8,3 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
Summe
* Anteil der jeweiligen Kategorie am Insgesamt (n) ** Die Prozentwerte in den ersten drei Spalten in dieser und den folgenden Tabellen beziehen sich auf alle in der jeweiligen Zeitung genannten Akteure/Sprecher. Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, Anzahl Texte: 1.391. Quelle: Eigene Darstellung
ständigkeitschaos und zu Missmanagement;
der sogenannten Balkan-Route bedeutsamen
viele Profiteure und Glücksritter ergriffen hier
internationalen NGOs. Kaum Erwähnung fin-
die Gelegenheit.31 Über diese Vorgänge erfah-
den die zahlreichen kirchlichen Aktivitäten
ren die Leser der Leitmedien im Laufe des Jah-
mit ihren Leistungen und Problemen. Nur eine
res 2015 überraschend wenig. Praktisch un-
marginale Rolle spielen Akteure aus der Wirt-
erwähnt bleiben auch die im Zusammenhang
schaft (Betriebe und Unternehmen), obwohl
31 Erst im zweiten Halbjahr 2016 machten verschiedene Medien Behördenversagen und Missbräuche publik (z. B. „Integration von Flüchtlingen: Das System funktioniert immer noch nicht“, in: SPON vom 03.07.2016; „Über Gelderpressung“, in: SPON/Panorama 04.08.2016 sowie recherchierte Berichte in Lokalzeitungen).
34
Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
auf der wirtschaftspolitischen Ebene immer
Die mit dem Flüchtlingsthema befassten Ver-
wieder die erwünschte Integration der Asyl-
waltungsbehörden kommen in der Welt häufi-
bewerber in die Arbeitswelt gefordert wird.
ger zu Wort als in der Süddeutschen, obwohl
Wohlgemerkt, hier geht um die als relevant
Letztere einen umfänglicheren Regionalteil
definierten Akteure und Sprecher, nicht um
bewirtschaftet. Einen hohen Stellenwert ge-
das Insgesamt aller erwähnten Personen.
nießen Sprecher und Akteure der Strafverfol-
gungsbehörden (Polizei) und der Rechtspre-
Flüchtlingsthema ohne Flüchtlinge
chung – ein Indiz, dass Normabweichungen
Wenn die drei Leitmedien die anderen Medien
von den Journalisten als besonders relevant
zitieren, dann kommen Journalisten, Medien-
erachtet werden.
akteure und Blogger dreimal häufiger zu Wort
Nur jeder elfte der relevanten Akteure ist
als etwa Vertreter des aktiv handelnden Reli-
kein Funktionsträger und insofern ein Individu-
gions- und Kirchenpersonals. Überraschend
um. Wer zählt alles dazu? Am relativ häufigsten
häufig zitieren die Journalisten sich gegensei-
sind es Flüchtlinge bzw. Asylbewerber; in den
tig – fast zehnmal so häufig, wie Fachleute und
Berichten der Welt haben sie den stärksten Auf-
Experten genannt werden (siehe Tab. 9). Es ist
tritt (siehe Tab. 11). Bezogen auf das Insgesamt
in der Tat erstaunlich: In der laufenden Bericht-
aller Akteure/Sprecher in allen drei Zeitungen
erstattung über diesen vielschichtigen, heiklen
sind es indessen nur 4,5 Prozent. Zugespitzt
Fachleute spielen
Themenkomplex bleiben die Fachleute weitge-
formuliert: Das Flüchtlingsthema fand in der
keine Rolle
hend ausgespart – und dies, obwohl in Deutsch-
medialen Öffentlichkeit der Leitmedien (weit-
land schon seit Jahren eine intensive Islam- und
gehend) ohne Flüchtlinge statt. Dies gilt noch
Migrationsforschung betrieben wird. So man-
ausgeprägter für die Menschen, die es als An-
cher kompetente Wissenschaftler hätte Sach-
wohner, Nachbarn, Helfer, Widersacher usw.
dienliches, auch Lösungshilfen zu den akuten
unmittelbar mit den Vorgängen rund um die
Problemen auf der Vollzugsebene in den Diskurs
Flüchtlinge zu tun bekamen: In dem von den
prominent einbringen können – ein Manko, auf
drei Leitmedien gesteuerten Diskurs kommen
Die Helfer hatten
das ich in Teil 2 zurückkommen werde.
sie ähnlich selten zur Sprache wie die Flücht-
keine Presse
Allerdings gibt es zwischen den drei Leit-
linge. Praktisch keine Beachtung fanden Pri-
medien ein paar auffällige Unterschiede: In
vatpersonen, die sich als Geldgeber, Spender
der FAZ kommen die Akteure der Institutio-
u. Ä. engagierten.
nenebene am häufigsten, in der Welt deutlich
Die Feinanalyse der Akteure und Sprecher
weniger oft zu Wort; dafür treten Einzelper-
auf der politisch-institutionellen Ebene (ge-
sonen (konkret Beteiligte) in der Welt etwa
mäß Tab. 9 rund zwei Drittel aller als relevant/
doppelt so häufig auf. Unerwartet auch, dass
prominent identifizierten Akteure/Sprecher)
Vertreter der Wirtschaft in der Welt mehr (bzw.
unterstreicht die Dominanz der bundespoliti-
häufiger etwas) zu sagen haben als in der FAZ.
schen Systemebene deutlich (siehe Tab. 12).
Andere Journalisten werden oft zitiert
35
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Tabelle 11: „Einzelpersonen“ (n=298) in den Berichten über die Ereignisthemen je Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Süddeutsche Zeitung
Die Welt
Anteil*
Flüchtling, Asyl bewerber
37,9 %
38,9 %
45,3 %
41,6 %
Privatperson, Bürger, Anwohner u.a.m.
28,8 %
21,1 %
23,4 %
23,8 %
Verursacher; Täter; Kämpfer
13,6 %
13,7 %
12,4 %
13,1 %
Prominenter – Sportler, Schauspieler etc. (in der Rolle als Privat person)
4,5 %
5,3 %
5,1 %
5,0 %
Sonstige
3,0 %
5,3 %
4,4 %
4,4 %
Betroffener, Opfer
1,5 %
7,4 %
2,2 %
3,7 %
ehrenamtlich Tätiger – z. B. Organisator, Kandidat für Wahlen –, parteilos
4,5 %
1,1 %
4,4 %
3,4 %
Teilnehmer – Ver anstaltung, Kursus, Versammlung, Wett bewerb u. Ä.
4,5 %
3,2 %
1,5 %
2,7 %
Augenzeuge – nicht judikativ
1,5 %
4,2 %
1,5 %
2,3 %
Spender; Sponsor (nur Einzelpersonen, keine Unternehmen)
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
Summe
* Anteil der jeweiligen Kategorie am Insgesamt (n) Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, Anzahl Texte: 1.391. Quelle: Eigene Darstellung
36
Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
Auch hier gibt es zwischen den drei Zeitungen
levanten Akteure treten im Namen einer Partei
„Berlin“ beherrscht
keine signifikanten Unterschiede. Deutliche
in Erscheinung. Da die Nennung der Partei
die Nachrichten
Abweichungen zeigen sich, wenn es um die Ak-
zugehörigkeit zu den Standards journalisti-
teure auf der internationalen Bühne inklusive
scher Berichterstattung gehört, dürfte diese
der EU (Brüssel) geht: Hier bringt die FAZ sehr
Auszählung für die Kategorie „relevante Ak-
viel mehr prominente Stimmen als jedes der
teure/Sprecher“ vollständig sein. Demnach
anderen Blätter. Anders ist es im Inland. Dem
gehört jeder vierte Akteur (27,4 Prozent) zu ei-
Ranking zufolge vertritt nur jeder vierte Akteur
ner der drei Parteien der Regierungskoalition.
die (für den Vollzug entscheidende) Länderebe-
In den FAZ-Berichten dominieren die Akteure
ne, nur jeder zwölfte die kommunale Ebene. Allein die FAZ räumt dem – die Flüchtlingspolitik determinierenden – internationalen Konfliktfeld mit knapp 30 Prozent aller Politikakteure einen gewissen Stellenwert ein. Übrigens ergab die zusätzliche Feinauswertung des ohnehin marginalen Bereichs „Verwaltung“ (81 von 3.308 Personen), dass zwei Drittel der Akteure/Sprecher im Namen von Bundesbehörden sprechen. Nur in den Berichten der Welt wurden relevante Sprecher ausländischer Behörden entdeckt: insgesamt drei Personen. Die Feinauswertung des Sprecherbereichs „Interessenverbände“, mit 100 Nennungen ebenfalls marginal, macht einen Unterschied zwischen den Blättern deutlich: Zivilgesellschaftliche Akteure kamen, wenn schon, dann meist in der Süddeutschen Zei-
der CDU, in der Süddeutschen Zeitung haben jene der SPD die Nase vorn. Bei beiden Zeitungen mag auch das politische Lokalkolorit eine Rolle spielen. Dass die Süddeutsche Zeitung in Bayern erscheint, ist auch daran zu erkennen, dass Akteure und Sprecher der CSU in dieser Zeitung doppelt so häufig genannt werden wie in der FAZ oder der Welt (siehe Tab. 14). Für die Oppositionsparteien im Bundestag (Die Linke, Grüne) sprachen nur knapp 12 Pro-
Opposition hat keine Presse
zent aller Parteizugehörigen. Die rechtsnatio nalen – auf Bundesebene außerparlamentarischen, in Länderparlamenten aber gut vertretenen – Akteure der AfD waren für die Berichterstatter offenbar irrelevant. Dies gilt auch für die in verschiedenen Bundesländern und Kommunen aktiven parteilosen Gruppierungen und Wählergemeinschaften.
tung und fast nie in der FAZ angemessen zu
Politiker links- und rechtsaußen
Wort (siehe Tab. 13).
kamen nicht zu Wort Im Verlauf der für die Meinungsbildung in der
Regierungsparteien dominieren den Diskurs
Bevölkerung vermutlich prägenden Großereig-
Diese Dominanz der Politiker unter den Akteu-
nisse des Jahres 2015 wurde die politische De-
ren und Sprechern führt zur Frage nach deren
batte in den drei Leitmedien also massiv von
Parteizugehörigkeit. Befund: Rund ein Drittel
den Regierungsparteien dominiert: Akteure
aller in den Berichten namhaft gemachten re-
und Sprecher der drei Koalitionäre kamen rund
37
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Tabelle 12: Akteure/Sprecher des Zuständigkeitsbereichs „Politik“ (n=2.068) in den Berichten über die Ereignisthemen je Zeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung
Süddeutsche Zeitung
Die Welt
Anteil*
Bundesebene – Regie rung, Parlament, Minis terien, Kommissionen, Bundesrat
40,8 %
44,0 %
43,2 %
42,6 %
Landesebene – Regierung, Parlament, Ausschüsse, unabhän gige Kommissionen
22,4 %
23,6 %
29,2 %
24,8 %
Ausland – nichtdeut sche Regierungen, Parlamente, Ministe rien etc.
21,7 %
14,4 %
13,7 %
16,9 %
Regionale und kom munale Ebene – Land kreistag und Kreistag, Landrat, Stadtrat
8,1 %
10,4 %
8,0 %
8,9 %
EU-Ebene
5,7 %
6,0 %
4,1 %
5,4 %
Internationale Staaten bünde und Organisa tionen – UNO etc.
1,2 %
1,5 %
1,9 %
1,5 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
Summe
* Anteil der jeweiligen Kategorie am Insgesamt (n) Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, Anzahl Texte: 1.391. Quelle: Eigene Darstellung
38
Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
sechsmal häufiger zu Wort als jene der par-
Ebene, Umgang mit Nachbarstaaten, insbe-
Fixiert auf die
lamentarischen Oppositionsparteien. Akteure
sondere Österreich und Ungarn, Finanzierung)
Machtträger
der Parteien und Gruppen am rechten politi-
unterschiedliche Positionen und Lösungsideen
schen Rand – die in mehreren Bundesländern
in die öffentliche Debatte einbrachten. Hinzu
in den Parlamenten sitzen – hatten in der me-
kommt, dass deren Statements für das Ent-
dialen Öffentlichkeit zu diesem Thema offenbar
scheidungshandeln der Regierung gewiss
nichts Relevantes zu sagen. Wenn sie erwähnt
bedeutsamer und insofern relevanter sind
wurden, dann nur beiläufig.
als jene der Opposition – einerseits. Anderer-
Bei der Bewertung dieses Befundes sollte
seits wird insbesondere den Leitmedien für
allerdings bedacht werden, dass die drei Re-
den gesellschaftlichen Diskurs eine verstän-
gierungsparteien zu aktuellen Kontroversen
digungsorientierte Funktion zugeschrieben
(wie: Aufnahme und Registrierung, Obergren-
(siehe Einführung). Damit verbindet sich die
ze, Asylrechtsreform, Intervention auf EU-
normativ begründete Vorstellung, die Leitme-
Tabelle 13: Akteure/Sprecher von Interessenverbänden (n=100) in den Berichten über die Ereignis themen je Zeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung
Süddeutsche Zeitung
Die Welt
Anteil am Mittel der drei Zeitungen
Bürgerinitiative, Bür gerbewegung, Bürger allianz
9,5 %
44,4 %
30,0 %
24,0 %
Gewerkschaft, Betriebsrat
31,0 %
22,2 %
15,0 %
23,0 %
Stiftung
11,9 %
5,6 %
2,5 %
7,0 %
7,1 %
5,6 %
10,0 %
8,0 %
Sonstige(r) Interessen verband; Interessen gemeinschaft
40,5 %
22,2 %
42,5 %
38,0 %
Summe
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
Wirtschafts- und Bauernverbände
* Anteil der jeweiligen Kategorie am Insgesamt (n) Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, Anzahl Texte: 1.391. Quelle: Eigene Darstellung
39
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
dien hätten die öffentliche politische Debatte
größere Bevölkerungsteile vertreten fühlen,
Gespaltener
so zu orchestrieren, dass möglichst alle ge-
aus dem Diskurs ausgeschlossen, spaltet sich
Diskursraum
sellschaftlich relevanten Gruppen – soweit
der öffentliche Diskursraum und der gesell-
sie sich auf dem Boden des Grundgesetzes
schaftliche Zusammenhalt erodiert.
bewegen – daran teilnehmen (sollten). Wer-
Unter diesem Blickwinkel verlief der von
den Parteien und Gruppen, von denen sich
den drei Zeitungen veranstaltete Diskurs nicht
Tabelle 14: Parteizugehörigkeit der Akteure/Sprecher (n=3.308) in den Berichten über die Ereignis themen je Zeitung
Frankfurter Süd Allgemeine deutsche Die Welt Zeitung Zeitung
Anteil an allen A/S (Mittel der drei Zeitun gen)
Anteil der ein zelnen Parteien am Mittel aller Parteien (n=1.088)
SPD
8,6 %
10,4 %
10,4 %
9,8 %
29,9 %
CDU
15,3 %
9,0 %
11,6 %
11,9 %
36,4 %
CSU
4,6 %
8,0 %
4,0 %
5,6 %
17,0 %
2 %
3,1 %
3,4 %
2,9 %
8,7 %
FDP
0,4 %
0,1 %
0,8 %
0,4 %
1,3 %
Die Linke
0,5 %
1,1 %
1,5 %
1,0 %
3,1 %
AfD
0,1 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,1 %
NPD
0,6 %
0,1 %
0,2 %
0,3 %
0,9 %
Parteilos, andere Partei, Wählergemeinschaft
0,5 %
0,9 %
1,1 %
0,8 %
2,6 %
Keine Partei
67,2 %
67,3 %
67,0 %
67,2 %
—
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100 %
Die Grünen
Summe
Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, Anzahl Texte: 1.391. Quelle: Eigene Darstellung
40
Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
integrierend, sondern segmentierend. Ausge-
Anhang, „Zur Methodologie“, S. 147). Die
schlossen wurden nicht nur Radikale, sondern
Berichterstattung in der Welt und der Süd-
auch politische Akteure, die keinen fremden-
deutschen brachte den Dissens der Akteure
feindlichen Parolen folgten. Insofern repräsen-
häufiger bereits im Titel zur Sprache. Die dem-
tieren die drei Leitmedien jenen geschlossenen
gegenüber unaufgeregte, sachlichere Vermitt-
Leitmedien
Kommunikationsraum, den viele Ausgegrenzte
lungsweise der FAZ zeigt sich auch darin, dass
in der Filterblase
in ihren Kommentaren mit „Mainstream“ und
die Zeitung die Kontroversen und Meinungs-
„Systempresse“ etikettierten (zum Topos „Ge-
unterschiede zwischen Akteuren und Positio
sellschaftliches Vertrauen“ vgl. Delhy/Verba-
nen keineswegs verschwieg, jedoch eher in
lyte 2016: 99 f.).
den Texten ausbreitete. Wir wollten wissen, welche Akteure/Spre-
Viel Raum für Konfliktthemen
cher in den Berichten dominieren, die Konflik-
Mit dem politischen Diskurs verbunden ist die
te, Kontroversen und Meinungsverschieden-
Frage, ob in der Berichterstattung der drei Zei-
heit thematisieren (siehe Tab. 16; n=738 Tex-
tungen die andauernde Konflikthaltigkeit des
te). Diese Berichte nannten insgesamt 1.932
Großthemas aufgezeigt wird: Werden über
relevante Akteure/Sprecher. Von diesen sind
wiegend Ereignisnachrichten und Einquellen-
mehr als zwei Drittel (69,4 Prozent) der insti-
berichte publiziert – oder dominieren Berichte,
tutionellen Politik zuzuordnen: Parteien, Poli
in denen Akteure mit unterschiedlichen Posi-
tiker, Regierungen, Parlamente. Die Einrichtun-
tionen (bzw. deren Argumente) referiert und
gen und Behörden, die mit dem Management
also Kontroversen bzw. Meinungsverschieden-
der eintreffenden Flüchtlinge direkt zu tun
heiten thematisiert werden? Unser Befund: Die
hatten, operierten offenbar frei von Konflikten
drei Medien zusammengenommen brachten
und Problemen, jedenfalls fanden wir im Laufe
2015 (mit rund 53 Prozent) tatsächlich häufiger
sämtlicher Untersuchungsphasen (inklusive
solche Texte, die über kontroverse Positionen
der „heißen“ Phase August/September/Okto-
Viel Platz für
berichteten (siehe Tab. 15). Konfliktfreie Nach-
ber) nur 37 Erwähnungen (1,9 Prozent). Dassel-
streitende Politiker
richten (im Sinne unserer Definition) brachte
be gilt für die freiwilligen Helfer, die Initiativen,
die Süddeutsche (mit rund 51 Prozent) relativ
freien Träger und sozialen Einrichtungen. Über
am häufigsten.
deren Probleme etwa mit Ämtern und Behörden
Fanden die Redaktionen den Konfliktstoff
wurde so selten authentisch informiert, dass
so brisant, dass die Leser schon in der Über-
wir alle diese Bereiche in die Sammelkatego-
schrift darauf gestoßen wurden? Hier ist die
rie „Sonstiges“ gepackt haben (4,6 Prozent).
FAZ zurückhaltend: Nur jeder fünfte Bericht
Ganz anders die Konflikte mit der Rechtsord-
machte den Konfliktgehalt bereits im Titel-
nung und die darin involvierten Personen (Ver-
komplex deutlich (Überschrift, Unterzeile
dächtige, mutmaßliche Täter und Opfer): Diese
etc. – weiterführende Informationen siehe
kamen deutlich öfter zur Sprache (jeweils rund
41
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
7 Prozent). Dabei wurde auf Sensationalisie-
deutlich seltener sind es Konflikte auf der
rung weitgehend verzichtet, was sich daran
Ebene der Bundesländer, die aber dank CSU/
ablesen lässt, dass solche Konflikte häufiger
Seehofer häufiger schon im Titelkomplex an-
nur im Berichtstext, nicht aber im Titelkomplex
gekündigt werden. Die zahlreichen und für das
formuliert wurden.
Schicksal von Hunderttausenden Flüchtlingen
Andere EU-Staaten
Wegen der starken Dominanz der Politik
verheerenden Konflikte auf der Ebene interna-
waren selten Thema
themen und -akteure haben wir untersucht,
tionaler Organisationen (EU, Uno, Unicef u. Ä.)
welchen Bereichen die 1.340 Politik-Nennun-
waren nur ausnahmsweise relevant (6,1 Pro-
gen in den 738 „konflikthaltigen“ Berichten zu-
zent). Mit 15,5 Prozent galten als deutlich
zuordnen sind. Die Zuordnung (siehe Tab. 17)
skandalträchtiger Konflikte unter den auslän-
zeigt, dass die Zeitungsberichte in erster Li-
dischen Regierungen und Ministerien.
nie Kontroversen zwischen Politikern auf der
Bei knapp 800 der auftretenden prominen-
bundespolitischen Ebene groß herausstellen;
ten Akteure/Sprecher wurde die Zugehörigkeit
Tabelle 15: Anzahl Beiträge, die über Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten (MV) zu den Ereignisthemen berichten (n=1.386)
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Süddeutsche Zeitung
Die Welt
Gesamt
Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual
Konflikt/MV kommt im Titel komplex vor
Konflikt/MV wird im Bericht beschrieben
Konflikt/MV wird nicht thematisiert
Gesamt
97
171
224
492
19,7 %
34,8 %
45,5 %
100,0 %
120
115
247
482
24,9 %
23,9 %
51,2 %
100,0 %
116
119
177
412
28,2 %
28,9 %
43,0 %
100,0 %
333
405
648
1.386
24,0 %
29,2 %
46,8 %
100,0 %
Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, Anzahl Texte: 1.391. Quelle: Eigene Darstellung
42
Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
zu einer der politischen Parteien genannt. Der
rung, Finanzierung) galten Politiker der Linken
Befund: In die Kontroversen waren Politiker der
offenbar als irrelevant (während der analysier-
CDU im
CDU am häufigsten eingebunden, was deren
ten zwanzig Wochen kamen sie unter den er-
Konflikt-
„Sandwich“-Position zwischen den Koalitions-
fassten 1.932 Akteuren/Sprechern nur 31 Mal
Zentrum
partnern CSU und SPD wohl korrekt abbildet
vor).
(siehe Tab. 18). In den zahlreichen und mitun-
Sprecher der AfD – die Partei war damals
ter heftigen politischen Disputen (etwa über
schon in mehreren Bundesländer- und Kreis-
Grenzschließungen, Obergrenzen, Registrie-
parlamenten stark präsent – finden sich hier
Tabelle 16: Akteure/Sprecher in Berichten über Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten zu den Ereignisthemen (n=1.932 Akteure) Konflikt/MV kommt im Titel komplex vor
Konflikt/MV wird im Bericht be schrieben
Anteil*
Politik-Ebene allgemein, institutio nell, personenbezogen
72,1 %
66,9 %
69,4 %
Verwaltung auf Bundes- und Landesebene
1,9 %
2,0 %
1,9 %
Wirtschaft
1,2 %
1,0 %
1,1 %
Medien
3,6 %
2,6 %
3,1 %
Judikative
4,6 %
10,0 %
7,5 %
Interessenverbände
3,1 %
3,1 %
3,1 %
Personen (keine Funktionsträger)
5,4 %
8,5 %
7,0 %
Unpersönliche Quellen
2,8 %
2,0 %
2,3 %
Sonstiges**
5,3 %
4,0 %
4,6 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
Summe
* Anteil der jeweiligen Kategorie am Insgesamt (n) ** Sammelkategorie Sonstiges: Kommunale u. stadtnahe Einrichtungen; Kirche, Religion; Einrichtungen des Bereichs Kultur und Bildung; Soziale Einrichtungen, Medizin, Gesundheit, Rettungsdienst; Militär; Internationale Nichtregierungsorganisationen/NGOs; Fachmann, Experte, Gutachter. Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, Anzahl Texte: 1.391. Quelle: Eigene Darstellung
43
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
keine. Indessen kamen, wenn es um Kontro-
und/oder bestimmter Attribute (Adjektive, Ad-
versen mit rechts Außen ging, NPD-Positionen
verbien, Partizipien u. a.) ihren Berichten eine
genau sieben Mal als relevant zur Sprache.
spezifische Tonalität und damit ihren Lesern im Subtext zu verstehen geben, was „man“
Wie neutral und sachlich wurde berichtet?
von der Person oder ihrem Auftritt oder ihrer
Stimmungsmache
Aus welcher sprachlich-stilistischen Perspekti-
Argumentation halten soll. Ob der Akteur mit
in den Berichten
ve haben die drei Leitmedien über die mit dem
starrem Blick, mit nervöser Stimme, mit spitz
Flüchtlingsthema befassten und als relevant
gestreckten Fingern, von einem Bein auf das
eingestuften Akteure und Sprecher berichtet?
andere tretend, mit feuchter Stirn, mit herab-
Journalisten können ja – ohne zu kommentie-
hängenden Mundwinkeln und eingezogenem
ren – durch die Verwendung bestimmter Verben
Bauch, hüstelnd oder säuselnd das Wort er-
Tabelle 17: Akteure/Sprecher des Bereichs „Politik“ in Berichten über Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten (MV) (n=1.340 Akteure) Konflikt/MV kommt im Titel komplex vor
Konflikt/MV wird im Bericht beschrieben
Anteil*
EU-Ebene
4,4 %
5,8 %
5,1 %
Bundesebene – Regierung, Parlament, Ministerien, Kommissionen, Bundesrat
39,1 %
42,4 %
40,8 %
Landesebene – Regierung, Parlament Ausschüsse, unabhängige Kommis sionen
29,7 %
26,1 %
27,8 %
Regionale und kommunale Ebene – Landkreistag und Kreistag, Landrat, Stadtrat
11,5 %
8,0 %
9,7 %
Internationale Staatenbünde und Organisationen – UNO etc.
1,1 %
0,9 %
1,0 %
Ausland – nichtdeutsche Regierung, Parlament, Ministerien etc.
14,2 %
16,8 %
15,5 %
Summe
100,0 %
100,0 %
100,0 %
* Anteil der jeweiligen Kategorie am Insgesamt (n) Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, Anzahl Texte: 1.391. Quelle: Eigene Darstellung
44
Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
griff – oder ob er nur XYZ sagte, nur referierte,
Hinzu kommt eine weitere sprachlich-sti-
nur wiedergab, nur fragte usw.: Diese Unter-
listische Eigenart, die hier ebenfalls eine Rolle
schiede wirken sich auf den Tenor des Berichts
spielt: die Attitüde, als könne man gleichsam
Tendenziöse
und somit auch auf die Meinungsbildung bei
in die Köpfe derjenigen schauen, über die man
Formulierungen
den Lesern aus. Von daher geht es um die im
berichtet. Es sind Formulierungen (hier aus
Forschungsdesign in der Einleitung erläuterte
Zeitungsberichten über die Bundeskanzlerin
Qualitätsfrage: Wie neutral beschreiben die Be-
gefiltert) wie: Sie schaut glücklich, sie begeis-
richterstatter das auf viele Menschen emotio
tert sich, sie glaubt, sie fürchtet, sie wünschte
nalisierend wirkende Großthema „Flüchtlinge
sich, sie misstraute, sie träumte. Solche For-
in Deutschland“?
mulierungen gehören eigentlich in die Welt
Tabelle 18: Akteure/Sprecher des Bereichs „Politik“ in Berichten über Konflikte oder Meinungs verschiedenheiten nach Parteizugehörigkeit (n=795 Akteure) Konflikt/MV kommt im Titel komplex vor
Konflikt/MV wird im Bericht beschrieben
Anteil*
SPD
27,0 %
31,1 %
28,9 %
CDU
34,3 %
35,2 %
34,7 %
CSU
21,0 %
13,9 %
17,7 %
Die Grünen
8,2 %
11,2 %
9,6 %
FDP
1,2 %
1,6 %
1,4 %
Die Linke
4,4 %
3,3 %
3,9 %
AfD
0,0 %
0,0 %
0,0 %
NPD
0,9 %
0,8 %
0,9 %
Parteilos, andere Partei, Wählergemeinschaft
3,0 %
2,7 %
2,9 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
Gesamt
* Anteil der jeweiligen Kategorie am Insgesamt (n) Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, Anzahl Texte: 1.391. Quelle: Eigene Darstellung
45
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Abbildung 2: Berichterstattung über Vorgänge zum Thema Flüchtlinge/Asylsuchende: Tonalität der Berichte
Beobachtend-neutraler Stil
Textbeispiel: Pistorius sagte, die an den deutschen Grenzen vorübergehend wieder eingeführten Kontrollen seien sinnvoll. Der Schritt sei nötig geworden, weil das Tempo der Zuwanderung die Aufnahmekapazitäten überschritten habe. „In Niedersachsen erleben wir jeden Tag eine gelebte Willkommenskultur, fast täglich werden neue Flüchtlingsunterkünfte eröffnet“, sagte der Minister […]. (Welt.de 15.09.2015)
Beobachtend-nichtneutraler Stil
Textbeispiel: Junks erste Antworten, keine Frage, fallen ernüchternd aus. Sie werfen einen kühlen Schatten auf die vielen wärmenden Meldungen der vergangenen Tage: auf den Jubel über unsere Willkommenskultur, auf Merkels gelobte Wir-schaffen-das-Rede, auf das viele zusätzliche Geld, das Bund und Länder gerade beginnen lockerzumachen für die Menschen in Not; auf den Ruck, der durch das Land zu gehen scheint […]. (Welt.de 10.09.2015)
Auktorial-neutraler Stil
Textbeispiel: Die Möglichkeiten Bayerns, Flüchtlinge aufzunehmen, seien erschöpft: „Mehr geht nicht.“ Die Politik dürfe nicht vor der Lebenswirklichkeit kapitulieren, sonst drohe ein Kollaps, prophezeite Seehofer düster. Dramaturgischer Mut kann Seehofer schon deshalb nicht abgesprochen werden, weil er im gleichen Atemzug nicht verhehlte, wie begrenzt seine eigenen Handlungsmöglichkeiten sind […]. (Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.10.2015)
Auktorial-nichtneutraler Stil
Textbeispiel: Lucke hört ihnen zu, angespannt zwar wie ein Vater, der fürchtet, sein Sohn könnte beim Gedichtaufsagen den Text vergessen. Aber er hört zu. „Eine pauschale und unreflektierte Willkommenskultur, wie sie derzeit von der Bundesregierung vertreten wird, ist Ausdruck naiven und illusionären Denkens“, sagt Kölmel und fordert stattdessen eine „Hilfskultur“. (Welt.de 22.09.2015)
46
der Schriftstellerei, denn dort ist der Autor der
richterstatter der drei Tageszeitungen in diese
Herrgott seiner Romangeschöpfe; er weiß, wie
auf viele Leser vermutlich anmaßend wirkende
es seinen Kreaturen psychisch gerade geht. In
Rolle des Allwissenden und schreiben im aukto-
der Literaturwissenschaft spricht man vom auk-
rialen Stil über „ihre“ Protagonisten?
torialen Schreibstil. Auch Reporter des Maga-
Wir haben von jeder der drei Zeitungen aus
zinjournalismus (Storytelling) neigen zu dieser
jedem Quartal zehn Berichte nach dem Zufalls
Attitüde, wiewohl die damit verbundene Selbst-
prinzip als Stichprobe gezogen und eine Liste
überhöhung des Autors mitunter arrogant wirkt.
mit Attributen und färbenden Verben angelegt.
Inwieweit (und wie oft) schlüpfen nun die dem
Mit dieser Liste wurden alle 820 nachrichtli-
nachrichtlichen Geschehen verpflichteten Be-
chen Berichtstexte – das heißt keine Reporta-
Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
Tabelle 19: Attribuierung bzw. Tonalität der Berichte je Zeitung (n=820)
Anzahl Frankfurter Allgemeine Zeitung prozentual Süd deutsche Zeitung Die Welt
Gesamt
Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual
Beobachtend – neutral
Beobachtend – nicht neutral
Auktorial Auktorial – – neutral nicht neutral
161
28
24
65
278
57,9 %
10,1 %
8,6 %
23,4 %
100,0 %
131
49
27
84
291
45,0%
16,8%
9,3%
28,9 %
100,0 %
111
70
24
46
251
44,2%
27,9%
9,6%
18,3%
100,0%
403
147
75
195
820
49,1%
17,9%
9,1%
23,8%
100,0%
Gesamt
Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, Anzahl Texte: 1.391. Quelle: Eigene Darstellung
gen, Interviews, Essays etc. – abgesucht (siehe
Allwissenheit: Die Neigung, aus einer in
Tab. 19; das Codebuch kann online eingese-
trojektiven und insofern allwissend wirkenden
Allwissende
hen, siehe Hinweis im Anhang, S. 147).
Position heraus auktorial zu berichten, ist den
Journalisten
Neutralität: Die Auszählungen ergaben,
Journalisten der Leitmedien nicht fremd: Rund
dass rund die Hälfte aller Berichtstexte die To-
ein Drittel der Nachrichtentexte zeigt diese
nalität des neutralen Beobachters durchhält,
Attitüde. Unter den Journalisten der Süddeut-
dass also deren Verfasser auf Euphemismen,
schen Zeitung ist dieser Hang stärker, in der
Pejorative und dergleichen weitgehend ver-
Redaktion der Welt relativ am schwächsten
zichten. Mit rund 58 Prozent (= 161 Texte) ih-
ausgeprägt – die FAZ-Journalisten bewegen
rer tatsachenbetonten Texte berichtete die FAZ
sich zwischen diesen beiden Polen.
relativ am neutralsten. Den größten Anteil an
Tonalität je Partei: Wurden manche Partei-
nichtneutralen Berichten publizierte Die Welt
en bzw. deren Akteure neutraler, auch distan-
mit 70 Texten – rund 2,5 Mal mehr als die FAZ.
ziert-sachlicher beschrieben als andere? Auch
47
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Tabelle 20: Attribuierung bzw. Tonalität in Berichten nach politischen Parteien (Akteure/Sprecher, n=880). Jede Kategorie=100 % Beobachtend – neutral
Beobachtend – nicht neutral
Auktorial – neutral
Auktorial – nicht neutral
Anteil*
SPD
29,1 %
33,7 %
25,7 %
30,1 %
30,1 %
CDU
41,0 %
34,2 %
48,6 %
29,7 %
37,2 %
CSU
15,2 %
16,6 %
14,3 %
23,6 %
17,6 %
Die Grünen
8,5 %
8,8 %
5,7 %
8,7 %
8,4 %
FDP
1,3 %
1,0 %
0,0 %
1,0 %
1,1 %
Die Linke
3,9 %
2,1 %
1,4 %
3,1 %
3,1 %
AfD
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
NPD
0,0 %
1,0 %
1,4 %
0,1 %
0,3 %
Parteilos, andere Partei, Wählerge meinschaft
1,0 %
2,6 %
2,9 %
3,5 %
2,2 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100 %
Gesamt
* Anteil der jeweiligen Kategorie am Insgesamt (n) Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16. Anzahl Texte: 1.391. Quelle: Eigene Darstellung
in Bezug auf dieses in der Einführung genann-
Sprecher der beiden anderen Regierungspar-
te Qualitätskriterium haben wir die Akteure/
teien – und wenn auktorial, dann meist ohne
Sprecher in den berichtenden Texten genauer
negative Tonalität. Der weitere Befund über-
angeschaut (siehe Tab. 20 und 21). Insgesamt,
rascht: Unter den 880 identifizierten Akteuren
Kaum wertfreie
so der erste Befund, hatten die CDU-Politiker
wurde nur eine – wenn auch große – Minder-
Beschreibungen
die relativ beste Presse: Sie traten am häufigs-
heit (44,1 Prozent) quasi wertfrei, das heißt
ten auf, wurden neutraler beschrieben als die
sachlich-neutral wiedergegeben. Mit rund
48
Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
Tabelle 21: Attribuierung bzw. Tonalität in Berichten nach politischen Parteien (Akteure/Sprecher, n=880). Jede Partei=100 % Beobachtend – neutral
Beobachtend – nicht neutral
Auktorial – neutral
Auktorial – nicht neutral
Summe
SPD
42,6 %
24,5 %
6,8 %
26,0 %
100,0 %
CDU
48,6 %
20,2 %
10,4 %
20,8 %
100,0 %
CSU
38,1 %
20,6 %
6,5 %
34,8 %
100,0 %
Die Grünen
44,6 %
23,0 %
5,4 %
27,0 %
100,0 %
FDP
50,0 %
20,0 %
0,0 %
30,0 %
100,0 %
Die Linke
55,6 %
14,8 %
3,7 %
25,9 %
100,0 %
AfD
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
100,0 %
NPD
0,0 %
66,7 %
33,3 %
0,0 %
100,0 %
Parteilos, andere Partei, Wählerge meinschaft
21,1 %
26,3 %
10,5 %
42,1 %
100,0 %
Anteile am Gesamt
44,1 %
21,9 %
8,0 %
26,0 %
100,0 %
Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16, Anzahl Texte: 1.391. Quelle: Eigene Darstellung
jedem vierten Akteur gingen die Journalisten
zepts) aufgrund dieser Intimität dysfunktional
auktorial und zugleich wertend um, vor allem
wirkt. Ganz anders der Umgang mit den Akteu-
mit Politikern der CSU und der SPD. Diese auk-
ren der Linkspartei: So selten sie überhaupt
toriale Attitüde simuliert – wenn es um Bericht-
Erwähnung fanden, wurden sie überwiegend
erstattung geht – eine intime Kenntnis bzw.
beobachtend-neutral – und das bedeutet auch:
Simulation
Vertrautheit mit den Protagonisten, die (nach
so emotionslos wie ein Sachgegenstand – be-
von Intimität
Maßgabe unseres normativen Medienkon-
handelt und beschrieben.
49
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Diese Befunde der quantitativen Inhalts-
Berichten – dies zeigt eine qualitative Auswer-
analyse könnten zu dem Schluss führen, die
tung – wurden indirekt (vermittels der zitierten
Journalisten der Leitmedien seien nur mit dem
Akteure) Probleme, auch dissonante Stim-
Viele schreiben
Thema „Die Politik und die Flüchtlinge“ derart
mungslagen in der Beziehung zwischen der Po-
von oben herab
herablassend umgegangen. Dies wäre indes-
litikebene und der Vollzugsebene thematisiert.
sen ein Fehlschluss. Zum einen lässt sich die
Beispielhaft zeigt sich diese Dissonanz in der
beschriebene Attitüde auch in Berichten zu an-
Präsentation von Manfred Schmidt, dem dama-
deren Themen beobachten, sofern darin Bun-
ligen Chef des Bundesamtes für Migration und
despolitiker als Akteure auftreten. In anderen
Flüchtlinge (BAMF), der häufig interviewt wur-
Fällen zeigen sich Abstufungen. Den deutlichs-
de. Die Süddeutsche Zeitung befragte ihn Ende
ten Unterschied entdeckten wir zwischen der
April 2015 zu Problemen bei der Bewältigung
Beschreibung von Politikern auf Bundesebene
der Asylanträge. Diese wurden an die zustän-
(Parteichefs und Minister) und Akteuren auf
digen Ministerien delegiert. Als Schmidt bei
der lokalen und regionalen Ebene. Letztere
einer entsprechenden Frage darauf bestand,
werden eher neutral beschrieben. Zum ande-
dass Deutschland „schon immer“ ein Einwan-
ren ist diese Attitüde variabel. So wurde im
derungsland gewesen sei, kam die Nachfra-
Fortgang des Jahres 2015 die auktorial-werten-
ge: „Auch im Bewusstsein der Deutschen?“
de Beschreibung der Berliner Politiker deutlich
Schmidts Antwort: „Da hat sich sowieso viel
stärker. Sie transportierte zwei widersprüchli-
geändert. Wie viel Hilfsbereitschaft und Enga-
che Botschaften: Zum einen wird den Lesern
gement heute Flüchtlingen entgegengebracht
signalisiert, der Berichterstatter sei ein ver-
wird – das hatten wir vor zwanzig, dreißig Jah-
„Heute ist alles
trauter, auch intimer Kenner der Spitzenpoli-
ren nicht. Heute ist alles entspannter“ (Süd-
entspannter“
tiker, vielleicht weil er sich selbst zur Berliner
deutsche Zeitung, 27.04.2015). Auch die FAZ
Elite zählt. Die andere Botschaft lautet, dass
brachte den BAMF-Chef ihren Lesern näher. Mit-
ihn das verbale Lavieren der Politiker missmu-
te Juli forderte Schmidt in einem FAZ-Interview
tig mache, weil drängende Probleme zerredet
von der Regierung, dass man Asylsuchenden
oder verschoben, aber nicht gelöst würden.
aus sicheren Herkunftsländern, die keine Chan-
Deshalb schildere er nun, was in den Köpfen
ce auf Bewilligung des Asylantrags hätten, das
der Politiker vor sich gehe.
Taschengeld (140 Euro) streichen solle, um den Anreiz, nach Deutschland zu kommen, zu sen-
50
Stimmung und Stimmungsmache
ken. Vier Wochen später wiederholt die FAZ in
In der Berichterstattung der drei Leitmedi-
einem lobenden Porträt-Beitrag über Schmidt
en kam zwar insgesamt selten, im Laufe des
dessen Forderung (FAZ , 10.08.2015). Kurz da
Jahres 2015 indessen etwas häufiger auch die
rauf wurde er seiner Funktionen enthoben.
Vollzugsebene der Behörden und Regionen
Die damit verbundene implizite Botschaft
zur Sprache (siehe Tab. 16 und 17). In diesen
der Leitmedien lautete: Die Politiker in Berlin
Das Flüchtlingsthema in den Medien 2015/16
haben keine Strategie – und die Kommunen
Unterkünfte. Das bindet enorme Summen
müssen es ausbaden. So zeigte die Süddeut-
und Personal. Man kann es aber selbst
sche Zeitung im Mai 2015 die Probleme der
dem Gutwilligsten kaum noch erklären,
Kommunen musterhaft am Beispiel der Stadt
dass wir mit dem Kita-Ausbau kaum hin-
Duisburg auf – wenige Tage vor einer ange-
terherkommen, Schulen und Straßen
kündigten Konferenz der Bundesregierung
nicht sanieren können, weil wir gezwun-
mit sieben Ministerpräsidenten. Hier Auszü-
gen sind, die Lasten zu tragen, die entste-
ge aus einem Interview mit dem Duisburger
hen, wenn wir Menschen, die aus Krieg,
Oberbürgermeister, das die SZ ihrem Report
Not und Unterdrückung zu uns gekommen
beistellte:
sind, menschenwürdiges Wohnen ermög-
Problemsicht im Lokalen
lichen wollen. […] „SZ: Herr Oberbürgermeister, ärgert es
Wir sind darauf angewiesen, dass die
Sie, dass die Kommunen nicht mitreden
menschenwürdige Aufnahme gelingt.
dürfen, wenn es um Flüchtlinge geht?
Denn sogar in einer weltoffenen Stadt
Sören Link: Es ist bezeichnend und hoch-
wie Duisburg stößt man an Grenzen bei
gradig ärgerlich, dass diejenigen, die die
der Bevölkerung.“ (Süddeutsche Zeitung,
eigentliche Integrationsarbeit leisten,
08.05.2015)
nicht mit am Tisch sitzen. Es wird wieder nicht mit uns, sondern über uns gespro-
Die sich mit den Aufgaben alleingelassen füh-
chen.
lenden Kommunen waren ein Thema, das im
Was erwarten Sie denn?
Frühsommer 2015 hin und wieder aufbrach,
Dass sich Bund und Länder endlich zur
aber nicht weiter vertieft oder recherchiert
gesamtstaatlichen Verantwortung beim
wurde. Dies mag mit einem anderen Thema
Thema Asyl bekennen. Und dem auch
zusammenhängen, das im Sommer 2015 er-
Taten folgen lassen. Es kann nicht sein,
staunlich oft zur Sprache kam: die angeblich
dass die Koalition verspricht, Asylverfah-
gute Stimmung in der Bevölkerung. Diese
ren auf drei Monate zu verkürzen, und
wurde so beschrieben, dass sich die (west-)
dann mehr als sieben Monate Zeit dafür
deutsche Bevölkerung zu einer liberalen,
braucht.
fremdenfreundlichen und äußerst hilfsberei-
Was kommt da auf Duisburg zu?
ten Bürgergesellschaft gewandelt habe. Zwei
Schwer zu prognostizieren. Nach den
Dinge machten es diesen Wohlgesonnenen
derzeitigen Zahlen des Bundes gerech-
allerdings schwer: Das Eine sei die intern
net, erwarten wir dieses Jahr 1500 neue
uneinige Bundesregierung. Und das Ande-
Flüchtlinge in Duisburg. Und wir sind jetzt
re – im ferneren Sachsen vor allem – seien
schon am Rande unserer Kapazitäten. Wir
fremdenfeindlich und gewalttätig vagabun-
beschlagnahmen Wohnungen, wir bauen
dierende Gruppen, die wie ein Schatten die (in
51
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
den westdeutschen Kommunen) erstrahlende
der Berliner Ausländerbehörde, deren Chef
Willkommenskultur verdunkelten.
eingestand, dass dort „derzeit alles andere als
„Willkommenskultur“: Was war damit gemeint? Im Politikteil der Frankfurter Allgemei-
52
eine Willkommenskultur“ geboten werde (SZ, 09.06.2015).
nen wurden Politiker zitiert, die sich, als Flücht-
Den Medienberichten zufolge gewann das
lingsheime brannten, mit der erbaulichen
Schlagwort „Willkommenskultur“ im Früh
„Willkommenskultur in unserem Lande“ beru-
sommer 2015 eine für die Bewältigung der
higten (FAZ, 07.05.2015). Im Wirtschaftsteil der
Flüchtlingsproblematik geradezu magische
FAZ wurde mit „Willkommenskultur“ wiederum
Bedeutung und soll daher genauer in den Blick
Das Arbeits-
ein freundliches Arbeitsklima beschworen, um
genommen werden. Im nun folgenden zwei-
klima leidet
Fachkräfte nach Deutschland zu holen (z. B.
ten Teil wird in der Art eines Exkurses dieses
FAZ, 24.06.2015). In der Süddeutschen Zeitung
Medienthema untersucht. Mit dem dritten Teil
finden sich aus derselben Zeit Berichte, in de-
kehren wir dann zu den ausgewählten Großer-
nen Akteure über dringende Verbesserungen
eignissen zurück, die wir per Inhaltsanalyse
in dieser Hinsicht sprechen, zum Beispiel in
der Leitmedien unter die Lupe nehmen werden.
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
Teil 2: Die Erfindung der „Willkommenskultur“
1.
Turbulentes Meinungsklima
seien seitens der Bevölkerung in Deutschland nicht willkommen, glaubt das im Osten fast je-
Die überraschende Fremdenfreundlichkeit
der Zweite (47 %)“ (ebd.: 6 f.).
Zu Beginn des Jahres 2015 erschien der über-
Vor allem unter den jungen Erwachsenen, so
wiegende Teil der Deutschen im Licht der Auf-
die Emnid-Befragung, gäbe es praktisch keine
geschlossenheit, der Fremdenfreundlichkeit
Fremdenfeindlichkeit. Nur eine kleine Minder-
Fremdenfreundliche
und Hilfsbereitschaft: Dieses Bild vermittel-
heit sei der Meinung, „dass Einwanderer sich der
Deutsche
ten die Daten, die TNS Emnid im Auftrag der
deutschen Kultur anpassen“ und „mehr soziale
Bertelsmann Stiftung über das Meinungsbild
Kontakte zu Deutschen haben“ sollten. Woraus
zum Thema „Einwanderung“ erhoben hatte.
die Verfasser der Studie ableiteten, dass der
Ende 2012 und erneut Anfang 2015 war die Er-
„Umgang mit Vielfalt“ unter jungen Deutschen
wachsenenbevölkerung repräsentativ befragt
eine „Selbstverständlichkeit“ sei. Ausgeprägt
worden. Den Ergebnissen zufolge wurde „die
sei „auch das Bewusstsein in der Bevölkerung,
Willkommenskultur in Deutschland heute deut-
dass gelingende Integration und erfolgreiche
lich positiver bewertet als noch vor wenigen
Teilhabe spezielle Vorleistungen und Hilfestel-
Jahren“ (TNS Emnid 2015: 6). Auch in Bezug
lungen von Seiten der Aufnahmegesellschaft“
auf die Erwartungen an die Migranten war das
erforderten. Deshalb sähen die Befragten „pri-
Meinungsbild voller Optimismus: „97 Prozent
mär Handlungsbedarf darin, die Willkommens-
der Befragten [sagen], dass Einwanderer sich
kultur auszubauen“. Beispielsweise hätten sich
um ein gutes Zusammenleben mit Deutschen
„82 Prozent für spezielle Hilfen beim Arbeitsamt“
bemühen“; 2012 waren es 88 Prozent (siehe
ausgesprochen, während es im Herbst 2012 erst
Abb. 3). Und um den Integrationsprozess zu
68 Prozent waren (ebd.: 9).
stärken, „befürworten 62 Prozent, dass dauer
Diese ausgeprägte, zudem markant ge-
hafter Aufenthalt ermöglicht werden sollte
stiegene Fremdenfreundlichkeit überrascht
(2012: 55 %). 56 Prozent meinen, Deutschland
auch deshalb, weil die Migrationsforschung in
sollte die Einbürgerung erleichtern (2012:
Deutschland mit Beginn der 1990er Jahre – un-
44 %), und 54 Prozent meinen, die Benachtei-
ter dem Eindruck der Ausschreitungen in Ros-
ligung von Zuwanderern solle durch Gesetze
tock im August 1992 (vgl. Schmidt 2002: 61 ff.,
bekämpft werden (2012: 47 %)“. Allerdings war
200, 205; Brosius/Esser 1995: 19 f.) und ihren
„eine deutliche Ost-West-Differenz zu konsta-
Folgen – mit der Verbreitung fremdenfeindlicher
Fremdenfeindliche
tieren. Während in Westdeutschland lediglich
Einstellungen auch deren Merkmale zu untersu-
Deutsche
ein Drittel der Befragten glaubt, Einwanderer
chen begonnen hatte. Mehrere Studien stütz32
32 „Die ‚Asylantenschwemme‘ war Topos einer menschenfeindlichen Propaganda, die im Zuge der neuen Zuwanderung von Asylbewerbern aus Nordafrika wieder auftaucht. Die aggressive Abwertung, der Hass und die Gewalt gegen Asylbewerber verbanden sich übergangslos mit einer Fremdenfeindlichkeit und einem Rassismus, die sich auch gegen andere Gruppen von sogenannten Fremden richteten“ (Heitmeyer über die frühen 1990er Jahre, in: ders., 2012: 66).
53
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Abbildung 3: „Willkommenskultur“ in Deutschland Ende 2012 Februar 2015
97 88 62
59 49
Einwanderer werden bei uns willkommen geheißen
55
55 44
Einwanderer bemühen sich um gutes Zusammenleben
Dauerhaften Aufenthalt ermöglichen
Einbürgerung erleichtern
Datenbasis: TNS Emnid, n=2.024. Quelle: Eigene Darstellung
ten sich auf die im Zweijahresrhythmus durchge-
zurückging, „wählte die Hälfte der Befragten
führte Repräsentativerhebung der Allgemeinen
die ‚sorgenvollste‘ Antwortvorgabe: 55 Prozent
Die Mehrheit
Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften
im Westen und 47 Prozent im Osten machen sich
machte
(ALLBUS), deren Stichproben, zwischen Ost und
über die Zahl der Zuwanderer ‚große Sorgen‘,
sich Sorgen
West proportional verteilt, mehr als 3.000 Per-
und Befragte, für die das Thema kein Problem
sonen umfasst. Während noch für die 1980er
darstellt, bilden im Westen (11 Prozent) wie im
Jahre ein leichter Rückgang der Ausländerfeind-
Osten (13 Prozent) nur eine kleine Minderheit“
lichkeit ermittelt wurde (u. a. Wiegand 1992:
(Ahlheim/Heger 2000: 23). Dabei fällt auf, dass
623), kehrte sich der Trend in der Zeit nach der
Ende der 1990er Jahre in den neuen Bundes-
Wiedervereinigung um. Ungeachtet der Tatsa-
ländern in der Zuwandererfrage anscheinend
che, dass die Zahl der Asylbewerber infolge der
eine gegenüber den Westdeutschen liberalere
Asylgesetzänderung von 1993
Einstellung ermittelt wurde.
33
34
kontinuierlich
33 Näheres zum ALLBUS-Stichprobenverfahren findet sich im GESIS-Technical Report 4/2010: 44 ff., online unter http://www.gesis.org/fileadmin/upload/forschung/publikationen/gesis_reihen/gesis_methodenberichte/2010/ TechnicalReport_10-4.pdf (abgerufen Januar 2017). 34 Der sogenannte Asylkompromiss von 1993, mit dem das deutsche Asylrecht rigider gefasst und zu Teilen an das EURecht angepasst wurde.
54
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
Prekärer „gesellschaftlicher Zusammenhalt“
mittelte im Rahmen einer Langzeitstudie über
Über die ALLBUS-Sekundäranalysen fanden
„Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“
Die ALLBUS-
die Sozialforscher heraus, dass ein ganzes
2004 (GMF) in der ostdeutschen Bevölkerung
Analysen
Bündel von Faktoren mit dem Merkmal Frem-
bei 56,1 Prozent der Befragten einen Hang zur
denfeindlichkeit zusammengeht.
