OBS-Arbeitspapier 42
OBS-Arbeitspapier 42
Heller et al. – Mauer in den Köpfen?
Ayline Heller/Ana Nanette Tibubos/Manfred Beutel/Elmar Brähler
Mauer in den Köpfen? Einstellungen zur deutschen Einheit im Wandel
Mauer in den Köpfen? Einstellungen zur deutschen Einheit im Wandel
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4 r e i
www.otto-brenner-stiftung.de
Ein Projekt der Otto Brenner Stiftung Frankfurt am Main 2020
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OBS-Arbeitspapier 42
Die Otto Brenner Stiftung Die Otto Brenner Stiftung … …
ISSN: 2365-1962 (nur online)
... ist die gemeinnützige Wissenschaftsstiftung der IG Metall. Sie hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Als Forum für gesellschaftliche Diskurse und Einrichtung der Forschungsförderung ist sie dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Ausgleich zwischen Ost und West.
Herausgeber: Otto Brenner Stiftung Jupp Legrand Wilhelm-Leuschner-Straße 79 D-60329 Frankfurt am Main Tel.: 069-6693-2810
... initiiert den gesellschaftlichen Dialog durch Veranstaltungen, Workshops und Koopera tionsveranstaltungen (z. B. im Herbst die OBS-Jahrestagungen), organisiert Konferenzen, lobt jährlich den „Brenner-Preis für kritischen Journalismus“ aus, fördert wissenschaftliche Untersuchungen zu sozialen, arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitischen Themen, vergibt Kurzstudien und legt aktuelle Analysen vor.
Fax: 069-6693-2786 E-Mail: info@otto-brenner-stiftung.de www.otto-brenner-stiftung.de Autor*innen: Ayline Heller Ana Nanette Tibubos Manfred Beutel Elmar Brähler Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
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Aktuelle Ergebnisse der Forschungsförderung in der Reihe „OBS-Arbeitshefte“
OBS-Arbeitsheft 102*
Wolfgang Schroeder, Samuel Greef u. a.
Bedrängte Zivilgesellschaft von rechts
Interventionsversuche und Reaktionsmuster
OBS-Arbeitsheft 101*
Leif Kramp, Stephan Weichert
Nachrichten mit Perspektive
Lösungsorientierter und konstruktiver Journalismus in Deutschland
OBS-Arbeitsheft 100* Tim Engartner
Wie DAX-Unternehmen Schule machen
Lehr- und Lernmaterial als Türöffner für Lobbyismus
OBS-Arbeitsheft 99*
Tobias Gostomzyk, Daniel Moßbrucker
„Wenn Sie das schreiben, verklage ich Sie!“
Studie zu präventiven Anwaltsstrategien gegenüber Medien
OBS-Arbeitsheft 98*
Lutz Frühbrodt, Annette Floren
Unboxing YouTube
Im Netzwerk der Profis und Profiteure
OBS-Arbeitsheft 97*
Wolfgang Schroeder, Stefan Fuchs
Neue Mitglieder für die Gewerkschaften
Mitgliederpolitik als neues Politikfeld der IG Metall
OBS-Arbeitsheft 96*
Rainer Faus, Simon Storks
Im vereinten Deutschland geboren – in den Einstellungen gespalten?
OBS-Studie zur ersten Nachwendegeneration
OBS-Arbeitsheft 95* Bernd Gäbler
AfD und Medien
Erfahrungen und Lehren für die Praxis
OBS-Arbeitsheft 94*
Olaf Hoffjahn, Oliver Haidukiewicz
Deutschlands Blogger
Die unterschätzten Journalisten
OBS-Arbeitsheft 93* Michael Haller
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Tagesaktueller Journalismus zwischen Meinung und Information
OBS-Arbeitsheft 92* Bernd Gäbler
AfD und Medien
Analyse und Handreichungen
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Vorwort
Vorwort
In wenigen Wochen, am 3. Oktober, jährt sich die Wiedervereinigung Deutschlands zum 30. Mal – und auch der Tag der Deutschen Einheit feiert 2020 dieses Jubiläum. Unter der Schirmherrschaft des amtierenden Bundesratspräsidenten Dietmar Woidke lautet das Motto „Wir miteinander“. Dazu schreibt Woidke: „Wo Menschen sich einander zuwenden, besteht immer die Chance auf ein ,Wir‘“. Nun lässt sich allerdings nicht erst seit dem Erstarken der AfD – die schließlich nicht nur, aber insbesondere in Ostdeutschland in den vergangenen Jahren erhebliche Erfolge verzeichnen konnte – berechtigterweise fragen: Wenden sich Ost und West denn überhaupt einander zu, entwickelt sich tatsächlich ein „Wir“? Ist Deutschland nicht vielmehr auf dem Weg in eine neue „Teilung“ – wirtschaftlich, politisch, sozial, medial und kulturell? „Wenn man sich die offizielle Erinnerungskultur anschaut, dann konnte man lange den Eindruck bekommen, mit dem 3. Oktober 1990 ist die Geschichte im Grunde nach all den Katastrophen des 20. Jahrhunderts beendet. Der Tag markiert das nationale Happy-End“, kritisiert der Historiker Marcus Böick im SPIEGEL. Der real-existierende „graue Kuddelmuddel an verwickelten Ost-West-Konflikten“ passe jedoch nicht zu diesem Bild. Eine differenzierte Betrachtung der Entwicklungen seit der Wiedervereinigung, so lässt sich schlussfolgern, ist also dringend geboten. Die Otto Brenner Stiftung freut sich, mit einem Forscher*innenteam um Ayline Heller von der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz engagierte Wissenschaftler*innen für diese anspruchsvolle Aufgabe gewonnen zu haben. Ihre Studie nimmt dabei die Entwicklung der „Einheitsmentalität“ unter die Lupe. Die soziale und mentale Kohäsion von Ost und West sind – anders als die Tendenzen der wirtschaftlichen und politischen (Nicht-) Angleichung – bisher weitgehend unbearbeitet geblieben. Mit ihrer detaillierten Analyse des bisher größten Datensatzes von rund 10.000 Befragten zum Thema gelingt es den Autor*innen, die Entwicklung zum „Wir“, von 1990 bis heute, akribisch nachzuzeichnen. Erstmalig wird dabei in einer repräsentativen Untersuchung das Zusammen gehörigkeitsgefühl von West- und Ostdeutschen und die Bewertung der Wiedervereinigung aus breit gefächerter Perspektive untersucht: Neben der „klassischen“ Darstellung der Entwicklungen im Zeitverlauf wird dargelegt, wie sich die einzelnen Generationen in zentralen Fragen unterscheiden. Besonders herauszuheben ist zudem, dass die bisher im öffentlichen Diskurs kaum beachtete Gruppe der Binnenmigrant*innen – also diejenigen, die von Ost nach West (oder umgekehrt) gezogen sind – mit ihrem spezifischen Blick auf das Thema wissenschaftlich unter sucht werden. Die Ergebnisse geben Anlass für einen realistischen Optimismus: Alle Befunde deuten hin auf ein wachsendes Zusammengehörigkeitsgefühl über die Ost-West3
Mauer in den Köpfen?
„Grenze“ hinweg. So nimmt die Empfindung, der andere Teil Deutschlands sei „fremd“, mit der Zeit in allen Generationen aus Ost und West gleichermaßen ab. Ost- wie Westdeutsche sind immer häufiger der Meinung, dass der „eigene“ Landes teil vielleicht doch mehr profitiert hat als anfänglich gedacht – und der „andere“ vermutlich weniger. Die Daten ermöglichen es dabei auch, mit einigen gut gepflegten Vorurteilen aufzuräumen. So lief der Angleichungsprozess beim Blick auf die Wiedervereinigung auf westdeutscher Seite deutlich langsamer – bis in die 2000er Jahre wäre es angemessener gewesen, vom „Jammer-Wessi“ und nicht von seinem viel populäreren ostdeutschen Pendant zu sprechen. Getrübt wird das „Happy End“ allerdings dadurch, dass immer noch deut liche Vorbehalte und Entfremdungen vorhanden sind. So wird die Annäherung der Einschätzungen zur Wiedervereinigung primär durch die jüngeren Generationen vorangetrieben: Je älter die Befragten, so das Fazit, desto stabiler steht dieser Teil der Mauer noch. Dass es dabei nicht bleiben muss, zeigt allerdings die innovative Untersuchung der Binnenmigrant*innen. Die Ergebnisse zur „Einheitsmentalität“ dieser besonderen Gruppe zeigen sie als Vorreiter*innen der Wiedervereinigung und konstatieren einen originären „Wossi-Effekt“: Während sich bei denjenigen in Ost und West ohne Binnenmigrationserfahrung noch jede*r Fünfte den Bewohner*innen des je anderen Teils Deutschlands entfremdet fühlt, sind es im Fall der Binnenmigrierten nur halb so viele. Darüber hinaus ist die Bewertung der Wiedervereinigung in dieser Gruppe deutlich weniger polarisiert als bei den Befragten, die „ihren“ Landesteil nicht gewechselt haben. Zusammen mit weiteren Ergebnissen, beispielsweise zum förderlichen Einfluss der Bildung auf den Angleichungsprozess, lassen sich daraus Leitplanken für die nächsten Jahre bauen. Die notwendigen Maßnahmen zur wirtschafts- und sozialpolitischen Angleichung, so das Fazit von Stiftung und Autor*innen, sollten von (Bildungs-) Programmen zur Förderung des innerdeutschen Austausches flankiert werden. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen nachdrücklich, dass eine Sensibilisierung für die Pluralität der Erfahrungshintergründe die Kategorien „ostdeutsch“ und „westdeutsch“ aufzubrechen und das „Kuddelmuddel“ zu entwirren vermögen. Wird auf diesem Weg die Basis für ein demokratisches Miteinander gelegt, besteht ganz bestimmt auch „die Chance auf ein ,Wir‘.“
Jupp Legrand Geschäftsführer der OBS 4
Frankfurt am Main, im September 2020
Inhalt
Inhalt
1
Die Zeit nach dem Umbruch...................................................................................... 6
2 Forschungsstand...................................................................................................... 9 2.1 Studien zur Bewertung der deutschen Einheit..................................................................9 2.2 Oftmals vernachlässigt: Die „Binnenmigrant*innen“...................................................... 14
3 Methode................................................................................................................. 17 3.1 Datengrundlage und Vorgehen........................................................................................17 3.2 Die analysierte Stichprobe............................................................................................. 20
4
Annahmen und Hypothesen über das Verhältnis zwischen Ost und West...................23 4.1 Die Entwicklung des Fremdheitsempfindens................................................................... 23 4.2 Die Bewertung der Wiedervereinigung........................................................................... 23 4.3 Exkurs: Der Sozialismus als Idee................................................................................... 25 4.4 Stadt, Land, Studium? Soziodemographische und subjektive Einflussfaktoren................ 25 4.5 Auswirkungen der Binnenmigration...............................................................................26
5 Ergebnisse............................................................................................................. 28 5.1 Stetige Abnahme des Fremdheitsempfindens.................................................................28 5.2 Annäherung beim Blick auf die Wiedervereinigung......................................................... 30 5.2.1 „Der Osten profitiert mehr“................................................................................. 31 5.2.2 Die späte Einsicht des Westens........................................................................... 34 5.2.3 Der Mythos des „Jammer-Ossis“.......................................................................... 37 5.3 Exkurs: Kein „Revival“ des Sozialismus bei Jüngeren...................................................... 40 5.4 Die Binnenmigrant*innen als Vorbilder.......................................................................... 44 5.4.1 Wer sind die Binnenmigrant*innen?.................................................................... 45 5.4.2 Der „Wossi“-Effekt..............................................................................................48 5.4.3 Vorreiter*innen der Wiedervereinigung................................................................ 49
6
Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit.............................................................54
Anhang...................................................................................................................59
5
Mauer in den Köpfen?
1 Die Zeit nach dem Umbruch
Auch nach 30 Jahren deutscher Einheit spielen
sen haben (BMBF-Internetredaktion 2018). Die
die Aufteilung Deutschlands durch die Sieger-
Kluft zwischen Ost- und Westdeutschland in
mächte des Zweiten Weltkrieges, die daraus
Bezug auf die Zustimmung und Unterstützung
resultierende jahrzehntelange Existenz zwei-
rechtspopulistischer und -extremer Bewegun-
er deutscher Staaten sowie die Umbrüche der
gen und Parteien unterstreicht die Relevanz der
„Wende“-Zeit und Wiedervereinigung eine
Thematik zusätzlich (vergleiche beispielsweise
zentrale Rolle im kollektiven Selbstverständ-
Decker/Brähler 2018). Sie wird oft mit den Er-
nis der Bundesrepublik Deutschland. Dies
fahrungen der DDR sowie einem missglückten
lässt sich nicht nur durch die mediale Auf-
Vereinigungsprozess in Verbindung gesetzt,
bereitung der DDR-Zeit und der anschließen-
darf deshalb aber keinesfalls isoliert als „ost-
erfahrungen in Fernsehfilmen den Umbruch
deutsches Problem“ betrachtet werden.
und Serien, wie beispielsweise dem Oskar-
6
Innerhalb der aktuellen Forschung zur
prämierten Drama Das Leben der Anderen,
Ost-West-Thematik liegt einer der Schwerpunk-
der tragischen Komödie Good Bye Lenin oder
te auf der Untersuchung der wirtschaftlichen
der ARD-Serie Weissensee, belegen. Auch
Annährung der beiden deutschen Gebiete.
die wissenschaftliche und gesellschaftspoliti-
Diese strukturellen Differenzen, die in den ver-
sche Relevanz der Ereignisse, die durch den
gangenen Jahrzehnten zwar eine rückläufige
Mauerfall 1989 eingeleitet und formal mit dem
Tendenz aufwiesen, sind für die Bürger*innen
Beitritt der Deutschen Demokratischen Repu
der neuen Bundesländer nach wie vor „deutlich
blik zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Ok-
spürbar“ (Beauftragter der Bundesregierung
tober 1990 abgeschlossen wurden, wird durch
für die neuen Bundesländer 2018). Beispiels-
die jährlichen Berichte der Bundesregierung
weise stehen den ostdeutschen Haushalten,
zum Stand der deutschen Einheit sowie zahl-
gemessen am westdeutschen Einkommen,
reichen wissenschaftlichen Publikationen, die
immer noch nur 85 Prozent der Finanzmittel
sich mit den Nachwirkungen der DDR und der
zur Verfügung (ebd.). Zusätzlich ist die Arbeits
Wiedervereinigung beschäftigen, eindrück-
losenquote deutlich höher als in Westdeutsch-
lich deutlich (Brähler/Wagner 2014). Seit 2019
land und das Lohnniveau ist niedriger (ebd.).
werden vom Bundesministerium für Bildung
Hinzu kommt eine insgesamt geringere Wirt-
und Forschung 14 Forschungsverbünde mit
schaftskraft sowie eine geringere Forschungs-
bis zu 40 Millionen Euro über vier Jahre ge-
und Innovationsaktivität, welche zusammen
fördert, um Wissenslücken, die im Hinblick
mit der kleinteiligen Wirtschaftsstruktur die At-
auf die DDR-Vergangenheit noch immer be-
traktivität der neuen Bundesländer als Unter
stehen, zu schließen und Nachwirkungen in
nehmensstandort, aber auch als zukunfts
der heutigen Gesellschaft zu untersuchen, die
sicherer Lebensmittelpunkt, zusätzlich herab-
das DDR-System selbst sowie die anschlie-
setzt (ebd.). Auch in der Altersstruktur sowie
ßenden Transformationsprozesse hinterlas-
der Siedlungsdichte der neuen Bundesländer
Die Zeit nach dem Umbruch
machen sich Unterschiede bemerkbar. Der
vorbeigegangen sind. So wurden die großen
Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung
Erwartungen und Hoffnungen, die mit der
der neuen Bundesländer nimmt schneller zu
Wiedervereinigung verbunden waren, an vie-
als in Westdeutschland, und die Zahl der Ein-
len Stellen enttäuscht. Dies führte in einigen
wohner*innen insgesamt, aber vor allem die
Fällen zu einer melancholisch-idealisierten
der Erwerbsfähigen, nimmt stetig ab (ebd.).
Aufwertung der Zustände in der DDR, die unter
Dies liegt mitunter daran, dass die neuen Bun-
den Begriffen der DDR-Nostalgie oder Ostalgie
desländer weniger von der Zuwanderung von
Eingang in die öffentliche Debatte fanden
Fachkräften profitieren (ebd.). Hinzu kommt,
(Neller 2006). Eine Studie von Foroutan und
dass sich viele, zumeist junge Ostdeutsche ent-
Kolleg*innen (2019) ging so weit, die Erfah-
schließen, in die alten Bundesländer oder ins
rungen und Lebenschancen von Personen aus
Ausland zu migrieren, da sie sich dort bessere
Ostdeutschland mit denen von Migrant*innen
Lebens- und Arbeitsbedingungen erhoffen (sie-
zu vergleichen; beide Gruppen würden eine
he Abschnitt 2.2).
soziale und strukturelle „Chancen-Lücke“ er-
Neben diesen strukturellen Differenzen
leben. Im Bildungssystem, am Arbeitsmarkt,
zwischen alten und neuen Bundesländern ist
aber auch in sozialen Situationen würden sie
für die Bewertung der Entwicklung nach der
häufig ungleich behandelt und abgewertet.
Wiedervereinigung vor allem aber auch die
Auch wenn diese Position den spezifischen
Frage der wahrgenommenen Unterschiede
Kontext von Migrations- und Fluchterfahrun-
und ihrer Entwicklung, also die Frage nach
gen nivelliert, so scheint eine Beobachtung
der „Einheitsmentalität“, von Relevanz. Die
dennoch zutreffend zu sein: Die ostdeutsche
Wahrnehmung
Benachteiligung
Bevölkerung fühlt sich in ihrer Lebensrea-
kann gesellschaftliche Spaltungen begünsti-
lität nicht ernst genommen und gegenüber
gen und hat einen Einfluss auf verschiedene
der westdeutschen Bevölkerung häufig als
Verhaltensweisen, die das Zusammenleben
benachteiligt. Diese Ergebnisse werden auch
maßgeblich prägen – beispielsweise auf das
durch verschiedene aktuelle Studien gestützt,
Wahlverhalten, auf soziales Engagement, aber
die in Abschnitt 2.1 aufgegriffen werden.
sozialer
auch auf Gewalt gegenüber Andersdenkenden
Eine weitere Folge der Veränderungen, die
(siehe Abschnitt 2.1). Die Untersuchung eben
mit der Wiedervereinigung begannen: Die He-
dieser Einheitsmentalität ist das Ziel der vor-
rausbildung negativer Stereotype über „die
liegenden Studie.
Ostdeutschen“. Das bekannteste Beispiel
Bisherige Forschungsergebnisse zeigen,
dürfte das (häufig durch Westdeutsche ge-
dass der Systemumbruch der Wende und die
pflegte) Klischee des „Jammer-Ossis“ sein, der
von vielen als forciert erlebten Veränderun-
sich stets über die Zustände beklagt und als
gen im öffentlichen und privaten Raum nicht
faul, „abgehängt“ und rückschrittlich gilt. Auf
spurlos an den Menschen in Ostdeutschland
der anderen Seite werden die Westdeutschen
7
Mauer in den Köpfen?
8
im Zuge einer polarisierenden Klischeebildung
durch eine differenzierte Bestandsaufnahme
durch die Bewohner*innen der neuen Bundes-
der Entwicklungen der wahrgenommenen
länder zu „Besser-Wessis“ stilisiert, die als
Unterschiede zwischen beiden Bevölkerungs-
egoistisch und machtgierig gelten (Schmitt/
gruppen in den letzten 30 Jahren geleistet wer-
Montada 1999). Die Gruppenzugehörigkeit
den. Bisherige Studien, wie sie im nächsten
zum jeweiligen Bevölkerungsteil erweist sich
Abschnitt vorgestellt werden, haben die ost-
dabei als identitätsstiftend, während der je
deutsche mit der westdeutschen Perspektive
andere Teil als fremdartig diffamiert wird. Für
nur selten in Beziehung gesetzt. Außerdem
den demokratischen Gesellschaftszusammen-
wurden Kohorten- und Zeiteffekte (siehe Info-
halt ist die Akzeptanz verschiedener Gruppen-
kasten in Kapitel 2.1) noch nicht ausreichend
identitäten und ein Bewusstsein dafür, dass
differenziert. Diese Lücke zu schließen, ist
Individuen wenn überhaupt, dann niemals
das Ziel der vorliegenden Studie. Dafür wird
vollständig in diesen Gruppenidentitäten und
einer der bisher größten Datensätze zu dieser
-klischees aufgehen, jedoch zentral. Die Konti
Thematik analysiert, sodass solide Aussagen
nuität solcher Klischees in der ost- und west-
über die Entwicklung der Einheitsmentalität
deutschen Bevölkerung soll in dieser Studie
möglich werden.
