Dialogues booklet || german edition

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Dialogues 2016


Konzept & Umsetzung: Ourania Mavriki Übersetzung: Christian Kietzmann

Dieses Projekt wurde in Zusammenarbeit mit der Waschhaus Potsdam gGmbH durchgeführt. Es wurde unterstützt von „START - Create Cultural Change“, einem Programm der Robert Bosch Stiftung, das in Kooperation mit dem Goethe-Institut Thessaloniki und der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. durchgeführt wird.

Fotos: Barbara Thieme #452 (Seite 4, 10, 12, 14, 16, 18, 22, 28-33) Ourania Mavriki (Seite 2, 20, 24, 26) Fanis Kollias (Seite 8, 34) Grafikdesign: Rita Lauckner #311 Druck: Copy-Repro-Center Potsdam


Dialogues Konzept & Umsetzung

Ourania Mavriki



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Intro Dialogues, abgeleitet vom griechischen διάλογος (δια + λόγος), ist ein auf Forschung basiertes Projekt, das die verschiedenen stattfindenden Interaktionen im Rechenzentrum untersucht. Ob es die Stadt, das Gebäude, die kreativen Nutzer oder die Kreativität selbst ist, alle Elemente interagieren und ergeben somit unterschiedliche Erzählungen für das Rechenzentrum-Projekt. Wer “lebt” im RZ? Welche Möglichkeiten erzeugt so ein Projekt, für die Kreativwirtschaft und für die gesamte Stadt? Wie kann das RZ-Projekt dem Diskurs über die artistische und kreative Szene zuträglich sein, welche die urbane Zukunft fördert?

Das Ergebnis dieser Forschung ist die Broschüre in Ihren Händen, in der diese dialogues durch verbale und visuelle Mittel reflektiert werden. Das Booklet ist in drei Sektionen unterteilt. I. Interviews II. Kollektive Geschichte III. Fotos Geschichte


#306

Anja Engel Kulturmanagerin des RZ


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Was war das ursprüngliche Ziel dieses Projekts? Wie begann es? Es ist ein riesiges Projekt und es gibt viele verschiedene Ausgangspunkte, aber für mich persönlich begann es Anfang 2014, als ein früherer Kreativraum geschlossen wurde. Wir alle mussten ausziehen, also begannen wir, uns selbst zu organisieren und protestierten für andere Räume in der Stadt. Ich organisierte einige mit in der Initiative „Alte Brauerei“, welche später die KulturLobby wurde. Mit unserem ersten Protest, welcher am 1. März 2014 stattfand, entstand sogleich ein Austausch zwischen der Initiative und der Stadtverwaltung, die Presse berichtete. So machte uns dieser spontane Protest nicht nur sichtbar, sondern machte uns schnell zu akzeptierten Gesprächspartnern. Als Ergebnis, unter anderem, dieser Proteste schlug der Bürgermeister Anfang 2015 vor, dass dieses Gebäude temporär für die Arbeit und Produktion von Künstlern genutzt werden kann. Ich nahm an Treffen, an Runden Tischen und Arbeitsgruppen teil, bei denen dieses Projekt entwickelt wurde. Als die Stiftung SPI als Träger für dieses Haus gefunden wurde, bewarb ich mich für diesen Job und so wurde ich Kulturmanagerin des RZ. Meine Aufgabe hier ist es u.a., die Räume hier und die daran interessierten Menschen zusammen zu bringen, und die Menschen, die in diesen Räumen arbeiten, in Austausch zu bringen, sodass das hier kein Bürohaus ist, sondern ein Ort, an dem sich Leute begegnen und gemeinsam aktiv werden; und aus dem Haus heraus in die Stadt wirken.

Also entstand es aus der Notwendigkeit heraus. Ist jetzt, ein Jahr später, bereits ein Einfluss auf die Stadt erkennbar? Manchmal frage ich mich das auch, und denke ja - selbstverständlich hat es Auswirkungen. Zu allererst, Menschen, die vor einem Jahr noch Fremde waren, lernen einander nun kennen. Das ist ein Fakt. Dieser Ort wird von immer mehr Menschen wahrgenommen.; Es ist sozusagen ein neuer Punkt auf der Stadtkarte. Früher war das Gebäude das Zentrum der Datenverarbeitung mit starken Sicherheitsvorkehrungen, welches man nicht ohne weiteres betreten durfte. Heute ist es ein offener Raum, wodurch die Ecke der Stadt „heller“ wird. Wir haben einen fachpolitischen Beirat, welcher entscheidet, wer in das Haus einziehen darf und uns, die Stiftung SPI bei der Entwicklung des Projekts begleitet. Das RZ ist jetzt ein Ort des Dialogs zwischen der Administration, Politikern und der Kreativszene. Ich hoffe, dass dieser Dialog häufiger und intensiver stattfindet. So können wir einen gemeinsamen Prozess in die Wege leiten und nicht nur Ergebnisse miteinander teilen. Zusätzlich beweist das Haus, welch große Diversität an Menschen in Potsdam im kreativen Bereich tätig ist. Von Studierenden zu Senioren, international erfolgreichen Künstlerinnen hin zu jenen, die zum ersten Mal etwas ausprobieren wollen, von Start Ups zu etablierten Kreativunternehmen. Jetzt haben sie alle einen Platz, sind näher beieinander und werden sichtbarer. Letztendlich ist die Frage der Wirkung des Kreativhauses aus Sicht der Stadtentwicklung her sehr interessant. Dieses Projekt ist temporär; die Verträge gelten bis August 2018. Das Haus ist jetzt bereits gefüllt mit Künstler*innen – die alle Räume brauchen. Das Gebäude selbst soll der


Garnisonskirche Potsdam weichen, welche an dieser Stelle rekonstruiert werden soll. Daher wird es wirklich interessant zu sehen, welche Auswirkungen das Gebäude mit seinen derzeit 200 Nutzer*innenn auf diese Entscheidung haben wird.