Dies sind:
Fremdenfeindlichkeit, unter Westdeutschen
die persönliche wirtschaftliche Lage (niedri-
bei 36,3 Prozent (GMF-Survey 2005: 13-34). Zur
ges Haushaltsnettoeinkommen), ausgeprägter
Erklärung ihrer Befunde bezogen sich die GMF-
„Standortpessimismus“ („Unsere wirtschaftli-
Forscher auf das weit gefasste Leitbild des „ge-
che Lage verschlechtert sich“), das Gefühl der
sellschaftlichen Zusammenhalts“, dem auch
persönlichen Benachteiligung sowie niedrige
unser deliberatives Konzept gesellschaftlicher
Schulbildung und autoritäre Erziehung. Aber
Verständigung zugrunde liegt.36 In der Alltags-
auch das Gefühl, politisch nicht gut informiert
welt zeige sich die Erosion des Zusammenhalts
zu sein, spielte eine prägende Rolle (Ahlheim/
vor allem darin, dass Teile der Bevölkerung
Heger 2000: 59-95). Reale Erlebnisse mit Aus-
andere Gruppen als minderwertig, störend,
ländern haben de facto keinen Einfluss: Sie
fremd, gar bedrohlich empfinden. Von daher
kommen im Faktorenset gar nicht vor. Die
der Titel der Langzeitstudie: „Gruppenbezoge-
Verfasser schreiben über diese Einflussgrö-
ne Menschenfeindlichkeit“. Sieben Jahre nach
ßen: „Sie spiegeln auch das öffentliche, ge-
dem Start beschrieben die Sozialforscher,
sellschaftlich-kulturelle Klima, das seinerseits
wie Fremdenfeindlichkeit mit der Abwertung
durch politische Programme und Ideologien,
sozial schwacher Gruppen einhergeht. Diese
Merkmale
durch öffentliche Reden und veröffentliche
sei bei jenen ausgeprägt, die „eine homoge-
der Feindlichkeit
Meinung stark bestimmt wird“ (ebd.: 74). Die-
ne Gesellschaft für erstrebenswert halten“
se Deutung war wohl seinerzeit plausibel, aber
(Zick/Küpper 2012: 171). Einerseits habe die
indem sie Fremdenfeindlichkeit mit Faktoren
Akzeptanz soziokultureller Vielfalt eher zuge-
erklärt, die keinen theoretischen Hintergrund
nommen. Andererseits äußerten mehr als die
besitzen, vereinfacht sie vermutlich zu stark.
Hälfte der Befragten „Überfremdungsängste“;
35
Andere, in den folgenden Jahren durchge-
rund 37 Prozent hielten „kulturelle Unterschie-
führte Erhebungen bestätigten zwar die zuvor
de“ gar für schädlich. Die Befragten wünschten
referierten Tendenzen, beobachteten aber eine
von Einwanderern „Anpassung“ an die deut-
Verschiebung der Fremdenfeindlichkeit in Rich-
sche „Leitkultur […], um ‚wie wir‘ zu werden“.
tung Ostdeutschland. Die Gruppe um Sozial-
Dabei gäbe es gar keinen Konsens über das,
forscher Wilhelm Heitmeyer beispielsweise er-
was „Leitkultur“ inhaltlich ausmache; das Kon
35 Korrelation: Die erwähnten Regressionsanalysen weisen für die unabhängigen Variablen einen „hochsignifikanten Einfluss“ auf Fremdenfeindlichkeit (als abhängiger Variable) nach. 36 Zur deliberativen Demokratietheorie als Theorie des verständigungsorientierten öffentlichen Diskurses siehe Einführung, S. 6-8.
55
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
strukt funktioniere wie eine Ideologie, mit der
Das Meinungsklima in der
man die anderen als Fremde stigmatisieren
lokalen Lebenswelt
Forderung nach
könne. „Die Forderung nach einer homogenen
Demoskopisch erfasste Stimmungslagen sind
homogener Kultur
Kultur richtet sich nach außen, und genau da-
Konstrukte. Sie zeichnen „weiche“ Bilder und
durch kann sie ausgrenzend sein“ (ebd.: 172 f.).
differieren infolge externer Einflussgrößen
Zu dieser Beschreibung passt auch der Befund,
(Wirtschaftslage; aktuelle politische Slogans
dass jeder vierte Befragte meinte, „Muslimen
u. a.) wie auch aufgrund verfahrensmethodi-
sollte die Zuwanderung nach Deutschland un-
scher Unterschiede (Frageformulierung und
tersagt werden“, und jeder zweite der Ansicht
Fragebogenkontext, Erhebungszeitraum, Mo-
zustimmte: „Es leben zu viele Ausländer in
dus der Befragung u. a.). Doch diese Schwan-
Deutschland“ (GMF-Survey 2010, in: Heitmey-
kungen verbleiben im niedrigen einstelligen
er 2012: 38).
Bereich. Langzeitstudien wie die oben zitierten
Einstellungen
Aus beiden Langzeitstudien hätten die Me-
sind zudem zuverlässiger, weil sie mit dem-
sind Konstrukte
dien also schon im Jahr 2012 folgern (und dies
selben Instrumentarium arbeiten (und insofern
auch thematisieren) können, dass die Bereit-
systembedingte Fehler neutralisieren). Sie ma-
schaft, Flüchtlinge aufzunehmen bzw. willkom-
chen deutlich, dass Auffassungen und Einstel-
men zu heißen, vor allem dort gering ist, wo
lungen gegenüber anderen Menschengruppen,
das Gefühl der eigenen Benachteiligung, der
Gesellschaften und Staaten relativ langlebig
Perspektivlosigkeit und des Missachtetwer-
sind. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen,
dens ausgeprägt ist. Man hätte erkennen kön-
wie sich der von Emnid (und anderen Markt-
nen, dass diese prekäre Gefühlslage mit dem
forschungsinstituten) nach 2012 gemessene
Wunsch zusammenging, in einer möglichst
Wandel zur fremdenfreundlichen Einstellung
sicheren, homogenen Welt (das heißt unter
in der Erwachsenenbevölkerung erklären lässt.
seinesgleichen) leben zu wollen. Und auch,
Im ersten Teil haben wir das medienwissen-
dass sich diese aversiven Gefühle gegen jene
schaftlich gut etablierte Modell der Leit- und Fol-
richteten, die den Sicherheitswunsch anschei-
gemedien erwähnt. Während wir dort zunächst
nend nicht ernst (genug) nahmen: in erster
die Berichterstattung dreier Leitmedien unter-
Linie die Eliten (Politiker, Wirtschaftsgrößen,
sucht hatten, geht es uns in Teil 2 um die Lokal-
Intellektuelle) inklusive des Journalismus der
und Regionalmedien, die sich – was das Über-
überregionalen Medien. Die Publizisten hätten
regionale betrifft – grosso modo an den Leitme-
damals erkennen können, dass das von den Eli-
dien orientieren. Angenommen, die Art und Wei-
ten verfochtene Vielfaltsparadigma diejenigen
se, wie die Medien über Migranten, Flüchtlinge
ausgrenzte, die sich als die Zukurzgekomme-
und Asylsuchende berichten, hat einen Einfluss
nen und Missachteten fühlten.
auf die Meinungsbildung der Erwachsenenbe-
37
37 Zum kulturellen Dissens zwischen Diversität und Identität vgl. Reckwitz 2016.
56
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
völkerung, dann trifft dies in besonderem Maße
sind und zugleich das Zusammenleben der
auf die lokalen Informationsmedien zu. Trotz
Menschen in der lokalen Alltagswelt direkt be-
sinkender Auflagen erreichen die Lokal- und
treffen. Beim emotional aufgeladenen Thema
Regionalzeitungen in ihren Verbreitungsgebie-
„Flüchtlinge in Deutschland“ ist dies gewiss
ten bis zu zwei Drittel der Deutsch sprechenden
der Fall. Um das von den Zeitungsberichten
Erwachsenenbevölkerung. Im Unterschied zu
vermittelte Stimmungsbild zu verstehen, das
den überregionalen Medien „übersetzen“ sie
der Flüchtlingsberichterstattung eine spezifi-
die thematische Großwetterlage ins Lokale und
sche Prägung gab (in der Einführung sprachen
Das lokale
bringen nicht nur eher abstrakt wirkende Nach-
wir vom Frame, der Akteure, Medien und Pu-
Meinungsklima
richten aus den Hauptstädten der Welt, sondern
blikum gleichsam zusammenbindet), haben
auch Nachrichten, Berichte und Geschichten aus
wir aus der WISO/Genios-Datenbank „Presse
der nahen Alltagswelt ihrer Leser. Sie vermitteln
Deutschland“ von 50 bundesweit gestreuten
zudem die von den lokalen Meinungsführern
Regionalzeitungen (aus den Jahren 2010,
vertretenen Auffassungen und beeinflussen die
2011 und 2015) eine Zufallsstichprobe von
lokale Themenagenda.
250 Berichten gezogen, die das Wort „Will-
38
Diesen spezifischen Leistungen der Lo-
kommenskultur“ enthielten. Bei der Lektüre
kalpresse – wir nannten sie in der Einführung
der Texte fiel uns auf, dass die meisten Zeitun-
die „Orientierungsfunktion“ – kommt auch
gen ungeachtet ihres Erscheinungsortes über
deshalb besondere Bedeutung zu, weil die
Äußerungen zur „Willkommenskultur“ nicht
Suche nach der
Lokalzeitung ebenso wie die Nachrichten des
nur positiv, sondern geradezu werbend be-
„Willkommens-
öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine hohe
richteten. Der Subtext vieler Berichte enthielt
kultur“
Glaubwürdigkeit besitzt.
So gesehen, ge-
die Botschaft, dass die Stärkung dessen, wo-
stalten bzw. prägen die Lokal- und Regional-
für das Wort Willkommenskultur steht, wirt-
zeitungen auch im Zeitalter des Web 2.0 mit
schaftlich notwendig und gesellschaftlich er-
seinen digitalen Plattformmedien das lokale
wünscht sei. Kritische Äußerungen betrafen
Meinungsklima wie auch die Einstellung zum
unzureichende Gegebenheiten, weshalb die
sozialen Zusammenleben wesentlich mit.
Willkommenskultur dringend verbessert wer-
39
Man kann also vermuten, dass die spezi-
den müsse (siehe die Zufallsauswahl von Aus-
fische Orientierungsfunktion bei solchen The-
zügen aus Lokal- und Regionalzeitungen des
men einflussstark ist, die politisch folgenreich
Zeitraums 2005 bis 2016 (S. 62-69).
38 Laut Media-Analyse 2016 erreichen die lokalen und regionalen Abonnementszeitungen mit werktäglich 33,4 Millionen Erwachsenen (48,0 % der Erwachsenenbevölkerung) mehr als jedes andere Informationsmedium (Quelle: BDZV 2016: 15). Dies gilt auch für die Internetnutzer, die sich für Lokales interessieren. Einer Erhebung von Bitcom im August 2016 zufolge nutzt mehr als ein Viertel der lokal Interessierten den Webauftritt der Lokalzeitung („Regionalzeitung wichtigste Quelle für lokale News im Web“), online unter https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/ Regionalzeitungen-wichtigste-Quelle-fuer-lokale-News-im-Web.html; abgerufen Januar 2017). 39 Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach: „Vertrauenskrise der Medien?“ November 2016, Allensbacher Archiv, IfDUmfrage 11049.
57
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Die Annahme, dass mit dem Thema „Will-
„Kultur des Willkommens“) im Verlauf der ver-
kommenskultur“ ein vermutlich einflussstarkes
gangenen rund zehn Jahre in den Printmedi-
mentales Klima erzeugt wurde, ist also nicht aus
en eine beeindruckende Karriere.41 Der hohe
der Luft gegriffen. Deshalb soll im Folgenden
mentale Nutzwert des Wortes lässt sich damit
der Frage nachgegangen werden, seit wann,
erklären, dass die Wortbedeutung einerseits
durch wen (Akteure/Sprecher) und in welchen
abstrakt-allgemein und insofern unbestimmt
Positiv
Kontexten das Thema „Willkommenskultur“ in
und auslegungsoffen, andererseits positiv
aufgeladenes
den Lokal- und Regionalzeitungen quasi auf
aufgeladen, also ein Euphemismus, ist. Seine
Schlagwort
Augenhöhe der Einheimischen verhandelt wur-
alltagssprachliche Bedeutung lautet: Fremden
de. Dabei interessiert uns, wie die Zeitungen
Menschen respektvoll begegnen und gegen-
den politischen Diskurs zum Komplex Willkom-
über Bedürftigen als der Gebende auftreten.
menskultur verarbeitet haben: Funktionierten
Dieser Modus gilt als eine den Zivilisationspro-
sie in Hinsicht auf die politisch-wirtschaftlichen
zess begleitende Tugend und gehört in (fast)
Meinungsführer eher als deren Verstärker, eher
allen Kulturen zum normativ begründeten Set
als neutraler Vermittler oder eher als kritisch
des reziproken Sozialverhaltens.42 Während
nachfragende Instanz? Um die Befunde der In-
dieses Verhalten in nomadisch strukturierten
haltsanalyse entsprechend interpretieren zu
Armutsgesellschaften vermittels strenger Ri-
können, müssen wir zuerst in Erfahrung brin-
tuale gelernt und internalisiert wird, kennen
gen, welche Bedeutung (bzw. welchen Bedeu-
die soziokulturell ausdifferenzierten Wohl-
tungswandel) das Wort Willkommenskultur
standsgesellschaften derart verbindliche Sit-
im Diskurs der politisch-wirtschaftlichen Mei-
ten und Gebräuche nicht (mehr). In unserer
nungsführer auszeichnete.
Gesellschaft wird das mit Willkommenskultur
40
etikettierte Sozialverhalten den verschiedenen Gastfreundschaft und Willkommen
Milieus und dort der Privatsphäre zugerechnet:
Ganz augenscheinlich durchlief das Wort Will-
Manche Gruppen und Individuen verhalten sich
kommenskultur (als Raffer des Ausdrucks
aus vielerlei Gründen fremdenfreundlich, an-
40 Zeitgleich lief dieses Thema natürlich auch über die Leitmedien, insbesondere die Fernsehnachrichten. Die damit verbundenen Interferenzen wie auch Verstärkereffekte müssen als Einflussgröße mit bedacht werden, wenn von Medienwirkungen die Rede ist. Im Rahmen dieser Inhaltsanalyse werden Wirkungen nur hypostasiert, nicht belegt. 41 Der Bedeutungszuwachs des Stichworts „Willkommens- und Anerkennungskultur“ kann in der Rubrik „Diskussion“ bei Wikipedia nachvollzogen werden. Die Begriffserklärung selbst hat sich dort inzwischen zu einem Volumen von 10.000 Wörtern bzw. 79.000 Zeichen aufgebläht (Stand Februar 2017). 42 Beispielhaft das Alte Testament: „Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott“ (3. Mose 19, 33 f.). Der gleiche Gedanke in der heutigen Politikersprache: „Menschen (haben sich) darum gekümmert, dass diejenigen Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen hierhergekommen sind, bei uns auch aufgenommen werden. Das bezeichnen wir als Willkommenskultur. Es ist die Bringschuld der Menschen, die hier sind, Menschen mit offenen Armen zu empfangen und ihnen einen Weg zu ebnen in unsere Gesellschaft“ (Rede von Klaus Wowereit auf dem außerordentlichen SPDBundesparteitag, 26.09.2010).
58
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
dere eher abgrenzend oder unfreundlich, man-
wohl nur durch deutlich erleichterte Aufnahme
che auch feindselig. Vor allem in sozial schwa-
und bessere Integration qualifizierter Arbeits-
chen Milieus mit hoher Fluktuation neigen
kräfte aus dem Ausland abgemildert werden.
Menschen offenbar dazu, ein fremdes Umfeld
Dazu ein Auszug aus einem Bericht des Mana-
(das betrifft etwa schon andere Stadtgebiete)
ger Magazins im Mai 2009 über eine Tagung
mit Stereotypen und Vorurteilen zu belegen;
des Wirtschaftsrates in Berlin:
in diesen Milieus beschränkt sich das mit Willkommenskultur benennbare Sozialverhalten
„‚Die Firma Deutschland hat Personal-
meist auf den engen Kreis der Verwandten und
probleme‘, resümierte Ratsvorsitzender
Freunde.
Klaus J. Bade am Dienstag in Berlin. ‚Wir
43
Der tradierte Sinn des Wortes wurde im
haben keine Willkommenskultur.‘ Und
Laufe der vergangenen zehn Jahre im politi-
das habe verheerende Folgen: Wenn es
schen Diskurs grundlegend verändert.
Aus-
jetzt nicht gelinge, die negative Wande-
Radikaler
gangspunkt war der von der Industrie rekla-
rungsbilanz zu verbessern, werde der
Sinnwandel
mierte Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften.
ohnehin harte Weg aus der Krise weiter
Die von der rot-grünen Regierung (Gerhard
erschwert, sagte Bade.“ (Manager Maga-
Schröder) geförderte Anwerbung ausländi-
zin 2009)46
44
scher Fach- und Spitzenkräfte blieb ohne nachhaltige Effekte; die Angeworbenen ver-
Argumente der Arbeitsmarktpolitik
ließen Deutschland nach kurzer Zeit wieder.
Aus Sicht der Wirtschaft sollten nun der Staat
Zudem entwickelte sich die Wanderungsbilanz
und seine politischen Behörden dafür sorgen,
deutscher Hochschulabsolventen, die zu Wei-
dass die in Deutschland lebenden Migranten
terbildungszwecken ins Ausland gingen, eher
wie auch qualifizierte Zuwanderer einfacher,
negativ. Seit 2005 berichteten Wirtschaftsme-
rascher und nachhaltiger in die Arbeitswelt ein-
„Die Firma
dien über Hochrechnungen und Prognosen,
gegliedert werden. Dies könne durch wirksame
Deutschland“
denen zufolge Deutschland „ab 2010“ ein
Hilfestellungen (wie kostenlose Sprachvermitt-
Fachkräftemangel drohe, der auch das Wirt-
lung, Einführungen in das deutsche Rechtssys-
schaftswachstum massiv gefährden und den
tem, Bereitstellung von Betreuern oder Paten
„unaufhaltsamen Niedergang des Westens“
für Behördengänge u. Ä.) geschehen – For-
nach sich ziehen werde. Dieser Trend könne
derungen, die nun mit dem der Sozialkultur
45
43 Die Sozialpsychologie bietet hierzu eine reich entfaltete Theoriewelt anhand der Begriffe „Einstellung“ und „Vorurteil“ (nach Davis 1964: 78). Aus unserer Sicht hat das Dual-Concern-Modell von Pruitt/Rubin (1986) viel Plausibilität (Näheres: Van Lange u. a. 2002: 387-403). 44 Vgl. die Systematisierung des Begriffs „in verschiedenen Ebenen“ bei Heckmann (2012) und, darauf aufbauend, bei Stehr/Jakob (2015). 45 Ulrich Berger/Christoph Stein, unter: https://www.heise.de/tp/features/Der-unaufhaltsame-Niedergang-des-Westens-3402046.html; 12.08.2005 (abgerufen Januar 2017). 46 Vgl. http://www.manager-magazin.de/unternehmen/karriere/a-627122.html (abgerufen Januar 2017).
59
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
entlehnten Euphemismus „Willkommenskul-
Entfaltungsmöglichkeiten offenstünden
tur“ verbrämt wurden. Die daran anschlie-
wie den Einheimischen. Gleichzeitig wur-
Die neuen
ßende Eingliederung in den Arbeitsprozess
den neue Programmrichtlinien beschlos-
Paradigmen
sollte durch Änderung der Bewilligungspro-
sen, denen zufolge das „Zusammenleben
zeduren (etwa Abschaffung der sogenannten
von Menschen unterschiedlicher Herkunft
Vorrangprüfung) sowie Erleichterungen (etwa
in allen Programmen des Senders als
bei der Anerkennung im Ausland erworbener
selbstverständliche Alltagswirklichkeit
Abschlüsse) verbessert werden, Maßnahmen,
darzustellen und zu thematisieren“ sei
für die man seit Anfang des Jahrzehnts den
(aus dem Tätigkeitsbericht Zambonini
in der Soziologie beheimateten Begriff Inte-
2007).
gration adaptierte, simplifizierte und mit der Schaffung von Integrationsbeauftragten u. Ä.
Auch der Politik gefiel die vieldeutige Beschwö-
behördlich organisierte.
rung einer neuen Sozialkultur. In zahlreichen
47
Länderparlamenten überboten sich AbgeordExkurs: Paradigmatisch für den Bedeu-
nete aller Parteien mit Kritik an der in Deutsch-
tungswandel des Begriffs Integration
land offenbar unzureichenden Willkommens-
wirkte die Anfang 2002 als eine Art Pi-
kultur. In der von uns durchgesehenen Par-
lotkampagne im Bundesland NRW partei-
lamentsberichterstattung blieb das von der
Fremden-
übergreifend beschlossene „Integrations
Migrationsforschung gut durchleuchtete Pro-
feindlichkeit
offensive“. Deren „Leitidee“ sei gewesen,
blem verbreiteter Fremdenfeindlichkeit tabu.
war tabu
„dass Migration nicht in erster Linie ein
Die Volksvertreter sprachen nicht über die Ur-
Problem, ein Defizit darstellt, sondern
sachen von Ressentiments und Feindseligkeit
dass Zugewanderte unerahnte (sic!) Po-
in der deutschen Gesellschaft, sondern über
tentiale für die wirtschaftliche und sozia-
Maßnahmen, die auf die Bleibebereitschaft
le Entwicklung sind. Die Landesregierung
der Zuwanderer in der Arbeitswelt fokussiert
suchte den Schulterschluss mit den Medi-
waren. Mit dieser Perspektive traten die Inte-
en, um eine Sensibilisierungskampagne
grationsbeauftragten mit unterschiedlichsten
zu starten.“ Der Westdeutsche Rundfunk
Vorschlägen und Forderungen in der Öffentlich-
„erkannte die Zeichen der Zeit“ und sorg-
keit auf. Hier zwei Berichte pars pro toto:
te mit seiner hausinternen „Offensive“
„Ihre 2008 begonnene Einbürgerungs-
dafür, dass Medienschaffenden mit Mig-
kampagne in Rheinland-Pfalz will die
rationshintergrund dieselben beruflichen
SPD-Landesregierung [...] fortführen.
47 Dabei wurde der in der soziologischen Theorie auf die Binnengesellschaft (und nicht auf Zuwanderung) festgelegte Begriff umfunktioniert und instrumentalisiert. „Integration ist heute ein verdächtig positiv besetzter Begriff. Alle politischen Lager, alle Religionsgemeinschaften, alle Vereine, ja selbst die zuständigen Innenminister, sprechen von der Notwendigkeit von mehr und besserer Integration. Niemand diskutiert jedoch darüber, wann es genug – oder auch zu viel – Integration gibt“ (Perchinig 2010: 19).
60
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
Die Integrationsbeauftragte des Landes,
abgeordnete [und Integrationsbeauftragte;
Maria Weber (FDP), ergänzte: ‚Wir sind
M. H.] Martin Neumayer zu Beginn seines
ein Einbürgerungsland. Wir brauchen
Vortrags [...] Einen Schwachpunkt sieht der
Zuwanderung aus demografischen und
Integrationspolitiker auch darin, dass die Kri-
wirtschaftspolitischen Gründen. Dafür
terien für die Integration nicht genau definiert
„Zuwanderung aus
brauchen wir eine Willkommenskultur.‘
sind. Die Gesellschaft brauche jedoch klare
wirtschaftspolitischen
[...] Nach Meinung der sozialpolitischen
Richtlinien, an die sich jeder Zuwanderer un-
Gründen“
Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion,
abhängig von Herkunft, Religion, Rasse und
Hedi Thelen, [...] gibt es bei der frühkind-
Geschlecht zu halten habe. Neumeyer [...]
lichen Sprachförderung als einem ‚der
wertet auch die Einrichtung des islamischen
wichtigsten Bausteine erfolgreicher Inte-
Religionsunterrichts als weiteres Beispiel für
grationspolitik‘ im Gegensatz zu anderen
Willkommenskultur. Denn dieser zeige, dass
Bundesländern deutliche Unzulänglich-
der Islam Teil unserer Gesellschaft sei, ‚Reli
keiten“ (Rhein-Zeitung 14.01.2010).
gionserziehung aber nur auf Grundlage unserer Werte und Rechtsgrundsätze erfolgen
„‚Wir haben jahrzehntelang Integration nicht
kann“ (Passauer Neue Presse 20.02.2010).
betrieben‘, sagte der Kelheimer Landtags-
61
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Die mediale Willkommenskultur 2005-2008 Auszüge aus Berichten zum Thema Migration, Flüchtlinge und Willkommenskultur (Zufallsauswahl aus Lokal- und Regionalzeitungen) „Im In- und Ausland kann man zunehmend auf die Marke Berlin und das gute Image der ‚Stadt bauen‘, sagt der Chef der Wirtschaftsförderung Berlin International (WFBI), Roland Engels. Man müsse aber auch eine ‚Willkommenskultur‘ schaffen. Die Wirtschaftsförderung habe mit dem ‚Business Welcome Package‘ sowie dem neuen, bundesweit einzigartigen ‚Business Recruiting Package‘ zwei Instrumente, die Investoren den Schritt nach Berlin leichter machen“ (Berliner Morgenpost 02.04.2005). „Mit Hilfe von zehn Integrationsleitlinien will die Landeshauptstadt eine Willkommenskultur aufbauen. Teil des Integrationskonzepts ist die Plakat-Aktion, mit der ältere Zuwanderer angesprochen werden. […] Die Aktion, die noch bis 30. November in Bussen und Bahnen laufen soll, ist ein Beitrag zu jener ‚Willkommenskultur‘, die die Landeshauptstadt mit Hilfe von zehn Integrationsleitlinien aufbauen und pflegen möchte“ (Saarbrücker Zeitung 26.11.2007). „Speziell die Kultur ist überhaupt ständig in aller Munde. Alles wird mit dem Wort Kultur verziert, sie treibt komische Blüten. So reden unsere Politiker neuerdings öfter von der ‚Willkommenskultur‘ für Investoren und Zuwanderer oder gar von der ‚Welcome-Kultur‘, das macht noch mehr her. Felicitas Kubala (Grüne) wünschte sich in der Haushaltsdebatte eine ‚parlamentarische Diskussionskultur‘“ (Der Tagesspiegel 30.12.2007). „,Die liberale Grundmelodie verliert sich‘ [Titel] Für den FDP-Bundestagsabgeordneten Hartfrid Wolff ist Schwarz-Gelb im Bund nach wie vor die Wunschkonstellation für 2009. In der Einwanderungspolitik dagegen vermisst er bei beiden ‚Staatsparteien‘, wie er CDU und SPD nennt, klare Bekenntnisse zum Einwanderungsland Deutschland. Dabei brauche die Gesellschaft Zuwanderung – vor allem die Qualifizierten. Hier fordert er ein Punktesystem angelehnt an Modelle der USA oder Großbritanniens und eine ‚Willkommenskultur‘“ (Badische Zeitung 03.04.2008). „,Je mehr kulturelle Vielfalt in einer Region integriert ist, desto besser ist ihre messbare Wirtschaftsleistung‘, betonte Hans Dietrich von Loeffelholz, Chefvolkswirt und Leiter der ökonomischen Migrations- und Integrationsforschung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, die positiven Auswirkungen einer ausgeprägten ‚Willkommenskultur‘, die allerdings in Deutschland noch fehle“ (Trierischer Volksfreund, Ausgabe Trierer Zeitung 25.08.2008).
62
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
„Die Integrationsminister der Länder wollen den Rückgang der Einbürgerungen in Deutschland stoppen. Sie wollten bei Ausländern künftig stärker für die deutsche Staatsbürgerschaft werben, kündigten sie in Hannover nach ihrer ersten gemeinsamen Konferenz an. ‚Wir wollen eine Willkommenskultur ausstrahlen‘, sagte Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Armin Laschet. Eine Arbeitsgruppe werde Vorschläge erarbeiten, damit sich mehr Menschen für die Einbürgerung entscheiden“ (dpa – hier: Gießener Anzeiger 01.10.2008). „Der 37-Jährige, der für den Stadt- und Kreisjugendring im Integrationsbeirat sitzt, als Marketingdirektor arbeitet und mehrere Sprachen spricht, ärgert sich über den ruppigen Ton, den Behördenmitarbeiter ihm gegenüber bisweilen an den Tag legen: ‚So würde man jemandem nicht begegnen, wenn er Karlheinz Müller heißt.‘ Integration, wünscht er sich, ‚muss gekoppelt sein an gelebte Willkommenskultur‘: Wenn Zuwanderer der vierten Generation sich in dem Land, in dem sie leben, nicht willkommen fühlen, ist etwas schief gelaufen“ (Heilbronner Stimme 05.11.2008).
Die mediale Willkommenskultur 2009 Auszüge aus Berichten zum Thema Migration, Flüchtlinge und Willkommenskultur (Zufallsauswahl aus Lokal- und Regionalzeitungen) „,Arbeiten wir entschlossen und ausdauernd genug daran, in diesem Land (wie in Deutschland überhaupt) eine Art ‚Willkommenskultur‘ zu schaffen, die Menschen – zu unser aller Vorteil übrigens – gern zuwandern lässt? Viele offene Fragen, gewiss. Sollten wir diese Fragen nicht mit einem entschlossenen ‚Ja!‘ beantworten können, dann tun wir offenbar nicht genug dafür, unser Land bzw. unser unmittelbares Umfeld zu einem solchen weltoffenen Ort zu machen. Das wäre enttäuschend genug […]“ (Mitteldeutsche Zeitung/Dessau 03.03.2009). „Ihre Integration passiert vor Ort. In Aachen. In Bonn. In Essen. In Düsseldorf. Zwischen den Bürgern und den Neubürgern. ‚NRW hat den Weg für die schutzbedürftigen Irakerinnen und Iraker bis zu ihrer Ankunft geebnet‘, sagte Laschet. ‚Nun muss er beschritten werden.‘ Der Minister will eine neue Willkommenskultur schaffen: eine, in der die Menschen Flüchtlinge als Bereicherung empfinden, und nicht als Belastung. Er ist sicher, dass die Menschen helfen. Aus Mitgefühl. Weil die angekommenen Flüchtlinge aufgrund ihres christlichen Glaubens im Irak verfolgt werden“ (Aachener Zeitung 06.04.2009).
63
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
„Fast alle einbürgerungswilligen Ausländer im Südwesten bestehen den seit einem Jahr vorgeschriebenen Test. Von September 2008 bis Ende Juli 2009 haben 8365 Menschen den Einbürgerungstest absolviert – davon 8256 mit Erfolg (98,7 Prozent). Nach Ansicht des Integrationsexperten Kerim Arpad hält der Fragebogen aber viele Ausländer davon ab, Deutsche zu werden: ‚Der Test ist keine schöne Willkommenskultur.‘ Der Städtetag Baden-Württemberg spricht dagegen von einem notwendigen Prüfstein für die Berechtigung zur Einbürgerung“ (dpa – hier: Badische Zeitung 26.09.2009). „Die Grünen-Integrationsexpertin Mürvet Öztürk mahnte deshalb die Landesregierung, in der Zwischenzeit ‚das Handeln nicht zu vergessen‘. Es gebe schon viele Erkenntnisse auf kommunaler Ebene, hier müsse konkretes Handeln auch ansetzen. Auch die Kommission selbst sollte sich ‚mutige Ziele‘ zu konkreten Verbesserungen etwa im Bildungsbereich setzen, forderte sie. Vor allem aber müsse sie einen gemeinsamen Konsens schaffen, eine ‚Willkommenskultur‘ etablieren helfen und Ängste in den Köpfen abbauen“ (Frankfurter Neue Presse 07.10.2009). „Seit 2003 gibt es in Saarbrücken ein Zuwanderungs- und Integrationsbüro (ZIB). Die Vorsitzende, Veronika Kabis, erklärt im Interview: Was ist die Aufgabe der Integrationspolitik? Sie muss die Migranten an die Institutionen hinführen, an Beratungs- und Bildungsangebote. Das ist Aufgabe der Kommune und der Einrichtungen in den Stadtteilen. Wir müssen eine Willkommenskultur schaffen, die die Menschen motiviert, sich einzubringen“ (Saarbrücker Zeitung 09.10.2009). „Sachsens Ausländerbeauftragte De Haas (65) ist seit 2004 im Amt und leitet es noch bis zur Neuwahl eines neuen Beauftragten geschäftsführend. ‚Zu einer Kultur des Willkommens zählt auch, dass sie verlässliche und kompetente Ansprechpartner haben‘“ (Leipziger Volkszeitung 19.10.2009). „Podiumsdiskussion zur Integration von Flüchtlingen im CPH – ‚Bayern braucht eine Willkommenskultur‘ [Titel] Elke Leo, die seit 2008 für die Grünen im Stadtrat sitzt, antwortet ganz klar: ‚Wenn wir die entsprechenden Mehrheiten bekommen, wird sich eine Willkommenskultur entwickeln.‘ Noch herrsche in Bayern zu sehr das Problemdenken, statt des Bewusstseins, dass Vielfalt bereichernd sein kann. Leo plädiert unter anderem für die Abschaffung von Gemeinschaftsunterkünften, für mehr Investitionen in Integrationsprojekte“ (Nürnberger Zeitung 16.07.2009).
64
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
Die mediale Willkommenskultur 2010 Auszüge aus Berichten zum Thema Flüchtlinge und Willkommenskultur (Zufallsauswahl aus Lokal- und Regionalzeitungen) „Rheinland-Pfalz registriert immer weniger Einwanderer. 2007 wurden 6.667 Ausländer eingebürgert, 2008 nur noch 5.159, sagte Sozialministerin Malu Dreyer (SPD). […] Die Integra tionsbeauftragte des Landes, Maria Weber (FDP), ergänzte: ‚Wir sind ein Einbürgerungsland. Wir brauchen Zuwanderung aus demografischen und wirtschaftspolitischen Gründen. Dafür brauchen wir eine Willkommenskultur‘“ (Rhein-Zeitung 14.01.2010). „Berlin – ‚Wir müssen Kriterien festlegen, die unserem Staat wirklich nützen‘, sagte der innenpolitische Sprecher der Berliner CDU, Peter Trapp, der ‚Bild‘-Zeitung. Maßstab müsse deswegen neben einer guten Berufsausbildung und fachlichen Qualifikation ‚auch die Intelligenz sein‘. ‚Ich bin für Intelligenztests bei Einwanderern‘, betonte Trapp“ (Berliner Morgenpost 29.06.2010). „Nach den Vorstößen aus der Union für Intelligenztests bei Zuwanderern haben aktuelle Statistiken über eine anhaltend niedrige Einbürgerungszahl die Debatte über eine sogenannte Willkommenskultur in Deutschland angefacht. Die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) plädierte am Dienstag für ‚eine Willkommenskultur, die Migranten mit ihren Potenzialen offen empfängt‘“ (Badische Zeitung 30.06,2010). „,Wir brauchen eine Willkommenskultur, die Migranten mit ihren Potenzialen offen empfängt. In den Einbürgerungsbehörden sollte verstärkt die Hand ausgestreckt werden‘, sagte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU)“ (Heilbronner Stimme 09.07.2010). „,Die Zuwanderung kann den Arbeitskräftemangel dämpfen, aber nicht beheben‘, sagte von der Leyen. De Maizière betonte, für Ingenieure aus Nicht-EU-Ländern gelte schon jetzt ein erleichtertes Verfahren. Ohnehin sei das Zuwanderungsrecht schon jetzt flexibel genug. Viele Ausländer wollten aber nicht nach Deutschland kommen, weil es hier zu Lande häufig an einer ‚Willkommenskultur‘ mangele. Die Angebote an Hochqualifizierte seien im Vergleich zu denen in anderen Ländern zudem oft nicht attraktiv genug“ (Rheinische Post 25.08.2010). „,Es müssen uns auch Menschen mit fremdländisch klingenden Namen willkommen sein‘, sagte Grünen-Landtagsfraktionschef Winfried Kretschmann gestern in einer Debatte im Landtag. […] Das Land brauche keine Leitkultur, sondern eine Willkommenskultur. […] Der Integrations-
65
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
beauftragte und Justizminister Ulrich Goll (FDP) verwies dagegen auf Erfolge: ‚Wir haben die höchste Erwerbsquote bei Migranten und die geringste bei den Sozialleistungsempfängern‘“ (Heilbronner Stimme 28.10.2010). „Ein neues ‚Wir-Gefühl‘, das Menschen mit und ohne Migrationshintergrund einschließt, als Fundament der Integration, fordert auch FDP-Stadtverordneter Stefan von Wangenheim. Inte gration bedeute nicht Assimilation. Er plädiert für eine ‚Willkommenskultur‘, zumal Deutschland Zuwanderung brauche und ein Einwanderungsland sei. Dafür erntete er Widerspruch von einem Zuhörer, der für sich in Anspruch nahm, für die Mehrheit der Deutschen und der FDP-Wähler zu sprechen. Er kritisierte, in der Diskussion werde zu viel Rücksicht auf Minderheiten genommen“ (Frankfurter Neue Presse 05.11.2010). „Selbst im Krisenjahr 2009 hätten fehlende Spezialisten die Wertschöpfung um 15 Milliarden gedrückt, warnte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). […] Das Handlungsgebot sei offenkundig, Deutschland brauche ein modernes Zuwanderungsrecht und eine ‚Willkommenskultur‘. Denn tatsächlich gäbe es seit zwei Jahren mehr Ab- als Zuwanderer, 2009 per Saldo 13.000. Gerade gut qualifizierte und leistungsbereite Mitbürger verabschiedeten sich“ (Fränkischer Tag 19.10.2010).
Die mediale Willkommenskultur 2015 Auszüge aus Berichten zum Thema Flüchtlinge und Willkommenskultur (Zufallsauswahl aus Lokal- und Regionalzeitungen im 1. Quartal 2015) „Das Forum für Willkommenskultur berät Willkommensinitiativen und qualifiziert deren Mitglieder, damit sie den Flüchtlingen sinnvolle Hilfestellungen bieten können“ (Kölner Stadtanzeiger 13.01.2015). „Augustinum unterstützt Flüchtlingshilfe [Titel] ‚Unser größtes Pfand ist die derzeit großartige Willkommenskultur in Überlingen‘, sagt Pursche. Auch wenn es noch viel zu tun gebe. Der Landkreis müsse die alten Unterkünfte gründlich sanieren, dies sei überfällig“ (Südkurier 13.01.2015). „Auch Landrat Ralf Reinhardt (parteilos) sprach sich für eine Willkommenskultur aus. ‚Niemand verlässt gerne seine Heimat in dem Wissen, vielleicht niemals mehr zurückkehren zu können.‘ Flüchtlinge seien eine Bereicherung für Deutschland. ‚Statt Abwanderung haben wir Zuwanderung. Endlich‘“ (Märkische Allgemeine 14.01.2015).
66
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
„Gemeinsam mit Vereinen, Kirchengemeinden und engagierten Bürgern will der Magistrat in den nächsten Wochen ein Programm erarbeiten, welche Hilfen den in Rüsselsheim untergebrachten Flüchtlingen über die grundlegenden Dinge hinaus noch angeboten werden können […]. ‚Entwurf eines Konzeptes zur Stärkung der Anerkennungs- und Willkommenskultur in Rüsselsheim‘, heißt das Schriftstück, das Bürgermeister Dennis Grieser (Grüne) am Donnerstag der Presse vorstellte“ (Main-Spitze 23.01.2015). „Willibrord Haas, erster Beigeordneter der Stadt Kleve, sagt: ‚Die Stadt legt großen Wert auf eine Willkommenskultur. Das Ziel ist es, allen Flüchtlingen eine Privatwohnung zu ermöglichen‘“ (Rheinische Post 24.01.2015). „Von einer Bürgerinitiative ausgehend, will die Stadt Jarmen eine Art Willkommenskultur für die demnächst erwarteten Flüchtlinge auf die Beine stellen. Und auch im benachbarten Tutow laufen bereits Bemühungen zur Integration der Menschen“ (Nordkurier 25.02.2015). „,Den Flüchtlingen muss geholfen werden‘ [Titel] Am WZ-Mobil zeigten sich die meisten Wuppertaler hilfsbereit. Kritische Stimmen gab es nur wenige […]. Für Bezirksbürgermeister Heiner Fragemann bleibt es auch angesichts des neuen Übergangsheims in der Grundschule bei der Solidarität für Flüchtlinge: ‚Eine Willkommenskultur hat nichts mit der Zahl zu tun‘“ (Westdeutsche Zeitung/Wuppertal 28.02.2015). „Flüchtlinge: Hilfe setzt auf vielen Ebenen ein [Titel] Willkommenskultur: Private und kommunale Initiativen zeitigen erste Erfolge – 185 Neuankömmlinge in der VG Zell im Vorjahr“ (RheinZeitung 16.03.2015). „Über 1000 Flüchtlinge leben derzeit im Landkreis Passau. Und man stellt sich auf weitere ein: Die Regierung sucht nach wie vor dezentrale Unterkünfte, der Landkreis wirbt für eine Kultur des Willkommens, Schulen richten Asylbewerber-Klassen ein, Gemeinden sind stolz auf ihre Helferkreise“ (Passauer Neue Presse 07.03.2015). „,Wir haben uns in Idstein dafür entschieden – Politik und Arbeitskreise –, dass die Menschen dezentral in kleinen Gruppen untergebracht werden – und zwar mitten unter uns, in unserer Bürgergesellschaft. Das ist für uns die richtige Lösung, weil in unserer Stadt eine positive Stimmung herrscht. Daraus resultiert eine hervorragende Willkommenskultur‘, sieht es Herfurth“ (Wiesbadener Tagblatt 18.03.2015).
67
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Die mediale Willkommenskultur 2016 Auszüge aus Berichten zum Thema Migration, Flüchtlinge und Willkommenskultur (Zufallsauswahl aus Lokal- und Regionalzeitungen im 1. Quartal 2016) „Jetzt erst scheinen die Politiker aufzuwachen. Innenminister de Maizière kündigte schon mal an, Straffälligkeiten strenger in die Asylverfahren einzubringen. Das ist sicher gut und richtig, aber es löst nicht das Problem, das seit Jahren wahlweise mit dem Mythos der ‚Willkommenskultur‘ oder der ‚Multi-Kulti-Gesellschaft‘ verschleiert wird. Dieses Problem ist, dass sich breite Schichten der Zuwanderer der Integration widersetzen“ (Taunus Zeitung 07.01.2016). „Nur wenige Monate liegen zwischen den Bildern: Münchner begrüßen klatschend Flüchtlinge am Bahnhof und skandieren ‚Refugees welcome‘ – Flüchtlinge willkommen. In Köln schreit wenige Tage nach den sexuellen Übergriffen von Ausländern auf deutsche Frauen ein wütender Mob Hassparolen in die Kameras. Die Stimmung ist gekippt. Mitgefühl und Verständnis für die Menschen, die Krieg, Folter und Bomben entfliehen, in mickrigen Schlauchbooten bei der Fahrt übers Mittelmeer erneut ihr Leben riskieren, um sich und ihren Kindern ein sicheres Leben zu bieten, verwandeln sich in Ablehnung“ (Passauer Neue Presse 16.01.2016). „Und pünktlich zum großen Finale der wochenlangen Spendensammlung setzte der Handballsport ein weiteres Zeichen für eine offene Willkommenskultur in Worms. Kurz vor dem Anpfiff des letzten Handballspiels des Jahres 2015 übergaben die Oberligamannschaft der HSG Worms und deren Gäste vom HV Vallendar weitere 40 Happy-Boxen an die Initiatoren“ (Wormser Zeitung 18.01.2016). „Die kritischen Stimmen werden lauter. Wo immer Flüchtlinge auf die hiesige Gesellschaft treffen, mehren sich Zweifel und Skepsis. Auf der einen Seite dominiert die Willkommenskultur, auf der anderen Seite macht sich Abneigung breit. Ist das gesunder Menschenverstand, Pessimismus oder schon Rassismus? Dieser Frage ging ein Vortrag im Borchener Mallinckrodthof nach“ (Neue Westfälische/Paderborner Kreiszeitung 23.01.2016). „Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter sagte, Merkel gebe neue Töne von sich, die ‚ein trauriges Abrücken von der Willkommenskultur‘ markierten. Seit fast fünf Jahren herrscht Bürgerkrieg in Syrien, ein Ende der Gewalt ist nicht in Sicht. Friedensgespräche in Genf sollen den Weg für eine politische Lösung bahnen“ (Nürnberger Zeitung 01.02.2016).
68
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
„Dass die Aktion in Torgelow stattfinden konnte, ist in erster Linie […] ehrenamtlichen Helfern aus der Flüchtlings-Gemeinschaftsunterkunft in Torgelow und aus dem Verein Willkommenskultur zu verdanken. Sie kennen den an Blutkrebs erkrankten Muslim. ,Wir können nichts gegen die Krankheit tun, aber mit dieser Aktion können wir die Hoffnung stärken, dass ein lebensrettender Stammzellenspender gefunden wird‘“ (Nordkurier/Haff-Zeitung 22.02.2016). „‚Hannover war gut zu uns‘, sagt die heute 38-jährige Düzen Tekkal, ‚durch die Politik der SPD war unsere Integration, waren unsere Karrieren möglich. Aber dann hat sie uns nicht mitgenommen. Wir brauchen jetzt Ankommenskultur statt Willkommenskultur‘“ (Leipziger Volkszeitung/ Dresdner Neueste Nachrichten 10.03.2016). „Die Landkreise Wunsiedel, Tirschenreuth, Hof und die Stadt Hof sind vier der bundesweit 218 Kommunen, die seit 2015 bis 2019 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Geld für Demokratieförderung und zur Extremismusprävention bekommen. […] Gefördert werden Projekte, die die politische Bildung, die Vernetzung und das gegenseitige Kennenlernen von Einheimischen und Asylsuchenden ermöglichen und verbessern. Gefragt sind Vorhaben, die Positionen gegen Menschenfeindlichkeit stärken, beispielsweise mit Aktionen gegen Antisemitismus, Homophobie oder Islam-Feindlichkeit sowie auch aktuelle Projekte zur Willkommenskultur“ (Frankenpost/Marktredwitz 30.03.2016).
69
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
2. Die Politik – Vom Argument zur Kampagne
ner primär ökonomischen Motivation heraus“ (Stehr/Jakob 2015). Nach Maßgabe dieser Zwecksetzung wurde
Im August 2010 übernahm Innenminister
das neue Schlagwort in der Wirtschaft und von
Thomas de Maizière das Stichwort Willkom-
der Politik instrumentell durchbuchstabiert
menskultur, als er den Forderungen der In-
und entsprechend operationalisiert. Eine die-
dustrievertreter nach Bewilligungserleichte-
ses Verständnis repräsentierende Umschrei-
rungen Folgendes entgegenhielt: „Wir haben
bung lautete:
in Deutschland leider keine ‚Willkommenskultur‘. Entscheidend ist doch auch, wie die Men-
„Der Begriff ‚Willkommenskultur‘ signali-
schen behandelt werden, die zu uns kommen.
siert ein aktives Zugehen auf ausländische
„Da liegt
Da liegt manches im Argen“ (Handelsblatt
Fachkräfte und verdeutlicht darüber, dass
manches
10.08.2010). Diese Reklamation einer „not-
erkannte gesellschaftliche Defizite beho-
im Argen“
wendigen“ Willkommenskultur signalisierte
ben werden sollen. Es handelt sich damit
einen Paradigmenwechsel (vgl. Buscher u. a.
um einen politisch-programmatischen
2013: 3). Von nun an befassten sich zahllose
Begriff der Arbeitsmarktpolitik. Willkom-
Gesprächskreise, Ausschüsse und Treffen von
menskultur wird definiert als alle zwischen
Beauftragten im Umfeld von Politik und Wirt-
den beteiligten Institutionen des Anwer-
schaft mit der Implementierung dessen, was
belandes abgestimmten Maßnahmen, die
unter Willkommenskultur verstanden wurde.
darauf gerichtet sind, die mit einer Ein-
Die Bundesvereinigung deutscher Arbeit-
wanderung nach Deutschland tatsächlich
geberverbände (BDA) verteilte im Juni 2012
oder vermeintlich verbundenen Hürden
eine Broschüre namens „Willkommenskul-
(‚Transaktionskosten‘) für Migranten und
tur – ein Leitfaden für Unternehmen“. Darin
ihre Angehörigen zu senken, wobei dieser
wurde den Geschäftsleitungen klargemacht,
Aufwand allein aus Sicht der Einwanderer
dass ausländische Mitarbeiter ihr Unterneh-
bestimmt wird. Denn an sie richten sich
„Zugehen
men „bereichern“ könnten, sofern ihnen dort
diese willkommen heißenden Maßnah-
auf Fachkräfte“
„Sprachkenntnisse, Kulturkompetenz, Mobili-
men.“ (Siegert/Buscher 2013: 69 f.)
tät, Belastbarkeit, Mut und Risikobereitschaft“ vermittelt würden.48 Zusammengefasst: „Der
Das Dreiphasenmodell
Begriff Willkommenskultur – ebenso wie die
Die Bundesregierung blieb nicht untätig.49 Da-
Forderung nach selbiger – entstand aus ei-
von ausgehend, dass die regionalen Amts- und
48 Zit. nach Die Welt 26.07.2012. Unter der Überschrift „Deutschland unattraktiv für qualifizierte Ausländer“ wurde auch Michael Stahl von Gesamtmetall zitiert: „,Eines unserer größten Probleme ist die Willkommenskultur‘, Deutschland werde im Ausland immer noch als bürokratisch und intolerant wahrgenommen.“ 49 Beschlossen wurden Gesetzesänderungen und neue Verordnungen zur Verbesserung der Aufenthalts- und Arbeits bedingungen vor allem für hochqualifizierte Zuwanderer.
70
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
Funktionsträger Handreichungen zur Organisa-
Zum Beispiel sind hochqualifizierte Neu-
tion des neuen Willkommenskulturklimas be-
zuwanderer insbesondere dann an einem
nötigten, schufen das Bundesministerium des
langfristigen Aufenthalt in Deutschland
Innern (BMI) und das Bundesministerium für
interessiert, wenn sie in Deutschland auf
Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
eine ausgeprägte Anerkennungskultur
„Richtlinien zur Förderung von Maßnahmen zur
und eine insgesamt offene Gesellschaft
gesellschaftlichen und sozialen Integration
treffen.“ (BAMF 2011)50
von Zuwanderinnen und Zuwanderern“, die im März 2010 in Kraft traten. Der im fachöffent-
Diese Umschreibung traf die von der Wirtschaft
lichen Diskurs mit der Bezeichnung „unzurei-
gewollte Zwecksetzung: Die neue Willkom-
chende Willkommenskultur“ deutlich gemach-
menskultur solle insbesondere „im Sinne der
te Problemdruck bewirkte, dass nun auch die
Attraktivität Deutschlands für hochqualifizierte
Ämter und Behörden mit diesem Schlagwort
Zuwanderer“ funktionieren (ebd.). Doch dann,
hantierten. So mühte sich das Bundesamt für
im Laufe der folgenden zwei Jahre, wurde der
Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Sommer
Begründungszusammenhang verändert: Die
Neue BAMF-
2011, das Begriffskonglomerat (Willkommens-
utilitäre Zwecksetzung verschwand zugunsten
Richtlinien 2011
und Anerkennungskultur plus Integration)
einer auf das Gesellschaftsganze bezogenen
im Sinne der auf Integration ausgerichteten
normativen Rechtfertigung. In seinem Projekt-
„Richtlinien“ zu beschreiben. Im Mai 2011 lau-
bericht des Jahres 2012 schrieb das BAMF, es
tete seine Definition so:
gehe jetzt um die „Förderung des sozialen Zusammenhalts durch Etablierung einer Willkom-
„Legt man einen modellhaften Zuwan-
menskultur“ (S. 13). Diese Etablierung bedeu-
derungsprozess aus den drei Phasen
tet, „die gesellschaftlichen Rahmenbedingun-
‚Vorintegration‘, ‚Erstorientierung‘ und
gen für Menschen mit Migrationshintergrund
‚Etablierung in Deutschland‘ zugrunde,
möglichst attraktiv zu gestalten, und beziehe
so eignet sich die Verwendung des Be-
sich auf die Phase der Erstinformation und Erst
griffs Willkommenskultur insbesondere
integration“. Besonders wichtig war nun dem
für die ersten beiden Phasen. Hier findet
BAMF dies: „Das Willkommenheißen darf nicht
das eigentliche ‚Willkommen‘ statt und
nur durch offizielle Stellen erfolgen. Vielmehr
hier können/sollen Angebote der Vor-
erwächst das Gefühl, willkommen zu sein, aus
integration dafür sorgen, dass Zuwan-
persönlichen Begegnungen und wird durch das
„Persönliche
derer zielgruppengerecht auf das Leben
zivilgesellschaftliche Engagement unterstützt“
Begegnungen“
in Deutschland vorbereitet werden. [...]
(S. 15).
50 http://www.bamf.de/SharedDocs/Meldungen/DE/2011/20110519-nuernberger-tage-integration-willkommenskultur. html (abgerufen Januar 2017).
71
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Rückblickend kann man diesen Begrün-
gab es bereits mehr als 200.000 Asylanträge
Übernahme in
dungswandel als einen Strategiewechsel deu-
in Deutschland) für die Einwanderungs- und Ar-
Parteiprogramme
ten, nachdem das BAMF wie auch einschlägige
beitsmarktpolitik reserviert. Nachfolgend ein-
Einrichtungen auf Länderebene erkannt hatten,
schlägige Passagen aus den Parteibeschlüssen:
dass bundesbehördliche Maßnahmen allein nicht greifen. Folgenreicher sei eine im Alltag
Beschluss des SPD-Parteitages im De
spürbare, veränderte Einstellung in der Bevöl-
zember 2011: „Fachkräftemangel und
kerung. In den Projekt- und Tagungsberichten
Einwanderungspolitik:
des BAMF lässt sich dieser Wandel nachvollzie-
berichten, dass es oftmals nicht gelingt,
hen. So wurden in den Jahren 2011 bis 2014 sol-
die besten Köpfe für Existenzgründungen
che „Best-Practice“-Projekte gefördert, die sich
in Deutschland zu akquirieren. Wir brau-
„Wir brauchen
am Ort des Geschehens etwa um die „Stärkung
chen erleichterte Visaregelungen und vor
vor allem ...“
der interkulturellen Kompetenz“ zwischen Deut-
allem eine Willkommenskultur [Hervorhe-
schen und Migranten, um „Gewalt- und Krimina-
bungen M. H.] für Hochqualifizierte, wie
litätsprävention“ und um die „Erziehungskom-
sie z. B. in den USA oder in Canada, aber
petenz“ etwa türkischer Eltern kümmerten.
auch in Singapur Gang und Gebe sind.“
51
Unternehmen
(Beschlussbuch S. 100) Willkommenskultur in den
Beschluss des SPD-Bundesparteitages
Parteiprogrammen 2010-2014
vom 14. bis 16. November 2013: „Auf-
Dieser Lernprozess auf der behördlichen Voll-
grund der demographischen Entwicklung
zugsebene lässt sich auf der Ebene der Partei-
werden wir in Zukunft noch stärker darauf
enpolitik nicht nachzeichnen. In den maßgeben-
angewiesen sein, junge und talentierte
den Parteiprogrammen und Entschließungen
Fachkräfte für ein Leben in Deutschland
wurde weiterhin getrennt zwischen den utili-
zu gewinnen. Das kann nur mit einer ech-
tären Zwecken, die sich mit dem ökonomisch
ten Willkommenskultur gelingen, für die
gewollten „Einwanderungsland Deutschland“
wir uns offensiv einsetzen.“ (Beschluss-
verbinden, und den humanitären Geboten, die
buch S. 133)
sich aus dem Asylrecht ergeben. Dementspre-
Beschluss des CDU-Parteitags im Novem
chend blieb das Schlagwort Willkommenskultur
ber 2011 (gemeinsam mit der CSU): „In
in den Parteiprogrammen bis ins Jahr 2014 (da
den nächsten zehn Jahren soll der Anteil
52
51 Ein gutes Beispiel für andere: Unter dem Dach des Caritasverbandes betrieb der „Sozialdienst katholischer Frauen e. V.“ in Bamberg drei Jahre lang das Projekt „STOPP! gegen Rassismus – für Zivilcourage und interkulturelle Sensibilisierung für Oberfranken West“. Dabei wurden u. a. „aktuelle Recherchen zur regionalen Antirassismusarbeit“ durchgeführt und „Datenmaterial zu Rechtsextremismus beschafft, ausgewertet und Kooperationspartnern sowie der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt“ (Projektbericht 2012: 97). 52 Den Begrifflichkeiten des Bundesinnenministeriums zufolge wird zwischen Zuwanderern (alle Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, nach Deutschland kommen und wohnhaft werden wollen) und Einwanderern (deren Einreise und Aufenthalt von „vornherein auf Dauer geplant und zugelassen werden“) differenziert.