Forschungsstand
2 Forschungsstand
2.1 Studien zur Bewertung der deutschen Einheit
ses Bundeslandes befasst (Landesregierung des Freistaats Thüringen 2019). Die Bewertung der deutschen Einheit spielt
Die Bewertung der deutschen Einheit sowie
in diesen Studien traditionell eine wichtige Rol-
das Fremdheitserleben zwischen den beiden
le. Neben Gefühlen individueller sozioökono-
deutschen Gebieten kann als Indikator für ei-
mischer Benachteiligung, sogenannter indivi-
nen demokratischen Zusammenhalt, wie er
dueller Deprivation, wird im Thüringen-Monitor
im vorherigen Abschnitt beschrieben wurde,
ein spezifisch ostdeutscher Typus kollektiver
herangezogen werden. Die Wahrnehmung der
Deprivationserfahrungen erfasst, der sich
Befragten steht dabei stets im Vordergrund, da
durch eine negative Bewertung der Wiederver-
sie das Erleben und somit deren „Stimmung“
einigung auszeichnet sowie durch die Wahr-
widerspiegelt. Im Folgenden werden deshalb
nehmung, Ostdeutsche würden von Westdeut-
zunächst die wichtigsten Studien zu diesem
schen als Menschen zweiter Klasse behandelt
Thema und deren zentrale Ergebnisse präsen-
(Reiser et al. 2018: 85). Personen, die in diese
tiert. Auch auf die Schwachstellen der einzel-
Kategorie fallen, zeigen eine erhöhte Gewalt
nen Untersuchungen wird eingegangen, um die
bereitschaft (ebd.: 94). Außerdem hat sich die-
Notwendigkeit einer differenzierten Analyse
se Wahrnehmung wiederholt als bedeutsamer
der Kohorten- und Zeiteffekte in der ost- und
Prädiktor (siehe Infokasten) für rechtsextreme
westdeutschen Bevölkerung zu verdeutlichen,
Einstellungen erwiesen (ebd.: 114).
wie sie die vorliegende Studie anstrebt. Bisherige Studien legten ihren Schwerpunkt zumeist darauf, dass viele Bewohner*innen der neuen Bundesländer sich benachtei-
Prädiktor
In der sozialwissenschaftlichen, psycholo-
ligt fühlen. So gaben in der von der FAZ in
gischen und medizinischen Forschung wird
Auftrag gegebenen Allensbach-Analyse zum
häufig versucht, individuelle und kollektive
20. Jahrestag des Mauerfalls immer noch mehr
Verhaltensweisen, wie Wahlverhalten, Ein-
als zwei Drittel der Ostdeutschen an, sich als
stellungen oder auch das Eintreten und den
„Bürger [sic] zweiter Klasse“ behandelt zu
Verlauf von Erkrankungen, vorherzusagen.
fühlen (Petersen 2009). Zu ähnlichen Ergeb-
Dafür werden Vorhersagevariablen heran-
nissen kommen auch Bevölkerungsumfragen,
gezogen, die als Prädiktoren bezeichnet
die regelmäßig in verschiedenen ostdeutschen
werden. Solche Prädiktoren können auf ver-
Bundesländern von den jeweiligen Landes
schiedenen Ebenen ansetzen. Nimmt man
regierungen in Auftrag gegeben werden.
rechtsextreme Einstellungen als Beispiel,
Eine der bekanntesten dieser Studien ist der
so können Prädiktoren auf individueller
Thüringen-Monitor, der sich seit 2000 mit den
Ebene beobachtet werden (z. B. Bildung,
politischen Einstellungen der Bevölkerung die-
Alter, Geschlecht oder Arbeitslosigkeits-
9
Mauer in den Köpfen?
erfahrungen der befragten Person), sie
zwischen objektiven wirtschaftlichen Entwick-
können Gruppenprozesse berücksichtigen
lungen in den neuen Bundesländern und dem
(z. B. den Einflussbereich rechtsextremer
subjektiven Erleben der eigenen Situation aus-
Gruppierungen) oder auf die politischen
einander (Ferchland 2004). Die Studienreihe
Kontextbedingungen abzielen (z. B. auf
untersucht seit der Vereinigung über mehrere
unterschiedliche Berichterstattung in den
Jahre hinweg die sozialen Veränderungen und
Medien). Manche Prädiktoren entfalten erst
Entwicklungen in den neuen Bundesländern
in Kombination mit anderen ihre volle Erklä-
aus einer dezidiert ostdeutschen Perspektive.
rungskraft, während andere ihren Vorher-
Die Forscher haben dabei unter anderem die
sagewert verlieren, sobald sie mit weiteren
Herausbildung einer Ost-Identität beobachtet,
Prädiktoren kombiniert werden.
die sich weder auf die geteilten DDR-Erfahrungen noch auf eine negative Bewertung der
10
Im Jahr 2019 wurde in Thüringen darüber hinaus
Wiedervereinigung reduzieren lässt. Vielmehr
eine spezifische Diskriminierungserfahrung er-
spielten die aktuelle Lebenssituation, individu-
hoben, die auf individuelle Benachteiligungs
elles und kollektives Deprivationserleben so-
situationen aufgrund der eigenen ostdeutschen
wie die geteilten Transformationserfahrungen,
Herkunft abzielten. Hier ergibt sich zusammen
insbesondere die weit verbreitete und lang
mit den kollektiven Deprivationserfahrungen
anhaltende Arbeitslosigkeit, für die Heraus
ein negativer Zusammenhang mit Demokratie-
bildung einer solchen Identität eine Rolle.
zufriedenheit; Befragte, die sich als Ostdeut-
Eine weitere für die Folgen und Bewer-
sche individuell wie kollektiv benachteiligt
tungen der deutschen Einheit relevante, groß
fühlten, waren auch weniger zufrieden mit dem
angelegte Studie ist die Sächsische Längs-
Funktionieren der Demokratie.
schnittstudie, die seit 1987, also bereits vor
Obwohl durch die regelmäßigen Erhebun-
Wende und Wiedervereinigung, eine Gruppe
gen der Monitore der verschiedenen neuen
damals 14-Jähriger begleitet und mittlerweile
Bundesländer interessante Zeitreihen ent-
zum 31. Mal zu politischen Einstellungen und
standen sind, die durch die Ähnlichkeit der
psychosozialen Gesichtspunkten befragt. Die
Frageformulierungen eine fundierte Daten-
Zahl der Teilnehmenden an der Studie schwankt
grundlage bilden, wurden die verschiedenen
von Erhebungswelle zu Erhebungswelle. Von
Erhebungszeitpunkte bisher jedoch nur selten
den ursprünglich 1.407 Schüler*innen nahmen
in Bezug zueinander gesetzt. Ein Vergleich zwi-
im letzten Jahr noch 322 Personen teil (Berth
schen den einzelnen ostdeutschen Bundeslän-
et al. 2019). Auch wenn sich die Zahl der Teil-
dern fehlt bisher weitestgehend, ebenso wie
nehmenden stark reduziert hat, bietet die Säch-
ein Vergleich mit der Einschätzung der west-
sische Längsschnittstudie durch ihr auf lange
deutschen Bevölkerung.
Zeiträume angelegtes Design die Möglichkeit,
Die Sozialreport-Folge unter der Leitung von
zeitliche Trends in der Bewertung der Vereini-
Gunnar Winkler setzte sich mit dem Verhältnis
gung einer über die Jahre identischen Gruppe
Forschungsstand
zu untersuchen und in Verbindung zu externen
dafür kriti siert, dass bei solch einer Be-
(sozial-)politischen Entwicklungen zu setzen.
trachtung positive Entwicklungen, seien sie
Die Befragten äußern eine durchweg hohe Zu-
wirtschaftlicher oder gesellschaftspolitischer
stimmung zur Wiedervereinigung, die zwischen
Art, häufig unter den Tisch fallen. So wird den
71 Prozent im Jahr 1991 und 91 Prozent im Jahr
neuen Bundesländern aufgrund der realsozia
2015 schwankt. Nichtsdestotrotz sehen die
listischen Vergangenheit ein progressiveres
Befragten den Prozess der Einheit noch nicht
Geschlechterrollenverständnis nachgesagt.
als abgeschlossen an. Auf die Frage, wie viele
Tatsächlich war und ist der sogenannte Gender
Jahre es noch dauern mag, bis die wirtschaft-
Pay Gap, also der Entgeltunterschied zwischen
liche und innere Einheit erreicht wird, werden
Männern und Frauen, in den neuen Bundeslän-
die von den Befragten angegebenen Zeiträume
dern deutlich geringer als in den alten. Zudem
seit 1990 kontinuierlich länger (ebd.). Auch die
bekleiden Frauen häufiger Führungspositionen
eigene Identität als Bürger*in der ehemaligen
und die Vollzeitbeschäftigung von Müttern ist
DDR sieht die Mehrheit der Teilnehmenden als
bedeutend weiter verbreitet, was unter an-
gegeben; 2016 stimmten knapp 92 Prozent der
derem auf die gute Infrastruktur der Kinder
Aussage „etwas“ oder „vollkommen“ zu: „Ich
betreuung zu DDR-Zeiten zurückgeführt wird,
fühle mich als BürgerIn [sic] der ehemaligen
die bis heute Auswirkungen zeigt (Bundes
DDR“ (ebd.). Darüber hinaus wird in der Säch-
ministerium für Familie, Senioren, Frauen und
sischen Längsschnittstudie auch die Selbstein-
Jugend – BMFSFJ 2015). Auch in Sachen Part-
schätzung als Gewinner*in oder Verlierer*in der
nerschaftsvorstellungen spricht sich die ost-
Einheit regelmäßig erfragt. Hier ergibt sich ein
deutsche Bevölkerung mit 55,3 Prozent häu-
interessantes Bild. Weibliche Befragte schätzen
figer für gleichgestellte Partnerschaften aus,
sich grundsätzlich weniger häufig als Gewinne-
in der beide Partner*innen gleichermaßen am
rinnen ein als die männlichen Befragten. Ost-
Einkommen beteiligt sind. In Westdeutschland
deutsche Frauen sehen sich in ihrer Position seit
sind es lediglich 43 Prozent (BMFSFJ 2015).
der Wiedervereinigung somit eher geschwächt,
Ostdeutsche Frauen hatten nach dem Ende der
was mit einem wahrgenommenen Verlust des
DDR in dieser Hinsicht also durchaus etwas zu
egalitäreren Rollenverständnisses einerseits,
verlieren – die oben angeführte Geschlechter-
sicher aber auch mit der hohen Frauenarbeits-
differenz spricht dafür, dass sie diesen Verlust
losigkeit direkt nach der Wiedervereinigung in
auch wahrgenommen haben.
den neuen Bundesländern zusammenhängen könnte (Booth 2010).
Insgesamt ist jedoch ein positiver Trend bei beiden Geschlechtern zu verzeichnen: Während
Dieser Befund verweist indirekt auch auf
2005 lediglich 32,2 Prozent der Frauen und
einen Kritikpunkt an der bisherigen Forschung
57,8 Prozent der Männer sich als Gewinner*in-
zur Wiedervereinigung, denn oftmals wird
nen der Einheit einstuften, sind es 2017/2018
der Vergleich zwischen den neuen Bundes
66,0 Prozent der Frauen und 80,7 Prozent der
ländern und dem „westdeutschen Standard“
Männer. Neben dem Geschlecht fanden sich 11
Mauer in den Köpfen?
in Abhängigkeit vom Messzeitpunkt auch ver-
der bewertet werden. Dabei soll analysiert wer-
schiedene andere Einflussfaktoren auf eine ne-
den, ob sich die Annäherungstendenzen, die auf
gative Bewertung der Einheit, die auch in die-
wirtschaftlich-struktureller Ebene zu vermerken
ser Studie Berücksichtigung finden (siehe Ab-
sind, auch auf die Einstellungsebene und in
schnitt 4.4). Die Wahrnehmung als Verlierer*in
den Wahrnehmungen der Bürger*innen nieder
der Einheit hatte ihrerseits Auswirkungen auf
schlagen. Es soll nicht nur darauf eingegangen
viele private und politische Lebensbereiche,
werden, wie die Nachwirkungen der Vereinigung
unter anderem auf die eigene Wahrnehmung
für den je eigenen Teil Deutschlands bewertet
als Bundesbürger*in – ein wichtiger Indika-
werden, sondern vor allem auch, wie die Ent-
tor für den gesellschaftlichen Zusammenhalt
wicklung im je anderen Teil gesehen wird.
zwischen den beiden Teilen Deutschlands (vgl. Berth et al. 2014a; Berth et al. 2019).
verfolgen zu können, ist es in diesem Kontext
Auch wenn diese Analysen Anhaltspunkte
außerdem von Interesse, als wie fremd die
für mögliche zeitliche Trends sowie Einflussfak-
Bewohner*innen des je anderen Teil Deutsch-
toren auf die Bewertung der deutschen Einheit
lands gesehen werden. Dies dient als Indikator
geben, liegt der Fokus der Sächsischen Längs-
für den wahrgenommenen gesellschaftlichen
schnittstudie wie auch derjenige der Monitore
Zusammenhalt. Ein hohes Fremdheitsempfin-
der Landesregierungen ausschließlich auf der
den gegenüber der Bevölkerungsgruppe des je
Sichtweise der Bürger*innen der neuen Bun-
anderen Teils Deutschlands spricht dafür, dass
desländer. Faus und Storks (2019) setzen in
die ost- und westdeutsche Gruppenidentität
ihrer Studie hingegen die westdeutsche Per-
immer noch als starker Bezugspunkt dient und
spektive mit der ostdeutschen in Beziehung.
ein demokratischer Zusammenhalt durch die
In einer Befragung der Nachwendegeneration
wahrgenommene Ungleichheit dieser beiden
(also der 1989 und später Geborenen) konnten
Gruppen erschwert wird.
die Autoren zeigen, dass 74 Prozent der west-
12
Um den Prozess der Annäherung nach-
Zuletzt wird im Sinne einer historisch-
deutschen und 61 Prozent der ostdeutschen
gesellschaftspolitischen Analyse in Form eines
Teilnehmenden die Wiedervereinigung insge-
Exkurses die Einstellung gegenüber dem Sozia
samt als gelungen empfinden (Faus/Storks
lismus als Idee untersucht. Eine umfassende
2019). Es verbleiben jedoch immer noch Unter-
Studie von Opp (2019) konnte zeigen, dass die
schiede in der Wahrnehmung der wirtschaft-
Zustimmung zum Sozialismus bei älteren Ge-
lichen Situation und in den Einstellungen zu
burtsjahrgängen am höchsten ist und bei den
Politik und Gesellschaft.
Jüngeren stetig abnimmt. Durch die Erfolge poli
Gegenstand der vorliegenden Unter
tisch linksgerichteter Strömungen in verschie-
suchung ist es deshalb, im Zeitverlauf zu be-
denen westlichen Ländern insbesondere unter
trachten, wie die Auswirkungen der deutschen
jungen Menschen (z. B. Sanders in den USA,
Einheit für die alten wie die neuen Bundeslän-
Mélechon in Frankreich, Corbyn in England und
Forschungsstand
nicht zuletzt, wenn auch deutlich schwächer,
kungen solcher Ereignisse können über die
Kühnert hier in Deutschland) ist nicht auszu-
Zeit abnehmen oder bedingt durch andere
schließen, dass eine Wiederhinwendung zum
Faktoren an Einfluss im Leben der Betrof-
Sozialismus als Staatsidee vor allem in den jün-
fenen gewinnen. Das Erleben bestimmter
geren Geburtsjahrgängen stattgefunden hat.
Ereignisse sowie deren Bearbeitung im
Dieses Wiedererstarken des Sozialismus als
Verlauf der Zeit werden hier als Zeiteffekte
Idee in der sogenannten „Nachwendegenera
zusammengefasst.
tion“ wird in der vorliegenden Studie unter-
Angehörige verschiedener Geburtsjahrgän-
sucht. Eine hohe Zustimmung zum Sozialismus
ge können jedoch von solchen Ereignissen
wird dabei auch als Indiz einer hohen Identifika-
in unterschiedlicher Weise betroffen sein.
tion mit einigen Aspekten des Systems der da-
Sie werden in der Forschung deshalb häu-
maligen DDR bzw. deren Grundsätzen gewertet.
fig zu sogenannten Kohorten, also Gruppen
Ein besonderes Augenmerk gilt demnach
von nahe beieinanderliegenden Geburts-
neben dem Zeitverlauf auch den verschiedenen
jahrgängen, zusammengefasst. Differen-
Alterskohorten. Es wird dabei die Fragestellung
zen, die auf der Zugehörigkeit zu solchen
untersucht, ob zusätzlich zum zeitlichen Effekt
Geburtsjahrgängen beruhen, werden ent-
über verschiedene Messzeitpunkte hinweg,
sprechend als Kohorteneffekte bezeichnet.
Kohorteneffekte in den Einstellungen der Be-
Ein aktuelles Beispiel: Die globale Pande-
fragten vorliegen (siehe Infokasten). Die Ergeb-
mie, die durch das SARS-CoV-2 Virus verur-
nisse der Studie zur Nachwendegeneration von
sacht wurde, wird unser Leben und unsere
Faus und Storks (2019) sollen so um weitere
Wahrnehmung noch lange beeinflussen.
Generationen ergänzt werden und einen Ver-
Mit der Zeit werden wir uns an diese Aus-
gleich zwischen diesen ermöglichen. Annähe-
wirkungen gewöhnen und zu einer gewis-
rungstendenzen in den jüngeren Generationen
sen Normalität zurückkehren (Zeiteffekt).
würden dabei für eine positive Entwicklung
Unterschiedliche Geburtsjahrgänge waren
der Transformationsprozesse in der Folge der
und sind von den Auswirkungen in unter
Wiedervereinigung sprechen.
schiedlicher Weise betroffen. So ist es beispielsweise nicht unwahrscheinlich, dass die heute über 60-Jährigen, die un-
Zeit- und Kohorteneffekte
Einschneidende gesellschaftliche Ereignis-
ten, andere Auswirkungen erlebten, als die
se prägen unser Leben und Erleben maß-
jüngeren Kohorten, die über längere Zeit
geblich mit. Äußere Faktoren wie Kriege,
nur ein eingeschränktes Bildungsangebot
Pande mien, Wirtschaftskrisen und viele
wahrnehmen konnten oder die Berufstäti-
mehr beeinflussen die Menschen zunächst
gen, die ihre Arbeit aufs Homeoffice verle-
unabhängig von ihrem Alter. Die Nachwir-
gen mussten (Kohorteneffekt).
ter Besuchsverboten von Angehörigen lit-
13
Mauer in den Köpfen?
Zusätzlich zu Zeit- und Kohorteneffekten
2018 wanderten immerhin knapp 3,8 Millionen
werden häufig auch Alterseffekte differen-
Menschen aus den neuen Bundesländern in die
ziert. Diese beziehen sich auf allgemeine
alten; ca. 2,5 Millionen zogen vom Westen in
Alterungsprozesse, die Personen unabhän-
den Osten (siehe Abbildung 1).
gig von äußeren Bedingungen oder deren
Der Faktor der innerdeutschen Mobilität ist
Zugehörigkeit zu bestimmten Geburtsjahr-
bei der Beurteilung der Einstellungsunterschie-
gängen betreffen. Eine Verschlechterung der
de zwischen ost- und westdeutscher Bevölke-
Seh- und Erinnerungsfähigkeit im Alter kann
rung nicht ohne Bedeutung. So spielt für die
als anschauliches Beispiel für solche Prozes-
Herausbildung von Einstellungen nämlich nicht
se dienen. In der vorliegenden Studie wur-
nur die derzeitige sozioökonomische Situation
den Alterseffekte nicht separat untersucht.
eine wichtige Rolle, bestimmt durch strukturelle Merkmale wie Wohnortsgröße, Berufstätigkeit
2.2 Oftmals vernachlässigt: Die „Binnenmigrant*innen“
14
oder Bildungsabschluss. Auch der je individuelle, kulturell bedingte Sozialisationshintergrund prägt die persönlichen Einstellungen bekann-
Eine Gruppe, die in der öffentlichen Debatte
termaßen mit (Adorno et al. 1950). Die Betrach-
zwar vereinzelt betrachtet, jedoch bisher nicht
tung binnenmigratorischer Prozesse kann somit
systematisch berücksichtigt wird, ist die Grup-
Aufschluss darüber geben, in welcher Weise die
pe derer, die ihren Wohnsitz von einem Teil
betrachteten Einstellungsaspekte durch die
Deutschlands in den anderen verlegt hat. Diese
aktuelle Situation sowie den Sozialisations
„Wossis“ bringen einen ganz eigenen Erfah-
hintergrund beeinflusst werden. Obwohl ein
rungshintergrund mit sich; ihr Blick auf die deut-
nicht kleiner Anteil der in Ost- beziehungsweise
sche Einheit ist nicht nur geprägt von den Erfah-
Westdeutschland Lebenden die Kindheit und Ju-
rungen im jeweiligen System ihrer Kindheit und
gend im jeweils anderen Teil Deutschlands ver-
Jugend. Viele Binnenmigrant*innen teilen außer-
bracht hat, wurde dieser Faktor in bisherigen
dem die Erfahrung „fremd im eigenen Land“ zu
Studien kaum berücksichtigt.
sein; so wurden ehemalige DDR-Bürger*innen
Die wenigen Studien, die sich mit innerdeut-
in Westdeutschland nicht selten als Konkur-
scher Migration auseinandergesetzt haben, nah-
renz auf dem Arbeitsmarkt gesehen, während
men dabei hauptsächlich Ost-West-Migrant*in-
die Westdeutschen in den neuen Bundeländern
nen in den Blick, während die West-Ost-
häufig als besserwisserische Eindringlinge er-
Migrant*innen bisher kaum Beachtung fanden.
lebt wurden. Die vorliegende Studie untersucht
Dies kann daran liegen, dass die Wanderung von
die Einstellungen dieser Gruppe zur deutschen
Ost- nach Westdeutschland zahlenmäßig über-
Einheit erstmals systematisch im Zeitverlauf
wiegt und stärker mit wirtschaftlichen und so-
der letzten 30 Jahre und leistet somit einen
zialen Folgen verknüpft wurde. Direkt nach der
Beitrag dazu, die Kategorien „Ost-“ und „West-
Öffnung der Grenzen kam es durch die massive
deutsche“ zu differenzieren. Zwischen 1991 und
Abwanderung qualifizierter junger Menschen zu
Forschungsstand
einem sogenannten Humankapitalverlust (brain
und 1989, können Ursache für einen Umzug sein
drain), der aber bereits 1999, spätestens jedoch
(Berth et al. 2007).
2001 weitgehend rückläufig war (siehe Abbil-
Die prominenteste und ausführlichste
dung 1 und vgl. Kempe 1999). Nichtsdestotrotz
Studie zu Einstellungen von Ost-West-Binnen-
fiel das Wanderungssaldo zwischen Ost- und
migrant*innen stellt auch hier die Sächsische
Westdeutschland bis 2016 immer zuungunsten
Längsschnittstudie dar, bei der je nach be-
der neuen Bundesländer aus. 2017 zogen zwar
trachteter Erhebungswelle etwa 20 bis 25 Pro-
erstmalig mehr Menschen von Westdeutschland
zent der ostdeutschen Teilnehmer*innen in den
nach Ostdeutschland als umgekehrt, trotzdem
alten Bundesländern lebten (Berth et al. 2007).
verzeichnen einzelne Bundesländer, wie Thürin-
Insgesamt ergaben die Analysen, dass sich die
gen und Sachsen-Anhalt, nach wie vor deutliche
Ost-West-Migration für die Teilnehmer*innen
Binnenwanderungsverluste (Bundesinstitut für
positiv auswirkte. Sie zeichneten sich durch
Bevölkerungsforschung 2020a). Als Haupt
eine höhere Zufriedenheit mit dem politischen
ursachen für die ost-/westdeutsche Migration
und wirtschaftlichen System aus und zeigen
werden die besseren Arbeitsbedingungen im
weniger häufig als die im Osten Gebliebenen
Westen angeführt. Aber auch persönliche und
psychische Belastungssymptome. Die meisten
politische Gründe, wie der Nachzug von Part-
Befragten fühlen sich in den alten Bundeslän-
ner*innen und Familie beziehungsweise die
dern wohl; Rückkehrabsichten werden selten
politische Verfolgung in der DDR zwischen 1948
geäußert (Berth et al. 2014b). In einer Betrach-
Abbildung 1
Wanderung zwischen den ost- und westdeutschen Bundesländern (ohne Berlin, 1991 bis 2018) 250.000
150.000
Umzüge von Ost nach West
100.000
Umzüge von West nach Ost
50.000
19 93 19 95 19 97 19 99 20 01 20 03 20 05 20 07 20 09 20 11 20 13 20 15 20 17
0
19 91
Anzahl Personen
200.000
Jahr Quelle: Eigene Darstellung nach Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2020b).
15
Mauer in den Köpfen?
tung der Gruppenidentität zeigte sich, dass
weisen die West-Ost-Migrant*innen die posi
die Nichtmigrant*innen häufiger angaben,
tivsten Gruppenstereotype auf, wobei die
sich als Bürger*innen der ehemaligen DDR
Fremdgruppe, also die ostdeutsche Bevölke-
zu fühlen, während die im Westen Lebenden
rung, eine klare Aufwertung erfuhr und als be-
sich häufiger als Bundesbürger*innen sahen
sonders sympathisch wahrgenommen wurde.
(Berth et al. 2007). Ob diese Einstellungen für
Die Erwartungen der West-Ost-Migrant*innen
die betrachtete Kohorte beziehungsweise das
wurden in dieser Hinsicht übertroffen. Im Ge-
untersuchte Bundesland spezifisch ist, kann
gensatz dazu neigten die Personen, die aus Ost-
anhand der Daten nicht überprüft werden. Die
deutschland nach Westdeutschland migrierten
Ergebnisse können nichtsdestotrotz als solide
eher zur Aufwertung ihrer Herkunftsgruppe –
Grundlage für die vorliegende Studie gesehen
also der Ostdeutschen.
werden, welche die Einstellungen von Binnen-
In der vorliegenden Studie gilt es deshalb
migrant*innen verschiedener Geburtsjahrgän-
herauszufinden, welchen der beiden Bevölke-
ge aus unterschiedlichen Ursprungsregionen
rungsgruppen, den Ost- oder den Westdeut-
untersucht und es somit ermöglicht, allgemei-
schen, die beiden Binnenmigrationsgruppen
ne Trends in den betrachteten Einstellungs
in ihren Einstellungen eher ähneln. Stimmen
dimensionen aufzudecken.
sie bei der Bewertung der Wiedervereinigung
Eine Studie von Albani und Kolleg*innen
eher mit der Herkunftsgruppe oder mit der
(2007) versuchte, diese Ergebnisse der Säch-
Gruppe ihrer aktuellen Region überein? Über-
sischen Längsschnittstudie mit den Erfahrun-
spitzt gefragt: Ist der „Wossi“ eher „Wessi“ oder
gen der West-Ost-Migrant*innen in Verbindung
„Ossi“ – oder tatsächlich von beiden verschie-
zu bringen. Dafür wurden 202 West-Ost- und
den? Die Beantwortung dieser Frage ermöglicht
200 Ost-West-Migrant*innen zu ihrer Gruppen
außerdem Rückschlüsse darüber, ob eher die
identität sowie verschiedenen Aspekten psy-
Sozialisation oder die aktuelle Situation eine
chischer Gesundheit befragt. Insgesamt wur-
Rolle bei der Bewertung spielt. Wie ist der demo
den beide Migrationserfahrungen als positiv
kratische Zusammenhalt in Deutschland aus
beschrieben, wobei die Ost-West-Migrant*in-
Sicht der Binnenmigrant*innen zu bewerten?
nen sich besser integriert fühlten sowie weni-
Die Betrachtung der Einstellungen der Bin-
ger Rückkehrintentionen äußerten. Dies könnte
nenmigrant*innen ermöglicht somit eine tie-
auch mit den Gründen der West-Ost-Migration
fergehende Analyse der Faktoren, die auf die
zusammenhängen. Diese war meist beruflich
Bewertung der Wiedervereinigung Einfluss
bedingt und weniger bereitwillig als im Falle
nehmen. So kann die Pluralität unserer Gesell-
der Ost-West-Migration. Interessanterweise
schaft stärker berücksichtigt werden.
