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95 JAHRE HENRI CÄRTIER-BRESSON

„Ich habe mich nie für Fotografie interessiert." So oder ähnlich äußerte er sich oft in den letzten Jahren: Henri Cartier-Bresson, dessen fotografisches Werk nicht nur unzählige Nachahmer animiert hat, sondern der die Welt des 20. Jahrhunderts auch in einem Umfang und in einer Weise fotografisch dokumentiert und interpretiert hat, die einzigartig ist. „Ich hatte immer ein leidenschaftliches Interesse für die Malerei", schrieb er 1952 in seinem Buch „Images ä la Sauvette". Malerei war der Ursprung

seines kreativen Schaffens in den 20er Jahren, zur

Calle Cuauhtemocztin, Mexico City, 1934

Mexico City, 1934 (oben),

Madrid, 1933 (unten)

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Malerei kehrte er zurück, als er 1974 seine Leica, seit 1932 die Kamera seiner Wahl, beiseite legte und sie fortan nur gelegentlich wieder zur Hand nahm. Seitdem spielt Cartier-Bresson permanent den Stellenwert der Fotografie für sein Leben herunter, als sei sie ein Irrweg gewesen, dem er über 40 Jahre gefolgt sei, bis er zu seiner eigentlichen Bestimmung zurückgefunden habe. Nicht zuletzt ist dies auch die Reaktion eines auf seine Autonomie als Künstler pochenden eigenwilligen Geistes, dem nichts so zuwider ist, wie fixiert zu werden auf eine Rolle, in eins gesetzt zu Werden mit seinem Werk, schon zu Lebzeiten eingereiht zu werden in den Olymp der Fotografen-Götter. In einem Interview äußerte er kürzlich auf die Frage, welche Fotografen er als legitime Nachfolger ansehen würde: „Das ist nicht mein Problem. Mein Problem ist es, meine Sensibilität wach zu halten." Auch sein 1966 erfolgter Rückzug aus der Fotoagentur Magnum, die er 1947 mit Robert Capa und David Seymour gegründet hatte, folgte einem Impuls der Selbstbehauptung: Die zunehmende kommerzielle Nutzung seiner Bilder bedrohe die Integrität seiner Arbeit. Seine Arbeit mit der Leica, das ist Kunst mit den Mitteln des Fotojournalismus. Es ist zum einen die Anwendung der strengen Prinzipien der Bildkomposition, die der junge Cartier-Bresson während seiner Lehrzeit im Atelier des Pariser Kubisten Andre Lhote verinnerlichte. Es ist zum anderen ein intuitives Gespür für das unerwartete Detail, für flüchtige Koinzidenzen im bewusstlosen Strom der Ereignisse, die in ihrer fotografischen Bewahrung zu Momenten wundersamer Bedeutung gerinnen. Das Vorwort zu „Images ä la Sauvette" ist betitelt „l'istant decisif" - hier formulierte Cartier-Bresson die Essenz seiner fotografischen Ästhetik: das „im Bruchteil einer Sekunde stattfindende Erkennen


New York, USA, 1935 (oben), 1947 (unten)

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der Bedeutung eines Geschehens und die gleichzeitige exakte Anordnung seiner Formen". „The decisive Moment" hieß das Buch in der englischen

Übersetzung, und „der entscheidende Augenblick" wurde zum Motto schlechthin, um Cartier-Bres-

sons Methode zu umschreiben. Das zeitlich präzise

Arthur Miller, Schriftsteller, Roxbury, Connecticut, USA, 1961 (oben), Henri Matisse, Maler, Vence, Frankreich, 1944 (unten)

Betätigen des Auslösers auf dem Kulminationspunkt eines Ereignisses ist das eine; ebenso wichtig aber ist die räumliche Dimension dieses Moments: die Komposition des Bildinhalts nach strengen geometrischen Regeln, damit das Bild nicht leblos wirkt. Dieser Akt des gleichzeitigen Sehens, Anordnens und Auslesens ist für Cartier-Bresson das eigentlich Bedeutsame an der Fotografie: „Ist das Bild gemacht, ist für mich auch die Freude daran vorbei". Es war ein aufreibendes Leben, das CartierBresson für derlei flüchtige Freuden führte. Als er, der sich früh wie so viele Künstler und Intellektuelle zwischen den Weltkriegen der politischen Linken angeschlossen hatte, nach einem Afrika-Auf enthalt beschloss, „mit einem schnelleren Instrument als dem Pinsel von den Wunden dieser Welt Zeug-

nis abzulegen", bereiste er in den 30ern Osteuropa,

Truman Capote, Schriftsteller, New Orleans, Louisiana, USA, 1947

Spanien und Mexiko, anschließend arbeitete er für die kommunistische Zeitung „Ce Soir", im Zweiten Weltkrieg geriet er in deutsche Gefangenschaft, aus der er 1943 fliehen konnte. Mit der Gründung von Magnum setzte ab 1947 eine intensive fotojournalistische Phase ein, in der Cartier-Bresson im Auftrag großer Magazine wie „Life" bei zahlreichen epochalen Ereignissen präsent war, etwa dem Begräbnis Gandhis oder den Anfängen des Mao-Regimes. Er besuchte die USA und die Sowjetunion, wo 1954 eine seiner bedeutendsten Reportagen entstand, und lebte einige Jahre in Asien. Vor allem in den 60er Jahren machte er viele Porträts berühmter Persönlichkeiten seiner Zeit - ein nicht unwesentlicher Teil eines Werks, dessen schöpferischer Realismus Momente von betörender, überzeitlicher Vertrautheit schuf und das hohe formale Standards setzte, ohne je formalistisch zu werden, os Ende April wurde in Paris die Fondation Henri Cartier-Bresson gegründet, die sich der Pflege und Erschließung des Werks dieses einzigartigen Künstlers widmen soll (www.henricartierbresson.org). Aus Anlass einer großen Retrospektive, die bis Ende Juli in Paris in der Ribliotheque National zu sehen war, entstand ein umfangreiches Buch mit Fotografien und Zeichnungen, darunter viel unveröffentlichtes Material möglicherweise die letzte von HCB autorisierte Monografie: Fondation Henri Cartier-Bresson (Hg.), Wer sind Sie, Henri Cartier-Bresson? Das Lebenswerk in 602 Bildern. Schirmer/Mosel, München 2003, 78 Euro

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