72
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
ausländischer Wissenschaftlerinnen und
erfolgreichen Einstieg in das Leben in
Wissenschaftler an den Hochschulen auf
Deutschland und den Start in den Berufs-
„Start in den
mindestens 20 Prozent steigen. Attrak-
alltag unterstützen.“ (Kapitel: „Vielfalt be-
Berufsalltag“
tive Rahmenbedingungen sind Teil einer
reichert – Willkommenskultur schaffen“)
neuen Willkommenskultur. Dazu gehören
Beschluss des CDU-Parteitags (gemein
neben langfristigen Beschäftigungsper-
sam mit der CSU) vom 5. April 2014:
spektiven für Nachwuchswissenschaft-
„Willkommens- und Anerkennungskultur
lerinnen und Nachwuchswissenschaftler
für Fachkräfte[:]„Um den wirtschaftlichen
auch Bleibemöglichkeiten für Hochschul-
Erfolg und den Wohlstand in Deutschland
absolventen ausländischer Herkunft.
auf Dauer zu erhalten, müssen wir ver-
Insbesondere dort, wo Fachkräftebe-
stärkt qualifizierte und leistungsbereite
darf besteht, wollen wir prüfen, ob eine
Menschen aus anderen Ländern für uns
Verbesserung möglich ist, zum Beispiel
gewinnen. Sie sind bei uns willkommen.
durch eine Senkung der für eine Aufent-
Bereits heute fehlen uns Fachkräfte in
haltsgenehmigung nötigen Einkommens-
einigen Branchen. Dieser Mangel wird in
grenze.“ (Beschluss „Bildungsrepublik
den nächsten Jahren zunehmen. Daher
Deutschland“, S. 38)
haben wir die Weichen für die Zuwande-
Beschluss des CDU-Parteitags (gemein
rung von Fachkräften bereits richtig ge-
sam mit der CSU) am 4. Dezember 2012:
stellt: Berufsabschlüsse aus dem Ausland
„Wir brauchen eine gelebte Willkom-
werden leichter anerkannt. Und die soge-
menskultur und eine gezielte Ansprache
nannte Blaue Karte gibt Hochqualifizier-
von Hochqualifizierten im Ausland. Eine
ten ein Aufenthaltsrecht in Deutschland
Willkommenskultur muss sichtbar und
und der EU. Zudem setzen wir uns für eine
spürbar werden – beginnend mit der An-
Willkommenskultur ein, die dafür sorgt,
kunft in Deutschland [...].“ (Beschluss
dass Deutschland für qualifizierte Zuwan-
Für „qualifizierte
„Starkes Deutschland“)
derer attraktiver wird.“
Zuwanderer“
CDU-Wahlprogramm
2013:
„Willkom-
menskultur für kluge Köpfe[: …] Wir brau-
Diese Passagen zeigen, dass sich beide Volks-
chen eine Kultur, die eine schnelle und
parteien um den „Wohlstand in Deutschland“
erfolgreiche Integration ermöglicht. Eine
sorgen. Ihnen ging es seit 2008 (sogenann-
solche Willkommenskultur muss sichtbar
te „Einbürgerungskampagne“ in Rheinland-
und spürbar werden – beginnend bereits
Pfalz) und noch im Jahr 2014 allein darum, dass
in den Herkunftsländern […]. Wir wollen,
möglichst viele „Hochqualifizierte“, „kluge
dass Rathäuser zu ‚Willkommenszentren‘
Köpfe“ usw. möglichst lange in Deutschland
werden, die neue Zuwanderer in prakti-
arbeiten. Da aber das ausländerunfreundliche
schen und rechtlichen Fragen für den
Meinungsklima in Deutschland dem entgegen-
73
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
stehe, solle jetzt eine „echte“, „neue“, „ge-
Beschluss des CSU-Parteitags 29. und
lebte“ Willkommenskultur „etabliert“ werden.
30. Oktober 2010: „Ungesteuerte Zuwan-
Dieser Appell hat keinen realen Adressaten;
derung birgt das große Risiko neuer In-
wo einer genannt wird, dient er als Sinnbild
tegrationsprobleme. Ein prognostizierter
(Rathäuser als „Willkommenszentren“ u. Ä.).
Fachkräftemangel kann kein Freibrief für
Deutlich wird indessen: Den Parteien liegt dar-
ungesteuerte Zuwanderung sein. Der Zu-
an, „dass Deutschland für qualifizierte Zuwan-
zug von Hochqualifizierten und von Fach-
derer attraktiver wird“ (siehe oben). Überspitzt
kräften ist ausreichend geregelt“ (7-Punk-
gesagt: Die Bürger und Einrichtungen sollen
te-Integrationsplan, S. 2); „Der Sprach-
„Sprachnachweis
sich im Interesse der deutschen Industrien,
nachweis muss mit aller Konsequenz ein-
einfordern“
des Arbeitsmarktes und des Wirtschaftswachs-
gefordert werden. Für den Nachzug von
tums aktiv dafür einsetzen, dass Zuwanderer,
Kindern soll das Alter, ab dem die deut-
sofern qualifiziert und arbeitsam, sich unter
sche Sprache beherrscht werden muss,
Deutschen so wohlfühlen, dass sie als Migran-
von 16 auf 12 Jahre herabgesetzt werden.
ten möglichst lange dableiben.
Je jünger Kinder bei der Einreise sind,
Opportunistisches
Dieses opportunistische Denken wurde von
desto besser können sie sich integrieren
Denken
der CSU, soweit sie für Bayern spricht, zunächst
und desto größer sind ihre Chancen auf
nicht geteilt. Sie reklamierte seit 2007 eine
Teilhabe in Gesellschaft und Arbeits-
kulturkonservative, die Werteordnung schüt-
markt“ (ebd., S. 3); „Jeder Integrations-
zende, weiche Integrationspolitik, die den
willige hat Anspruch auf Förderung und
„Grundwertekonsens“ nicht gefährden dürfe.
Unterstützung. Wer nicht bereit ist, sich
Diese Position machte sie mit ihrem „Integra-
zu integrieren, muss konsequent sank-
tionsplan“ 2010 erneut augenfällig (siehe die
tioniert werden. […] Wer die Integration
folgenden Beschlusstexte). Drei Jahre später –
seiner Familienangehörigen behindert,
zum Start der renovierten Großen Koalition –
wird wie bei eigener Integrationsverwei-
ändert die CSU ihr Argumentationsmuster und
gerung sanktioniert“ (ebd., S. 4); „Die
schwenkt auf den Opportunitätskurs der Koali-
Verhinderung von Parallelgesellschaften
tionspartner ein. 2014 sieht sie auch bei ihren
muss eine Querschnittsaufgabe für alle
Bayern gewisse Defizite im Umgang mit Mi
Politikbereiche werden: im Einwande-
granten und Flüchtlingen. Jedenfalls wünscht
rungsrecht, in der Bildungspolitik, in der
sie zum Thema Willkommenskultur eine PR-
gesamten Gesellschaftspolitik“ (ebd.,
CSU will
Kampagne, mit der die Situation der Flücht-
S. 5); „Jede humane und solidarische Ge-
PR-Kampagne
linge und Asylsuchenden den Einheimischen
sellschaft braucht einen Wertekonsens,
nahegebracht werden soll.
der im Alltag freiwillig und aus Überzeugung gelebt wird. Deshalb: Integrationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit
74
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
müssen als zusätzliche Voraussetzung
vor allem den Ausländerbehörden auferlegt,
für gelingende Integration eingefordert
die sich nun als „Dienstleister“ für Migranten
„Dienstleister“
werden“ (ebd., S. 6); „Die Einbürgerung
definieren (sollen). Zum andern wird der „ge-
für Migranten
ist als Abschluss erfolgreicher Integration
sellschaftliche Zusammenhalt“ beschworen
zu verstehen“ (ebd., S. 7).
und zugleich für eine „interkulturelle Öffnung
Beschluss des CSU-Parteitags vom 22.
von Staat und Gesellschaft“ geworben, die ins-
und 23. November 2013: „Erforderlich
besondere „Ehrenamtliche“ mit Leben zu füllen
sind außerdem die weitere Vereinfachung
hätten – Formulierungen, deren Widersprüche
der Verfahren in den kommunalen Aus-
und Mehrdeutigkeiten quasi zwangsläufig zu
länderämtern und die Etablierung einer
einem Auslegungsstreit führten.
eigenen Willkommenskultur. Bayern wird sich auf Bundesebene für die notwendi-
Koalitionsvertrag der drei Regierungspar
gen ausländerrechtlichen Maßnahmen
teien vom 16. Dezember 2013, im Kapitel
einsetzen.“ (Beschlussbuch S. 84 f.)
„Wachstum, Innovation und Wohlstand“:
Beschluss des CSU-Parteitags vom 12.
„Wir setzen uns für bedarfsgerechte qua-
und 13. Dezember 2014: „Willkommens-
lifizierte Zuwanderung ein und wollen
kultur – Öffentlichkeitsarbeit[:] Die CSU-
insbesondere eine größere Mobilität im
Fraktion im Bayerischen Landtag soll bei
europäischen Arbeitsmarkt erreichen.
der Bayrischen Staatsregierung darauf
Flankierend wollen wir die Willkommens-
hinwirken, in verschiedenen Medien eine
und Bleibekultur für ausländische Fach-
Informationskampagne in Bezug auf die
kräfte in Deutschland verbessern“ (S. 28).
‚Willkommenskultur‘ zu starten, um das
Unter „Zusammenhalt der Gesellschaft“
öffentliche Verständnis für die Nöte und
heißt es:
Belange von Migranten, Flüchtlingen und
„Wir werden die Willkommens- und An-
Asylsuchenden zu steigern.“ (Beschluss-
erkennungskultur in unserem Land stär-
buch S. 197)
ken. Dies fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt und steigert zugleich die
Die drei „Kulturen“:
Attraktivität unseres Landes für ausländi-
Willkommen, Anerkennen, Bleiben
sche Fachkräfte, die wir brauchen.
Zum Jahresende 2013 versucht der neue
Für die Verbesserung der Willkommens-
Koalitionsvertrag der Bundesregierung – ab-
kultur haben Ausländerbehörden eine
weichend von den deklamatorischen Partei-
Schlüsselfunktion inne. Viele Ausländer-
beschlüssen – eine Art Quadratur des Kreises:
behörden haben daher begonnen, den
Zum einen dient die (jetzt so genannte) „Will-
Dienstleistungscharakter für Migranten
kommens- und Bleibekultur“ weiterhin dem
mehr in den Vordergrund zu stellen“
Zweck der Arbeitskräftegenerierung und wird
(ebd., S. 74).
75
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Und: „Zur Willkommens- und Anerken-
Bürger erwarten wir auch von Zuwande-
nungskultur gehört die interkulturelle
rern die Anerkennung unserer Rechtsord-
Öffnung von Staat und Gesellschaft. Wir
nung, die Verantwortung für die eigene
setzen uns dafür in allen Lebensbereichen
Bildung, für die eigene Emanzipation und
ein, insbesondere im Bereich des ehren-
für den eigenen Lebensunterhalt. Voraus-
amtlichen Engagements (z. B. Feuerwehr,
setzung dafür ist das Beherrschen der
Rettungsdienste) und der Kultur, im Sport
deutschen Sprache. Sie ist der Schlüssel
und im Gesundheits- und Pflegebereich“
zu einem gesellschaftlichen Miteinander.
(ebd., S. 75).
Wir bekennen uns aber auch klar dazu, dass wir die Voraussetzung dafür schaf-
Die Oppositionsparteien und die „echte“
fen müssen, dass unser Land attraktiv
Willkommenskultur
für die klugen Köpfe ist. Zentral dafür ist,
Erwähnenswert ist auch die Programmatik der
eine Willkommenskultur inhaltlich zu ge-
FDP (Koalitionspartner bis 2013) und die der
stalten und die weitere Öffnung unserer
Grünen, die im Bundestag seit 2013 neben
Gesellschaft voranzutreiben.“
der Partei der Linken in der Opposition sind.
Das Präsidium der FDP, die damals noch
FDP anfangs
Deutlich wird, dass die FDP noch 2012 ihrem
Koalitionspartner war, fasste am 5. März
wie die CSU
Koalitionspartner CDU bis in einzelne Formu-
2012 unter der Überschrift „Wir halten
lierungen hinein folgt und „die Öffnung der Ge-
Deutschland auf Wachstumskurs“ (Ka-
sellschaft vorantreiben“ möchte, zugleich aber
pitel: „Bildungs-, Arbeits- und Aufstiegs-
denselben kulturkonservativen Duktus (Inte
chancen“) einen Beschluss. Darin heißt es:
gration als Anpassungsleistung) hochhält wie
„Bei der Zuwanderung ausländischer
die CSU. Bemerkenswert ist der Präsidiums-
Fachkräfte haben wir einen Paradigmen-
beschluss vom März 2012: Hier wird erstmals
wechsel durchgesetzt, der jetzt rasch und
explizit auf die „Herausforderungen“ durch
umfassend umgesetzt werden muss. Aber
den „steigenden Flüchtlingsstrom“ hingewie-
wir dürfen die Tür nicht nur öffnen – wir
sen, die von Politik und Behörden allein nicht
brauchen in Deutschland auch eine neue
bewältigt werden könnten.
Willkommenskultur.“ Und zum Thema Flüchtlingspolitik lautete der Beschluss:
76
Aus dem Grundsatzprogramm der FDP
„Wir Freien Demokraten erkennen die
vom 22. April 2012: „Gerade vor dem Hin-
gewaltigen Herausforderungen, die der
tergrund des demographischen Wandels
steigende Flüchtlingsstrom nach Europa
setzen wir auf gesteuerte Zuwanderung.
mit sich bringt. Es wird nicht ausreichen,
Dafür wollen wir die Möglichkeiten einer
wenn sich allein die Politik diesen He
aktiven und qualitativen Zuwanderungs-
rausforderungen stellt. Integrationsbe-
politik nutzen […]. Wie von jedem anderen
reitschaft und eine Willkommenskultur
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
müssen von der gesamten Gesellschaft
ten. Dazu gehören vor allem die Einfüh-
gelebt werden.“
rung eines liberalen und transparenten Punktesystems und das Etablieren einer
Im Unterschied zu den beiden Volksparteien
wirklichen Willkommenskultur.“
forderten die Grünen im Jahr 2007 mit dem
Im Kapitel „Einbürgerung erleichtern –
Schlagwort Willkommenskultur keine ver-
Rechte von AsylbewerberInnen stärken“
besserte Arbeitsmarktpolitik, sondern einen
heißt es: „Wir treten deshalb für ein groß-
irgendwie toleranteren Umgang mit den in
zügiges Recht auf Familiennachzug ein
Grüne wollen
Deutschland lebenden Migranten. Erst sechs
sowie für einen sicheren Aufenthaltssta-
mehr Toleranz
Jahre später findet sich im Wahlprogramm der
tus für Menschen, die lange in Deutsch-
Grünen die in etwa gleiche Argumentations-
land leben. Wir wollen eine Willkommens-
linie wie bei den Regierungsparteien, indem
kultur etablieren unter anderem durch
die „wirkliche“ oder „echte“ Willkommenskul-
eine interkulturelle Öffnung von Schulen,
tur dafür sorgen soll, dass sich ausländische
Krankenhäusern, Behörden und anderen
Arbeitnehmer in Deutschland wohlfühlen kön-
öffentlichen Einrichtungen. Die Grund-
nen: Willkommenskultur als Integrationshilfe
rechte gelten für alle in Deutschland le-
nicht für Flüchtlinge und Asylsuchende, son-
benden Menschen.“
dern für Zuwanderer und Ausländer aus der EU.
Beschlüsse des Parteirats der Grünen Berlin, 28. April 2014: „Wir Grüne machen
Bundesvorstandsbeschluss der Grünen
uns stark für eine echte Willkommens-
vom März 2007: „Statt ein Klima der
kultur, die Vielfalt wertschätzt, gerechte
Ausgrenzung und Sanktionierung muss
Teilhabe möglich macht und Freizügigkeit
die Bundesregierung endlich eine Atmo-
als Chance erkennt […]. Statt Abschottung
sphäre der Wertschätzung gegenüber
brauchen wir in Deutschland einen Wan-
Migrantinnen und Migranten und somit
del hin zu einer echten Willkommens-
eine längst fällige Willkommenskultur för-
kultur. Wir wollen EU-Bürgerinnen und
dern.“ (Beschlussbuch S. 6)
-Bürger, die ihr Grundrecht auf Arbeitneh-
Im Wahlprogramm der Grünen von 2013
merfreizügigkeit wahrnehmen, entspre-
steht im Kapitel „Gute Arbeit für gute
chend der gemeinsamen europäischen
Fachkräfte“: „[…] die bessere Förderung
Beschlüsse aktiv dabei unterstützen, hier
von inländischen Arbeitskräften wird
eine Beschäftigung aufzunehmen.“
nicht ausreichen, um den zunehmenden Bedarf an qualifizierten Fachkräften zu
Von der Arbeitsmarkt- zur Flüchtlingspolitik
decken. Vor diesem Hintergrund wollen
Dieser Blick auf die Argumentations- und Be-
wir den Zuzug ausländischer Fachkräfte
gründungsmuster in den Parteiprogrammen
vereinfachen und transparenter gestal-
führt uns das Dilemma der Regierungsparteien
77
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
vor Augen. Offenbar erkannten die Politiker im
sollen in der Zukunft Arbeitgebern auch
2014: neue
Laufe des Jahres 2014, dass die mit „Willkom-
dabei helfen, Flüchtlinge und Asylbewer-
Zwecksetzungen
menskultur“ etikettierten behördlichen Maß-
ber überhaupt erreichen zu können.“ (Die
nahmen zumal bei den Ausländerbehörden
Welt 26.11.2014)
nicht den erwünschten Erfolg brachten – was auch nicht verwundert, weil sich das Image der
Im Folgejahr 2015, als im August viele Hun-
Vollzugsbehörden nur über längere Zeiträume
derttausend Asylsuchende nach Deutschland
hinweg verändern lässt. Zeitgleich stieg die
kamen, brach dieses Programm in sich zusam-
Zahl der asylsuchenden Flüchtlinge vor allem
men. Anstelle der integrativen kamen desinte-
aus Syrien, dem Irak und Afghanistan sprung-
grative Prozesse in Gang, die den gesellschaft-
haft an. So gesehen war es naheliegend, das
lichen Zusammenhalt mehr und mehr gefähr-
Credo „Willkommenskultur“ auf das Insgesamt
deten und neue entkoppelte, segmentierte
der in Deutschland eintreffenden Ausländer
Gruppenöffentlichkeiten erzeugten. Die damit
auszuweiten, soweit diese ihren Status lega-
verbundene Überforderung, auch Hilflosig-
lisieren wollten. Die Umsetzung dieses neuen
keit der politischen Akteure und zuständigen
Programms wurde nach dem Top-down-Verord-
Behörden lassen sich aus dem Beschluss des
nungsmuster abwärts delegiert, mit Schmuck-
CDU-Parteitags vom 14. Dezember 2015 her-
„Zusammenhalt
wörtern aus der zivilgesellschaftlichen Welt
auslesen. Unter der Überschrift „Zusammen-
stärken“
(„ehrenamtliches Engagement“) schöngeredet
halt stärken – Zukunft der Bürgergesellschaft
und mit der Formel „Stärkung des gesellschaft-
gestalten“ heißt es: „Weiterhin wollen wir in
lichen Zusammenhalts“ verbrämt. Derselbe
Deutschland eine Willkommenskultur voran-
Befund mit den Worten der Wirtschaftsredak-
treiben, indem wir die Bürgerinnen und Bürger
tion der Welt:
ermuntern, z. B. als ehrenamtlicher Integrationshelfer aktiv zu werden. Das gegenseitige
78
„Die Wirtschaft hat das Potenzial Asylsu-
Aufeinanderzugehen kann ein emotionales Ge-
chender für den Arbeitsmarkt erkannt.
fühl der Zusammen- und Zugehörigkeit stär-
Und ihre Lobbyisten entsprechend in
ken“ (Beschlussbuch S. 25). Dieselbe Sicht der
Stellung gebracht. Auch auf ihr Drängen
Dinge findet sich im Beschlusspunkt „Verant-
hin ist gerade ein Gesetz verabschiedet
wortung in der Flüchtlingshilfe übernehmen:
worden, das die Barrieren für Asylbewer-
Wir schaffen Willkommenskultur“ des SPD-
ber zum Arbeitsmarkt abbaut. Die Bun-
Parteitags vom 10. bis 12. Dezember 2015:
desagentur für Arbeit sucht an mehreren
„Die Kommunen bewältigen die Aufnahme mit
Standorten gemeinsam mit Pro Asyl gut
hohem Engagement. Gerade ländliche Räume
qualifizierte Asylbewerber in Flüchtlings-
ermöglichen dabei mit ihren überschaubaren
heimen, um sie für den Arbeitsmarkt fit
Strukturen persönliche und soziale Beziehun-
zu machen. Die ‚Willkommensbehörden‘
gen und Kontakte, die die Integration begüns-
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
tigen. Der große Einsatz ehrenamtlicher Helfer
Zuwanderer in Deutschland sesshaft zu ma-
verdient hier große Anerkennung. Wir fordern
chen – mit eher geringem Erfolg. Im Laufe des
und fördern weiterhin eine Willkommenskultur
Jahres 2014 wurde das Willkommenskultur-Pa-
– in den ländlichen Räumen –, damit die Inte
radigma umformuliert und auf asylsuchende
gration gelingt“ (Beschlussbuch S. 490).
Flüchtlinge ausgedehnt, dann zum Anliegen der „Bürgergesellschaft“ erklärt und freie Trä-
Die Politik der Willkommenskultur – Fazit
ger, ehrenamtlich Tätige und zivilgesellschaft-
Diese kursorische Rekonstruktion des politi-
lich engagierte Gruppen zur Mithilfe moralisch
schen Diskurses rund um den Euphemismus
verpflichtet.
Willkommenskultur führt uns – zugespitzt
Die Auszüge aus Zeitungsberichten der
formuliert – Folgendes vor Augen: Die Ber-
Lokal- und Regionalzeitungen haben uns ge-
liner Regierungsparteien machten sich die
zeigt, dass die Politikakteure im öffentlichen
Begehren der Industrie- und Arbeitgeberver-
Diskurs sich meist rhetorisch aufgeladener For-
bände zu eigen und suchten nach Wegen, wie
meln und Phrasen („wir brauchen“) bedienen.
Deutschland für hochqualifizierte Zuwanderer
Diese erwecken den Anschein, als könnte die
attraktiver gemacht werden könnte. Die in den
malade Willkommenskultur sozusagen dekla-
Jahren 2011 bis 2013 beschlossenen aufent-
matorisch saniert werden. Den Parteitagsbe-
halts- und arbeitsrechtlichen Erleichterungen
schlüssen zufolge realisierten sie erst im Laufe
erzielten nicht die erhoffte Wirkung. Auch das
des „Flüchtlingsjahres“ 2015, dass in der föde-
von Zuwanderern in verschiedenen Regionen
ralen Grundordnung Deutschlands der Kultur-
Deutschlands erlebte ausländerfeindliche Kli-
bereich der Hoheit der Bundesländer zusteht.
ma wirkte sich negativ aus. Um dies zu ändern,
Diese entscheiden, ob und wie sie bürgerge-
hätten praktisch verwertbare Erkenntnisse aus
sellschaftliches Engagement fördern. Haltun-
der einschlägigen Fremden- und Migrationsfor-
gen, Einstellungen und Denkmuster, die mit
schung herangezogen und lokale Programme
dem Slogan Willkommenskultur beeinflusst
in Gang gesetzt werden können. Doch solche
werden sollten, lassen sich demzufolge nicht
Aktivitäten blieben die Ausnahme. Stattdes-
von oben nach unten (top-down) umkrempeln;
sen wurde der Slogan der Wirtschaftsvertreter
sie wachsen, wenn schon, dann umgekehrt
„Etablierung einer neuen Willkommenskul-
(bottom-up) in die „Repräsentationslücken“
tur“ übernommen und als bundespolitisches
hinein, vernetzen sich und können – wie meh-
Programm operationalisiert. Mit ihm wurden
rere Studien zeigen – zu Bewegungen werden,
zunächst behördliche Top-down-Maßnahmen
die opponieren, wenn sie sich „von denen da
Von oben nach
definiert, die helfen sollten, hochqualifizierte
oben“ übergangen fühlen.
unten verordnet
53
54
53 Diese Feststellung bezieht sich auf Bundesbehörden und die Bildungsministerien – unbesehen der Tatsache, dass sich auf lokal-regionaler Ebene vor allem freie Träger konstruktiv mit dem Thema Fremdenfeindlichkeit befassten. 54 Vgl. Jesse (2015: 26); Ziller (2016); Patzelt/Klose (2016).
79
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
3. Willkommenskultur in der regionalen Tagespresse
werden, was nur vermittels geeigneter Datenbanken zu bewältigen ist. Wir haben uns für die von Genios gewar-
WISO-Datenbank
Die Rekonstruktion der Themenkarriere des
tete WISO-Datenbank „Presse Deutschland“
„Presse Deutschland“
mehrdeutigen Narrativs55 „Willkommenskul-
als Materialfundus entschieden.56 Dort wer-
tur“ (auch: „Kultur des Willkommens“) in der
den alle publizierten Artikel von derzeit 138
Politik führt uns jetzt weiter zur Frage, wie
Tageszeitungen (Printausgaben) als Volltexte
dieser Frame von den Lokal- und Regionalzei-
mitsamt Metadaten (Datum, Erscheinungsort
tungen ihren Leserschaften vermittelt wurde.
u. a.) abgelegt. Doch diese Datenbank hortet
Dies herauszufinden ist nicht ganz so einfach,
nicht nur die Hauptausgaben (= publizistische
weil geklärt werden muss, welche Zeitungen
Einheiten), sondern bei einigen Zeitungen auch
überhaupt herangezogen werden können.
Lokalausgaben der jeweiligen Hauptausgabe,
Derzeit erscheinen in Deutschland 329 loka-
die oftmals unter einem anderen Zeitungstitel
le und regionale Abonnementszeitungen mit
firmieren. Dies bedeutet, dass dort, wo Lokal-
knapp 1.500 lokalen Ausgaben (BDZV 2015).
ausgaben ihren überlokalen Teil als Mantel von
Das in der Medienforschung übliche Vorge-
der Hauptausgabe beziehen, die Artikel der
hen, eine kleine Titelauswahl zu treffen und
Hauptausgabe zusätzlich gespeichert werden.
aus den im Zeitraum X publizierten Ausgaben
Gleichwohl sind die Lokalausgaben unverzicht-
eine Stichprobe zu ziehen, würde unsere Fra-
bar. Denn: Würde man vorsichtshalber nur die
ge nicht beantworten, weil offen ist, ob unser
am Verlagsort erscheinende Hauptausgabe be-
Thema „Willkommenskultur“ je nach politi-
rücksichtigen, würden alle Beiträge wegfallen,
scher Ausrichtung und je nach Verbreitungs-
die in den verschiedenen Lokalausgaben exklu-
gebiet unterschiedlich behandelt wurde.
siv veröffentlicht wurden. Das Gattungsmerkmal
Unsere Frage richtet sich ja an die Gattung
„Lokales“ würde zu großen Teilen eliminiert.
Redaktionen
Lokal-/Regionalzeitung und muss Antworten
Nun soll diese Studie das Entscheidungs-
sind Entscheider
auf der Strukturebene suchen. Deshalb soll-
handeln der Redaktionen abbilden: Welche
ten möglichst viele Tageszeitungen in mög-
Beiträge hat die fragliche Redaktion bzw. der
lichst vielen Regionen erfasst und untersucht
Lokalchef willentlich publiziert? Hier fällt die
55 Der inzwischen inflationär gebrauchte Ausdruck „Narrativ“ steht für Auffassungen, die historisch entstanden, doch faktenarm und begrifflich vage sind. Sinn und Bedeutung solcher Auffassungen wurden deshalb über schon bekannte Erzählungen und Termini zum Ausdruck gebracht (wie Sinnbilder, Metaphern usw.). 56 Auch diese Datenbank ist nicht mängelfrei (eine Regionalzeitung beispielsweise speicherte die Daten ein und derselben Ausgabe vielfach ab). Deshalb haben wir über Trefferlistenvergleiche Redundanzen ermittelt und diese aussortiert. Gleichwohl sind WISO und Genios für solche Big-Data-Strukturanalysen konkurrenzlos. Die bei manchen Forschern beliebte Datenbank Nexis enthielt (zur Zeit unserer Erhebung) nur 26 Tageszeitungen (Überhang an Straßenverkaufszeitungen und Blättern der Verlagsgruppe Rhein-Main). Die Datenbank DIGAS (AS Syndication) hostet vor allem Printprodukte von Springer und der Funke-Gruppe. Beide sind darum für gattungsbezogene Analysen ungeeignet. Die digitalen Zeitungsarchive wiederum bieten keine brauchbaren Retrieval-Instrumente, sie helfen aber bei Vollständigkeitsvergleichen.
80
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
Antwort je Zeitungshaus anders aus. Bei man-
deckungsgleich mit der tatsächlichen Vertei-
chen Regionalzeitungen haben die Lokalchefs
lung sämtlicher Lokal-/Regionalzeitungen auf
die Kompetenz, etwa auf die Frontseite, die
die Regionen (der Norden ist im Set von WISO/
Kommentar- oder Regionalseite zuzugreifen
Genios unterrepräsentiert). Indessen bildet sie
und Texte zu ändern oder Bilder auszutau-
das publizistische Geschehen deutschlandweit
schen. Auch wenn sie es de facto nur aus-
hinreichend gut ab und repräsentiert die Ta-
nahmsweise tun, so tragen sie damit für diese
geszeitungswelt der neuen Bundesländer in
Seiten publizistische Mitverantwortung. Um
einem realistischen Verhältnis zur süd- und
nach Maßgabe dieser Kompetenzen die Quel-
westdeutschen Zeitungslandschaft.
lenliste bereinigen zu können, haben wir den
Da die Inhaltsanalyse untersuchen soll, ob
Grad der Eigenständigkeit der Lokalausgaben
und wie sich die Vermittlung des Themas Will-
(soweit möglich) recherchiert.
kommenskultur verändert hat, wurde die Datenbankrecherche als Längsschnitt angelegt.
Methodisches: Zum Aufbau der Datenbank
Damit war ein weiteres Handicap verbunden:
„Lokal-/Regionalzeitungen“
Die Zahl der bei WISO/Genios archivierten Zei-
Die auf diesem Wege bereinigte Quellenliste
tungstitel nahm während des Untersuchungs-
umfasst 85 Zeitungstitel, darunter auch „Sam
zeitraums zu. Um für die Dauer des Längs-
meltitel“, indem unter einem Zeitungsnamen
schnitts einen (in Bezug auf die Zeitungsre-
auch eigenständige Lokalzeitungen subsum-
daktionen) konsistenten Korpus zu generieren,
miert sind (z. B. bei der Südwest-Presse und
haben wir die Quellenliste aus dem Jahr 2010
der Frankfurter Neuen Presse). Aber auch um-
herangezogen. Auf die in den folgenden Jahren
gekehrt finden sich eigenständige Regionalzei-
bei WISO neu hinzugekommenen Titel wurde
tungen, die Korrespondentenpools haben (z. B.
verzichtet.
Coburger Tagblatt, Fränkischer Tag, Main-Post,
Ein weiteres Handicap betrifft die exter-
Saale-Zeitung) oder de facto einen Verbund
nen Faktoren, die während des Längsschnitts
bilden (z. B. Thüringer Zeitungsgruppe). Dies
eigentlich konstant bleiben sollten (ceteris
erschwert den Bau einer validen Datenbank.
paribus). Diese Bedingung mag im Labor er-
57
Nach Maßgabe der von Genios definier-
füllbar sein, nicht aber in der Medienrealität.
Anpassung
ten Regionen-Kategorien verteilen sich diese
So wurden im Verlauf unserer Untersuchungs-
an die Medienrealität
Zeitungen (inklusive ihrer Lokalausgaben)
phase Lokalausgaben eingestellt, Zeitungs-
wie folgt: 18 Zeitungen erscheinen in „Ost“,
häuser verkauft, Titel fusioniert, Redaktionen
30 Zeitungen in „West“, 24 Zeitungen in „Süd“,
umstrukturiert, neue Mantelredaktionen ge-
8 Zeitungen in „Nord“ und 5 blieben ohne Zu-
schaffen und wieder aufgelöst. Viele dieser
ordnung. Diese regionale Verteilung ist nicht
Veränderungen wirkten sich notabene auch
57 Weitere Informationen zum methodischen Vorgehen sind online abrufbar; siehe Anhang „Zur Methodologie“, S. 147.
81
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
auf die Inhalte aus (z. B. die mehrstufige Reor-
der kurzen Zeitspanne vom 1. Januar 2015 bis
ganisation der Madsack-Zeitungsgruppe). Für
31. März 2016 erschienen.
das Jahr 2015 haben wir daher mit einer er-
Im Verlauf der elf Jahre wurde Bundeskanz-
weiterten Quellenliste eine Kontrollrecherche
lerin Angela Merkel im Zusammenhang „Flücht*
durchgeführt, der Datenabgleich zeigte gering-
OR Asyl*“ in 17.256 Texten genannt, also in etwa
fügige Abweichungen. Wir können also davon
jedem zehnten Text. Weit abgeschlagen CSU-
ausgehen, dass die genannten Störfaktoren,
Chef Horst Seehofer in 3.827, gefolgt vom SPD-
die Konsistenz des Korpus nur wenig beein-
Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel in 2.424
trächtigt haben.
und knapp dahinter Thomas de Maizière mit 2.365 Texten. Auf der anderen Seite kamen im
82
Die Beiläufigkeit des Themas „Flüchtlinge“
Themenfeld „Flücht* OR Asyl*“ die Staatschefs
Anhand unserer bereinigten Quellenliste „Lo-
Gaddafi, Assad und Erdogan in je rund 1.200
kal-/Regionalpresse“ haben wir zunächst die
Texten „ausgewogen“ zur Sprache.
WISO-Datenbank nach strukturierenden Merk-
Sucht man beim Thema Flüchtlinge und/
malen abgesucht. Um ein paar Größenordnun-
oder Asyl nach den hauptsächlichen Hand-
Brennpunkt
gen zu nennen: Zwischen dem 1. Januar 2005
lungsorten, dann steht das Bundesland Sach-
ist Sachsen
und dem 31. März 2016 finden sich in der Daten-
sen mit 56.716 Texten an der Spitze, gefolgt
bank rund 85 Millionen Texte, die die 85 Tages-
von Brandenburg mit 50.440. Deutlich selte-
zeitungen dort abgespeichert haben (nur aus
ner genannte Regionen waren Thüringen mit
deren redaktionellen Teilen). In etwas mehr als
26.857 und Sachsen-Anhalt mit 15.601 Texten.
einem Prozent davon, nämlich in 980.479 Tex-
Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern
ten, wird das Thema „Flücht*“ (das heißt Wör-
kam in nur 7.981 Texten zur Sprache (obwohl
ter mit diesem Stamm plus sämtlichen Wort
die Schweriner Volkszeitung und der Nordku-
erweiterungen und -flexionen, ausgeschlos-
rier dabei sind). Zum Vergleich: Hessen, Ba-
sen „flüchtig*“) behandelt. Ein Prozent, rund
den-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen
838.000 Texte, haben etwas mit „Ausländer*“
(NRW) wurden in 22.000 bis 26.000 Texten
zu tun; eine halbe Million Texte greifen das
genannt. Das vergleichsweise kleine Bundes-
Thema „Asyl*“ auf (180.000 Texte behandeln
land Hamburg (zwei Tageszeitungen) tauchte
beides: Flücht* und Asyl*) und rund 200.000
in diesem Themenzusammenhang in 33.566,
Texte drehen sich um den Komplex Migranten/
Bremen (Bundesland und Stadtstaat) nur in
Migration (ungeachtet der Schnittmengen mit
7.939 Texten auf. Ein Vergleich der Treffer bei
Flüchtling*/Asyl*). Insgesamt haben die 85 Zei-
den Zeitungen, die in Baden-Württemberg
tungsredaktionen über unser Thema (Flücht*
erscheinen und zu Vorgängen in den Bundes-
OR Asyl* NOT flüchtig) vom 1. Januar 2005
ländern Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern
bis 31. März 2016 genau 980.479 Texte publi-
und Hamburg berichteten, zeigt, dass die ge-
ziert bzw. archiviert. 56 Prozent davon sind in
nannten Unterschiede fortbestehen und darum
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
nicht mit dem Nachrichtenfaktor Nähe erklärt
kommenskultur untersuchten.58 So konnten
werden können.
Textmining-Tools der „Automatischen Sprach-
Wohlgemerkt: Diese Daten umfassen den gesamten Zeitraum von elf Jahren und drei Mo-
verarbeitung“ (ASV) der Informatiker für unsere Untersuchungsfragen genutzt werden.59
naten. Und sie bilden nur das ab, was die aus-
Die Textanalyse erfolgte in folgenden Schrit-
gewählten 85 Lokal-/Regionalzeitungen in der
ten: Zunächst wurde die WISO-Datenbank mit
der Analyse-
WISO/Genios-Datenbank abgelegt haben. Wie
unserer bereinigten Quellenliste „Lokal-/Re-
Datenbank
oben angemerkt, kann dieser Datenkorpus die
gionalpresse“ im Zeitraum vom 1. Januar 2010
Ceteris-paribus-Bedingung nicht ganz erfüllen
bis zum 31. März 2016 nach Texten abgesucht,
(manche der genannten Zeitungen werden erst
die das Wort „Willkommenskultur“ oder die
seit 2008 oder 2009 oder 2010 gespeichert).
Wortfolge „Kultur des Willkommens“ enthalten.
Deshalb können nur Häufigkeitsvergleiche
Unsere Lektüre der weiter oben erwähnten Zu-
über den ganzen Zeitraum angestellt werden
fallsstichprobe (250 Texte von 50 verschiedenen
(hier heben sich die systematischen Fehler
Tageszeitungen) hatte ergeben, dass für die
weitgehend auf); doch kleinteilige Verglei-
beiden Formulierungen „Willkommenskultur“
che im Längsschnitt lassen sich damit nicht
und „Kultur des Willkommens“ keine Synony-
anstellen.
me in Gebrauch waren.60 Deshalb wurden mit
Aufbau
diesem Suchstring (in eine Suchmaske eingegeTextmining: Willkommenskultur
bene Wortfolge oder -kombination) mit großer
unter der Lupe
Wahrscheinlichkeit alle Texte erfasst, die diese
Doch auf eine ebensolche Längsschnittanalyse
Thematik behandeln. Um die Themenkarriere
kam es uns beim Narrativ „Willkommenskul-
vollständig nachzeichnen zu können, wurde die
tur“ an. Deshalb sollen alle Berichte, die un-
Datenbank zusätzlich für den Zeitraum von 2005
ser Thema zur Sprache bringen, textanalytisch
bis 2009 abgesucht. Dabei wurden 105 Texte ge-
durchleuchtet werden. Hier kamen uns das
funden, die meisten aus den Jahren 2008 und
Leipziger Institut für Journalismus- und Kom-
2009 (wie erwähnt, war vor 2010 die Zahl der
munikationsforschung (EIJK) und das Informa-
von WISO gehosteten Quellen deutlich gerin-
tik-Institut der Universität Leipzig zu Hilfe, die
ger). In den Tabellen und Abbildungen zeigen
zeitgleich mit unserer Studie das durch die Me-
wir deshalb den vollständigen Längsschnitt (ab
dien erzeugte Meinungsklima am Beispiel Will-
2005 bis einschließlich 1. Quartal 2016).
58 Offenlegung: Der Verfasser ist wissenschaftlicher Leiter des EIJK wie auch dieser Untersuchung. 59 Aufbau und Arbeitsweise des Leipzig Corpus Miner (LCM) siehe: http://www.epol-projekt.de/tools-nlp/r-for-text- mining-in-social-sciences/ (abgerufen Januar 2017). Zum dort angewandten Textmining-Verfahren: Wiedemann/ Niekler 2016: 65-88. 60 Sinnähnliche Wörter wurden von den Medien für diesen Themenzusammenhang nicht gebraucht. Beispiel: Das Wort „Willkommenheißen“ (oder „hieß* willkommen“) wurde im Laufe der zehn Untersuchungsjahre in den rd. 50 Mil lionen gespeicherten Texten unserer bereinigten Quellenliste exakt 138 Mal verwendet, davon überwiegend für typische lokale Themen, etwa für Eröffnungen, Vereinsanlässe und dergleichen.
83
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Im folgenden Arbeitsschritt wurden die Tex-
(identische Texte derselben Zeitungsausgabe
te sämtlicher Treffer ab 2005 bis Ende 2012
am selben Erscheinungstag) waren, (b) nicht
– quasi der Früh- und Startphase der Karriere –
zum redaktionellen Teil der Zeitung gehörten
und erneut für die Zeit vom 1. Januar 2015 bis
(Verlagstexte, Zuschriften und Leserbriefe
31. März 2016 – der Kulminations- und Abkling-
u. Ä.), (c) in Bezug auf den redaktionellen Inhalt
phase der Karriere – identifiziert. Dies waren
redundant waren (etwa Inhaltsverzeichnisse).
Über 26.000 Texte
26.395 Texte. Um nun Speicherfehler der Da-
Deshalb musste in einem nächsten Schritt je-
erfasst
tenbank zu eliminieren, vor allem aber um das
der der Texte der zwei Zeitphasen (2005 bis
redaktionelle Entscheidungshandeln möglichst
Ende 2012 und Januar 2015 bis 31. März 2016 =
zutreffend abzubilden, wurden sämtliche Texte
20.499 Texte) „händisch“ geprüft werden. Üb-
eliminiert, die (a) offensichtliche Doubletten
rig blieben 17.982 Texte (Schwund: 12,3 %). Sie
Abbildung 4: Häufigkeiten der Berichte zum Thema Willkommenskultur in 85 Lokal- und Regionalzeitungen 5.000 4.500
Anzahl publizierter Texte
4.000 3.500 3.000 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0
Treffer (Texte) der Quellenliste „Lokal-/Regionalpresse“ (n=26.395) davon redaktionelle Texte für den Analyse-Korpus (n=17.982) Datenbasis: WISO/Genios-Datenbank. Quelle: Eigene Darstellung
84
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
bilden unsere Offline-Datenbank und den Ana-
ses Wortes nach oben schnellte, so rasch flachte
lyse-Korpus für das Textmining.
Allerdings
sie gegen Ende 2015 auch wieder ab; die Ge-
haben wir für die folgende morphologische
schehnisse rund um die Silvesternacht 2015/16
Textanalyse auch noch die (in Bezug auf die
wirkten sich zusätzlich wie ein Dämpfer aus.
Zugriffskompetenz von Lokalchefs) als „Zwei-
Im Frühjahr 2016 war die mediale Vermittlung
felsfälle“ markierten Texte herausgenommen,
wieder auf dem Niveau von Herbst/Winter 2014,
wodurch sich der Korpus für das Textmining um
als es überwiegend um Arbeitsmarkt- und Ein-
1.110 Texte auf 16.972 Untersuchungseinheiten
wanderungspolitik ging. Überspitzt gesagt, war
verdichtete. Für unsere Analysen im Zeitverlauf
im medialen Diskurs von Frühjahr 2016 an das
wurden sie ab 2010 in Quartale untergliedert.
Narrativ Willkommenskultur quasi verbrannt.
61
Abbildung 4 zeigt die Dynamik der Themen-
Die Textmengen des Analysekorpus (hell-
karriere (blaue Linie): Parallel zum politischen
blaue Linie = redaktionelle Beiträge) folgen
Synchron mit
Diskurs sickert das Narrativ Willkommenskultur
dieser Karrierekurve. Bis Ende 2012 sind die
dem politischen
im Verlauf des Jahres 2010 in die Medienbericht-
Differenzen zwischen beiden Mengen marginal.
Diskurs
erstattung ein und verbreitet sich. Vom Winter
In der Hochphase aber, vor allem im ersten Halb-
2012/13 an steigt die Verwendung stetig und
jahr 2015, zeigen sich Abweichungen. Unserer
explodiert im Verlauf des Herbsts 2014 gerade-
„händischen“ Überprüfung zufolge erklären
zu auf das Achtfache. Dies ist die Phase des po-
sich diese durch ein Bündel von Umständen:
litischen Diskurses, in der die arbeitsmarktzentrierten Argumente auf die sozial-humanitären ausgeweitet wurden. Den Kulminationspunkt erreicht die Medienkarriere des Narrativs im Herbst 2015, also rund zwei Monate nach dem Höhepunkt der Flüchtlingsberichterstattung in den reichweitestarken Online- und TV-Newsmedien (siehe Abb. 1 in Teil 1). Das heißt: Zeitgleich mit den vielen Hunderttausend Flüchtlingen
Speicherfehler in der Datenbank infolge von inkomparablen Produktänderungen in einigen Zeitungshäusern; Zunahme von Redundanzen durch Titelzusammenlegungen (z. B. erweiterte Mantelredaktionen), also externe Faktoren, die auf die Umbrüche in der Presselandschaft verweisen.
bzw. Asylsuchenden und den ungeheuren Ver-
Den Schwund erklären aber auch die 2015 ra-
Störungen im
sorgungsproblemen dominiert der Willkom-
sant angewachsene Zahl von (von uns aussor-
Sommer 2015
mensdiskurs das Flüchtlingsthema – für kurze
tierten) redaktionsfremden Texten zum Thema
Zeit. Denn so blitzartig die Medienkarriere die-
(Zuschriften, Leserbriefe u. Ä.), die man als In-
61 „Text Mining beschreibt ein Verfahren zur Analyse von schwach- oder unstrukturierten Textdaten mit Hilfe verschiedenster Techniken und Algorithmen. Das Ziel des Text Mining ist es, mit linguistischen sowie statistischen Mitteln möglichst genau die Kerninformation eines Textes herauszufiltern. Text Mining gilt außerdem als einfacher Weg, um Muster in Texten zu erkennen, mit Hilfe einer morphologischen, syntaktischen und semantischen Analyse“ (Klein/ Becirovic 2014). Mit anderen Worten: Textmining bewerkstelligt die algorithmische Aufschlüsselung „semantischer Relationen zwischen einzelnen Ausdrücken“ (Heyer u. a. 2006: 6).
85
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
dikator für die hohe öffentliche Erregung deu-
der Zusammenhang zwischen „Willkommens-
ten kann. Dabei fällt auf, dass diese Einflüsse
kultur“ und „Wirtschaft“ durchleuchtet wird.
bald wieder abnahmen: Die Differenz zwischen
Insgesamt wurden 14 Kontexthemen mit zuge-
beiden Mengen schrumpfte vom Herbst 2015
hörigen Dictionairs erarbeitet und eingesetzt.
an wieder deutlich.
Die umfangreichste Wortliste entstand für das erweiterte Kontextthema „Flücht* und/oder
Die Texte: Inhalt und Struktur Textmining- Werkzeugkoffer
Asyl*“ mit 1.319, die geringste für „Zuwande-
Für die inhaltlichen Textanalysen wurde das Textmining-Programm „R“ eingesetzt.
rung*“ mit 7 Items.
Dazu
Die eigentliche Analyse erfolgt auf zwei Ebe-
wurden in einem weiteren Schritt die (im in-
nen. Zuerst werden mit einer Frequenzanalyse
formatischen Sinne) unstrukturierten Daten
die Häufigkeiten ausgewählter Aussagen bzw.
strukturiert und aufbereitet. Dieser und die
Bezeichnungen im Zeitverlauf ermittelt (zum
folgenden Arbeitsschritte lagen in der Hand
Beispiel die Nennung von Parteinamen oder Na-
der Informatiker des Informatik-Instituts der
men von Personen). Auf der zweiten Ebene wer-
Universität Leipzig. Unsererseits wurde nach
den der Kontext, in dem das Suchwort auftritt,
dem Konzept des „Blended Reading“ (Verbin-
errechnet und überhäufig (= signifikant) auftre-
dung aus Close und Distant Reading – vgl.
tende Wörter ermittelt und dargestellt (= Ko-
Moretti 2000; Stulpe/Lemke 2015) über die
okkurrenzen).63 Aufgrund der Frequenzanalyse
oben erwähnten 250 Texte (Stichprobe) in den
können im Zeitverlauf kookkurrente Signifikanz-
Passagen, die das Wort „Willkommenskultur“
verschiebungen – quasi als Zeitscheiben oder
enthielten, der jeweilige thematische Fokus er-
Flashs – ermittelt, anschaulich gemacht (Word-
fasst und das zugehörige Schlagwort definiert
clouds/Wörterwolken) und vermittels „Close
(wie: „Sprache*“; „Recht*“; „Integration*“).
Reading“ interpretiert werden (Stulpe/Lemke
Zudem wurden Kontextthemen über externe
2016: 54 ff.). Im Folgenden beschränke ich mich
Quellen (wie: Synonymenwörterbücher) erar-
auf zwei für dieses Thema aufschlussreiche
beitet. Beides wurde zu Item-Listen (sogenann-
Häufigkeiten und Kontextthemen.
62
ten Dictionairs) zusammengeführt. BeispielsWillkommen
weise umfasst beim Kontextthema „Wirtschaft“
Willkommenskultur und Integrationswunsch
für die Integration
die zugehörige Liste 403 Attribute (Items), von
Wir greifen den oben beschriebenen, von In-
„arbeitsmaerkte“ über „gewerkschaftsvorsit-
dustrie und Politik erzeugten Frame einer
zender“ bis „hartz-IV-regelsaetze“, mit denen
„neuen“ Willkommenskultur (synonym mit
62 Eine allgemeinverständliche Beschreibung des Mining-Programms „R“ findet sich unter: http://winfwiki.wi-fom.de/ index.php/Analyse_Text_Mining_mit_R (abgerufen Januar 2017). 63 Kookkurrenz bezeichnet „das gemeinsame Auftreten zweier Wortformen in einem definierten Textabschnitt“ (Heyer u. a. 2006: 135). Dadurch lassen sich die statistische Signifikanz des gemeinsamen Vorkommens (z. B. mit Word clouds) und die Veränderung dieser Signifikanz im Zeitverlauf als semantische Zusammenhänge ermitteln und deuten (vgl. Wiedemann/Niekler 2016: 76 f.).
86
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
„Kultur des Willkommens“) auf. Er sollte ja
(was notabene auch den berichteten Ereig-
der Akquise und Verweildauer von hochqua-
nissen zuzuschreiben ist): der Vorwurf eines
lifizierten Berufstätigen dienen und dem Bild
menschenverachtenden Rassismus und die
von den fremdenfeindlichen Deutschen ent-
Bemühungen der um das Wohl der Migranten
gegenwirken. Unsere Frage lautet daher: In
besorgten Einrichtungen zwecks Verbesserung
Meinungsklima
welchem Zusammenhang treten das Narrativ
des Meinungsklimas. Es fällt auf, dass 2012 der
aufhellen
Willkommenskultur und das Wort Integration
Komplex Flüchtlinge/Asylsuchende in diesem
in den Zeitungstexten auf? Und wie hat sich
Zusammenhang keine Bedeutung hat.
dieser Kontext verändert? Dabei wurden die in
Drei Jahre später – im 1. und 2. Quartal
der fraglichen Textpassage auftretenden Wör-
2015 – hat sich der Themenzusammenhang
ter erfasst und deren Signifikanz ermittelt.