1
1 Auch wenn die Mehrheit aller Binnenmigrant*innen den Wechsel nach eigener Aussage „gerne“ auf sich nahmen, gaben mehr Westdeutsche an, „sehr ungern“ in den Osten umgezogen zu sein als dies bei den Ost-West-Migrant*innen der Fall war.
16
Methode
3 Methode
Das Projekt zielt auf eine Analyse konstanter
stellungen interviewt. Die Interviews finden
und variabler Aspekte bestehender Einstel-
mündlich-persönlich, zunächst in Form von
lungsunterschiede in der ost- und westdeut-
klassischen Papierfragebögen, seit 2000 als
schen Bevölkerung, die durch eine Auswertung
computergestützte Befragungen mit dem
der Daten der Allgemeinen Bevölkerungsum-
Laptop statt. Dabei sind die Themen größten-
frage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) rea-
teils politischer und soziologischer, teilwei-
lisiert wird. Durch eine differenzierte Betrach-
se psychologischer Natur. Oft werden auch
tung verschiedener Alterskohorten zu unter-
Fragen zu aktuellen gesellschaftspolitischen
schiedlichen Messzeitpunkten kann nicht nur
Themen aufgenommen.
ein detailliertes Bild der jeweils bestehenden
Die Auswahl der Befragten erfolgte mithil-
Unterschiede geschaffen werden. Es wird
fe mehrstufiger Auswahlverfahren, sodass ein
dem verdeutlicht, in welche Richtung außer
Höchstmaß an Zufälligkeit der Stichprobenzie-
sich die jeweiligen Geburtsjahrgänge in den
hung und damit auch an Repräsentativität der
letzten 30 Jahren entwickelt haben.
Stichprobe zu erwarten ist. Durch den langen
Darüber hinaus wird, wie erwähnt, eine
Erhebungszeitraum und die sorgfältige Durch-
systematische Aufschlüsselung der Bedeut-
führung der Befragung unter Verwendung ähn
sierung in samkeit der stereotypen Kategori
licher oder gleicher Items (siehe Infokasten)
„Ostdeutsche“ beziehungsweise „Westdeut-
sind mit der ALLBUS-Untersuchung Zeitreihen
sche“ ermöglicht, indem Binnenmigrant*in-
entstanden, die Vergleiche über lange Zeit
nen separat betrachtet werden. Dadurch kön-
räume ermöglichen und sich deswegen in be-
nen sozialisations- und situationsbedingte
sonderem Maße für empirische Sozial- und
Einstellungsunterschiede verfeinert betrach-
Einstellungsforschung eignen.
tet werden.
3.1 Datengrundlage und Vorgehen Grundlage der Untersuchung bilden, wie erwähnt, Daten der ALLBUS, die 1980 erstmalig durchgeführt wurde. Das Vorhaben wurde zunächst von der DFG in Form von Einzelanträgen gefördert und wird seit 1986 in Kooperation mit der Gesellschaft für Sozial
Item
In der empirischen Sozialforschung werden Einstellungen und Merkmale anhand von Fragen, Aufgaben oder in Form einer Zustimmung zu bestimmten Aussagen gemessen. Diese einzelnen Elemente von Fragebögen werden als Items bezeichnet.
wissenschaften (GESIS) realisiert. In dieser Umfrage, die alle zwei Jahre stattfindet,
In der vorliegenden Untersuchung wurden Da-
werden erwachsene Personen ab 18 Jahren
ten von vier verschiedenen Messzeitpunkten
mit Wohnsitz in Deutschland zu ihren Ein-
aus den letzten 30 Jahren (1991, 2000, 2010
17
Mauer in den Köpfen?
und 2018) ausgewertet, um den Verlauf von
Folgende vier Fragebogenitems wurden für die
Einstellungsunterschieden nachzuvollziehen
Analyse berücksichtigt:
(GESIS-Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften 2011, 2012, 2014, 2019). Da nicht alle
1. Einstellung zum jeweils anderen Teil
Items zu allen Zeitpunkten erhoben wurden,
Deutschlands: Dies wird durch das Item
war eine einheitliche Auswahl der Intervalle
„Die Bürger im anderen Teil Deutschlands
der auszuwertenden Messungen nicht im-
sind mir in vielem fremder als die Bürger
mer möglich. Es wurde jedoch ein möglichst
anderer Staaten“ operationalisiert. 2. Einstellung zur Wiedervereinigung: Hier
gleichmäßiger Abstand angestrebt. Außerdem wurden acht Alterskohorten
werden die beiden Items
nach Geburtsjahrgängen im Zehnjahresab-
a. „Die Wiedervereinigung hat für die Bürger
stand gebildet (bis 1930, 1931-1940, 1941-1950,
in den alten Bundesländern mehr Vorteile
1951-1960, 1961-1970, 1971-1980, 1981-1989
als Nachteile gebracht“
und nach 1989), um Unterschiede in verschie-
b. „Die Wiedervereinigung hat für die Bürger
denen Geburtsjahrgängen aufzudecken. Auf
in den neuen Bundesländern mehr Vorteile
diese Weise können Unterschiede zu den ein-
als Nachteile gebracht“ untersucht.
zelnen Messzeitpunkten sowie Verläufe über
3. Einstellung zum Sozialismus als Idee: Dies wird durch das Item „Der Sozialismus ist
die Zeit hinweg analysiert werden. Zusätzlich zur Auswertung nach Wohn gebiet (alte vs. neue Bundesländer ) wurde 2
im Grunde eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde“ abgebildet.
auch das Phänomen der Binnenmigration unter die Lupe genommen. Die Identifizierung
Alle vier Items werden von den Befragten auf
von Binnenmigrant*innen erfolgte durch die
einer vierstufigen Skala von „stimme gar nicht
Verwendung einer zusätzlichen Variable, die
zu“ bis „stimme voll zu“ beantwortet.
entweder bereits im Datensatz vorhanden war
Auf diese Weise können Unterschiede in
oder anhand der Angaben zum Wohnort der
der Zustimmungsrate abgebildet werden. Da-
Jugend beziehungsweise Geburtsort und zum
rüber hinaus erfolgt eine statistische Signi
aktuellen Wohnort berechnet wurde. In die-
fikanzprüfung anhand von Mittelwertver-
ser Analyse wurden die Gruppe der nicht in
gleichen (siehe Kasten). Da es sich bei der
Deutschland Geborenen sowie derjenigen, die
Stichprobe um einen vergleichsweise großen
keinen Geburtsort angegeben hatten, somit
Datensatz handelt, ist es aus statistischen
nicht miteinbezogen.
Gründen nicht ungewöhnlich, dass auch klei-
2 Westberlin wurde hierbei den alten, Ostberlin den neuen Bundesländern zugeordnet.
18
Methode
ne Unterschiede in den Zustimmungswerten zu
tensatz handelt, weisen die angewandten
einem signifikanten Ergebnis führen. Aufgrund
Methoden eine starke statistische Power
dieses Sachverhaltes sowie zur Erhöhung der
auf, d. h. selbst kleinste Unterschiede zwi-
Vergleichbarkeit werden in der Auswertung
schen den Gruppen werden aufgedeckt
zusätzlich zur Signifikanz zwei weitere Maße
und führen zu signifikanten Ergebnissen.
berücksichtigt, die eine Unterscheidung zwi-
Es reicht also nicht zu konstatieren, dass
schen kleinen, mittleren und großen Effekt er-
ein Unterschied nicht-zufällig (also statis-
möglichen – also eine Aussage treffen können,
tisch signifikant) ist, es ist auch von Inte
wie stark der festgestellte Einfluss ist (siehe
resse, wie relevant er ist. Um die Stärke der
Kasten).
aufgedeckten Effekte (beispielsweise des Unterschieds von Ost- und Westdeutschen
bezüglich einer bestimmten Frage) einord-
Statistische Signifikanz & Effektstärken
nen und vergleichen zu können bedarf es
signifikanter Gruppenunterschiede
deshalb sogenannter Effektstärkemaße. Die beiden Maße, Cohen’s d und das par-
Beobachtete Gruppenunterschiede kön-
tielle η² haben sich dabei als Standards
nen sich in der quantitativ-empirischen
etabliert. Beide Größen erlauben Rück-
Forschung aus zwei Quellen speisen: Einer-
schlüsse auf die Bedeutsamkeit und die
seits treten zufällig Schwankungen in der
Relevanz der beobachteten Unterschiede.
Beantwortung bestimmter Items auf, ande-
Dabei wird nach Cohen (1988) von einem
rerseits können tatsächliche Unterschie-
kleinen Effekt gesprochen, wenn d über
de zwischen den betrachteten Gruppen
0,2 liegt. Bei Werten ab 0,5 spricht man
auftreten, im vorliegenden Fall also den
von mittleren Effekten, während Werte ab
Bewohner*innen in Ost- und Westdeutsch-
0,8 als große Effekte interpretiert werden.
land. Wenn die Wahrscheinlichkeit, dass
Für das partielle η² gelten Werte ab 0,01
beobachtete Gruppenunterschiede nur auf
als kleiner Effekt, ab 0,06 wird von einem
den Zufall zurückzuführen sind, besonders
mittleren Effekt ausgegangen und Werte
klein ist (als Grenzwerte werden hier meist
über 0,14 gelten als großer Effekt.
fünf oder ein Prozent gewählt), spricht man
Im Ergebnisteil wird auf diese Einordnung
von statistischer Signifikanz.
Bezug genommen, indem erwähnt wird, ob
Die in der vorliegenden Studie verwende-
es sich um einen kleinen, mittleren oder
ten inferenzstatistischen Methoden sind
großen Effekt handelt. Die konkreten Zah-
jedoch stark von Stichprobengrößen ab-
len können bei Bedarf bei den Autor*innen
hängig. Da es sich bei der untersuchten
angefordert werden.
Stichprobe um einen besonders großen Da-
19
Mauer in den Köpfen?
In einem letzten Schritt wird der Einfluss
bar, ob die beobachteten Unterschiede und
soziodemographischer Daten wie Geschlecht,
ihre jeweiligen Effektstärken bestehen bleiben
Bildungsgrad und Gemeindegröße auf die
und tatsächlich auf Unterschiede zwischen
einzelnen Items berücksichtigt. Damit ist ge-
Ost- und Westdeutschen zurückgeführt werden
meint, dass auch nach der Feststellung von
können – oder ob andere Strukturvariablen ei-
Unterschieden zwischen Ost und West – z. B.
nen maßgeblichen Beitrag zur Erklärung von
in der Bewertung der Wiedervereinigung – und
Einstellungsunterschieden leisten.
nach der Feststellung, dass diese Unterschiede statistisch signifikant (also nicht zufällig) und relevant sind, immer noch andere Einflussgrö-
3.2 Die analysierte Stichprobe
ßen möglich sind. So könnte es beispielsweise
Zu den vier Messzeitpunkten nahmen insge-
sein, dass eine weitere Ursache für die fest-
samt 11.561 Personen an der Befragung teil.
gestellten Unterschiede in der Tatsache liegt,
Damit handelt es sich um einen der größten
dass Frauen im Osten anders über die Wieder-
Datensätze, die bisher zu dieser Fragestellung
vereinigung denken als Frauen im Westen. Um
ausgewertet wurden. Da die Fragen einzeln
also zu verhindern, dass die festgestellten Dif-
ausgewertet wurden, konnten nur die Perso-
ferenzen gar keinen Ost-West-Unterschied dar-
nen berücksichtigt werden, die mindestens ei-
stellen, sondern z. B. einen Frau-Mann-Effekt,
nes der relevanten Items beantwortet hatten.
müssen diese Möglichkeiten durch bestimmte
191 Personen mussten somit aufgrund fehlen-
statistische Mittel kontrolliert werden. Im Sin-
der Werte von der Auswertung ausgeschlossen
ne einer kritischen Überprüfung wird durch
werden. Dadurch ergab sich für die Hauptana-
eine Kontrolle dieser Variablen also erkenn-
lyse eine Gesamtstichprobengröße von 11.370
Tabelle 1
Anzahl der Befragten aus Ost- und Westdeutschland zu den einzelnen Messzeitpunkten
Messzeitpunkt
Gesamt
Ost
West
1991
3.037 (100 %)
1.536 (50,6 %)
1.501 (49,4 %)
2000
2.160 (100 %)
767 (35,5 %)
1.393 (64,5 %)
2010
2.781 (100 %)
864 (31,1 %)
1.917 (68,9 %)
2018
3.392 (100 %)
1.072 (31,6 %)
2.320 (68,4 %)
11.370 (100 %)
4.239 (37,3 %)
7.131 (62,7 %)
Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018). Eigene Darstellung.
20
Methode
(siehe Tabelle 1). Für die Analysen wurden im-
repräsentiert.3 Dies stellt eine der Stärken des
mer all jene Personen berücksichtigt, die die
Datensatzes dar, da die hohe Fallzahl genutzt
jeweilige Fragestellung bearbeitet hatten. Alle
werden kann, um besonders aussagekräftige
Prozentangaben im Ergebnisteil beziehen sich
Ergebnisse auch für die ostdeutsche Bevölke-
demnach auf die gültigen Antworten.
rung zu erzielen.
Über die Erhebungszeitpunkte hinweg
Die Analyse der soziodemographischen
schwankte die Zahl der Teilnehmenden zwi-
Daten ergab, dass insgesamt 51,0 Prozent
schen 2.160 im Jahr 2000 und 3.392 im Jahr
der Befragten weiblich waren, der Rest war
2018. Dabei hatten insgesamt 7.131 Personen
männlich. Das mittlere Alter über alle Befra-
(62,7 Prozent) ihren Wohnsitz in den alten
gungen hinweg betrug 48,55 Jahre, wobei das
und 4.239 Personen (37,3 Prozent) in den
Durchschnittsalter bei den späteren Mess
neuen Bundesländern. Die Bevölkerung der
zeitpunkten ebenso wie das Durchschnitts
ostdeutschen Bundesländer ist somit über
alter der Gesamtbevölkerung in Deutschland
Tabelle 2
Verteilung der Alterskohorten in der ost- und westdeutschen Bevölkerung
Geburtskohorten
Gesamt
Ost
West
bis 1930
1.099 (9,7 %)
463 (10,9 %)
636 (8,9 %)
1931 bis 40
1.464 (12,9 %)
617 (14,6 %)
847 (11,9 %)
1941 bis 50
1.727 (15,2 %)
690 (16,3 %)
1.037 (14,5 %)
1951 bis 60
2.243 (19,7 %)
941 (22,2 %)
1.302 (18,3 %)
1961 bis 70
2.305 (20,3 %)
789 (18,6 %)
1.516 (21,3 %)
1971 bis 80
1.222 (10,7 %)
368 (8,7 %)
854 (12,0 %)
1981 bis 89
841 (7,4 %)
275 (6,5 %)
566 (7,9 %)
nach 1989
451 (4,0 %)
95 (2,2 %)
359 (5,0 %)
Keine Angabe
18 (0,2 %)
4 (0,1 %)
14 (0,2 %)
11.370 (100 %)
4.239 (100 %)
7.131 (100 %)
Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018). Eigene Darstellung.
3 Laut Statistischem Bundesamt (2019a) lebten im Jahr 2018 ca. 80,5 Prozent der Bevölkerung in den alten Bundesländern, während es in den neuen Bundesländern entsprechend weniger als 20 Prozent waren.
21
Mauer in den Köpfen?
22
(2018: 44,4 Jahre) zunahm, jedoch insgesamt
geboren zu sein und nun im Westen zu leben.
aufgrund des Befragungsalters ab 18 Jahren
Im Falle der West-Ost-Migrant*innen waren
leicht über diesem lag (Statistisches Bundes-
es 1,2 Prozent. Unter Berücksichtigung der
amt 2019b). Die Alters- und Geschlechtsver-
Überrepräsentation der ostdeutschen Bevöl-
teilung der ost- und westdeutschen Bevölke-
kerung in der Stichprobe ergibt sich daraus
rung waren jeweils annähernd identisch, und
jedoch, dass ungefähr 22,5 Prozent der in
auch innerhalb der Geburtskohorten ergab
Ostdeutschland Geborenen heute im Westen
sich eine ähnliche Verteilung zwischen ost-
leben, während nur ungefähr 0,8 Prozent der
und westdeutschen Bundesländern (siehe Ta-
in Westdeutschland Geborenen ihren Lebens-
belle 2). Die Geburtsjahrgänge 1951-1960 und
mittelpunkt in den Osten verlegt haben. Mit
1961-1970 waren mit jeweils über 2.500 Be-
einer Fallzahl von 405 Ost-West- und 132 West-
fragten insgesamt am häufigsten vertreten,
Ost-Migrant*innen kann dies als eine der größ-
während die jüngeren Generationen ab 1981
ten bisher ausgewerteten Stichproben inner-
am wenigsten häufig befragt wurden.
deutscher Ost-West- und West-Ost-Migration
Die Anzahl der Binnenmigrant*innen zu
gesehen werden. Ob die Stichprobe der Bin-
den jeweiligen Befragungszeitpunkten schien
nenmigrant*innen als für die Grundgesamt-
in Anbetracht der starken Binnenwanderungs-
heit repräsentativ eingestuft werden kann,
bewegung (siehe Abschnitt 2.2) geringer als
ist aufgrund der spärlichen Studienlage kaum
erwartet. 3,6 Prozent der ausgewerteten Teil-
zu sagen. Eine ausführliche Beschreibung der
nehmer*innen gaben an, in Ostdeutschland
Stichprobe erfolgt in Abschnitt 5.4.1.
Annahmen und Hypothesen über das Verhältnis zwischen Ost und West
4 Annahmen und Hypothesen über das Verhältnis zwischen Ost und West 4.1 Die Entwicklung des Fremdheits empfindens
Können diese Hypothesen bestätigt werden, so spräche dies für einen wachsenden gesellschaftlichen Zusammenhalt der beiden
Das Fremdheitsempfinden gegenüber den
deutschen Gebiete, der maßgeblich durch die
Bewohner*innen des je anderen Teil Deutsch-
jüngere Generation mitbestimmt wird. Dies
lands wird als Indikator für den gesamtgesell-
könnte als positives Zeichen für die Entwick-
schaftlichen Zusammenhalt herangezogen.
lung der Demokratie in Deutschland gewertet
Das Augenmerk lag dabei weniger auf den
werden.
Ost-West-Unterschieden als vielmehr auf den Unterschieden zwischen den einzelnen Erhebungszeitpunkten sowie den möglichen Differenzen zwischen den Geburtsjahrgängen. Folgende Hypothesen wurden getestet:
4.2 Die Bewertung der Wieder vereinigung In Bezug auf die Bewertung der Wiedervereini gung galt es auf der Basis der bisherigen
1. Das Erleben der Bewohner*innen des je-
Studienlage, folgende Annahmen zu über-
weils anderen Teils Deutschlands als fremd
prüfen. Zum einen sind Differenzen zwischen
ist zum ersten Erhebungszeitpunkt am größ-
Fremd- und Selbsteinschätzung der Wieder-
ten und weist dann eine rückläufige Tendenz
vereinigung infolge des Wohngebietes (Ost-
auf. Mit der Zeit wird die (ehemalige) Spal-
oder Westdeutschland) zu erwarten. Auf die
tung Deutschlands für die Menschen – und
Frage, ob die Wiedervereinigung dem Osten
mit ihr die Kategorien „Ost-“ und „West-
beziehungsweise dem Westen mehr Vor- als
deutscher“ – also immer weniger wichtig.
Nachteile gebracht hat, wird in Bezug auf die
2. Über alle Messzeitpunkte hinweg emp-
Zustimmung erwartet, dass die Befragten die
finden die älteren Geburtsjahrgänge, die
Vorteile für das eigene Wohngebiet geringer
die Teilung Deutschlands aktiv erlebt ha-
einschätzen, als dies die Bewohner*innen des
ben, den je anderen Teil Deutschlands als
je anderen Wohngebietes tun. Daraus ergeben
fremder als die Kohorten, die die Teilung
sich die ersten beiden Hypothesen, die Ost-
Deutschlands nicht selbst miterlebt haben.
und Westdeutsche miteinander vergleichen:
Abgesehen von den ältesten Kohorten, die noch vor der Teilung Deutschlands sozia-
1. Die Bewohner*innen der ost- im Vergleich
lisiert wurden, sollte gelten: Je jünger die
zu den westdeutschen Bundesländern
Kohorten, desto geringer das Fremdheits-
stimmen weniger stark zu, dass die Wieder
empfinden – es ist maßgeblich die junge
vereinigung für den Osten mehr Vorteile
Generation, für die die Spaltung und die
als Nachteile gebracht hat. Die Vorteile der
Kategorien „Ost“ und „West“ immer un-
Wiedervereinigung für den Osten werden im
wichtiger wird.
Osten also weniger gesehen als im Westen.
23
Mauer in den Köpfen?
2. Im Gegenzug stimmen die Bewohner*innen
Grundvoraussetzungen für demokratischen
Westdeutschlands im Vergleich zu denen
Zusammenhalt, wären somit in den Augen der
Ostdeutschlands weniger stark zu, dass
Bürger*innen beider deutscher Gebiete noch
die Wiedervereinigung für den Westen mehr
nicht erreicht.
Vor- als Nachteile gebracht hat. Die Vorteile
Einige Analysen des ALLBUS-Datensatzes
der Wiedervereinigung für den Westen wer-
zu einzelnen Erhebungszeitpunkten, zuletzt
den im Osten also als größer wahrgenom-
von Ragnitz (2019) am Datensatz von 2018,
men als im Westen.
konnten die ersten vier Hypothesen der Tendenz nach bestätigen. Deshalb geht es in der
Darüber hinaus ist anzunehmen, dass die
vorliegenden Untersuchung außerdem darum,
Wiedervereinigungsbewertung für den eige-
Effekte zwischen den Erhebungszeitpunkten
nen Teil schlechter ausfällt, als für den ande-
sowie zwischen den betrachteten Kohorten
ren Teil Deutschlands. Folgende zwei Hypo-
aufzudecken. Dafür wurden die folgenden An-
thesen leiten sich daraus ab:
nahmen getestet:
3. Die ostdeutsche Bevölkerung bewertet
5. Die Gruppenunterschiede zwischen ost-
die Vorteile der Wiedervereinigung für die
deutscher und westdeutscher Bevölkerung
westdeutschen Bundesländer im Mittel als
in Bezug auf die Bewertung der Wiederver-
größer als die Vorteile für die ostdeutschen
einigung sind kurz nach der Wende (zum
Bundesländer.
ersten Messzeitpunkt) am höchsten und
4. Die westdeutsche Bevölkerung bewertet im
zeigen dann eine rückläufige Tendenz. Ost-
Gegenzug die Vorteile der Wiedervereini-
und Westdeutschland nähern sich, so die
gung für die ostdeutschen Bundesländer im
Annahme, mit der Zeit in der Bewertung der
Mittel als größer als für die westdeutschen
Wiedervereinigung also an.
