Perspektiven 2/16 OEK DE

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Das Magazin zum Lesen und Handeln

Nur Einigkeit macht stark Seiten 4 – 5

Eine Karawane für Land, Saatgut und Wasser Seite 6

Mai 2/2016


Editorial

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Liebe Leserin, lieber Leser «Gib einem Hungernden einen Fisch und er wird einmal satt. Lehre ihn fischen, und er wird nie wieder hungern» – dieses Sprichwort wird oft zitiert als Beispiel, dass Hilfe zur Selbsthilfe nachhaltiger ist als nur zu geben. Eine Haltung, die in der Entwicklungszusammenarbeit heu­te die Regel ist. Doch was, wenn die Gewässer von Dritten leer­gefischt werden? Wenn ein Konzern plötzlich die Exklusivrechte für einen Küstenstreifen hat? Dann kommt die Entwicklungspolitik ins Spiel, die Arbeit von Brot für alle und Fastenopfer. Ihr Ziel ist es, Rahmenbedingungen so zu verändern, dass alle Menschen ein selbstbestimmtes, würdiges Leben führen können. Es gilt herauszufinden, wer die Gewässer leergefischt hat und ob das Exklusivrecht auch rech­tens ist. Es braucht Gespräche mit Betroffenen und Politikerinnen. Es gilt, die Missstände an die Öffentlichkeit zu bringen. Und es müssen zivilgesellschaftliche Kräfte vernetzt und gestärkt werden, die dagegen angehen. Und fast immer braucht es einen langen Atem.

Patrick Renz, Direktor Fastenopfer Bernard DuPasquier, Geschäftsleiter Brot für alle Titelbild: Ein guatemaltekischer Junge beisst herzhaft in eine Karotte, die er gerade geerntet hat. Foto: Patricio Frei

INHALT MAYA GRAF

«Die Container mit Gentechfutter standen schon im Basler Hafen» Seite 7

KONZERNE

Die wenigsten Kon­ zerne haben eine ­Menschenrechtspolitik Seite 9

MENSCHEN IN AKTION

In kleinen Schritten die Welt verändern Seite 10

Impressum: Herausgeberinnen: Brot für alle, Fastenopfer, 2016 Chefredaktion: Pascale Schnyder (pst) Redaktion: Isolda Agazzi (ia), Patricio Frei (frp), J ­ ohanna Monney (jom) Gestaltung, Layout und Realisation: Crafft Kommunikation, Zürich Bildbearbeitung: Schellenberg Druck AG, Pfäffikon Druck: Druckerei Kyburz AG, Dielsdorf Auflage: 4600 de / 1800 fr Erscheinung: Viermal jährlich Preis: CHF 5.– pro Spender/in werden für das Abonnement verwendet Kontakte: Brot für alle, info@bfa-ppp.ch, 031 380 65 65 Fastenopfer, mail@fastenopfer.ch, 041 227 59 59

Fotos: Jean-Pierre Grüter / Patrik Kummer


Sierra Leone

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Partner von Brot für alle, beob­ achtet die Situation vor Ort kri­ tisch, berät Betroffene, hilft Kon­ flikte lösen, vermittelt zwischen Addax und der Bevölkerung.

Krise und Frustration

Addax begann mit vielen Versprechungen für die lokale Bevölkerung, geblieben sind Enttäuschung und Unsicherheit.

Öffentlich-private Partnerschaft gescheitert Die Genfer Firma Addax Bioenergy wollte in Sierra Leone ein Vorzeige­ projekt auf die Beine stellen. Die öffentlichen Gelder – auch aus der Schweiz – flossen zahlreich. Nun hat Addax den Betrieb eingestellt.

2008 startet der Genfer Konzern Addax Bioenergy in Sierra Leone ein folgenschweres Geschäft: Er pachtet 57 000 ha Land, grosse Teile bis dahin in Bewirtschaf­ tung von Kleinbauernfamilien. Das Vorgehen, obschon umfas­ send abgeklärt, wird schnell als Land Grabbing kritisiert. Bald schon werden Bäche zugedeckt, Wälder gerodet, Strassen gebaut. Ab 2013 wächst auf rund 10 000 ha Zuckerrohr. Daraus gewinnt Addax Agrotreibstoff für den eu­ ropäischen Markt. Aus den Ab­ fällen soll ein Elektrizitätswerk betrieben werden. Addax prog­

Foto: Miges Baumann

nostiziert 15 Prozent Gewinn. Öffentliche Gelder von acht Ent­ wicklungsbanken übernehmen die Hälfte der Investition, ein Teil davon stammt aus dem Schwei­ zer Entwicklungshilfebudget.