Ich kann mir vorstellen, dass es durchaus fordernd sein kann, dieses riesige Projekt zu managen. Musst du diese Managementaufgaben und deine kreative Natur ausbalancieren? Management schließt Kreativität nicht aus. Man muss die Dinge zur richtigen Zeit zusammenführen, um Neues zu ermöglichen. Natürlich gibt es viel administrative Arbeit, aber ich schätze mich glücklich, dass ich dieses Projekt leiten und entwickeln kann. Ich war mehrere Jahre freiberuflich tätig und hab gelernt mich zu organisieren. In meiner jetzigen Position als Kulturmanagerin kann ich Formate entwickeln, in den Menschen interagieren können. Aber man braucht immer Managementfähigkeiten, um Ideen umzusetzen. Ich finde das Klischee schwierig, dass Künstler*innen nicht strukturiert arbeiten können oder ähnliches. Ich weiß, dass einige Menschen Unterstützung bei der Ideenumsetzung brauchen und das Schöne am Rechenzentrum ist ja, dass man hier viele Menschen trifft, die gerne und schnell helfen können. Es ist auch eine Managementfähigkeit zu wissen, wen man um Hilfe bitten kann. Kreativität und Management gehören für mich zusammen und es ist toll, dieses Projekt zu leiten.


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Ich frage mich, ob deine Arbeit junge Künstler dazu motiviert, in das Rechenzentrum zu kommen und dort unterstützt zu werden? Ist das eines der Ziele, sie in verschiedenster Weise zu unterstützen? Ja, ich hoffe, dass dieser Ort die Kreativszene stärken kann; dass sie ihre eigene Kraft und ihren Wert durch die Verbundenheit und Zugänglichkeit erkennt. Ich freue mich, hier kleine als auch größere Events zu organisieren und zu unterstützen. Dazu gibt es viele Themen, die diesen Raum der Möglichkeiten bereichern können, wie beispielsweise „Was sind Aspekte der ‚creative branches‘?“ oder „Wie können Verwaltung, Politik und Kreativszene besser zusammenarbeiten?“ und „Wie schaffst du es, mit dem was du liebst deinen Lebensunterhalt zu verdienen?“. Ich habe das RZ als eine Mikro-Stadt in Potsdam wahrgenommen. Es ist interessant, dass du es als Stadt empfindest. Ja, es gibt da durchaus Parallelen. Es gibt hier öffentliche Räume und private, hoch frequentierte Ecken und ruhige Plätze, laute und leise „Bewohner*innen. Es ist wichtig zu vermeiden, dass sich das Rechenzentrum in eine „verschlossene Stadt“ entwickelt. Das ist ein mögliches Risiko: Dass das RZ zu selbstbezogen wird. Daher muss man das Haus für die Öffentlichkeit öffnen, Leute einladen, die nicht aus der Kreativszene stammen.

Hast du jemals darüber nachgedacht, das RZ mit ähnlichen Strukturen in anderen Städten zu verknüpfen? Wir hatten letztes Jahr, im Dezember 2015, eine Tagung, zu der wir andere kreative Stätten eingeladen hatten, um zu sehen, wie sie sich organisieren, gegenseitig stärken und sich politisch beteiligen. Dieser Austausch war sehr inspirierend und wird fortgesetzt. Es ist sehr wichtig, den Dialog mit anderen Projekten zu suchen – vor allem mit anderen Potsdamer Projekten. Es ist nicht die Lösung für die Bedürfnisse aller Kreativen; es sind noch immer viele Menschen auf der Suche nach Räumlichkeiten, insbesondere Bands, da wir keine Proberäume bieten können. Das Rechenzentrum soll der Stadtplanung nicht als das Argument dienen, dass es nun die Lösung für alles ist. Wir wollen Vielfalt innerhalb des Hauses, aber auch in der gesamten Stadt.


#341

Siegfried Dittler Geschäftsführer vom Waschhaus Potsdam


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Was hat dich zum RZ geführt? Seit mehr als 30 Jahren arbeite ich im kulturellen Bereich. Seit vier Jahren arbeite ich nun als Geschäftsführer für das Waschhaus Potsdam, welches nächstes Jahr 25 jähriges Bestehen als kulturelles Zentrum feiern darf. Mich führte zum einen meine Neugierde über das RZ hierher, zum anderen habe ich ein Büro benötigt, da in den Räumlichkeiten des Waschhauses derzeit Umbaumaßnahmen im Gange sind. Deshalb werde ich die nächsten 1,5 Jahre hier verbringen und hoffentlich all die Kreativen dieses Hauses treffen. Ich arbeite wöchentlich 50-60 Stunden im Waschhaus und möchte mich von hier aus auf meine Arbeit und mein Zentrum konzentrieren und die Möglichkeit nutzen, meinen kulturellen Horizont zu erweitern. Das RZ ist ein interessantes Projekt, bei dem man sieht, was in diesem kulturellen Zusammenhang in der Stadt vor sich geht. Was werden die nächsten 25 Jahre für das Waschhaus bringen? Obwohl ich erst seit vier Jahren für das Waschhaus arbeite, kenne ich durchaus seine Wurzeln. Die Geschichte von diesem soziokulturellen Zentrum hat sich ähnlich abgespielt; junge Menschen finden einen Ort und erfüllen ihn mit Kultur. So begann es auch im Waschhaus. Ich sehe da Ähnlichkeiten zum RZ; die Büros standen lange Zeit leer und jetzt werden sie mit Kreativität gefüllt. Ich habe ehrlich gesagt noch keine Pläne über einen so langen Zeitraum. Aber ich möchte das Waschhaus in den kommenden Jahren internationaler ausrichten. Wir sind gut mit der Stadt Potsdam verbunden, aber für die Zukunft müssen wir uns sowohl europaweit, als auch international noch lebhafter präsentieren. Wie sieht es mit Potsdam aus? Welche Entwicklung erwartest du in den nächsten Jahren? Potsdam ist in den letzten Jahren schnell gewachsen. Derzeit leben hier 170.000 Menschen, vor 5-6 Jahren waren es noch 20.000 weniger. Während solcher Veränderung ist es sehr wichtig, Orte wie das RZ zu haben, an denen junge Generationen mit ihrer eigenen Kreativität, mit eigenen Zusammenhängen arbeiten können. Potsdam hat ein großes Potential

