CARTAS DA GUERRA_20160214_Critic [de]

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Letters from War Voller Schwermut berichtet Letters from War vom Ende einer kolonialen Unternehmung und schwärmt von der unerreichbaren Liebe – mit seltsamer Beliebigkeit. Es endet wie es beginnt: Portugal ist ein Land des ewigen Niedergangs. Bereits im 17. Jahrhundert war das Kolonialreich auf dem Rückzug, als letzte europäische Imperialmacht entließ Portugal im 20. Jahrhundert seine Kolonien in die Unabhängigkeit – und das nur nach blutigen Kriegen. So geschehen auch im heutigen Angola. Der Militärarzt António (Miguel Nunes) erlebt den Krieg zu Anfang der 1970er Jahre hautnah mit. Und er zweifelt, wie fast alle seine Mitstreiter, an seinem Tun. Die Sinnlosigkeit des Krieges ist das Grundmotiv von Ivo M. Ferreiras Letters From War (Cartas da guerra). Vollends verloren verwalten die Soldaten ihr Dasein in der Hitze ihres Selbstmitleids. Nur die Post aus der Heimat ist ein regelmäßiger Hoffnungsschimmer: Antónios Briefe an seine Frau sind der erzählerische Faden, an dem Letters From War sich entspinnt. Sie beruhen auf den Aufzeichnungen des portugiesischen Schriftstellers António Lobo Antunes, die 2005 unter dem Titel Leben, auf Papier beschrieben. Briefe aus dem Krieg veröffentlicht wurden. Es geht hier, wie schon in diesem Buch, wohlgemerkt nur um Antónios Briefe, die Antworten seiner Frau scheinen gar nicht zu existieren. So entspinnt sich eine elegische One-Man-Show des männlichen Leidens, Sehnens und Wartens, vorgetragen aus dem Off. Eine Geschichte von straight white men Neben den expressiven Kaskaden romantischer Liebesbekundungen scheinen die tatsächlichen Kriegshandlungen eher stillgestellt. António bleibt daher einige Zeit für zweifelhafte Beobachtungen seiner Umgebung: Afrika wird in den Briefen als Ort „animalischen Überschwangs“ bezeichnet, alles sei voller „Magie“. Als zeithistorische Befindlichkeit eines Kolonialsoldaten mag eine derartige Aussage zwar richtig wiedergegeben sein, aber Letters From War bemüht sich in diesen Momenten weder um eine Gegendarstellung, noch macht der Film in irgendeiner Form den Rassismus sichtbar, der das koloniale Setting insgesamt grundiert. Vielmehr ergeht sich Ferreira im eitlen Gehabe der Soldaten und reproduziert somit einmal mehr jene heilige Schöpferfigur des Kolonialismus in all seiner zweifelhaften Pracht: den straight white man. Zwar ist António als Briefeschreiber und Poet ein Sonderling. Aber Ferreira lässt seinen Protagonisten weder etwas Besonderes sehen, noch besonders handeln – teilnahmslos und mit erstarrter Miene beobachtet er Erschießungen, Vergewaltigungen und schwelgt anscheinend doch nur in Gedanken an seine Frau. Ist das ein Sinnbild für die Machtlosigkeit des Einzelnen im System? Eine Ethik der Gewaltlosigkeit? Ein Lob der Passivität? Letters From War könnte massive Fragen stellen, bleibt aber lieber im Ungewissen. Die Gleichgültigkeit des Krieges Auch die Ästhetik der Schwarz-Weiß-Bilder steht in einem merkwürdigen Kontrast zu dem, was sich eigentlich im Film ereignet: Krieg nämlich. Eine Friedlichkeit liegt über allen Einstellungen, die dem Film jegliche Kraft zur Zuspitzung, zur Szene nimmt und ihn stattdessen – es gibt tatsächlich kein treffenderes Wort – dahinplätschern lässt. Sinn- und Zeitlosigkeit des Kolonialkrieges werden somit zwar spürbar, aber nicht in Form einer politischen Dringlichkeit, sondern durch einen gleichgültigen Fatalismus. Mit der melancholischen Stilisierung der Kolonialzeit als etwas Vergangenes, Verlorenes, Unwiederbringliches rekurriert Ferreira auf ein mächtiges Motiv des portugiesischen

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Kinos. Miguel Gomes’ Tabu (2012) hat thematisch viel mit Letters from War gemeinsam, nur dass Gomes leichtere, fast schwebende Bilder mit Querverbindungen in die Gegenwart findet, die einen starken Rhythmus erzeugen. Afrika als rassifizierter Backdrop Die erzählerische Dynamik in Letters From War hingegen bleibt in der endlosen Selbstbezogenheit des amourösen Briefwechsels verfangen. Nur dass die saudade, der unstillbare Weltschmerz, der Briefe nie einen Fixpunkt innerhalb der kolonialen Bilderwelt findet und daher blutleer wirkt. Es gibt kein retardierendes Moment, kaum eine Entwicklung. Das koloniale Spannungs- und Machtverhältnis bleibt eine unhinterfragte Banalität: Die Menschen, die diese Landstriche bewohnen, sind wie Schablonen, ein rassifizierter Backdrop für die nostalgische Selbstbeweihräucherung der Portugiesen. Arm, wild und krank dürfen sie sein, doch wenn sie als Figuren in Erscheinung treten, dann nur als europäisierte Handlanger des Kolonialregimes. Als wäre der Film ein Ausstellungsstück des Museums für Nationalgeschichte, stets um eine offizielle, geschichtliche Version der Tatsachen bemüht. Um es in wenige Worte zu fassen: Letters From War zeigt eine Welt im Krieg, und ist gleichzeitig ein Film ohne jeglichen Konflikt.

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