«Sonst sind wir hier weg» Addax sieht das Projekt als Para­ debeispiel einer öffentlich-priva­ ten Partnerschaft, wie Nikolai Germann, Geschäftsführer von Addax 2011 gegenüber dem Schweizer Fernsehen sagt: «Dreissig Jahre Entwicklungs­ hilfe haben diesen Menschen nicht geholfen und sie glauben

auch nicht mehr daran. Deshalb haben sie wahrscheinlich sehr viele Hoffnungen in das Addax Projekt. (…) Wir sind eine Privat­ firma und haben damit auch kein Problem, weil nur etwas Wirt­ schaftliches auch wirklich nach­ haltig ist, sonst sind wir in drei Jahren wieder weg.» Doch das Projekt bringt für die Bevölkerung nicht nur Positives: ungerechte Pachtverträge, Be­ einträchtigung der Ernährungs­ situation, nur ein Teil der ver­ sprochenen Arbeitsplätze. Das Netzwerk für das Recht auf Nah­ rung in Sierra Leone, Silnorf,

Vier Jahre dauert es, bis Addax den Betrieb einstellt. Die Bevöl­ kerung ist schockiert, Politiker konsterniert. Die ausländischen Experten verschwinden, Arbei­ ter ziehen weg und die kleinen Nebengeschäfte der Bevölke­ rung, wie die Vermietung von Unterkünften oder Essstände, brechen zusammen. Was ist passiert? Addax hat sich verrechnet. Die 2011 mit 258 Mio. Euro veranschlagte Investition ist bis 2015 auf 455 Mio. Euro angewachsen. Die Zuckerrohr­ felder haben nicht den prognosti­ zierten Ertrag gebracht, die fal­ lenden Energiepreise den Erlös zusätzlich gedrückt. Nun scheint mit der umstrittenen britisch-­ chinesischen Sundbird Bioener­ gy ein neuer Investor in die Bre­ sche zu springen (aktuelle Infos auf: www.brotfueralle.ch/addaxbioenergy). Doch viele Fragen bleiben offen, etwa, was mit den öffentlichen Investitionen pas­ siert. Klar ist aber, dass die als «nachhaltiges Investitionsmodell» angepriesene öffentlich-private Partnerschaft nicht funktioniert hat. Trotzdem wird dieses Modell bei der Direktion für Entwick­ lung und Zusammenarbeit und beim Staatssekretariat für Wirt­ schaft derzeit als die Lösung schlechthin propagiert. Olivier de Schutter, damals Uno-Sonder­ beauftragter für das Recht auf Nahrung, war prophetisch, als er 2010 in einem Interview zu Ad­ dax meinte: «Es ist ein Pilotpro­ jekt. Wenn das nicht funktioniert, wird keines funktionieren. Priva­ te Investoren können den Staat nicht ersetzen.» — Miges Baumann


Madagaskar

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Nur Einigkeit macht stark Die Bewohnerinnen und Bewohner von Taratasy mobilisieren sich, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Vom Zusammenhalt der Gruppe hängt ihr Überleben ab. Symbol des Aufbruchs; der neue Brunnen von Taratasy.

In Taratasy leben 80 Prozent der Bevölkerung unter der Armuts­ grenze. Eine fünfköpfige Familie verfügt über ein Einkommen von weniger als einem Euro pro Tag. Doch allmählich lebt das Dorf an der Ostküste Madagaskars auf – dank dem von Fastenopfer entwi­ ckelten Projekt «Tsinjo Aina».

Bedrohte Lebensgrundlagen Die Lage von Taratasy entlang des Flusses Namandrahana be­ einträchtigt die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Dorfes: Der Bewässerungskanal der Reisfelder ist oft von Unkraut und wuchernden Pflanzen ver­ stopft. Bei Regen werden die Kul­ turen überschwemmt. Weil es an einer Infrastruktur für das Trinkwasser fehlt, muss sich die Bevölkerung mit dem ver­ schmutzten Wasser des Flusses begnügen. Im Fluss leben auch Krokodile. «Es ist jedoch die ein­ zige Wasserquelle, die wir haben; man muss mehrere Kilometer ge­ hen, um eine andere zu finden», sagt Paulette Rasoanivo. Die 49-Jährige ist eine der Ver­ antwortlichen der Gruppe Fizai,