und zusammen mit seiner kreativen Dynamik eröffnen sich der Stadt enorme Möglichkeiten, auf dieser jungen Generation von Künstlern aufzubauen und ihnen Orte zu bieten. Im Zusammenhang mit Potsdam und dem Änderungsprozess, der dort von statten geht, welche Veränderung erwartest du im soziokulturellen Bereich in dem kommenden Jahren? Ich denke, es geht zurück zu den Wurzeln. Sieh dir nur einmal die DIY-Bewegung an; die soziokulturelle Szene hatte darin ihren Ursprung, und jetzt ist DIY zurück. Ich denke, dass wir mehr in solche Orte investieren sollten, die als Plattform fungieren. Es geht dabei nicht nur um diese Mega-Programme, sondern um der Jugend Räume zu bieten, in denen sie tun und lassen kann, was sie möchte. Es geht in der Zukunft in die Richtung nicht alles zu kuratieren. Es ist wichtig, Räume, Ausstattung und Unterstützung zu bieten, sodass die junge Generation selbst kreieren kann, was sie möchte und nicht, was die alten Kulturmanager als kulturelle Aktivitäten empfinden. Im Waschhaus arbeiten wir schon jetzt zunehmend als Plattform, das bedeutet das wir in den Dialog mit der Verwaltung gehen müssen, um künftig mehr Mittel für solche Projekte zu generieren. Derzeit organisieren wir all diese großen Veranstaltungen um Geld einzunehmen, sodass wir die Mitarbeiter und Künstler bezahlen können. Das Waschhaus veranstaltet jährlich 250 Events, wobei 60% der Kosten selbst finanziert werden. Wir müssen uns für diese Ideen einsetzen – das ist die Herausforderung für die Zukunft. Welche Erfahrungen hast du bei deiner Teilnahme am START Programm sammeln können? Wir haben jetzt zum zweiten Mal jemanden aus dem START Programm bei uns und meine Vision ist es, ein Netzwerk aus diesem Programm heraus zu erschaffen, damit es nicht bei diesem zweimonatigem Austausch bleibt. Es wäre schön, die künftigen Projekte von dir und deinen Kollegen verfolgen zu können. Es ist eine große Herausforderung und gleichzeitig eine Chance, alle in einer Art Netzwerk zusammen zu bringen und neue Kollaborationen zu in das Leben zu rufen.


#308

Nikolett Veres Grafik- & Modedesignerin, 50s Liebhaberin


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Was führte dich zum RZ? Einer der Gründe war, dass es im privaten Arbeitsbereich einfach keinen Input von Außen gab und ich den Familienraum zu stark mit meinen arbeitsrelevanten Zutaten beschlagnahmt habe. Ich kam letztes Jahr von einem meiner Urlaube aus Island zurück und besuchte meine Freundin Carmen Janosch in ihrem Raum und war fasziniert von diesem kleinen Fleck Freiheit. Inzwischen habe ich zwei Räume, wovon ich einen für meine eigenen Arbeiten nutze und den anderen als Nähschule. Durch das Zusammenkommen mit anderen Kreativen bekomme ich das was ich benötige: Austausch & dennoch die Freiheit in meinem Raum klar strukturiert zu arbeiten. Hat die Stadt Potsdam in irgendeiner Weise etwas mit deiner Arbeit zu tun? Potsdam ist mein Zuhause, meine Vergangenheit und ein Teil meiner Familiengeschichte. Also ja. Es ist nostalgisch und die Stadt gibt mir das Gefühl von Sicherheit und es ist leicht, sich wohl zu fühlen. Alles hier ist so klar und kleiner als in Berlin oder anderen Städten. Ich habe hier ein leichtes Leben. Aber die wahre Inspiration kommt von den Landschaften Islands. Potsdam ist einzigartig und man fühlt sich immer willkommen.

Wie ist der Alltag im RZ? Gibt es etwas, das du verbessern würdest? Ich fände es schön, wenn Leute gezielt kommunizieren würden, um inspirierende Beiträge zu erhalten und abzugeben. Ich denke, dass die nächsten Jahre noch besser werden. Ich hätte gerne mehr Kunst an den Wänden und wüsste gerne, wer dort hinter jeder einzelnen Tür sitzt. Ich würde gerne mit anderen Großes schaffen und noch mehr offene Türen sehen. Ist das RZ ein Vorbild, an dem sich andere Städte orientieren sollten? Ich denke, dass jede Stadt Kreativen solche Räume anbieten sollte, um etwas zu schaffen. Im süddeutschen Raum gibt es viele Möglichkeiten und auch Anlaufstellen für Kreative. Der Weg ist quasi oft vorgegeben. Im Norden ist es vielleicht schwieriger, aber durch das ‚Wollen‘ setzten Kreative auch viel Ungeahntes um. Sie schaffen Dinge, die bei erster Betrachtung nicht möglich gewesen wären. Ein Segen und ein Fluch. Eine Waage muss gefunden werden. Ohne die Kreativen zu beschneiden oder zu gängeln. Es sollten Möglichkeiten an die Hand gegeben werden, selbstbestimmt zu agieren und der Allgemeinheit etwas zurück zu geben. Dann sind wir ein großes Stück weiter.


#253-283

Stefan Pietryga Bildhauer


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Deine Räume im RZ bieten einen großartigen Ausblick auf die Stadt. Hat das einen Einfluss auf deine Tätigkeit als Künstler? Das Haus bietet einen wunderschönen Ausblick auf das Stadtzentrum Potsdams. Es hat zum Einen alte, geschichtsträchtige Plätze und gleichzeitig werden neue Häuser gebaut, während die historischen restauriert werden. Es ist sehr interessant, diesen Mix aus neu und alt zu beobachten. Ich betrachte die Skulpturen an den Häusern, die goldenen Details der barocken Fassaden. Der Ausblick wirkt sich auf meine Arbeit aus. Es ist wichtig, über Kunst nachzudenken und Kunst und meine Arbeit zu reflektieren. Und für mich ist es sehr interessant, den Transformationsprozess der Stadt zu beobachten. Und Kunst zu produzieren ist auch ein Transformationsprozess. Die Kunst selbst ist ebenfalls ein sich entwickelnder Prozess. Der Standort selbst eröffnet bereits einen Dialog mit meiner Arbeit. Was hat dich zum RZ geführt? Ich komme aus Westdeutschland und lebe seit nunmehr 18 Jahren in Potsdam. In den letzten Jahren habe ich alleine in meinem Atelier gearbeitet. Ich erarbeite Ausstellungen und viele weitere Projekte sowohl in Deutschland als auch international. Das ist einer der Gründe, weshalb ich in diesem Haus bin – um mich mit anderen Künstlern in Verbindung zu setzen, die mit anderen Mitteln arbeiten. Ich bin hier, seitdem das RZ als Kreativraum genutzt wird. Ich traf mich mit wichtigen Leuten Potsdams und wir besichtigten das Haus. Die Stadtverwaltung plant, das Gebäude 2018 abzureißen, um die Garnisonkirche zu erneuern. Erst war geplant, dass das RZ bis zu diesem Zeitpunkt leer steht. Ich bin zur Stadtverwaltung gegangen und habe gesagt