Bundesländer.
6. Über alle Erhebungszeitpunkte hinweg zeigen die früheren Geburtsjahrgänge größere
Diese vier Hypothesen greifen vielfach kon
Differenzen in der Bewertung der Wieder-
statierte Brüche zwischen den beiden Be-
vereinigung als jüngere Kohorten. Es ist
völkerungsgruppen auf. Werden die Vorteile
maßgeblich die junge Generation, die zur
für die eigene Gruppe tatsächlich weniger
Annäherung beiträgt.
gesehen als für die je andere, stellt dies ein
24
starkes Indiz nicht nur für immer noch wahr-
Eine Bestätigung dieser Annahme würde die er-
genommene Unterschiede, sondern vor allem
warteten Ergebnisse und vielfach konstatierten
auch für wahrgenommene soziale Benach-
wahrgenommenen Unterschiede zwischen ost-
teiligung dar. Soziale Gerechtigkeit und Ver-
und westdeutscher Bevölkerung relativieren.
gleichbarkeit der Lebensverhältnisse, zwei
Sie würden auf ein stetiges Zusammenwach-
Annahmen und Hypothesen über das Verhältnis zwischen Ost und West
sen der beiden deutschen Gebiete hindeuten,
2. Die ostdeutsche Bevölkerung gibt eine hö-
angetrieben von den jungen Generationen, die
here Zustimmung zum Sozialismus als Idee
zu wichtigen Stimmen in der Gesellschaft he
an als die westdeutsche Bevölkerung.
ranwachsen.
3. Die Zustimmung zum Sozialismus als Idee sollte dabei zum ersten Erhebungszeit-
4.3 Exkurs: Der Sozialismus als Idee
punkt besonders im Osten am höchsten sein und dann stetig abnehmen, mit einem
In einem Exkurs werden schließlich die Ein-
eventuellen Wiederanstieg zum letzten Er-
stellungen zum Sozialismus als Idee unter-
hebungszeitpunkt.
sucht. In Anschluss an eine erstarkende Zustimmung sozialdemokratischer und sozialistischer Strömungen in vielen westlichen Nationen, die vor allem von den jüngeren Generationen getragen wird, rückt bei der Analyse
4.4 Stadt, Land, Studium? Soziodemographische und subjektive Einflussfaktoren
die „Nachwendegeneration“ ins Zentrum. Es
Wie in Kapitel 2 dargelegt wurde, unterschei-
soll untersucht werden, ob bei dieser Genera-
det sich die ost- und westdeutsche Bevölke-
tion ein Anstieg der Zustimmung zu verzeich-
rung in vielen strukturellen Aspekten. Berth
nen ist. Außerdem zielt die Erhebung auf eine
et al. (2014a; 2019) konnten demonstrieren,
Analyse der Identifikation und Befürwortung
dass solche Strukturmerkmale, allen voran das
gewisser Aspekte des DDR-Systems ab. Des-
Geschlecht, maßgeblichen Einfluss auf die Be-
halb werden bedeutsame Unterschiede zwi-
wertung der deutschen Einheit nehmen kön-
schen ost- und westdeutscher Bevölkerung
nen. Eine Studie des Deutschen Instituts für
erwartet, die im Laufe der Zeit jedoch immer
Wirtschaftsforschung (Belitz et al. 2019) konn-
weiter abnehmen sollten. Durch den erstar-
te außerdem zeigen, dass zumindest in der
kenden Diskurs um ostdeutsche Identität(en),
Produktivität die Unterschiede zwischen Stadt
bei dem die geteilte DDR-Vergangenheit eine
und Land maßgeblicher sind als die zwischen
bedeutsame Rolle spielen könnte, ist ein An-
Ost- und Westdeutschland. Es ist durchaus
stieg der Zustimmung zum Sozialismus als
denkbar, dass dieser Aspekt auch einen Ein-
Idee zum letzten Erhebungszeitpunkt denkbar.
fluss auf Einstellungen hat und die Bewertung
Die Hypothesen lauten wie folgt:
der Wiedervereinigung in ländlichen, struktur schwächeren Regionen deshalb schlechter
1. Ältere Kohorten zeigen eine höhere Befür-
ausfällt als in urbanen Gebieten. Ein weiterer
wortung zum Sozialismus als Idee als jün-
relevanter Aspekt könnte der Bildungsstatus
gere Kohorten, wobei in der Kohorte der
sein. Dieser übt bekanntermaßen einen ent-
ab 1989 Geborenen ein Wiederanstieg der
scheidenden Einfluss auf viele Bereiche sozio
Zustimmungsrate möglich ist.
politischer Einstellungen aus, insbesondere
25
Mauer in den Köpfen?
im Bereich der Vorurteilsbildung (Hopf 1991;
schlechts-, Bildungs- oder Gemeindegrößen
1999; Rippl 2006) und könnte deshalb auch in
effekte handelt.4
der Selbst- und Fremdbeurteilung der Wieder-
Neben diesen objektiven Faktoren konnte
vereinigung sowie dem Fremdheitsempfinden
gezeigt werden, dass besonders auch subjek-
gegenüber dem je anderen Teil Deutschlands
tive wirtschaftspolitische Einschätzungen ei-
relevant werden. Hinzu kommt, dass niedrig
nen Einfluss auf sozialpolitische Einstellungs
qualifizierte Personen nach der Wiedervereini-
aspekte ausüben. Als relevante Bereiche
gung in besonderem Maße von Arbeitslosigkeit
wurden deshalb in einem zweiten Schritt die
betroffen waren, was die Einstellung zur deut-
individuelle, subjektive Wirtschaftslage der
schen Einheit ebenfalls nachhaltig geprägt ha-
Befragten5, die eigene Schichteinstufung6, das
ben könnte (Booth 2010).
politische Interesse7 und die politische Selbst-
In einem weiteren Untersuchungsschritt
einschätzung als rechts oder links8 kontrolliert.
wurden deshalb diese drei objektiven sozio ökonomischen Faktoren, Geschlecht, Ortsgröße und Bildungshintergrund, als Kontrollvaria
4.5 Auswirkungen der Binnenmigration
ble in die Analyse aufgenommen und damit
Die Untersuchung der Binnenmigration er-
ihr Einfluss auf die Einstellungen zur Wieder
folgte aufgrund der spärlichen Studienlage
vereinigung und das Fremdheitsempfinden
explorativ, das heißt ohne Formulierung von
analysiert. Damit wurde überprüft, ob sich
Hypothesen. Da die Nutzung dieses Faktors
der Ost-West-Haupteffekt, also die Größe
dazu dienen sollte, sozialisationsbedingte
des beobachteten Unterschiedes, durch die
Unterschiede von situationsbedingten Unter-
Berücksichtigung dieser Variablen verän-
schieden zu separieren, sind verschiedene
dert, um sicherzustellen, dass es sich bei
Resultate denkbar. Einerseits ist es möglich,
den beobachteten Unterschieden tatsächlich
dass sich die Binnenmigrant*innen von der
um Ost-West-Effekte und nicht etwa um Ge-
jeweiligen Herkunftsgruppe,9 aber nicht von
4 Für das Geschlecht wurde dabei binär zwischen „männlich“ und „weiblich“ unterschieden, für die Bildung wurde der höchste Schulabschluss erfragt (Kategorien „ohne Abschluss“, „Volks-/Hauptschulabschluss“, „Realschul abschluss“, „Fachhochschulabschluss“, „Abitur/Hochschulreife“, „anderer Schulabschluss“, „noch Schüler“). Die Gemeindegröße wurde erst ab dem Erhebungszeitpunkt 2000 einheitlich erfasst (Kategorien „bis 1.999 Einwohner“, „2.000- 4.999 Einw.“, „5.000-19.999 Einw.“, „20.000-49.999 Einw.“, „50.000-99.999 Einw.“, „100.000499.999 Einw.“, „500.000 und mehr Einw.“). 5 Erfasst durch die Frage „Wie beurteilen Sie Ihre eigene wirtschaftliche Lage heute?“ auf einer fünfstufigen Skala von „sehr gut“ bis „sehr schlecht“. 6 Erfasst durch die Frage „Es wird heute viel über die verschiedenen Bevölkerungsschichten gesprochen. Welcher Schicht rechnen Sie sich selbst eher zu?“ mit den Antwortkategorien „Unterschicht“, „Arbeiterschicht“, „Mittelschicht“, „obere Mittelschicht“ und „Oberschicht“. 7 Erfasst durch die Frage „Wie stark interessieren Sie sich für Politik?“ auf einer fünfstufigen Skala von „sehr stark“ bis „überhaupt nicht“. 8 Erfasst auf einer zehnstufigen Skala von „links“ bis „rechts“. 9 Im Fall der Ost-West-Migrant*innen sind dies diejenigen, die im Osten geboren wurden und dort geblieben sind, während es im Fall der West-Ost-Migrant*innen entsprechend die im Westen Geborenen und dort Gebliebenen sind.
26
Annahmen und Hypothesen über das Verhältnis zwischen Ost und West
der Gruppe des aktuellen Wohnortes unter-
Auch die Differenzen zwischen den beiden
scheiden. Ist Letzteres der Fall, kann davon
Binnenmigrationsgruppen sind von Interesse.
ausgegangen werden, dass situationsbeding-
Unterscheiden sich die Binnenmigrant*innen
te Einflüsse auf Einstellungsaspekte überwie-
maßgeblich voneinander, ist davon auszuge-
gen. Anders formuliert: Wer in Ostdeutschland
hen, dass die gefundenen Sozialisations- bzw.
lebt, ähnelt in den Einstellungen den anderen
Situationseinflüsse besonders bedeutsam
Ostdeutschen – egal, ob man zuvor im Wes-
sind. Fehlende Unterschiede zwischen den
ten geboren und aufgewachsen ist oder nicht.
beiden Migrationsgruppen können auf eine
Sind die Binnenmigrant*innen in ihren Ein-
allgemeinere Form von migrationsbedingten
stellungen ihrer Herkunftsgruppe näher, kann
Einstellungsunterschieden hindeuten, die
dies als Hinweis auf sozialisationsbedingte
von konkreten Sozialisations- und Situations
Einstellungsaspekte gewertet werden. Dies
faktoren mehr oder weniger unabhängig sind.
würde bedeuten, dass die Erfahrungen aus
„Wossis“ wären dann – bezüglich ihrer Ein-
der Kindheit und Jugend auch heute noch die
stellungen – eine eigenständige Gruppe, un-
Einstellungen prägen, auch wenn man mittler-
abhängig davon, ob man aus dem Westen in
weile im anderen Teil Deutschlands lebt.
den Osten oder umgekehrt migriert ist.
27
Mauer in den Köpfen?
5 Ergebnisse
5.1 Stetige Abnahme des Fremdheitsempfindens
nen des je anderen Teil Deutschlands fremder seien als die Bürger*innen anderer Staaten. Unter Berücksichtigung der recht drastischen
Das Fremdheitsempfinden gegenüber den
Formulierung der Fragestellung, muss diese
Bewohner*innen des je anderen Teil Deutsch-
Zustimmungsrate als hoch eingestuft werden:
lands stellt als Indikator für demokratischen
Immerhin jeder Fünfte stimmte zu.
Zusammenhalt einen zentralen Untersuchungs-
In Abbildung 2 ist die prozentuale Zustim-
gegenstand der vorliegenden Arbeit dar. Ein
mung der beiden Gruppen zu den einzelnen
großes Fremdheitsempfinden zwischen den
Messzeitpunkten abgetragen. Es ergibt sich
beiden Gruppen würde dabei für große wahr-
das erwartete Bild; die Zustimmung ist über
genommene Differenzen und fehlende soziale
die Jahre hinweg rückläufig. Es lässt sich ins-
Kohäsion sprechen.
besondere ein Einbruch des Fremdheitsemp-
Die vorab formulierten Hypothesen konn-
findens zwischen den Jahren 2000 und 2010
ten dabei nur teilweise bestätigt werden. Wie
verzeichnen. Während die Zustimmung im
erwartet, konnten keine bedeutsamen Unter-
Jahr 2000 noch bei 26,8 Prozent lag, sank sie
schiede zwischen der ost- und westdeutschen
im Jahr 2010 auf 18,2 Prozent ab. Dabei lässt
Bevölkerung gefunden werden; 21,2 Prozent
sich zeigen, dass sich die beiden früheren Er-
der Westdeutschen und 21,6 Prozent der Ost-
hebungsjahre tatsächlich signifikant von den
deutschen gaben an, dass ihnen die Bürger*in-
beiden späteren unterscheiden und nicht auf
Abbildung 2
Anteil der Befragten, die den jeweils anderen Teil Deutschlands als fremd empfinden (1991-2018, in %)
50 Prozent
40 30
26,0 26,8
26,3 27,1
20
17,3 18,6
15,9 16,3
2010
2018
10 0
1991
2000 Jahr Ost
West
Anmerkung: Angegeben ist die prozentuale Zustimmung zum Item „Die Bürger des anderen Teils Deutschlands sind mir in vielem fremder als die Bürger anderer Staaten“ in Ost- und Westdeutschland zu den verschiedenen Messzeitpunkten. Es handelt sich hier und im Folgenden um die gültigen Prozentwerte (n = 10.859). Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018). Eigene Darstellung.
28
Ergebnisse
zufällige Schwankungen zurückzuführen sind.
untersucht. Da sich in der vorliegenden Unter
Zwischen den Jahren 1991 und 2000 sowie
suchung keine Ost-West-Unterschiede fanden,
den Jahren 2010 und 2018 konnte jedoch kein
ist es umso interessanter, welche Faktoren da-
signifikanter Unterschied ermittelt werden. Mit
rüber hinaus für diese Bewertung bedeutsam
anderen Worten: Der Rückgang in der Zustim-
sind. Bei den objektiven Strukturmerkmalen zei-
mung zu dieser Aussage des Fremdheitsemp-
gen Geschlecht, Ortsgröße und Bildungsstand
findens fand besonders in den Jahren zwischen
einen signifikanten, jedoch nur marginalen bis
2000 und 2010 statt. Insgesamt ist die Stärke
kleinen Effekt. Männliche Befragte mit niedri-
dieses Effektes jedoch als gering einzustufen.
gerem Bildungsstand aus ländlichen Regionen
Bemerkenswerterweise lässt sich, ent
bewerteten die Bewohner des je anderen Teils
gegen der Erwartung, auch in Bezug auf die Ge-
Deutschlands tendenziell als fremder, wobei der
burtskohorten kein signifikanter Unterschied
Einfluss der Bildung zwar am größten ausfiel,
feststellen. Dies widerlegt die Hypothese, dass
jedoch immer noch als klein einzustufen ist.
die älteren Generationen die Bewohner*innen
Auch im Bereich der subjektiven Einfluss-
des anderen Teils als fremder wahrnehmen als
faktoren leisten alle betrachteten Größen ei-
die jüngeren Generationen. Das aktive Mit
nen signifikanten, jedoch sehr kleinen Beitrag
erleben der Teilung Deutschlands sowie der
zur Erklärung der Unterschiede im Fremdheits-
darauffolgenden Prozesse der Wiedervereini-
empfinden. Tendenziell erleben besonders
gung prägen das Fremdheitserleben im Gegen-
solche Personen die Bewohner*innen des je
satz zum reinen zeitlichen Abstand demnach
anderen Teils Deutschlands als fremd, die ihre
nicht in relevantem Maße mit. Dies könnte aber
eigene Wirtschaftslage als schlechter, ihr poli-
auch ein Hinweis sein, dass aktuelle politische
tisches Interesse als geringer und ihre eigene
Entwicklungen für den demokratischen Zu-
Schichtzugehörigkeit als niedriger einschät-
sammenhalt als wichtiger einzustufen sind als
zen. Politisch sehen sich diese Personen ten-
Generationenzugehörigkeiten. Darüber hinaus
denziell eher als linksgerichtet. Alle Effektstär-
kann auch ein fehlender innerdeutscher Aus-
ken sind jedoch als marginal einzustufen.
tausch das Fremdheitserleben begünstigen.
Unabhängig vom aktuellen Wohnort und
Dass die Interaktion mit den Bewohner*innen
vom Geburtsjahrgang wachsen die beiden Tei-
des je anderen Teil Deutschlands diese Wahr-
le Deutschlands im Erleben der Bewohner*in-
nehmung verändern kann, wird in Abschnitt zur
nen demnach stetig zusammen. Auch heute,
Binnenmigration erörtert: Die „Wossis“ zeigen
30 Jahre nach der Wiedervereinigung, ist das
im Vergleich zu den Gruppen ohne Binnen-
Fremdheitserleben jedoch als hoch einzu
migrationserfahrung ein deutlich geringeres
stufen. Neben der zeitlichen Distanz zur Wieder
Fremdheitserleben.
vereinigung wirkt sich der Bildungsstand der
Zuletzt wurde der Einfluss der verschiede-
Befragten am stärksten auf das Fremdheits-
nen soziodemographischen und subjektiven
erleben aus. Um den demokratischen Zusam-
Einflussfaktoren auf das Fremdheitserleben
menhalt in Deutschland weiter zu fördern, ist 29
Mauer in den Köpfen?
es daher naheliegend, über Bildungsarbeit den
empfundenen sozialen Kohäsion herangezo-
innerdeutschen Austausch zu fördern und das
gen. Abbildung 3 gibt einen Überblick über die
Verständnis für die Geschichte und Auswirkun-
prozentuale Zustimmung der Bürger*innen der
gen der deutschen Teilung zu stärken.
alten und neuen Bundesländer zu den Vorteilen der Wiedervereinigung für die jeweiligen
5.2 Annäherung beim Blick auf die Wiedervereinigung
Regionen. In den folgenden Abschnitten wird zunächst auf die Einschätzung der Vorteile für die neuen Bundesländer durch die ost- und
Neben dem Fremdheitserleben des je ande-
westdeutsche Bevölkerung eingegangen (Zei-
ren Teil Deutschlands wurde die Bewertung
le 1). Danach werden die Ergebnisse aus Zei-
der Wiedervereinigung als zentrales Maß der
le 2, also die unterschiedlichen Blickwinkel auf
Abbildung 3
Die Bewertung der Wiedervereinigung in Ost und West
Ost
West
18,44 % Die Wiedervereinigung hat für die Bürger in den neuen Bundesländern mehr Vorteile als Nachteile gebracht
53,60 % 46,40 %
Erhebungsgebiet: neue BL
Die Wiedervereinigung hat für die Bürger in den alten Bundes ländern mehr Vorteile als Nachteile gebracht
25,46 %
81,56 %
Erhebungsgebiet: alte BL
40,69 %
74,54 %
Erhebungsgebiet: neue BL trifft (eher) nicht zu
59,31 %
Erhebungsgebiet: alte BL trifft (eher) zu
Anmerkung: Angegeben ist die prozentuale Zustimmung zu den Fragen „Die Wiedervereinigung hat für die Bürger der neuen Bundesländer mehr Vorteile als Nachteile gebracht“ und „Die Wiedervereinigung hat für die Bürger der alten Bundesländer mehr Vorteile als Nachteile gebracht“. Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018). Eigene Darstellung.
30
Ergebnisse
die Vorteile für die alten Bundesländer analy-
neuen Bundesländer mehr Vor- als Nachteile
siert. Zuletzt erfolgt eine Analyse der Selbst-
bedeutete, in 53,6 Prozent der Fälle zu. Inner-
vs. Fremdeinschätzung (Spalten 1 und 2), bei
halb der westdeutschen Bevölkerung lag die
der die Frage im Mittelpunkt steht, welche der
Zustimmung sogar bei 81,6 Prozent – deutlich
beiden Gruppen sich selbst im Vergleich zur je
mehr West- als Ostdeutsche denken also, dass
anderen Gruppe im Nachteil sieht.
der Osten von der Wiedervereinigung profitiert hat. Damit ergibt sich, wie erwartet, eine deut-
5.2.1 „Der Osten profitiert mehr“
lich positivere Fremd- als Eigenbewertung.
Betrachtet man die Bewertung der Vor- und
Die Unterschiede in der Bewertung der Vor-
Nachteile der Wiedervereinigung für die neuen
teile für die neuen Bundesländer in der ostdeut-
Bundesländer aufgeteilt nach dem jeweiligen
schen und westdeutschen Bevölkerung können
Erhebungsgebiet in Ost- oder Westdeutsch-
insgesamt als bedeutsam eingestuft werden.
land (Zeile 1) ergibt sich das prognostizierte
Betrachtet man lediglich die Unterschiede der
Bild. Über alle Erhebungszeitpunkte hinweg
beiden Wohngebiete, ohne Berücksichtigung
stimmt die ostdeutsche Bevölkerung der
von Zeit- und Kohorteneffekten, ergibt sich ein
Aussage, dass die Wiedervereinigung für die
mittlerer Effekt.
Abbildung 4
Anteil der Befragten, die die Wiedervereinigung für Ostdeutschland als positives Ereignis wahrnehmen (1991-2018, in %) 100 86,1
Prozent
80
71,7 61,8
59,6
60 40
84,2
82,5 65,0
Ost 37,9
West
20 0 1991
2000
2010
2018
Jahr Anmerkung: Angegeben ist die prozentuale Zustimmung zum Item „Die Wiedervereinigung hat für die Bürger der neuen Bundesländer mehr Vorteile als Nachteile gebracht“ in Ost- beziehungsweise Westdeutschland zu den verschiedenen Messzeitpunkten (n = 10.861). Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018). Eigene Darstellung.
31
Mauer in den Köpfen?
Abbildung 4 trägt die prozentuale Zustim-
dieser Aussage nicht zustimmt – ein deutliches
mung der beiden Gruppen zu den unterschied-
Zeichen gegen allzu freudentaumelnde Ein-
lichen Erhebungszeitpunkten ab. Inferenzsta-
schätzungen über das Zusammenwachsen der
tistisch ergibt sich in den Jahren 1991 und
deutschen Gesellschaft. Auch in der westdeut-
2000 jeweils eine mittelgradige Auswirkung
schen Bevölkerung zeichnen sich Unterschiede
der Gruppenzugehörigkeit. Hier unterschei-
zwischen den Erhebungszeitpunkten ab. Wäh-
det sich die westdeutsche Einschätzung also
rend die Zustimmung zwischen 1991 und 2000
besonders stark von der Ostdeutschen. Im
ansteigt (von 71,7 Prozent auf 86,1 Prozent),
Jahr 2000 ist eine sprunghafte Annäherung
ist die Rate seither leicht rückläufig und liegt
der Bewertungen zu verzeichnen. Schließ-
2018 bei 82,5 Prozent. Westdeutsche hatten
lich schlägt der Effekt im Jahr 2018 nur noch
demnach auch kurz nach der Wende schon eine
schwach zu Buche.
positivere Sicht als Ostdeutsche auf die Frage
Prozentual lassen sich diese Auswirkungen der Tendenz nach weiter untersuchen. Auch
der Vorteile für den Osten und behielten diese auch weitestgehend bei.
deskriptiv ergibt sich in der ostdeutschen Be-
Die separate Analyse der Geburtsjahrgän-
völkerung der größte Bewertungsunterschied
ge ermöglicht die Spezifikation dieser Annähe-
zwischen 1991 und 2000. Die Zustimmung zur
rungstendenz. Abbildung 5 gibt die prozentua
Aussage, dass „die Wiedervereinigung für die
le Zustimmung der jeweiligen Geburtsjahrgän-
Bürger der neuen Bundesländer mehr Vorteile
ge in Ost- beziehungsweise Westdeutschland
als Nachteile gebracht hat“ erhöht sich hier von
an. Auch hier ergibt sich das vorhergesagte
37,9 Prozent auf 59,6 Prozent. In den folgenden
Bild: Insgesamt bestehen die größten Unter-
Jahren nimmt die Zustimmungsrate zwar weiter
schiede in den älteren Generationen; sie ver-
zu, aber selbst im Jahr 2018 sehen nur knapp
ringern sich, mit leichten Schwankungen, ste-
zwei Drittel der befragten Bewohner*innen der
tig bei jüngeren Jahrgängen. Die Tendenz spie-
neuen Bundesländer mehr Vor- als Nachteile
gelt sich im Effektstärkemaß η² wider; zwar
in der Wiedervereinigung. Dies verweist auf
finden sich in allen Jahrgängen Unterschiede
zweierlei: Einerseits wird deutlich, dass un-
zwischen Ost- und Westdeutschland, die Ein-
mittelbar nach dem Zusammenbruch der DDR
flussgröße nimmt jedoch kontinuierlich ab.10
kaum ein*e Ostdeutsche*r an positive Folgen
Die Vorteile der Wiedervereinigung für die
der Wiedervereinigung glaubte, mit der Zeit ist
neuen Bundesländer werden demnach auch
diese Sicht aber zur Mehrheitsmeinung gewor-
von der Nachwendegeneration der Bewoh-
den. Andererseits gibt es auch heute noch grob
ner*innen der beiden Gebiete unterschiedlich
ein Drittel der ostdeutschen Bevölkerung, dass
beurteilt.