die in Taratasy im Rahmen des Projekts «Tsinjo Aina» ins Leben gerufen wurde. Ziel: sich mit gemeinsamen Ersparnissen aus der Verschuldung befreien. Dank der Gruppe organisieren sich die Mitglieder und denken sich ge­ meinsam Lösungen für die Prob­ leme aus. Im konkreten Fall versammelten die Mitglieder der Sparkassen die Bewohnerinnen und Bewoh­ ner des Dorfes. Zusammen dis­ kutierten sie über die Schaffung eines Komitees, das für den Un­ terhalt des Kanals zuständig ist und dessen regel­mässige Säube­ rung sicherstellt. Schliesslich bil­ dete sich eine Gruppe von rund 20 Personen.

«Verantwortungsbewusstsein geweckt» Paulin Célestin, ein weiteres Mit­ glied der Gruppe, kommentiert die Resultate: «Seit es die Gruppe gibt, sind die Hochwasserschä­ den viel geringer. Diese Initiative weckte zudem das Verantwor­ tungsbewusstsein der Bauernfa­ milien. Es hat sich gezeigt, dass nur Einigkeit stark macht.»

Die Mitarbeitenden des Projekts haben den Frauen und Männern geholfen, Unterstützung zu fin­ den, um Zugang zu Trinkwasser zu erhalten. Eine lokale NGO hat auf Anfrage den Bau eines Brun­ nens im Dorfzentrum finanziert. Dank der Mobilisierung der Be­ wohnerinnen und Bewohner ver­ fügt Taratasy heute über zwei Brunnen. Das Dorf hat auch ein solidari­ sches Sparsystem eingerichtet. Das Ziel ist, sich gegenseitig kos­ tenlose Darlehen zu ermöglichen und die Geldverleiher und ihre hohen Zinsen zu umgehen. Da Rasoanivo schuldenfrei wur­ de und sich ihre Körbe auf dem lokalen Markt gut verkauften, konnte sie einen kleinen Laden mit Produkten für den täglichen Bedarf eröffnen. Sie erzielt damit ein Einkommen, das die Lebens­ qualität ihrer Familie mit vier Kindern entscheidend verbes­ sert. «Tsinjo Aina verhalf mir zu einem erfüllten Leben. Zusam­ men mit der Gruppe kann ich Projekte entwickeln und über meine Grenzen hinausgehen.»

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So helfen wir

In Madagaskar begleitet Fastenopfer zusammen mit seinen lokalen Partnern 14 500 Spargruppen, in denen sich mehr als 215 000 Bäuerinnen und Bauern zusammengeschlossen haben. Ziel: gemeinsam Lösungen für ihre Probleme entwickeln, um in Würde leben zu können.

So helfen Sie

Unterstützen Sie die kollektive Mobilisierung der Bäuerinnen und Bauern. Spenden Sie auf Postkonto 10-15955-7 mit dem Vermerk Madagaskar.

— Harivola Rasamizanany

Foto: Fenitra Rabefaritra


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Das Ziel ist, sich gegenseitig Darlehen zu ermöglichen; Rasoanivo mit dem Reisvorrat der Spargruppe.

Sich gemeinsam aus der Verschuldung befreit; Treffen der Spargruppe Fizai.

«Gelernt, über meine Grenzen hinausgehen»; Paulette Rasoanivo flechtet einen Korb.

Weniger als ein Euro pro Tag für eine fünfköpfige Familie: der Reis wird von der Schale getrennt.

Lebensqualität entscheidend verbessert; Rasoanivo in ihrem kleinen Laden.

Fotos: Fenitra Rabefaritra


Westafrika

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Eine Karawane für Land, Wasser und Saatgut Anfang März vereinigten sich Bauernorganisationen aus ganz Westafrika auf einer 3500 Kilo­ meter langen Reise gegen Land Grabbing und für eine kleinbäuerliche Landwirtschaft. Von Ouaga­ dougou bis Dakar sensibilisierten sie Behörden und Bevölkerung für ihr Anliegen.