„Überlasst uns das Haus und wir zeigen euch, was man damit noch anfangen kann“. Jetzt beherbergt das Gebäude mit seinen fast 200 Räumen so viele Künstler, die der Stadt zeigen „wir sind hier und wir können etwas“. Erst wurde daran gezweifelt, dass es in Potsdam genügend Leute gibt, um alle Räume zu nutzen. Jetzt ist das RZ ausgelastet und die Stadt weiß, dass sie etwas mit uns machen muss. Es ist ein politischer Prozess. Potsdam ist darüber hinaus ein historischer Ort, der viele Touristen anzieht, die sich für die Geschichte interessieren, nicht für das momentane Erscheinungsbild. Ich finde, dass Potsdam ein wunderschönes historisches Zentrum hat – aber wir können zeitgenössische Kunst erschaffen, da wir mit der Vergangenheit arbeiten, denn alte Elemente erscheinen in einem völlig anderen Licht, wenn man sie nur anders betrachtet. Man muss sie nur betrachten, um ihnen eine neue Bedeutung geben – so arbeite ich. Hast du eine Frage an mich? Was ist für dich das Beste an deinem Studium im Bereich Kulturmanagement? Die Tatsache, dass Kunst und Kultur zur Innenstadt gehören und einfach Teil des alltäglichen Lebens einer Stadt sind, fasziniert mich. Projekte wie das RZ, aus denen neue Geschichten aus ungenutzten Ressourcen schaffen, sind beispielhaft um von ihnen zu lernen, sich darüber auszutauschen und zusammen in der Gemeinschaft zu wachsen.


#343

Lukas Sweetwood Musik- & Video-Produzent


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Was hat dich hierher gebracht? Nun ja, es gibt zwei Gründe. Einerseits fungiert dieser Raum als Arbeitsplatz. Ich arbeite für meinen Vater – er hat hier sein Büro, deshalb bin ich hier hergekommen. Der zweite Grund ist, dass ich Musik bisher nur in meinem Zimmer gemacht habe, was mir zu nah und zu persönlich war. Daher ist es wirklich cool, alles musikbezogene rauszunehmen und woanders damit hinzugehen. Ich betrete hier eine sehr auf Musik bezogene Zone, die sich stark von meinem Zimmer unterscheidet. Außerdem gibt es hier andere kreative Menschen in diesem Haus, von denen ich bisher noch nicht allzu viele getroffen habe – aber es gibt die Möglichkeit, mit anderen zusammen zu arbeiten. Wie sieht es mit der Stadt Potsdam aus, was ist deine Verbindung zu ihr? Eigentlich alle meine jüngeren Erinnerungen sind in Potsdam angesiedelt, daher bin ich auf jeden Fall mit der Stadt verbunden. Bezogen auf Musik kommt meine Inspiration von überall her. Ich bin letztes Jahr viel gereist und arbeite derzeit an einem Album. Ich war in Asien, Spanien, Italien – alles Orte, von denen ich etwas mitgenommen habe. Ich denke jedoch dass es immer darum geht, wo du tatsächlich lebst. Und besonders dieser Raum ist einer der Hauptgründe, weshalb meine Musik so ist wie sie ist. Gibt es Herausforderungen, denen du dich als junger Künstler in Potsdam stellen musst? Es gibt eine enggestrickte Gemeinschaft, eigentlich kennt jeder jeden, weil Potsdam eine kleine Stadt ist und du das Gefühl hast, jeden zu kennen. Eine Herausforderung war es in diese enge Gruppe zu kommen.

Die Nähe zu Berlin ist ein Vorteil an Potsdam, grade für Musiker – du kannst nach Berlin fahren und ein paar Gigs spielen, das ist ideal. Besonders für Leute in meinem Alter ist es interessanter nach Berlin zu fahren als in Potsdam zu bleiben. Aber ich persönlich mag Potsdam sehr gerne, ich sehe derzeit keinen Grund, weshalb ich nach Berlin ziehen sollte. Gibt es eine Geschichte aus dem Alltag im RZ an die du dich erinnerst? Nun ja, wir haben einen Stock weiter oben angefangen, im vierten. Es ist witzig, weil manchmal arbeite ich hier spät abends, da wird es auch mal sehr laut. Manchmal kommen Leute rein, einfach nur um zu sehen, was da vor sich geht. Eines Abends kam einer zu mir rein und hing die ganze Nacht bei mir ab. Ich zeigte ihm meine Musik und wir musizierten zusammen, obwohl er gar kein Musiker war. Ich war absolut in meinem Element, arbeitete und er saß sich hin, ich machte Musik, wir haben uns unterhalten und hingen ab… Das war cool. Du bist an der Reihe, mir Fragen zu stellen. Was hältst du vom Äußeren und vom Inneren des Gebäudes? Weil von außen sieht es echt super hässlich aus. Ich denke, darin liegt die Schönheit. Ein hübsches Haus würde zwar ausshene wie „hier ist die Kreativszene Potsdams“, ok, das wäre schön, aber so wie es jetzt ist siehst du ein langweiliges Gebäude. Dann kommst du herein und triffst all diese Leute – es ist wie ein geheimer Schatz in Potsdam. Ja, mir gefällt es hier auch, es fühlt sich an wie zu Hause.