64
verändert. Jetzt stehen die mit den Flüchtlingen
Die auf den folgenden Seiten abgebildeten
verbundenen akuten Aspekte im Vordergrund:
Wortwolken stellen die errechneten Wörter in
Unterkünfte, Treffpunkte, Gesundheitspflege,
zwei Dimensionen dar: Die Grauabstufung ba-
Finanzierung. Die mit Angst und Fremdenfeind-
siert auf denselben Signifikanzwerten (von 0 =
lichkeit verbundenen Attribute bleiben – trotz
nicht signifikant, bis 0,9 = sehr signifikant), die
der Pariser Terroranschläge – im Hintergrund
Wortgröße zeigt die relativen Signifikanzwerte,
zugunsten der mit dem Asylrecht verknüpften
die sich auf die im Cluster gezeigten Wörter
akuten Probleme. Im 3. Quartal 2015 spiegelt
Herbst 2015
beziehen (je kleiner, desto weniger signifikant;
sich in den Kookkurrenzen die Kontroverse,
Stimmungskrise
die Anordnung – vertikal oder horizontal – ver-
die mit der im August und September erleb-
mittelt keinen Aussagewert).
ten sogenannten Flüchtlingsflut aufbrach:
Der Vergleich der Jahre 2010 mit 2012
die Wahrung der Menschenrechte, Fragen der
zeigt, dass sich in den Zeitungsberichten der
Gleichberechtigung, die Bedrohungslage und
Themenzusammenhang Willkommenskultur/
die Aktivitäten der Willkommensfreundlichen,
Integration 2010 fast nur um die von den Ar-
die Menschenketten bilden und sich (bezogen
beitgeberverbänden vorgebrachten Anliegen
auf Pegida, Brandanschläge und dergleichen)
dreht (Fachkräftemangel und Förderung der
„fremdschämen“. Gegen Ende des Jahres
Zuwanderung) und auch die Umstände he
kommt in den Zeitungsberichten überraschend
rausstellt, die als Zuwanderungshindernis ge-
auch die Arbeitskräfteperspektive zurück auf
sehen werden (Übergriffe, Fremdenfeindlich-
die Agenda.
keit u. Ä.). Die in dieser verdoppelten Strate-
Im Januar 2016 zeigt sich die Stimmungs-
gie (Arbeitsmarkt/Menschenrecht) angelegte
lage erneut ganz anders, was auf die Ereig-
Ambivalenz bricht zwei Jahre später offen aus
nisse der Silvesternacht 2015/16 zurückgeht:
64 Die Signifikanzen bewegen sich in den gezeigten Wordclouds nach dem Dice-Maß zwischen 0 und 1. Zur Signifikanzmessung bei Textmining-Analysen siehe die Einführung von G. Heyer u. a. unter: http://asv.informatik.unileipzig.de/uploads/document/file_link/401/TM10_Kookkurrenzbasiertes_Text_Mining.pdf (Folie 14 f.) (abgerufen Juni 2017).
87
Abbildung 5 (a)-(d): „Willkommenskultur“ und „Integration“ im Berichterstattungskontext (Textmining-Analysen) (a) 2010
(b) 2012
(c) 2015, 1. Quartal
(d) 2015, 2. Quartal
Datenbasis: „Willkommenskultur“-Analysekorpus (85 Lokal-/Regionalzeitungen), redaktionelle Beiträge vom 01.01.200530.03.2016, n=16.972. Quelle: Eigene Darstellung (Wordclouds der Textmining-Software „R“)
Abbildung 5 (e)-(h): „Willkommenskultur“ und „Integration“ im Berichterstattungskontext (Textmining-Analysen) (e) 2015, 3. Quartal
(g) 2016, Januar
(f) 2015, 4. Quartal
(h) 2016, März
Datenbasis: „Willkommenskultur“-Analysekorpus (85 Lokal-/Regionalzeitungen), redaktionelle Beiträge vom 01.01.200530.03.2016, n=16.972. Quelle: Eigene Darstellung (Wordclouds der Textmining-Software „R“)
89
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Jetzt sind – vorübergehend – die mit der
setzt sich aus verschiedenen Akteuren und
Bestürzung und dem Gefühl der Bedrohung
Quellen zusammen. Mit 28,5 Prozent gehört
Starke
verbundenen Aussagen signifikant. Weitere
die größte Gruppe zur Arbeitswelt (Vertreter
Ambivalenzen
zwei Monate später, im März 2016, scheint
aus Industrie und Wirtschaft, Verbänden, der
den Textanalysen zufolge die Stimmungskrise
Arbeitgeber, Gewerkschaften, Arbeitsagen-
überwunden zu sein, das bürgergesellschaftli-
tur, anderer zuständiger Behörden und Ämter,
che Engagement steht wieder im Vordergrund.
Ökonomen u. a.), weit abgeschlagen die freien
Die hier nur in aller Kürze skizzierten
Träger (vor allem kirchliche Organisationen)
Ausprägungen zeigen, dass die Lokal- und
mit 11 Prozent, marginal die Amts- bzw. Be-
Regionalpresse den Themenzusammenhang
hördenvertreter vornehmlich der regionalen
zwischen Willkommenskultur und Integration
Ebene (rund 6 Prozent) und die Bürgergrup-
„im Sinne der Erfinder“ vermittelt und ihre
pen, Helfer und Initianten mit rund 7 Prozent.
Berichterstattung bis zum Sommer 2015 über-
Die nach Quartalen untergliederten Häu-
wiegend aus der Perspektive der Politik und
figkeiten zeigen, dass der arbeits- und wirt-
der „Willkommenheißenden“ stattfand. Ihre
schaftspolitische Diskurs die Berichterstat-
Sorgen bezogen sich auf die Feindseligen.
tung der Lokal- und Regionalzeitungen bis
Grundrechtsbezogene Ängste und Bedenken
zum Sommer 2015 dominiert: In zwei von drei
wurden erst im Januar 2016 während ein paar
Zeitungsberichten zum Thema Willkommens-
Wochen relevant, als sich mit der sogenann-
kultur hatten Politiker und/oder Wirtschafts-
Silvesternacht
ten „Kölner Silvesternacht“ eine andere, man
sprecher das Wort. Die Lebenswelt, in der sich
brachte Umschlag
möchte sagen: dunkle Seite zeigte, die mit dem
Willkommenskultur ereignet bzw. ereignen
Euphemismus der Willkommenskultur nicht
sollte, wurde zumeist nur indirekt – über das
zusammenpasste.
Reden der Politiker – thematisiert. Natürlich kam das Thema auch im Lokalen vor; aber
Befunde: Parteien und deren Politiker
auch dort mittels der Akteure aus der Partei-
als Sprecher
politik (mit der Besonderheit, dass manche
Unsere zweite Frage lautete: Über welche
der Akteure in einer Doppelrolle auftraten,
Akteure (in den Texten auftretende Personen,
etwa als Parteipolitiker*in und als Migrations-
Sprecher und Quellen) kam das Narrativ Will-
oder Integrationsbeauftragte).
kommenskultur in den Berichten der Lokal-/
Nun war ja das Narrativ Willkommenskul-
Regionalzeitungen zur Sprache? Sie beantwor
tur, wie im vorigen Abschnitt dargelegt, von
Lokalzeitungen
tet sich so: Knapp die Hälfte (47,4 Prozent)
den Parteien übernommen und popularisiert
folgen der Politik
sämtlicher Beiträge unseres Korpus (bereinig-
worden. Von daher wundert es nicht, dass die-
te Beiträge ab 2005 bis Ende 2012 und ab 2015
se auch den medialen Diskurs zu beherrschen
bis Ende März 2016) berichten über Aussagen
suchten. Unsere nächste Frage lautet daher:
von Parteivertretern. Die starke andere Hälfte
Konnten die Parteiakteure in der Lokal-/Regio
90
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
nalpresse ihre Sicht der Dinge quasi ungestört
Nicht Politik-PR zu verbreiten und auch nicht
vertreten – oder kamen in den Berichten auch
Lautsprecher nur einer Losung zu sein, viel-
andere, davon abweichende Auffassungen zu
mehr für Meinungsvielfalt als Diskursbedin-
Wort?
Die Berichterstattung über eine Po-
gung zu sorgen – diese Arbeit gehört unstrittig
diumsveranstaltung beispielsweise, auf der
zur „öffentlichen Aufgabe“ des Journalismus.
verschiedene politische Gruppen bzw. deren
Sind die Lokal-/Regionalredaktionen ihr auch
Sprecher auftraten, vermittelt bereits ein brei-
nachgekommen?
65
teres Meinungsspektrum. Will nur ein Politi-
Um diese Leistung zu erfassen, haben wir
ker mit seiner Sicht in die Presse kommen,
unterschieden zwischen Berichten, (a) in denen
sollte ein Journalist zusätzlich auch die Sicht
nur eine Partei bzw. deren Politiker vorkommen
Monologe
der anderen Seite (andere Partei, Betroffene,
(Monologe), (b) in denen zwei verschiedene
oder Diskurse
Gegner usw.) recherchieren und mitliefern:
Parteien bzw. deren Politiker zu Wort kommen
Abbildung 6:
Anzahl redaktioneller Beiträge
Die Parteien in den Berichten zur Willkommenskultur
Parteien in Berichten insg.
eine Partei (Monologe)
drei Parteien (Diskurs)
mehr als drei Parteien
zwei Parteien (Dialoge)
* Jahr/Quartal Datenbasis: Analysekorpus „Lokal-/Regionalpresse“ (EIJK) Quelle: Eigene Darstellung
65 Es gehört zu den Standards journalistischer Berichterstattung, bei Politikern stets auch deren Parteizugehörigkeit anzugeben (Abweichendes findet man nur in Bezug auf Regierungsmitglieder). Deshalb gehen wir davon aus, dass mit der Codierung der Parteinamen bzw. -kürzel alle Texte erfasst wurden, die über Politik/Politiker berichteten.
91
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
(Dialoge), (c) in denen drei verschiedene Par-
weise vor – und sind meist durch den Anlass
Bundespolitiker
teien bzw. deren Politiker auftreten (meist ar-
(Parlaments-, Ausschussberichte, Umfragen,
dominieren
gumentierend, darum: Diskurse), sowie (d) in
Podiumsdiskussion u. Ä.) als Sammlung von
denen vier und mehr Parteien bzw. Politiker
Statements gerechtfertigt.
genannt werden (meist per Zitate und insofern
Schauen wir uns die Parteimonologe genau-
eine unstrukturierte Häufung). Unter norma-
er an (siehe Abb. 7) und berücksichtigen auch
tivem Blick wären dialogische und diskursive
hier den Bruch zwischen der ersten Phase (bis
Berichte wünschenswert, weil sie verschiede-
2012) und der zweiten (ab 2015). Hier haben wir
ne Haltungen bzw. Argumente wiedergeben.
nicht die Beiträge, sondern die Parteinennun-
Zu viele Positionen wiederum sind aus Sicht
gen in allen Zeitungsberichten gezählt. Man
des Publikums unübersichtlich und wirken wie
erkennt deutlich, dass die CDU – im Jahr 2011
Gerede nach dem Motto: Jetzt haben alle etwas
noch unterstützt vom Junior-Koalitionspartner
gesagt, egal was.
FDP – mit dem Narrativ Willkommenskultur in
66
Abbildung 6 zeigt unsere Befunde (dabei
der Presseöffentlichkeit dominiert (beide sind
ist zu beachten, dass wir aus Übersichtsgrün-
in 125 Berichten präsent, die SPD in 50, die
den bis inklusive 2012 ganze Jahre skaliert, das
Grünen in 11). Dies ist die Phase, in der die Poli-
heißt jeweils vier Quartale zusammengefasst
tiker die „neue“ Willkommenskultur als Slogan
haben): Im Verlauf des Jahres 2015 – insbeson-
für die Einwanderungspolitik publik machten.
dere im turbulenten zweiten Halbjahr – zogen
Mit der neuen Regierung (Große Koalition) ver-
die Politiker das Willkommenskultur-Thema
schiebt sich die mediale Präsenz: In der Presse
an sich. Und die Journalisten folgten ihnen.
beherrscht jetzt die SPD das Thema, gefolgt
Beispiel Spätherbst 2015: Im 4. Quartal pu
von der CDU. Im 4. Quartal 2015, als die Un-
blizierten die Zeitungen 2.005 Willkommens-
terbringung und Versorgung der vielen Hun-
kultur-Berichte, in denen Politiker das Sagen
derttausend Flüchtlinge höchst prekär wurde,
hatten. Zwei Drittel davon (1.254 Berichte bzw.
dominieren die drei Regierungsparteien die
62,5 Prozent) berichten nur aus der Sicht einer
Diskussion rund um die Willkommenskultur,
Partei, sind also Parteimonologe. Ein Viertel
sie werden fünfmal häufiger genannt als die
(488 bzw. 24,3 Prozent) referiert Argumente
Oppositionsparteien. Die Durchsicht der Be-
aus Sicht zweier Parteien, wirkt also dialogisch.
richte (Close Reading) verdeutlicht, dass sich
Nur jeder zehnte Bericht (232 bzw. 11,6 Pro-
der Kontext des Themas im Vergleich zu 2012
zent) vermittelt drei Sichtweisen und zeigt
radikal verändert hat: Jetzt geht es nicht um
damit einen diskursiven Modus. Berichte mit
ausländische Arbeitskräfte, sondern um die
vier und mehr Parteien kamen nur ausnahms-
Mobilisierung des „bürgergesellschaftlichen“
66 Die Bezeichnungen Monolog/Dialog/Diskurs/Häufung sind nicht theoriegestützt, sondern etikettieren die angetroffenen Tendenzen der Berichterstattungsmuster (eher monologisch, eher dialogisch, eher diskursiv, eher eine Häufung von Statements und insofern nicht diskursiv).
92
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
Abbildung 7:
Anzahl der Parteinennungen in redaktionellen Beiträgen
Monologe – nur eine Partei kommt zu Wort
SPD
CDU
CSU
FDP
Grüne
Linke
AfD
NPD
* Jahr/Quartal Datenbasis: Analysekorpus „Lokal-/Regionalpresse“ (EIJK) Quelle: Eigene Darstellung
Engagements, weil die staatlichen Einrichtun-
wenden es gegen seine Promotoren. Nachdem
gen mit der Problemlösung überfordert sind.
sie bis zum Sommer 2015 von der Presse im
Recherchen über die Ursachen der Probleme
Kontext der Willkommenskultur kaum beach-
haben wir in diesem Zusammenhang keine
tet worden war, wird die AfD nun als Wort-
AfD drängt
gefunden.
führer der Willkommenskultur-Kritiker quasi
nach vorn
Im Laufe des 4. Quartals kommt nun aber
entdeckt und – vor allem im Anschluss an die
auch eine völlig andere Tonlage, Stoßrichtung
Silvesternacht 2015/16 – in der Presse häufi-
und Stimme im Parteienkonzert zu Gehör: Die
ger genannt als jede der Regierungsparteien.
Akteure der „Alternative für Deutschland“ grei-
Grüne und Linke bewegen sich weiterhin auf
fen das Narrativ Willkommenskultur auf und
sehr niedrigem Niveau.
93
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Abbildung 8:
Anzahl der Parteinennungen in red. Beiträgen
Dialoge – zwei Parteien kommen zu Wort
CDU SPD
CDU CSU
CDU FDP
CDU Grüne
CDU Linke
CSU Grüne
CSU SPD
CSU AfD
* Jahr/Quartal Datenbasis: Analysekorpus „Lokal-/Regionalpresse“ (EIJK) Quelle: Eigene Darstellung
94
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
Abbildung 9:
Anzahl der Parteinennungen in red. Beiträgen
Diskurs – drei Parteien kommen zu Wort
CDU CSU SPD
CDU SPD Grüne
CDU SPD AfD
CDU CSU AfD
CDU SPD FDP
CDU CSU Linke
CDU CSU FDP
CDU SPD Linke
CDU FDP Grüne
CDU Grüne Linke
SPD Grüne Linke
SPD FDP Linke
* Jahr/Quartal Datenbasis: Analysekorpus „Lokal-/Regionalpresse“ (EIJK) Quelle: Eigene Darstellung
95
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Die
normativ erwünschten
Parteidia
nur im Lichte der Argumente der beiden Re-
loge fanden in der Lokal- und Regionalpres-
gierungsparteien referiert wurden. In diesem
se rund um das Thema Willkommenskultur
Zusammenhang spielen die beiden Oppo
mit 1.470 Berichten relativ selten statt – und
sitionsparteien im Bundestag praktisch keine
Die Monologe
wenn, dann zwischen den zwei großen Re-
Rolle; Diskurse mit ihrer Beteiligung haben
herrschen vor
gierungsparteien (siehe Abb. 8). Erst mit der
Ausnahmecharakter.
sogenannten „Flüchtlingsflut“ (Bild-Zeitung
96
03.08.2015) häuften sich die Anlässe (und so
Befunde: Sonstige Akteure und Sprecher
auch die Zeitungsberichte), bei denen Vertreter
Fungierte die Berichterstattung der Lokal-/
beider Parteien miteinander argumentierten.
Regionalpresse rund um das Narrativ Will-
Im Herbst gewann dann das Schlagwort „Ober-
kommenskultur tatsächlich als Podium für
grenze“ und die Kontroverse der CSU mit der
die Politiker, die mit ihrer Sicht der Dinge die
CDU (abgeschwächt auch mit der SPD) große
„herrschende Meinung“ prägten? Die referier-
Aufmerksamkeit, die notabene auf das Narrativ
ten Häufigkeiten können dies natürlich nicht
Willkommenskultur abfärbte. Auffällig ist auch
belegen; man kann sie aber als Indikatoren
hier, dass die Oppositionsparteien, und das-
lesen, die diese These stützen. Die Frage lässt
selbe gilt für die AfD, an dem Dialog praktisch
sich jedoch anhand eines weiteren Indikators
nicht beteiligt wurden.
überprüfen: Wer alles kam sonst noch in den
Der für Meinungsbildungsprozesse be-
rund 17.000 Presseberichten zum Thema Will-
deutsame Modus des Diskurses – die Dar-
kommenskultur zu Wort? Gab es andere Grup-
stellung dreier politischer Positionen – kam
pen, Einrichtungen und Sprecher, die aus der
in den untersuchten zwei Zeitphasen mit
engen politischen Bühne ein breites Forum
827 Treffern bzw. 4,8 Prozent selten vor (sie-
machten?
he Abb. 9). Allerdings häufen sich solche
Auf der Suche nach einer Antwort sind
komplexen Darstellungen im zweiten Halb-
wir von der Annahme ausgegangen, dass die
jahr 2015 und vermitteln die Kontroversen
Häufigkeit, mit der eine Person oder Institu-
zwischen den Regierungsparteien in Bezug
tion in den Texten namentlich genannt wird,
auf die Flüchtlingsregistrierung, anschlie-
ein Indikator für ihre Prominenz ist. Beispiel:
ßend zur Frage der EU-Grenzsicherung, des
Ein ausführlicher Bericht über den Einsatz von
Dublin-Abkommens sowie den Disput über die
fünf namentlich genannten Helfern der Pfarrei
Aufnahmebegrenzung. Man sieht daran, dass
St. Georg oder ehrenamtlicher Mitglieder der
auch hier das Narrativ Willkommenskultur von
Initiativgruppe „Offenes Land“ hat ein größe-
den Parteien politisiert wurde und in deren
res Gewicht als eine fünfzeilige Meldung, in der
Argumenterepertoire im öffentlichen Schlag-
nur der Veranstalter genannt wird. Oder wenn
abtausch eingegangen ist. Deutlich tritt auch
die Lokalpresse den Migrationsbeauftragten im
zutage, dass die Positionen der AfD zumeist
Laufe eines Monats dreimal so oft zur Sprache
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
bringt wie den für Soziales zuständigen Bürger
gesellschaftlichen“ Aktivitäten (Bürgerinitia-
Sachverständige
meister, dann gilt die öffentliche Aufmerksam-
tiven und „Runder Tisch“) wurden 76 Mal ge-
kommen nicht vor
keit vermutlich eher dem Migrationsbeauftrag-
nannt. Akteure des rechtsradikalen Spektrums
ten. Wie also sieht demzufolge das Ranking
traten – wenn auch in ganz anderen Zusam-
der im Zusammenhang mit Willkommenskul-
menhängen – etwa genauso oft in Erscheinung
tur am häufigsten genannten Personen bzw.
wie die Beauftragten für Integration (180). Un-
Amtsträger und Einrichtungen aus? Antwort: In
terscheidet man nach den politischen Hand-
der Gesamtheit der von uns untersuchten zwei
lungsebenen, dann agierten fast zwei Drittel
Zeitphasen dominiert Bundeskanzlerin Angela
der von uns identifizierten Akteure/Sprecher
Merkel mit 11.599 Nennungen unangefochten
auf der Bundesebene, rund jeder Achte auf
auf dem ersten Rang. Der Zweitplatzierte ist
der regionalen Ebene (gilt insbesondere für
Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit
die rechtsextremen Positionen) und nur jeder
1.117 Nennungen, also mit nur einem Zehntel
Zehnte auf der lokalen (das heißt im Einzugs-
der Nennungen der Erstplatzierten. An dritter
gebiet der fraglichen Zeitung).
Stelle finden sich die Integrationsminister und
In der Flüchtlingshochphase, also dem
-beauftragten mit 936 Nennungen, gefolgt von
3. Quartal 2015, liegt die Bundeskanzlerin um
den einschlägigen Bundesämtern. Die den Be-
ein Vielfaches vor allen andern (1.617); auf
fund differenzierende Anschlussfrage lautet:
dem 2. Rang folgt Innenminister de Maizière
Bestand diese herausragende Medienpromi-
gleichauf mit den für Flüchtlinge zuständigen
nenz der Bundeskanzlerin schon von Anfang
Bundesämtern (262); weit zurück liegen jetzt
an – oder ist sie kennzeichnend für das Kri-
die Beauftragten für Migration und Integration
senmanagement im Spätsommer, Herbst und
(165). Die „bürgergesellschaftlichen“ Aktivitä-
Winter 2015/16?
ten werden jetzt 380 Mal genannt (überwie-
Um eine Antwort zu finden, haben wir das
gend der „Runde Tisch“); lokale Personen, Gre-
Ranking für das ganze Jahr 2012 mit dem des
mien und Einrichtungen kommen gehäuft vor,
3. Quartals 2015 (Höhepunkt der Flüchtlings-
doch bleiben sie im Vergleich zu den Akteuren
einreise) und dem 1. Quartal 2016 (nach der
auf der Bundesebene zahlenmäßig marginal.
Silvesternacht) verglichen.
Einen ebenfalls rasanten Aufmerksamkeits-
Zum Thema Willkommenskultur nannten
zuwachs erzielen die rechtsradikalen Akteure
die Zeitungen im Laufe des Jahres 2012 am häu-
(343) sowie die mit dem Namen Pegida (*gida)
figsten Bundeskanzlerin Merkel (287), gefolgt
verbundenen Aktionen (476). Was die Hand-
von den Amtsträger*innen bzw. Beauftragten
lungsebenen betrifft, so tritt nun die bundes-
für Integration (187), der Bundesagentur für
politische Ebene stärker hervor ebenso wie die
Arbeit (129) und den Ausländerbeauftragten
regionale; die für die Versorgung der Flüchtlin-
(109). Sämtliche Bundesminister*innen kamen
ge (im wörtlichen Sinne) naheliegende lokale
auf 77 namentliche Nennungen. Die „bürger
Ebene wird überdeckt.
Kanzlerin Merkel ist top
97
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Ein Vierteljahr später, im 1. Quartal 2016,
runtergebrochen“ in die lokale Alltagswelt der
ist die Bundeskanzlerin in den Zeitungs
Leser und es damit quasi neutralisiert – oder
berichten zum Thema Willkommenskultur
wurde es weiter verstärkt?
Opposition
erneut hochpräsent (3.655 Nennungen).
Mit dieser dritten Frage soll analysiert
hat keine Stimme
Geradezu marginalisiert der Innenminister
werden, ob und in welchem Umfang bis zum
(247), dann die sachzuständigen Bundes-
Ende des 2. Quartals 2015 neben neutral-
ämter (106); noch seltener kommen die für
vermittelnden auch distanziert-kritische Dar-
Migration und Integration Zuständigen vor
stellungen auffindbar sind. Auch dies kann
(77). Unter „Ferner liefen“ werden die übri-
im Umgang mit Big Data nicht mit der „hän-
gen Bundesminister genannt (36). Die „bür-
dischen“ Inhaltsanalyse geschehen, sondern
gergesellschaftlichen“ Aktivitäten wie auch
hier dient die algorithmische Berechnung von
lokalen Gruppen haben an Aufmerksamkeit
sprachlich-syntaktischen Zusammenhängen
verloren (244), die rechtsradikalen Akteure
(Kookkurrenzen), die dann mit dem Zugriff auf
hingegen legen zu (386), während Pegida auf
identifizierte Texte – Close Reading – inhaltlich
319 zurückgeht. Wohlgemerkt, wir sprechen
geprüft und belegt werden, als Indikator für
hier nur über den Themenfokus des Narrativs
eine Thesenüberprüfung.
Willkommenskultur.
Das Analysekorpus – nun verkürzt auf die Zeit bis Ende des 2. Quartals 2015 – umfasst
Positiv – neutral – kritisch?
6.982 Texte. Nun trennen wir (soweit möglich)
Wenn schon der bundespolitische Diskurs
die redaktionellen Meinungsbeiträge von den
in den Leitmedien und weiter in der Lokal-/
Texten, die berichterstatten oder Sachverhal-
Regionalpresse in seiner Dominanz fortge-
te schildern (Meldungen, Berichte, Reporta-
schrieben wurde: Geschah dies vielleicht so,
gen, Dokumentationen u. Ä.).67 Entsprechend
dass die positive Besetzung des Wortes quasi
schrumpft sein Umfang um 7,2 Prozent auf
neutralisiert und seine persuasive Wirkung
6.479 Texte, die mit dem Thema Willkommens-
Suche nach
gemildert wurde, indem auch kritische Stim-
kultur berichtend verfahren.68
kritischen Stimmen
men zu Wort kamen? Hat die Regionalpresse
Hier unsere Befunde: Von diesen 6.479 Berich-
in der Zeit vor August 2015, als die vielen Hun-
ten, die bis zum 30. Juni 2015 publiziert wurden,
derttausend Flüchtlinge nach Deutschland kamen, das von der Wirtschaft erwünschte und
konnten wir 385 Texte identifizieren, in de-
von der Politik auf allen Ebenen propagierte
nen Äußerungen enthalten sind, die zum
„Willkommensklima“ differenziert und „he
Thema Willkommenskultur eine mehr oder
67 Die meisten (aber leider nicht alle) Zeitungstexte der WISO-Datenbank geben in ihren Metadaten auch die Platzierung und bei Meinungsbeiträgen die Darstellungsform (meist: Kommentar) an. 68 Aufgrund von Stichproben ist eine Unschärfe von rund 2,5 Prozent (bezogen auf den reduzierten Korpus) zu berücksichtigen.
98
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
weniger kritische Position beziehen.69 Dies
attraktiv machen) jetzt übertragen wurde auf die
sind rund 6 Prozent aller untersuchten Be-
Lage der Flüchtlinge und Asylsuchenden, indem
richterstattungen jenes Zeitraums.
das Narrativ Willkommenskultur mit dem ope-
haben 728 Berichte (11,2 Prozent) Mel-
rativen Begriff Integration verknüpft wird (mehr
dungs- oder Mitteilungscharakter, in denen
dazu im folgenden Abschnitt). In zahlreichen
das Wort Willkommenskultur ohne Bedeu-
Berichten finden sich Forderungen („wir brau-
tungskontext vorkommt und insofern auch
chen …“) oder Ankündigungen („wir wollen …“).
keine Wertung transportiert.
Sie gelten integrationsfördernden Maßnahmen
zeigen die verbliebenen 5.366 Berichte im
(vor allem Förderschulen und Sprachunterricht,
Ein Hoch auf die
Korpus eine durchwegs positive, manche
bessere Unterkünfte, administrative Erleichte-
Willkommenskultur
eine belobigende, viele eine einfordernde
rungen u. Ä.) – ein Kanon, der den Forderungen
Haltung zum Narrativ Willkommenskultur.
der Industrie- und Arbeitgeberverbände aus der
Dies sind knapp 83 Prozent aller Berichte
Zeit bis 2012 entspricht.
(die das Narrativ Willkommenskultur ent-
Ein mit Euphemismen eingekleidetes Stim-
halten) in den untersuchten Lokal- und Re-
mungsbild vermitteln Zeitungsberichte, die auf
gionalzeitungen.
der regionalen und lokalen Ebene Akteure und
vermitteln 43 Prozent der 6.479 Texte (nur)
Protagonisten zu Wort kommen lassen bzw.
die Sicht der Parteien, die als Promotoren
über deren Tätigkeit berichten (freie Träger,
des Narrativs Willkommenskultur auftreten
Vollzugsbehörden, Initiativ- und Bürgergrup-
(SPD, CDU, FDP, Grüne und – weniger eu-
pen, Ovaler bzw. Runder Tisch u. Ä.). Im Früh-
phorisch – auch die CSU).
jahr 2015 finden sich in vielen Lokalausgaben Schilderungen mit dem Tenor: „Eine Willkom-
Nun gab es natürlich auch Berichte, in denen ne-
menskultur gibt es schon“ (Neue Osnabrücker
ben den Parteisprechern noch andere Akteure zu
Zeitung 20.03.2015), oder die Nachricht, dass
Wort kamen. Doch diese vermittelten gegenüber
„unerwartet viele“ Bürgerinnen und Bürger
der Politik keine distanzierte Sicht. Sie verstärk-
zu Veranstaltungen gekommen oder mit da-
ten vielmehr das Willkommenskultur-Plädoyer,
bei seien. Auch in dieser Gruppe finden sich
indem die Protagonisten die real existierende
kritische Äußerungen. Sie gelten freilich nicht
Willkommenskultur als unzureichend, verbesse-
dem Thema Willkommenskultur, sondern der
rungs- bzw. verstärkungsbedürftig bezeichnen.
Bürokratie, namentlich den Ausländerbehör-
Dabei fällt auf, dass die von den Wirtschafts-
den, die aus Sicht der Helfer nicht konstruktiv
vertretern bis 2012 eingebrachte Argumentation
tätig seien – also Kritik im Sinn und Geist einer
Im Sinn des
(Deutschland für hochqualifizierte Migranten
Stärkung der Willkommenskultur.
Arbeitsmarktes
69 Die Item-Liste umfasst Lemmata, die Bestandteil von Wörtern sind, die Skepsis, Bedenken, Einwände, Vorbehalte, Zweifel, Kritik, Abwehr zum Ausdruck bringen. Zwischen den Objektgruppen Kritik/keine Kritik gibt es Unschärfen, die sich nicht berechnen lassen.
99
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
100
Ungetrübte Willkommenseuphorie
identifizierten wir 59 Berichte (1,9 Prozent),
In den vier Wochen nach dem Terrorakt gegen
die Willkommenskultur-kritische Äußerungen
die Redaktionsmitglieder von Charlie Hebdo im
von Vertretern des rechten Politspektrums
Januar 2015 in Paris publizierten die 85 Lokal-/
referierten.
Regionalzeitungen 3.112 Texte, in denen das
Kann man diese Befunde auf die gesam-
Thema Willkommenskultur vorkam. Daraus
te Lokal- und Regionalpresse beziehen? Wie
konnten wir 48 Zeitungsberichte (1,5 Prozent)
oben beschrieben, liegt unserem Analysekor-
identifizieren, die Äußerungen zitierten, die
pus die Quellenliste zugrunde, die wir wegen
Bedenken oder Skepsis zum Ausdruck brin-
des Längsschnitts für das Jahr 2010 ermittelt
gen. Tenor: Die öffentlichen Willkommenskul-
hatten. Wir haben nun für das 1. Quartal 2016
tur-Selbstbelobigungen könnten im Ausland
mit einer aktualisierten, um 15 Zeitungen er-
einen unerwünschten Werbeeffekt entfalten;
weiterten Quellenliste in derselben Daten-
einige Stimmen meinten, dass in Deutschland
bank (WISO/Genios) die Häufigkeiten vergli-
Schutz und Sicherheit vernachlässigt würden.
chen, die über Suchstrings (Willkommenskul-
Berichtsgegenstand waren meist Versamm-
tur und Parteinennungen) erzielt wurden. Die-
lungen oder Podiumsdiskussionen, bei denen
se zeigen bei höheren Trefferzahlen dieselben
auch Skeptiker oder Oppositionelle das Wort
Relationen wie die alte Quellenliste (Näheres
ergriffen. Keiner der Texte war Ergebnis jour-
hierzu siehe Anhang). Die Vermutung ist da
nalistischer Recherchen.
rum gut begründet, dass sich auch dann die-
Über politische Konflikte im Zusammen-
selben Relationen zeigen würden, wenn wir
hang mit der Willkommenskultur berichteten
mit den heute verfügbaren Zeitungsinhalten
vor allem Lokalausgaben aus den Städten
erneut einen – nach Maßgabe der zu Beginn
und Dörfern der neuen Bundesländer, wo sich
dieses Teils genannten Kriterien – bereinig-
Konflikt mit
rechtsnationale und rechtsextreme Gruppen
ten Analysekorpus gebaut und unsere Textmi-
Ultrarechten
bemerkbar machten. Dort äußerten sich nicht
ning-Analyse wiederholt hätten (was wegen
nur AfD-Vertreter, sondern auch Politiker bür-
des enormen Aufwands nicht möglich war).
gerlicher Parteien mitunter skeptisch zur Will-
So gesehen haben die referierten Befunde
kommenskultur – etwa mit dem Verweis auf die
unseres Erachtens Gültigkeit für die gesam-
hohen Kosten für Sicherheit oder auf die Risi-
te Lokal- und Regionalpresse in Deutschland,
ken, die mit den angeblich nicht integrations-
soweit sie über die WISO/Genios-Datenbank
willigen Muslimen verbunden seien. Insgesamt
zugänglich ist.
Die Erfindung der „Willkommenskultur“
4. Mitmachen – Schweigen – Schimpfen
den neuen Rechtspopulismus, die Angst der Thüringer vor dem Islam und Pegida“. Auf die
Die referierten Untersuchungsergebnisse zei-
Frage: „Die Landesregierung rühmt sich seit
gen, dass die Lokal- und Regionalzeitungen
ein paar Jahren ihrer Willkommenskultur für
das Narrativ Willkommenskultur im Sinne der
Ausländer. Nur Lippenbekenntnisse?“, ant-
Positionen des Politikdiskurses verbreiteten
wortete der Fachmann: „Der Begriff klingt gut.
und hierbei deren euphemistisch-persuasive
Das muss aber mit Leben gefüllt werden. Die
Diktion übernahmen. Dabei dominierten ana-
Bemühungen sind zwar da, aber für meinen
log zu den Leitmedien die bundespolitischen
Geschmack ist das zu elitär. Das findet noch
Akteure den medialen Diskurs. Zwar berichte-
zu sehr hinter verschlossenen Türen statt“
ten viele Lokalausgaben auch über die mit dem
(TA, 09.01.2015). Diese allerdings durch keine
Schlagwort Willkommenskultur verbundenen
Nachfragen vertiefte Äußerung ist auch des-
realen Aktivitäten; ebenso wurden Kritiker und
halb eine Ausnahme, weil unter all denen, die
Skeptiker mit erwähnt, soweit sie öffentlich
in den Zeitungen zu Wort kamen, Experten und
das Wort ergriffen. Doch praktisch alle Berichte
Fachleute (je nach Definition) nur 2,5 bis 3 Pro-
vermittelten als Grundtenor, dass der Komplex
zent ausmachten. Statistisch ausgedrückt: Auf
Gesellschaftlicher
Willkommenskultur/Integration nicht zu hin-
17 Politikerstatements kommt nur eines von
Basiskonsens
terfragen, vielmehr von einem gesellschaftli-
einem Experten.
chen Basiskonsens getragen und zunehmend erfolgreich sei. Musterhaft ein Lokalbericht,
Das Gute fördern
dessen Aufmacher so lautete: „Flüchtlinge
Wie sich die Presseberichterstattung auf die
willkommen. Freundeskreis Asyl zieht positive
Einstellung der verschiedenen Bevölkerungs-
Bilanz. Sprecherin zollt Menschen großen Re
gruppen ausgewirkt hat, wissen wir nicht.
spekt“ (Südkurier 03.02.2015).
Meinungsumfragen wie auch Äußerungen vor
Die einleitend referierten Erkenntnisse
allem in Leserzuschriften an die Zeitungen
über die tatsächlichen Gründe, die einer ent-
sprechen indessen dafür, dass sich der gut-
krampften, im Grunde selbstverständlichen
bürgerliche, tolerant eingestellte und liberal
Hilfsbereitschaft entgegenstehen – etwa mi-
denkende Teil der Bevölkerung von der Will-
lieuspezifische Enttäuschungen, Frustrationen
kommenskulturkampagne angesprochen fühl-
und Verlustängste –, kamen nur ausnahms-
te und sie mit Leben füllte. Die vorbehaltslose
Frage nach
weise zur Sprache. Zu diesen Ausnahme
Hilfsbereitschaft, die zahllose Bürger zumal in
Medienwirkung
augenblicken zählten die ersten Tage nach dem
den grenznahen Städten Bayerns und in Mün-
Terroranschlag in Paris Anfang Januar 2015. Da
chen im August und September 2015 an den
führte etwa die Thüringer Allgemeine (TA) ein
Tag legten, war Ausdruck der Willkommenskul-
Interview mit dem Medien- und Islamwissen-
tur, wie sie von den Politikern gefordert, von
schaftler Kai Hafez (Universität Erfurt) „über
den lokalen Medien beschrieben und dann
101
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
gefeiert wurde. Ähnliches lässt sich auch für
Welt. Dem Kleinmut durch aktive Mit-
viele andere Großstädte konstatieren. Die
menschlichkeit ein Ende zu bereiten, ist
Willkommenskulturkampagne hat nicht nur
aller Ehren wert“ (Neue Zürcher Zeitung
Selbstgefälligkeit erzeugt, sondern auch viel
25.09.2015).
zur Mobilisierung des Gemeinsinns und zur Förderung des Sozialverhaltens beigetragen.
Dies ist die eine Seite des Frames, die wir nicht
Mit den Worten eines neutralen Beobachters:
übersehen wollen. Die andere aber betrifft die Effekte, die wir einleitend erwähnt haben: die
„Die Willkommenskultur blendet einiges
mentale Kanalisierung des meinungsoffenen,
aus, was sie als naiv erscheinen lässt.
am gesellschaftlichen Zusammenhalt orien-
Sie fragt nicht danach, wo die Grenzen
tierten öffentlichen Diskurses. Meinungsum-
der Belastbarkeit liegen, stellt sich nicht
fragen und die hohen Stimmanteile der AfD bei
den Problemen der Verteilungsgerech-
den Landtagswahlen machen deutlich, dass
tigkeit (es werden die Sozialhilfeemp-
Unbehagen und Skepsis, auch kritische Ein-
fänger sein, welche die Etats der staat-
stellungen zur Bedeutung der Willkommens-
lichen Wohlfahrt mit Einwanderern teilen
kulturkampagne schon vor den dramatischen
müssen); und sie überträgt das Ideal der
Ereignissen des Sommers 2015 weit verbreitet
Gastfreundschaft auf die dauerhafte Un-
waren und von der Mehrheit so auch empfun-
terbringung von Fremden (Migranten sind
den wurden.70
Moralität des
aber keine Gäste auf Besuch). Doch die
Wie weit diese Diskrepanzen auf die Me-
Willkommens
Moralität des Willkommens überzeugt. Es
dienberichterstattung
gibt zu viel Geiz, Besitzstandswahrung,
den können, werden wir in Teil 4 anhand des
Ignoranz, Wegsehen, Verhärtung in der
Schweigespiralen-Konzepts ausleuchten.
zurückgeführt
wer-
70 „Die Deutschen fühlen sich in Sachen Flüchtlingspolitik und Zuwanderung übergangen. In einer Umfrage von TNS Forschung für den SPIEGEL sagten 65 Prozent, die Regierungsparteien der Großen Koalition gingen nicht ausreichend auf ihre Sorgen zu diesem Thema ein“ (Spiegel Online 13.12.2014). Aus einer Repräsentativerhebung im Auftrag der Wochenzeitung Die Zeit: „Auf die Frage ‚Sind Sie der Meinung, dass Deutschland aktuell zu viele oder zu wenige Flüchtlinge aufnimmt‘, antworteten insgesamt 59 Prozent der Befragten, Deutschland nehme ‚deutlich zu viele‘ (30 Prozent) oder ‚eher zu viele‘ (29 Prozent) auf. Besonders problematisch bewertet wird die Zahl der Flüchtlinge von den Menschen in den Altersklassen zwischen 25 und 54“ (Die Zeit 15.12.2014).
102
Die Dynamik der Grossereignisse
Teil 3: Die Dynamik der Großereignisse
1.
Wie die Leitmedien die Vorgänge vermittelt haben
tet; bis Ende 2016 wurde das Video mehr als 580.000 Mal abgerufen).71 Zahlreiche Reaktionen der Medien schlu-
Am 5. August 2015 sprach die Moderatorin
gen in dieselbe Kerbe; das Vice-Magazin brach-
der ARD-Sendung Panorama, Anja Reschke,
te ein Ranking der „dümmsten“ Sprüche von
in einem Kommentar der Tagesthemen deut-
Fremdenhassern. Der Filmemacher Til Schwei-
liche Worte: Die rassistischen Hasstiraden
ger verkündete in einer TV-Show, die Hass-
im Internet würden immer zahlreicher, immer
Blogger seien vom zu häufigen Reality-TV-Gu-
unverfrorener und kämen sogar oft mit Klar-
cken „verdumpft“. Drei Wochen vor Reschkes
namen. Offenbar schämten sich diese Hetzer
Ansprache titelte die deutsche Huffington Post
nicht mehr, fand Reschke, weil sie glaubten,
mit dem Zitat: „Willkommen, liebe Flüchtlinge,
sie seien in der Mehrheit. „Scheißkanacken!“,
gut, dass ihr hier seid" (16.07.2015). Eine Wo-
„Wie viele wollen wir noch aufnehmen?“, „Soll
che nach dem Auftritt erschien die Wochenzei-
man anzünden“, „Sollen abhauen“. Diese Flut
tung Die Zeit mit dem Titelthema „Willkommen!
menschenverachtender Hasstiraden würde
Was widerfährt einer Familie aus dem Irak, die
zudem Gewaltbereite ermutigen und dazu
in Deutschland Zuflucht sucht? Geschichten
beitragen, dass immer mehr Flüchtlingsheime
aus einem Land, das Fremden die Hand reicht“.
und Asylunterkünfte in Brand gesteckt wer-
Die Überschrift der Titelstory – sie handelt von
den. „So kann es nicht weitergehen“, sagte
der hindernisreichen Flucht einer irakischen
„So kann es
Reschke, es sei an der Zeit, „den Mund auf-
Familie mit drei Kindern – lautete: „Im gelobten
nicht weitergehen“
zumachen“ und diesen Leuten klar und deut-
Land!“ (Die Zeit 32/2015).
lich zu sagen, dass sie eine kleine Minder-
Diese und zahlreiche weitere Aufmacher,
heit sind. Die Mehrheit, „das sind wir“, das
Bilderstrecken und Kommentare in den soge-
seien die Bürger, die fremdenfreundlich und
nannten Mainstreammedien auf der einen und
hilfsbereit sind. „Die Hassschreiber müssen
die von Hasstiraden überquellenden Blogs
kapieren, dass diese Gesellschaft das nicht
und Kommentarspalten auf der anderen Sei-
toleriert.“
te: Sie sind Ausdruck einer tiefen Spaltung,
Ausdruck
Reschke erhielt weit mehr als 20.000 zu-
die seit Beginn der großen Flüchtlingswelle
tiefer Spaltung
stimmende, aber erneut auch diffamierende
im Sommer 2015 das Meinungsklima prägt.
Hass-Mails. Rund 10 Millionen Zuschauer ha-
Öffentlich ausgetragene Kontroversen sind
ben sich während der folgenden 24 Stunden
nichts Neues. Das Neue an diesem Bruch
laut ARD die Publikumsansprache Reschkes
scheint indessen die Unerbittlichkeit und
angeschaut (sie ist seither auf YouTube gepos-
die kategorische Weigerung zu sein, mit den
71 Der Kommentar und ein am Folgetag mit Anja Reschke geführtes ARD-Interview sind auf YouTube zu sehen (https:// www.youtube.com/watch?v=i9kv-rmvGKg; https://www.youtube.com/watch?v=BY85V2ULoy8; abgerufen Januar 2017).
103
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Andersdenkenden im öffentlichen Gespräch
kann indessen nur Medienaussagen in den
zu bleiben.
Blick nehmen. Ihre Befunde sind darum (nur)
Die doppelten
Aus Sicht der Medienmacher – dafür steht
als eine Dimension in diesem mehrdimensi-
Feinde
die Episode mit Anja Reschke – war der Ab-
onalen Kommunikationsmodell zu lesen und
bruch des gesellschaftlichen Diskurses denen
sollten nicht als ursächlich verstanden werden.
anzulasten, die sich als die Missachteten und Übergangenen sehen und wütend sind. Unse-
Wir suchen nun nach Antworten auf die folgen-
re Befunde lassen aber genauso die These zu,
den Fragen:
dass der Abbruch von den meinungsführenden Medien befördert wurde – quasi stillschweigend, indem Menschen mit abweichenden Leitmedien
Meinungen und Ängsten auch deshalb aus-
unter der Lupe
gegrenzt wurden, weil man sie zur dunklen Welt der Fremdenfeindlichen zählte, die auch Gewalt gegen Asylsuchende billigend in Kauf nähmen. Die von der Tagespresse vermittelte Willkommenskultur-Euphorie erzeugte das passende Meinungsklima und kann als wirksame Bekräftigung dieser ausgrenzenden Schuldzuweisung gedeutet werden. Unser Ansatz geht davon aus, dass diese Entweder-oder-Positionierung dem realen Geschehen nicht gerecht wird. Die mit der He
Haben die drei Leitmedien anlässlich der verschiedenen meinungsprägenden Groß ereignisse die Sorgen, Nöte und Ängste derjenigen thematisiert, die sich der Willkommenskultur-Euphorie nicht anschließen mochten? Haben sie die Probleme, Einwände und Vorbehalte aufgegriffen und hierzu die aktiv Beteiligten sowie Experten und Fachleute zu Wort kommen lassen? Kam es bei dem einen oder anderen der Großereignisse zu einer öffentlich ausgetragenen Debatte, an der sich die verschiedenen Lager und Gruppen beteiligt haben?
rausbildung von Fremdenfeindlichkeit verbun-
Angesichts der Ergebnisse, die im vorigen Teil
denen psychologischen und sozialen Disposi-
in Bezug auf das Narrativ „Willkommenskul-
tionen wie auch die politischen und mentalen
tur“ in der Regionalpresse vorgestellt wurden,
Einflussgrößen stehen kausalen Erklärungen
ist die Hypothese naheliegend, dass die Leit
im Wege. Wie in der Einleitung dargelegt, stützt
medien diese Chancen eher nicht ergriffen ha-
sich unser Ansatz darauf, dass öffentliche Kom-
ben.
munikation zumal in Zeiten des Internets dynamisch und „transaktional“ geschieht,72 dass
Das Konzept der Analyse
also die dem Denken innewohnende Trennung
Wir greifen die einstellungsprägenden Ereig-
von Henne und Ei ins Nirgendwo führt. Die
nisthemen wieder auf, die wir im ersten Teil
nachfolgend wiedergegebene Inhaltsanalyse
erläutert haben (siehe Tab. 1 „Die für die Mei-
72 Dieser Ansatz folgt in theoretischer Hinsicht dem „dynamisch transaktionalen Modell“, das Wirkungsprozesse der Medien im Kontext ihrer individuellen Nutzung modelliert (vgl. Früh 1991).
104
Die Dynamik der Grossereignisse
nungsbildung als relevant identifizierten Groß
Formen, nicht der Meinungsbeiträge (mit
ereignisse 2015“). Zu diesen Großereignissen
diesen wird sich der nächste Abschnitt be-
untersuchten wir die Berichterstattung der drei
fassen)
Leitmedien Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung und Die Welt.
(f) Aus welcher Sicht und mit welchen Argumenten beurteilen die Kommentatoren die Vorgänge, Maßnahmen und Pläne? g Per
Für die folgende Textanalyse wählten wir aus-
spektive, Argumentationslogik und Begrün-
sagestarke Kategorien des Codebuchs (hinter
dungen in den Kommentaren
den Pfeilen genannt), die die folgenden Fragen beantworten: (a) Wie sind die Ereignisthemen aufbereitet? g Darstellungsformen
Damit ist auch schon gesagt, dass wir dem im Informationsjournalismus unstrittigen Grundsatz folgen: Die nachrichtlichen Texte sollten weitestgehend „meinungsfrei“ die Ereignisse
Qualität der
(b) Wer kommt in den Texten vor? g Explizit ge-
beschreiben und in einen Sachzusammenhang
Informations-
nannte Akteure, Sprecher, Informanten und
bringen, damit die Leser sich möglichst vorur-
leistung
Betroffene, soweit sie für den Vorgang/das
teilsfrei und umfassend ins Bild setzen können
Thema relevant sind (Definition der Rele-
(zur Funktion der Meinungsbeiträge siehe den
vanz: Auftritt im vorderen Berichtsteil inkl.
nächsten Abschnitt).
Titelkomplex und/oder wiederholte Nen-
Zur Erinnerung (siehe Teil 1): Für die zehn
nung); im Folgenden „Akteure/Sprecher“
Großereignisse – zusammengenommen zwan-
genannt
zig Wochen – wurden insgesamt 1.687 redak-
(c) Für wen oder was sprechen diejenigen, die
tionelle Texte erfasst und analysiert. In diesen
in den Texten vorkommen? g Zuordnung
wurden 9.216 Quellen/Informanten/Akteure/
der als relevant identifizierten Akteure/
Sprecher ermittelt, von denen wiederum 3.651
Sprecher zu Funktionsbereichen nach
als „relevant“ (im zuvor definierten Sinne)
Maßgabe einer Liste mit 42 Kategorien
genauer untersucht wurden. Die nachfolgen-
(d) Ist das Berichtsthema konflikthaltig?
de Beschreibung bezieht sich auf die 1.391
g Sprachliche Merkmale im Titelkomplex
berichtenden Texte, in denen 3.308 relevante
und dem Berichtstext
Akteure/Sprecher identifiziert wurden.73 Die
(e) Gehen die berichtenden Texte mit ihrem
Daten zu den folgenden Ergebnissen sind in
Thema/Gegenstand neutral oder wertend
den Tabellen 28-33 im Anhang dieser Studie
um? g Tonalität nur der tatsachenbetonten
zusammengestellt.
73 Weitere Informationen zum methodischen Vorgehen sowie das Codebuch können online eingesehen werden; siehe Anhang, „Zur Methodologie“, S. 147.
105
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
2. Was, wer, wann, wie? Die Einzel analyse der zehn Großereignisse
Überhang der CDU-Zugehörigen. Diejenigen, um deren Wohl es in jenem Brief eigentlich ging, scheinen bedeutungslos zu sein: Nur fünf
E1: Drei Länderchefs schreiben an
der in allen Zeitungstexten als relevant auftre-
tenden Akteure/Sprecher gehören zur Gruppe
Angela Merkel
Was? Die drei Ministerpräsidenten Winfried
der Migranten, Flüchtlinge und Asylsuchen-
Kretschmann (Grüne), Malu Dreyer (SPD) und
den. Ebenso wenig Bedeutung erlangen jene,
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier
die sich im Alltag konkret um die Flüchtlinge
(CDU) fordern in einem Brief an Angela Merkel
kümmern: die kirchlichen Einrichtungen, die
ein Bleiberecht für junge Asylbewerber in Aus-
sozialen Träger sowie Gemeinschaften, Initia
bildung (04.02.2015).
tiven und freien Organisationen. Insgesamt
Wer? Kretschmann (Grüne), Dreyer (SPD), Bouf-
wird das Ereignisthema sachlich vermittelt, das
fier (CDU), die Bundesregierung (Angela Mer-
heißt, die meisten Berichte sind in neutralem
kel)
Ton gehalten; nur in einem Bericht haben wir
Wann? 06.02.2015 bis 14.02.2015
einen auktorialen Stil festgestellt.
Viel Lust am
Primärquellen in den Medien: Brief von Win-
Die journalistische Freude am Kommen-
Kommentieren
fried Kretschmann (Grüne), Malu Dreyer (SPD)
tieren erklärt sich wohl auch daraus, dass der
und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier
Vorgang als kontrovers und konflikthaltig auf-
(CDU) an Angela Merkel. (Der SZ lag der Brief
bereitet wurde: 11 der 18 Texte nennen einen
offenbar zuerst vor, da diese in den anderen
Dissens bereits im Titelkomplex; nur drei Texte
Zeitungen zum Teil als Quelle genannt wird.)
beschreiben die Lage, ohne eine Kontroverse herauszukehren.
106
Das Großthema Flüchtlinge/Asylsuchende ist
Man könnte diesen Befund als themenge-
aus Sicht der drei Zeitungsredaktionen eher
recht bezeichnen, schließlich handelt es sich
bedeutungslos. Neben der nachrichtlichen Ver-
um Meinungsverschiedenheiten zwischen poli-
mittlung (23 Texte) finden sich 8 Kommentare
tischen Akteuren. Diese Bewertung folgt indes-
und Fremd- bzw. Gastbeiträge. Demzufolge
sen dem überkommenen Rollenverständnis,
handelt es sich um ein Ereignis, das die Jour-
dem zufolge die Journalisten die Politik in der
nalisten zum Räsonnement und zur politischen
politischen Arena belassen. Demgegenüber
Spekulation reizt, nicht aber zu einer Recherche
wäre vom Journalismus des Internetzeitalters
über die Ursachen, Umstände und Zwecke, die
zu erwarten, dass er die Ereignisthemen über-
zu dem Brief geführt haben. Insgesamt fanden
setzt und (auch) aus der Sicht der Alltagswelt
wir in den Zeitungstexten 112 relevante Akteu-
Fragen stellt und recherchiert. Man kann sich
re/Sprecher. Davon gehören vier von fünfen zur
daher fragen, weshalb die drei Qualitätsmedi-
Politik: gut 40 Prozent zur Landes- und knapp
en den Brief der Landeschefs nicht zum Anlass
30 Prozent zur Bundesebene mit deutlichem
nahmen, um an Ort und Stelle mittels Befra-
Die Dynamik der Grossereignisse
gung der Beteiligten die Situation der Betrof-
tembergischer Ministerpräsident, Grüne) u. a.
fenen auszuleuchten, die im Brief erhobenen
Wann? 10.02.2015 bis 20.02.2015
Thesen zu prüfen und die Probleme anschau-
Primärquellen in den Medien: Migrations
lich zu machen.
bericht der Bundesregierung (2013), Bundes
Diese Frage sollten wir sinngemäß auch
agentur für Arbeit, Kriminalitätsstatistik des
bei den folgenden Fallbeschreibungen quasi
Bundeskriminalamtes, Bundesamt für Mi
im Hinterkopf behalten.
gration und Flüchtlinge (Bericht des BAMF, der Bundespolizei und der Länder zu dem Thema).
E2: Endlich Fakten:
Wo kommen sie her, wie viele sind es?