10 Die deskriptiv geringere Zustimmung der ostdeutschen Bevölkerung bei der jüngsten Geburtskohorte kann auf zufällige Schwankungen zurückgeführt werden.
32
Ergebnisse
Nach Aufnahme der Variablen Erhebungs-
Eine Analyse der soziodemographischen
zeitpunkt und Geburtsjahrgang als Faktoren in
Daten ergibt, dass sowohl Geschlecht als auch
das Modell reduziert sich die Stärke des Grup-
Bildungsabschluss bei der Bewertung der Vor-
peneffektes drastisch und kann nunmehr als
teile durch die Wiedervereinigung für die neu-
klein bewertet werden. Diese deutliche Verrin-
en Bundesländer eine signifikante, aber margi-
gerung des Einflusses spricht dafür, dass es
nale Rolle spielt. In Einklang mit den Ergebnis-
besonders in der Bewertung der Vorteile für
sen der Sächsischen Längsschnittstudie sehen
den Osten eine zeitliche Annäherungstendenz
Männer und Personen mit einem höheren Bil-
gegeben hat, die sowohl vom Messzeitpunkt
dungsabschluss in der Wiedervereinigung für
als auch vom Geburtsjahrgang abhängt: Je
die neuen Bundesländer mehr Vorteile. Die Ge-
größer der zeitliche Abstand zur Wiederverei-
meindegröße fällt als Einflussfaktor gar nicht
nigung und je jünger die Befragten, desto ähn-
ins Gewicht, womit auch ein Stadt-Land-Effekt
licher beurteilt die ost- und westdeutsche Be-
ausgeschlossen werden kann. Insgesamt wird
völkerung die Vorteile für die Bewohner*innen
deutlich, dass der Effekt des Ost-West-Unter-
der neuen Bundesländer.
schiedes wesentlich bedeutsamer ist als Diffe-
Abbildung 5
Anteil der Befragten, die die Wiedervereinigung für Ostdeutschland als positives Ereignis wahrnehmen nach Geburtsjahrgängen (in %) 100 80
Prozent
83,5
81,2
83,3
57,2
54,0
60 45,5
82,6
81,7
80,7
80,6
63,4
78,0
66,0
64,9
1981-1989
nach 1989
50,1
47,2
40 20 0 bis 1930
1931-1940
1941-1950
1951-1960
1961-1970
1971-1980
Geburtsjahrgänge Ost
West
Anmerkung: Angegeben ist die prozentuale Zustimmung zum Item „Die Wiedervereinigung hat für die Bürger der neuen Bundesländer mehr Vorteile als Nachteile gebracht“ in Ost- beziehungsweise Westdeutschland nach Geburtsjahrgängen (n = 10.843). Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018). Eigene Darstellung.
33
Mauer in den Köpfen?
renzen in Geschlecht und Bildungsabschluss.
links eingestellten Personen in besonderem
Auch unter Berücksichtigung dieser Faktoren
Maße als Ausdruck eines gescheiterten Wieder
bleiben die entsprechenden Effektstärken mit
vereinigungsprozesses gewertet werden.
minimalen Schwankungen erhalten.
Bei der Bewertung der Vorteile der Wieder-
Die subjektiven Merkmale zeigen ebenfalls
vereinigung für die neuen Bundesländer han-
durchweg signifikante, jedoch insgesamt nur
delt es sich somit nach wie vor um ein politisch
kleine Auswirkungen. Befragte, die ein höhe-
brisantes Thema, das ein nicht zu unterschät-
res politisches Interesse angeben und sich
zendes Potential für gesellschaftliche Spal-
eher den höheren Schichten zuordnen, be-
tungsprozesse aufweist. Die Ergebnisse zeigen
werten die Vorteile der Wiedervereinigung für
jedoch auch, dass sich unter Berücksichtigung
den Osten in der Tendenz positiver, während
der zeitlichen Effekte eine klare Annäherungs-
Personen, die die eigene Wirtschaftslage als
tendenz offenbart, die von den jüngeren Gene-
schlecht einschätzen und sich politisch eher
rationen maßgeblich mitgetragen wird und die
links verorten weniger Vorteile in der Wieder-
Ost-West-Unterschiede drastisch verringert.
vereinigung für die ostdeutsche Bevölkerung
34
sehen. Diese Ergebnisse sind besonders vor
5.2.2 Die späte Einsicht des Westens
dem Hintergrund bemerkenswert, dass sich
Nun gilt es die Bewertung der Wiedervereini-
die subjektive Wirtschaftslage und politische
gung für die alten Bundesländer im Detail zu
Selbstverortung im Fall der Bewertung der Vor-
untersuchen (Abbildung 3, Zeile 2). Auch hier
teile für die alten Bundesländer nicht als signi-
zeigen sich deskriptiv die prognostizierten
fikante Einflussfaktoren herausstellen. Bei der
Unterschiede. Interessanterweise fallen diese
Bewertung der Vorteile der Wiedervereinigung
hier sogar noch größer aus als im Fall der neu-
für den Osten scheint es sich somit um ein
en Bundesländer. Knapp 41 Prozent der Bevöl-
stärker subjektives und politisch aufgeladenes
kerung Westdeutschlands stimmten über die
Thema zu handeln als im Fall der Einschätzung
Zeit hinweg der Aussage zu, dass die Wieder-
der Vorteile für den Westen. Außerdem könnte
vereinigung dort mehr Vorteile als Nachteile
eine Verneinung der Vorteile der Wiedervereini-
gebracht hat. In der ostdeutschen Bevölkerung
gung für die ostdeutsche Bevölkerung bei den
lag die Zustimmung entsprechend höher, bei
politisch eher Linksgerichteten als Indiz für
74,5 Prozent. Dieser Unterschied spiegelt sich
eine gewisse Trauer um das verlorene sozialis-
auch in der Effektstärke wider, in der Auswer-
tische System und die damit einhergehenden
tung nach Wohngebiet ergibt sich ein mittlerer
sozialpolitischen Vorteile gewertet werden.
Effekt.
Möglich wäre jedoch auch die Interpretation,
Abbildung 6 zeigt die prozentuale Zustim-
dass wirtschaftliche und kulturelle Benachtei-
mung in der ost- und westdeutschen Bevöl-
ligungen – wie sie für das heutige Ostdeutsch-
kerung zu den vier Erhebungszeitpunkten.
land ja gut dokumentiert sind – von politisch
Die vorhergesagte Tendenz tritt hier ebenfalls
Ergebnisse
ein: In den Jahren 1991 und 2000 erlangt der
in Deutschland 2006 sowie die überstandene
Ost-West-Unterschied noch eine außerordent-
Bankenkrise 2008 könnten zu einem stärkeren
lich hohe Effektstärke. Bemerkenswert ist an
Gefühl von Zusammenhalt – zumindest entlang
dieser Stelle der zeitgleiche drastische Rück-
der Frage Ost und West – in der Gesellschaft
gang der Einflussstärke im Jahr 2010. Dieser
geführt haben.
Rückgang vom Jahr 2000 auf 2010 war bereits
Die rückläufige Tendenz lässt sich einer-
im Fremdheitsempfinden des je anderen Teils
seits auf eine (späte) Verbesserung der Bewer-
Deutschlands sowie in der Bewertung der
tung der Wiedervereinigung durch die west-
Wiedervereinigung für die neuen Bundesländer
deutsche Bevölkerung selbst zurückführen. In
zu verzeichnen. Dies spricht dafür, dass beson-
den Jahren 1991 bis 2010 sahen nur ungefähr
ders dieser Zeitraum für das Zusammenwach-
ein Drittel der befragten Westdeutschen in der
sen der ost- und westdeutschen Bevölkerung
Wiedervereinigung mehr Vor- als Nachteile
bedeutsam ist. Hierfür kommen verschiedene
für den Westen. Erst 2018 kam es zu einem
externe Ereignisse als Erklärungsfaktoren in-
sprunghaften Anstieg: 56,6 Prozent, weit mehr
frage; besonders die Fußballweltmeisterschaft
als die Hälfte der westdeutschen Bevölkerung,
Abbildung 6
Anteil der Befragten, die die Wiedervereinigung für Westdeutschland als positives Ereignis wahrnehmen (1991-2018, in %) 100 80
77,7
77,1
75,6
Prozent
64,9
56,6
60 40
33,6
33,4
31,8
20 0 1991
2000
2010
2018
Jahr Ost
West
Anmerkung: Angegeben ist die prozentuale Zustimmung zum Item „Die Wiedervereinigung hat für die Bürger der alten Bundesländer mehr Vorteile als Nachteile gebracht“ in Ost- beziehungsweise Westdeutschland zu den verschiedenen Messzeitpunkten (n = 10.587). Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018). Eigene Darstellung.
35
Mauer in den Köpfen?
stimmen nun zu, dass die Wiedervereinigung
tionen noch offensichtliche Unterschiede
für den Westen mehr Vor- als Nachteile ge-
zwischen ostdeutscher und westdeutscher
bracht habe. Bei den Bürger*innen der neuen
Bevölkerung gibt, wird sichtbar, dass diese für
Bundesländer schwankt die Zustimmung nur
die Generationen ab 1981 kaum mehr ins Ge-
leicht zwischen 64,9 Prozent im Jahr 2010 und
wicht fallen. Dies spiegelt sich entsprechend in
77,7 Prozent im Jahr 1991. Zuletzt konnte eine
den Effektstärken wider; in den Generationen
Zustimmungsrate von 77,1 Prozent verzeichnet
bis 1940 ist die Differenz zwischen ost- und
werden.
westdeutscher Bevölkerung außerordentlich
Der Rückgang der Effektstärken erschließt
groß, in den Jahrgängen 1981 bis 1989 zeigt
sich andererseits, wie zuvor, durch eine Be-
sich schließlich kaum noch eine Auswirkung.
trachtung der Geburtsjahrgänge. Abbildung 7
Die Generation nach 1989 weist gar keine be-
bildet die prozentuale Zustimmung in den je-
deutsamen Ost-West-Unterschiede mehr auf;
weiligen Kohorten in Ost- und Westdeutsch-
69,7 Prozent der ostdeutschen und 67,5 Pro-
land ab. Während es in den älteren Genera-
zent der westdeutschen Bürger*innen sehen in
Abbildung 7
Anteil der Befragten, die die Wiedervereinigung für Westdeutschland als positives Ereignis wahrnehmen nach Geburtsjahrgängen (in %) 100 84,3
79,6
Prozent
80
77,8
74,1
70,8
69,7 67,5
68,2 60,9 57,0
60 40
35,4
39,4
36,1
40,0
40,8
1961-1970
1971-1980
32,5
20 0 bis 1930
1931-1940
1941-1950
1951-1960
1981-1989
nach 1989
Geburtsjahrgänge Ost
West
Anmerkung: Angegeben ist die prozentuale Zustimmung zum Item „Die Wiedervereinigung hat für die Bürger der alten Bundesländer mehr Vorteile als Nachteile gebracht“ in Ost- beziehungsweise Westdeutschland nach Geburtsjahrgängen (n = 10.570). Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018). Eigene Darstellung.
36
Ergebnisse
der Wiedervereinigung für die alten Bundeslän-
Divergenz ins Auge. Während eine positive Be-
der mehr Vor- als Nachteile. Die späte Einsicht
wertung der Wiedervereinigung für die alten
der westdeutschen Bevölkerung in die eigenen
Bundesländer insgesamt mit einer niedrigeren
Vorteile durch die Wiedervereinigung kann
subjektiven Schichteinstufung einhergeht,
demnach nicht nur auf die zeitliche Distanz
wird die Wiedervereinigung für die neuen Bun-
zur Wiedervereinigung zurückgeführt werden.
desländer eher von den Angehörigen der hö-
Auch die Stichprobenzusammensetzung des
heren Schichten positiv bewertet. Weder die
letzten Erhebungszeitpunktes ist für den An-
politische Selbsteinschätzung als rechts oder
stieg der Zustimmung mit verantwortlich: 2018
links noch die subjektive Wirtschaftslage fal-
nimmt der Anteil der Angehörigen der „Nach-
len bei der Bewertung der Vorteile für die alten
wendegeneration“ in der Stichprobe stark zu.
Bundesländer ins Gewicht.
Anscheinend bedurfte es in der westdeutschen
Insgesamt bildet die Bewertung der Vortei-
Bevölkerung einer ganz neuen Generation ohne
le für die alten Bundesländer damit ein Spie-
Teilungserfahrung, um die eigenen Vorteile aus
gelbild der zuvor betrachteten Bewertung der
der Wiedervereinigung zu sehen.
Vorteile für die neuen Bundesländer. Die west-
In Bezug auf den Einfluss soziodemo-
deutsche Bevölkerung zeichnet sich durch eine
graphischer Faktoren auf die Bewertung der
schlechtere Bewertung aus als die ostdeut-
Wiedervereinigung für die alten Bundesländer
sche, wobei die Unterschiede zwischen den
ergibt sich dasselbe Bild wie zuvor. Geschlecht
beiden Gruppen hier noch stärker ausgeprägt
und Bildungsabschluss bilden signifikante,
sind als zuvor. Die Generationen- und Zeiteffek-
aber marginale Einflussgrößen, die die gleiche
te reduzieren die Ost-West-Differenz stark, was
Tendenz aufweisen; Männer und Personen mit
primär auf einen drastischen Anstieg der posi
höherem Bildungsabschluss sehen mehr Vor-
tiven Bewertungen innerhalb der westdeut-
teile der Wiedervereinigung für die westdeut-
schen Bevölkerung zum letzten Messzeitpunkt
schen Bundesländer. Die Gemeindegröße fällt
zurückzuführen ist. Die Einsicht, dass auch die
auch hier als Einflussfaktor nicht ins Gewicht
alten Bundesländer von der Vereinigung profi
und der Ost-West-Unterschied verändert sich
tierten, kam in der westdeutschen Bevölkerung
unter Berücksichtigung der entsprechenden
damit erst eine ganze Generation nach dem
Faktoren nicht.
Mauerfall.
Im Gegensatz dazu weisen die subjektiven Faktoren, wie bereits erwähnt, Unterschiede
5.2.3 Der Mythos des „Jammer-Ossis“
zur vorherigen Analyse auf. Zwar geht auch
In einem weiteren Analyseschritt wurde
hier ein höheres politisches Interesse mit einer
untersucht, wie stark sich die Bewertung der
besseren Bewertung der Wiedervereinigung
Wiedervereinigung für die eigenen Bundes-
einher. In Bezug auf die Schichteinstufung
länder im Vergleich zu der Bewertung des je
fällt allerdings eine bemerkenswerte Ost-West-
anderen Teils unterscheidet. Die Untersuchung
37
Mauer in den Köpfen?
des Stereotyps des „Jammer-Ossis“, der die
Ostdeutschland bei lediglich 20 Prozent liegt.
eigenen Vorteile nicht sehen möchte, stand
Das Effektmaß Cohen’s d erreicht dementspre-
dabei ebenso im Zentrum, wie die allgemein
chend bei der Einschätzung der westdeutschen
vermutete Tendenz, die eigenen Vorteile we-
Bevölkerung sehr hohe Werte, während die
niger zu sehen als die der anderen. Letzteres
ostdeutsche Bevölkerung nur einen mittleren
konnte wie erwartet statistisch bestätigt wer-
Effekt im Unterschied zwischen Selbst- und
den. Sowohl in der ostdeutschen als auch in
Fremdbewertung zeigt. Obwohl beide Gruppen
der westdeutschen Bevölkerung gestaltet sich
die Vorteile der Wiedervereinigung tendenziell
die Bewertung der Vorteile für die Eigengrup-
im je anderen Teil Deutschlands verorten, ent-
pe bedeutend negativer als die Bewertung der
puppt sich also entgegen dem Stereotyp des
Vorteile für die je andere Gruppe. Prozentual
„Jammer-Ossis“ die westdeutsche Bevölkerung
sehen dabei 53,6 Prozent der ostdeutschen
viel eher als „Jammerer“. Wenngleich bisherige
Bevölkerung mehr Vor- als Nachteile für die
Forschungsergebnisse zeigen konnten, dass
neuen Bundesländer, während nur 41 Prozent
bis heute eher die ostdeutsche Bevölkerung
der westdeutschen diese für die „eigenen“,
aufgrund ihrer Herkunft benachteiligt wird, ist
die alten Bundesländer sehen. Entgegen des
die westdeutsche Bevölkerung offensichtlich
Stereotyps sieht die ostdeutsche Bevölkerung
viel weniger bereit, die eigenen Vorteile der
die eigenen Vorteile demnach eher als es in der
Wiedervereinigung einzugestehen; eine Ein-
westdeutschen Bevölkerung der Fall ist.
sicht, die dem Annäherungsprozess zwischen
Diese Divergenz bestätigt sich bei einer Gegenüberstellung der Selbstbewertung, also
den beiden Bevölkerungsgruppen sicherlich zugutekommen würde.11
den empfundenen Vorteilen für die eigene Re-
Um diesem Phänomen des „Jammer-Wes-
gion, im Vergleich zur Fremdbewertung, also
sis“ genauer auf den Grund zu gehen, können
den empfundenen Vorteilen für den je ande-
die Selbstbewertungen der ost- und westdeut-
ren Teil Deutschlands. Sie ist in der westdeut-
schen Bevölkerung zu den unterschiedlichen
schen Bevölkerung bedeutend größer als in der
Messzeitpunkten analysiert werden.12 Abbil-
ostdeutschen Bevölkerung; Prozentual liegt
dung 8 zeigt die prozentuale Zustimmung zu
der Unterschied in der westdeutschen Bevöl-
der Frage, ob die Wiedervereinigung für die
kerung bei knapp 40 Prozent, während er in
Bevölkerung des je eigenen Teils Deutsch-
11 Dies steht im Einklang mit Ergebnissen einer Umfrage der Universität Leipzig aus dem Jahr 1994. Die ostdeutsche Bevölkerung zeichnete sich dort im Gegensatz zur westdeutschen durch ein starkes Selbstbewusstsein aus, das sich vor allem in der Bewertung der zwischenmenschlichen Beziehungen äußerte. Ostdeutsche spürten stärkere soziale Unterstützung und schätzten sich selbst als warmherziger und liebevoller ein (Redaktion Neues Deutschland 1996; Hessel et al. 1999). 12 Zur Untersuchung dieses Aspekts wurden die Antworten aus den beiden vorherigen Fragen in eine neue Variable überführt, die die Einstellung zum je eigenen Teil Deutschlands enthielt. Die Frage war demnach nicht im Originaldatensatz enthalten, konnte jedoch durch diese Transformation ohne inhaltliche oder statistische Einbußen erstellt werden.
38
Ergebnisse
lands mehr Vorteile als Nachteile gebracht hat.
nigung, die in der ostdeutschen Bevölkerung
Im Zeitverlauf ergibt sich dabei ein unerwar-
schneller als in der westdeutschen Bevölkerung
teter Befund. Unter Berücksichtigung des Er-
einer weit verbreiteten Zustimmung gewichen
hebungszeitpunktes ist die Stärke der Unter-
ist. Entgegen der bekannten These, dass auf die
schiede der Selbstbewertung in ostdeutscher
Wiedervereinigung eine gewisse Ernüchterung
und westdeutscher Bevölkerung als gering ein-
und ein Hoffnungsverlust folgten, zeichnet sich
zustufen. Es zeigt sich, dass sich die Bewertung
hier ab, dass die empfundenen eigenen Vorteile
der eigenen Vorteile im Jahr 1991 bei den Be-
der Wiedervereinigung mit wachsendem zeit-
wohner*innen der alten und neuen Bundeslän-
lichen Abstand in beiden Teilen Deutschlands
der nicht unterscheidet. Im Jahr 2000 findet sich
zunehmen. Beim „Jammer-Wessi“ scheint es
dann der größte Unterschied, der eine mittlere
sich somit um ein aussterbendes Phänomen zu
Stärke aufweist. Seither ist die Tendenz wieder
handeln; in den Jahren nach der Wende blieb
rückläufig mit einer verschwindend geringen
die Skepsis in der westdeutschen Bevölkerung
Effektstärke im Jahr 2018. Diese Ergebnisse
länger erhalten und wich erst spät einer über-
sprechen für eine anfängliche Skepsis in Bezug
wiegenden Zustimmung. Mit dem Heranwach-
auf die eigenen Vorteile durch die Wiederverei-
sen einer neuen Generation geht damit eine
Abbildung 8
Anteil der Befragten, die die Wiedervereinigung für den je eigenen Teil Deutschlands als positives Ereignis wahrnehmen (1991-2018, in %) 100
Prozent
80 60 40
65,0
61,8
59,6
56,6
37,9 33,6
33,4
31,8
20 0 1991
2000
2010
2018
Jahr Ost
West
Anmerkung: Angegeben ist die prozentuale Zustimmung zu den Fragen „Die Wiedervereinigung hat für die Bürger der alten Bundesländer mehr Vorteile als Nachteile gebracht“ (West) bzw. „Die Wiedervereinigung hat für die Bürger der neuen Bundesländer mehr Vorteile als Nachteile gebracht“ (Ost) (n = 10.586). Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018). Eigene Darstellung.
39
Mauer in den Köpfen?
neue Sichtweise auf den Wiedervereinigungs-
betrachteten Dimensionen haben einen Einfluss
prozess einher.
auf die Bewertung der eigenen Vorteile, wobei
Betrachtet man nun die Bewertung der Vor-
hier die Bewertung der eigenen Wirtschaftslage
teile der Wiedervereinigung für die Bevölkerung
sowie das politische Interesse am stärksten ins
des je eigenen Teils Deutschlands, ergibt sich
Gewicht fielen. Befragte, die ihre eigene Wirt-
in Bezug auf die objektiven Strukturmerkmale
schaftslage positiver bewerteten und ihr politi-
ebenfalls ein unerwartetes Bild. Geschlecht und
sches Interesse als stärker beschrieben, sahen
Ortsgröße üben einen zwar signifikanten, aber
auch mehr Vorteile in der Wiedervereinigung für
vernachlässigbaren Effekt aus; konkret schät-
den eigenen Teil Deutschlands. Politische Bil-
zen Männer und Personen, die in urbaneren
dung kann also als wichtiger Ansatzpunkt für
Regionen leben, die eigenen Vorteile aus der
das Vorantreiben des Wiedervereinigungspro-
Wiedervereinigung als größer ein. Im Fall der
zesses gesehen werden.