#347

Tim Georg Heinze 1 von 5 räumlichen Zauberern || Xenorama


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Was hat Dich hierher gebracht? Ich vertrete Xenorama, wir sind ein fünköpfiges Kollektiv und kreieren räumliche Kunst, Ich persönlich nenne es »räumliche Magie«. Wir arbeiten mit Licht und Klang auf unebenen oder bewegten Oberflächen (Projection Mapping), mit viel konzeptueller und Handwerksarbeit, meist mit dem Fokus auf kollektive Erfahrungen im öffentlichen Raum. Der Kern unserer Arbeiten findet in Potsdam statt und unsere Firma hat auch hier ihren offiziellen Sitz, als also die Möglichkeit aufkam, Räume im RZ zu nutzen, bestand kein Zweifel dass wir hier her kommen. Es kam genau zum richtigen Zeitpunkt, einen Raum zu haben, in dem wir jederzeit arbeiten können, ohne andere zu stören und inmitten dieses kreativen Netzwerkes im RZ. Somit hat alles gepasst, es war glückliche Fügung und wir genießen es sehr, hier zu sein. Welchen Bezug habt Ihr zur Stadt Potsdam? Da ich vor 25 Jahren von Berlin nach Potsdam kam, gibt es natürlich eine offensichtliche persönliche Verbindung zu dieser Stadt. Sie hat zudem meine eigene künstlerische Entwicklung durch jede Phase begleitet. Auf der anderen Seite werden unsere Arbeiten meist im Ausland oder anderenorts in Deutschland ausgestellt oder installiert. Wir arbeiten aus dem RZ in die Welt hinaus. Hier in Potsdam, im Gegensatz zu Berlin, besteht ein bestärkend freierer Raum, in dem tatsächlich Dinge in die Tat umgesetzt werden können ohne viel Ablenkung. Es ist hier sehr viel leichter, sich zu fokussieren und ich begreife Potsdam als den schönsten Stadtteil Berlins, demnach gibt es aus meiner Sicht kein nennenswertes Kräftemessen zwischen den Städten. Potsdam hat wahnsinnig kreatives Potenzial, dies ist jedoch nicht unbedingt offensichtlich. Es muss junge Leute anziehen und den Raum bieten, sich auszudrücken und das ist hier im RZ absolut gegeben. Ich bin also sehr glücklich, dass es existiert und werde alles daran setzen, es am Leben zu erhalten und weiter pulsieren zu lassen. Denkst du, das Projekte wie das RZ Künstler dazu anregt, mehr ihrer Arbeiten in Potsdam auszustellen? Das RZ ist ein exzellenter Ort für Ausstellungen und Installationen, wie dem auch sei, wir speziell arbeiten stets mit komplexen technischen Konfigurationen, welche organisiert,

finanziert und überwacht werden müssen und sind zudem oft experimentell. Die Kunstform, auf die wir uns konzentrieren ist noch relativ neu, es ist somit eine Herausforderung, Dinge in Bewegung zu bringen und in Potsdam gab es bislang die Möglichkeiten für groß angelegte Projektionen noch nicht. Theoretisch ist die Infrastruktur gegeben, nur braucht es jemanden, der die Kunst bereits im Vorfeld zu schätzen weiß, das ist natürlich schwierig ohne vorherige Erfahrungswerte mit ihr. Hierzu sei gesagt, dass wir orts- und objektspezifisch arbeiten, somit ist es generell nicht leicht zu antizipieren, was passieren wird bzw. möglich ist, speziell für einen potenziellen Auftraggeber oder Veranstalter. Wie nehmt Ihr das RZ-Gebäude im Zusammenhang zu Eurer ortsspezifischen Arbeit wahr? Wird diese Wiederbelebung von ungenutztem Raum thematisch bei eurer künstlerischen Arbeit aufgegriffen? Um ehrlich zu sein, ich hege eine starke Abneigung gegen DDR-Neubauten wie das RZ. Ich bin in der DDR groß geworden und inmitten ostdeutscher Idaele aufgewachsen. Diese Bauten repräsentieren antiquierte Ideen zu denen ich keinerlei innere Verbindung spüre. Das Gegenteil ist der Fall, Ich kann diese Gebäude nicht ausstehen. Was ich jedoch liebe, ist das, was aus ihm hier gemacht wird und wozu es wird. Somit geht es weniger um das Gebäude an sich, als um die Dynamik und die Energie, die hier existiert, die Synergie von allem, die Stimmung von Transformation. Wir freuen uns auch sehr auf unsere bevorstehende Ausstellung im RZ im Januar. In unserer künstlerischen Praxis würden wir uns auf zunächst unauffällige Gebäudeobjekte oder auch verlassene Areale richten, um sie in etwas unerwartetes zu verwandeln — sie mit neuer Perspektive zu erleben. Genau das tun wir, und man wird stets eine narrative Federführung in unseren Arbeiten erkennen. Dennoch geht es weniger um eine offensichtliche Handlung als um das aufspannen eines Raumes, in welchem die Menschen gemeinsam ihre eigene Geschichte erleben können. Es ist eine etwas romantische Vorstellung, ein räumliches Reich von sowohl Vergänglichkeit und Ewigkeit zu erzeugen um Menschen jenseits kultureller Unteschiede zusammenzubringen… Doch wenn ich ehrlich bin: Es funktioniert.


#276

Isabel Bongard Schauspielerin


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Wie bist du zum RZ gekommen? Ich hatte seit einer Weile nach einem Raum gesucht und bin dann auf das RZ gestoßen. Es bietet nicht nur die Räume für Ideen. Das Gesamtkonzept des Gebäudes, dass es ein Ort ist, an dem Künstler arbeiten und miteinander in Kontakt stehen können – danach habe ich mich lange Zeit gesehnt. Ich dachte immer, wenn ich einen Raum hätte könnte ich Leute einladen und mit ihnen gemeinsam Dinge kreieren. Ich habe also gefunden, wonach ich gesucht habe. Als Schauspielerin, bin ich daran gewöhnt, nur mit meiner Vorstellung zu arbeiten. Ich will dass dieser Raum ein Ort für Kommunikation und Training ist. So, wie ein Raum in deinem Geist, den du für eine Idee oder ein Projekt hast, für den du mehr Platz schaffst, damit er wachsen kann. Ich finde es funktioniert genau so mit einem physischen Raum. Welche Möglichkeiten sieht du für dich selbst, hier in diesem Raum? Ich bin sehr an den Zusammenhängen zwischen Kunst und Geschäftlichem interessiert. Obwohl Kunst machen so rein und idealistisch wie möglich sein sollte, ist es faszinierend darüber nachzudenken, wie du Menschen erreichen kannst. Das ist es, worum es beim Geschäft und „etwas zum Laufen bringen“ geht; über das Potenzial deiner Arbeit nachzudenken, wenn du sie in die Welt hinausträgst. Ich denke, dass junge Menschen oft verletzlich oder einfach zu schüchtern sind, ins Gespräch einzusteigen. Das RZ ist eine großartige Gelegenheit, sowohl junge als auch bereits etablierte Kreative kennenzulernen, um zu sehen, was wir voneinander lernen können. Empathie ist etwas sehr Kreatives, weil du dich in andere hineinversetzt, um nachzuvollziehen, wie sie fühlen. Studien haben gezeigt, dass Menschen, die sich mit anderen verbunden