Diese Informationen erregen Aufmerksamkeit,
Was? Die Bundesregierung beantwortet eine
weil nun erstmals belastbare Daten zur Verfü-
Anfrage der Linksfraktion. Sie besagt: „Die
gung stehen – ein für Journalisten geeigneter
Zahl der in Deutschland lebenden Flücht-
Anlass („Aufhänger“), um ihre Leser über die
linge hat sich im vergangenen Jahr auf etwa
Situation der Migranten und Flüchtlinge, über
629.000 erhöht. Das ist ein Zuwachs um rund
aufenthaltsrechtliche Probleme wie auch über
130.000 Menschen“ (zit. nach Spiegel Online
die Arbeit der betreuenden Gruppen und Ein-
12.02.2015). Zudem erwarte das Bundesamt
richtungen ausgiebig zu informieren und die
für Migration an die 300.000 Asylanträge, zu-
Situation anschaulich zu machen.
gleich aber auch „mehr Abschiebungen“ (zit.
Die Analyse der Darstellungsformen der
Mangelnde
nach Tagesschau). In diesem Rahmen stellen
insgesamt nur 39 Texte zum Thema vermittelt
Aufklärung
die Bundesbehörden neue statistische Kenn-
ein ganz anderes Bild: Es finden sich fast nur
zahlen zum Komplex Migration/Asylsuchende
Meldungen und Kurzberichte sowie erneut
vor: Wie setzt sich der Wanderungssaldo (Ein-
zahlreiche Kommentare (jeder vierte Text) und
und Auswanderungen) zusammen? Wer kommt
nur in zwei Zeitungen je ein Erlebnisbericht
und vor allem aus welchen Ländern? Dunkel-
tage). Was die relevanten Akteure/ (Repor
ziffern? Straffälligkeiten? Die Mediendebatte
Sprecher betrifft, so gehören drei von vier Nen-
fokussiert überwiegend den Zustrom von Asyl-
nungen zur etablierten Politik; knapp 53 Pro-
bewerbern – obgleich die Mehrheit der Migran-
zent sind abstrakte Quellen (Institutionen).
ten aus EU-Ländern kommt. Auch auftretende
Mit knapp 7 Prozent unerwartet hoch ist der
Konflikte werden thematisiert.
Anteil derer, die zur Judikative (Polizei, Straf-
Wer? Markus Ulbig (sächsischer Innenminister,
verfolgung, Rechtsprechung) gehören. Nur
CDU), Thomas de Maizière (Bundesinnenminis-
jede zwanzigste Nennung galt einem Migran-
ter, CDU), Volker Jung (hessen-nassauischer
ten oder Flüchtling.
Kirchenpräsident), Bundesregierung, Bundes-
Überraschend, dass auch bei diesem The-
polizei, Joachim Hermann (bayerischer Innen-
ma mehr als die Hälfte der Berichte auf der
minister), Winfried Kretschmann (baden-würt-
politischen Ebene einen Konflikt thematisie-
107
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Tendenziöse Berichte
ren. Obwohl es mehr als beim vorigen Thema
Beachtung als den vorausgegangenen Themen.
um Aufklärung anhand von Daten und Fakten
Die Hälfte der Texte ist nachrichtlich, etwa je-
geht, ist der Anteil der Berichte mit neutraler
der fünfte ein Kommentar. Diesmal finden sich
Tonalität geringer, derjenige mit tendenziöser
auch Dialog- und Erzählformen sowie Gast-
Tonalität deutlich höher (5 von 20).
beiträge – ein Indiz, dass dieses „handfeste“ Ereignis aus unterschiedlichen Perspektiven
E3: Ein Ortsbürgermeister gibt
angegangen wurde. Ein Blick auf die in den
Texten genannten relevanten Akteure/Spre-
sich geschlagen
Was? Gegen den Bau bzw. die Unterbringung
cher bestätigt diese Mehrdimensionalität eher
von 50 Flüchtlingen in Tröglitz formiert sich Wi-
nicht: Vier von fünf gehören zur Welt der insti-
derstand in der Bevölkerung. Im Verlauf mehre-
tutionellen Politik, seien es Stadtrat, Kreisrat
rer Monate radikalisiert sich dieser Protest. Mit
und die Landesregierung mit ihren Behörden,
der Organisation von „Spaziergängen“ demons-
sei es die Ebene der Bundesregierung und des
trieren Personen der rechten Protestszene ge-
Bundestags. Jeder dritte Akteur gehört zu einer
gen die geplante Unterbringung. Der ehrenamt-
der Parteien, die im Bundestag vertreten sind;
liche Ortsbürgermeister wird verbal attackiert
jeder zweite genannte (52,9 Prozent) gehört
und bedroht. Daraufhin tritt er zurück und nennt
keiner Partei an. Nur jede zehnte dieser Nen-
Angst vor rechter Gewalt sowie mangelnde Un-
nungen ist eine Person oder Bürgergruppe, die
terstützung durch den Landrat als Gründe. Zahl-
direkt mit den Vorgängen (Rechtsextremismus,
reiche Politiker und Prominente fernab von Trög-
Polarisierung und Tröglitz) zu tun hat.
litz solidarisieren sich mit dem Bürgermeister.
Die drei Leitmedien thematisieren den Kon-
Wer? NPD-Sympathisanten, Steffen Thiel
flikt überwiegend schon im Titelkomplex. Be-
(NPD-Kreisrat), Markus Nierth (ehemaliger
merkenswert ist der hohe Anteil an wertenden
Ortsbürgermeister Tröglitz), Götz Ulrich (Land-
Formulierungen in den Berichten: Zwei von fünf
rat, CDU).
Berichten sind nicht neutral abgefasst, rund ein
Wann? 10.03.2015 bis ca. 07.04.2015
Viertel zeigt eine auktoriale Tonalität. Offenbar
Primärquellen in den Medien: Markus Nierth
wollen die Berichterstatter deutlich machen,
(ehemaliger Ortsbürgermeister Tröglitz), Götz
was sie politisch von den Vorgängen halten.
Ulrich (Landrat, CDU), Reiner Haseloff (Ministerpräsident, CDU), Holger Stahlknecht (Landes
E4: Tod im Mittelmeer –
innenminister, CDU), Heiko Maas (Bundes
justizminister), Armin Laschet (CDU-Bundes
Was? Mehr als tausend Flüchtlinge ertrinken
vize)
im Mittelmeer. Zeitgleich findet ein Treffen der
EU diskutiert einen 10-Punkte-Plan
EU-Außenminister statt. Die Minister, auch der
108
Die drei Leitmedien schenken den Vorgängen
deutsche, fordern eine europäische „Lösung“.
in und um Tröglitz mit 52 Texten deutlich mehr
Die EU-Minister diskutieren einen 10-Punkte-
Die Dynamik der Grossereignisse
Plan; in den folgenden Tagen machen mehrere
Die Analyse der in den Texten als relevant
Regierungschefs unterschiedliche Vorschläge.
behandelten bzw. auftretenden Akteure, Spre-
Ein EU-Sondergipfel bewilligt mehr Geld, be-
cher und Quellen ergibt hingegen folgendes
schließt aber kein Konzept.
Bild: Zwei Drittel von ihnen gehören der Politik-
Wer? Thomas de Maizière (Bundesinnenminis-
Ebene an (45,4 Prozent sind gar keine individu-
ter, CDU), Matteo Renzi (italienischer Premier),
ellen Personen, sondern institutionelle Spre-
Papst Franziskus, Joseph Muscat (Ministerprä-
cher); jede zehnte Nennung bezieht sich auf ein
sident Malta), Frederica Mogherini (EU-Außen-
Amt oder eine Behörde (unpersönliche Quelle,
beauftragte), Donald Tusk (EU-Ratspräsident),
Verwaltung, Judikative). Zusammengerechnet
Angela Merkel (Bundeskanzlerin), Frank-Walter
sprechen drei von vier Akteuren/Sprechern im
Steinmeier (Außenminister, SPD), David Came-
Namen einer der institutionellen Ebenen. Mit
ron (britischer Premierminister) u. a.
jeder zehnten Nennung kommt ein „funktions-
Wann? 19.04.2015 bis 04.05.2015
freies“ Individuum zur Sprache: überwiegend
Primärquellen in den Medien: UNHCR, Bundes
Bürger, auch aktiv Tätige. Doch die Betroffenen
Betroffene sind
außenministerium
– hier: Flüchtende und Asylsuchende – gehö-
nicht wichtig
ren praktisch nicht zu den für relevant BefunDie drei Leitmedien schenken diesem Themen-
denen (1,2 Prozent).
komplex mit 85 Beiträgen große Beachtung.
Der Konfliktgehalt bzw. die Kontroverse
Etwa jeder zweite Text ist ein Bericht (kaum
des Themas wird aufgezeigt, aber nicht wei-
Meldungen), zudem werden relativ viele Gast-
ter skandalisiert (nur jeder fünfte Bericht ver-
beiträge gebracht, Interviews geführt und ein
kündet schon im Titelkomplex einen Konflikt).
paar augenscheinliche Erlebnisberichte pu-
Allerdings neigen die Berichterstatter auch in
bliziert. Die Kommentierlust ist mit 14 Texten
nachrichtlichen Texten zu einer eingefärbten,
größer als bei den Themen zuvor, doch anteils-
auktorialen Tonalität – eine Attitüde, die dann
mäßig (16,5 Prozent) geringer. Diese Merkmale
hervortritt, wenn die beschriebenen Akteure
deuten auf eine vielschichtige, breit gefächerte
auf der internationalen Politikebene (Ausland,
Themenvermittlung hin, zumal es sich sowohl
EU) agieren.
um „hautnah“ darzustellende Ereignisse im Mittelmeerraum als auch um Debatten und
E5a: Plötzlich sind sie da:
Kontroversen auf der abstrakten Politikbühne
in Brüssel handelt. Diese Vielfalt an Themenzu-
Was? Über die österreichische Grenze kommen
gängen und -umsetzungen deuten wir als hohe
täglich viele Tausende Flüchtlinge. Ihre Einreise
Kommunikationsleistung. Ob dies (auch) damit
nach Deutschland bedeutet eine De-facto-Au-
zu tun hat, dass die menschenunwürdigen Er-
ßerkraftsetzung der Dublin-III-Verordnung, der
eignisse weit weg von Deutschland stattfan-
zufolge ein Flüchtling in dem EU-Mitgliedsstaat
den, bleibe dahingestellt.
Asyl zu beantragen hat, dessen Territorium er
Hunderttausende neue Flüchtlinge
109
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
als Erstes betreten hat. Die Haupttransitländer
Davon sind zwei Drittel nachrichtlich-berich-
der Flüchtlinge aus Nordafrika und Syrien sind
tend und knapp 16 Prozent Meinungsbeiträge
Türkei und Griechenland, die nun die Flüchtlin-
(das heißt, jede Zeitung brachte im Lauf ihrer
ge ins Innere des Schengenraumes weiterzie-
12 Ausgaben im Mittel 16 Kommentare zum
hen lassen. Via Balkanroute erreichen sie ihr
Thema). Eine breite Vielfalt findet sich indes-
Dramatische
Wunschziel Deutschland. Es gibt dramatische
sen nicht: Es wurden zwar einige schildernde
Bilder und Szenen
Bilder von den Flüchtlingstrecks in Ungarn und
Erlebnisberichte (Reportagen) und Interviews
Österreich. Das Bundeskanzleramt verkündet
gedruckt, doch zusammengenommen machen
die Prognose, dass bis Ende des Jahres bis zu
sie nur 11 Prozent aus. Mit anderen Worten: Nur
800.000 Flüchtlinge Deutschland erreichen
etwa jeder zehnte redaktionelle Beitrag bricht
werden. Es kommt zu heftigen Protestreak
aus den üblichen Berichterstattungs- und Kom-
tionen in zahlreichen Gemeinden insbeson-
mentarroutinen aus.
dere Ostdeutschlands; über die sozialen Medi-
Die in den redaktionellen Beiträgen ge-
en breitet sich eine Hasskommentarwelle aus.
nannten relevanten Akteure/Sprecher reprä-
Wer? Angela Merkel (Bundeskanzlerin, CDU),
sentieren diesmal ein breites Akteursfeld. Zwar
Thomas de Maizière (Bundesinnenminister,
dominiert auch hier die institutionelle Politik
CDU), Europäische Union, Viktor Orbán (unga-
(Parteien, Parlamente, Regierungen) und un-
rischer Ministerpräsident), Werner Faymann
ter den Parteien CDU (8,9 Prozent) und SPD
(österreichischer Bundeskanzler), Jean-Claude
(7,7 Prozent), doch jetzt finden sich auch Quel-
Juncker (EU-Kommissionspräsident)
len und Sprecher, die zu den sozialen Einrich-
Wann? 10.08.2015 bis 23.08.2015
tungen, Gruppen und Verbänden gehören. Al-
Primärquellen in den Medien: Pressemittei-
lerdings betrifft nur jede zwanzigste Nennung
lungen des Bundesinnenministeriums, Statis-
eine Einzelperson oder den Sprecher einer In-
tisches Bundesamt (Destatis), und von Behör-
itiative, Bürgerbewegung, Gemeinschaft usw.
den der betroffenen Bundesländer Bayern und
Und auch diejenigen, um die es de facto geht,
Sachsen
treten häufiger in Erscheinung, doch aufs Ganze gesehen noch immer selten: Die Flüchtlinge
Die sich überstürzenden Ereignisse lassen eine
und Asylsuchenden machen 6,3 Prozent aller in
intensive Berichterstattung mit einem hohen
den Texten als relevant behandelten Akteure/
Anteil an nachrichtlichen Formen (Meldungen,
Sprecher aus. Genauso selten kommen übri-
Faktenberichte) und einer breiten Palette von
gens diejenigen zur Sprache, die das Problem
Darstellungsformen erwarten. Die Analyse
im Alltag zu lösen haben: die zuständigen kom-
Berichtsroutinen
bestätigt diese Erwartung: Im Laufe der zwei
munalen Einrichtungen und Träger. Die demge-
dominieren
Untersuchungswochen (12 Zeitungsausgaben)
genüber abgehobene Welt der Politik kommt
bringt jede der Zeitungen rund hundert redak-
zehnmal häufiger vor. Kritiker der Flüchtlings-
tionelle Beiträge (im Mittel 8,3 pro Ausgabe).
aufnahmepolitik finden sich in den Berichten
110
Die Dynamik der Grossereignisse
praktisch nicht (eine Stimme auf 120). Wie zu
vention der Bundespolitiker einen besonde-
Die Helfer
Beginn dieses Teils diskutiert wurde, verschaf-
ren Stellenwert. Zum Kontext gehört die seit
haben
fen sie sich vermutlich über andere Kanäle wut-
Montagsbeginn intensivierte „Flüchtlingsbe-
keine Stimme
entbrannt Gehör.
richterstattung“ zumal aus den grenznahen Regionen Bayerns. Allein in dieser Untersu-
E5b: Heidenau
chungswoche publiziert jede Zeitung (6 Aus-
Was? Am 21. August 2015 sollen Flüchtlinge in
gaben) im Mittel 90 redaktionelle Beiträge
ein neu eröffnetes Notquartier im sächsischen
rund um das Thema Flüchtlinge/Asylsuchende
Heidenau einziehen. Es kommt zu krawallarti-
(im Mittel 15 Texte pro Ausgabe). Dabei bleibt
gen Ausschreitungen durch Flüchtlingsgegner.
der Anteil der nachrichtlich informierenden
Zwei Nächte in Folge randalieren Rechtsex
Textsorten mit knapp 60 Prozent im selben
treme vor dem Heim und blockieren Zugänge.
Rahmen wie zuvor (E5a). Indessen regt das
Großes Medienecho. Angela Merkel nennt die
Agieren der Berliner Politiker die Kommenta-
Vorfälle „beschämend“ und „abstoßend“. In-
toren stärker an (Anteil der Meinungsbeiträge
nenminister de Maizière droht mit der „gan-
knapp 19 Prozent). Intensiver als bei den vori-
zen Härte des Rechtsstaates“. Vizekanzler Sig-
gen Ereignisthemen vermitteln die Leitmedien
mar Gabriel gibt der Konfrontation eine neue
die Heidenauer Stimmungslage mit anschau-
Schärfe, indem er bei einem Besuch in Heide-
lich schildernden Erlebnisberichten (33 Texte
nau gewaltbereite Krawallmacher als „Pack“
bzw. 12 Prozent). Rund jeder zehnte Text ist
bezeichnet. Als Gegenaktion feiern Fremden-
ein Gastbeitrag. Sehr rar sind die dialogischen
freundliche und Flüchtlinge kurz darauf ein
Formen: Unter den 277 Texten haben wir nur
Willkommensfest.
zwei Interviews ermittelt.
Wer? Angela Merkel (Bundeskanzlerin, CDU),
Unter den relevanten Akteuren/Sprechern
Thomas de Maizière (Bundesinnenminister,
finden sich mit 11,5 Prozent erwartungsge-
CDU), Sigmar Gabriel (Vizekanzler und Bun-
mäß relativ viele, die im Namen der Judikative
deswirtschaftsminister, SPD), Stanislaw Tillich
(Polizei, Strafverfolgung, Rechtsprechung) zu
Strafverfolger
(sächsischer Ministerpräsident, CDU), Markus
Wort kommen. Doch wiederum gehören knapp
haben
Ulbig (sächsischer Innenminister, CDU), Jürgen
60 Prozent zur institutionellen Politik, zwei
viele Stimmen
Opitz (Bürgermeister Heidenaus, CDU), sächsi-
Drittel davon sind Landes- oder Bundespoli-
sche Polizei, NPD
tiker. Es mag dem Auftritt des damaligen Wirt-
Wann? 24.08.2015 bis 30.08.2015
schaftsministers Sigmar Gabriel in Heidenau
Primärquellen in den Medien: Berichte der Lo-
geschuldet sein, dass SPD-Vertreter am häu-
kalmedien, Berichte des MDR (Tagesschau)
figsten genannt werden. Politiker der SPD und CDU werden siebenmal so oft genannt wie die
Aus Sicht der Leitmedien bekommt das Ge-
der Grünen und der Linken. Die AfD kam unter
schehen in Heidenau durch die heftige Inter-
den relevanten Quellen nicht vor.
111
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Der Anteil derer, die aus Sicht der direkt
Merkel selbst wiederholt diese Phrase in den
Beteiligten – Helfer, Bürger, Flüchtlinge, Frem-
kommenden Wochen. Der Satz polarisiert im
denfeindliche – sprechen, bewegt sich mit
öffentlichen Diskurs und wird für beide Seiten
11,1 Prozent auf demselben Niveau wie zuvor.
zum geflügelten Wort.
Die Mikroanalyse zeigt, dass (im Unterschied
Wer? Angela Merkel (Bundeskanzlerin, CDU)
zum vorigen Ereignisthema) Augenzeugen und
Wann? 31.08.2015 bis 05.09.2015
passiv Beteiligte – Passanten, Bürger, Anwoh-
Primärquelle der Medien: Bundespressekonfe-
ner – gelegentlich unter den Relevanten auf-
renz 31.08.2015
tauchen (3,9 Prozent). Die Akteure, Täter wie Opfer, werden nur beiläufig erwähnt: Von 50
In der von uns über sechs Tage fokussierten
Nennungen gehört nur eine zu dieser Gruppe.
Untersuchungsphase behandeln die drei Leit-
Was die Konfliktfreude der Zeitungen be-
medien diesen Komplex ähnlich intensiv wie
trifft, so halten sich die Blattmacher unerwartet
in der zuvor beschriebenen Phase (15 Texte
zurück: Jetzt ist es „nur“ jeder achte Bericht, der
zum Thema pro Ausgabe). Die Darstellung der
den Konflikt im Titelkomplex thematisiert (zu
Ereignisse ist überwiegend nachrichtlich; das
Beginn der sog. Flüchtlingswelle war es noch je-
Bedürfnis, die Geschehnisse zu kommentie-
der dritte) – eine Zurückhaltung, die man auch
ren, scheint weniger ausgeprägt zu sein als in
als Zeichen der Unsicherheit deuten kann.
den Wochen zuvor. Auch bringen die Zeitungen weniger Erlebnisberichte und porträtierende
E5c: „Wir schaffen das!“
Schilderungen als während der „Heidenau“-
Was? Am 31. August 2015 sagt Bundeskanz
Phase, doch immer noch mehr als in den Mo-
lerin Merkel auf der Bundespressekonferenz
naten davor.
Wirtschafts-
den (freilich in einen Kontext eingebetteten)
Was die in den Berichten agierenden rele-
sprecher reden viel
Satz: „Wir schaffen das.“ Es ist die härteste
vanten Akteure und Sprecher betrifft, so äußern
Phase in der Flüchtlingskrise. Täglich kommen
sich jetzt deutlich mehr Wirtschaftsvertreter als
Tausende geflüchteter Menschen ins Land.
in allen zuvor untersuchten Phasen. Das Gleiche
Gleichwohl lässt die Kanzlerin entgegen der
gilt für Interessenverbände – und für Stimmen
Forderung der CSU die Grenzen offen. Sie
aus anderen Medien. Wie in den vorausgegan-
bekräftigt: „Das Motiv, mit dem wir an diese
genen Wochen ist die Berichterstattung aus der
Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so
Welt der Judikative intensiv; es treten Polizis-
vieles geschafft, wir schaffen das. Wir schaffen
ten, Strafverfolger, Anwälte und Richter auf.
„Land der Hoffnung“
112
das, und wo uns etwas im Wege steht, muss
Naheliegend, dass in dieser Woche unter
es überwunden werden.“ Ein Folgebericht der
den Politikern die Sprecher der CDU mit Ab-
Süddeutschen wählt einen Satz der Kanzle-
stand am häufigsten genannt werden. Auffällig
rin als Zitat-Überschrift: „Deutschland ist ein
ist, dass niemand von den Linken und keiner
Land der Hoffnung“ (SZ 01.09.2015). Kanzlerin
von der AfD als hinreichend relevant erscheint.
Die Dynamik der Grossereignisse
Obwohl der Leitsatz der Bundeskanzlerin
Flüchtlinge aus Ungarn werden mit Applaus
vom Podest der Regierungspolitik kommt, tre-
empfangen. Es kommt zu Diskussionen über
ten jetzt Akteure aller Ebenen in Erscheinung.
die Verteilung der Flüchtlinge (Bundeslän-
Der relativ hohe Sprecheranteil an Politikern
der und EU-Staaten). „Nahles will Flüchtlinge
aus dem Ausland kündigt im Übrigen die sich
schnell integrieren“, meldet tagesschau.de.
zuspitzende Diskussion über die Grenzschlie-
Am 9. September unterbricht Dänemark kurz-
ßungen mit Nachbarstaaten bzw. Ungarn an.
zeitig den Zugverkehr mit Deutschland. Vier
Auch in dieser Woche kommen die direkt
Tage später führt Deutschland Grenzkontrol-
Beteiligten – die Bürger, Helfer, Gruppen, frei-
len ein. Kanzlerin: Man warte auf Vorgaben
en Träger usw. – in der „Relevanz“-Kategorie
bzw. einen Verteilschlüssel der EU. Unter den
kaum vor. Und auch die Flüchtlinge selbst blei-
EU-Regierungen wird hart über Flüchtlings-
ben mit 5,8 Prozent weiterhin marginal.
quoten gestritten. „Merkel berät mit [Bundes-]
Die Präsentation der Berichte wirkt auffäl-
Ländern über Unterbringung von Flüchtlingen“
lig neutral und zu rund 70 Prozent quasi kon-
(Tagesschau 15.09.2015). Am 17. September
fliktfrei. In keiner der anderen Ereignisphasen
wechselt der Chef im Bundesamt für Migration
ist der Anteil der „konfliktfrei“ präsentierten
und Flüchtlinge. „Flüchtlinge als Fachkräfte:
Berichte so groß wie in dieser Woche. Was die
‚Ein Spaziergang wird’s nicht!‘“, so die Tages-
stimmungsmachende Tonalität betrifft, ist der
schau am 18.09.2015.
Anteil der wertfrei-neutral berichtenden Texte
Wer? Deutschland: Angela Merkel (Bundes-
deutlich höher als in den Wochen davor und
kanzlerin, CDU), Horst Seehofer (Vorsitzender
auch danach. Dabei fällt bei einer der drei Zei-
CSU), Dieter Reiter (Oberbürgermeister Mün-
tungen die Neigung zum – latent arrogant wir-
chen, SPD), diverse Spitzen der Länder
kenden – auktorialen Schreiben in den Blick:
Europa: Jean-Claude Juncker (Kommissions-
Rund ein Viertel der Berichte zeigten diesen
präsident EU-Parlament), Viktor Orbán (unga-
Stil, die meisten davon zudem mit wertenden
rischer Ministerpräsident), François Hollande
Attributen.
(französischer Staatspräsident) Wann? 05.09.2015 bis 18.09.2015
E6: Die Grenzöffnung
Primärquelle der Medien: Bundespressekon-
ferenz, Pressemitteilungen Bundesinnenmi-
mit und ohne Grenzkontrollen
Was? Am 4. September 2015 kommt es zu dra-
nisterium, Bayerische Staatskanzlei
matischen Szenen in Ungarn, wo mehr als hunderttausend Flüchtlinge warten. Am folgenden
Während dieser zweiwöchigen Fortsetzungs-
Tag öffnen Österreich und Deutschland ihre
phase, die an Dramatik nichts eingebüßt hat,
Grenzen („Treck gen Westen: Österreich und
fahren die drei Leitmedien das Großthema
Deutschland erlauben Flüchtlingen die Ein-
Flüchtlinge deutlich zurück. Im Durchschnitt
reise“; Spiegel Online 04.09.2015). Tausende
erscheinen jetzt 8,4 Berichte pro Ausgabe.
„Treck gen Westen“
113
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Konflikte
Die nachrichtlichen Berichte machen rund die
57 Prozent sämtlicher Berichte, die „konflikt-
im Mittelpunkt
Hälfte aller Beiträge aus. Die Turbulenzen rund
frei“ informieren. Die Zahl der Berichte, die
um die Grenzöffnungen und -schließungen lie-
ohne wertende Attribute und insofern „neu
fern Stoff für im Verhältnis mehr Kommentie-
tral“ abgefasst sind (Tonalität), nimmt weiter-
rungen. Dialogische Formen (Interview) gibt
hin ab – in dieser zweiwöchigen Phase sind es
es nur einmal, und auch schildernde Erlebnis
59 Prozent. Ein Drittel aller Berichterstattungen
berichte vom Ort des Geschehens sind wieder
sind (auch) im auktorialen Stil geschrieben, die
selten.
Hälfte davon mit wertenden Attributen. Man
Unter den auftretenden relevanten Akteu-
kann dies als Indiz dafür nehmen, dass die
ren/Sprechern dominieren jetzt wieder unum-
Journalisten Mühe haben, mit ihrer Meinung,
stritten die Vertreter der institutionellen Politik
auch mit ihrem Politfrust hinter dem Berg zu
(67,8 Prozent), vor allem von der Bundes- und
halten.
abgeschwächt der Länderebene. Jetzt artikulie-
Opposition ist sprachlos
114
ren sich Sprecher der CSU ähnlich häufig wie
E7: Obergrenzen oder Transitzonen?
jene der CDU und SPD (was mit dem Konflikt
Was? In der Öffentlichkeit wird über die ak-
thema Grenzschließung bzw. Obergrenze zu
tuellen Flüchtlingszahlen in Deutschland spe-
tun hat). Jeweils etwa ein Viertel aller relevan-
kuliert, die Tageschau (05.10.2015) nennt eine
ten Sprecher gehört zu einer dieser drei Par-
Million. Zeitgleich erhält die Pegida-Demo in
teien. Von den Linken kam nur einer, von der
Dresden vermehrt Zulauf. Angela Merkel ver-
AfD keiner vor.
teidigt ihren flüchtlingspolitischen Kurs und
Weiterhin genannt werden Vertreter der
erklärt die Flüchtlingspolitik zur „Chefsache“.
Wirtschaft sowie Sprecher der Judikative (im
Ab sofort soll diese im Kanzleramt koordiniert
Umfang vergleichbar mit den vorangegange-
werden (von Peter Altmaier, CDU). Im Folgen-
nen Wochen). Unter den Relevanten weiterhin
den kommt es wegen der geforderten Ober-
kaum erwähnt werden die freien Träger, Initia
grenze zum Streit zwischen CDU und CSU.
tiven und Gruppen, die sich um das Los der
Seehofer droht mit einer Verfassungsklage.
Flüchtlinge aktiv kümmern. Sprecher der kirch-
„Söder (CSU) gegen Asyl: Nicht jeder ist zu
lichen Organisationen beispielsweise kommen
retten“ (Spiegel Online 04.10.2015). Merkel
bloß im Verhältnis 1:100 vor. Eine etwas grö-
nennt Transitzonen (z. B. die Balkanroute) als
ßere Beachtung erhalten dagegen Betroffene
Lösung, die SPD ist dagegen. Es kommt zu
(Flüchtlinge, Asylsuchende): Hier ist das Ver-
zahlreichen Angriffen auf Flüchtlingsheime
hältnis 6:100.
und zwei Brandstiftungen mit Verletzten. Nun
Der blattmacherischen Neigung, Berichte
ergreift die Gewalt auch die Flüchtlingsheime.
in Richtung Konflikt zu trimmen, bietet sich in
Am 15. Oktober 2015 beschließt der Bundestag
dieser Woche mit dem Thema Grenzkontrollen
ein „umstrittenes Asylpaket“. Ungarn will sei-
viele Gelegenheiten: Jetzt sind es nur knapp
ne Grenze nach Kroatien abriegeln. Polizisten
Die Dynamik der Grossereignisse
streiten über die Idee eines Grenzzauns. 215
sollen, entscheiden sich die drei Leitmedien
Bürgermeister appellieren an Merkel zwecks
fast ausschließlich für die institutionelle Po-
Begrenzung des Zuzugs. Laut BKA nehmen
litikebene: 83 Prozent der in den Berichten
Angriffe auf Flüchtlingsheime erneut stark zu.
genannten relevanten Akteure/Sprecher sind
Kanzlerin Merkel sorgt sich nun um den Schutz
ihr zuzuordnen (46 Prozent der Bundesebe-
der europäischen Außengrenzen.
ne, knapp 23 Prozent der Länderebene). Der
Wer? Angela Merkel (Bundeskanzlerin, CDU),
Zank zwischen CDU und CSU spiegelt sich
Peter Altmaier (Kanzleramtschef, CDU), Horst
im Personal: 40 Prozent der in den Berichten
Seehofer (bayerischer Ministerpräsident/Vor-
auftretenden Parteipolitiker gehören zu den
sitzender CSU), Thomas de Maizière (Innenmi-
Schwesterparteien, 13,6 Prozent zur SPD. Di-
nister, CDU), Länderpolizei und Innenministe-
rekt beteiligte bzw. betroffene Einzelpersonen
Vollzugsebene
rien
und Gruppen tauchen nur ausnahmsweise auf
scheint irrelevant
Wann? 05.10.2015 bis ca. 28.10.2015
(2,4 Prozent). Relevante Stimmen der Linken
Primärquellen in den Medien: Bundeskanzler-
kommen hier im Verhältnis 1:100 vor, solche
amt, Bayerische Staatskanzlei, Länderpolizei,
der AfD gar nicht.
Parteien
Wenn man berücksichtigt, dass die soziale Wirklichkeit dieser Ereignisse ebenso scho-
Während dieser drei Untersuchungswochen
ckierend, bedrohlich und überfordernd wirkte
behandeln die Leitmedien das Thema auf wei-
wie jene der vorausgegangenen Phase (E6),
terhin reduzierter Flamme. Statistisch ausge-
dann verwundert es, dass die Zeitungen jetzt
drückt erscheinen in jeder Ausgabe der drei
den parteipolitischen Konflikt zum Kernthema
Zeitungen im Mittel 5,3 Beiträge zum Thema.
machen: Ein Drittel nennt ihn im Titelkomplex,
Wiederum knapp 60 Prozent sind nachricht
ein Drittel als Thema der Berichterstattung im
liche Texte. Die heftigeren Auseinandersetzun-
Text. Im Umkehrschluss: Die Kontroversen,
gen zwischen den Politikern der Regierungs-
Konflikte und Gegensätze, die jetzt auf der
parteien scheinen die Redakteure anzuregen,
Vollzugsebene aufbrechen, besitzen für die
vermehrt Kommentare, Leitartikel und Essays
Redakteure nicht dieselben Nachrichtenwerte
zu publizieren: Jeder fünfte Text zählt zum Gen-
wie Kontroversen auf der symbolischen Hand-
re der sogenannten meinungsbetonten Texte.
lungsebene der Politik auf Bundesebene.
Die Kontroversen auf der politischen Bühne
Der Einwand gegen diese Einschätzung
spiegeln sich auch im Zuwachs dialogischer
könnte lauten: Die Konfliktaustragung auf der
Formen (Interviews).
Exekutivebene ist für die zu ergreifenden Maß-
Vor der Frage, aus welcher Perspektive
nahmen im Wortsinne entscheidend, deshalb
die mit der Flüchtlingskrise verbundenen
komme der politischen Arena mehr Bedeutung
Anforderungen und Managementaufgaben,
zu. Mein Argument gegen diesen Einwand:
auch Überforderungen, thematisiert werden
Das kontrovers erlebte Flüchtlingsthema be-
115
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Alltagswelt wird ausgeblendet
traf (und betrifft) in erster Linie das soziale
über den Stimmungsumschwung debattiert.
Zusammenleben und so auch die damit ver-
Schlagworte: von der Willkommenskultur zur
bundenen Anstrengungen und Spannungsfel-
Ablehnungs- bzw. Furchtkultur.
der. Sofern der mediale Diskurs darauf aus ist,
Wer? Henriette Reker (Kölner Oberbürgermeis-
Orientierung zu geben und diskursiv zu wir-
terin, parteilos), Wolfgang Albers (Kölner Poli-
ken, sollten Konfliktfelder in erster Linie auf
zeipräsident, sehr zahlreiche Stellungnahmen
der Ebene bearbeitet werden, auf der sie zu-
aus der Politik: z. B. Hannelore Kraft (Minister-
tage treten: in der Alltagswelt der Menschen
präsidentin NRW, SPD), Thomas de Maizière
(Vollzugsebene).
(Bundesinnenminister, CDU), Angela Merkel (Bundeskanzlerin, CDU)
E8: Der Schock der Silvesternacht
Wann? 04.01.2016 bis 16.01.2016
Was? In der Silvesternacht 2015/16 kam es vor
Quellenlage: Erste Berichte über einzelne
allem am Kölner Hauptbahnhof, aber auch in
sexuelle Übergriffe am Kölner Hauptbahnhof
anderen Großstädten (etwa Hamburg) zu se-
bringen bereits am 1. Januar 2016 die On-
xuellen Übergriffen und Belästigungen gegen-
lineausgaben der Kölnischen Rundschau, des
über Frauen. Tage später wurde bekannt, dass
Express, des Kölner Stadt-Anzeigers und der
es sich bei den Tätern vorwiegend um junge
Regionalteil von Focus Online. Am 2. Januar
Asylbewerber bzw. Menschen mit Migrations-
2016 folgt eine Meldung der Nachrichtenagen-
hintergrund aus dem „nordafrikanischen bzw.
tur dpa (mit der sehr niedrigen Prioritätsstufe
arabischen Raum“ gehandelt habe.
vier). Diese wird u. a. von den Onlineausgaben
Neben starker Kritik an der Pressearbeit
der Süddeutschen Zeitung und von RTL auf-
der Kölner Polizei (Falschinformationen direkt
gegriffen. Eine breite überregionale Bericht-
nach der Silvesternacht) und der Justiz wur-
erstattung setzt am Montag, den 4. Januar
de vor allem die Neubewertung der mit vie-
2016 ein. Die anfängliche Falschinformation
len jungen Flüchtlingen verbundenen Risiken
der Polizei („Alles lief friedlich“) wie auch die
zum Thema. Politiker verschiedener Parteien
ungewöhnliche Verzögerung wird von Kriti-
forderten die sofortige Abschiebung straffäl-
kern als beabsichtigt (gesteuert) unterstellt.
lig gewordener Asylbewerber. In den sozialen
Die ermittelnde Polizei verweist hier wie dort
Medien kursierten zahllose empörte Reaktio-
auf große Schwierigkeiten, die Täter zu ermit-
nen und Hasstexte; in den journalistischen Me-
teln und zu überführen. Justizminister Maas
dien wurden viele Debatten und Kontroversen
glaubt an „eine neue Dimension der organi-
Wechsel
über das Thema Fremdkultur und Integration
sierten Kriminalität“ (Die Welt 06.01.2016).
zur Furchtkultur
ausgetragen. Es kam zu zahlreichen Demos
Am 8. Januar 2016 wird der zuständige Kölner
gegen Asylsuchende. Pegida-Versammlungen
Polizeipräsident in den einstweiligen Ruhe-
erhielten erneut mehr Zulauf. Öffentlich wurde
stand versetzt.
116
Die Dynamik der Grossereignisse
Während dieser Untersuchungszeit produ-
tersuchten Zeitungsausgaben) viel häufiger in
zieren die drei Zeitungen je 12 Ausgaben; jede
Erscheinung treten als etwa in der Berichts-
davon bringt im statistischen Mittel 8 Beiträge
phase über die zahlreichen Gewalttätigkeiten
zum Thema. Nur etwa die Hälfte sind nach-
im Kontext Heidenau (siehe E5b und E5c). Man
richtliche Berichte, der Anteil an Meldungen
kann dies auf die schockartige Bestürzung,
ist sehr gering. Offenbar geht es den Redak-
vielleicht auch auf eine ans Hysterische gren-
tionen weniger um Ereignisaktualität als um
zende Aufgeregtheit zurückführen, wenn sol-
Aufarbeitung, Analyse und Beurteilung der
che hässlichen Vorfälle nicht im „fernen Sach-
bestürzenden Vorgänge. Dies zeigt sich an
sen“, sondern quasi vor der eigenen Haustür
den zahlreich publizierten Interviews und der
stattfinden.
Zunahme von Gastbeiträgen wie auch am Kom-
Relevante Einzelpersonen werden mit
Kaum authen-
mentier-Eifer. Insgesamt haben wir während
9,5 Prozent weniger häufig als im Sommer
tische Quellen
der zwei Wochen 44 Kommentartexte zum The-
(E5a-c) zur Sprache gebracht. Von diesen ge-
ma identifiziert, im Mittel also knapp 1,5 pro
hört rund ein Drittel der Gruppe der Flüchtlin-
Zeitungsausgabe.
ge/Asylbewerber an, die durch den vielerorts
Die Vermutung ist naheliegend, dass
gehörten Generalverdacht jetzt die doppelt
sich das relevante Personal, das in den Zei-
Betroffenen (Flüchtlinge und Verdächtigte)
tungsberichten auftritt, jetzt deutlich anders
sind. Etwa jeder Zehnte dieser Einzelperso-
zusammensetzt als in den von der institutio-
nengruppe spricht als mutmaßliches Opfer
nellen Politik beherrschten Berichtsphasen.
oder als Opferbegleiter*in (in Zahlen: rund
Diese Annahme erfüllt sich nur zu Teilen. Tat-
50 Nennungen in den rund hundert erfassten
sächlich dominieren mit 50,4 Prozent auch
Texten). Augenzeugen, Organisatoren, Teil-
jetzt die Akteure und Sprecher des politischen
nehmer, Beobachter – also Quellen, die in
Systems, obgleich weniger ausgeprägt als zur
Vor-Ort-Recherchen und Reportagen zu Wort
Zeit der Debatten um die sogenannte Ober-
kommen (sollten) – finden sich nur sehr ver-
grenze. Erstaunlich allerdings ist, dass unter
einzelt und erscheinen wie Ausnahmen.
den Relevanten die Akteure der Landes- und
Zwei Drittel der relevanten Akteure/
der Kommunalebene seltener zu Wort kom-
Sprecher, die explizit einer Partei zugehören
men als in der vorausgegangenen Phase (mit
(34,5 Prozent aller Nennungen), sprechen im
SPD und
2,5 Prozent nur halb so häufig wie in der Zeit
Namen der SPD oder CDU. Nur jeder 12. Partei-
CDU dominieren
des Streitthemas Obergrenze). Merkwürdig
vertreter gehört zu den Grünen, jeder 15. zur
auch, dass die Sprecher der Judikative – Po-
Partei der Linken. Stimmen aus dem Spektrum
lizei, Strafverfolgung, Justizbehörden – mit
rechts von der CSU konnten wir unter den rele-
18,4 Prozent (= 609 Nennungen in den 36 un-
vanten Akteuren nicht ausfindig machen.
117
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Wie gingen die Blattmacher mit dem au-
den genuin politischen Großereignissen (gäbe
genfälligen Konfliktstoff um? Unserer Analyse
es einen Bundeskanzler und keine -kanzlerin,
zufolge relativ zurückhaltend: 30 Prozent der
wäre diese Ausprägung notabene noch stär-
Berichterstattungen vermitteln den Berichts-
ker). Dann der hohe Anteil an institutionellen
gegenstand quasi konfliktfrei; rund 27 Prozent
Akteuren und Sprechern („die Politik will …“,
reißen den Konfliktgehalt schon im Titelkom-
„aus dem Ministerium ist zu hören …“, „die
plex an. Im Vergleich mit früheren Großereig-
Fraktion hatte …“ usw.), die keine Anschau-
nisphasen entspricht diese Aufmachung etwa
lichkeit zulassen und die auch nicht auf un-
jener Phase im August, als „plötzlich“ Hun-
kenntlich gemachte Whistleblower verweisen.
derttausende via Ungarn über Österreich nach
Beide Ausprägungen verschieben sich im Fort-
Deutschland kamen und in den Medien die so-
gang des Jahres: Als zu Beginn der sogenann-
genannte Flüchtlingsflut zur Schlagzeile wurde.
ten Flüchtlingswelle (E5a) die Vorgänge und
Es mag mit der emotional stark aufgela-
Handlungen quasi handfest wurden, steigt
denen Stimmung, auch mit der Verärgerung
der Anteil der weiblichen Akteure und der
über die anfangs irreführenden Pressemittei-
Anteil der institutionellen Quellen geht leicht
lungen der Kölner Polizei zusammenhängen,
zurück. Eine Ausnahme machen die von Ge-
dass es diesmal den drei Leitmedien beson-
walt geprägten Ereignisse (E3, E5b) wie auch
ders schwer fällt, aus der Sicht des neutralen
die parteipolitischen Kontroversen (E6, E7):
Stark wertende
Beobachters zu berichten und den emotional
Beides sind vornehmlich männlich besetzte
Berichte
erregten Diskurs zu versachlichen. Nur jeder
Themenfelder.
dritte nachrichtliche Bericht genügt diesen An-
Dies trifft offenbar auch auf die Ereignisse
forderungen. Ebenfalls in jedem dritten Bericht
der Silvesternacht zu: Obwohl es dabei um se-
finden sich auktoriale und zugleich wertende
xuelle Übergriffe von Männern ging, hier also
Sprach- und Stilformen; jeder vierte berichtet
junge Frauen sich in der Opfer-, jedenfalls in
mit wertenden Attributen, verzichtet aber auf
der Betroffenenrolle wiederfanden, bringen
die insiderhaft wirkende auktoriale Attitüde.
die drei Leitmedien weibliche Quellen, Akteure und Sprecher nicht häufiger zur Sprache als
118
Ein von Männern dominiertes Themenfeld
bei anderen, in Sachen Gender unspezifischen
Sortiert man die in den Berichten ermittel-
Vorgängen. Naheliegend ist die Deutung, dass
ten relevanten Akteure und Sprecher nach
die Journalisten lieber bei männlichen Quellen
Gender-Kategorien (siehe Tab. 22), dann sind
über die Frauen recherchieren und schreiben,
folgende Tendenzen augenfällig: zunächst die
als mit ihnen zu sprechen. Ausnahmen gab es
erwartete, doch in ihrer Stärke überraschende
natürlich. Aber sie bestätigen die statistisch
Dominanz männlicher Akteure vor allem bei
ermittelte Regel.
Die Dynamik der Grossereignisse
Tabelle 22: Gender der Quellen/Akteure/Sprecher (n=3.308) in den berichtenden Texten
Männlich
Weiblich
Institutionen und Gruppen
Summe
E1: Brief der drei Länderchefs
48,8 %
9,8 %
41,5 %
100,0 %
E2: Neue Statistik
38,2 %
9,2 %
52,6 %
100,0 %
E3: Tröglitz
71,6 %
8,8 %
19,6 %
100,0 %
E4: Gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik
46,7 %
7,9 %
45,4 %
100,0 %
E5a: Hundertausende Flüchtlinge kommen nach Deutschland
42,7 %
16,0 %
41,2 %
100,0 %
E5b: Heidenau
51,1 %
15,6 %
33,3 %
100,0 %
E5c: Merkel: Wir schaffen das.
46,0 %
15,8 %
38,2 %
100,0 %
E6: Grenzöffnung kontra Grenz kontrollen
53,8 %
17,1 %
29,1 %
100,0 %
E7: Obergrenzen und Transitzonen
53,7 %
19,0 %
27,3 %
100,0 %
E8: Silvesterereignisse
49,9 %
16,2 %
33,9 %
100,0 %
Anteile am Insgesamt
49,2 %
15,7 %
35,0 %
100,0 %
Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ, Bild-Zeitung) zu zehn Großereignissen 2015/16. Quelle: Eigene Darstellung
119
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
3. Die Meinungen über Gründe, Handhabung und Folgen der „Flüchtlingskrise“
Im Folgenden geht es um die Kommentarleistung selbst. Kommentare sollen den Lesern Anregungen geben, wie sie den Vorgang einschätzen und beurteilen können. Zudem
Die hier nachgewiesene, dem politischen Sys-
kommt mit der Meinungsbildungsfunktion
tem stets zugewandte und darin konsonante Be-
auch die Positionierung („Haltung“) des Kom-
richterstattung der einflussstarken Leitmedien
mentators oder der Redaktion zum Ausdruck.
Die Haltung der
ist die eine Seite. Die andere betrifft deren Bei-
Deshalb bringt vor allem die Kommentarfunk-
Kommentatoren
trag zur Meinungsbildung durch Kommentare,
tion die demokratietheoretisch geforderte
Leitartikel, Glossen und Essays – Darstellungs-
Meinungsvielfalt auch der aktuell berichten-
formen, die klassischerweise dem Genre der
den Informationsmedien zum Ausdruck. Es
„meinungsbetonten Texte“ zugeordnet werden.
interessiert uns daher, wie diese normativen
Diese kategorische Trennung zwischen „tatsa-
Erfordernisse von den drei Leitmedien einge-
chenbezogen“ und „meinungsbetont“ (vom
löst werden. Wir operationalisieren diese Frage
angloamerikanischen Journalismus nach 1945
in drei Unterpunkten, die sich uns aufgrund der
übernommen) folgt dem Grundsatz, dass die
vorigen Analyse der Berichterstattung („tatsa-
nachrichtlichen Texte der sachlichen Richtigkeit
chenbetonte Texte“) stellen.
verpflichtet und frei von Vorurteilen verfasst wer-
120
den sollen. Demgegenüber dürfen, ja sollen die
Erstens die Perspektive: Folgt auch die
Meinungsbeiträge eine sinngebende Beurtei-
Art der Kommentierung der Fixierung („In-
lung, auch einordnende Bewertung der Sachver-
dexing“) auf die politische Elite in Berlin?
halte bringen. Diese Trennungsregel zwischen
Zeigen sich zwischen den drei Zeitungen,
der Nachrichtenfunktion und der Meinungsbil-
eventuell zwischen den Kommentatoren
dungsfunktion – dies wurde in der Einführung
Unterschiede in der Bewertung?
als Qualitätskriterium aufgezeigt – gehört
Zweitens der Diskurs: Wenn es solche
zum Handwerk des Informationsjournalismus.
Unterschiede gibt, dann ist zu fragen, ob
Allerdings ist diese Trennung im praktischen
diese in der politischen Arena verharren
Journalismus nicht immer kategorisch durchzu-
oder ob sie (auch) breiter und insofern
halten (Schönbach 1977: 109 ff.). Vor allem bei
diskursiv argumentieren, indem beispiels-
der Nachrichtenauswahl und ihrer Aufbereitung
weise marktwirtschaftliche, sozialpsycho-
fließen Bewertungen ein, die von vielen Bürgern
logische, migrations- oder religionswis-
als „verfälschend“ wahrgenommen und miss-
senschaftliche Kenntnisse herangezogen
verstanden werden (Donsbach 1991: 206 ff.).
werden.
Unsere Inhaltsanalyse zeigte denn auch, dass
Drittens die Dynamik: Für die Untersuchung
ein beachtlicher Anteil der Berichterstattungs-
der Kommentare wählten wir die Hochpha-
texte solche wertenden Einfärbungen aufweist.
se des Flüchtlingszuzugs, also die Großer-
Die Dynamik der Grossereignisse
Tabelle 23: Übersicht über die markanten Vorgänge während der Hochphase des Flüchtlingsthemas 2015
27.07.-02.08.
03.08.-09.08.
10.08.-16.08.
Streit um Status der Balkan-Flüchtlinge Prämie soll Flüchtlinge zur Rückkehr bewegen Hunderte Flüchtlinge aus Libyen ertrinken Lage auf Kos verschärft sich rapide Balkanstaaten gelten jetzt als sichere Herkunftsländer Asylklagen belasten Verwaltungsgerichte Prognose: 800.000 Flüchtlinge; Sachleistungen statt Taschengeld?
17.08.-23.08.
24.08.-30.08.
31.08.-06.09.
Krawalle in Heidenau; Politiker reagieren; Hasskommentar-Welle auf Facebook; Italien: 4.400 Flüchtlinge aus Seenot gerettet Brandanschläge Nauen, Weissach, Salzhemmendorf; Regierung plant leichtere Abschiebung; Ärzte fordern bessere Versorgung der Flüchtlinge; Maas fordert Löschung fremdenfeindlicher Facebook-Posts Merkel: „Wir schaffen das!“; Wirtschaft verlangt effiziente Sprachkurse für qualifizierte Flüchtlinge; Merkel und Hollande fordern einheitliche Quoten Neue Flüchtlinge: Sonderzüge aus Ungarn; Tausende erreichen München
07.09.-13.09.
Große Koalition beschließt Maßnahmenpaket für Flüchtlinge; Dänemark stoppt vorübergehend Zugverbindung nach Deutschland München warnt vor Kollaps; Einführung Grenzkontrollen
14.09.-20.09.
13.000 Flüchtlinge in München; Brandanschlag in Wertheim; Begriffswechsel der Medien zu „Flüchtlingskrise“; EU verschiebt Beschluss über Aufteilung der Flüchtlinge
21.09.-27.09.
CSU empfängt Viktor Orbán; Diskussion: Darf der Staat private Immobilien beschlagnahmen?; Zuckerberg verspricht „Maßnahmen“ gegen Hass parolen auf Facebook
28.09.-04.10.
Bundeswehreinsatz-Erweiterung Mittelmeerraum; Gewalt in Asylunterkünften als Folge von Überbelegungen; Bundestag verschärft Asylrecht (Flüchtlinge – Migranten); de Maizière fordert jetzt „Ankommenskultur“ seitens der Flüchtlinge Quelle: Eigene Darstellung 121
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
eignisse E5a-c (Ende Juli bis Anfang Okto-
hinzugenommen, auch weil sie als Boulevard-
ber) aus, weil – wie schon beschrieben – im
zeitung ein anderes Publikum (Zielgruppe) er-
Verlauf dieser Phase die Überforderung der
reicht.
Berliner Politik (und der nachgeordneten
In den vier Zeitungen haben wir 136 mei-
Behörden) sowie der Meinungsumschwung
nungsbetonte Texte identifiziert (neben Kom-
in Teilen der Bevölkerung öffentlich erkenn-
mentaren und Leitartikeln auch Glossen und
bar wurden. Unsere dritte Untersuchungs-
Essays). Die intensivste Kommentiertätigkeit
frage lautet deshalb: Haben die drei Zeitun-
zeigt sich bei der Frankfurter Allgemeinen Zei-
gen diesen Prozess reflektiert, ihn vielleicht
tung, die geringste bei der Welt bzw. der Bild-
mit vollzogen?
Zeitung. Die folgende Analyse beschränkt sich auf die in den Zeitungen explizit als redaktio-
Um Antworten zu finden, haben wir zunächst
neller Kommentar, Leitartikel, Meinung usw.
alle Kommentare der drei meinungsführenden
deklarierten Texte (ohne Fremdbeiträge) –
Semantische
Zeitungen zwischen Ende Juli und Anfang Ok-
dies sind 99 Analyseeinheiten (Tabelle 24).
Textanalyse
tober 2015 qualitativ untersucht: Die Details
Um die Argumentationsweisen nachvollzie-
dieser Phase sind stichwortartig in Tabel-
hen und vergleichen zu können, erfolgt unsere
le 23 skizziert. Zu den bereits untersuchten
semantisch angelegte Inhaltsanalyse (nach
drei Qualitätszeitungen haben wir nun die
Löbner 2010: 850 ff.) über mehrere Analyse-
Bild-Zeitung als reichweitenstärkste Zeitung
schritte (Meyring 2008: 84 f.):
Tabelle 24: Kommentare in vier meinungsführenden Zeitungen während der Hochphase des Flücht lingsthemas (27. Juli bis 4. Oktober 2015) Zeitung
Anzahl erfasster und analysierter Meinungstexte
Frankfurter Allgemeine Zeitung
44
Süddeutsche Zeitung
28
Die Welt
16
Bild-Zeitung
11
Summe
99
Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ, Bild-Zeitung ) zu zehn Großereignissen 2015/16. Auszug Meinungsbeiträge, n=136. Quelle: Eigene Darstellung
122
Die Dynamik der Grossereignisse
(a) der Bezug des Kommentarthemas auf das
(2) Die Wirtschaftsredakteure der drei Zeitun-
aktuelle Ereignis, über das in dieser Aus-
gen verfechten bis gegen Ende 2015 die op-
gabe berichtet wurde oder das die Medien
portunistische Doktrin, dass Deutschland
zeitgleich behandelten (Referenz),
aus wirtschaftlichen und demografischen
(b) Argumente und Argumentationsschritte des
Gründen möglichst viele Flüchtlinge will-
Kommentars (explizite Argumentation),
kommen heißen, integrieren und ausbilden
(c) Schlüsselzitate aus dem Kommentar (Bele-
solle bzw. müsse. Als im Oktober 2015 zahllose Kommunen und deren freiwillige Helfer
ge), (d) Filterung der mit den Argumenten mitgege-
sich mit der Betreuung der zugewiesenen
benen Begründungen (implizite Argumen-
Flüchtlinge überfordert sahen und das als
tation im Sinne von Normen, Werten und
chaotisch erlebte Behördenmanagement auf
Moralität).
breite Kritik stieß, wurde eine damit einher-
74
gehende Abwehrhaltung harsch kritisiert. Die Kommentatoren im Konsens
Die Kommentatoren belehrten die frustrier-
Belehrung der
mit der Bundesregierung
ten bzw. zweifelnden Bürger (Leser*innen),
Andersdenkenden
Unsere qualitative Textanalyse führte zu folgen-
dass Deutschland Hunderttausende junger
den Befunden (eine breitere Auswahl der ana-
Flüchtlinge unter anderem als Maßnahme
lysierten Kommentare findet sich im Anhang):
gegen die Überalterung der einheimischen Bevölkerung dringend brauche.