«Es muss den Menschen bewusst werden, dass die privaten Inves­ toren, die sich unser Land unter den Nagel reissen, nur ihren ei­ genen Profit im Sinn haben und nicht im Geringsten an die Inter­ essen unserer Länder denken. Das hat uns dazu bewogen, un­ sere Kräfte zu vereinen», erklärt Mignane Diouf aus dem Senegal nach seiner Ankunft der Kara­ wane in Dakar. Zwei Drittel aller Land-Grab­ bing-Fälle der letzten fünf Jahre fanden in Subsahara-Afrika statt. Zahlreiche Gemeinschaften wur­ den gewaltsam von ihrem Land vertrieben und verloren so den Zugang zu Wasser und Land. Diese Entwicklung hat 300 Orga­ nisationen und bäuerliche Netz­ werke aus den 15 Ländern West­ afrikas dazu bewogen, sich An­ fang März gemeinsam auf eine 3500 Kilometer lange Mobilisie­ rungs- und Vernetzungsreise für Erde, Wasser und bäuerliches Saatgut von Ouagadougou bis nach Dakar zu begeben. Rund

200 Personen reisten in drei Bussen von Ort zu Ort. Sie erho­ ben ihre Stimmen, sprachen mit Opfern von Land Grabbing, nah­ men an Saatgutmärkten teil, ­organisierten Friedensmärsche und sprachen mit lokalen Behör­ den, denen sie ihre Forderungen und Anträge unterbreiteten. Al­ les mit dem Ziel, das Thema auf die politische Agenda zu bringen.

«Wir sind die Lösung» Mit von der Partie waren auch Vertreterinnen und Vertreter ver­ schiedener Partnerorganisatio­ nen von Brot für alle. So etwa Ju­ lienne Gounou, Bäuerin und Mit­ glied der Bfa-Partnerorganisation Synergie Paysanne: «Dank der Karawane weiss ich jetzt, dass

andere Länder mit den gleichen Problemen kämpfen wie wir in Benin und dass wir uns zusam­ menschliessen müssen.» Sie sei ganz erfüllt von den Gesprächen und Begegnungen mit Vertrete­ rinnen und Vertretern der Zivil­ gesellschaft. Ihre Eindrücke, ­Ideen und Vorschläge hat sie in ihrem Notizbuch sorgfältig fest­ gehalten. Dank dem Frauenkol­ lektiv Cofresa aus Mali sei ihr etwa bewusst geworden, wie wichtig es ist, sein eigenes Saat­ gut zu bewahren und organi­ schen Dünger selber herzustel­ len. «Wir sind die Lösung», steht auf einem Flyer einer Bäuerin­ nenbewegung aus Burkina Faso, die Gounou in Ouagadougou an­ getroffen hat. «Ich habe sehr viel gelernt. Am besten gefallen ha­ ben mir jedoch die neuen Kon­ takte mit all den Frauen. Wir wer­ den auch in Zukunft zusammen­ arbeiten.» — Maryline Bisillat

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So helfen wir

Brot für alle unterstützt die Vernetzung der Bauernorganisationen gegen Land Grabbing und gegen die Monopolisierung von Wasser, Saatgut und Boden. Denn der Zugang zu Ressourcen ist der Schlüssel für die Hilfe zur Selbsthilfe.

So helfen Sie Lebensfreude und Protest sind kein Widerspruch: Eine Bäuerinnen­ vereinigung fordert mehr Rechte und Ressourcen.

Unterstützen auch Sie die Bäuerinnen und Bauern in Westafrika: PK 40-984-9 Foto: Agence Mediaprod


Interview mit Maya Graf

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«Die Container mit Gentechfutter standen schon im Basler Hafen» Öffentliche Kampagnen und breite Koalitionen sind für politische Erfolge entscheidend. Das weiss die Grüne Nationalrätin Maya Graf aus ihrem Einsatz gegen Gentech.

2005 stimmten 56 Prozent der Schweizer Stimmbevölkerung dem Gentech-Moratorium zu, obwohl das Parlament dagegen votiert hatte. Was war der Schlüssel zum Erfolg? Da muss ich etwas ausholen. 1999 standen die Container mit gentechnisch verändertem Mais und Soja als Futtermittel schon im Hafen von Basel. Es gab keine gesetzliche Grundlage, die den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen, den GVOs, geregelt hätte. Dank einer grossen Kampagne der Umweltorganisationen interes­ sierten sich schnell viele Men­ schen für das Thema. Der Widerstand wuchs täglich. Als Folge kam 2001 ein Vorschlag für ein Gentechnik-Gesetz ins Parlament. Ein Moratorium war dort jedoch chancenlos. Deshalb lancierten wir von der Schweizer Allianz Gentechfrei SAG zusammen mit Umweltund anderen zivilgesellschaftli­ chen Organisationen eine Volksinitiative für ein fünfjähri­ ges Moratorium für das Inver­ kehrbringen von GVOs. Innert

Foto: zVg

dreier Monate waren die Unter­ schriften beisammen und das Moratorium wurde an der Urne angenommen. Das gelang vor allem, weil wir es schafften, in einer breiten Kampagne «gen­ techfrei genies­sen – gentechfrei produzieren» Stadt und Land zusammenzubringen. Alle Bauernorganisationen standen hinter uns. Dazu brauchte es viel gegenseitiges Vertrauen und glaubhafte Persönlichkeiten auf allen Seiten. Auf diese breite Allianz, die bis heute gehalten hat, bin ich stolz.