Bildung wird jedoch deutlich, dass diese für
Wie dieser Abschnitt zeigen konnte, stellen
die Bewertung der eigenen Vorteile gegenüber
sich die Unterschiede zwischen der Bewertung
dem Ost-West-Unterschied als relevanterer
der eigenen Vorteile durch die Wiedervereini-
Einflussfaktor zu bewerten ist. Um die eigenen
gung im Vergleich zur Bewertung der Vortei-
Vorteile der Wiedervereinigung zu sehen, ist es
le des je anderen Teils Deutschlands in der
demnach nicht nur maßgeblich, in welchem Teil
westdeutschen Bevölkerung besonders stark
Deutschlands man lebt, sondern vor allem, wel-
dar. Dennoch scheint das Phänomen des „Jam-
chen Bildungshintergrund man mitbringt. Auch
mer-Wessis“, der die Vorteile stets beim An-
wenn alle Auswirkungen nur als klein einzustu-
deren verortet, nur von relativ kurzer Dauer.
fen sind, so spricht dieses Ergebnis dennoch
Im Jahr 2018 sind die Bewertungen in Ost und
dafür, dass Bildung einen wesentlichen Faktor
West wieder beinahe identisch und nähern sich
bei der Bewertung der eigenen Vorteile durch
der Tendenz nach weiter an.
die Wiedervereinigung darstellt. Vor allem vor dem Hintergrund eines durch Schulschließungen beeinträchtigten Bildungsangebotes in vielen ostdeutschen Regionen (Autorengruppe
5.3 Exkurs: Kein „Revival“ des Sozialismus bei Jüngeren
Bildungsberichterstattung 2018) erhält dieser
Die Untersuchung der Einstellungen zum
Befund weitere politische Brisanz.
Sozialismus als Idee zielte darauf ab, zu ana-
13
Ein ähnlich überraschender Effekt ergibt sich
lysieren, ob in den letzten Jahren ein Revival,
auch bei den subjektiven Einflussfaktoren. Alle
also ein Wiedererstarken der Befürwortung,
13 Der demographische Wandel geht in vielen ostdeutschen Landkreisen mit einem Rückgang des Bildungsangebotes einher. In den Jahren 2006 bis 2016 wurden 16 Prozent der allgemeinbildenden Schulen geschlossen oder zusammengelegt. Auch der Personalschlüssel an Schulen ist in Ostdeutschland bedeutend schlechter (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018).
40
Ergebnisse
in der gesamten deutschen Bevölkerung zu
in den alten Bundesländern weniger als die
beobachten war. Da die Zustimmung zu so-
Hälfte sind. Testet man diese Differenzen infe-
zialistisch orientierten Positionen in vielen
renzstatistisch, so ergibt sich eine mittlere Ge-
westlichen Ländern vor allem in den jüngeren
samteffektstärke. Unter Berücksichtigung der
Generationen anwächst, wurde bei dieser Ana-
verschiedenen Messzeitpunkte und Kohorten
lyse vor allem die „Nachwendegeneration“ in
reduziert sich der Einfluss allerdings und ist als
den Blick genommen. Außerdem wurden Ost-
klein einzustufen.
West-Unterschiede untersucht. Letztere konn-
Entgegen der Vorannahme, dass es beim
ten, wie erwartet, aufgedeckt werden: Über alle
letzten Erhebungszeitpunkt zu einem Wieder-
Messzeitpunkte hinweg ist die Zustimmung in
erstarken der Zustimmung zum Sozialismus
den neuen Bundesländern mit 74,9 Prozent be-
kommen könnte, zeigt Abbildung 9, dass zwi-
deutend höher als in den alten Bundesländern,
schen den einzelnen Messzeitpunkten gerin-
wo sie bei gerade mal 46,3 Prozent liegt. Da-
ge Unterschiede bestehen. Unter Berücksich-
mit stimmen fast drei Viertel der Bewohner*in-
tigung der Ost-West-Unterschiede fallen sie
nen der neuen Bundesländer der Aussage zu,
kaum ins Gewicht. Es kann also nicht von einem
dass der Sozialismus eine gute Idee ist, die
Revival des Sozialismus in den vergangenen
nur schlecht ausgeführt wurde, während es
zehn Jahren gesprochen werden.
Abbildung 9
Die Zustimmung zum Sozialismus als Idee (1991-2018, in %) 100
Prozent
80
77,5
75,5
60 40
74,2
72,7 51,6
46,4
39,7
47,5
20 0 1991
2000
2010
2018
Jahr Ost
West
Anmerkung: Angegeben ist die prozentuale Zustimmung zum Item „Der Sozialismus ist im Grunde eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde“ in Ost- beziehungsweise Westdeutschland zu den verschiedenen Messzeitpunkten (n = 10.559). Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018). Eigene Darstellung.
41
Mauer in den Köpfen?
Abbildung 10 bildet die prozentuale Zu-
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass
stimmung in den einzelnen Geburtsjahrgängen
zwischen den politischen Entwicklungen
ab. Entgegen der Annahme, dass es in den jün-
Deutschlands im Vergleich zu anderen west
geren Generationen zu einem Wiedererstarken
lichen Nationen, wie den USA, Frankreich und
der Befürwortung des Sozialismus gekommen
dem Vereinigten Königreich, durchaus Un-
sein könnte, zeigt sich ein kontinuierlicher Ab-
terschiede zu verzeichnen sind. Die jüngeren
wärtstrend bei der Zustimmung der jüngeren
Generationen scheinen weniger geneigt, sich
Kohorten. Während in der gesamten Stichpro-
dem Sozialismus als Idee zuzuwenden. Dies
be über die Hälfte der Befragten den Sozialis-
mag einerseits historisch bedingt sein; eine
mus der Idee nach befürworten, stimmen in
negative Verknüpfung mit dem autoritären Herr-
den Jahrgängen ab 1989, also der Nachwende
schaftssystem der DDR ist durchaus denkbar
generation, nur noch 37,5 Prozent zu. Die Zu-
und steht in Einklang mit der starken Befürwor-
stimmung innerhalb der ostdeutschen Bevöl-
tung der deutschen Einheit in dieser Generation.
kerung ist dabei nach wie vor etwas höher.
Wie die Studie von Faus und Storks (2019) zei-
14
Abbildung 10
Die Zustimmung zum Sozialismus als Idee nach Geburtsjahrgängen (in %) 100 80
80,5
78,7
77,9
75,1
72,0
71,9
Prozent
64,1
60
52,9 45,1
50,2
62,7
46,8
44,3
42,4
42,5
1951-1960
1961-1970
1971-1980
1981-1989
40
45,2
20 0 bis 1930
1931-1940
1941-1950
nach 1989
Geburtsjahrgänge Ost
West
Anmerkung: Angegeben ist die prozentuale Zustimmung zum Item „Der Sozialismus ist im Grunde eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde“ in Ost- beziehungsweise Westdeutschland nach Geburtsjahrgängen (n = 10.543). Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018). Eigene Darstellung.
14 Der leichte Anstieg der Zustimmung in der Generation ab 1989 der westdeutschen Bevölkerung kann auf zufällige Schwankungen zurückgeführt werden.
42
Ergebnisse
gen konnte, verliert die Teilung Deutschlands in
Der Einfluss der subjektiven Einstellungs-
der Nachwendegeneration an Relevanz und der
faktoren weist signifikante, aber marginale Ef-
Begriff des Sozialismus könnte daher auch ver-
fektstärken auf. Lediglich die Selbsteinschät-
altet und überholt wirken. Im Gegensatz dazu
zung als politisch rechts- beziehungsweise
wird der Begriff beispielsweise in den USA eher
linksgerichtet zeigt einen stärkeren Effekt,
mit einer sozialdemokratischen Politikausrich-
der sogar den Einfluss der Zugehörigkeit zur
tung in Verbindung gebracht und eine mögliche
ost- beziehungsweise westdeutschen Bevöl-
negative historische Verknüpfung scheint dabei
kerung übersteigt. Um die Zustimmung zum
eher in den Hintergrund zu treten.
Sozialismus als Idee zu prognostizieren, ist die
Zusätzlich kann man die Zustimmung zum
Selbsteinschätzung als politisch linksgerichtet
Sozialismus als Indikator für eine Identifika
demnach geeigneter als der aktuelle Wohnort
tion mit Teilen des DDR-Systems innerhalb
in Ostdeutschland. Beide Prädiktoren zeigen
der ostdeutschen Bevölkerung heranziehen.
jedoch einen bedeutsamen Einfluss auf die Zu-
Im Einklang mit den Ergebnissen der Säch-
stimmung zum Sozialismus als Idee.
sischen Längsschnittstudie kann dann fest-
Es bleibt anzumerken, dass die beobachtete
gehalten werden, dass in Ostdeutschland
Differenz zwischen ost- und westdeutscher Be-
nach wie vor eine große Verbundenheit zur
völkerung in Bezug auf das politische System
DDR vorherrscht, die in den letzten 30 Jah-
noch nicht notwendigerweise einen spaltenden
ren jedoch rückläufig war. Besonders die
oder gar demokratiefeindlichen Zug annehmen
Jahrgänge mit DDR-Sozialisation weisen eine
muss. Die Frage zielt in ihrer Formulierung viel-
hohe Zustimmung zum Sozialismus als Idee
mehr auf eine Abgrenzung zu den verschiedenen
auf. Aber selbst in den jüngeren Jahrgängen
Spielarten sozialistischer Regierungsformen ab
stimmen noch über 60 Prozent der Befragten
und schließt damit eine kritische Distanz zu
dem Sozialismus als Idee zu.
der Umsetzung in vergangenen Systemen, wie
Zuletzt ergab die Berücksichtigung der
sie sich beispielsweise auch in reformsozialis-
objektiven Strukturmerkmale einen signifi-
tischen Protestbewegungen der DDR äußerte,
kanten, aber sehr geringen Einfluss von Ge-
nicht aus (Lindner 2014). Die Berücksichtigung
schlecht, Gemeindegröße und Bildungshinter
unterschiedlicher Erfahrungen und eine Offen-
grund. Frauen aus ländlicheren Regionen mit
heit gegenüber anderen (demokratischen) Vor-
einem niedrigeren Bildungsabschluss bewer-
stellungen des gesellschaftlichen Miteinanders
ten den Sozialismus tendenziell positiver.
könnten damit ein Potenzial für progressive Ent-
Nach der Wiedervereinigung waren Frauen
wicklungen – z. B. im Sinne eines stärkeren poli-
und gering Qualifizierte besonders häufig
tischen Engagements oder hinsichtlich egalitä-
von Arbeitslosigkeit bedroht (Booth 2010),
rer sozialpolitischer Vorstellungen – darstellen,
dies hat sich offensichtlich nachhaltig auf die
wenn solche Stimmen im öffentlichen Diskurs
Bewertung ausgewirkt.
auch wahr- und ernst genommen werden.
43
Mauer in den Köpfen?
5.4 Die Binnenmigrant*innen als Vorbilder
zum Zeitpunkt der Befragung immer noch dort lebten (Gruppe West-West); 4. Personen, die Kindheit und Jugend in den
Die Gruppe der Binnenmigrant*innen stellen
alten Bundesländern verbrachten und zum
in der Forschung eine bisher wenig betrachtete
Zeitpunkt der Befragung in den neuen Bun-
Gruppierung dar. Wie zuvor dargestellt wurde,
desländern lebten (Gruppe West ➝ Ost).
weisen bisherige Untersuchungen jedoch auf starke Unterschiede zwischen Personen mit
Da es sich bei der vorliegenden Stichprobe um
und ohne Binnenmigrationserfahrung hin. Eine
eine der größten bisher untersuchten Binnen-
Untersuchung dieses Phänomens erlaubt da-
migrationsgruppen handelt, werden zunächst
her nicht nur eine differenziertere Aufschlüsse
allgemeine soziodemographische Daten prä-
lung der zum Klischee verkommenen „Ossis“
sentiert, um zu beleuchten, wie sich die beiden
und „Wessis“, sondern ermöglicht es darüber
Gruppen der Binnenmigrant*innen im Gegen-
hinaus, sozialisationsbedingte von situations-
satz zu den Nichtmigrant*innen zusammen-
bedingten Auswirkungen auf verschiedene Ein-
setzen. Danach folgt eine explorative Analyse
stellungsdimensionen zu trennen. Damit kann
der relevanten Fragestellungen; zunächst wird
also auch die Frage beleuchtet werden, welche
das Fremdheitsempfinden der beiden Binnen-
Aspekte für die Herausbildung persönlicher
migrationsgruppen untersucht, um heraus-
Meinungen und Positionen in besonderer Wei-
zufinden, wie der soziale Zusammenhalt aus
se relevant sind.
Sicht der Binnenmigrant*innen zu beurteilen
Für die Betrachtung der Binnenmigrant*in-
ist. Danach wird der jeweilige Blick auf die Vor-
nen wurde die Stichprobe in vier Gruppen
teile der deutschen Einheit für die alten und
unterteilt:
neuen Bundesländer aufgeschlüsselt und mit
15
1. Personen, die Kindheit und Jugend in den
den Einstellungen der Gruppen der im Osten
neuen Bundesländern verbracht hatten und
bzw. Westen Gebliebenen verglichen. Insge-
zum Zeitpunkt der Befragung immer noch
samt sollen die Analysen Aufschluss darüber
dort lebten (Gruppe Ost-Ost);
geben, ob und in welchen Fällen die Binnen-
2. Personen, die Kindheit und Jugend in den
migrant*innen in ihren Einstellungen eher den
neuen Bundesländern verbracht hatten und
Bürger*innen ihres Geburts- und Sozialisa
zum Zeitpunkt der Befragung in den alten
tionsortes ähneln und in welchen Fällen sie
Bundesländern lebten (Gruppe Ost ➝ West);
in ihren Einstellungen den Bürger*innen des
3. Personen, die Kindheit und Jugend in den
jetzigen Wohnortes gleichen. Auch die Mög-
alten Bundesländern verbracht hatten und
lichkeit eines speziellen „Wossi“-Effekts soll
15 Befragte, die Kindheit oder Jugend im Ausland oder den ehemaligen deutschen Gebieten verbrachten, oder solche, die keine Angaben zur Sozialisation gemacht haben, wurden für die folgenden Analysen nicht berücksichtigt (n = 1.364; 12 Prozent aller Befragten).
44
Ergebnisse
überprüft werden. Dieser wäre dann gegeben,
53,3 Prozent der Ost-West-Migrant*innen wa-
wenn sich die beiden Binnenmigrationsgruppen
ren weiblich, während es im Fall der West-Ost-
ähneln, aber maßgeblich von den Gruppen ohne
Migrant*innen 51,0 Prozent waren. Eine Über-
Binnenmigrationserfahrung unterscheiden (vgl.
repräsentation der jungen Frauen in der Grup-
Abschnitt 5.4). Für die Analyse der Einstellungs-
pe der Ost-West-Migrant*innen, wie sie durch
unterschiede wurden wie zuvor die Gruppen-
andere Studien nahegelegt wird, kann in der
zuteilung sowie der Erhebungszeitpunkt als
vorliegenden Stichprobe demnach deskriptiv
Einflussfaktoren ins Modell aufgenommen. Auf
bestätigt werden, wobei der Unterschied klei-
eine Aufschlüsselung nach Geburtsjahrgängen
ner ausfiel als erwartet.
wurde aufgrund der geringen Fallzahl verzichtet.
Obwohl aktuelle Studien vor allem von der
Auch die Betrachtung der Einstellung zum Sozia
Binnenmigration junger Erwachsener berich-
lismus als Idee entfällt hier.
ten, lag das mittlere Alter der hier betrachteten beiden Binnenmigrationsgruppen leicht
5.4.1 Wer sind die Binnenmigrant*innen?
über dem Gesamtdurchschnitt (50,19 Jahre für
Tabelle 3 gibt den prozentualen Anteil der Bin-
die Ost-West-Migrant*innen, 51,04 Jahre für
nenmigrant*innen an der Gesamtstichprobe
die West-Ost-Migrant*innen und 48,55 Jahre
der jeweiligen Erhebungszeitpunkte wieder.
in der Gesamtstichprobe). Dieser Unterschied
Im Mittel machten die Ost-West-Migrant*innen
erwies sich jedoch nicht als statistisch signi-
3,6 Prozent aller Befragten aus, die West-Ost-
fikant. Da der Zeitpunkt der Binnenmigration
Migrant*innen stellten 1,2 Prozent der Befrag-
nicht miterhoben wurde, ist unklar, ob dieser
ten. Umgerechnet auf die Gesamtbevölkerung
Trend nicht vielmehr darauf zurückzuführen
entspricht dies ca. 22,5 Prozent bzw 0,8 Pro-
ist, dass die Binnenmigration zum Zeitpunkt
zent der im Osten bzw. im Westen Geborenen.
der Befragung bereits einige Jahre zurücklag.
Tabelle 3
Übersicht der Stichprobe der Binnenmigrant*innen Messzeitpunkt
Ost ➔ West
West ➔ Ost
1991
91 (ca. 21,1 %)
32 (ca. 0,6 %)
2000
66 (ca. 18,7 %)
12 (ca. 0,4 %)
2010
121 (ca. 25,3 %)
30 (ca. 0,8 %)
2018
127 (24,5 %)
56 (ca. 1,2 %)
405 (ca. 22,5 %)
132 (ca. 0,8 %)
Anmerkung: Die Prozentangaben beschreiben den geschätzten Anteil der Binnenmigrant*innen an der Gesamtzahl aller im jeweiligen Teil Deutschlands Geborenen. Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018) sowie Daten des Statistischen Bundesamtes zu Bevölkerungsstand und Migrant*innenanteil der jeweiligen Jahre. Eigene Darstellung.
45
Mauer in den Köpfen?
Im Fall der Ost-West-Migration ist dabei auch
vielleicht schon vor der Wende, zumeist wohl
der große Anteil derer zu beachten, die bereits
aus politischen Gründen, nach Westdeutsch-
vor 1989 aus der DDR geflohen sind (zwischen
land flüchtete, und eine jüngere Gruppe, die die
1961 und 1989 flohen knapp drei Millionen
Grenzöffnung nutzte, um die eigenen Lebens-
Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik,
bedingungen zu verbessern. Die Daten legen
vgl. Kowalczuk 2005). Abbildung 11 verdeut-
außerdem nahe, dass die Nachwendegenera-
licht, dass die unterschiedliche Altersstruktur
tion ab 1989 in Ostdeutschland weniger häufig
auch mit einer differierenden Verteilung der Al-
nach Westdeutschland migriert. Dies könnte
terskohorten einhergeht. In der Gruppe der Ost-
darauf hindeuten, dass sich die Lebensbedin-
West-Migrant*innen sind die älteren Geburts-
gungen in Ostdeutschland in den Augen der
kohorten (Jahrgänge bis 1940) deutlich stärker
jüngsten Generationen verbessert haben und
vertreten. Darüber hinaus ist jedoch auch ein
die neuen Bundesländer als Lebensmittelpunkt
hoher prozentualer Anteil jüngerer Geburts
an Attraktivität gewonnen haben.
kohorten (Jahrgänge 1971 bis 1989) zu verzeich-
Eine Betrachtung der Geburtsjahrgänge der
nen. Dies deutet darauf hin, dass die Migration
West-Ost-Migrant*innen zeigt einen besonders
von Ost- nach Westdeutschland besonders zwei
hohen prozentualen Anteil von zwischen 1951
Altersgruppen betraf; eine ältere Gruppe, die
bis 1960 Geborenen. Eine mögliche Ursache
Abbildung 11
Prozentuale Verteilung der Alterskohorten der Binnenmigrant*innen im Vergleich zum Gesamtmittel (in %)
25
22,0 19,7
Prozent
20 15 10
14,3 12,1
14,1 9,7
12,9
15,2 15,2 14,1
15,1 12,9
12,1
9,8
20,3 14,1 9,8
10,7
12,8 9,8 7,6
7,4 3,2
5
4,0
0 bis 1930
1931-1940
1941-1950
1951-1960
1961-1970
1971-1980
1981-1989
nach 1989
Geburtsjahrgänge Ost ➝ West
West ➝ Ost
Gesamt
Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018, n = 9.998). Eigene Darstellung.
46
Ergebnisse
dieser Überrepräsentation ist die, dass beson-
abschluss wider; 42,4 Prozent der Befragten
ders diese Gruppe der beim Mauerfall 30- bis
West-Ost-Migrant*innen gaben die Hochschul-
40-Jährigen berufliche Chancen und noch unge-
reife als höchsten Bildungsabschluss an, wäh-
nutzte Gelegenheiten in den neuen Bundeslän-
rend es bei den Ost-West-Migrant*innen nur
dern sahen und deswegen in den Osten gingen.
23,7 Prozent waren. Der Gesamtdurchschnitt
Denkbar ist aber auch, dass sie aus privaten
der Personen mit Hochschulreife betrug in der
Gründen, beispielsweise familiär bedingt, in
vorliegenden Stichprobe 21,7 Prozent.16
die neuen Bundesländer abwanderten. Der im
Auch die Gemeindegröße des aktuellen
Vergleich zum Gesamtmittel recht große Anteil
Wohnortes kann als Indiz für eine wachsende
der jüngeren Jahrgänge ab 1981 kann hinge-
Attraktivität ostdeutscher Städte für Westdeut-
gen als Anzeichen gewertet werden, dass ver-
sche gewertet werden. Sie wurde in der vor-
mehrt junge Westdeutsche zum Studium oder
liegenden Stichprobe erst ab dem Jahr 2000
aus beruflichen Gründen nach Ostdeutschland
erhoben. Abbildung 12 zeigt, dass ein be-
ziehen. Dies spiegelt sich auch im Bildungs-
achtlicher Anteil der West-Ost-Migrant*innen
Abbildung 12
Prozentuale Verteilung der Binnenmigrant*innen nach Gemeindegröße im Vergleich zum Gesamtmittel (in %)
35
33,0
30
27,4
25,8
Prozent
25
21,0
20 15 8,7
10 5
5,4
11,1
16,2 14,6 13,0
15,0 12,7 9,0
14,6
West ➝ Ost 12,6
Gesamt
7,6
8,0
7,0
15,6
Ost ➝ West 16,9
1,0
0 Population bis 1.999
2.000 bis 4.999
5.000 bis 19.999
20.000 bis 49.999
50.000 bis 99.999
100.000 bis 499.999
500.000 und mehr
Einwohner*innen Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (2000, 2010 und 2018, n = 7.268). Eigene Darstellung.
16 Das Statistische Bundesamt gibt für 2018 einen Durchschnitt von 31,9 Prozent an, während es 2008 nur 24,4 Prozent waren. Es ist davon auszugehen, dass der Gesamtdurchschnitt in früheren Jahren noch geringer ausfiel und der prozentuale Anteil dadurch als repräsentativ angesehen werden kann (Statistisches Bundesamt 2019c).