(1) Die Kommentatoren der vier Zeitungen vertreten unisono inhaltlich die von der Bun-
Exkurs: Sinnfällig der in unserem Zei-
deskanzlerin eingeschlagene flüchtlingspo-
tungstexte-Korpus nicht enthaltene Video
litische Linie (Primat des Menschenrechts
blog-Kommentar des Wirtschaftschefs der
gegenüber Asylgesetzbestimmungen, keine
Süddeutschen Zeitung am 2. Oktober 2015
„Obergrenze“). Sie konfirmieren auch deren
(Auszüge): „Vor zwei Wochen hatte ich
politisches Handeln, beginnend mit der un-
noch den Eindruck, als würde in diesem
kontrollierten Öffnung der Grenzen bis zur Si-
Land emotional und rational eine Willkom-
cherung der EU-Außengrenzen und dem Deal
menskultur herrschen, als würde doch die
mit der Türkei. Eine als diskursiver Umgang
Mehrheit der Menschen erkennen, wie gut,
mit dem Thema zu deutende Differenzierung
aber auch wie wichtig für Deutschland es
findet sich in mehreren Kommentaren nur
ist, Flüchtlinge auch in großer Zahl aufzu-
der FAZ, indem skeptische und einwendende
nehmen. Und mittlerweile ist es so, dass
Bedenken aufgegriffen und erörtert werden.
die Stimmung sich täglich verschlechtert,
74 Implizite Begründungen beziehen sich, soweit erkennbar, sowohl auf die ethische Werteordnung (wie: deontologische oder utilitaristische Begründungen) als auch auf die zur Begründung herangezogenen Normen bzw. Werte (wie: Meinungsfreiheit, Persönlichkeitsrecht, Marktwirtschaft, Menschenrechtscharta).
123
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
die Bundeskanzlerin wird in den Umfrage-
lesend erfahren, was – aus Sicht der Jour-
werten abgestraft für ihre Offenheit, rechte
nalisten – die Regierungsmitglieder tun
Parteien legen zu und immer mehr norma-
sollten, um die Probleme mit Flüchtlingen
le, sympathische Menschen – wie vielleicht
im Einklang mit dem Grundgesetz und nach
auch Sie – sagen, wir müssen doch wieder
Maßgabe des (anzupassenden) Asylrechts
Zäune ziehen, wir müssen doch die Grenzen
zu lösen. Diskurstheoretisch gedacht, ist
zumachen. Ich habe dafür kein Verständ-
das Publikum der Zuschauer des medial in-
nis […]. Was Ausländer kosten? ZEW hat
szenierten Disputs zwischen Politikern und
ausgerechnet, was denn die Ausländer in
Journalisten in der politischen Arena. Dabei
Deutschland wirklich bringen und kosten
fällt allerdings auf, dass die Kommentato-
[…]. Im Jahr 2012 brachten die Ausländer
ren solche Vorschläge diskutieren, die be-
auf ihre Lebenszeit gerechnet 150 Milliar-
reits im Umfeld der Bundesregierung von
den mehr, als sie kosteten […]. Wir sind
Politikern, von einzelnen Ministerien oder
eine schrumpfende Gesellschaft nach jet-
politischen Chefbeamten geäußert wurden
zigem Stand. Wir werden immer weniger
(Beispiele: Definition sicherer Herkunfts-
Menschen haben, die arbeiten, und immer
länder; Asylrechtsverschärfung; Bedin-
mehr Menschen, die von denen, die sowie-
gungen der Grenzöffnung und Grenzschlie-
so schon da sind, versorgt werden müssen.
ßung; Reorganisation des Aufnahme- und
Die einzige Chance, aus diesem Kreislauf
trierungsverfahrens). Manche KomRegis
rauszukommen, ist, mehr junge arbeitsfä-
mentatoren kritisierten Vorschläge, die zum
hige Menschen zu nehmen. Und das sind
Zeitpunkt der Kritik schon vom Tisch waren,
genau die, die jetzt kommen.“
oder verfochten Maßnahmen, die wenige
(3) Die politischen Kommentatoren der drei Qualitätszeitungen kritisieren auf der opeNur operative Kritik
Schuld hat „die EU“
binetts standen.
rativen Ebene des Vollzugs mit vorwiegend
(5) Von dieser Hauptlinie weichen 7 der 11 Mei-
taktischen Argumenten offenbare Schwä-
nungstexte der Bild-Zeitung insofern ab,
chen (Missmanagement, Uneinigkeit, Un-
als sie andere EU-Staaten oder „die EU“ in
Ä.) des Regierungsentschlossenheit u.
Brüssel (oder auch vage „den Westen“) als
handelns. So werden in rund zwei Dritteln
Hauptschuldige ausmachen und indirekt
sämtlicher Meinungstexte die mit dem
die Bundesregierung in Schutz nehmen. Es
Flüchtlingsstrom verbundenen Probleme
sind rhetorische Figuren ohne realen Ad-
als lösbar dargestellt und hierzu immer
ressaten, wie man sie aus Predigten kennt.
neue Handlungsempfehlungen postuliert
Unterhalb dieser Übereinstimmungen zei-
bzw. aktives Entscheiden angemahnt.
gen sich ein paar zeitungsspezifische Aus-
(4) Adressat der meisten Kommentare sind die Berliner Politiker: Das Publikum soll
124
Tage später in der Beschlussvorlage des Ka-
prägungen, die auf das verweisen, was man „Haltung“ nennen könnte:
Die Dynamik der Grossereignisse
(a) Die Welt-Kommentatoren argumentieren
Leitmedien deuten sie diese Tendenzen als
am häufigsten arbeitsmarktpolitisch und
Anzeichen dafür, dass die Zahl der Flüchtlin-
neoliberal im Interesse bzw. aus der Per
ge an die Grenzen der Sozialverträglichkeit
spektive der Wirtschaft. Motto: Der enorme
gelangt sei. Die Kommentatoren argumen-
Aufwand lohnt sich, weil wir einen Großteil
tieren in der Art der Güterabwägung, dass
Leitbilder sind
der Flüchtlinge beruflich qualifizieren und
die Sicherung des sozialen Zusammenhalts
verschieden
als Arbeitskräfte zur Verfügung haben wer-
ein höheres Gut sei als die Aufnahme immer
den. In dieser Hinsicht argumentieren die
neuer Flüchtlinge.
FAZ-Kommentatoren bei aller Wirtschaftsfreundlichkeit zurückhaltender. (b) Die Kommentare des Politikressorts der Süddeutschen Zeitung argumentieren häufiger und deutlicher universalistisch, indem die Menschenrechte als nicht hintergehbare Maxime bei der Aufnahme von Flüchtlingen hochgehalten werden. Auch wird die Berliner Politik, wenn sie aus Sicht der Journalisten allzu opportunistisch agiert, an diese Maxime erinnert. Im Zweifelsfalle (etwa: gewalttätige Ausschreitungen) wird die westdeutsche Auslegung der Grundrechtsordnung als Leitbild beschworen, an dem sich die in Richtung ultrarechts driftenden Ostdeut
Innerhalb dieser Bandbreite zeugt die je individuelle Sicht des Kommentators für eine Vielfalt nicht nur an Themen und Argumenten, sondern auch an hier normativ, dort opportunistisch gerechtfertigten Begründungen. Durchgängig ist der Konsens mit der politischen Elite, insbesondere mit der Bundeserklärt, warum abweichende, aus Sicht vieler Leser vermutlich aufschlussreiche Aspekte in den 99 analysierten Kommentaren nicht thematisiert wurden: Zum Beispiel die Hilflosigkeit der Zuständigen in der Beurteilung des Fluchtmotivs von Asylsuchen-
(c) Verschiedene Autoren der FAZ vertreten
den aus kriegsverschonten Regionen;
ristische Linie. Sie gehen von dem Befund
politischer Elite
kanzlerin und ihrer Flüchtlingspolitik. Dies
schen orientieren sollten. eine (im philosophischen Sinne) utilita-
Konsens mit
mehr Verständnis für die Ängste vieler Einheimischer, zumal vieler Frauen;
aus, dass der soziale Zusammenhalt durch
der bohrende Zeigefinger wegen behörd
die heftige Abwehr eines Teils der Gesell-
lichen Missmanagements auf der regiona-
schaft gefährdet und so auch das gelebte
len Vollzugsebene;
Grundrecht bedroht sei. Sie begründen
die Kritik an der Ahnungslosigkeit vieler
diese Einschätzung mit dem aufbrechenden
Organisatoren in Bezug auf das Familien-
Fremdenhass, dem Erfolg rechtsnationaler
und Eherecht (wie viele Ehefrauen darf ein
Populisten und der zunehmenden Straßen-
Muslim zu sich nachholen? Auch solche im
gewalt. Im Unterschied zu den drei anderen
Kindesalter?
125
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Tabelle 25: Meinungsbeiträge zum Thema vor (blau unterlegt) und nach (grau unterlegt) der Hochphase des Flüchtlingsthemas Häufigkeit
Anteil
E1: Drei Länderchefs fordern besseres Bleiberecht (06.02.2015-14.02.2015)
5
3,7 %
E2: Bundesstatistik: 630.000 Flüchtlinge leben in Deutschland/alle Statistiken und Flüchtlingszahlen (10.02.2015-20.02.2015)
8
5,9 %
E3: Rücktritt des Bürgermeisters von Tröglitz und Brand im dortigen Flüchtlingsheim (10.03.2015-15.04.2015)
9
6,6 %
E4: Deutschland fordert gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik – 10-Punkte-Plan (19.04.201504.05.2015)
14
10,3 %
(Hochphase E5a-c: 10.08.2015-18.09.2015)
(141)
E7: Innenpolitische Auseinandersetzung um „Obergrenzen“/„Transitzonen“ für Flüchtlinge in Deutschland und Europa (05.10.2015-28.10.2015)
56
41,2 %
E8: Silvesterereignisse (Köln und andere Großstädte) sowie die Folgen (05.01.2016-16.01.2016)
44
32,4 %
Gesamt (ohne Hochphase)
136
100,0%
Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ, Bild-Zeitung) zu zehn Großereignissen 2015/16. Auszug Meinungsbeiträge, n=136. Quelle: Eigene Darstellung
126
Die Dynamik der Grossereignisse
die Konflikte mit den rituellen Bräuchen
Bestätigung und Verstärkung gut zusammen:
zwischen den schiitischen und sunniti-
Der mediale Diskurs blieb auf die verbale In-
schen Muslimen – und anderes mehr.
teraktion mit den (Regierungs-)Politikern bzw.
Abgehobener
Politikakteuren und deren Sicht fokussiert.
Politiker-Diskurs
Als Antwort auf die Fragen nach der Breite des Diskurses (1 und 2) ist zu konstatieren,
Vorher/Nachher: die maßgeblichen Akteure
dass die Kommentatoren der vier Leitmedien
in den Kommentaren
in ihren Meinungsbeiträgen größtenteils auf
Um die dritte Frage, diejenige nach der Dyna-
die politische Elite fixiert blieben. Das Wissen
mik, zu beantworten, vergleichen wir einige
ausgewiesener Fachleute und Experten, die
Merkmale der Kommentare (a) aus der Zeit vor
zu Regierungslinie und Behördenmaßnah-
der sogenannten Flüchtlingswelle (E1-E4), also
men eine deviante Einschätzung vertraten,
Februar bis Mai 2015 mit (b) der Zeit nach dieser
wurde nicht aufgegriffen. Und auch die Sicht
Hochphase, also Kommentare vom Oktober und
des Teils der Bevölkerung, der zur Flüchtlings-
Januar 2016 (E7, E8) (siehe Tab. 25). Da uns der
politik eine abweichende Auffassung vertrat,
Trend in der Meinungsbildung interessiert und
wurde in den Meinungsdiskurs praktisch nicht
deshalb alle Kommentare der beiden Phasen
einbezogen, stattdessen mitunter mit Häme
analysiert werden sollten, haben wir uns für die
bedacht oder mit spitzem Zeigefinger belehrt.
quantitative Inhaltsanalyse entschieden.
So gesehen passen die Berichterstattung und
Im Laufe dieser zwei Zeitabschnitte hat die
die Kommentierung im Sinne wechselseitiger
Frankfurter Allgemeine Zeitung 60 Kommenta-
Tabelle 26: Kommentare – Anzahl Akteure/Sprecher vor und nach der Hochphase des Flüchtlingsthemas
Anzahl Akteure (n=)
Anteile der Akteure
Anzahl Ak teure pro Beitrag*
Beiträge ohne Akteure (n=)
Anteil Beiträge ohne Akteure
(a) vor der Hochphase
100
19,6 %
4,00
11
30,6 %
(b) nach der Hochphase
412
80,4 %
4,53
9
9,0 %
Gesamt/Anteile
512
100 %
4,41
20
14,7 %
* nur Beiträge, die Akteure nennen. Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ, Bild-Zeitung) zu zehn Großereignissen 2015/16. Auszug Meinungsbeiträge, Akteure/Sprecher ges., n=512. Quelle: Eigene Darstellung
127
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
re, Glossen, Analysen usw. zum Thema Flücht-
schaft aufgestellt werden. So gesehen stehen
linge/Asyl publiziert, die Süddeutsche Zeitung
die in den Meinungsbeiträgen auftretenden
und Die Welt je 38. Der Untersuchungskorpus
Protagonisten (die Gewährsleute, die Gegner
umfasst damit 136 Objekte.
mit ihren Argumenten, die Wortführer usw.) im
Die Verteilung zeigt die sehr unterschiedliche Wahrnehmung des Problemgehalts der
Fokus und verkörpern die vom Kommentator inszenierte Diskussion.
Ereignisse: Die Untersuchungsphasen E1 bis
Zunächst zeigt die Übersichtsauszählung,
E4 umfassen 20 Wochen, in denen die drei
dass in der Zeit vor der Hochphase erheblich
Zeitungen die Thematik 36 Mal kommentiert
abstrakter, quasi abgehobener kommentiert
haben. Während der fünfwöchigen Hochphase
wurde, ablesbar an dem deutlich höheren
wurden 141 und während der ebenfalls fünfwö-
Anteil solcher Kommentare, in denen gar kei-
chigen Nachphase (E7 und E8) wurden 100 mei-
ne Akteure/Sprecher genannt wurden (siehe
nungsbetonte Texte publiziert. Nach Maßgabe
Tab. 26). Wenn sich der Kommentator aber in
der referierten Großereignisse ist die Deutung
die Arena der konkreten Problemthemen be-
naheliegend, dass die Kommentarlust abhängt
gab, dann setzte er sich mit 4 bis 4,5 Beteilig-
vom Konfliktstoff auf der Bühne der Berliner
ten auseinander.
Regierungspolitik: je mehr Probleme, desto mehr Kommentare.
Um die Frage zu beantworten, ob sich das Problemverständnis der Kommentare nach der
Wie bei den berichtenden Texten haben wir
Flüchtlingshochphase verändert hat, wähl-
auch bei den Kommentaren untersucht, wer
ten wir wieder das Kriterium der Relevanz der
als relevanter Akteur oder Sprecher genannt
Akteure/Sprecher im Text (Erstnennung, wie-
wird. Dabei sollte mit bedacht werden, dass die
derholte Nennung im Text). Diesem zufolge
Personen, die in einem Kommentar auftreten,
erwähnten die Kommentare vor der Hochpha-
eine andere Rolle (aus Sicht des Kommenta-
se 57 und nach der Hochphase 237 Akteure/
tors: eine andere Funktion) einnehmen als in
Sprecher (siehe Tab. 27). Dabei sollte bedacht
nachrichtlichen Texten. In Letzteren handelt
werden, dass dieses Kriterium aufgrund der
es sich dabei meist um Informanten, Urheber
größeren Stilfreiheit beim Kommentieren we-
und Beteiligte eines Geschehens; es sind die-
niger valide ist als bei nachrichtlichen Texten,
jenigen, die quasi die News erzeugen oder in
deren Aufbau (das Wichtigste und auch die
dieser Funktion vom Berichterstatter insze-
wichtigsten Akteure zuerst usw.) deutlich stär-
niert werden. In einem Kommentar hingegen
ker formalisiert ist.
handelt es sich meist um die Position eines
Auch unter Berücksichtigung dieser Ein-
Gegenübers oder eines Gewährsmanns (bzw.
schränkung sind die Befunde anders als erwar-
Die „Flüchtlings-
einer Gewährsfrau). Hier ähnelt die Anordnung
tet: Die ab Mitte September 2015 von den Me-
krise“ ist da
viel mehr der einer Arena, in der – sinnbild-
dien so genannte Flüchtlingskrise – damit sind
lich – die eigene und die gegnerische Mann-
die sozialen Konflikte und politischen Kontro-
128
Die Dynamik der Grossereignisse
Tabelle 27: Die Akteurs- bzw. Sprecherbereiche vor (blau, n=57) und nach (schwarz, n=257) der Hochphase des Flüchtlingsthemas
Rollen-/Funktionsbereiche Politik-Ebene allgemein, institutionell, personenbezogen
Frankfurter Allgemeine Zeitung 63,0 %
80,2 %
Süddeutsche Zeitung
72,7 %
80,9 %
Die Welt
94,7 %
70,6 %
Verwaltung auf Bundes- und Landes ebene
—
1,0 %
—
—
—
—
Wirtschaft
—
—
—
—
—
—
3,7 %
3,0 %
5,0 %
1,5 %
—
1,5 %
Einrichtungen aus dem Bereich Kultur und Bildung
—
—
—
—
—
—
Soziale Einrichtungen, Medizin, Gesund heit, Rettungsdienste
—
—
—
—
—
—
Medien
—
2,0 %
—
4,4 %
5,3 %
4,4 %
3,7 %
5,0 %
—
4,4 %
—
13,2 %
—
—
—
—
—
—
11,1 %
2,0 %
9,1 %
—
—
1,5 %
Internat. Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
—
—
—
—
—
—
Fachleute, Experten, Gutachter
—
2,0 %
—
2,9 %
—
—
Privatpersonen
11,1 %
2,0 %
2,0 %
1,5 %
—
4,4 %
Unpersönliche Quellen
7,4 %
3,0 %
9,1 %
4,4 %
—
4,4 %
—
5,0 %
3,0 %
—
—
—
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
Kirche , Religion
Judikative Militär Interessenverbände
Sonstiges Summe
Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ, Bild-Zeitung ) zu zehn Großereignissen 2015/16. Auszug Meinungsbeiträge, Akteure/Sprecher ges., n=512. Quelle: Eigene Darstellung 129
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
versen wie auch Schwierigkeiten und Nöte auf
schen Zeitung und der Frankfurter Allgemei-
der Vollzugsebene gemeint – kommt in den
nen Zeitung die Präsenz der politischen Elite
Kommentaren nur auf der abstrakt-abgehobe-
(Bundesregierung, Minister, Parlamentarier,
Abkehr von
nen Politikebene zur Sprache. Bürgerinitiati-
führende Parteipolitiker) nicht abnahm, viel-
der Alltagswelt
ven, Beauftragte und freie Träger, von denen
mehr auf rund 80 Prozent anstieg. Es zeigt sich
sich viele in aufopfernder Weise um die Lösung
hier auf der strukturellen Ebene die Paradoxie,
der Probleme kümmerten, werden in den Kom-
dass die Kommentatoren umso intensiver mit
mentaren kaum gewürdigt (sie bleiben, wenn
den bundespolitischen Wortführern inter-
sie genannt werden, entweder nachgeordnet
agierten, je handgreiflicher die Konflikte auf
oder werden als abstraktes, nur rhetorisches
den Straßen deutscher Städte und Gemeinden
Moment erwähnt).
tobten. Eine abweichende Tendenz fanden wir in
Kein Interesse an den beteiligten Bürgern
den Kommentaren der Zeitung Die Welt: Hier
Noch erstaunlicher: Die nach der Hochphase
ging im Herbst 2015, zwei Monate nach der dra-
sich steigernden Auseinandersetzungen zwi-
matischen Hochphase, der anfangs sehr hohe
schen den willkommenheißenden und helfend
Anteil der Akteure der institutionellen Politik
engagierten Akteuren der Bürgergesellschaft
deutlich zurück. Der Anteil jener, die „weiche“
und den unterschiedlich schattierten Skepti-
Funktionen und Rollen innehaben und sich
kern und Kritikern werden einer kommentie-
nicht in eine Kategorie zwingen lassen (inso-
renden Analyse kaum für wert befunden. Ohne
fern also für Vielfalt stehen), stieg indessen
Bedeutung bleiben auch Wortführer der Un-
an: Auch darin unterscheidet sich der in den
ternehmen und der Wirtschaft (von nur einer
Kommentaren zum Ausdruck gebrachte The-
prominenten Erwähnung in der Süddeutschen
men- und Problemfokus der Welt-Autoren von
Zeitung abgesehen). Selbst im Januar 2016 im
jenen in den beiden anderen Zeitungen.
Anschluss an das Silvesternachtdrama finden
130
(unter den als relevant definierten Akteuren/
Keine erkennbare Diskursfunktion
Sprechern) diejenigen keine Würdigung, die
Die Antwort auf die dritte Frage lautet demnach,
sich um die Betroffenen kümmerten oder küm-
dass sich die meinungsführenden Leitmedien –
mern sollten: Vertreter kirchlicher Organisati-
nach Maßgabe der in den Kommentaren auftre-
onen, Akteure der sozialen Einrichtungen wie
tenden Akteure, Sprecher und Institutionen – im
auch Experten und Fachleute. Umso häufiger
Fortgang der Ereignisse um die Flüchtlinge von
aber treten die Wort- und Meinungsführer der
der Erfahrungsebene der Bürgergesellschaft
politischen Elite als Kombattanten der Auto-
und so auch von derjenigen ihrer Leser immer
ren in Erscheinung. In diesem Zusammenhang
weiter entfernten. Insbesondere die Ansichten
überrascht auch, dass im Herbst und Winter
desjenigen Teils der Bevölkerung, der aus vie-
2015/16 in den Kommentaren der Süddeut-
lerlei Gründen die Vollzugspolitik skeptisch bis
Die Dynamik der Grossereignisse
kritisch verfolgte, wurden nicht ernsthaft in die
erfahrenen Zeitungslesern auch als das wahr-
Debatte einbezogen.
genommen und nicht mit der redaktionellen
Die zuletzt referierten Befunde sind Aussagen über das Insgesamt der untersuchten
Linie oder „Haltung“ des Blattes verwechselt werden.
Kommentare. Sie zeigen anhand ausgewähl-
Mit anderen Worten: Längsschnittuntersu-
ter Kriterien die argumentative Meinungsma-
chungen über redaktionelle Inhalte gehen von
che allein jener Autoren, die während unserer
der begründeten Annahme aus, dass sich das
Untersuchungsphasen publizistisch tätig wa-
zerklüftete Meinungsklima nicht über singulä-
ren. Die zahlreichen Gastbeiträge redaktions-
re Beiträge und externe Meinungen, so klug sie
fremder Autoren wurden nicht berücksichtigt.
auch sein mögen, sondern im Fortgang lang
Möglicherweise wurden dort Problemfragen
anhaltender Thematisierungen ausprägt bzw.
beleuchtet, die wir in unserer Analyse als De-
verändert75 – und dies umso deutlicher, je ein-
fizit erwähnt haben. Doch Gastbeiträge sind
helliger die Bewertungen und Urteile der Medi-
Äußerungen eines Gastes, die von halbwegs
en und ihrer Journalisten ausfallen.
75 Vgl. McQuail 1997; 2000 (ungeachtet der in Teil 4 diskutierten Frage, wie der Wirkungszusammenhang zwischen Änderungen in der redaktionellen Einstellung und im Meinungsklima zu modellieren ist – vgl. Scherer 1990: 265 f.).
131
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Teil 4: Fazit – Diskussion – Deutungen
Die unserer Studie zugrunde liegende Ausgangsfrage lautete: Wie haben die Informa
1. Zusammenfassung der Studienergebnisse
tionsmedien das konflikthaltige, viele Gemüter erregende Groß- und Dauerthema „Flüchtlings-
Im Folgenden fasse ich die wichtigsten Befunde
flut“ im Lauf des Jahres 2015 vermittelt? Das in
der drei Studienteile in zwanzig Punkten zu-
dieser Frage steckende Aufklärungsinteresse
sammen (die genannten Zahlen finden sich in
gilt, wie in der Einführung dargelegt, dem öf-
Tab. 5-20 und 28-33 sowie Abb. 4-9):
fentlichen Diskurs, dem, was gesellschaftliche
132
Verständigung ermöglicht. Haben sich die Jour-
1. Bereits im ersten Halbjahr 2015 über-
nalisten also erkennbar bemüht, die kritischen
schwemmten die reichweitestarken, als
Fragen und die verschiedenen, auch kontrover-
glaubwürdig geltenden Newsmedien tages-
sen Positionen in der Bevölkerung aufzugrei-
schau.de, spiegel.de, welt.de und focus.de
fen, zu informieren, zu durchleuchten und zu
ihre User/Leser mit unüberschaubar vielen
vermitteln? Haben sie den medialen Diskurs so
Meldungen und Berichten rund um das Dau-
gestaltet, dass er – zu Ende gedacht – integra-
erthema Flüchtlinge/Asylanten. Im Sommer
tiv und insofern gemeinwohlorientiert wirken
schwoll die Nachrichtenwelle nochmals
konnte?
dramatisch an. Während dieser Hochpha-
Um Antworten zu finden, haben wir – alles
se publizierten diese Newssites im Laufe
in allem – rund 35.000 Texten erfasst und drei
von 24 Stunden bis zu 17 Nachrichten allein
verschiedene Inhaltsanalysen durchgeführt. In
zum Ereignisthema Flüchtlinge/Asylanten.
der ersten untersuchten wir die Art und Weise,
Sie berichteten und meldeten von unüber-
wie die digitalen Newsmedien die zahllosen
schaubar vielen Handlungsorten über Betei-
Ereignisse der zwölf Monate vom Frühjahr 2015
ligte auf unterschiedlichsten Ebenen. Dies
bis Frühjahr 2016 nachrichtlich aufbereitet ha-
deutet auf eine (mutmaßlich dem Konkur-
ben. Dies geschah mit Hilfe einer Datenbank-
renzdruck geschuldete) sehr schwache Se-
recherche. In der zweiten untersuchten wir die
lektionsleistung der Newsredaktionen hin.
Berichterstattung und Kommentierung dieses
Nach Maßgabe des Theorems der „Themen-
Megathemas in drei Leitmedien mit Hilfe einer
verdrossenheit“ lässt sich annehmen, dass
codebuchgestützten „händischen“ Analyse
sich Teile des Publikums überfordert fühlten
der Zeitungsinhalte. Die dritte Untersuchung
und reagierten, indem sie den eigenen Vor-
galt der Lokal- und Regionalpresse. Sie ana-
urteilen folgten (stark selektive Wahrneh-
lysierte mit Instrumenten des auf Big Data zu-
mung). Im analytischen Rückblick lautete
geschnittenen Textminings die Art und Weise,
die Kernbotschaft der Newsberichte in jenen
wie 85 deutsche Regionalzeitungen das Nar-
Monaten: Einerseits ertrinken viele Tausend
rativ „Willkommenskultur“ thematisierten und
verzweifelter Flüchtlinge im Mittelmeer oder
popularisierten.
erreichen mit letzter Kraft die Grenzen Euro-
Fazit – Diskussion – Deutungen
pas. Andererseits sind die EU-Staaten und
4. Die Untersuchung zur Frage, wer alles in
ist die Regierungspolitik hilflos zerstritten,
den berichtenden Texten zur Sprache
während in den östlichen Bundesländern
kommt, ergab, dass in der Kategorie der
eine gewalttätige Szene agiert. Diese wird
relevanten Akteure und Sprecher zwei
pauschal als Dunkeldeutschland etikettiert
von drei Nennungen zur institutionellen
und damit ausgegrenzt.
Politik zählen. Mit knapp 9 Prozent weit
2. Unsere Rekonstruktion der komplexen Er-
abgeschlagen, gleichwohl zweitgrößte
eignisabläufe in den zwölf Monaten Unter-
Gruppe, sind Vertreter der Judikative (Po-
suchungszeit führte zur Identifikation von
lizei, Strafverfolger, Gerichte, Anwälte),
zehn Großereignissen. Wir gehen davon
also jene, die sich von Berufs wegen mit
aus, dass jedes dieser Ereignisse wegen
Rechtsverstößen befassen. Die eigentli-
seines Neuigkeitswertes und seiner disrup-
chen Hauptakteure – die Helfergruppen,
tiven Bedeutung das Potenzial besaß, mei-
Einrichtungen, freien Träger und Initianten,
nungsbildende Prozesse in Gang zu setzen
die sich, viele freiwillig, in erster Linie um
oder in Gang zu halten. Für die Medienana-
Flüchtlinge kümmerten – stellen nur rund
lyse orientierten wir uns am Theorem der
3,5 Prozent aller relevanten Personen, die
„gestuften Medienwirkung“, dem zufolge
in den redaktionellen Beiträgen genannt
die Leitmedien in der Rolle der Meinungs-
werden. Fachleute und Experten, die über
führer die Agenda setzen.
akute Problemfelder (wie den Umgang mit
3. Die Inhaltsanalyse der drei als Leitmedi-
Fremdenhass, ethnische Besonderheiten,
en geltenden Tageszeitungen Frankfurter
Ehe- und Familienrecht in islamischen
Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung
Gesellschaften, Verhältnis zwischen Sun-
und Die Welt zeigte erstens, dass der Inhalt
niten und Schiiten u. a. m.) Auskunft ge-
überwiegend aus nachrichtlichen Berichten
ben könnten, kommen praktisch nicht vor
und meinungsbetonten Beiträgen besteht.
(1:100). Die Hauptbetroffenen (Flüchtlinge,
Nur rund 4 Prozent der Texte gehören zu den
Asylsuchende, Migranten) bewegen sich
Formen, die dialogisch funktionieren (wie
bei 4 Prozent (das heißt eine Nennung auf
Interviews), nur rund 6 Prozent sind authen-
25 andere). Aufs Ganze des Jahres 2015 ge-
tisch recherchierte Berichte und/oder erzäh-
sehen, haben die Leitmedien dieses sozial-
lende Formen (wie Reportagen). Fast jeder
und gesellschaftspolitische Problemthema
fünfte Text gehört zu den kommentierenden
in ein abstraktes Aushandlungsobjekt der
Formen – ein ungewöhnlich hoher Anteil, der
institutionellen Politik überführt und nach
für die ausgeprägte Meinungsfreude der drei
den für den Politikjournalismus üblichen
Redaktionen steht.
Routinen76 abgearbeitet.
76 Vgl. „Agenda und Akteure des Politikjournalismus“, in: Fengler/Vestring (2009): 76 ff.
133
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
134
5. Die Zweidrittelmehrheit der Akteure in den
Berichten keine Relevanz zu. Thematisiert
Berichten, die der institutionellen Politik
wurden Probleme auf der Vollzugsebe-
zuzurechnen ist, setzt sich so zusammen:
ne fast nur dann, wenn es um Gewaltakte
Knapp 43 Prozent sprechen für die Bundes-
rechtsradikaler Gruppen ging.
ebene (Regierung, Ministerien, Parteien,
7. Diese Zusammensetzung des in den nach-
Parlament); jeder Fünfte vertritt eine auslän-
richtlichen Berichten auftretenden Perso-
dische politische Institution (inkl. EU-Gre-
nals unterstreicht die ausgeprägte Domi-
mien in Brüssel) und jeder Vierte zählt zur
nanz der politischen Elite. Vermittels der
Bundesländerebene. Von den Akteuren, die
Medien verhandelt sie die Themeninhalte
einer Partei zugeordnet werden konnten (ein
und setzt die Agenda – und beherrscht
Drittel aller relevanten Personen), vertreten
auch die Konflikte. Umgekehrt gesagt: Die
mehr als vier Fünftel eine der drei Regie-
Berichterstattung in den drei Leitmedien ist
rungsparteien. Sprecher der im Bundestag
zu großen Teilen auf die (partei)politische
vertretenen Oppositionsparteien kommen
Arena der Koalitionspartner fixiert. Diejeni-
nur jedes zehnte Mal zu Wort (die Grünen
gen, die sich in den Behörden und Einrich-
mehr als doppelt so häufig wie die Linke).
tungen um die Bewältigung der ungeheuren
Die in zahlreichen Bundesländer- und Kreis-
Aufgaben und Probleme des Vollzugsalltags
parlamenten vertretene AfD kommt in dieser
kümmerten, erscheinen aus der medial
Kategorie praktisch nicht vor (0,1 Prozent)
vermittelten Sicht der politischen Elite als
im Unterschied zur NPD (0,9 Prozent).
nicht relevant.
6. Erwartungsgemäß berichteten die meisten
8. Der journalistische Qualitätsgrundsatz, aus
Nachrichten (auch) über Konflikte und Kon-
neutraler Sicht sachlich zu berichten, wird
troversen (rund 5 Prozent aller Berichte).
in rund der Hälfte der Berichterstattungen
Identifiziert man hier die relevanten Akteu-
nicht durchgehalten. Insbesondere die Art
re/Sprecher, wiederholt sich die Zusam-
und Weise, wie über die Positionierung
mensetzung: Der überwiegende Teil (rund
eines Politikers berichtet wird, ist oftmals
70 Prozent) der Konfliktpartner gehört zur
wertend und beurteilend, bei Vertretern
institutionellen Politik, davon sprechen vier
der Opposition mitunter auch „von oben
Fünftel (81,3 Prozent) im Namen einer der
herab“. Zudem schreiben die Korrespon-
Regierungsparteien. Nur jeder 14. Akteur/
denten nicht selten in einer Diktion, die
Sprecher ist kein Funktionsträger, sondern
persönliche Nähe, auch Vertrautheit zur po-
ein in das Thema eingebundenes Individu-
litischen Elite suggeriert (auktorialer Duk-
um. Derselbe Befund umgekehrt: Den Kon-
tus). Diese Attitüde kann beim Leser den
flikten auf der konkreten Vollzugsebene der
Eindruck erzeugen, die berichtenden Jour-
Bundesländer maßen die Leitmedien wäh-
nalisten seien weniger am Thema selbst
rend des Untersuchungszeitraums in ihren
als an den über das Thema transportierten
Fazit – Diskussion – Deutungen
Querelen interessiert. Politik wird in den
werber“ sehr intensiv. Die Analyse dieser
Medien überwiegend nicht als Prozess der
meinungsbetonten Beiträge (Leitartikel,
Entscheidungsfindung, sondern als Schlag-
Kommentare u. Ä.) bestätigt den zuvor
abtausch unter Mandatsträgern inszeniert.
referierten Befund: Sieben von zehn rele-
9. Dass die Leitmedien – hier vor allem die
vanten Akteuren/Sprechern gehören auch
überregionalen Tageszeitungen – in ihrer
hier zur politischen Elite. Im Sinne der In-
Berichterstattung auf die politische Elite
dexing-These ist der virtuelle Adressat der
fixiert zu sein scheinen, ist nicht neu, son-
Kommentare nicht der Leser, sondern die
dern wurde wiederholt untersucht und be-
Politik. Die Argumente erörtern meist die
stätigt. Die US-amerikanische Medienfor-
von Politikern aufgeworfenen Vorschläge
schung hat hierfür den Begriff „Indexing“
in operativer Hinsicht. Bis zum Spätherbst
eingeführt. Unsere Befunde sind gleich-
2015 greift kaum ein Kommentar die Sor-
wohl überraschend, erstens, weil das hier
gen, Ängste und auch Widerstände eines
untersuchte Megathema, aus dem die so-
wachsenden Teils der Bevölkerung auf.
genannte Flüchtlingskrise hervorging, die
Wenn doch, dann in belehrendem oder
Einstellung der Bürger zu den Grundwerten
(gegenüber ostdeutschen Regionen) auch
betrifft und moralisch stark überformt ist.
verächtlichem Ton. Kaum ein Kommentar
Zweitens, weil in vielen Regionen auch „bür-
während der sogenannten Hochphase (Au-
gerliche“ Teile der Bevölkerung von einer
gust und September) versuchte eine Diffe-
tief sitzenden Fremdenangst besetzt sind,
renzierung zwischen Rechtsradikalen, po-
die publizistisch in den Blick zu nehmen
litisch Verunsicherten und besorgten, sich
wäre. Drittens, weil die mit der Flüchtlings-
ausgegrenzt fühlenden Bürgern. So dien-
krise einhergehende Problemwahrneh-
ten die Kommentare grosso modo nicht
mung auf der kommunalen und regionalen
dem Ziel, verschiedene Grundhaltungen zu
Ebene spielt. Viertens schließlich, weil die
erörtern, sondern dem, der eigenen Über-
mit der Idee der Integration verbundenen
zeugung bzw. der regierungspolitischen
Tätigkeiten nicht von Parteien und Ministe-
Sicht Nachdruck zu verleihen.
77
rien in Berlin, sondern von den direkt betei-
11. Unser Zwischenfazit lautete, dass die nach-
ligten Personen und Organisationen vor Ort
richtliche
Informationsüberfülle
(siehe
zu erbringen sind.
Punkt 1 zu den Online-Newssites) von den
10. Alle drei Zeitungsredaktionen kommentier-
tonangebenden Print-Leitmedien markant
ten das Megathema „Flüchtlinge/Asylbe-
verdichtet wurde. Dabei haben sie die Er-
77 Die Indexing-Hypothese geht auf Lance Bennett und seine Beobachtung zurück, dass Journalisten der Leitmedien der politischen Elite folgen, wenn unter den politischen Meinungsführern in Bezug auf die Bewertung des Hauptthemas Konsens besteht. „Mass media news professionals, from the boardroom to the beat, tend to ‚index‘ the range of voices and viewpoints in both news and editorials according to the range of views expressed in mainstream government debate about a given topic“ (Bennett 1990: 106).
135
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schenk-
der institutionellen Politik bearbeitet (sie-
te den in Bezug auf die Flüchtlingspolitik
he Punkt 4, Akteure) und ihres Ereigniszu-
skeptischen oder kritischen Positionen eine
sammenhangs entkleidet. Die Alltagswelt
relativ größere Beachtung. Auch brachte sie
mit ihren Akteuren kam praktisch nicht zur
relativ mehr Berichte über grundwertige
Sprache, ausgenommen im Zusammenhang
Kontroversen. Dabei hatten ihre Berichte im
mit rechtsradikalen Gewaltakten. Doch
Vergleich zu den beiden anderen Blättern
auch dann wurde die Sicht der etablierten
eine sachlich-neutrale Aufmachung. Viele
Politik und ihrer Mandanten eingenommen
ihrer zahlreichen Kommentare folgten mit
und durchgehalten. Der demokratietheore-
ihren Begründungen einer güterabwägen-
tisch geforderte verständigungsorientierte
den (utilitaristischen) Argumentation (in
Diskurs war im redaktionellen Teil der drei
der Art: Die Achtung unserer Grundwerte
Leitmedien im Verlauf des Jahres 2015 für
setzt voraus, dass die sozialen Spannungen
uns nicht auffindbar. So blieben die Redak-
nicht zu groß werden. Deshalb sollte man
tionen bei ihrer Themenvermittlung bis zu
nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen).
den mit „Silvesternacht 2015/16“ etiket-
Die Süddeutsche Zeitung brachte im Zusam-
tierten Vorgängen auf die politische Elite
menhang mit Gewaltaktionen ultrarechter
und deren symbolisches Handeln in Form
Gruppen relativ am häufigsten authenti-
rhetorischer Sprechakte (Motto: „Wir brau-
sche Vor-Ort-Berichte und Reportagen. Ihre
chen …“) fixiert.
Berichte über die politische Elite sind mit
12. Unterhalb dieser Generallinie entdeckten
29 Prozent relativ häufig im Duktus der
wir bei den drei meinungsführenden Zeitun-
„eingefühlten Nähe“ verfasst (auktoriales
gen mehrere spezifische Eigenheiten:
Schreiben). Wohl aus Standortgründen gibt
Die Welt berichtete am umfassendsten und
sie dem Dissens zwischen CSU und CDU den
bot die relativ breiteste Palette an Akteurs-
relativ größten Raum. Ihre in den Berichten
und Sprecherrollen; sie beachtete das Er-
und Kommentaren zum Ausdruck kommen-
fordernis des Perspektivenwechsels etwas
de Haltung differenziert am deutlichsten
häufiger als die anderen beiden Zeitungen.
zwischen der Flüchtlingspolitik der Kanzle-
Sie hielt sich (relativ zur FAZ) mit redaktio-
rin (durchwegs positiv) und den Positionen
nellen Meinungsäußerungen stark zurück.
von Akteuren in den Regierungsparteien
In ihren Kommentaren verfocht sie indes-
(überwiegend kritisch). Die Begründun-
sen am deutlichsten eine opportunistische,
gen in den Kommentaren folgen häufiger
mitunter auch neoliberale Position und
einer universalistischen Ethik (in der Art:
klammerte die Menschenrechtsdebatte aus
Die Menschenrechte gelten universell und
(in der Art: Flüchtlinge sind für unsere Wirt-
stehen über den nationalen Opportunitäten
schaft nützlich und darum nehmen wir sie).
oder lokalen Interessen und Bedürfnissen;
136
eignisthemen auf der abstrakten Ebene
Fazit – Diskussion – Deutungen
deshalb muss bedingungslos geholfen wer-
überlastet, manche auch überfordert. In je-
den).
ner Zeit wurde die anfangs opportunistisch
13. Die im Sommer 2015 vor allem in westdeut-
verstandene Formel zur moralisch aufgela-
schen Gemeinden und Städten von vielen
denen Maxime einer „neuen Willkommens-
Tausenden von Bürgern gezeigte Aufnah-
gesellschaft“ ausgedehnt. Wer Skepsis an-
mebereitschaft wurde von der Politik wie
meldete, rückte in den Verdacht der Frem-
von den Medien überwiegend mit dem
denfeindlichkeit. Hier ist zu fragen, wie es
„deutschen Wunder Willkommenskultur“
dazu kam, dass das Narrativ im Kontext des
(Die Zeit, 12.09.2015) erklärt. Dieser sich
Flüchtlingsthemas eine solche auf Konfor-
selbst begründende Euphemismus wurde
mität gerichtete Meinungsmacht entfalten
in den Tageszeitungsberichten zu einer
konnte.
Art Zauberwort verklärt, mit dem freiwillig
15. Um eine Antwort zu finden, haben wir den
von den Bürgern zu erbringende Samari-
öffentlichen Gebrauch des Wortes Willkom-
terdienste moralisch eingefordert werden
menskultur anhand der Lokal- und Regio-
konnten.
nalpresse Deutschlands rekonstruiert und
14. Die Analyse des öffentlichen Gebrauchs des
hierfür sämtliche redaktionellen Beiträge
Narrativs „Willkommenskultur“ zeigt des-
von 85 Regionalzeitungen seit 2005 erfasst,
sen Themenkarriere. In der Zeit nach 2005
in denen das Narrativ vorkam. Dies waren
hatten die Industrie- und Arbeitgeberver-
rund 26.000 Texte. Von diesen wurden rund
bände von der Politik eine solche Haltung
17.000 einer morphologischen Analyse mit
gefordert, um für als Arbeitskräfte dringend
dem Verfahren des Textminings unterzo-
benötigte qualifizierte Migranten Aufnah-
gen. Die auf diesem Wege ermittelte Gene-
meerleichterungen zu bekommen und ein
se zeigt, dass die Lokal- und Regionalpres-
weniger fremdenfeindliches Klima zu schaf-
se erstens einer Sinn- und Zwecksetzung
fen. Die im Bundestag vertretenen Partei-
folgte, die zuerst von der Wirtschaft, dann
en übernahmen diese Forderung – in je
von der Politik propagiert worden war. Sie
unterschiedlichen Konnotationen – in ihre
ergab zweitens, dass die lokale Tagespres-
Parteiprogramme. Nach 2010 wurde dieses
se die Nähe der Leitmedien zur politischen
Narrativ auf der regionalen und lokalen Ebe-
Elite mitmachte und bis zum Sommer 2015
ne umgedeutet zu einer „Haltung“, mit der
das Narrativ überwiegend als persuasive
Wohlmeinende auf die von der Wirtschaft
Losung transportierte.
benötigten Migranten zugehen sollten. Im
16. Sortiert man die in den Berichten der Re
Laufe der Jahre 2013/14, als bereits zahlrei-
gionalpresse zum Thema Willkommenskul-
che Flüchtlinge aus Nahost nach Deutsch-
tur auftretenden Akteure/Sprecher nach
land kamen, sahen sich die für die Betreu-
ihrer Parteizugehörigkeit, dann fällt der
ung und Versorgung zuständigen Behörden
hohe Anteil an monologischen Darstellun-
137
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
gen (nur eine Partei kommt zu Wort) auf.
tungen. Nur in seltenen Ausnahmefällen
Im Laufe des Jahres 2015 erschienen rund
wurden abweichende Positionen wie auch
doppelt so viele monologisch berichtende
behördliche Fehlleistungen untersucht oder
Texte wie dialogische oder diskursive (mit
Fachwissen eingeholt und ausgewertet
zwei oder mehreren Parteien). Auch dies
oder dialogisch aufbereitet. Bis Ende des
ist ein Indiz für die monodirektionale Trans
Jahres 2015 wurden die Leistungen, die wir
ferleistung („Einbahnstraße“) des Lokal-
einleitend mit „diskursivem Journalismus“
und Regionaljournalismus. Von diskursiver
umrissen haben, nicht erbracht.
Themenbearbeitung kann für das Jahr 2015 nicht die Rede sein.
138
19. Die in der Einführung gestellte Frage, ob es bei der Vermittlung des Flüchtlingsthemas
17. In der Tagespresse wurde unseren Befunden
zwischen Bundespolitikern, den Leitme-
zufolge das Narrativ Willkommenskultur als
dien und den Folgemedien (lokale Presse)
moralisch intonierte Verpflichtungsnorm
in Bezug auf die politische Linie der Bun-
„top-down“ vermittelt. Wenn in der Presse
deskanzlerin eine Konsonanz gab, haben
Kritisches zu Wort kam, dann im Sinne einer
unsere Analysen bejaht. Um dies zu erklä-
weiter zu stärkenden und zu verbessernden,
ren, bietet sich zur schon besprochenen
kurz: „neuen“ Willkommenskultur. Annä-
Indexing-Hypothese das Konzept des „poli-
hernd 83 Prozent aller Zeitungsberichte ver-
tischen Framings“ (Reese 2007: 150 f.; Weh-
mittelten das Leitbild Willkommenskultur in
ling 2016: 45 ff.) an. Es geht davon aus, dass
einem positiven oder mehr positiven Sinne.
vermittels der Medien ein thematischer
Über Bedenkenträger oder Skeptiker wurde
Kontext erzeugt wird, der eine bestimm-
eher selten berichtet. Wenn vereinzelt kri-
te politische Zielstellung oder Einstellung
tische Gegenstimmen wiedergegeben wur-
verbindlich macht und zum Common Sense
den, dann waren es Statements wiederum
erhebt. Die Textanalysen belegen – was die
aus der Politik, diesmal von Rechtskonser-
Sinnfüllung des Narrativs „Willkommens-
vativen oder Ultrarechten.
kultur“ betrifft – einen hohen Gleichklang
18. Die Besonderheit der Regionalpresse, dass
zwischen den Politiker- und den Medien-
sie in ihren Lokalteilen die Nah- und All-
aussagen. Von daher ist die Deutung gut
tagswelt der Menschen durchleuchten und
gestützt, dass mit dem „Framing“ des Kom-
Vorgänge wie auch Probleme quasi hautnah
plexes Flüchtlingspolitik/Willkommenskul-
recherchieren kann, wurde im Jahr 2015 für
tur eine spezifische Diktion verbreitet wur-
die Flüchtlingsthematik nicht genutzt. Die
de, die im Frühsommer 2015 die öffentliche
vergleichsweise wenigen Texte, die Proble-
Meinung so stark prägte, dass abweichen-
me oder Konflikte thematisierten, sind fast
de Positionen nicht mehr gehört wurden.
ausnahmslos Veranstaltungsberichte und
Wie dies im Hinblick auf die Einstellungen in
insofern keine journalistischen Eigenleis-
der Bevölkerung zu deuten ist, kann diese
Fazit – Diskussion – Deutungen
Untersuchung nicht beantworten. Hierfür
die moralisch bessere oder schlechtere sei.
sind Theoreme erforderlich, auf die ich im
Wir haben uns auch nicht für die politische
folgenden zweiten Abschnitt eingehe.
Haltung von Journalisten oder Redaktionen in-
20. Auf die mit dem Stichwort Silvesternacht
teressiert. Auch wurden keine Überprüfungs-
2015/16 etikettierten Ereignisse folgte ein
recherchen vorgenommen, um den Wahrheits-
veränderter – man könnte sagen: differen-
gehalt von Berichten zu untersuchen. Leider
zierterer – Umgang mit dem Megathema
konnten wir auch keine semantische Analyse
„Flüchtlinge in Deutschland“. Im ersten
ausgewählter Texte durchführen, wiewohl dies
Quartal 2016 wird die Tonalität der Zei-
aufschlussreich gewesen wäre und vermutlich
tungsberichte zurückhaltender, in Bezug
manchen differenziert abgefassten, stilistisch
auf die Praxis der Flüchtlingspolitik auch
ausgezeichneten Beitrag ans Licht gefördert
skeptischer. Die Sorgen und Ängste vieler
hätte.
Menschen zumal in den Großstädten wer-
Die Studie ging vielmehr, wie in der Ein-
den vorübergehend thematisiert. Im Januar
führung dargelegt, von demokratietheore-
2016 finden sich auch viele Zeitungsberich-
tisch begründeten, mithin normativen Anfor-
te, die, entgegen journalistischen Sorgfalts-
derungen an den Informationsjournalismus
pflichten, in ihren Berichten über Normver-
aus. Dieser Ansatz ist als Bezugsrahmen mit-
stöße junge Migranten und Asylsuchende
zudenken, wenn es um die Bewertung der Be-
unter Täterverdacht stellen. Es entsteht der
funde geht. Läge der Analyse ein Verständnis
Eindruck, als wollten viele Journalisten jetzt
zugrunde, dem zufolge der Informationsjour-
überfleißig nachholen, was sie zuvor ver-
nalismus vor allem dazu da sei, Intentionen
säumt hatten.
und Strategien der politischen Akteure dem Publikum zu vermitteln, könnte man unse-
Diskussion der Befunde
re Ergebnisse als Beleg dafür nehmen, dass
Diese Zusammenfassung könnte manchen Le-
er diese Aufgabe aufs Beste erfüllt hat. Aus
ser zu der Fehldeutung verleiten, es ginge uns
Sicht unseres Ansatzes jedoch ist dies eine
um eine Kritik am Journalismus, die der Vor-
Leistung, die von der Politik-PR zu erbrin-
urteilsbestätigung diente, Motto: Wir haben’s
gen wäre (und erbracht wird). Sie kollidiert
78
doch immer schon gesagt, hier ist der Beweis!
nicht nur mit dem normativen Anspruch des
Demgegenüber ist Folgendes festzuhalten: Un-
diskursiven Journalismus, sondern auch mit
sere Studie beschäftigte sich nicht mit der Fra-
unstrittigen Professionsregeln des Qualitäts-
ge, welche Einstellung zur Flüchtlingsthematik
journalismus. Wie dargelegt, verlangt dieser
78 An der Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche im Juli 2016 stellte der Verfasser erste Befunde der Studie vor, die wenig später zum „Beweis“ für Journalistenbashing umgedeutet und von Medienkritikern vor allem der politisch rechten Szene kolportiert wurden (z. B. https://www.frauke-petry.com/index.php/aktuelles/pressemitteilung/196afd-sachsen-studie-zur-fluechtlingsberichterstattung-ist-armutszeugnis-fuer-qualitaetsmedien; abgerufen Januar 2017).
139
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Anspruch, dass das politische Handeln aus
Denn die Gesamtheit aller in den Zeitungstex-
unabhängiger Sicht kritisch beobachtet und
ten Genannten ist unserer Auswertung zufolge
bei gesellschaftlich folgenreichen Großthe-
rund dreimal so groß. Es könne darum sehr
men die verschiedenen am Thema beteiligten
wohl sein, so der Einwand, dass eigentlich
Gruppen in die Berichterstattung einbezogen
wichtige, unter der Relevanz-Definition nicht
werden.
anzutreffende Personengruppen an anderen
Doch auch innerhalb dieses Rahmens las-
Stellen im Bericht doch Erwähnung finden.
sen sich Einwände gegen die Aussagekraft
Dieser Einwand ist in der Sache zutreffend.
unserer Befunde vorbringen. Sie beziehen
Allerdings war es uns nicht möglich, alle an-
sich auf die methodologische Ebene. Ein Vor-
nähernd 10.000 in den Zeitungstexten er-
behalt könnte lauten, dass unsere Kategorie
wähnten Akteure und Sprecher detailliert zu
der relevanten Akteure und Sprecher (Erst-
analysieren. Mit der Relevanz-Kategorie wurde
genannte und/oder wiederholt Genannte)
die Gesamtheit der in den Texten erwähnten
nicht valide sei, weil es dem Berichterstatter
Akteure/Sprecher auf jene verdichtet, die vom
freigestellt ist, wann und wie oft er im Laufe
Berichterstatter oder Kommentator bzw. der
eines Berichts seine Protagonisten zur Spra-
Redaktion als wichtig/bedeutsam/aussage-
che bringt. Unsere Vorabstudien zum Aufbau
stark eingeschätzt wurden. Diese Gewichtung
nachrichtlicher Texte ergaben indessen, dass
zeigt sich ja auch durch die Aufbereitung und
mehr als vier von fünf Texten dem klassischen
Präsentation der Texte (siehe oben). Daher ist
Nachrichtenaufbau insofern folgen, als die
die Annahme begründet, dass auch die Zei-
im Thema agierenden Hauptpersonen tat-
tungsleser dieser Gewichtung folgen und die
sächlich zuerst und/oder wiederholt genannt
erst- und/oder wiederholt genannten Akteure
werden. Abweichungen konnten wir nur bei
als Protagonisten des Themas wahrnehmen.
wenigen erzählenden Texten beobachten
Diese Kategorie erfasst damit zwei für unsere
(dieses Genre machte insgesamt nur 6 Pro-
Forschungsfrage bedeutsame Merkmale: ers-
zent aus), und auch nur dort, wo sie darauf
tens das Relevanzverständnis des Journalisten
verzichteten, ihre Hauptakteure im Titelkom-
(nicht grundlos hat er diesen und nicht jenen
plex (Überschrift, Vorspann usw.) zu nennen.