2017 wird das Parlament erneut über eine Verlängerung des Moratoriums befinden. Müssen Sie immer noch kämpfen dafür? Die Chancen für die Verlänge­ rung stehen gut, denn Bauern­ familien wie Konsumentinnen und Konsumenten stehen nach wie vor fest dahinter. Es gibt ein grosses Bewusstsein, dass die Schweiz wegen ihrer klein­ räumigen Struktur auf ökolo­ gische Qualitätsprodukte setzen muss. Zudem zeigen heute 20 Jahre Erfahrung in anderen

Ländern, dass der grossflächige Freilandeinsatz grosse Prob­leme bringt: Der Pestizideinsatz und die Abhängigkeit der Bauern von der Agrochemie stei­ gen, und dem ökologischen System werden irreparable Schäden zugefügt. In Westkanada verbreitet sich gentech­ nisch veränderter Raps heute un­kontrolliert und verunmög­ licht Biolandwirtschaft.

Hatte das Gentech-Moratorium auch Einfluss auf andere? Der Volksentscheid war welt­weit ein wichtiges Signal, dass sich der Widerstand lohnt. Unse­re Gentechfrei-Fahnen wurden kopiert und wehten sogar in Japan. Die Zivilgesellschaft, die sich gegen Gentech-Anbau wehrt, ist europaweit gut vernetzt und hat das Thema aufs politische Parkett gebracht. Heute werden ausser in Spanien und Portugal in keinem EULand GVOs angebaut.

Und in Entwicklungsländern? Dass die Bevölkerung der Schweiz, dem Hauptsitz von

Maya Graf ist dipl. Sozialarbeiterin und Biobäuerin und seit 2001 als Vertreterin der Grünen Baselland im Nationalrat. Seit 2001 ist sie Präsidentin der Schweizer Allianz Gentechfrei SAG.

Syngenta als einem der grössten Produzenten von GVO-Saatgut, deren Anbau ablehnt, ist in vielen Ländern ein wichtiges Signal. Zudem gibt es regen Austausch zwischen NGOs aus dem Norden und dem Süden. Das Problem sind jedoch vielerorts instabile Regierungen, die den extrem aggressiven Marktmethoden der Agrarmultis nicht standhalten. Auch unsere Regierungen im Norden tragen eine Mitverantwortung. Sie fördern zwar über die Entwick­ lungszusammenarbeit Agrar­ ökologie, öffnen den Agrarkon­ zernen dann aber über bilate­rale Handelsverträge die Türen zu diesen Märkten. — Interview: Pascale Schnyder

Lesen und handeln

Der Dokumentarfilm «Mais im Bundeshuus» (2003) zeigt die intensiven Bundeshaus­ debatten um ein neues Gesetz zur Gentechnik.


Südsicht

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Inés Pérez koordiniert das Landespro­ gramm von Fastenopfer in Guatemala, ist Theologin und Quiché-Maya.