fühlen und das Gefühl haben, irgendwo hin zu gehören, insgesamt glücklicher sind. Ich finde, dass Beziehungen sehr kreativ sind und es manchmal vergessen wird, dass jeder rund um die Uhr kreativ ist. Welche Beziehung hast du zu der Stadt Potsdam? Potsdam ist ein besonderer Ort mit einem sehr interessanten Dialog zwischen seiner malerischen Beschaffenheit der Stadt und einer Art Mysterium, dass von ihrer Vergangenheit ausgeht. Ich habe das Gefühl, dass die Stadt das Potential hat, einen ganz eigene Anziehungskraft zu erschaffen, die nicht nur von den Palästen und Parks ausgeht, sondern von den Ideen und Menschen, die hier leben und arbeiten. Projekte wie das RZ könnten diesen Innovationssinn weiter ausbauen. Wofür steht das RZ aus deiner Sicht? Ich finde es sehr schön, dass dieses Gebäude dafür steht, diesem Trieb zu folgen, dem Wunsch, etwas zu tun und es dann tatsächlich umzusetzen. Es ist ein neutraler Raum für Kreation. Dieses Gebäude sagt „oh hier, ist Platz für dich, du kannst an deinen Projekten arbeiten, du kannst allein arbeiten, dich mit anderen in Verbindung setzen, du kannst herausfinden, was dein nächster Schritt sein wird“. Es zeigt einfach, dass es einen Ort für dich gibt und das ist etwas, was ich wirklich genieße.


#485

Jasmin Herz & Christian Schalauka Prinz Apfel || Grafikdesigner, Illustratoren, Art Directoren


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Was brachte euch hier her? Jasmin: Ich lebe und arbeite schon seit acht Jahren in Berlin. Vor etwa einem Jahr traf ich Christian und wir begannen gemeinsam Projekte umzusetzen. Aufgrund meines Bruders haben wir von diesem Ort gehört und uns entschlossen unser Büro hier her zu verlegen. Ohne meinen Bruder, der in Potsdam lebt, würde ich wahrscheinlich gar nicht vom RZ wissen. Christian: Ich bin seit etwa 3,5 Jahren in Berlin – und arbeite seit diesem Sommer in Potsdam. In Berlin mieteten wir einen Platz in einem Großraumbüro für 12-15 Leute . Das hat eine Weile sehr gut funktioniert, doch bald mussten wir feststellen, dass es auch Vorteile hat, wenn man einen Raum nicht permanent mit so vielen anderen teilt. Hier hat man einen kubischen Raum, bei dem man die Tür schließen oder sich mit anderen treffen kann, wenn einem danach ist. Welche Herausforderungen könnt ihr als Kreative im Zusammenhang mit Potsdam und international erkennen? Jasmin: Zu aller erst musst du sehr gut sein, in dem was du tust. Christian: Gut zu sein bedeutet in diesem Zusammenhang weltoffenen zu sein. Wir sind keine Künstler im traditionellen Sinne. Wir müssen mit unserem Job Geld verdienen, daher ist das eine der größten Herausforderungen. Nur kreativ sein und tun was man liebt reicht nicht, man muss auch an das Geschäft denken.

Jasmin: Potsdam ist eine kleine Stadt, im Vergleich zu Berlin, beispielsweise. Und hier ist es schwieriger Kreative alle Art zu treffen. Für die Stadt wäre es ein großer Vorteil sich mehr zu öffnen und mit anderen Städten zusammen zu arbeiten. Das RZ ist ein großartiger Ort, um Dinge gemeinschaftlich zu erledigen, es ist eine Gelegenheit für jeden, andere zu treffen, sich auszutauschen und gemeinsam zu wachsen. Wie gefällt euch die Vielfalt der Menschen die hier arbeiten? Was ermöglicht dieser Aspekt eurer Arbeit? Christian: Vielfalt ist der Schlüssel, wie ich finde. Wenn es diese Diversität nicht gäbe, wäre es hier viel langweiliger. Unser Nachbar beispielsweise: Er ist Pensionär und Maler und wir lieben diesen Kerl. Er war den Großteil seines Lebens Zahnarzt und jetzt ist er hier und malt. Wenn wir uns treffen reden wir hauptsächlich über das Leben. Eine andere Künstlerin arbeitet hauptberuflich im Gericht und in ihrer Freizeit malt sie hier. Ich finde die Gespräche mit ihnen immer bereichernd. Jeder hat diese gewisse Kreativität und diese bringen sie mit hierher. Ich denke, das ist der Schlüssel. Durch diese Vielfalt gibt es regen Austausch und es herrscht eine gute Stimmung. Jasmin: Ja, es ist ein Konglomerat aus verschiedenen Altersgruppen und Stilen. Es ist keine typische Start-Up-Szene – und das ist vielleicht das Einzigartige dieses Projekts. Möglicherweise ist es eine gute Idee, das RZ auch für andere Berufsgruppen zu öffnen, nicht nur Künstler im engen Sinn, sondern für Kreative aus allen Geschäftsbereichen, um diesen Raum noch weiter zu öffnen.


#445/6

Sirko KnĂźpfer MedienkĂźnstler || Kombinat


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Was hat dich zum RZ gebracht? Ich bin hier mit KOMBINAT, welches Tanz und Film kombiniert. Paula E. Paul und ich sind ein freies Künstlerkollektiv, das schon seit mehr als 10 Jahren in Potsdam arbeitet. In unsere künstlerischen Projekte beziehen wir sehr oft ziemlich viele Menschen mit ein. Wir haben mit den verschiedenen Kunstinstitutionen in und außerhalb Potsdams zusammengearbeitet. Einige Jahre hatten wir im freiLand, dem bunten, selbstverwalteten Kulturzentrum ein Zimmer zum arbeiten. Als das Rechenzentrum für Künstler geöffnet wurde, sahen wir dort die Möglichkeit in Räumen zu arbeiten, welchen verbunden aber auch getrennt sein konnten. Und natürlich fühlten wir den Drang die Initiative zu unterstützen, die das Rechenzentrum als Künstlerzentrum überhaupt erst möglich machte.