Akteuren oder Sprechern so viel Bedeutung
Unserer Durchsicht nach betrifft dies weniger
gegeben); zweitens die Relevanz-Adaption
als 3 Prozent der Texte. Dass diese Kategorie
durch die Rezipienten (sie nehmen zur Kennt-
(„relevante Akteure und Sprecher“) bei den
nis, dass offenbar diese und nicht jene Akteure
offeneren Kommentarformen eine größere
oder Sprecher bedeutsam sind). Wir meinen
Unschärfe zeigt, habe ich in Teil 3 der Studie
deshalb, dass diese Kategorie deutlich zeigt,
bereits erörtert.
ob und wie (Fokus) der Informationsjourna-
Ein weiterer Einwand könnte lauten, dass diese Kategorie überhaupt ein Artefakt sei.
140
lismus auf der Akteursebene Komplexität reduziert.
Fazit – Diskussion – Deutungen
2. Thesen zur Wirkung der Flüchtlingsberichterstattung
in den Blick nehmen. Und um beides – Medienaussagen und Einstellungswandel – in einen erklärenden Zusammenhang zu bringen, benö-
Unser normativer Forschungsansatz galt der
tigen wir gleichsam als Brückenschlag ein plau-
strukturellen Ebene des Mediensystems. Auf
sibles Wirkungsmodell. Im Folgenden möchte
dieser Ebene verweisen die Ergebnisse auf
ich deshalb zunächst einige demoskopische
gravierende Dysfunktionen des Informations-
Befunde referieren und dann den Zusammen-
journalismus als Teil der sogenannten Main-
hang anhand erprobter Wirkungshypothesen
streammedien.79 Diese Störungen haben sich
herstellen und begründen.
so tief eingefressen, dass sie von Journalisten oder einzelnen Redaktionen vermutlich für
Wie sich die Meinungen ändern
normal gehalten, das heißt nicht als solche
Ein fremdenfreundliches Deutschland? Zu
wahrgenommen oder gar problematisiert wer-
Beginn des zweiten Teils haben wir den er-
den. Dies könnte erklären, warum die meisten
staunlich radikalen Einstellungswandel in
tagesaktuellen Medien bis zur Silvesternacht
der Erwachsenenbevölkerung Deutschlands
2015/16 nicht erkannt hatten, dass sich durch
geschildert. Noch vor sechs, sieben Jahren
die Gesellschaft ein mentaler Graben zieht,
hatte das Meinungsklima ja noch deutlich
der den weltoffen-liberal denkenden Teil der
anders ausgesehen. Laut den zitierten Erhe-
Bevölkerung – Leser der Leitmedien – vom
bungsdaten der Migrationsforschung zeigte
konservativ-liberal bis nationalistisch einge-
damals mehr als die Hälfte der Bevölkerung
stellten Teil trennt. Unsere These lautet, dass
deutliche „Überfremdungsängste“, und mehr
die in den zwanzig Punkten zusammengefass-
als ein Drittel hielt die „kulturellen Unter-
ten Dysfunktionen diesen polarisierenden und
schiede“ vor allem der muslimischen Mi
insofern desintegrativen Prozess massiv geför-
granten gar für gefährlich (Zick/Küpper 2012:
dert haben.
171 f.). Dieser Stimmungslage stellten wir die
Mit dieser These betreten wir das spe-
von TSN Emnid drei Jahre später, Anfang 2015,
kulative Feld der Medienwirkung. Einerseits
durchgeführte Erhebung gegenüber, der zu-
verfügen wir über valide Befunde aus den In-
folge die weit überwiegende Mehrheit der
haltsanalysen. Doch sie allein erlauben keine
Deutschen zuwandernde Fremde willkommen
Aussagen über das, was in den Köpfen des
heiße und vom friedlichen Zusammenleben
Publikums vorging. Um hier Deutungssicher-
mit den Flüchtlingen überzeugt sei (vgl. S. 54).
heit zu gewinnen, müssen wir andererseits den
Ein knappes Jahr später, im Winter 2015/16,
demoskopisch ermittelten Einstellungswandel
zeichneten neue Erhebungen eine in Bezug
79 Zum Begriff vgl. Krüger (2016: 39 ff.). Auf dieselben Dysfunktionen verweist die Beispielsammlung aus der Berichterstattung über internationale Politik der Mainstreammedien bei Teusch (2016).
141
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
auf Migranten/Flüchtlinge wiederum mar-
Befragten, dass „Macht und Einfluss der Medi-
kant veränderte Einstellung. Jetzt fühlten sich
en in Deutschland“ groß oder sehr groß seien
zwei Drittel der Befragten eher bedroht (ZDF-
(Köcher 2015).
Politbarometer Januar 2016), und 52 Prozent fanden die „Zahl der Asylbewerber und Flücht-
Tiefe Zweifel an der Unabhängigkeit
linge“ eher beängstigend (Forsa-Umfrage Fe
der Medien
bruar 2016 ). Eine andere Erhebung ergab
Auch wenn oft abstrakt und insofern diffus ge-
(TNS im Auftrag des Spiegels), dass „82 Pro-
fragt wird und die hier zitierten Erhebungen
zent Merkels Flüchtlingspolitik ablehnen“
wegen unterschiedlicher Fragestellungen und
(„Große Mehrheit fordert Korrektur der Flücht-
Befragungsmethoden entsprechend Unter-
lingspolitik“, Spiegel Online 09.09.2016).
schiedliches abbilden,81 so wird doch deutlich,
80
Solche Daten sind volatil und ähneln Mo-
dass im Herbst/Winter 2015/16 sehr viele Men-
mentaufnahmen, in denen sich aktuelle Erleb-
schen auf das von den Medien gezeichnete Bild
nisse und Nachrichten spiegeln. Sie referie-
„Flüchtlinge/Willkommenskultur“ wie desillu-
ren darum auf die Medienberichterstattung.
sioniert reagierten und generell über die In-
Denn knapp drei Viertel der Erwachsenenbe-
formationsmedien deutlich enttäuscht, auch
völkerung informierten sich über Vorgänge
misstrauisch urteilten.
zum Komplex Flüchtlinge/Willkommenskultur
Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung
vermittels der klassischen Medien (Kröcher
glaubt seither, der Journalismus werde of-
2015). Und hier öffnet sich derselbe Graben,
fenbar gezwungen, systemkonform und in-
von dem oben in Bezug auf das Flüchtlingsthe-
sofern manipulierend zu berichten: Ende
ma die Rede war. Im Oktober 2015 untersuch-
2016 äußerten sich viele überzeugt, die Re-
te das Demoskopische Institut Allensbach die
gierung würde festlegen, worüber die soge-
Einstellung der Bevölkerung zu den Informa
nannten Mainstream medien berichten und
tionsmedien. Auf die Frage, ob „die Medien ein
worüber nicht. In einer repräsentativen Be-
zutreffendes Bild der Flüchtlinge“ zeichneten,
völkerungsbefragung zum Thema: „Vertrau-
antworteten 53 Prozent mit Nein, 22 Prozent
en Sie den Medien?“ der Universität Mainz
blieben unentschieden. Demnach war nur eine
hielten 55 Prozent der Befragten es für mög-
Minderheit von 25 Prozent überzeugt, dass die
lich, dass „die Bevölkerung in Deutschland
Medien zutreffend berichtet hätten. Fast jeder
von den Medien systematisch belogen“ werde
Zweite nannte die Berichterstattung einseitig.
(19 Prozent „eher/voll oder ganz“, 36 Prozent
Zugleich fanden mit 95 Prozent praktisch alle
„teils, teils“). Dass in den Medien „neutrale
80 Unter: http://www.stern.de/politik/deutschland/fluechtlinge--das-denken-die-deutschen-wirklich-6737204.htm (abgerufen Januar 2017). 81 Dass Meinungsbefragungen kommerzieller Institute oftmals keine validen Ergebnisse produzieren, erläutert: https://sciencefiles.org/2015/10/31/der-meinungsforschungskrieg-um-die-luegenpresse/ (abgerufen Januar 2017).
142
Fazit – Diskussion – Deutungen
Berichterstattung und wertende Kommenta-
Wer eine gegenüber der tonangebenden
re oft vermischt werden“, trifft für 38 Prozent
Meinung abweichende Auffassung hat, der
„eher/voll oder ganz“ zu, weitere 33 Prozent
schweige lieber, aus Angst gemieden und iso-
finden dies „teils, teils“. Und auch dies ist
liert zu werden. Dies geschieht natürlich kaum
aufschlussreich: 37 Prozent stimmen „eher/
bei abstrakten oder belanglosen Themen, viel-
voll oder ganz“ (und 38 Prozent „teils, teils“)
mehr dann, wenn – wie hier bei der Fremden-
der Ansicht zu, dass die Medien „grundsätz-
und Flüchtlingsfrage – der Meinungskampf
lich nicht über berechtigte Meinungen berich-
‚moralisch aufgeladen‘ ist und der Einzelne
ten, wenn sie diese für unerwünscht halten“.
fürchtet, als moralisch schlecht zu erscheinen.
Und schließlich stimmen 26 Prozent „eher/
Befunde stützen die These, dass dieses Ver-
voll oder ganz“ und weitere 31 Prozent „teils,
halten bei unsicheren und sozial schwäche-
teils“ der Ansicht zu, „Medien und die Politik
ren Menschen verbreiteter ist als etwa unter
arbeiten Hand in Hand, um die Bevölkerungs-
selbstbewussten Entscheidern.83
meinung zu manipulieren“.82
Die Dynamik („Spirale“) kommt in Gang, wenn die vermeintlich vorherrschenden Auf-
Schweigespirale und Reaktanz
fassungen nach und nach als feste Mehrheits-
Um die mit dieser tiefgreifenden Enttäu-
meinung dargestellt und zugleich davon abwei-
schung verbundenen Effekte zu verstehen,
chende oder konträre Positionen im Mediendis-
bietet sich das Modell der Schweigespirale
kurs immer schwächer werden. Dabei bleibt in
an. Es wurde von der Meinungsforscherin Eli-
der Öffentlichkeit verborgen, welche Position
sabeth Noelle-Neumann Ende der 1970er Jahre
die tatsächliche Mehrheitsmeinung abbildet
ausgearbeitet – ein Makro-Konzept, das eine
(Noelle-Neumann bezog ihre Thesen auf das
spezifische Dynamik in der öffentlichen Mei-
bei Befragungen geäußerte Wählerverhalten im
nungsbildung erklärt. Ihm zugrunde liegt die
Vergleich zur Entscheidung in der Wahlkabine –
sozialanthropologisch gestützte Auffassung,
Diskrepanzen, die wohl auch im Zusammen-
dass jedes Individuum Anerkennung in seiner
hang mit der US-Präsidentenwahl 2016 offenbar
sozialen Umgebung, also auch Anschluss und
wurden). Jedenfalls sind diejenigen, die sich ins
Respekt finden möchte: „Die Furcht vor Isola-
Schweigen zurückziehen, die Frustrierten.
tion erscheint als die treibende Kraft, die den
Gegen das Modell der Schweigespirale
Prozess der Schweigespirale in Gang setzt“
wurden gewichtige Einwände erhoben und
(Noelle-Neumann 1980: 20).
differenzierende Studien durchgeführt.84 Für
82 Jackob u. a. 2017. 83 Vgl. die Forschungen des Teams von George Gerbner zur sogenannten Kultivierungsanalyse (Gerbner u. a. 1982) sowie die Studien zum sogenannten Third-Person-Effect (Davison 1983; Perloff 1993), dem zufolge Menschen „die anderen“ für stärker beeinflusst halten als sich selbst und sich darauf einstellen. 84 Ein durch Studien erhärteter Einwand lautet: Schweigespiralen-Effekte sind eher an Milieus gebunden und hängen, wenn überhaupt, weniger von einem Medium als von Eigenheiten des jeweiligen soziokulturellen Milieus ab. Eine Übersicht über die Diskussion dieser Theorie findet sich bei Bonfadelli (1999: 149 ff.) und Schenk (2007: 526-577).
143
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
unsere Thematik sind jene Befunde brauch-
Kampagne gesteigert wurde und Einwände als
bar, die einen Schweigespiralen-Effekt dort
moralisch „unanständig“ erscheinen ließ.87
aufgespürt haben, wo es (a) um moralisch
Indem die mit dem „Frame“ Flüchtlinge/Will-
besetzte Einstellungen sowie (b) um räumli-
kommenskultur transportierte Bedeutung als
che und/oder soziale Nähe geht. Dies trifft
quasi herrschende Meinung (man ist geneigt
auf den Nachbar-, Vereins- und Kollegenkreis
zu sagen: alternativlos) auftrat, sahen sich
zu, mithin auf die lokale Lebenswelt, in der
diejenigen, die anderer Auffassung waren, mo-
in erster Linie die Lokal- und Regionalzeitun-
ralisch ins Unrecht gesetzt.88 Viele zogen sich
gen Orientierung bieten und das Meinungs-
frustriert zurück. Aber schwiegen sie?
85
Unter diesem Blickwinkel ist
Nun stammt das Schweigespiralen-Modell
unser Befund bedeutsam, dass in der Flücht-
aus der Zeit der analogen Medien, als das Pub-
lingsthematik – festgemacht am Narrativ Will-
likum als passiver Empfänger der Nachrichten
kommenskultur – die Lokal-/Regionalpresse
gesehen wurde. Dies hat sich mit den sozialen
dem auf die Parteien und die Wirtschaftspoli-
Medien des Internets dramatisch verändert.
tik zentrierten „Frame“ der Leitmedien folgte
Viele der Betroffenen wollen nicht verstum-
und so als deren Verstärker funktionierte.
men, sondern suchen nach anderen Kanälen
klima prägen.
86
und Foren, um ihrer Frustration umso heftiger Von der Frustration zur Wut und zu
Luft zu machen. In den Medienwissenschaften
„alternativen Ventilen“?
verwendet man hierfür den aus der Verhalten-
Eine mögliche Erklärung des Zusammenhangs
spsychologie entlehnten Begriff der Reaktanz
zwischen Medienaussagen, Medienenttäu-
(Brehm 1966; Brehm/Brehm 1981). Dieses
schung und Einstellungswandel ist, dass die
Theorem geht davon aus, dass in der heuti-
Politiker in den Jahren nach 2012 – dies zeigten
gen Gesellschaft die Individuen „eigentlich“
die Textanalysen im zweiten Teil – dem Nar-
frei denken und handeln möchten (ungeach-
rativ Willkommenskultur zu einer persuasiven
tet der Definition von Freiheit). Wenn sie sich
Macht verhalfen, die im medialen Diskurs zur
moralisch unter Druck gesetzt fühlen, wirkt
85 Zur Renaissance des Modells für die Erklärung entsprechender Schweige-Effekte in den Social Media siehe die Studie des Pew Research Center, online unter: http://www.pewinternet.org/2014/08/26/social-media-and-the-spiralof-silence/ (abgerufen Januar 2017). 86 Vgl. Allensbacher Archiv, IfD-Umfragen 7040 und 11024. 87 Eine (polemisch zugespitzte) Kritik an der von ihm als Marketing erlebten Kampagne der Parteien formulierte der Kabarettist Wilhelm Hindemith am 3. September 2015 in der Badischen Zeitung (Erster Satz: „Schon wie Politiker das Wort ‚Willkommenskultur‘, meist mit aggressivem Unterton, verbreiten, macht deutlich, dass es sich um ein unechtes Gefühlswort handelt, um nichts als Kitsch“). 88 Im Sommer 2015 haben wir aus Radio- und TV-Diskussionen folgende Common-Sense-Ansichten gesammelt: (a) Notleidenden und so auch Geflüchteten hat man zu helfen, nicht weil man ein „Willkommenheißender“ sein möchte, vielmehr weil Notleidenden zu helfen per se ein humanitäres Gebot bedeutet. (b) Das Willkommenheißen wirkt selbstgefällig bzw. selbstgerecht. (c) Diese Kampagne wird von Flüchtlingen als unbeschränkte Einladung missverstanden. (d) Eine gesellschaftsweit proklamierte „Kultur“ ergibt keinen Sinn. (e) Es handelt sich um eine kampagnenartige Stimmungsmache bzw. ein Ablenkungsmanöver der Regierung.
144
Fazit – Diskussion – Deutungen
dies wie eine Art Freiheitsentzug, gegen den
zent (2008) auf 40 Prozent (Ende 2016). An-
sie sich zur Wehr setzen. In der interaktiven
dererseits stieg auch der Anteil jener, die der
Onlinewelt eignen sich hierfür vor allem Blogs
Aussage zustimmten: „Man kann den Medien
und Postings auf den Web-Plattformen der
eher nicht/überhaupt nicht vertrauen“ von
Social Media (Facebook), die den Wütenden
9 Prozent (2008) auf 24 Prozent.90 Das Aus-
das Gefühl vermitteln, unter Gleichgesinnten
einanderdriften und die Ausweitung der zwei
zu sein (sogenannter Echokammer-Effekt) –
gegensätzlichen Auffassungen lassen sich
was dazu führt, „dass beleidigende und straf-
als Indikator für die fortschreitende Segmen-
rechtlich relevante Äußerungen hemmungslo-
tierung der Gesellschaft, in unserem Zusam-
ser getätigt werden“ (Neumann/Arendt 2016:
menhang: für den Bruch im gesellschaftlichen
252). Vielerorts eskalierte die zunehmend
Diskurs, lesen. Sie sind ein Indikator für den
aggressiv ausgelebte Wut im Herbst 2015 zu
Trend, der die (in der Einführung genannten)
Hasskommentaren, von denen manche zu
isolierten Kommunikationsinseln gebiert, weil
Straftaten aufriefen. Die Bild-Zeitung reagier-
er das vielleicht Wichtigste verhindert: diskur-
te Ende Oktober 2015 mit der Rubrik „Pranger
siv funktionierende Verständigungsprozesse,
der Schande“, indem sie Profilnamen und -bil-
wie sie der Informationsjournalismus erbrin-
der der Verfasser solcher Äußerungen publi-
gen soll.91
zierte.89 Auch dies bewirkte kein Verstummen, sondern führte dazu, „dass sich Personen des
„Ein guter Journalist redet mit jedem“
harten Kerns ein anderes, alternatives ‚Ventil‘
Im weiteren Verlauf des Jahres 2016 – dies
gesucht haben“ (ebd.: 262).
soll nicht unterschlagen werden – haben sich
Dieser polarisierende Graben spiegelt, wie
verschiedene – darunter auch kleine – Zei-
oben als These vertreten, die konträren Mei-
tungsredaktionen mit Eigenleistungen nach-
nungen über die Glaubwürdigkeit der Medi-
zuholen bemüht, was sie während der langen
en. Die erwähnte Repräsentativbefragung der
Willkommenskultur-Euphorie-Ära unterlassen
Universität Mainz hatte einige Fragen bereits
hatten: den Reden der Politiker mit Skepsis
2008 und 2015 gestellt. Deshalb konnten zwei
begegnen, bei den Wortführern kritisch nach-
gegenläufige Trends nachgewiesen werden: Ei-
fragen, den Darstellungen der Behörden ge-
nerseits stieg der Anteil der Bevölkerung, der
nauer auf den Grund gehen, abweichende
der Aussage „Man kann den Medien eher/voll
Positionen thematisieren, Betroffenen-Erzäh-
und ganz vertrauen“ zustimmte, von 29 Pro-
lungen hinterfragen, die Rechthaberei been-
89 „Längst ist die Grenze überschritten von freier Meinungsäußerung oder Satire zum Aufruf zu schwersten Straftaten bis zum Mord. BILD reicht es jetzt: Wir stellen die Hetzer an den Pranger!“ (Bild-Zeitung 20.10.2015). 90 Jackob u. a. 2017 (http://de.ejo-online.eu/qualitaet-ethik/17587#!prettyPhoto). Allerdings war die Stichprobegröße von 2015 (n=525) für eine differenzierte Auswertung m. E. problematisch. 91 Unsere Kritik an der Funktionalität bezieht sich in dieser Studie auf den tagesaktuellen Informationsjournalismus und nicht auf „entschleunigte“ Medien (wie Wochenzeitungen und -magazine).
145
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
den, eigene Fehldeutungen eingestehen.92 Ob
der anderen. Das muss man ernst nehmen. Ein
infolgedessen nun im misstrauisch geworde-
guter Journalist redet mit jedem, auch mit halb-
nen Teil der Bevölkerung ein Einstellungsum-
seidenen Figuren, zur Not auch mit Verbrechern
schwung in Gang kommt, wird sich wohl erst
und Diktatoren, aber hält bei allen, selbst bei
in den nächsten Jahren zeigen.
Idealisten und Weltverbesserern, den nötigen
Als Zeichen, dass einige der in dieser Studie
Abstand. Und dieser Abstand ist in einigen Fäl-
aufgezeigten Fehlentwicklungen inzwischen
len immer geringer geworden. Manche Journa-
auch von publizistischen Meinungsführern er-
listen verstehen sich inzwischen als Politikbe-
kannt worden sind, zitiere ich zum Abschluss
rater und betreiben einen Journalismus, der
aus einem Interview, das der Präsident des
sich an ein paar Eingeweihte richtet, denen sie
Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger
Codewörter zurufen. Der eigentliche Empfän-
(BDZV), Mathias Döpfner, im Februar 2017 der
ger ist nicht mehr der normale, intelligente,
Deutschen Presseagentur gab. „Wir sehen ei-
aufgeschlossene, aber nur bedingt informierte
nen wachsenden Graben zwischen politischen
Leser, sondern die Kollegen, Politiker, Künstler
Eliten und den Medien auf der einen Seite und
oder Wirtschaftsführer.“
93
der sogenannten normalen Bevölkerung auf
92 Unserer Beobachtung zufolge haben sowohl Der Spiegel wie auch Die Zeit bereits im Herbst 2015 manche Defizite erkannt und in der Folge – dies gilt für Die Zeit – eigene Fehlhaltungen reflektiert und publizistisch artikuliert. 93 Online: www.welt.de/wirtschaft/article161717645/Was-Wahrheit-ist-definiert-keine-Regierung.html (abgerufen März 2017).
146
Anhang
Anhang
Daten der Analyse der redaktionellen Texte über die zehn Großereignisse...... 148 Analyse von 30 ausgewählten Kommentaren aus den untersuchten Leitmedien...................................................................155 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen..................................................... 166 Literatur....................................................................................................... 168 Hinweise zum Autor.......................................................................................176
Zur Methodologie Die Definition der Untersuchungsgegenstände, die Beschreibung der benutzten Verfahren und Methoden sowie der Instrumente der Inhaltsanalysen inklusive des Codebuchs, weiter der Codiererbericht und die Verfahren zur Generierung des Datenbank-Korpus für die Textanalysen (Textmining): Die Dokumentation all dessen ist für diese Printpublikation deutlich zu umfangreich. Für Interessierte steht der komplette Methodenteil zum Herunterladen bereit unter: www.otto-brenner-stiftung.de.
147
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Tabelle 28: Die Darstellungsformen in den redaktionellen Texten über die Großereignisse des Flüchtlingsthemas (n=1.687 Texte)
Kom Bericht mentar/ Glosse E1: Brief dreier Länderchefs betr. besseres Bleiberecht E2: Statistik Flüchtlinge in Deutschland E3: Tröglitz E4: Gemeinsame EU-Flüchtlings politik E5a: Beginn der „Flüchtlings welle“ E5b: Heidenau
E5c: Merkel: Wir schaffen das E6: Grenzöff nung/Grenz kontrollen E7: Obergrenzen und Transit zonen E8: Silvester ereignisse
Gesamt 148
Meldung
Repor tage, Porträt
Inter view
Bild nach richt
Schlag zeile, Anrei ßer
Serie
Sons Fremd tiges beitrag
Summe
12
5
1
1
1
0
0
0
0
3
23
52,2 %
21,7 %
4,3 %
4,3 %
4,3 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
13,0 %
100,0 %
20
8
7
2
0
0
1
0
0
1
39
51,3 %
20,5 %
17,9 %
5,1 %
0,0 %
0,0 %
2,6 %
0,0 %
0,0 %
2,6 %
100,0 %
22
9
5
5
1
0
1
3
0
6
52
42,3 %
17,3 %
9,6 %
9,6 %
1,9 %
0,0 %
1,9 %
5,8 %
0,0 %
11,5 %
100,0 %
41
14
3
4
6
0
0
0
3
14
85
48,2 %
16,5 %
3,5 %
4,7 %
7,1 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
3,5 %
16,5 %
100,0 %
154
48
23
23
12
2
7
7
8
21
305
50,5 %
15,7 %
7,5 %
7,5 %
3,9 %
0,7 %
2,3 %
2,3 %
2,6 %
6,9 %
100,0 %
109
52
29
33
6
2
5
2
10
29
277
39,4 %
18,8 %
10,5 %
11,9 %
2,2 %
0,7 %
1,8 %
0,7 %
3,6 %
10,5 %
100,0 %
127
41
28
17
12
1
4
1
9
31
271
46,9 %
15,1 %
10,3 %
6,3 %
4,4 %
0,4 %
1,5 %
0,4 %
3,3 %
11,4 %
100,0 %
54
19
1
6
1
0
5
1
2
13
102
52,9 %
18,6 %
1,0 %
5,9 %
1,0 %
0,0 %
4,9 %
1,0 %
2,0 %
12,7 %
100,0 %
154
56
14
10
19
0
3
8
8
13
285
54,0 %
19,6 %
4,9 %
3,5 %
6,7 %
0,0 %
1,1 %
2,8 %
2,8 %
4,6 %
100,0 %
127
44
6
7
16
2
6
4
8
28
248
51,2 %
17,7 %
2,4 %
2,8 %
6,5 %
0,8 %
2,4 %
1,6 %
3,2 %
11,3 %
100,0 %
820
296
117
108
74
7
32
26
48
159
1.687
48,6 %
17,5 %
6,9 %
6,4 %
4,4 %
0,4 %
1,9 %
1,5 %
2,8 %
9,4 %
100,0 %
Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16 Quelle: Eigene Darstellung
Tabelle 29:
57,3 %
58,4 %
52,2 %
67,8 %
83,0 %
50,4 % 62,5 %
Kommunale und stadtnahe Einrichtungen
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,5 %
0,8 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,6 %
0,3 %
Verwaltung auf Bundes- und Landesebene
2,4 %
1,3 %
3,9 %
3,3 %
5,4 %
2,1 %
2,7 %
1,5 %
0,2 %
1,3 %
2,4 %
Wirtschaft
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,7 %
1,2 %
1,0 %
4,1 %
4,5 %
0,7 %
0,6 %
1,5 %
Kirche, Religion
2,4 %
0,0 %
1,0 %
2,0 %
1,1 %
1,4 %
1,6 %
1,0 %
1,9 %
0,8 %
1,3 %
Einrichtungen Kultur & Bildung
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
1,9 %
1,4 %
1,2 %
0,0 %
0,3 %
0,8 %
0,9%
Soziale Einrich tungen, Medizin, Gesundheit usw.
2,4 %
0,0 %
0,0 %
0,7 %
2,9 %
2,3 %
1,2 %
0,5 %
0,7 %
0,4 %
1,4 %
Rettungshilfs dienste
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,7 %
0,5 %
0,2 %
0,2 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,2 %
Medien
0,0 %
0,0 %
2,9 %
0,7 %
3,2 %
3,7 %
4,7 %
6,0 %
2,0 %
8,5 %
4,0 %
Sport
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,0%
0,0 %
0,0 %
0,4 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,1 %
Judikative
0,0 %
6,7 %
3,9 %
2,6 %
5,9 %
11,5 %
11,1 %
9,0 %
3,0 %
18,4 %
8,8 %
Militär
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,9 %
0,8 %
0,2 %
0,5 %
0,2 %
0,0 %
0,4 %
Interessenver bände
2,4 %
4,0 %
3,9 %
2,0 %
3,4 %
2,5 %
4,7 %
1,0 %
1,5 %
4,0 %
3,0 %
Internationale NGOs
0,0 %
1,3 %
0,0 %
2,0 %
1,1 %
0,8 %
0,2 %
0,0 %
0,2 %
0,0 %
0,5 %
Fachmann, Ex perte, Gutachter
0,0 %
0,0 %
0,0 %
3,9 %
0,3 %
0,6 %
0,0 %
0,0 %
1,0 %
0,6 %
0,6 %
Personen
4,9 %
10,7 %
6,9 %
10,5 %
11,7 %
11,1 %
11,3 %
7,5 %
2,4 %
9,5 %
9,0 %
Unpersönliche Quellen
4,9 %
4,0 %
2,0 %
5,3 %
2,8 %
1,4 %
4,3 %
0,5 %
3,0 %
3,8 %
3,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
Gesamt
Gesamt
65,8 %
E8: Silvesterereignisse
E5a: Beginn der „Flüchtlingswelle“
75,5 %
E7: Obergrenzen und Transitzonen
E4: Gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik
72,0 %
E6: Grenzöffnung/Grenzkontrollen
E3: Tröglitz
80,5 %
E5c: Merkel: Wir schaffen das
E2: Statistik Flüchtlinge in Deutschland
Politik-Ebene (institutionell)
E5b: Heidenau
E1: Drei Länderchefs: besseres Bleiberecht
Die Zuständigkeitsbereiche der Akteure/Sprecher in den berichtenden Texten im Überblick (n=3.308 Akteure)
100,0 % 100,0 %
149 Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16 Quelle: Eigene Darstellung
Tabelle 30: Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
E5c: Merkel: Wir schaffen das
E6: Grenzöffnung/Grenzkontrollen
E7: Obergrenzen und Transitzonen
E8: Silvesterereignisse
Anteil*
1,0 %
16,4 %
3,7 %
2,3 %
3,5 %
2,0 %
3,7 %
0,2 %
3,4 %
Internationale Staatenbünde und Organisationen – UNO etc.
2,4 %
2,7 %
—
3,3 %
1,1 %
0,8 %
1,6 %
0,5 %
0,3 %
0,2 %
0,9 %
Ausland – nichtdeutsche Regie rung, Parlament, Ministerien etc.
4,9 %
8,0 %
—
28,3 %
13,0 %
10,9 %
16,8 %
12,6 %
5,1 %
3,6 %
10,6 %
Bundesebene – Regierung, Par lament, Ministerien, Bundesrat
29,3 %
34,7 %
21,6 %
16,4 %
18,2 %
25,2 %
16,0 %
30,7 %
46,0 %
28,2 %
26,6 %
Landesebene – Regierung, Parlament Ausschüsse, Kom missionen
41,5 %
20,0 %
16,7 %
0,7 %
16,0 %
14,3 %
10,3 %
11,6 %
22,7 %
15,7 %
15,5 %
Regionale und kommunale Ebe ne – Land-/Kreistag, Landrat, Stadtrat
—
2,7 %
36,3 %
0,7 %
5,2 %
4,9 %
4,1 %
10,6 %
5,2 %
2,5 %
5,6 %
Kommunale und stadtnahe Einrichtungen
—
—
—
—
0,5 %
0,8 %
—
—
—
0,6 %
0,3 %
E5a: Beginn der „Flüchtlingswelle“
4,0 %
E3: Tröglitz
2,4 %
E2: Statistik
EU-Ebene
E1: Drei Länderchefs
E5b: Heidenau
E4: Gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik
Die in den berichtenden Texten genannten Quellen/Akteure/Sprecher (n=3.308 Akteure/Sprecher)
Politik (Ebene allgemein/institutionell/personenbezogen)
Verwaltung auf Bundes- und Landesebene EU-Ebene
—
—
—
0,7 %
0,2 %
—
—
—
—
—
0,1 %
2,4 %
1,3 %
—
0,7 %
2,5 %
2,1 %
2,7 %
1,0 %
0,2 %
0,8 %
1,5 %
Landesebene, z. B. Statisti sches Landesamt
—
—
3,9 %
—
2,3 %
—
—
—
—
0,2 %
0,6 %
Regionale und kommunale Ebe ne, z. B. Regierungspräsidium, Landratsamt, Rathaus, Ordnungsamt
—
—
—
—
0,5 %
—
—
0,5 %
—
0,2 %
0,2 %
Ausland
—
—
—
2,0 %
—
—
—
—
—
—
0,1 %
Sonstige
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
0,0 %
Wirtschaft
—
—
—
0,7 %
1,2 %
1,0 %
4,1 %
4,5 %
0,7 %
0,6 %
1,5 %
2,4 %
—
1,0 %
2,0 %
1,1 %
1,4 %
1,6 %
1,0 %
1,9 %
0,8 %
1,3 %
Einrichtungen aus dem Bereich Kultur und Bildung
—
—
—
—
1,9 %
1,4 %
1,2 %
—
0,3 %
0,8 %
0,9 %
Soziale Einrichtungen, Medizin, Gesundheit, Rettungsdienste
2,4 %
—
—
0,7 %
2,9 %
2,3 %
1,2 %
0,5 %
0,7 %
0,4 %
1,4 %
Rettungshilfsdienste (nicht rein medizinisch) 150
—
—
—
0,7 %
0,5 %
0,2 %
0,2 %
—
—
—
0,2 %
Bundesebene, z. B. Bundes kartellamt, Finanzamt, Bundes kriminalamt
Kirche, Religion
Medien Rundfunk – Fernsehen und Radio
—
—
—
—
0,5 %
—
—
—
0,5 %
0,6 %
0,3 %
Zeitung, Zeitschrift (online wie offline), Agentur, Bildagentur
—
—
—
—
0,8 %
1,2 %
1,6 %
2,0 %
0,5 %
3,6 %
1,3 %
Internet: Newsfeed, Blogs, Social Media u. Ä.
—
—
—
—
0,8 %
1,0 %
0,4 %
1,0 %
0,5 %
1,3 %
0,7 %
Journalist allg., Autor allg., sonstige Medienakteure
—
—
2,0 %
—
1,1 %
1,2 %
1,6 %
3,0 %
0,5 %
3,0 %
1,4 %
Sonstige
—
—
1,0 %
0,7 %
0,2 %
0,4 %
1,2 %
—
—
—
0,3 %
Sport
—
—
—
—
—
—
0,4 %
—
—
—
0,1 %
Judikative/Polizei
—
6,7 %
3,9 %
2,6 %
5,9 %
11,5 %
11,1 %
9,0 %
3,0 %
18,4 %
8,8 %
Militär
—
—
—
—
0,9 %
0,8 %
0,2 %
0,5 %
0,2 %
—
0,4 %
Bürgerinitiative, Bürger bewegung, Bürgerallianz
—
2,7 %
2,9 %
—
0,6 %
1,0 %
0,4 %
—
0,2 %
1,5 %
0,7 %
Gewerkschaft, Betriebsrat
—
—
—
—
0,5 %
0,4 %
1,4 %
0,5 %
0,5 %
1,5 %
0,7 %
Stiftung
—
—
—
0,7 %
0,2 %
0,6 %
0,2 %
—
0,2 %
—
0,2 %
Wirtschafts- und Bauernver bände
—
—
—
—
0,3 %
0,2 %
0,8 %
—
0,2 %
—
0,2 %
2,4 %
1,3 %
1,0 %
1,3 %
1,9 %
0,4 %
1,9 %
0,5 %
0,5 %
1,1 %
1,1 %
Internationale NichtregierungsOrganisationen – NGOs
—
1,3 %
—
2,0 %
1,1 %
0,8 %
0,8 %
—
0,2 %
—
0,5 %
Fachmann, Experte, Gutachter
—
—
—
3,9 %
0,3 %
0,6 %
—
—
1,0 %
0,6 %
0,6 %
Privatperson, Bürger, Anwoh ner allgemein
—
4,0 %
3,9 %
3,9 %
2,5 %
3,9 %
2,1 %
1,0 %
0,5 %
1,3 %
2,1 %
Verursacher, Täter, Kämpfer
—
—
2,9 %
2,6 %
0,3 %
1,8 %
1,8 %
—
0,3 %
2,1 %
1,2 %
Augenzeuge – nicht judikativ
—
—
—
0,7 %
0,3 %
—
0,2 %
—
—
0,6 %
0,2 %
Betroffener, Opfer
—
—
—
—
0,5 %
—
—
—
—
1,7 %
0,3 %
Ehrenamtlich Tätige, z. B. Orga nisator, Kandidat für Wahlen – parteilos
—
—
—
0,7 %
0,5 %
0,2 %
0,6 %
0,5 %
0,2 %
—
0,3 %
Teilnehmer – Veranstaltung, Kursus, Versammlung, Wett bewerb, Verkehrsteilnehmer
—
—
—
—
0,6 %
0,2 %
0,2 %
—
—
0,4 %
0,2 %
Prominente – Sportler, Schau spieler etc. nur, wenn sie als Privatperson auftreten
—
—
—
—
0,6 %
1,0 %
0,4 %
—
0,2 %
0,6 %
0,5 %
Spender, Sponsor (nur Einzel person – wenn Unternehmen, dann dort codieren)
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
4,9 %
5,3 %
—
1,3 %
6,3 %
4,1 %
5,8 %
6,0 %
0,8 %
1,5 %
3,7 %
—
1,3 %
—
1,3 %
0,2 %
—
0,2 %
0,0 %
0,3 %
1,3 %
0,4 %
Unpersönliche Quellen
4,9 %
4,0 %
2,0 %
5,3 %
2,8 %
1,4 %
4,3 %
0,5 %
3,0 %
3,8 %
3,0 %
Summe
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
Interessenverbände
Sonstiger Interessenverband; Interessengemeinschaft
Privatpersonen
Flüchtling, Asylbewerber Sonstige
* Anteil jeder Kategorie am Insgesamt (n) Quelle: Eigene Darstellung 151
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Tabelle 31:
E1: Drei Länderchefs
E2: Statistik Flüchtlinge in Deutschland
E3: Tröglitz
E4: Gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik
E5a: Beginn der „Flüchtlingswelle“
E5b: Heidenau
E5c: Merkel: Wir schaffen das
E6: Grenzöffnung/Grenzkontrollen
E7: Obergrenzen und Transitzonen
E8: Silvesterereignisse
Anteil*
Parteizugehörigkeit der Quellen/Akteure/Sprecher in den berichtenden Texten (n=3.308)
SPD
7,3 %
9,1 %
10,8 %
2,6 %
7,7 %
11,1 %
5,5 %
8,0 %
13,6 %
14,3 %
9,8 %
CDU
22,0 %
10,4 %
17,6 %
6,6 %
8,9 %
9,2 %
9,2 %
7,0 %
21,5 %
12,0 %
11,9 %
CSU
4,9 %
5,2 %
1,0 %
0,0 %
2,9 %
2,3 %
1,8 %
8,5 %
18,5 %
2,3 %
5,6 %
Die Grünen
7,3 %
3,9 %
2,9 %
0,0 %
4,9 %
1,6 %
2,1 %
2,0 %
3,4 %
2,3 %
2,9 %
FDP
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,5 %
0,4 %
0,2 %
0,0 %
0,7 %
0,8 %
0,4 %
Die Linke
0,0 %
0,0 %
2,9 %
0,0 %
1,4 %
1,2 %
0,0 %
0,5 %
1,2 %
1,7 %
1,0 %
AfD
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,2 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
NPD
0,0 %
0,0 %
2,9 %
0,0 %
0,5 %
0,2 %
0,6 %
0,0 %
0,0 %
0,0 %
0,3 %
Andere Partei
0,0 %
0,0 %
8,8 %
0,7 %
0,5 %
0,2 %
0,2 %
1,0 %
1,0 %
1,1 %
0,8 %
Keine Partei
58,5 %
71,4 %
52,9 %
90,1 %
72,6 %
73,9 %
80,5 %
72,9 %
40,1 %
65,5 %
67,2%
Summe
100,0 % 100,0 % 100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 % 100,0 %
100,0 %
100,0 %
100,0 %
* Anteil jeder Kategorie am Insgesamt (n) Quelle: Eigene Darstellung
152
Tabelle 32: Thematisierung von Konflikten und Meinungsverschiedenheiten in den berichtenden Texten (n=1.386 Texte)
E1: Drei Länderchefs
E2: Statistik Flüchtlinge in Deutschland
E3: Tröglitz
E4: Gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik E5a: Beginn der „Flüchtlingswelle“
E5b: Heidenau
E5c: Merkel: Wir schaffen das
E6: Grenzöffnung/ Grenzkontrollen E7: Obergrenzen und Transitzonen
E8: Silvesterereignisse
Anteile am Insgesamt
Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual
… wird bereits im Titelkomplex thematisiert
… wird im Fließ text beschrieben
… wird nicht thematisiert
Summe
11
4
3
18
61,1 %
22,2 %
16,7 %
100,0 %
10
7
13
30
33,3 %
23,3 %
43,3 %
100,0 %
20
11
12
43
46,5 %
25,6 %
27,9 %
100,0 %
15
25
30
70
21,4 %
35,7 %
42,9 %
100,0 %
81
81
94
256
31,6 %
31,6 %
36,7 %
100,0 %
28
58
139
225
12,4 %
25,8 %
61,8 %
100,0 %
23
45
161
229
10,0 %
19,7 %
70,3 %
100,0 %
10
26
47
83
12,0 %
31,3 %
56,6 %
100,0 %
80
61
88
229
34,9 %
26,6 %
38,4 %
100,0 %
55
87
61
203
27,1 %
42,9 %
30,0 %
100,0 %
333
405
648
1.386
24,0 %
29,2 %
46,8 %
100,0 %
Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16 Quelle: Eigene Darstellung
153
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Tabelle 33: Die Tonalität der Berichterstattung über die Großereignisse (nur berichtende redaktionelle Texte; n=820)
E1: Drei Länder chefs
E2: Statistik
E3: Tröglitz E4: Gemeinsame EU-Flüchtlings politik E5a: Beginn der „Flüchtlingswelle“
E5b: Heidenau
E5c: Merkel: Wir schaffen das E6: Grenzöffnung/ Grenzkontrollen E7: Obergrenzen und Transitzonen E8: Silvester ereignisse Anteile am Insge samt 154
Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual Anzahl prozentual
Beobachtend – neutral
Beobachtend – nicht neutral
Auktorial – neutral
Auktorial – nicht neutral
Summe
9
2
1
0
12
75,0 %
16,7 %
8,3 %
0,0 %
100,0 %
13
2
3
2
20
65,0 %
10,0 %
15,0 %
10,0 %
100,0 %
8
9
1
4
22
36,4 %
40,9 %
4,5 %
18,2 %
100,0 %
22
7
2
10
41
53,7 %
17,1 %
4,9 %
24,4 %
100,0 %
71
44
14
25
154
46,1 %
28,6 %
9,1 %
16,2 %
100,0 %
58
17
9
25
109
53,2 %
15,6 %
8,3 %
22,9 %
100,0 %
80
14
4
29
127
63,0 %
11,0 %
3,1 %
22,8 %
100,0 %
32
3
10
9
54
59,3 %
5,6 %
18,5 %
16,7 %
100,0 %
68
17
20
49
154
44,2 %
11,0 %
13,0 %
31,8 %
100,0 %
42
32
11
42
127
33,1 %
25,2 %
8,7 %
33,1 %
100,0 %
403
147
75
195
820
49,1 %
17,9 %
9,1 %
23,8 %
100,0 %
Datenbasis: Datenbank (FAZ, Welt, SZ) zu zehn Großereignissen 2015/16 Quelle: Eigene Darstellung
Autor
Jib.
Michael Stürmer
Datum, Zeitung, Seite, Überschrift
10.08.2015 FAZ Seite 8 Schein debatte
17.08.2015 Die Welt Seite 1 Zeitalter der Migration
S. 1: „Eine Zumutung für den Steuerzahler“ S. 4: „Echte Flüchtlinge wollen nur in Sicherheit leben“ S. 4: Wenn die Turnhalle zum Asylheim wird S. 5: Belgrad ist das Wartezimmer nach Europa S. 26: Und jetzt alle mitan packen 15.08.15, S. 30: Suche nach Standorten bringt Stadt an die Belastungsgrenze
S. 1: Im Juli 7.000 Asylanträge von Albanern Einstufung sicherer Herkunftsländer
Ereignis (Bericht), auf den sich dieser Meinungsbeitrag bezieht
Die aktuelle Völkerwanderung hat historisches Ausmaß (weitere Beispiele aus der Geschichte werden angeführt). Es ist nicht zu sagen und zu rechtfertigen, wann es zu viel und genug ist. Es existiert allerdings eine Grenze, ein Kipp-Punkt, der nicht überschritten werden sollte (sonst ist es zu spät). Es muss nach Ausgangsländern der Flüchtlinge unterschieden werden: Kriegsgebiete im Nahen Osten, (West)balkan, Mittelafrika.
Weiterhin steigende Asylanträge aus Balkanländern. Wichtiger wäre schnellere Bearbeitung der Anträge vor Verteilung der Antragsteller auf die Kommunen. Trotz Einstufung von Albanien, Montenegro und Kosovo als sichere Herkunftsländer kommen von dort viele Menschen. Nötig wäre intensivere Aufklärung in den Herkunftsstaaten über die (i. d. R. fehlende) Bleibeperspektive in D.
Explizite Argumentation
Wer die Energie wahrnimmt, welche die Menschen treibt, gewinnt eine Vorstellung der historischen Wucht, die da entfesselt ist. Was wir erleben, ist humanitärer und politischer Ernstfall. Wann ist genug genug? […] Ein finaler Status quo ist Wunschdenken. […] Was ist zu tun? Zuerst und vor allem gilt es zu begreifen, dass die neuen Völkerwanderungen weitergehen, unumkehrbar. Dann ist zu trennen nach Ausgangsländern […]. Der Westbalkan ist arm, aber nicht die Hölle. Anders steht es am Ostrand des Mittelmeers und in Teilen Mittelafrikas. Beseitigung der Ursachen ist ein frommer Wunsch.
[…] Scheindebatte. Denn viel wäre von so einer Entscheidung nicht zu erwarten. Auch aus den jetzt schon sicheren Herkunftsstaaten Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina steigt die Zahl der Asylanträge weiter. […] Und immer noch stellen Menschen aus der Region [Albanien, Montenegro, Kosovo] rund vierzig Prozent aller Anträge.
Schlüsselzitate aus dem Meinungsbeitrag
Universalistisch (Humanität, Menschenrechte); Widerspruch zur Pragmatik im Sinne innerdeutscher Zumutbarkeiten Modus: Räsonnement
Operative Kritik (gilt der Vollzugsebene) Utilitaristische Argumentation zugunsten der Asylberechtigten und zulasten der Zuwanderer Modus: appellativ
Implizite Begründungen (Ethik)
* Auswahlkriterien: Haltung der Zeitungen und Bandbreite der individuellen Auffassungen, Argumentationsweisen und Begründungen. Quelle: Eigene Darstellung
Analyse von 30 ausgewählten* Kommentaren aus den untersuchten Leitmedien
Tabelle 34:
Anhang
155
Klaus-Dieter Frankenberger
Heribert Prantl
Ulrich Clauss
17.08.2015 FAZ Seite 1 Zielland
17.08.2015 Süddeut sche Seite 4 Flüchtlinge: Das Jahr hundertProblem
18.08.2015 Die Welt Seite 1 Migration in Verantwor tung
156
S. 1: UN: Deutschland nimmt zu viele Flüchtlinge auf S. 4: „Wir haben es mit einem Notstand zu tun“ S. 4: Taschengeld für Flüchtlinge sorgt weiter für Streit S. 5: Panik treibt die Menschen ins Wasser S. 5: „Hygienepakete“ für Gestrandete in Griechenland
S.5: Von Fähren und Schleusern (Vortag: Über Asylunterkünfte, Registrierung, Herkunftsländer)
S.1. Merkel: Flüchtlinge werden uns mehr beschäftigen als Griechenland (Vortag: Diskussion in den Zielländern über falsche Anreize für WestbalkanFlüchtlinge)
Auch SPD-Politiker sehen allmählich die Realitäten und schrecken vor härteren Maßnahmen nicht mehr zurück. Befürwortung der Idee, Zahl der „sicheren Herkunftsländer“ auszuweiten. Die freiwilligen Helfer würden sich freuen, wenn weniger Menschen in die Unterkünfte kämen. Die, die da sind, müssen in den Kommunen alle gleich behandelt werden. Die Kritik an falschen Fluchtanreizen von Deutschland ist berechtigt. Deutschland muss seine Asylpolitik neu justieren.
Vorschläge der Politik greifen nur auf bereits getestete, nicht zielführende Mittel wie z. B. Taschengeldkürzungen. Hohe Flüchtlingszahlen auch Folge des „Raubtierkapitalismus“ und der geostrategischen Gewaltbereitschaft bei Interessenkonflikten. Deklarierung „sicherer“ Herkunftsländer ändert nicht die Fluchtursachen. Sinti und Roma haben auch auf dem Balkan keine Heimat, werden in ganz Europa nicht gern gesehen – auch für diese Gruppe gelten die Menschrechte.
Baldige Bekanntgabe neuer Prognosen; bisherige Zahl von 450.000 Anträgen dürfte weit übertroffen werden. Deutschland beliebtes Zielland für viele aus versch. Regionen. Verringerung des Zustroms durch versch. Maßnahmen denkbar: Einstufung sicherer Herkunftsländer, Bekämpfung von Fluchtursachen – wird nur langfristig Erfolg bringen. Wird viel Zeit und viel Geld kosten.
Es ist eine Migration in praktische Verantwortung für praktikable Lösungen. So schließen sich ganz im Sinne tätiger Hilfe für tatsächlich von Krieg und Verfolgung bedrohte Menschen jetzt sogar Spitzenpolitiker der SPD der Forderung an, die Definition des „sicheren Herkunftsstaats“ auf alle EU-Beitrittskandidaten anzuwenden. Diskussion darf übrigens nicht beim Balkan enden. Ist Afghanistan beispielsweise wirklich ein „unsicheres“ Herkunftsland, nachdem eine vom Westen militärisch gestützte Regierung dort installiert wurde? […] Auch die wachsende Kritik an „Fluchtanreizen“ für Wirtschaftsflüchtlinge gehört zur Transformation von gesinnungs- zu verantwortungsethischem Denken. Vor allem die immer zahlreicheren freiwilligen Helfer werden für diese Besinnung auf Notwendiges und Angemessenes dankbar sein.
Es geht hier nicht um das Schicksal von Banken, nicht um das Überleben des Euro; es geht um das Überleben von Millionen Menschen. Man wird das 21. Jahrhundert einmal daran messen, wie es mit den Flüchtlingen umgegangen ist […] Das ist eine gigantische Aufgabe, die von Politik und Wirtschaft ein radikales Umdenken verlangt. […] Flucht hat Ursachen – aber die Bekämpfung der Fluchtursachen ist zu einer Floskel geworden.
Eine Umwandlung von Taschengeld in Sachleistungen mag nur wenig abschreckend wirken, aber schon die Diskussion darüber verrät, wie groß das Problem ist und wie groß es aus Sicht der Behörden noch werden wird.
Güterabwägung nach Zumutbarkeitskriterien Utilitaristische Argumente sind jetzt besser als Menschenrechts-Prinzipien Legalismus als Durchsetzungsstrategie Modus: Kritik und Belehrung ohne Adressat
Normativuniversalistisch (Menschenrechte) Systemkritik am Kapitalismus Modus: Moralisch-appellatives Statement
Kassandra (= Warnung vor Trends) Opportunistische Argumente für Reduktion asylsuchender Flüchtlinge Modus: an Politik adressierte Kritik
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Kum.
Andrea Seibel
Dirk Aschoff
19.08.2015 FAZ Seite 8 Wo ist die Grenze?
19.08.2015 Die Welt Seite 3 Sanierungs bedarf
22.08.2015 Bild-Zeitung Seite 7 800.000 können wir schaffen!
157
Bezugnahme: Ankündigung des Innenministeriums, dass in diesem Jahr mit 800.000 Asylanträgen in Deutschland gerechnet wird
S. 5: Mehr rechte Gewalt im Osten Deutschlands
S. 1: 2015 „bis zu 700.000“ Asylsuchende in Deutschland (Vortag: Rasche Zunahme Asylanträge; Einstufung von sicheren Herkunftsstaaten [Albanien, Montenegro, Kosovo])
800.000 Menschen sind 1 % der deutschen Bevölkerung, d. h. 1 Flüchtling in jedem 100-Einwohner-Dorf. Es gibt viele private Initiativen für Flüchtlingsaufnahme. Eine möglichst gleichmäßige Verteilung ist wichtig. Es gibt auch tolle Beispiele, doch diese Orte möchten aus Angst nicht genannt werden.
Die Ursache für rechte Gesinnung liegt in den „einfältigen und düsteren Zeiten der DDR“ und ihrer Lebensfremde. Ostdeutschland ist nach der Wende nur baulich, aber nicht mental saniert worden. Die Rückständigkeit der Ossis darf nicht zum Problem der Flüchtlinge werden.
Flüchtlingsstrom außergewöhnlich, wird sich nicht von selbst lösen. Diese Tatsache zu ignorieren ist ebenso fahrlässig wie Flüchtlingshass. Deutsche Bevölkerung wird nicht ewig so hilfsbereit bleiben. Regierung muss handeln und u. a. der Aufnahmebereitschaft Grenzen setzen.
„Bitte schreiben Sie den Namen unseres Dorfes nicht.“ Er hat Angst vor fremdenfeindlichen Übergriffen. Es macht mich traurig, dass man in Deutschland so denken muss! Denn sein Dorf beweist: Es geht!