IN ZAHLEN

Megaprojekte als Allheilmittel für die Armen? Ich schreibe diesen Text als Vertreterin der duras und die rechtswidrige Inhaftierung des Quiché-Mayas, deren Vergangenheit und Ge­ Maya-Führers Q’anjobal Rigoberto Juárez in genwart von Diskriminierung, Ungleichheit Guatemala sind Beispiele dafür. und Armut geprägt sind. Er soll aufzeigen, wie Der Kampf der Zivilgesellschaft für ihren Bo­ in Guatemala derzeit Lobby- und Interessen­ den und ihr Saatgut dauert schon lange – und arbeit betrieben wird, um die guatemaltekische hat durchaus auch Erfolge vorzuweisen. So erzwang in Guatemala eine Bewegung aus Indi­ Gesellschaft «voranzubringen». Es ist inzwischen offensichtlich, dass die von genen, Gewerkschafterinnen und Kleinbauern, den Industriestaaten angestossenen Entwick­ zu der auch zwei Partnerorganisationen von lungsmodelle den Besonderheiten Guatemalas Fastenopfer und Brot für alle gehören, die zu wenig Rechnung tragen. Sie sind auf die Aufhebung der Sortenschutzregelung (Dekret Unternehmen ausgerichtet, stammen von den 19-2014), auch als Monsanto-Gesetz bekannt Eliten, vergrössern die Abhängigkeit der Ar­ (vgl. Dossier). men und den Hunger, zerstören Eine Forderung der reichen In­ dustriestaaten ist es, dass die die Natur; und vor allem unter­ «Unsere Regierungen von den Megaprojekten betrof­ graben sie die Führung und die sind Handlanger und fenen Gemeinschaften mitein­ Verantwortung der Staaten. Über Megaprojekte schafft die­ verschachern unseren ander in Dialog treten. Das ist se «Entwicklung» Verbindungen aber nicht einfach. Denn unsere Boden an den vom Norden in den Süden; Me­ Regierungen sind Handlanger gaprojekte, die als Allheilmittel und verschachern unseren Bo­ Meistbietenden» den an den Meistbietenden. Wer für die Entwicklung der Armen Inés Pérez sich widersetzt, wird als Desta­ angepriesen werden. Die Regie­ rungen sind jedoch nicht in der Lage, Verant­ bilisierungsfaktor betrachtet. wortung bei den Unternehmen einzufordern, Wenn die indigenen Völker in dem Zusammen­ lassen den Missbrauch an der Natur und die hang an die Solidarität der Menschen und Re­ Vernichtung der biologischen Vielfalt zu und gierungen im reichen Norden appellieren, geht machen den Zugang zu Wasser und den Anbau es darum, dass diese von ihren Konzernen Res­ von Lebensmitteln und den lokalen Handel zu­ pekt und soziale Verantwortung verlangen und nichte. Sie führen dazu, dass die Menschen das auch garantieren. noch abhängiger von den Regierungen werden Ohne die Welt der Indigenen zu idealisieren, die und ihre Eigenständigkeit verlieren. ebenfalls Widersprüche in sich trägt, muss an­ Die indigenen Bäuerinnen und Bauern verteidi­ erkannt werden, dass die Gleichberechtigung gen ihre Territorien und die Umwelt. Dafür be­ von Personen und Ökosystemen, der Respekt zahlen viele mit ihrem Leben, mit der Zersplit­ vor kulturellen Unterschieden und die Sorge terung ihrer Gemeinschaft und der Kri­mi­ für die Natur zur Weltanschauung der Mayas nalisierung derjenigen, die sich für die gehören. Und vor allem der Wandel von der Menschenrechte und die Rechte der Indigenen Menschzentriertheit hin zur Sorge für das ge­ einsetzen. Der Mord an Berta Cáceres in Hon­ meinsame Haus: unseres Planeten.

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Guatemala verfügt über ein Budget von 3 Mrd. Franken. Zum Vergleich: Monsantos Umsatz liegt bei 15 Mrd. Franken.

117

Druck der Strasse brachte 117 der 158 Abgeordneten dazu, 2014 gegen das Monsanto-­ Gesetz zu stimmen.

1260

Das MonsantoGesetz drohte mit 1260 Franken Busse. Dies entspricht einem Durchschnitts­ einkommen von drei Jahren. Foto: Priska Ketterer


Rubrik

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KONZERNVERANTWORTUNG

ENTWICKLUNGSGELDER

Die meisten Konzerne haben keine Menschenrechtspolitik

«Weckruf» gegen Sparmassnahmen

Brot für alle und Fastenopfer haben die Menschenrechtspolitik der 200 grössten Schweizer Konzerne untersucht. Die Ergebnisse der Studie sind ernüchternd.

Globale Verantwortung übernehmen noch die wenigsten Konzerne.

In einer globalisierten Welt braucht es internationale Stan­ dards, damit die Menschenrech­ te überall auf der Welt geachtet werden. So das Fazit eines mehr­ jährigen Prozesses, in dem unter der Leitung des Uno-Sonderbe­ auftragten John Ruggie die Ver­ antwortlichkeit der Wirtschaft für die Menschenrechte definiert wurde. Die daraus resultieren­ den «Leitprinzipien für Wirt­ schaft und Menschenrechte» wurden im Juni 2011 einstimmig vom Uno-Menschenrechtsrat an­ genommen. Seither betont die Schweizer Regierung, dass die

Foto: Oliver Gemperle GmbH

KonzernInitiative steht Ein Jahr nach Lancierung der Konzernverant­ wortungsinitiative sind die nötigen 100 000 Unter­ schriften schon erreicht. Danke an alle, die dazu beigetragen haben! Jede weitere Unterschrift hilft uns, dem Anliegen noch mehr Nachdruck zu verleihen.