Was ist eurer Meinung nach das Einzigartige dieses Ortes? In unserer Projekt-spezifischen Arbeitsweise kollaborieren wir häufig mit Künstlern und Darstellern aus Berlin und so wurde es zunehmend interessant zu sehen, wie unsere Gäste aus Berlin die räumlichen und infrastrukturellen Möglichkeiten erleben, die Potsdam für die künstlerische Arbeit zu bieten hat. Dazu gehört auch das Rechenzentrum, genauso wie die Studios der Schiffbauergasse und Räume im freiLand. Innerhalb des Rechenzentrums finden wir Konzentration und Anschluss zu gleich. Persönlich mag ich den Umstand, wie die unmittelbaren Nachbarn und der allgemeine Menschenmix vom Zufall kuratiert ist. In diesem Umstand spiegelt sich sehr ehrlich und optimistisch die Breite des künstlerischen Engagements im Hier und Jetzt. Mit vielen vom Rechenzentrum pflegen wir interessante Gespräche und ich hoffe, dass sich im richtigen Augenblick auch engere Zusammenarbeiten entwickeln werden.

Siehst du Herausforderungen und Potential im Zusammenhang mit deiner Arbeit hier in Potsdam? Aus der Perspektive der zeitgenössischen Kunst gesehen, ist Potsdam auf nationaler oder internationaler Ebene fast nicht bekannt. Es wir mit der jüngeren deutschen Geschichte in Verbindung gebracht und eventuell noch mit den Filmstudios in Babelsberg und dann hört es schon auf. Das ist sicherlich die größte Herausforderung, worin zugleich auch ein Vorteil liegt. Mit weniger zeitgenössischen Künstlern in der Stadt ist es natürlich einfacher aufzufallen. Gleichzeitig bietet die Stadt für Projekte, wie wir sie machen, gute Arbeitsbedingungen. Wenn man die soziale Struktur der Stadt betrachtet, ist es eine sehr intelligente, junge wachsende Stadt. Mehr und mehr Menschen zieht sie an. Menschen, die in Bereichen der höheren Bildung Arbeit finden, eine wirkliche Industrie mit vielen Arbeitern hat die Stadt ja nicht. Das ist eigentlich der perfekte Mix für eine intellektuelle, lebendige Stadt. Also bin ich optimistisch, dass Potsdam seinen Namen in Bezug auf Zeitgenossenschaft noch aufpolieren wird.

Wie sieht für euch das tägliche Leben im RZ aus? Bis vor kurzem hatten wir nette Nachbarn hier, einen liebenswerten Maler und seinen Freund. Wir kommen von verschiedenen Planeten, was die künstlerische Einstellung angeht, aber wir hatten trotzdem so eine Gesprächskultur entwickelt, so in etwa ein oder zwei Sätze pro Woche. Ich mag das irgendwie. Solch ein Tempo. Und ich finde interessant die Mixtur der künstlerischen Stile zu beobachten. Wenn wir gelegentlich unsere verschiedenen Arbeiten in den Fluren zeigen, sind diese gezwungen zu interagieren und das zwingt uns in die wechselseitige Anerkennung unserer parallelen Sichtweisen auf und in die Welt. Jetzt warten wir auf neue nette Nachbarn, da noch einige Zimmer hier im Obergeschoss frei sind.


#241

Marcel & Silvio Mรถlter Thinking Twins || Software & User Experience Design


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Was hat Euch hierher gebracht?

Wie steht ihr zur Stadt Potsdam?

Marcel: Wir sind ein halbes Jahr lang gereist und als wir nach Potsdam zurück kehrten haben wir Büroräume gebraucht. Ein Freund schlug uns das RZ vor – wir mochten die Idee und sind daraufhin hier her gekommen. Wir sind seit Oktober in diesem Raum, also sind wir noch neu hier. Es ist jedenfalls ein schöner Ort und ich denke, dass wir gut rein passen.

Marcel: Wir wurden in Potsdam geboren und aufgezogen. Wir arbeiteten gemeinsam drei Jahre, bis Ende 2015, in einem Berliner Start-Up, weshalb wir täglich zwischen Berlin und Potsdam pendeln mussten. Wir hatten allerdings nie die Notwendigkeit gesehen, nach Berlin zu ziehen. Es ist eine lebhafte Stadt, aber Potsdam hat seinen eigenen Charakter. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, hier zu bleiben und in unserem Potsdamer Büro zu arbeiten.

Silvio: Bisher hatten wir noch nicht so viel mit anderen zu tun, weil derzeit jeder dabei ist, hier in den zweiten Stock zu ziehen. Wir haben ein paar Leute im Haus bereits getroffen, aber es braucht Zeit, jeden kennen zu lernen. Wie auch immer, es ist ein schönes Gefühl zu sehen, dass jeder neugierig und daran interessiert ist, was der andere macht. Da eröffnet sich schnell ein Gespräch. Das RZ bietet uns einen geeigneten Raum mit einem schönen Umfeld, das nicht so anonym und erschwinglich ist. Eine großartige Möglichkeit für uns.

Silvio: Außerdem stellt das RZ eine einzigartige Gelegenheit für kreative Menschen wie uns dar. Manchmal ist es für Potsdam schwierig als Schatten von Berlin. Deshalb brauchen wir Einrichtungen wie das RZ, die kreativen Räume zum Unterkommen und Erstellen ihrer Arbeiten bieten. Unterstützt Potsdam kleinere Unternehmen wie eures, im Kreativsektor? Silvio: Momentan entdecken wir die Kreativszene Potsdams, aber das Rechenzentrum ist auf jeden Fall ein Hotspot der Szene. Die Stadt sollte die Szene auf jeden Fall unterstützen und das Gebäude erhalten.