Die Hälfte aller rassistisch motivierenden Gewalttaten wurden im vergangenen Jahr in Ostdeutschland registriert, obwohl die dortige Bevölkerung nur 17 Prozent der Gesamtbevölkerung Deutschlands ausmacht […]. Das entspricht einem Anstieg von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. […] Dass sich Teile der im wahren Sinne des Wortes zurückgebliebenen Ostdeutschen in ländlichen Regionen so schwer mit dem modernen Leben tun, hat etwas mit den einfältigen und düsteren Zeiten der DDR zu tun, deren Lebensfremde schließlich zu ihrem Untergang führte. […] Dass in manchen Gegenden […] zwar viele Häuser, aber weniger die Köpfe saniert wurden, sollte nicht das Problem der Flüchtlinge sein.
Wer […] noch immer der Meinung ist, alles werde sich schon irgendwie einpendeln und die deutsche Bevölkerung solle sich mal nicht so anstellen, handelt fahrlässig. Er „zündelt“ mindestens ebenso wie diejenigen, die vor lauter Notstand ihren Anstand verloren haben und Flüchtlingshass kultivieren. […] kommen die Regierungen […] nicht umhin, Grenzen der Aufnahmebereitschaft zu setzen – oder ganz neue Wege zu gehen. Einzelne Länder zu „sicheren Herkunftsstaaten“ zu erklären, ist da nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Rationalistische Begründung für ein humanitäres Gebot Modus: Optimistische Sicht (wir können das)
Kulturelle Hegemonie: Überlegenheit der West-Gesellschaft Abwertung der anderen als moralisch Rückständige Rhetorisches Statement Modus: Deklamation
Grundsatzkritik Wertekonflikt: Asylrecht versus Sozialverträglichkeit versus Wirtschaftsstandort Modus: aufklärend, kassandrisch, an Politik adressiert
Heribert Prantl
Ulf Poschardt
UZ
25.08.2015 Süddeut sche Seite 4 Ein Sicher heits- und Schutzab stand
25.08.2015 Die Welt Seite 1 Wider den Hass
27.08.,2015 Süddeut sche Seite 4 Dunkel deutschland
158
S. 1: „Deutschland hilft, wo Hilfe geboten ist“ S. 3: Örtlich betäubt
Gabriels Besuch in Heidenau S. 1: Sigmar Gabriel: Rechtsextremes „Pack“ hart bestrafen S.5: Unterwegs in der Kampfzone
S. 3: Im Quartier (Vortag: Fremdenfeindlichkeit und Übergriffe)
„Dunkeldeutschland“ wird seit den 1990er Jahren von Westdeutschen abwertend verwendet. Angesichts Gaucks eigener Historie ist das Wort wohl nicht zufällig gewählt: Gauck war lange Pastor im Rostocker Stadtteil Evershagen, als 1992 im Nachbarstattteil Lichtenhagen ein Wohnheim für ehemalige Vertragsarbeiter aus Vietnam angezündet wurde. Gauck versteht den Begriff als Fehlen von Empathie in der Flüchtlingskrise.
Gabriels Auftritt in Heidenau war nötig, aber in seiner Art eines Vizekanzlers nicht würdig. Der norwegische Sozialdemokrat Stoltenberg hat es nach den Ereignissen auf Utøya vorgemacht – ein ergreifendes Lied auf den Stolz einer freien, demokratischen Gesellschaft zu singen. Bevölkerung muss in Zusammenarbeit mit der Politik Konflikte in Sachsen lösen. Deutschland ist ein gastfreundliches Land – die Täter von Heidenau müssen bestraft werden.
Auch fremdenfeindliche Demonstranten haben ein Recht darauf, ihre Meinung kundzutun, solange gewaltfrei. Selbstbewusste Demokraten können auch Dumpfbacken aushalten. Traumatisierten Flüchtlingen sollte man Hass-Demos nicht zumuten. Anti-Flüchtlings-Demos vor Flüchtlingsheimen sollten nicht bewilligt werden.
Von „Dunkeldeutschland“ sprach der Bundespräsident, ein Wort, das er sich nicht ausgedacht hat. Bürger der alten Bundesrepublik führten den Begriff im Munde, und zwar immer dann, wenn sie das Bedürfnis verspürten, Kritik an den neuen Ländern zu üben […] Gauck meint damit das Fehlen von Empathie.
Merkel überlässt ihrem Vizekanzler das Feld, der dementsprechend verbal aufrüstet und dann nicht sonderlich souverän vor allem von „Mob“ und „Pack“ spricht. […] In der verbalen Entwürdigung der abstoßenden Nazi-Spießer rutscht die Exekutive den braunen Ängstlichen zivilisatorisch entgegen […]. Fatal ist im Nachgang zu den beschämenden Ausschreitungen das Fehlen einer funktionierenden Zivilgesellschaft. Facebook-Aktivismus hilft wenig, wenn Flüchtlingskinder aus Angst vor entfesselnden Kleinbürgern schreien. […] Dass Millionen Menschen Deutschland als Idealziel ihrer Flucht verstehen, ist ein Kompliment. Die Mehrheit der Deutschen ist gastfreundlich und hilfsbereit.
Demonstrationsfreiheit ist grundsätzlich auch die Freiheit der Dumpfbacken; auch die dürfen ihre Parolen hochhalten. […] Pöbeleien gegen und Angriffe auf Flüchtlinge sind nicht nur unglaublich ungezogen, sondern bösartig und kriminell. […] Demokratie kann aggressive Demos zur Not aushalten: Flüchtlinge, gerade aus Not und Hölle entkommen, können es nicht. Daher: keine Anti-Flüchtlings-Demos vor Flüchtlingsheimen. Die Behörden dürfen sie nicht genehmigen.
Verständnis bzw. Verteidigung eines Schlagwortes aus Sicht des „hellen“ Deutschlands Modus: Parteiergreifende Argumentation im Sinn der westlichen Werte
Zivilcourage & bürgerschaftliche (Eigen-) Verantwortung: nicht alles an Politik delegieren Die politische Elite hat (hätte) Vorbildfunktion Glaube an die gute und richtige Sache Modus: moralischer Appell ohne Adressat
Grundrechtliche Argumentation der praktischen Vernunft Primat der Mitmenschlichkeit Modus: analytisch, an Behörden adressiert
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Béla Ander
Reinhard Müller
Stephan Aust
27.08.2015 Bild-Zeitung Seite 2 Klare Worte, Jetzt Taten!
27.08.2015 FAZ Seite 1 Früher Ge sicht zeigen
27.08.2015 Die Welt Seite 1 Hell und dunkel
Ereignisse von Heidenau S.1: Merkel und Gauck setzen ein Zeichen S. 4: „Wir werden denen sagen: Ihr repräsentiert uns nicht“ S. 4: Merkels Politikstil stößt an Grenzen S. 5: Breite Front gegen Flüchtlinge S. 12: Aufstand der Anständigen
S. 1: Gauck: Es gibt ein helles Deutschland und Dunkeldeutschland S. 3: Pack ehrt sich, Pack verklärt sich (Vortag: Heidenau und Gewalt gegen Flüchtlinge)
S. 2 „Merkel trotzt den HassParolen“ Anlass: Heidenau und Fremdenfeindlichkeit
Asylparagraf des GG funktioniert für die Zuwanderung in Deutschland nicht Derzeit sind die zuständigen Institutionen überfordert. Der Asylparagraf ist „heilig“, jedoch nur für Kriegsflüchtlinge, nicht für Armutsflüchtlinge. Die Politik müsste die Probleme regeln und angestrebte Lösungen (wie mit 800.000 Flüchtlingen umgehen?) erklären, statt zu jammern.
Gewalt und Fremdenhass sind kategorisch abzulehnen und auch ohne öffentliches Drängen durch den Rechtsstaat zu sanktionieren. Politiker sollten mehr Mut zeigen; sie sollten ihren Bürgern vorher erklären, was auf sie zukommt. Große Hilfsbereitschaft der Bürger sollte nicht verspielt werden. Medien inszenieren das Thema als Show – ist kontraproduktiv.
Kanzlerin hat in Heidenau Gesicht gegen Fremdenfeindlichkeit gezeigt – symbolische Bedeutung. Striktes Vorgehen des Rechtsstaates gegen „Brandstifter“ muss folgen. Flüchtlinge suchen zu Recht Schutz in unserem Land. Den müssen wir geben.
In Wirklichkeit rollt eine Völkerwanderung an, die mit dem Asylparagrafen nicht geregelt werden kann. Denn kurz nach der schönen Theorie kommt die bittere Praxis. Und die besteht aus überforderten Asylverfahren, Legionen von Anwälten […], Platzmangel in Städten und Gemeinden. […] Der […] Asylparagraf ist als Regelung für Einwanderung offenkundig ungeeignet. […] Es gehört zu den wichtigsten humanitären Grundsätzen, politisch Verfolgten Schutz und Asyl zu gewähren. Auch Kriegsflüchtlingen etwa aus Syrien muss schnell und umfassend geholfen werden. Aber eine globale Völkerwanderung aus den ärmeren in die reicheren Regionen der Welt kann damit nicht geregelt werden. […] Man kann ein Grundrecht auch dadurch zerstören, dass man es überdehnt.
Kam die Kanzlerin zu spät? Gewiss, symbolische Auftritte sind wichtig. […] Die Politiker jedoch, die nun im Tagestakt Heidenau besuchen, sind dem Wohl des deutschen Volkes verpflichtet. Dieses Volk zeigt sich hunderttausendfach hilfsbereit, während im Lichtkegel der Talkshows nur ein Volksschauspieler steht. Das Volk darf erwarten, dass ihm seine Vertreter nach bestem Wissen und Gewissen erklären, was es zu erwarten hat und warum. […] Statt Nachsorge zu betreiben, sollten die Politiker beim nächsten Mal besser noch vor den Asylbewerbern da sein – oder wenigstens vorn in den Flüchtlingsbussen sitzen.
Und sie hat klare, erstaunliche Worte gefunden. Die Kanzlerinnen-Aufforderung zum Handeln, „wo rechtlich und menschlich Hilfe geboten ist“, ist ein starker Appell an alle Deutsche, sich für Flüchtlinge zu engagieren. […] Jetzt müssen den eindeutigen Bekenntnissen der Bundeskanzlerin Taten folgen. Zum Wohle der Menschen in unserem Land. Und derer, die hier zu Recht Schutz und Zuflucht suchen.
Pragmatische Vorschläge zur Problemlösung Kritik an universalistischen und naturrechtlichen Begründungen Modus: Kritik und Belehrung
Prinzip der politischen Verantwortung (auch am Aufkommen von Fremdenhass) Medienkritik: Dysfunktion des Fernsehens Modus: an Politik adressiert, appellativ
Moralischer Legalismus: Die Regierung macht es richtig Modus: Support der Regierungslinie und Mahnung (Taten)
Anhang
159
Florian Hassel
Alexander von Schönburg
Klaus-Dieter Frankenberger
28.08.2015 Bild-Zeitung Seite 2 Der Tod der Flüchtlinge mahnt uns alle
29.08.2015 FAZ Seite 1 Tragödien
160
28.08.2015 Süddeut sche Seite 4 Ein zu lukratives Geschäft
S. 1 27.08.15: „Entsetzliche Nachricht“ vom Tod vieler Flüchtlinge überschattet Wiener Gipfel S. 1: Mutmaßliche Schlepper in Ungarn festgenommen S. 3: Das schnelle Geld auf der Balkanroute S. 19: Die gefährlichste Reiseroute der Welt
S. 2: „Europa kann nicht länger wegsehen“ Bezugnahme: Sitzungen der EU-Länder bzgl. der Asylpolitik und Fund der toten Flüchtlinge in Lkw
S. 1: Flüchtlinge sterben im Lastwagen S. 2: Auf der Autobahn des Todes S. 2: Kurze Hosen und lange Gesichter
Schleuser sind skrupellos, ihnen muss „das Handwerk gelegt werden“. Es gibt keine Zauberformel, um die Krise zu lösen. Es muss ein Kompromiss zwischen mehreren Problemen gefunden werden: Schleuser bekämpfen, Flüchtlinge menschlich behandeln und gleichzeitig gegen Armutsmigration vorgehen. Bürger und Politiker sollten besonnen bleiben.
Unfassbar: tote Flüchtlinge in Schleuser-Lkw. Tragödie wegen örtlicher Nähe nicht zu ignorieren. Jetzt müssen Politiker handeln. Bisher zu zaghaft und: Sie debattieren zu viel.
Politiker wissen sich nicht zu helfen, um den Schlepperbanden das Handwerk zu legen. Helfen würde nur eine im Namen der Humanität angezeigte Grenzöffnung Europas – aber leider ein unrealistische Idee.
Es ist entsetzlich: 71 Menschen, mutmaßlich Syrer, sind in einem Kühlwagen erstickt; sie hatten sich Schleusern anvertraut, die sie nach Österreich oder nach Deutschland bringen sollten. Vor der libyschen Küste sind wieder Schiffe gekentert; sie waren vollbesetzt mit Menschen, die (zunächst) nach Italien wollten. Von 200 Ertrunkenen ist die Rede. […] Wir sind entsetzt, und wir sind empört über die Skrupellosigkeit von Leuten, die die Not von Menschen ausnutzen. […] Bürger und Politiker müssen Anstand bewahren, sie dürfen sich nicht überwältigen lassen. Doch machen wir uns nichts vor: Die Vorstellung, der halbe Nahe Osten und Teile Afrikas siedeln um nach Westeuropa, lässt schon ein Gefühl der Bedrückung zurück.
Will uns das Schicksal damit etwas sagen? Vielleicht: Hört auf, in Kommissionen zu debattieren und zu taktieren. Einigt Euch! Jetzt! Handelt! […] Täglich sterben Flüchtlinge im Mittelmeer. Und jetzt auch bei uns.
Schockierte Politiker kündigten nach der Entdeckung der Toten ein schärferes Vorgehen gegen Schlepper an – ein nicht nur in Österreich übliches und ebenso verständliches wie unrealistisches Versprechen. […] Wer Schleppern wirklich das Handwerk legen wollte, müsste ihnen die Geschäftsgrundlage entziehen, also die Grenzen Europas für Flüchtlinge öffnen. Dazu sind europäische Politiker aus naheliegenden Gründen nicht bereit.
Opportunitätsargumente Ohnmacht als Thema Modus: Emo tionalisierend & appellativ ohne Adressat
Voluntaristische Argumente gegen handlungsschwache Regierungen Kritik an EU Modus: Appellativ, rhetorischer Adressat: EURegierungen
Ideologiekritik gegenüber Politik (die Politiker tun nicht, was sie sagen) Modus: Spekulativ argumentierendes Statement
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Stefan Braun
Jasper von Altenbockum
Cathrin Kalweit
Julian Reichelt
01.09.2015 Süddeut sche Seite 4 Merkels Chefsache
01.09.2015 FAZ Seite 1 Wir schaffen das
01.09.2015 Süddeut sche Seite 4 Auf Kosten der Nach barn
04.09.2015 Bild-Zeitung Seite 2 Die syrische Katastrophe
161
S. 2: „Weltweite Trauer um toten Aylan“ (Vortag: Debatte über Rolle des Westens im Syrien- Konflikt)
S. 7: Europa der kleinen Schritte S.6: Budapest, Wien und endlich München
S. 1: Merkel: Verantwortung für Flüchtlinge teilen („Wir schaffen das“) S. 6: Große Herausforderung – kleine Lösungen
S. 1: „Deutschland ist ein Land der Hoffnung“ S. 3: In einem anderen Land S. 6: Budapest, Wien und endlich München (Kontext: Begegnung von Merkel mit palästinensischen Flüchtlingsmädchen)
Veröffentlichung des Fotos vom ertrunkenen Flüchtlingsjungen Aylan erschüttert den Westen. Bombardement, Folter und Vergasen von Kindern durch Diktator Assad seit vier Jahren. Westliche Kampfjets im Kampf gegen ISIS, gegen Assad wird aber nichts unternommen.
Jeder Staat handelt derzeit nur nach seinen eigenen Regeln. Überlastung der Polizei in Budapest und Einführung von Grenzkontrollen durch die Regierung in Wien.
Merkel spricht Helfern Mut zu und gleichzeitig gegen Fremdenfeindlichkeit. Koalition muss beim Thema Asylpolitik zusammenfinden, Probleme lösen und Antworten Richtung Europa geben. Bund und Länder müssen insb. das Aufnahmeverfahren in den Griff bekommen und die Kommunen entlasten. Andere EU-Länder müssen andere Wege gehen als Merkel, aus innenpoli tischen Gründen. Deutschland löst die Erwartungen nicht ein, die Nachbarstaaten an D. hatten – D. erfüllt Vorbildrolle nicht.
Flüchtlingskrise ist jetzt Chefsache der Kanzlerin. Man muss Zeichen setzen gegen Hass, Gewalttätigkeit, Ausländerfeindlichkeit. Bekenntnis der Kanzlerin gegen Fremdenfeindlichkeit.
Das eigentliche Totalversagen des Westens liegt aber darin, dass wir das unermessliche Leid syrischer Kinder erst wahrnehmen […], seit ihre Körper im wahrsten und bittersten Sinne des Wortes an unsere Stände gespült werden. […] Seine Eltern sind mit ihm nur in dieses Boot gestiegen, weil wir nie den Mut gefunden haben, ihn und unsere Werte zu verteidigen.
Die EU ist derzeit ein politischer Verschiebebahnhof, auf dem jeder Staat seine eigenen Regeln macht. […] Die Lage ist so absurd, wie die europäische Asylpolitik absurd ist.
Den vielen Beamten, Sozialarbeitern und Ehrenamtlichen, die seit Monaten […] Einwanderer versorgen, wird es eine Genugtuung gewesen sein, dass ihnen die Kanzlerin am Montag Mut zusprach und beteuerte: „Wir schaffen das.“ […] Wir schaffen das, werden sich […] die Städte sagen. Aber ob es auch die Koalition schafft? […] Sie sollten sich lieber den sattsam bekannten Schwachstellen der Asylpolitik widmen. Auch von Merkel gab es dazu allerdings nichts Neues. Die größte dieser Schwachstellen ist nach wie vor die Erstaufnahme. […] Der Zaun, den Ungarn zu Serbien errichtet hat, ist […] zum Symbol geworden […] für die Frage an Deutschland: Wenn nicht einmal die Deutschen zurechtkommen, warum sollten dann wir? Solange die Deutschen darauf keine Antwort haben, wird es aus der EU heißen: Ihr schafft das, wir nicht.
Bitter nötig, weil am Ende eben doch entscheidend ist, welche Botschaft eine Kanzlerin angesichts von Hass, Gewalt, Ausländerfeindlichkeit aussendet.
Fundamentalkritik an westl. Politik Appell für Schutz westl. Werte Modus: Predigt
Keine normativen Bezüge Modus: Klagelied
Kritisch-ratio nal Bewertung des MerkelSatzes als im Prinzip richtig Einordnung des Satzes i. S. einer Regierungskritik Modus: Ideologiekritik
Politik als symbolisches Handeln wird i. S. Merkels bekräftigt Modus: Affirmatives Statement
Mü.
Ulf Poschardt
04.09.2015 Die Welt Seite 1 Mut und Selbstver trauen
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04.09.2015 FAZ Seite 8 Flexibel in der Krise
S. 1: Kriegsflüchtlinge willkommen
S. 1: Merkel und Hollande fordern verbindliche Flüchtlingsquoten S. 1: Höchste Einwanderung in Deutschland seit 1992 S. 2: Arbeitskräfte rufen, Flüchtlinge willkommen heißen
Deutschland ist durch die letzten Jahre und die richtigen politischen Reformen selbstbewusst geworden und gerüstet für die Zukunft. Voraussetzung für Integration ist eine starke Wirtschaft. Die Große Koalition muss ihre wirtschaftsfeindlichen Reformen zurücknehmen. Bürokratie muss abgebaut und europäische Solidarität eingefordert werden.
Deutschlands Verfassung ist stark. Wenn es sein muss (bzw. von höchster Stelle so gewollt ist), kann Politik flexibel sein – siehe Atomausstieg. Flüchtlingslage als Anlass zur Reduzierung von Bürokratie vernünftig.
Die Flüchtlinge, die diese Woche europaweit „Deutschland, Deutschland“ rufen, verwechseln uns mit ihrer Zukunft – und das ist ein Kompliment, ein Geschenk und eine Verpflichtung. […] Dazu gehören aktuell ein leistungsfähiges Einwanderungsgesetz, weniger Bürokratie und zügige Abschiebung gleichermaßen. Zudem muss mehr europäische Solidarität bei den Migrationslasten durchgesetzt werden. Integrations- und willkommensfähig bleibt das Land nur, wenn die Konjunktur brummt, die Bildungs- und Sozialisationsinstanzen gestärkt und die wirtschaftsfeindlichen Anti-Reformen der GroKo zurückgedreht werden.
Die Flüchtlingskrise soll jetzt Anlass für Reformen sein, um das Land flexibler zu machen. Tatsächlich kann es nie schaden, Auswüchse von Bürokratismus einzudämmen – die übrigens nicht selten via Brüssel das deutsche Recht beglücken. Doch zeigt etwa der Atomausstieg, per Merkel-Befehl nahezu über Nacht vollzogen, dass Deutschland bei Bedarf sehr beweglich sein kann. […] Doch bestimmte Standards sind nicht verhandelbar: Hier darf niemand menschenunwürdig behandelt werden. Das geht aber nur, wenn das Land nicht wegen Überlastung zusammenbricht.
Neoliberale Position, d. h. Primat der mögl. ungebremsten Wirtschaft Modus: Weltanschauliche Belehrung
Normativ: Grundrechte und Menschenrechte sind verbindlich Politik soll die Grundwerte sichern Konsequen zualismus: Im Zweifel Zustrom begrenzen
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Reinhard Müller
Stephan Kornelius
14.09.2015 FAZ Seite 1 Heimatnah helfen
14.09.2015 Süddeut sche Seite 4 Wir schaffen es doch nicht
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S. 1: Deutschland führt Grenzkontrollen ein S. 3: Sorgendämmerung
S. 1: Berlin führt Grenzkontrollen ein
Uneingeschränkte Humanität ist im Alleingang nicht möglich. Die in den EU-Ländern erkannte Doppelmoral – Menschenrechte einfordern, aber selbstsüchtig Flüchtlinge aussperren – trifft jetzt auch auf Deutschland zu. Die propagierte Willkommenskultur erweist sich als Trugbild. Bundesregierung ist an ihrer Selbstüberschätzung gescheitert.
Flüchtlingsursachen sollten in Zukunft in der Heimat der F. bekämpft werden, notfalls auch durch milit. Intervention in Syrien, weil IS-Terroristen mit Gewalt gegen Menschen vorgehen. Inland: Bundeswehreinsätze sind zwar nur ausnahmsweise bei schweren Unglücksfällen und Naturkatastrophen vorgesehen. Die Flüchtlingslage erfordert Überprüfung dieses Prinzips. Finanzpolitiker dürfen die Flüchtlingskrise nicht dafür nutzen, die Schuldenbremse einstweilen zu vergessen.
Deutschland hat verstanden, es wird nicht im Alleingang die Flüchtlingspolitik der EU revolutionieren können. […] Der Zumutungs-Darwinismus hat inzwischen auch Deutschland erfasst. Die für Europa längst diagnostizierte Doppelmoral hatte das Land ergriffen, das mit seiner Willkommenskultur ein Trugbild in den vielen Flüchtlingslagern […] schuf. […] So spektakulär musste Merkel ihre Politik noch nie korrigieren. Die deutsche Politik ist gescheitert an dem eklatanten Widerspruch zwischen der moralischen (und rechtlichen) Verpflichtung, die jedem Kriegsflüchtling Asyl zusteht, und der schieren Größe des Problems. Sie ist gescheitert an der eigenen Selbstüberschätzung und der europäischen Unbeweglichkeit. […] Das ist die harte Lektion der Flüchtlingstragödie: Herz und Verstand lassen sich nicht mehr in Einklang bringen.
Geht es um die Bekämpfung der Fluchtursachen, heißt es aber sofort, die Lage sei zu komplex. Was ja auch stimmt. […] Nur das Argument, eine Intervention mache alles nur noch schlimmer, zieht irgendwann nicht mehr. […] Heimatnah muss Schutz gewährt und Hilfe geleistet werden – und notfalls robust durchgesetzt werden. Wer Menschen mit Gewalt vertreibt und verschleppt, gegen den darf auch Gewalt eingesetzt werden – nicht aber gegen seine schutzsuchenden Opfer. […] [M]uss die Bundeswehr bald zum Schutz von Unterkünften eingesetzt werden? […] Eigentlich dürfen Streitkräfte im Inneren zur Amtshilfe nur unter strengen Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder zur Hilfe in einem schweren Unglücksfall oder bei einer Naturkatastrophe eingesetzt werden. Oder ist jetzt alles egal? Not kennt schließlich kein Gebot. […] Aber das Flüchtlingsdrama ist keine Naturkatastrophe. Kritik der Politik nach Maßgabe menschenrechtlicher Prinzipien Idealist. Idee der Einheit von „Herz und Verstand“ Modus: Klagelied
Utilitaristische Argumentation zur Begründung eines militärischen Einsatzes in Syrien zur Überprüfung des Einsatzverbots der Streitkräfte im Inland (hier: Schutz von Unterkünften) Modus: Räsonnement ohne Adressat
Thomas Schmidt
K.F.
16.09.2015 FAZ Seite 8 Ein Fall für die Armee?
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15.09.2015 Die Welt Seite 1 Alles wird anders
S. 2: Bundeswehr will mehr tun (indirekt Bezug auf FAZKommentar vom 14.09. von Reinhard Müller)
S. 3: Die Grenzen sind zurück (Leitartikel) S. 4: „Wie soll die Polizei das alles schaffen?“ Impressionen von der Grenze zu Österreich S. 4: Atempause für die Politik S. 5: Protokoll aus dem Chaos S. 5: CDU bereit für ein neues Einwanderungsgesetz S. 7: Tausende wollen noch schnell in die EU S. 7: Auf in das Land von Franz Beckenbauer
Die Bundeswehr könnte bei der Organisation der Asylanträge behilflich sein, denn sie verfügt über entsprechende Kenntnisse. Flüchtlinge sollten schon bei ihrer Registrierung einen Asylantrag stellen können, nicht erst später in den Kommunen. Nur wer ein dauerhaftes Bleiberecht bekommt, sollte zu den Kommunen gelangen. Vorwurf an Länder, die BundeswehrHilfe ablehnen, aber Zuständigkeiten an Bund und Kommunen delegieren.
Deutschland wollte Gutes tun und ist derzeit überfordert. Insgeheime Schadenfreude der Regierungen einiger EU-Länder. Deutschland bereitet sich auf Aufnahme von 800.000 bis 1 Mio. Menschen vor. Demgegenüber versucht EU-Kommis sionschef Juncker, 120.000 Flüchtlinge in der gesamten EU unterzubringen. Flüchtlingsdruck auf Europa großes Kompliment – und großes Problem. Könnte Europa tiefgreifend verändern: Kultur, Zusammensetzung und das, was EU außen- und entwicklungspolitisch leisten muss. Diese Aufgabe sollte offen und ohne Angst vor den Nationalromantikern diskutiert und gestaltet werden.
Die Erstaufnahme der Flüchtlinge ist nicht in den Griff zu bekommen. Durch eine Vereinfachung wäre viel gewonnen. So käme nur in die Kommunen, wer tatsächlich ein dauerhaftes Bleiberecht hätte. Aber wie? Es wäre viel erreicht, wenn Asylbewerber schon bei ihrer Registrierung ihren Asylantrag stellen könnten. […] Grund dafür sind „Kleinigkeiten“ wie die Verteilung der Flüchtlinge in Deutschland oder eine angemessene Gesundheitsuntersuchung. In beiden Fällen könnte die Bundeswehr eine große Hilfe sein. Sie hat die Kapazität für eine Logistik, die humanitäre Einsätze im Ausland verlangen […].
Yes we can, sagte die Bundeskanzlerin: Hunderttausende von Flüchtlingen – kein Problem für dieses wohl bestellte Land. Nein, ganz so einfach ist es nicht, ergänzte der eben noch recht schweigsame Innenminister de Maizière und führte Grenzkontrollen wieder ein. […] Was die Bundeskanzlerin in ungewohnter Unbekümmertheit gesagt hat, wurde von Hunderttausenden Flüchtlingen als kollektive Einladung verstanden. Nun schiebt die deutsche Politik eine kleine Korrektur nach – nicht alle sind eingeladen, und nicht alle nach Deutschland.
Operative Kritik verbunden mit Belehrungen, wie man es besser machen soll Modus: Belehrungen im Konjunktiv. An Politik adressiert
Vernunftsglaube: Problemeinsicht und -lösungskraft sind in D. stark genug Die EU kann von Deutschland lernen Modus: Optimistisches Statement
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Martin Greive
Stefan Locke
Die Welt 17.09.2015 Seite 1 Optimis mus-Ökono mie
17.09.2015 FAZ Seite 1 Bösewichte im Septem bermärchen
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Keine tagesaktuelle Nachricht (Vortag: Umgang mit Rechtsextremismus und Unterschiede zwischen West und Ost)
S. 4: Flüchtlingsstrom schiebt deutsche Wirtschaft an
Es ist billig, über Unterschiede bzgl. Rechtsextremismus zwischen West- und Ostdeutschland zu diskutieren. Der Osten mag ein größeres Problem damit haben, was jedoch nicht bedeutet, dass der Westen keins hat. Viele der Rechtsextremen im Osten sind in der Zeit der BRD geboren. Fremdenangst v. a. im Osten, weil dort viele Menschen Angst haben, noch tiefer zu sinken – wer in den letzten 25 Jahren konnte, hat den Osten verlassen. Die westdeutschen Ministerpräsidenten lenken von eigenen Problemen ab, wenn sie die ostdeutschen Bundesländer kritisieren.
Ökonomen haben in der Bundesregierung kein hohes Ansehen. In der Flüchtlingskrise ist dies anders: Statt verheerende Zustände zu kritisieren, sehen Ökonomen die Chancen für Deutschland: Bekämpfung des Fachkräftemangels, Wirtschaftswachstum. Der unaufgeregte ökonomische Blick kann Debatte versachlichen: Flüchtlinge nehmen keine Arbeitsplätze weg, sondern finanzieren deutsche Renten. Politik muss nun v. a. über notwendige Qualifikationen der Flüchtlinge reden. Politik und Gesellschaft sollten auf die Ökonomen hören.
Abgesehen, davon, dass Gastarbeiter recht lange warten mussten, bis sie zu diesem westdeutschen „Wir“ gehören durften, müssen sich auch die Ostdeutschen durch solche Äußerungen wie Fremde im eigenen Land behandelt fühlen. Ihnen wird eine quasi genetische Anfälligkeit für Rechtsextremismus unterstellt. […] Die Desoxyribonukleinsäure der Täter, die Anschläge auf Asylbewerber im Westen verüben, scheint dagegen kein deutsches Wässerchen zu trüben. […] Die Schläger von Heidenau waren zum Großteil junge Männer, die nicht in der DDR, sondern in der Bundesrepublik Deutschland geboren und aufgewachsen sind. […] Asylbewerber sind in dieser Welt die Eindringlinge, denen mehr Anerkennung und Aufmerksamkeit geschenkt wird als den Ostdeutschen, die Angst vor weiterem Abstieg und Wut auf Politiker wecken. Das greift die NPD gerne auf. […] Erfolg haben die Rechtsextremen auch, nicht obwohl, sondern gerade weil es im Osten kaum Ausländer gibt. Nur so lassen sich Ängste schüren.
Für die Wirtschaftswissenschaft ist klar: Steuert die Politik die Einwanderung klug, sind die Flüchtlinge ein Segen für die alternde deutsche Gesellschaft. Nun muss diese Botschaft in die Gesellschaft durchsickern. Die Flüchtlingsdebatte ist emotional aufgeladen wie kein anderes Thema.
Ideologiekritik an der westdeutschen Haltung Psychosoziale Deutung des Fremdenhasses Modus: Verstehende Analyse, diskursiv
Ökonomie als Helfer und Dienstleister der Politik Opportunistisch: Politik soll Flüchtlinge unter arbeitsmarktpolitischer Perspektive als Gewinn erkennen Instrumentelle Argumente ersetzen menschenrechtliche Modus: Thetisch und reklamierend
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
Summen bei Prozentangaben, die von 100 % abweichen, sind, falls nicht anders angegeben, auf Rundungsfehler zurückzuführen. Abbildung 1:
Gesamtjahresübersicht 2015 aller Beiträge auf Tagesschau.de und Spiegel Online.......18
Abbildung 2:
Berichterstattung über Vorgänge zum Thema Flüchtlinge/Asylsuchende: Tonalität der Berichte.............................................................................................. 46
Abbildung 3:
„Willkommenskultur“ in Deutschland........................................................................54
Abbildung 4:
Häufigkeiten der Berichte zum Thema Willkommenskultur in 85 Lokal- und Regionalzeitungen.......................................................................... 84
Abbildung 5: (a)-(h): „Willkommenskultur“ und „Integration“ im Berichterstattungskontext (Textmining-Analysen)............................................................................................. 88
166
Abbildung 6:
Die Parteien in den Berichten zur Willkommenskultur................................................. 91
Abbildung 7:
Monologe – nur eine Partei kommt zu Wort................................................................93
Abbildung 8:
Dialoge – zwei Parteien kommen zu Wort................................................................. 94
Abbildung 9:
Diskurs – drei Parteien kommen zu Wort...................................................................95
Tabelle 1:
Die für die Meinungsbildung als relevant identifizierten Großereignisse 2015 und ihre Codierung................................................................... 21
Tabelle 2:
Anzahl der Beiträge je Zeitung zu den Ereignisthemen betreffend Flüchtlinge 2015/16................................................................................ 26
Tabelle 3:
Umfang der Beiträge je Zeitung (Anzahl Zeichen) zu den Ereignisthemen.....................27
Tabelle 4:
Anzahl der Beiträge je Ereignisphase in den drei Zeitungen zu den Ereignisthemen..... 28
Tabelle 5:
Die Darstellungsformen aller redaktionellen Beiträge zu den Ereignisthemen..............29
Tabelle 6:
Akteure/Sprecher (A/S) in den Texten nach Darstellungsformen zu den Ereignisthemen: Häufigkeiten und Anteile......................................................30
Tabelle 7:
Anzahl der Akteure/Sprecher (n=9.216) in den Berichten zu den Ereignisthemen je Zeitung............................................................................. 31
Tabelle 8:
Gender der Akteure/Sprecher (n=3.308) in den Berichten zu den Ereignisthemen je Zeitung.............................................................................32
Tabelle 9:
Zuständigkeit der Akteure/Sprecher (n=3.308) in den Berichten über die Ereignisthemen je Zeitung...........................................................................33
Tabelle 10:
Akteure/Sprecher des Bereichs „Medien” (n=132) in den Berichten über die Ereignisthemen je Zeitung...........................................................................34
Tabelle 11:
„Einzelpersonen“ (n=298) in den Berichten über die Ereignisthemen je Zeitung...........36
Tabelle 12:
Akteure/Sprecher des Zuständigkeitsbereichs „Politik” (n=2.068) in den Berichten über die Ereignisthemen je Zeitung...........................................................................38
Tabelle 13:
Akteure/Sprecher von Interessenverbänden (n=100) in den Berichten über die Ereignisthemen je Zeitung...........................................................................39
Anhang
Tabelle 14:
Parteizugehörigkeit der Akteure/Sprecher (n=3.308) in den Berichten über die Ereignisthemen je Zeitung.......................................................................... 40
Tabelle 15:
Anzahl Beiträge, die über Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten (MV) zu den Ereignisthemen berichten (n=1.386).............................................................. 42
Tabelle 16:
Akteure/Sprecher in Berichten über Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten zu den Ereignisthemen (n=1.932 Akteure).................................................................43
Tabelle 17:
Akteure/Sprecher des Bereichs „Politik” in Berichten über Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten (MV) (n=1.340 Akteure)......................................... 44
Tabelle 18:
Akteure/Sprecher des Bereichs „Politik” in Berichten über Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten nach Parteizugehörigkeit (n=795 Akteure)...............45
Tabelle 19:
Attribuierung bzw. Tonalität der Berichte je Zeitung (n=820).......................................47
Tabelle 20:
Attribuierung bzw. Tonalität in Berichten nach politischen Parteien (Akteure/Sprecher, n=880). Jede Kategorie 100 %..................................................... 48
Tabelle 21:
Attribuierung bzw. Tonalität in Berichten nach politischen Parteien (Akteure/Sprecher, n=880). Jede Partei 100 %...........................................................49
Tabelle 22:
Gender der Quellen/Akteure/Sprecher (n=3.308) in den berichtenden Texten............ 119
Tabelle 23:
Übersicht über die markanten Vorgänge während der Hochphase des Flüchtlingsthemas 2015 ................................................................................... 121
Tabelle 24:
Kommentare in vier meinungsführenden Zeitungen während der Hochphase des Flüchtlingsthemas (27. Juli bis 4. Oktober 2015)................................................. 122
Tabelle 25:
Meinungsbeiträge zum Thema vor (blau unterlegt) und nach (grau unterlegt) der Hochphase des Flüchtlingsthemas.................................................................... 126
Tabelle 26:
Kommentare – Anzahl Akteure/Sprecher vor und nach der Hochphase des Flüchtlingsthemas........................................................................................... 127
Tabelle 27:
Die Akteurs- bzw. Sprecherbereiche vor (blau, n=57) und nach (schwarz, n=257) der Hochphase des Flüchtlingsthemas................................... 129
Tabelle 28:
Die Darstellungsformen in den redaktionellen Texten über die Großereignisse des Flüchtlingsthemas (n=1.687 Texte)............................................ 148
Tabelle 29:
Die Zuständigkeitsbereiche der Akteure/Sprecher in den berichtenden Texten im Überblick (n=3.308 Akteure).................................................................... 149
Tabelle 30:
Die in den berichtenden Texten genannten Quellen/Akteure/Sprecher (n=3.308 Akteure/Sprecher)................................................................................... 150
Tabelle 31:
Parteizugehörigkeit der Quellen/Akteure/Sprecher in den berichtenden Texten (n=3.308)..................................................................... 152
Tabelle 32:
Thematisierung von Konflikten und Meinungsverschiedenheiten in den berichtenden Texten (n=1.386 Texte)............................................................. 153
Tabelle 33:
Die Tonalität der Berichterstattung über die Großereignisse (nur berichtende redaktionelle Texte; n=820).......................................................... 154
Tabelle 34:
Analyse von 30 ausgewählten Kommentaren aus den untersuchten Leitmedien......... 155
167
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
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Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
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Anhang
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Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
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Anhang
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Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
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Anhang
Wiegand, Erich (1992): Einstellungen zu Ausländern, in: Statistisches Bundesamt (Hg.): Datenreport 1992. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland. Bonn. Wilke, Jürgen (2009): Historische und internationale Entwicklung von Leitmedien. Journalistische Leitmedien in Konkurrenz zu anderen, in: Daniel Müller/Annemone Ligensa/Peter Gendolla (Hg.): Leitmedien. Konzepte – Relevanz – Geschichte. Bielefeld: 29-52. Wimmer, Jeffrey (2007): (Gegen-)Öffentlichkeit in der Mediengesellschaft: Analyse eines medialen Spannungs verhältnisses. Wiesbaden. Zambonini, Gualtiero (2007): Der Westdeutsche Rundfunk – Integration als business case. Online unter: https://heimatkunde.boell.de/2007/08/01/der-westdeutsche-rundfunk-integration-als-business-case (abgerufen Januar 2017). Zick, Andreas/Beate Küpper (2012): Zusammenhalt durch Ausgrenzung? Wie die Klage über den Zerfall der Gesellschaft und die Vorstellung von kultureller Homogenität mit Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zusammenhängen, in: Wilhelm Heitmeyer (Hg.): Deutsche Zustände, Folge 10. Berlin: 152-176. Ziller, Conrad (2016): „Schwächt Zuwanderung den sozialen Zusammenhalt?“ (Deutscher Studienpreis). Hamburg: Körber-Stiftung.
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Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Hinweise zum Autor
Michael Haller, Prof. Dr. phil., leitete bis Ende 2016 die Journalismusforschung an der Hamburg Media School (HMS). Seither ist er wissenschaftlicher Direktor des Europäischen Instituts für Journalismus- und Kommunikationsforschung (EIJK). Bis zu seiner Emeritierung im Herbst 2010 hatte er den Journalistik-Lehrstuhl an der Universität Leipzig inne, wo er den 1992 reformierten Diplomstudiengang Journalistik aufgebaut hat. Seine Forschungsgebiete: Redaktions- und Qualitätsforschung (Print und Online) sowie Berufs- und Medienethik. Vor seinem Ruf an die Universität Leipzig war Haller 25 Jahre lang als Reporter und Redakteur in verschiedenen Pressemedien des deutschen Sprachraums tätig, darunter 13 Jahre beim „Spiegel“, dann als Ressortleiter bei der „Zeit“. Als Beirat verschiedener Einrichtungen des deutschen Sprachraums ist er in der Journalistenweiterbildung tätig. Michael Haller veröffentlichte zahlreiche Fachpublikationen, insbesondere zum Funktionswandel und zu Problemen des Journalismus in Zeiten des Medienwandels sowie der Digitalisierung der Kommunikation. Hallers Grundlagenbücher zur journalistischen Profession (Recherche, Reportage, Interview, Zeitungsjournalismus) haben in der Branche Standards gesetzt.
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Ausschreibung
Otto Brenner Preis
Anhang
„Nicht Ruhe und Unterwürfigkeit gegenüber der Obrigkeit ist die erste Bürgerpflicht, sondern Kritik und ständige demokratische Wachsamkeit.“ (Otto Brenner 1968) Es werden Beiträge prämiert, die für einen kritischen Journalismus vorbildlich und beispielhaft sind und die für demokratische und gesellschaftspolitische Verantwortung im Sinne von Otto Brenner stehen. Vorausgesetzt werden gründliche Recherche und eingehende Analyse.
Der Otto Brenner Preis ist mit einem Preisgeld von 47.000 Euro dotiert, das sich wie folgt aufteilt: 1. Preis 10.000 Euro 2. Preis 5.000 Euro 3. Preis 3.000 Euro Zusätzlich vergibt die Otto Brenner Stiftung: für die beste Analyse (Leitartikel, Kommentar, Essay) den Otto Brenner Preis „Spezial“ 10.000 Euro für Nachwuchsjournalistinnen und -journalisten den „Newcomerpreis“ 2.000 Euro für Medienprojekte den „Medienprojektpreis“ 2.000 Euro und drei Recherche-Stipendien von je 5.000 Euro
Otto Brenner Stiftung Wilhelm-Leuschner-Str. 79 60329 Frankfurt am Main E-Mail: info@otto-brenner-preis.de Tel.: 069 / 6693 - 2576 Fax: 069 / 6693 - 2786 177
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Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Arbeitspapiere der Otto Brenner Stiftung Die Ergebnisse von Kurzstudien veröffentlichen wir online in der OBS-Reihe „Arbeitspapiere“. Infos und Download: www.otto-brenner-stiftung.de
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Nr. 25
Unterhaltung aus Bayern, Klatsch aus Hessen? Eine Programmanalyse von BR und hr (Eva Spittka, Matthias Wagner, Anne Beier)
Nr. 24
#Mythos Twitter – Chancen und Grenzen eines sozialen Mediums (Mathias König, Wolfgang König)
Nr. 23
Informationsfreiheit – Mehr Transparenz für mehr Demokratie (Arne Semsrott)
Nr. 22
Journalist oder Animateur – ein Beruf im Umbruch. Thesen, Analysen und Materialien zur Journalismusdebatte (Hans-Jürgen Arlt, Wolfgang Storz)
Nr. 21
Ausverkauf des Journalismus? – Medienverlage und Lobbyorganisationen als Kooperationspartner (Marvin Oppong)
Nr. 20
Die AfD vor den Landtagswahlen 2016 – Programme, Profile und Potenziale (Alexander Hensel, Lars Geiges, Robert Pausch und Julika Förster)
Nr. 19
Bürgerbeteiligung im Fernsehen – Town Hall Meetings als neues TV-Format? (Nils Heisterhagen)
Nr. 18
„Querfront“ – Karriere eines politisch-publizistischen Netzwerks (Wolfgang Storz)
Nr. 17
Information oder Unterhaltung? – Eine Programmanalyse von WDR und MDR (Joachim Trebbe, Anne Beier und Matthias Wagner)
Nr. 16
Politische Beteiligung: Lage und Trends (Rudolf Speth)
Nr. 15
Der junge Osten: Aktiv und Selbstständig – Engagement Jugendlicher in Ostdeutschland (Jochen Roose)
Nr. 14
Wettbewerbspopulismus – Die Alternative für Deutschland und die Rolle der Ökonomen (David Bebnowski und Lisa Julika Förster)
Nr. 13
Aufstocker im Bundestag – Nebeneinkünfte und Nebentätigkeiten der Abgeordneten zu Beginn der 18. Wahlperiode (Herbert Hönigsberger)
Nr. 12
Zwischen Boulevard und Ratgeber-TV. Eine vergleichende Programmanalyse von SWR und NDR (Joachim Trebbe)
Nr. 11
Die sechste Fraktion. Nebenverdiener im Deutschen Bundestag (Herbert Hönigsberger)
Nr. 10
Chancen der Photovoltaik-Industrie in Deutschland (Armin Räuber, Werner Warmuth, Johannes Farian)
Nr. 9
Logistik- und Entwicklungsdienstleister in der deutschen Automobilindustrie – Neue Herausforderungen für die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen (Heinz-Rudolf Meißner)
Nr. 8
Wirtschaftsförderung und Gute Arbeit – Neue Herausforderungen und Handlungsansätze (Martin Grundmann und Susanne Voss unter Mitarbeit von Frank Gerlach)
Nr. 7
Wahlkampf im medialen Tunnel – Trends vor der Bundestagswahl 2013 (Thomas Leif und Gerd Mielke)
Nr. 6
Wer sind die 99 %? Eine empirische Analyse der Occupy-Proteste (Ulrich Brinkmann u. a.)
Nr. 5
Wie sozial sind die Piraten? (Herbert Hönigsberger und Sven Osterberg)
Nr. 4
Solarindustrie: Photovoltaik. Boom – Krise – Potentiale – Fallbeispiele (Ulrich Bochum/Heinz-Rudolf Meißner)
Nr. 3
Gewerkschaftliche Netzwerke stärken und ausbauen (Anton Wundrak)
Nr. 2
Werkverträge in der Arbeitswelt (Andreas Koch)
Nr. 1
Soziale Ungleichheit und politische Partizipation in Deutschland (Sebastian Bödeker)
OBS-Arbeitsheft 93
Die Otto Brenner Stiftung …
ISSN-Print: 1863-6934 ISSN-Online: 2365-2314
... ist die gemeinnützige Wissenschaftsstiftung der IG Metall. Sie hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Als Forum für gesellschaftliche Diskurse und Einrichtung der Forschungsförderung ist sie dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Ausgleich zwischen Ost und West.
Herausgeber: Otto Brenner Stiftung Jupp Legrand Wilhelm-Leuschner-Straße 79 D-60329 Frankfurt am Main
... initiiert den gesellschaftlichen Dialog durch Veranstaltungen, Workshops und Koopera tionsveranstaltungen (z. B. im Herbst die OBS-Jahrestagungen), organisiert internationale Konferenzen (Mittel-Ost-Europa-Tagungen im Frühjahr), lobt jährlich den „Brenner-Preis für kritischen Journalismus“ aus, fördert wissenschaftliche Untersuchungen zu sozialen, arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitischen Themen, vergibt Kurzstudien und legt aktuelle Analysen vor.
Tel.: 069-6693-2810 Fax: 069-6693-2786 E-Mail: info@otto-brenner-stiftung.de www.otto-brenner-stiftung.de Autor: Prof. Dr. phil. Michael Haller Wissenschaftlicher Direktor des Europäischen Instituts für Journalismus- und Kommunikationsforschung (EIJK) haller@uni-leipzig.de
... macht die Ergebnisse der Projekte öffentlich zugänglich.
Projektmanagement:
... veröffentlicht die Ergebnisse ihrer Forschungsförderung in der Reihe „OBS-Arbeitshefte“ oder als Arbeitspapiere (nur online). Die Arbeitshefte werden, wie auch alle anderen Publikationen der OBS, kostenlos abgegeben. Über die Homepage der Stiftung können sie auch elektronisch bestellt werden. Vergriffene Hefte halten wir als PDF zum Download bereit.
Elke Habicht, M.A.
Bitte nutzen Sie folgende Spendenkonten: Für Spenden mit zweckgebundenem Verwendungszweck zur Förderung von Wissenschaft und Forschung zum Schwerpunkt:
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Dieses Arbeitsheft darf nur für nichtkommerzielle Zwecke im Bereich der wissenschaftlichen Forschung und Beratung und
Titelbild:
ausschließlich in der von der Otto Brenner Stiftung veröffent-
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lichten Fassung – vollständig und unverändert – von Dritten
mww.druck und so ... GmbH, Mainz-Kastel Redaktionsschluss: 9. Juni 2017
Analyse und Handreichungen
OBS-Arbeitsheft 91
Alexander Hensel, Florian Finkbeiner u. a.
Vom Protest zur parlamentarischen Opposition
OBS-Arbeitsheft 90
Hans-Jürgen Arlt, Martin Kempe, Sven Osterberg
Die Zukunft der Arbeit als öffentliches Thema
Presseberichterstattung zwischen Mainstream und blinden Flecken
OBS-Arbeitsheft 89
Christina Köhler, Pablo Jost
Tarifkonflikte in den Medien
Was prägt die Berichterstattung über Arbeitskämpfe?
OBS-Arbeitsheft 88* Bernd Gäbler
Quatsch oder Aufklärung?
Witz und Politik in heute show und Co.
OBS-Arbeitsheft 87*
Kim Otto, Andreas Köhler, Kristin Baars
„Die Griechen provozieren!“
Lektorat:
Druck:
Bernd Gäbler
Die AfD vor der Bundestagswahl 2017
Spenden erfolgen nicht in den Vermögensstock der Stiftung, sie werden ausschließlich und zeitnah für die Durchführung der Projekte entsprechend dem Verwendungszweck genutzt.
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... ist zuletzt durch Bescheid des Finanzamtes Frankfurt am Main V (-Höchst) vom 9. April 2015 als ausschließlich und unmittelbar gemeinnützig anerkannt worden. Aufgrund der Gemeinnützigkeit der Otto Brenner Stiftung sind Spenden steuerlich absetzbar bzw. begünstigt.
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Lilian Emonds, Otto Brenner Stiftung
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OBS-Arbeitsheft 92
AfD und Medien
Redaktion:
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... freut sich über jede ideelle Unterstützung ihrer Arbeit. Aber wir sind auch sehr dankbar, wenn die Arbeit der OBS materiell gefördert wird.
Jupp Legrand
unter Verwendung der Fotos von:
Aktuelle Ergebnisse der Forschungsförderung in der Reihe „OBS-Arbeitshefte“
weitergegeben sowie öffentlich zugänglich gemacht werden. In den Arbeitsheften werden die Ergebnisse der Forschungsförderung der Otto Brenner Stiftung dokumentiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Für die Inhalte sind die Autorinnen und Autoren verantwortlich. Bestellungen: Über die Internetseite der Otto Brenner Stiftung können weitere Exemplare dieses OBS-Arbeitsheftes kostenlos bezogen werden – solange der Vorrat reicht. Dort besteht auch die Möglichkeit, das vorliegende und weitere OBS-Arbeitshefte als pdf-Dateien kostenlos herunterzuladen.
• Förderung der internationalen Gesinnung und des Völkerverständigungsgedankens Bank: IBAN: BIC:
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• Angleichung der Arbeits- und Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland (einschließlich des Umweltschutzes) • Entwicklung demokratischer Arbeitsbeziehungen in Mittel- und Osteuropa • Verfolgung des Zieles der sozialen Gerechtigkeit HELABA Frankfurt/Main DE86 5005 0000 0090 5460 11 HELA DE FF
Geben Sie bitte Ihre vollständige Adresse auf dem Überweisungsträger an, damit wir Ihnen nach Eingang der Spende eine Spendenbescheinigung zusenden können. Oder bitten Sie in einem kurzen Schreiben an die Stiftung unter Angabe der Zahlungsmodalitäten um eine Spendenbescheinigung. Verwaltungsrat und Geschäftsführung der Otto Brenner Stiftung danken für die finanzielle Unterstützung und versichern, dass die Spenden ausschließlich für den gewünschten Verwendungszweck genutzt werden.
Lutz Frühbrodt
Wie „Unternehmensjournalisten“ die öffentliche Meinung beeinflussen
OBS-Arbeitsheft 85*
Sabine Ferenschild, Julia Schniewind
Folgen des Freihandels
Das Ende des Welttextilabkommens und die Auswirkungen auf die Beschäftigten
OBS-Arbeitsheft 84* Fritz Wolf
„Wir sind das Publikum!“
Autoritätsverlust der Medien und Zwang zum Dialog
OBS-Arbeitsheft 83
Thomas Goes, Stefan Schmalz, Marcel Thiel, Klaus Dörre
Gewerkschaften im Aufwind?
Bank: IBAN: BIC:
OBS-Arbeitsheft 86*
Content Marketing
Für Spenden mit zweckgebundenem Verwendungszweck zur Förderung von Wissenschaft und Forschung zu den Schwerpunkten:
Die öffentlich-rechtliche Berichterstattung über die griechische Staatsschuldenkrise
Stärkung gewerkschaftlicher Organisationsmacht in Ostdeutschland
OBS-Arbeitsheft 82
Silke Röbenack, Ingrid Artus
Betriebsräte im Aufbruch?
Vitalisierung betrieblicher Mitbestimmung in Ostdeutschland
* Printfassung leider vergriffen; Download weiterhin möglich.
Diese und weitere Publikationen der OBS finden Sie unter www.otto-brenner-stiftung.de Otto Brenner Stiftung | Wilhelm-Leuschner-Straße 79 | D-60329 Frankfurt/Main
OBS-Arbeitsheft 93
OBS-Arbeitsheft 93
OBS-Arbeitsheft 93
Haller – „Die Flüchtlingskrise“ in den Medien
Otto Brenner Stiftung
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Michael Haller
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien Tagesaktueller Journalismus zwischen Meinung und Information www.otto-brenner-stiftung.de
Eine Studie der Otto Brenner Stiftung Frankfurt am Main 2017