Uno-Leitprinzipien der Standard sind, den Schweizer Konzerne umsetzen müssen. Wie es effek­ tiv um die Umsetzung steht, zeigt eine Studie von Fastenopfer und Brot für alle, die die 100 grössten börsenkotierten und die 100 grössten nichtbörsenkotierten Schweizer Konzerne hinsichtlich ihrer Menschenrechtspolitik un­ ter die Lupe nahm. Die Ergebnis­ se sind schockierend: – 61,5 Prozent der Konzerne ha­ ben weder einen Verhaltensko­ dex noch eine Menschenrechts­ politik oder kommunizieren nicht darüber. Missbräuche wie Kinderarbeit, Zwangsumsied­ lungen oder Umweltverschmut­ zungen gehören für sie demnach nicht in ihre Verantwortung. – Nur 11 Prozent der untersuch­ ten Konzerne haben begonnen, die Uno-Leitprinzipien umzuset­ zen. Auffallend ist, dass diese fast alle in der Vergangenheit we­ gen Menschenrechtsverletzun­ gen in die Kritik gerieten. Die Studie kommt zum Schluss, dass nur eine absolute Minder­ heit der Konzerne freiwillig eine glaubwürdige und fortschrit­t­ liche Menschenrechtspolitik nach Uno-Vorgaben eingeführt hat. Deshalb, so das Fazit, braucht es eine gesetzlich verbindliche Sorg­ faltspflicht, wie sie die Konzern­ verantwortungsinitiative verlangt. — Chantal Peyer Die Studie ist zu finden auf: www. sehen-und-handeln.ch/konzerne

Im März hat die Finanzkom­ mission des Nationalrats beschlossen, die öffentlichen Entwicklungsgelder auf 0,4 % des National-Einkom­ mens zu kürzen. Mindestens ein Viertel der langfristig angelegten Schweizer Ent­ wicklungszusammenarbeit müsste damit gestrichen werden, erfolgreiche Aufbau­ arbeit würde zunichte gemacht. Deshalb haben 30 Organisationen, darunter auch Brot für alle und Fastenopfer, einen «Weckruf gegen Hunger und Armut» lanciert. Er richtet sich an die Mitglieder von Nationalund Ständerat, die nun über die Zukunft der Schweizer Entwicklungszusammen­ arbeit entscheiden. www.weckruf-armut.ch

ÖFFENTLICHE BESCHAFFUNG

Neue Kriterien für Bund bis Gemeinden Immer mehr Privatpersonen achten beim Einkauf kon­ sequent auf Labels. Für Bund, Kantone und Gemeinden ist das nicht möglich. Gemäss Gesetz muss die öffentliche Hand das günstigste Produkt beschaffen – auch wenn es nicht fair hergestellt wurde. Mit Kampagnen zum Kleider­ kauf der SBB oder mit einem Rating für Computer setzen sich Fastenopfer und Brot für alle dafür ein, dass bei der Vergabe ökologische und soziale Kriterien stärker be­rücksichtigt werden. Er­fah­ren Sie mehr über unseren Ein­satz bei der aktuellen Über­ arbeitung der Gesetze auf www.fastenopfer.ch/ beschaffung


Interaktiv

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MENSCHEN IN AKTION

In kleinen Schritten die Welt verändern «Ich habe die Strassenarbeit im­ mer gemocht, mit oder ohne Kir­ che», erzählt Emmanuel Theler, seit 25 Jahren kirchlicher Anima­ tor in Sitten. Bescheiden, fast zö­ gerlich zählt er auf. Er hat ‘Restos du Cœur’ in Sion gegründet, die in den Wintermonaten Nahrung und Kleidung an Bedürftige ver­ teilen. Er gehörte zu den Initian­ ten des Weihnachtsmarktes, macht seit Jahren bei den Sup­ pentagen für Fastenopfer und Brot für alle mit. Am Weihnachts­ tag 2015 verpflegte seine Ver­ einigung beim Gymnasium Cro­ sets 980 Menschen und bot zwölf Migrantengemeinschaften die Gelegenheit, die Gäste kuli­ narisch zu verwöhnen. «Ein Ziel ist es immer, Menschen am Ran­

Emmanuel Theler vor seiner aktuel­ len Wanderausstellung. Sie soll den Menschen die Augen öffnen für die Rolle der Schweiz im globalen Goldhandel.