Kollektivgeschichte Nach jedem Interview wurden die Teilnehmer gebeten, jeweils einen Satz zu schreiben, der die Geschichte fortsetzt, die ihnen vorgelegt wurde. An diesem spielerischen Prozess nahmen immer mehr Nutzer des RZ teil. Das Ergebnis ist eine Kollektivgeschichte, die die Neugierde und Kreativität zelebriert. Er befand sich an einer Haltestelle, am Wegesrand und redete über einen Platz auf dem er sich als kleiner Junge in grünen kurzen Hosen noch immer stehen sieht. Von hier aus sah er auch die Fjorde, die Esja und den Hafen an dem die weite Welt auf ihn wartete. Eines Tages, dachte er, während er am Saum seines Jackets kibbelte, werde ich meine Oma anrufen und ihr von diesem besonderen Tag berichten, denn heute wird sich mein Leben

total verändern. Er griff mit der linken Hand nach seinem Koffer und stellte sich mit seinem neu-gewonnenen Freund, ein älterer Herr aus der Nachbarschaft, an den Straßenrand um in den sich nähernden Bus zu steigen. Alsbald wachte sie auf aus ihrem Tagtraum, fand sich an einer Haltestelle sitzend, am Wegesrand blühte der Mond auf zu seiner vollen Gestalt – am 366. Tag des Jahres. Plötzlich stieg vor ihr eine Rakete gen Himmel empor und entfaltete ein wunderschönes Brokat in Rot und Silber. Tausende funkelnde Lichter fielen wie Sternschnuppen schillernd auf sie nieder, erleuchteten den Fjord, die fernen Berge und das Meer. Da wusste sie, dass es keinen anderen Ort auf der Welt gäbe, der ihr bisher so viel Wärme und Zuversicht vermitteln konnte. Mit diesem Gefühl macht sie sich auf den Weg in eine neue, vielversprechende Zeit.


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Fotostory Gefüllt mit kreativen Köpfen transformiert sich das RZ. Obwohl jeder in seinem eigenen Raum hinter verschlossener Tür arbeitet, wird der Wunsch nach Interaktion bereits in der Türdekoration sichtbar. Diese Fotostory enthüllt, wie sich die Nutzer des RZ mit verschiedenen kreativen Lösungen diesen eher unfreundlichen Ort aneignen.









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Nachwort Ich habe den Raum #341 im RZ gerade einmal drei Wochen genutzt und ich empfinde bereits eine Behaglichkeit, wenn ich durch diese endlosen Korridore gehe, vorbei an all den grauen Türen. Hier waren es die zwischenmenschlichen Interaktionen, die die Räume geschaffen haben, nicht die Architektur, trotz seiner herben Struktur. Doch das RZ ist mehr als nur ein Gebäude, dass der Kreativszene Potsdams gegeben wurde. Anja Engel sagte mir: „Es ist ein Raum der Möglichkeiten. Manchmal stelle ich es mir als Utopie vor; ein Ort, an dem man seine Individualität im Zusammenhang mit der Gemeinschaft ausleben kann“. Meiner Meinung nach ist es genau das, was zeitgenössische Städte ausmachen sollte: Das sie ihren Einwohnern das Recht einräumt, sowohl physische, als auch geistige Orte für neue Ideen, neue Zusammenhänge, neue Erzählungen zu nutzen. Allerdings bleibt bei der Suche nach einer nachhaltigen urbanen Zukunft die Frage: Ob, und wenn, wie kann Kultur diesem Diskurs einen Beitrag leisten? Interessanterweise steht die Integration der Kultur bis 2030 bereits in der Agenda für Nachhaltige Entwicklung und repräsentiert damit einen Paradigmenwechsel bei internationalen Entwicklungsstrategien. Die UNESCO hat in ihrem letzten Beitrag zur urbanen Kulturentwicklung bereits festgestellt, dass nachhaltige Entwicklungsstrategien auf die Menschen

bezogen werden müssen. In diesem Zusammenhang ist Kultur äußerst wichtig, da sie Schlüsselpraxen zu Beteiligung, Eigentumsverhältnissen und Kreativität vermittelt. Bei dem Projekt dialogues ging es eher darum, Fragen zu stellen, als Antworten zu bekommen. Man kann jedenfalls feststellen, dass alles mit den lokalen Bezügen anfängt, genauer gesagt, im Alltäglichen. Die Kultur ist eine Sprache, die unsere Realität beschreibt. Der Schlüssel dabei ist jedoch, die Realität nicht zu definieren, sondern nach dem Prozess zu suchen, der die Sprache formt. Durch das Suchen und dem Führen fruchtbarer Dialoge zwischen verschiedenen Bereichen, Interessensgebieten und Menschen und durch das Bestärken von Menschen, anders zu denken und fühlen, verbinden wir, statt uns zu verstecken und uns vor anderen zu fürchten. So, let’s START. Ourania Mavriki Raum #341 -

“With the adoption of the 2030 Agenda for Sustainable development by the United Nations in September 2015, the world agreed upon an ambitious roadmap for the achievement of a sustainable future”. UNESCO. Culture Urban Development. Report, 2016. Web link:http://www.unesco.org/culture/culturefor-sustainable-urban-development/pdf-open/ global-Report_en.pdf


Anerkennung Die Produktion dieser Broschüre war eine großartige Reise ins RZ, einem Gebäude, welches ich mir als eine eigene Stadt vorstellte, mit der Idee einer offenen und integrativen Gemeinschaft. Leute kommen und gehen, Nachbarn treffen sich oder bleiben hinter verschlossenen Türen, Räume werden transformiert – doch Kreativität ist stets präsent.

Meine tiefste Dankbarkeit gilt Anja Engel, Kulturmanagerin des RZ, welche mich bei meiner Forschung unterstützte, Siegfried Dittler, dessen Anleitung, zusammen mit unseren inspirierenden Diskussionen, meine Erfahrungen in Deutschland in vielerlei Hinsicht bereichert hat, Tobias Marten, der mich bei meiner gesamten Reise geduldig unterstützt hat, und schließlich Marianna Kaplatzi & Fanis Kollias, deren Feedback und Unterstützung mir sehr wertvoll waren. Zu guter Letzt möchte ich allen Interviewten, die mit mir über ihre Arbeit und ihre Ansichten sprachen, für ihre Zeit und ihr Wohlwollen danken. Auch wenn ich unsere langen Diskussionen in dieser Broschüre komprimieren musste, so ich bewahre dennoch jede Einzelheit unserer Gespräche der vergangenen Wochen.


Konzept & Umsetzung: Ourania Mavriki Übersetzung: Christian Kietzmann

Dieses Projekt wurde in Zusammenarbeit mit der Waschhaus Potsdam gGmbH durchgeführt. Es wurde unterstützt von „START - Create Cultural Change“, einem Programm der Robert Bosch Stiftung, das in Kooperation mit dem Goethe-Institut Thessaloniki und der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. durchgeführt wird.

Fotos: Barbara Thieme #452 (Seite 4, 10, 12, 14, 16, 18, 22, 28-33) Ourania Mavriki (Seite 2, 20, 24, 26) Fanis Kollias (Seite 8, 34) Grafikdesign: Rita Lauckner #311 Druck: Copy-Repro-Center Potsdam


Dialogues 2016


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