47
Mauer in den Köpfen?
zum Zeitpunkt der Befragung in Städten ab
5.4.2 Der „Wossi“-Effekt
100.000 Einwohnern lebt. Dies passt mit dem
Das Fremdheitserleben gegenüber dem an-
Befund zusammen, dass 2017 zum ersten Mal
deren Teil Deutschlands diente als zentraler
mehr Menschen vom Westen in den Osten zo-
Indikator für den sozialen Zusammenhalt zwi-
gen als umgekehrt (Bundesinstitut für Bevöl-
schen den beiden deutschen Gebieten, da ein
kerungsforschung 2020b) – und insbesondere
Erleben der je anderen Bevölkerungsgruppe
die ostdeutschen Städte Dresden und Leipzig
als fremdartig auf eine große Relevanz der
zunehmend zu studentisch-alternativ gepräg-
Gruppenidentitäten als Ost- beziehungswei-
ten Kulturhauptstädten heranwachsen. Auch
se Westdeutsche*r hindeutet. In dieser Frage
die Ost-West-Migrant*innen leben zum Zeit-
nehmen die beiden Binnenmigrationsgruppen
punkt der Befragung häufiger in Großstädten
eine Vorreiterposition ein.
als das Gesamtmittel. Hier zeichnet sich jedoch
Abbildung 13 gibt die prozentuale Zustim-
zugleich eine deutliche Überrepräsentation von
mung der vier Gruppen wieder. Es ergibt sich
Ost-West-Migrant*innen ab, die in Kleinstädten
hier ein sehr kleiner, aber statistisch signifi-
leben. Dies kann als Anzeichen dafür gewertet
kanter Gruppeneffekt, der in der vorherigen
werden, dass Ost-West-Migration auch fami
Analyse, die sich ausschließlich auf den der-
lienbedingt oder aufgrund eines erwarteten
zeitigen Wohnort konzentrierte, nicht aufge-
höheren Gesamtlebensstandards stattfindet,
deckt wurde. Die beiden Binnenmigrations-
während es die West-Ost-Migrant*innen eher
gruppen bilden hier eine Einheit – sozusagen
in größere Städte zieht, in denen sich entspre-
eine „Wossi“-Gruppe – und zeigen im Mittel
chende Chancen am Arbeitsmarkt bieten.
geringere Zustimmungswerte zum Erleben
Abbildung 13
Anteil der Befragten, die den jeweils anderen Teil Deutschlands als fremd empfinden (nach Gruppenzugehörigkeit, in %)
Prozent
40 21,5
20
21,5
16,3 10,7
0 Ost-Ost
West ➝ Ost
Ost ➝ West
West-West
Anmerkung: Angegeben ist die prozentuale Zustimmung zum Item „Die Bürger im anderen Teil Deutschlands sind mir in vielem fremder als die Bürger anderer Staaten“ in den vier Gruppen (n = 9.628). Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018). Eigene Darstellung.
48
Ergebnisse
des anderen Teil Deutschlands als fremd. Die Gruppe der Ost-West-Migrant*innen weist hier
5.4.3 Vorreiter*innen der Wieder vereinigung
die geringsten Werte insgesamt auf: Nur etwas
Die Bewertung der deutschen Einheit diente als
mehr als zehn Prozent der Befragten stimmen
Indiz für eine wahrgenommene gesellschaft
der Aussage zu, dass ihnen die Bürger [sic] im
liche Spaltung. Große Differenzen in der Bewer-
anderen Teil Deutschlands in vielem fremder
tung der Vorteile durch die Wiedervereinigung
sind als die Bürger [sic] anderer Staaten. Im
für die Region des aktuellen Wohnortes im Ver-
Fall der beiden Gruppen ohne Binnenmigra
gleich zur je anderen Region Deutschlands deu-
tionserfahrung ist nach wie vor mehr als jeder
tet dabei auf wahrgenommene Differenzen zwi-
Fünfte. Dabei muss jedoch auch berücksich-
schen den beiden deutschen Teilen hin. Im Fall
tigt werden, dass es sich bei der Bewertung
der Binnenmigrant*innen soll außerdem über-
der Binnenmigrant*innen um eine Bewertung
prüft werden, ob sie in ihren Einstellungen eher
der Region handelt, in der sie geboren und
der Herkunftsgruppe oder der Gruppe des aktu-
sozialisiert wurden. Immerhin zehn Prozent
ellen Wohnortes ähneln, um sozialisations- von
der Binnenmigrierten drücken damit ein
situationsbedingten Einflussgrößen auf diesen
Fremdheitsempfinden gegenüber der Gruppe
Einstellungsebenen zu differenzieren.
aus, mit der sie einen maßgeblichen Teil ih-
Abbildung 14 gibt die prozentuale Zustim-
res Lebens verbracht haben. Auch an dieser
mung der vier untersuchten Gruppen zu den
Stelle spielen Binnenmigrationszeitpunkt so-
beiden Fragen wieder, ob die Wiedervereini-
wie individuelle Beweggründe sicherlich eine
gung für die alten beziehungsweise die neu-
bedeutsame Rolle. Eine Person, die aus poli-
en Bundesländer mehr Vorteile als Nachteile
tischen Gründen noch vor 1989 aus der DDR
bedeutete. Insgesamt wird deutlich, dass die
geflohen ist, wird ein anderes Bild von der
Binnenmigrationsgruppen ein ausgewogene-
Bevölkerung ihrer Herkunftsregion haben als
res Bild der Wiedervereinigung aufweisen als
eine solche, die zum Studium vom Westen in
die beiden Gruppen ohne Binnenmigrationser-
den Osten migrierte.
fahrung. Sie sehen Vor- und Nachteile für beide
Der ebenfalls als gering zu beurteilende
deutschen Gebiete.
Einfluss des Erhebungszeitpunktes ergibt sich
Besonders augenscheinlich ist dies im Fal-
daraus, dass die Zustimmung mit zunehmen-
le der West-Ost-Migrant*innen. Über die vier
der zeitlicher Distanz zur Wiedervereinigung
Messzeitpunkte hinweg sehen sie mehr Vor-
abnimmt. Die vier Gruppen entwickeln sich
als Nachteile der Wiedervereinigung für beide
dabei über die Zeit hinweg alle gleich: Wir
Teile Deutschlands (71,8 Prozent Zustimmung
wachsen zusammen und erleben den je an-
bei den Vorteilen für die alten Bundesländer;
deren Teil als weniger fremd – an der Spit-
63,5 Prozent Zustimmung bei Vorteilen für die
ze dieser Entwicklung stehen allerdings die
neuen Bundesländer). Die Unterschiede in der
„Wossis“.
Bewertung der Vorteile für die Herkunftsregion
49
Mauer in den Köpfen?
im Vergleich zur Region des aktuellen Wohn-
rate für die Vorteile der neuen Bundesländer
ortes sind zwar signifikant, weisen jedoch im
bei 73,1 Prozent und damit deutlich höher liegt.
Vergleich zu den beiden Gruppen ohne Binnen-
Der Bewertungsunterschied erzielt hier eine
migrationserfahrung eine deutlich geringere
mittelgradige Effektstärke und ist damit etwas
Stärke auf. Somit liegen zwar auch bei den
größer als in der Gruppe West ➝ Ost. Unabhän-
Binnenmigrant*innen Bewertungsunterschie-
gig vom Geburtsort ergibt sich deskriptiv in
de für die beiden Regionen vor, diese fallen
allen Gruppen eine positivere Beurteilung der
jedoch wesentlich geringer aus. Interessanter-
Vorteile durch die Wiedervereinigung für den
weise werden die Vorteile für die Herkunfts
Teil Deutschlands, in dem die Befragten nicht
region dabei als größer beurteilt als die Vor-
lebten. Die aktuelle Lebenssituation scheint
teile für die Region des aktuellen Wohnortes.
demnach einen stärkeren Einfluss auf die Be-
Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei den OstWest-Migrant*innen ab. Hier sehen etwas we-
wertung der deutschen Einheit zu nehmen als die Sozialisationserfahrung.
niger als die Hälfte (46,5 Prozent) mehr Vorteile
Dieses Ergebnis soll nun noch einmal dif-
als Nachteile für die alten Bundesländer, in de-
ferenzierter, mithilfe inferenzstatistischer Ver-
nen sie nun leben, während die Zustimmungs-
fahren beleuchtet werden. Die Analyse der Vor-
Abbildung 14
Anteil der Befragten, die die Wiedervereinigung für den jeweiligen Teil Deutschlands als positives Ereignis wahrnehmen (nach Gruppenzugehörigkeit, in %) 100
Prozent
80 60
82,2 74,3
73,1
71,8 63,5 53,3
46,5
40
39,9
20 0 Ost-Ost
West ➝ Ost Vorteile West
Ost ➝ West
West-West
Vorteile Ost
Anmerkung: Angegeben ist die prozentuale Zustimmung zu den Fragen „Die Wiedervereinigung hat für die Bürger der alten Bundesländer mehr Vorteile als Nachteile gebracht“ (Vorteile West) bzw. „Die Wiedervereinigung hat für die Bürger der neuen Bundesländer mehr Vorteile als Nachteile gebracht“ (Vorteile Ost) in den vier untersuchten Gruppen (n= 9.227). Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018). Eigene Darstellung.
50
Ergebnisse
teile für die neuen Bundesländer ergibt einen
Die Gruppe der im Osten Gebliebenen stimmt
mittleren Gruppeneffekt und einen sehr klei-
der Aussage, dass die Wiedervereinigung mehr
nen Einfluss des Erhebungszeitpunktes. Abbil-
Vorteile für die neuen Bundesländer gebracht
dung 15 gibt die prozentuale Zustimmung der
hat mit 53,5 Prozent zwar immer noch in über
Gruppen wieder. Eine nachträgliche, sogenann-
der Hälfte der Fälle zu, weist jedoch insgesamt
te Post-hoc-Analyse, gibt Aufschluss darüber,
die niedrigsten Zustimmungswerte auf, gefolgt
zwischen welchen der vier Gruppen Unterschie-
von der Gruppe der West-Ost-Migrant*innen,
de bestehen. Es tritt dabei eine Dreiteilung der
die eine Zustimmungsrate von 63,5 Prozent
Gruppierungen zu Tage: Die Gruppe der Ost-
zeigen und damit signifikant positivere Einstel-
West-Migrant*innen unterscheidet sich nicht be-
lungen vertreten. Somit nehmen die West-Ost-
deutsam von der Gruppe West-West. Sie bilden
Migrant*innen mit ihrer Bewertung eine mittlere
statistisch eine Einheit und unterscheiden sich
Position ein. Sie sehen mehr Vorteile für ihre jet-
signifikant von den beiden anderen Gruppie-
zige Wohnregion als die dort Ansässigen, aber
rungen (die Ost-West-Migrant*innen stimmen
beurteilen die Wiedervereinigung negativer als
in knapp drei Vierteln der Fälle zu, bei den im
die Bewohner*innen der Ursprungsregion und
Westen Gebliebenen sind es über 80 Prozent).
diejenigen, die dorthin migriert sind.
Abbildung 15
Anteil der Befragten, die die Wiedervereinigung für Ostdeutschland als positives Ereignis wahrnehmen (nach Gruppenzugehörigkeit, in %)
100 73,1
Prozent
80 60
53,5
82,2
63,5
40 20 0 Ost-Ost
West ➝ Ost
Ost ➝ West
West-West
Anmerkung: Angegeben ist die prozentuale Zustimmung zum Item „Die Wiedervereinigung hat für die Bürger der neuen Bundesländer mehr Vorteile als Nachteile gebracht“ in den vier Gruppen (n = 9.635). Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018). Eigene Darstellung.
51
Mauer in den Köpfen?
Ein ähnliches Bild ergibt auch die Unter-
Gruppe Ost-Ost). In der Gruppe der im Wes-
suchung der Einstellungen in Bezug auf die
ten Gebliebenen fällt die Bewertung mit einer
Vorteile der Wiedervereinigung für die alten
prozentualen Zustimmung von gerade einmal
Bundesländer (siehe Abbildung 16). Der Ein-
39,9 Prozent am schlechtesten aus. Eine mittle-
fluss der Untersuchungsgruppe ist dabei als
re Position nimmt die Binnenmigrationsgruppe
stark einzustufen, während auch hier der Effekt
Ost ➝ West ein, die in 46,5 Prozent der Fälle
des Erhebungszeitpunktes nur sehr schwach
mehr Vorteile als Nachteile durch die Wieder-
ausfällt. Die Post-hoc-Analyse liefert spiegel-
vereinigung sieht. Damit weisen sie höhere Zu-
bildliche Ergebnisse zur vorherigen Analyse.
stimmungswerte als die Gruppe West-West auf,
Auch hier ergibt sich eine Dreiteilung: Die bei-
aber niedrigere Werte als die beiden Gruppen,
den Gruppen, die zum Erhebungszeitpunkt in
die zum Erhebungszeitpunkt in den neuen Bun-
den neuen Bundesländern leben, bilden sta-
desländern lebten. Wenngleich sich die Bin-
tistisch eine Einheit. Sie schätzen die Vorteile
nenmigrant*innen in ihrer Bewertung in einer
der Wiedervereinigung für die alten Bundes-
Zwischenposition befinden, so scheinen sie
länder am stärksten ein (71,8 Prozent bei der
sich doch eher mit der Gruppe ihres aktuellen
Gruppe West → Ost und 74,3 Prozent bei der
Wohnortes zu identifizieren.
Abbildung 16
Anteil der Befragten, die die Wiedervereinigung für Westdeutschland als positives Ereignis wahrnehmen (nach Gruppenzugehörigkeit, in %) 100
Prozent
80
74,3
71,8
60
46,5
40
39,9
20 0 Ost-Ost
West ➝ Ost
Ost ➝ West
West-West
Anmerkung: Angegeben ist die prozentuale Zustimmung zum Item „Die Wiedervereinigung hat für die Bürger der alten Bundesländer mehr Vorteile als Nachteile gebracht“ in den vier Gruppen (n = 9.401). Quelle: Aggregierter Datensatz des ALLBUS (1991, 2000, 2010 und 2018). Eigene Darstellung.
52
Ergebnisse
Die inferenzstatistische Analyse führt so-
Herkunftsregion. Die Binnenmigrant*innen
mit zu einer Differenzierung des Einflusses
haben somit zwar in der Bewertung ihrer Her-
der Situation im Vergleich zur Sozialisation:
kunftsregion die Einstellungen ihrer derzeiti-
In ihrer Bewertung der Vorteile für die Her-
gen Umgebung angenommen, in der Bewer-
kunftsregion ähneln die beiden Binnenmigra
tung ihrer derzeitigen Region verbleibt jedoch
tionsgruppen tatsächlich den Bewohner*in-
ein Rest, der entweder auf ihre Sozialisation
nen ihres aktuellen Umfeldes. Hier hat die
oder auf die Binnenmigrationserfahrung als
Situation im Vergleich zur Sozialisation somit
solche zurückzuführen ist.
einen stärkeren Einfluss auf die Einstellungen.
Insgesamt kann festgehalten werden, dass
In der Bewertung der Vorteile ihrer derzeitigen
die Binnenmigrant*innen sich durch eine aus-
Wohnregion nehmen die Binnenmigrat*innen
gewogenere, weniger polarisierte Bewertung
jedoch eine Zwischenposition ein. Sie sitzen
der Wiedervereinigung auszeichnen. Wie sich
gewissermaßen zwischen den Stühlen; sie
es sich bereits im Fremdheitsempfinden nie-
bewerten die Vorteile des aktuellen Wohnor-
dergeschlagen hat, können sie somit als Vor-
tes zwar besser als die „Einheimischen“, je-
bilder für den Wiedervereinigungsprozess ge-
doch schlechter als die Bewohner*innen ihrer
sehen werden.
53
Mauer in den Köpfen?
6 Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit
Auch knapp 30 Jahre nach der Wiedervereini
über die verschiedenen Generationen hinweg
gung spielt die Teilung Deutschlands im öffent-
zu beurteilen und zueinander in Beziehung zu
lichen Diskurs und in den Köpfen der Menschen
setzen. Der „Nachwendegeneration“ der nach
eine wichtige Rolle. Während die Berichte der
1989 Geborenen wurde in einem Exkurs zur Be-
Bundesregierung jährlich über die wirtschaft
urteilung des Sozialismus als Idee zusätzliche
liche Annäherung Auskunft geben, fehlten bis-
Aufmerksamkeit geschenkt.
her Studien, die die „Einheitsmentalität“, also die Einstellungen der Bürger*innen zum je an-
einen wachsenden gesellschaftlichen Zu-
deren Teil Deutschlands sowie zur Wiederver-
sammenhalt der beiden Teile Deutschlands,
einigung, im Zeitverlauf und in verschiedenen
wenngleich auch nach wie vor Unterschiede
Geburtsjahrgängen differenziert untersuch-
zwischen den Bevölkerungsgruppen zu ver-
ten. Eine Analyse des mentalen Annäherungs-
zeichnen sind.
prozesses ist jedoch zentral, da mangelnder sozialer Zusammenhalt Spaltungsprozesse
So beurteilten mehr als 20 Prozent der west-
begünstigt, Vorurteile schüren und somit den
und ostdeutschen Bevölkerung die Bewoh-
demokratischen Zusammenhalt nachhaltig ge-
ner*innen des je anderen Teils als fremd.
fährden kann.
Dabei schätzt die Bevölkerung in den neuen
Ziel der vorliegenden Studie war es daher,
Bundesländern die westdeutsche Bevölkerung
zu untersuchen, welche Rolle die „Mauer in den
ähnlich fremd ein, wie es die Bevölkerung der
Köpfen“ der Menschen nach wie vor spielt. Dafür
alten Bundesländer im Falle der ostdeutschen
wurden Daten von über 10.000 Befragten zu vier
Bevölkerung tut. Es konnte jedoch ein positi-
Erhebungszeitpunkten der letzten 30 Jahre he-
ver Zeittrend aufgedeckt werden.
rangezogen und anhand mehrerer Indikatoren analysiert. Es handelt sich dabei um einen der größten bisher zu dieser Thematik analysierten Datensätze. Als zentrales Maß für die soziale
54
Insgesamt sprachen alle Indikatoren für
In beiden Teilen Deutschlands nimmt das Fremdheitsempfinden des je anderen Teils seit der Wiedervereinigung stetig ab.
Kohäsion, das Zusammengehörigkeitsgefühl,
Die Analyse der Bewertung der Wiederver-
wurde das Fremdheitsempfinden gegenüber
einigung ergab ebenfalls eine starke Annä-
dem je anderen Teil Deutschlands ausgewertet.
herungstendenz in den Einstellungen der
Auch die individuelle Bewertung der Wiederver-
ost- und westdeutschen Bevölkerung. Zwar
einigung wurde herangezogen, über die Frage,
wurden nach wie vor Unterschiede zwischen
als wie groß die entstandenen Vorteile für die
den beiden Gruppen gefunden. Unter Berück-
ost- und westdeutsche Bevölkerung eingestuft
sichtigung des Erhebungszeitpunktes, also der
werden. Die Aufteilung der Befragten nach Al-
zeitlichen Distanz zur Wiedervereinigung, so-
terskohorten ermöglichte es zudem, zusätzlich
wie des Geburtsjahrgangs reduzierte sich die
zum allgemeinen Zeittrend die Veränderungen
Stärke dieser Auswirkungen jedoch drastisch.
Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit
Je größer der zeitliche Abstand zur Wieder-
zu einem sprunghaften Anstieg in der Bewer-
vereinigung war und je jünger die Befragten
tung der eigenen Vorteile. In Westdeutschland
waren, desto ähnlicher beurteilt die ost- und
bedurfte es somit einer ganzen Generation,
westdeutsche Bevölkerung die entstande-
um die Vorteile der Wiedervereinigung für den
nen Vorteile durch die Wiedervereinigung.
eigenen Bevölkerungsteil zu sehen. Insgesamt ergab sich über die verschiedenen Erhebungs-
In beiden Fällen, sowohl bei der Bewertung
zeitpunkte hinweg und in den verschiedenen
der Vorteile der Wiedervereinigung für die al-
Geburtsjahrgängen das gleiche Bild wie zuvor:
ten als auch bei der Bewertung der Vorteile für
Je größer die zeitliche Distanz zur Wiederverei-
die neuen Bundesländer, war dieser Effekt auf
nigung und je jünger die Befragten, desto eher
eine Annäherung in der Bewertung über die
wurden die eigenen Vorteile in der Wiederver-
Messzeitpunkte hinweg sowie zwischen den
einigung gesehen. Von einer zunehmenden
Kohorten zurückzuführen.
Desillusionierung oder zunehmend enttäusch-
Mit der Zeit sind Ost- wie Westdeutsche immer häufiger der Meinung, dass der „eigene“ Landesteil vielleicht doch mehr profitiert hat als gedacht – und der „andere“ Landesteil vermutlich weniger.
ten Hoffnungen in den ersten Jahren nach der Vereinigung kann auf der Basis der vorliegenden Daten nicht die Rede sein, vielmehr verlief der Trend seit 1989 durchweg positiv. Dass trotzdem in den letzten Jahren verstärkt andere Gefahren für das demokrati-
In Bezug auf die Bewertung der eigenen Vor-
sche Miteinander virulent werden – die hohe
teile im Vergleich zu den Vorteilen der anderen
Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen,
ergab sich ein weiterer bemerkenswerter Be-
Ausländerfeindlichkeit sowie nicht zuletzt
fund. Entgegen dem weit verbreiteten Stereo
das Erstarken politisch rechtsgerichteter Par-
typ des „Jammer-Ossis“ konnte gezeigt wer-
teien und Bewegungen wie PEGIDA und der
den, dass die westdeutsche Bevölkerung die
AfD; nicht nur, aber insbesondere auch in Ost-
eigenen Vorteile viel eher ausblendete als der
deutschland – spricht dafür, dass eine bes-
ostdeutsche Bevölkerungsteil. Zwar bewerte-
sere Bewertung der Wiedervereinigung sowie
ten die beiden Gruppen die Wiedervereinigung
ein geringeres Fremdheitsempfinden inner-
für den je anderen Teil Deutschlands durch-
halb Deutschlands natürlich nicht ausreicht,
weg als positiver als für sich selbst, der Unter-
um eine demokratisch ausgerichtete soziale
schied war jedoch im Osten konstant geringer.
Kohäsion sicherzustellen. Wie die Studie von
Die eigentlichen „Jammerer“ gab es demnach
Faus und Storks (2019) zeigt, können bestehen-
(zumindest zeitweise) eher aufseiten der west-
de Unterschiede zwischen Ost und West – oder
deutschen Bevölkerung. Im Jahr 2018, knapp
gar die Diskriminierung Ostdeutscher (vgl.
30 Jahre nach dem Fall der Mauer, kam es in
auch Foroutan et al. 2019) – zur Bildung einer
der westdeutschen Bevölkerung dann jedoch
(Teil-)Identität beitragen. Inwiefern solche Pro-
55
Mauer in den Köpfen?
zesse regionalistischer Identitätsbildung mit
des gesellschaftlichen Systems der DDR noch
der Ausgrenzung anderer Gruppen einherge-
am stärksten ausgeprägt. Über alle Messzeit-
hen, sollte in weiterführenden Studien näher
punkte und alle Geburtsjahrgänge hinweg
untersucht werden. Überdies ist es notwendig,
ergab sich jedoch eine hohe Gesamtzustim-
auch die Möglichkeit einer nationalistischen
mung zum Sozialismus als Idee. Dies sollte
Deutung der Wiedervereinigung nachzugehen.
aber keineswegs nur als Gefahr für die Demo
Diese vermindert zwar die Unterschiede zwi-
kratie gewertet werden – vielmehr könnte
schen Ost- und West, produziert aber unter
insbesondere die ostdeutsche Bevölkerung
Umständen neue Ausgrenzungen (beispiels-
mit ihrem realitätserprobten Umgang mit ge-
weise gegenüber Migrant*innen).
sellschaftlichen Transformationsprozessen
In der vorliegenden Studie stellte der Bil-
einen wichtigen Beitrag zur progressiven Ge-
dungsabschluss einen maßgeblichen Faktor
staltung unseres demokratischen Miteinan-
bei der Bewertung der Wiedervereinigung dar.
ders leisten. Dafür ist eine Anerkennung ihrer
Im Falle der Bewertung der eigenen Vorteile durch die Wiedervereinigung konnte der Bildungsabschluss Unterschiede sogar besser erklären als die Zugehörigkeit zur jeweiligen Gruppe der Ost- beziehungsweise Westdeutschen.