1816

Das Jahr ohne Sommer

Menschen assen Gras mit dem Vieh auf den Weiden: Ein unbekannter Künstler hat die Dramatik von 1816 in einem Bild festgehalten.

de der Gesellschaft zu integrie­ ren.» Als Emmanuel Theler aus dem pfarramtlichen Team ausge­ schlossen wurde, bestärkte dies seinen Aktivismus zusätzlich. «Der neue Pfarrer wollte die Ar­ men und Randständigen zwar aufnehmen, doch ausserhalb der Kirchgemeinde. Aber ich mag keine geschlossenen, ungenutz­ ten Säle. Deshalb gründete ich die Vereinigung ‹SET du Cœur›, um eine Verbindung zu schaffen zwischen Menschen am Rand und dem Bedürfnis nach Unter­ haltung und Dienstleistungen.» Und da er einen «anderen Ort brauchte, um die Welt zu verän­ dern», begann er sich auch poli­ tisch zu engagieren. Mit dem neuen Bischof änderten sich die Dinge. Emmanuel konn­ te sich der Kirche wieder annä­ hern. Er erhielt gar den Auftrag, das Thema «Kirche und Migran­ ten» innerhalb des Bistums zu bearbeiten – für ihn die Gelegen­ heit, Protestanten, traditionelle Katholiken, muslimische Gemein­-

schaften und evangelische Kir­ chen zu vereinen. «Ökumene im herkömmlichen Sinn ist über­ holt. Die wahre Herausforderung ist die Begegnung mit Nichtgläu­ bigen und anderen Religionen», sagt Theler. Sein Engagement für Brot für alle und Fastenopfer ist ungebremst, da «die beiden Organisationen die Hilfe zur Selbsthilfe und den Zusammenhalt fördern». Bereits zum zehnten Mal hat er während der Ökumenischen Kampagne eine Fastengruppe begleitet. Letztes Jahr organisierte er an­ lässlich der Kampagne eine Aus­ stellung über den Fleischkonsum in der Schweiz. Er füllte den Planta-Platz in Sitten, um die vom Durchschnittsschweizer konsumierte Fleischmenge darzu­ stellen. Dieses Jahr gestaltete er eine Ausstellung über den Gold­ handel. «Mich motiviert es, Men­ schen einzubeziehen, zu gestal­ ten, die Welt zu verändern. In kleinen Schritten ist es möglich.»

Die letzte schwere Hungerkrise in der Schweiz ereignete sich vor 200 Jahren. Das Zürcher Ober­ land wird sich diesen Sommer daran erinnern, aber auch den Bogen zur Gegenwart spannen und die Arbeit von Fastenopfer und Brot für alle unterstützen. 1816 schneite es bis Juni auch in tiefen Lagen. Es blieb der Bevöl­ kerung als das Jahr ohne Som­ mer in Erinnerung, geriet später aber fast in Vergessenheit. We­ gen Missernten starben manch­ erorts bis zu zehn Prozent der Bevölkerung. Die Menschen as­ sen Gras – mit dem Vieh auf der Weide. Betroffen waren vor allem das Zürcher Oberland und die Ostschweiz. Erst hundert Jahre später fand man die Ursache her­ aus: In Indonesien hatte 1815 der grösste Vulkanausbruch riesige Mengen von Asche in die Atmo­ sphäre geschleudert, die sich um

den ganzen Erdball verteilten. Neuere Erkenntnisse machen aber klar: Es gab noch weitere Ursachen, die zur Hungerkrise führten. Im Sommer 2016 soll deshalb der Bogen gespannt werden zu Kli­ ma, Hunger und Armut heute. Eigentliches Zentrum ist das Rit­ terhaus Bubikon. Gemeinden, Schulen, Pfarreien und Kirchge­ meinden planen zahlreiche Be­ gleitveranstaltungen. Zugleich sammelt die Region Geld für Pro­ jekte in Hungergebieten von heu­ te: Unterstützt wird Brot für alle und Fastenopfer in Guatemala für nachhal­tige Landwirtschaft. Die beiden Hilfswerke werden zudem bei Schulbesuchen und mit Referaten auf die Ursachen des aktuellen Hungers auf der Welt eingehen. — Patricio Frei www.fastenopfer.ch/1816 www.brotfueralle.ch/1816

— Isolda Agazzi

Foto: Isolda Agazzi, Toggenburger Museum Lichtensteig


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