56
Erfahrungen im öffentlichen Diskurs jedoch zwingend notwendig. Eine weitere Besonderheit der vorliegenden Studie stellte die Untersuchung der Binnenmigrant*innen dar, also derjenigen, die ihren Lebensmittelpunkt vom einen in den anderen Teil Deutschlands verlegt haben. In
Durch bildungspolitische Arbeit mit einem Ziel
bisherigen Studien blieb dieser Gesichts-
der Angleichung, so kann geschlussfolgert
punkt meist unberücksichtigt, obwohl seit der
werden, könnten bestehende Differenzen zwi-
Wiedervereinigung die Mobilität innerhalb
schen Ost und West weiter reduziert werden –
Deutschlands, besonders von den ostdeut-
indem ein Verständnis für den je anderen Teil
schen in die westdeutschen Bundesländer,
Deutschlands, dessen spezifische Geschichte
für die soziale und politische Struktur nicht
sowie individuelle Erfahrungshintergründe ge-
unbedeutend war. Die Aufschlüsselung die-
schaffen wird.
ser Kategorien ermöglicht die Berücksichti-
Entgegen der Vorannahme kam es in Be-
gung der Pluralität der Erfahrungen mit der
zug auf die Befürwortung des Sozialismus
deutschen Einheit sowie der Vielseitigkeit
als Idee zu keinem „Revival“ in den jüngeren
der Zusammensetzung der deutschen Gesell-
Geburtsjahrgängen beziehungsweise bei den
schaft seit der Vereinigung. Die Ergebnisse
späteren Erhebungszeitpunkten. Die höchste
der Untersuchung der „Einheitsmentalität“
Zustimmung ergab sich vielmehr unter den äl-
dieser besonderen Gruppe zeigt die Binnen-
teren Generationen der ostdeutschen Bevöl-
migrant*innen in einer Vorbildfunktion. Sie
kerung. Hier ist die Identifikation mit Teilen
können ohne weiteres als die Vorreiter*in-
Zusammenfassung der Ergebnisse und Fazit
nen der Vereinigung bezeichnet werden. Die
Die Analyse der Binnenmigrant*innen ver-
Untersuchung des Fremdheitserlebens ergab
deutlicht, dass es sich bei der Frage nach der
dabei einen klaren „Wossi“-Effekt:
innerdeutschen Mobilität um ein vielschich-
Während bei den beiden Gruppen ohne Binnenmigrationserfahrung jeder Fünfte angab, die Bewohner*innen des je anderen Teils Deutschlands als fremder zu erleben als die Bewohner*innen anderer Staaten, waren es im Fall der Binnenmigrierten nur knapp über zehn Prozent.
tiges Phänomen handelt. Die individuellen Gründe, den Geburtsort zu verlassen, hängen dabei ebenso mit den untersuchten Einstellungsdimensionen zusammen wie der Zeitpunkt der Binnenmigration, das eigene Alter zum Zeitpunkt des Wohnortswechsels sowie der bisherigen Verweildauer im je anderen Teil Deutschlands. Obwohl über das Zusam-
Insgesamt zeigt sich, dass der intensive Aus-
menspiel der genannten Faktoren noch weit-
tausch mit der Bevölkerung des je anderen
gehende Unklarheit herrscht, kann die Gruppe
Teils, wie er durch die Verlegung des Lebens-
der Binnenmigrant*innen in gewisser Weise
mittelpunktes ermöglicht wird, zu einem Zu-
als Wegweiser der deutschen Einheit gesehen
sammenwachsen führen und Fremdheitsge-
werden. Sie sehen die Vorteile für beide Tei-
Auch in Bezug auf
le Deutschlands und zeichnen sich durch ein
die Bewertung der Wiedervereinigung gehen
weniger stark ausgeprägtes Fremdheitsemp-
die Binnenmigrant*innen mit gutem Beispiel
finden aus. Dies spricht dafür, dass progres-
voran: Sie weisen ein wesentlich ausgewoge-
sive Elemente der DDR-Vergangenheit und ihre
neres Bild in der Bewertung auf als die Grup-
nicht ausschließlich negativen Nachwirkungen
pen, die im Osten bzw. Westen geblieben sind.
in der heutigen Gesellschaft, beispielweise
Grundsätzlich gilt:
in Bezug auf das Geschlechterrollenverständ-
fühle reduzieren kann.
17
nis sowie die soziale Unterstützung, von den
Die Vorteile der Wiedervereinigung für die
Binnenmigrant*innen wahrgenommen werden
Region des aktuellen Lebensmittelpunktes
können, ohne dass das durch Repressionen
werden von allen untersuchten Gruppen,
und Unterdrückung entstandene Leid und die
mit oder ohne Binnenmigrationserfah-
wirtschaftlichen Einbußen nivelliert werden,
rung, geringer eingeschätzt als die Vortei-
die sich auf die unterschiedlichen Lebens
le für die je andere Region. Bei den Bin-
bedingungen in den alten und neuen Bundes-
nenmigrant*innen ist diese Einschätzung
ländern auswirken. Die Binnenmigrant*innen
jedoch signifikant positiver als bei den
zeichnen sich somit durch ein Verständnis bei-
„Einheimischen“.
der Seiten der Medaille aus.
17 Studien, die zusätzlich den Zeitpunkt der Binnenmigration erheben, könnten weitere Aufschlüsse über die Entwicklung dieser Tendenz ermöglichen.
57
Mauer in den Köpfen?
58
Alles in allem belegen die Ergebnisse die
gebnis weist somit auch über die Frage nach den
Wichtigkeit, spezifische Erfahrungen Einzelner
Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen
oder ganzer Gruppen zu berücksichtigen, um ei-
Ost- und Westdeutschland 30 Jahre nach der
nen demokratischen Zusammenhalt der Gesell-
Einheit hinaus: Ein innerdeutscher Austausch,
schaft zu ermöglichen und zu fördern. Dies kann
der den spezifischen Erfahrungen und daraus
einerseits durch früh einsetzende Bildungs
resultierenden Stärken sozialer Minderheiten –
arbeit, andererseits auch durch die Förderung
seien es Ostdeutsche, Frauen*, Migrant*innen,
innerdeutschen Austausches im politischen wie
Geflüchtete, oder andere soziale Gruppen – auf
privaten Raum eingeleitet werden. Dabei ist es
Augenhöhe begegnet sowie eine Verbesserung
nicht zielführend, ausschließlich von „den Ost-
der Lebensbedingungen und insbesondere der
deutschen“ und „den Westdeutschen“ zu spre-
Bildungschancen in strukturschwächeren Re-
chen. Vielmehr kann nur die Sensibilisierung
gionen, trägt dazu bei, den demokratischen
für die Pluralität der Erfahrungshintergründe
Zusammenhalt in Deutschland zu stärken und
der in Deutschland Lebenden die Basis für ein
die Mauer in den Köpfen Stück für Stück abzu-
demokratisches Miteinander bilden. Dieses Er-
tragen.
Anhang
Anhang
Hinweise zu den Autor*innen.......................................................................... 59 Literatur.........................................................................................................60 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen.......................................................64
Hinweise zu den Autor*innen
Ayline Heller, M.Sc., studierte in Frankfurt Psychologie und Linguistik. Sie ist Teil des Vorstandes der „Gesellschaft für psychoanalytische Sozialpsychologie e. V.“ und promoviert derzeit im BMBF-Verbundsprojekt „DDR-Vergangenheit und psychische Gesundheit: Risiko- und Schutzfaktoren“ an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zum Thema „Politische Einstellungen und Politisierung in Ostdeutschland: Konzepte und Determinanten von Rechtsextremismus und Autoritarismus im Spannungsfeld der DDR-Vergangenheit“. Ana Nanette Tibubos, Dr. phil. nat., Dipl.-Psych., ist Wissenschaftlerin und Psychologin in der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (seit 2016). Sie ist wissenschaftliche Leiterin der Arbeitsgruppe Migration, Mobility and Mental Health und des Forschungsbereiches Diagnostik und Methodenentwicklung. Manfred Beutel, Prof. Dr., ist Arzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalyse und Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Forschungsschwerpunkte sind Psychotherapieforschung und Versorgungsforschung, E-Mental Health, Epidemiologie psychischer Erkrankungen und Psychoonkologie. Elmar Brähler, Prof. Dr. rer. biol. hum. habil., war von 1994 bis zu seiner Emeritierung 2013 Leiter der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig. Seitdem ist er Gastwissenschaftler an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz. Er leitet dort das BMBF-Verbundprojekt „DDR-Vergangenheit und psychische Gesundheit: Risiko- und Schutzfaktoren“.
59
Mauer in den Köpfen?
Literatur
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60
Anhang
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61
Mauer in den Köpfen?
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62
Anhang
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63
Mauer in den Köpfen?
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
64
Abbildung 1:
Wanderung zwischen den ost- und westdeutschen Bundesländern (ohne Berlin, 1991 bis 2018)...................................................................................... 15
Abbildung 2:
Anteil der Befragten, die den jeweils anderen Teil Deutschlands als fremd empfinden (1991-2018, in %).................................................................................................... 28
Abbildung 3:
Die Bewertung der Wiedervereinigung in Ost und West...............................................30
Abbildung 4:
Anteil der Befragten, die die Wiedervereinigung für Ostdeutschland als positives Ereignis wahrnehmen (1991-2018, in %)................................................. 31
Abbildung 5:
Anteil der Befragten, die die Wiedervereinigung für Ostdeutschland als positives Ereignis wahrnehmen nach Geburtsjahrgängen (in %)............................33
Abbildung 6:
Anteil der Befragten, die die Wiedervereinigung für Westdeutschland als positives Ereignis wahrnehmen (1991-2018, in %).................................................35
Abbildung 7:
Anteil der Befragten, die die Wiedervereinigung für Westdeutschland als positives Ereignis wahrnehmen nach Geburtsjahrgängen (in %)............................36
Abbildung 8:
Anteil der Befragten, die die Wiedervereinigung für den je eigenen Teil Deutschlands als positives Ereignis wahrnehmen (1991-2018, in %).................................................39
Abbildung 9:
Die Zustimmung zum Sozialismus als Idee (1991-2018, in %)...................................... 41
Abbildung 10:
Die Zustimmung zum Sozialismus als Idee nach Geburtsjahrgängen (in %)................. 42
Abbildung 11:
Prozentuale Verteilung der Alterskohorten der Binnenmigrant*innen im Vergleich zum Gesamtmittel (in %)...................................................................... 46
Abbildung 12:
Prozentuale Verteilung der Binnenmigrant*innen nach Gemeindegröße im Vergleich zum Gesamtmittel (in %).......................................................................47
Abbildung 13:
Anteil der Befragten, die den jeweils anderen Teil Deutschlands als fremd empfinden (nach Gruppenzugehörigkeit, in %)........................................... 48
Abbildung 14:
Anteil der Befragten, die die Wiedervereinigung für den jeweiligen Teil Deutschlands als positives Ereignis wahrnehmen (nach Gruppenzugehörigkeit, in %).......................50
Abbildung 15:
Anteil der Befragten, die die Wiedervereinigung für Ostdeutschland als positives Ereignis wahrnehmen (nach Gruppenzugehörigkeit, in %)....................... 51
Abbildung 16:
Anteil der Befragten, die die Wiedervereinigung für Westdeutschland als positives Ereignis wahrnehmen (nach Gruppenzugehörigkeit, in %).......................52
Tabelle 1:
Anzahl der Befragten aus Ost- und Westdeutschland zu den einzelnen Messzeitpunkten.......................................................................... 20
Tabelle 2:
Verteilung der Alterskohorten in der ost- und westdeutschen Bevölkerung.................. 21
Tabelle 3:
Übersicht der Stichprobe der Binnenmigrant*innen...................................................45
Anhang
Elke Habicht (1955-2020) Unsere langjährige freie Lektorin Elke Habicht M.A. ist nach schwerer Krankheit am 29. Juli verstorben. Die erste Fassung des Manuskriptes für das vorliegende Arbeitspapier 42 konnte sie im Frühjahr noch sichten, aber leider den weiteren Prozess der Bearbeitung nicht mehr begleiten. Die OBS verliert mit Frau Habicht eine engagierte Lektorin und erfahrene Redakteurin, die viele unserer AutorInnen über Jahre kompetent und profiliert bei der Arbeit mit den Manuskripten unterstützte und zahlreiche Publikationen der OBS mit großer Umsicht und notwendiger Sorgfalt bis zur Veröffentlichung betreute. Das OBS-Arbeitsheft 66 war 2010 die erste Publikation, die im Impressum Frau Habicht als verantwortliche Lektorin auswies. Mit ihrer Erkrankung Mitte 2018 musste sie die Arbeit für die OBS unterbrechen. Als die Krankheit überwunden schien, unterstützte sie uns wieder ab AH 100, das im Herbst 2019 erschien. Auch etwa ein Dutzend unserer Arbeitspapiere (und Einzelpublikationen wie unsere Geschäftsberichte 2007-2011 und 2011-2015) haben durch die ebenso fachkundige wie professionelle Bearbeitung von Frau Habicht nicht nur an gedanklicher Klarheit und Argumentationstiefe, sondern auch an Anschaulichkeit und Lesbarkeit gewonnen. Den guten Ruf und die hohe Wertschätzung, die unsere Publikationen weit über enge Fachkreise hinaus genießen, verdanken sie entscheidend der intensiven Beschäftigung und erfolgreichen Arbeit von Frau Habicht. Die OBS ist Frau Habicht zu großem Dank verpflichtet. In stiller Trauer über ihren frühen Tod gilt unser tiefes Mitgefühl ihrem Mann Herbert und Tochter Hannah. Frankfurt/Main, im September 2020
65
Mauer in den Köpfen?
OBS-Arbeitspapiere Infos und Download: www.otto-brenner-stiftung.de
66
Nr. 41
Wählen mit 16? Ein empirischer Beitrag zur Debatte um die Absenkung des Wahlalters (Thorsten Faas, Arndt Leininger)
Nr. 40
Armutszeugnis. Wie das Fernsehen die Unterschichten vorführt (Bernd Gäbler)
Nr. 39
Stumme Migranten, laute Politik, gespaltene Medien – Die Berichterstattung über Flucht und Migration in 17 Ländern (Susanne Fengler, Marcus Kreutler)
Nr. 38
Rechte Allianzen in Europa – Wie sich NationalistInnen gegen die EU verbünden (Malene Gürgen, Patricia Hecht, Christian Jakob, Sabine am Orde [Redaktion])
Nr. 37
Zwischen „Flüchtlingskrise“ und „Migrationspakt“ – Mediale Lernprozesse auf dem Prüfstand (Michael Haller)
Nr. 36
Krimis, Kontroversen, Kochrezepte – Das Regionale in den Dritten der ARD – mit aktuellen Programmanalysen von rbb und SWR (Joachim Trebbe, Eva Spittka)
Nr. 35
Agenda-Setting bei ARD und ZDF? – Analyse politischer Sendungen vor der Bundestagswahl 2017 (Marc Liesching, Gabriele Hooffacker)
Nr. 34
Demoskopie, Medien und Politik – Ein Schulterschluss mit Risiken und Nebenwirkungen (Thomas Wind)
Nr. 33
Zwischen Fanreportern und Spielverderbern – Fußballjournalismus auf dem Prüfstand (Tonio Postel)
Nr. 32
Unsichere Arbeit – unsichere Mitbestimmung. Die Interessenvertretung atypisch Beschäftigter (Berndt Keller)
Nr. 31
Aufstocker im Bundestag III – Eröffnungsbilanz der Nebenverdienste der Abgeordneten zu Beginn der 19. Wahlperiode (Sven Osterberg)
Nr. 30
Netzwerk AfD. Die neuen Allianzen im Bundestag (Malene Gürgen, Christian Jakob, Sabine am Orde)
Nr. 29
Lindners FDP. Profil – Strategie – Perspektiven (Michael Freckmann)
Nr. 28
Unternehmensteuern in Deutschland. Rechtliche Grauzonen und zivilgesellschaftliche Alternativen (Christoph Trautvetter, Silke Ötsch, Markus Henn)
Nr. 27
Polarisiert und radikalisiert? Medienmisstrauen und die Folgen (Oliver Decker, Alexander Yendell, Johannes Kiess, Elmar Brähler)
Nr. 26
Aufstocker im Bundestag II – Bilanz der Nebenverdienste der Abgeordneten in der 18. Wahlperiode (Sven Osterberg)
Nr. 25
Unterhaltung aus Bayern, Klatsch aus Hessen? Eine Programmanalyse von BR und hr (Eva Spittka, Matthias Wagner, Anne Beier)
Nr. 24
#MythosTwitter – Chancen und Grenzen eines sozialen Mediums (Mathias König, Wolfgang König)
Nr. 23
Informationsfreiheit – Mehr Transparenz für mehr Demokratie (Arne Semsrott)
Nr. 22
Journalist oder Animateur – ein Beruf im Umbruch. Thesen, Analysen und Materialien zur Journalismusdebatte (Hans-Jürgen Arlt, Wolfgang Storz)
OBS-Arbeitspapier 42
Die Otto Brenner Stiftung Die Otto Brenner Stiftung … …
ISSN: 2365-1962 (nur online)
... ist die gemeinnützige Wissenschaftsstiftung der IG Metall. Sie hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Als Forum für gesellschaftliche Diskurse und Einrichtung der Forschungsförderung ist sie dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Ausgleich zwischen Ost und West.
Herausgeber: Otto Brenner Stiftung Jupp Legrand Wilhelm-Leuschner-Straße 79 D-60329 Frankfurt am Main Tel.: 069-6693-2810
... initiiert den gesellschaftlichen Dialog durch Veranstaltungen, Workshops und Koopera tionsveranstaltungen (z. B. im Herbst die OBS-Jahrestagungen), organisiert Konferenzen, lobt jährlich den „Brenner-Preis für kritischen Journalismus“ aus, fördert wissenschaftliche Untersuchungen zu sozialen, arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitischen Themen, vergibt Kurzstudien und legt aktuelle Analysen vor.
Fax: 069-6693-2786 E-Mail: info@otto-brenner-stiftung.de www.otto-brenner-stiftung.de Autor*innen: Ayline Heller Ana Nanette Tibubos Manfred Beutel Elmar Brähler Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
... informiert regelmäßig mit einem Newsletter über Projekte, Publikationen, Termine und Veranstaltungen.
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg- Universität Mainz Geb. 708/4.OG/4.010 Untere Zahlbacher Str. 8 D-55131 Mainz E-Mail: ayline.heller@unimedizin-mainz.de Redaktion: Benedikt Linden (OBS)
... freut sich über jede ideelle Unterstützung ihrer Arbeit. Aber wir sind auch sehr dankbar, wenn die Arbeit der OBS materiell gefördert wird. ... ist zuletzt durch Bescheid des Finanzamtes Frankfurt am Main V (-Höchst) vom 29. Mai 2018 als ausschließlich und unmittelbar gemeinnützig anerkannt worden. Aufgrund der Gemeinnützigkeit der Otto Brenner Stiftung sind Spenden steuerlich absetzbar bzw. begünstigt.
Unterstützen Sie unsere Arbeit, z. B. durch eine zweckgebundene Spende Hinweis zu den Nutzungsbedingungen: Dieses Arbeitspapier darf nur für nichtkommerzielle Zwecke im Bereich der wissenschaftlichen Forschung und Beratung
Mitarbeit:
und ausschließlich in der von der Otto Brenner Stiftung ver-
Elke Habicht, M.A.
öffentlichten Fassung – vollständig und unverändert – von
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... veröffentlicht die Ergebnisse ihrer Forschungsförderung in der Reihe „OBS-Arbeitshefte“ oder als Arbeitspapiere (nur online). Die Arbeitshefte werden, wie auch alle anderen Publikationen der OBS, kostenlos abgegeben. Über die Homepage der Stiftung können sie auch elektronisch bestellt werden. Vergriffene Hefte halten wir als PDF zum Download bereit.
Dritten weitergegeben sowie öffentlich zugänglich gemacht werden. In den Arbeitspapieren werden die Ergebnisse der Forschungsförderung der Otto Brenner Stiftung dokumentiert
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und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Für die Inhalte
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sind die Autorinnen und Autoren verantwortlich. Arbeits papiere erscheinen nur online, nicht als Printprodukt.
Redaktionsschluss:
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24. Juli 2020
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Spenden erfolgen nicht in den Vermögensstock der Stiftung, sie werden ausschließlich und zeitnah für die Durchführung der Projekte entsprechend dem Verwendungszweck genutzt. Bitte nutzen Sie folgende Spendenkonten: Für Spenden mit zweckgebundenem Verwendungszweck zur Förderung von Wissenschaft und Forschung zum Schwerpunkt: • Förderung der internationalen Gesinnung und des Völkerverständigungsgedankens Bank: IBAN: BIC:
HELABA Frankfurt/Main DE11 5005 0000 0090 5460 03 HELA DE FF
Für Spenden mit zweckgebundenem Verwendungszweck zur Förderung von Wissenschaft und Forschung zu den Schwerpunkten: • Angleichung der Arbeits- und Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland (einschließlich des Umweltschutzes) • Entwicklung demokratischer Arbeitsbeziehungen in Mittel- und Osteuropa • Verfolgung des Zieles der sozialen Gerechtigkeit Bank: IBAN: BIC:
HELABA Frankfurt/Main DE86 5005 0000 0090 5460 11 HELA DE FF
Geben Sie bitte Ihre vollständige Adresse auf dem Überweisungsträger an, damit wir Ihnen nach Eingang der Spende eine Spendenbescheinigung zusenden können. Oder bitten Sie in einem kurzen Schreiben an die Stiftung unter Angabe der Zahlungsmodalitäten um eine Spendenbescheinigung. Verwaltungsrat und Geschäftsführung der Otto Brenner Stiftung danken für die finanzielle Unterstützung und versichern, dass die Spenden ausschließlich für den gewünschten Verwendungszweck genutzt werden.
Aktuelle Ergebnisse der Forschungsförderung in der Reihe „OBS-Arbeitshefte“
OBS-Arbeitsheft 102*
Wolfgang Schroeder, Samuel Greef u. a.
Bedrängte Zivilgesellschaft von rechts
Interventionsversuche und Reaktionsmuster
OBS-Arbeitsheft 101*
Leif Kramp, Stephan Weichert
Nachrichten mit Perspektive
Lösungsorientierter und konstruktiver Journalismus in Deutschland
OBS-Arbeitsheft 100* Tim Engartner
Wie DAX-Unternehmen Schule machen
Lehr- und Lernmaterial als Türöffner für Lobbyismus
OBS-Arbeitsheft 99*
Tobias Gostomzyk, Daniel Moßbrucker
„Wenn Sie das schreiben, verklage ich Sie!“
Studie zu präventiven Anwaltsstrategien gegenüber Medien
OBS-Arbeitsheft 98*
Lutz Frühbrodt, Annette Floren
Unboxing YouTube
Im Netzwerk der Profis und Profiteure
OBS-Arbeitsheft 97*
Wolfgang Schroeder, Stefan Fuchs
Neue Mitglieder für die Gewerkschaften
Mitgliederpolitik als neues Politikfeld der IG Metall
OBS-Arbeitsheft 96*
Rainer Faus, Simon Storks
Im vereinten Deutschland geboren – in den Einstellungen gespalten?
OBS-Studie zur ersten Nachwendegeneration
OBS-Arbeitsheft 95* Bernd Gäbler
AfD und Medien
Erfahrungen und Lehren für die Praxis
OBS-Arbeitsheft 94*
Olaf Hoffjahn, Oliver Haidukiewicz
Deutschlands Blogger
Die unterschätzten Journalisten
OBS-Arbeitsheft 93* Michael Haller
Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
Tagesaktueller Journalismus zwischen Meinung und Information
OBS-Arbeitsheft 92* Bernd Gäbler
AfD und Medien
Analyse und Handreichungen
* Printfassung leider vergriffen; Download weiterhin möglich. Diese und weitere Publikationen der OBS finden Sie unter www.otto-brenner-stiftung.de Otto Brenner Stiftung | Wilhelm-Leuschner-Straße 79 | D-60329 Frankfurt/Main
OBS-Arbeitspapier 42
OBS-Arbeitspapier 42
Heller et al. – Mauer in den Köpfen?
Ayline Heller/Ana Nanette Tibubos/Manfred Beutel/Elmar Brähler
Mauer in den Köpfen? Einstellungen zur deutschen Einheit im Wandel
Mauer in den Köpfen? Einstellungen zur deutschen Einheit im Wandel
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Ein Projekt der Otto Brenner Stiftung Frankfurt am Main 2020
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