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VIAGRA BOYS

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SOEN

SOEN

Foto: Fredrik Bengtsson

KURS: TIEFGANG. Okay, vielleicht war ich auch vorurteilsbeladen, als ich dachte, beim Bandnamen VIAGRA BOYS erwartet mich cooler pornöser Partykram. Stattdessen sitzt uns mit Sänger Sebastian ein volltätowierter, ernsthafter Mann gegenüber, dessen Stimme Jahrzehnte älter klingt, als er tatsächlich ist. Man fühlt sich ein bisschen wie am Lagerfeuer und lauscht gespannt den Geschichten.

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Als Erstes muss ich natürlich die allerwichtigste Frage stellen, die ihr garantiert noch nie zuvor gehört habt: Wie seid ihr bloß auf euren Bandnamen gekommen? Die Idee hatte eigentlich ein Freund von uns. Wir waren zusammen in einer Bar und haben uns ganz viele schlechte Bandnamen einfallen lassen. Besagter Freund war gerade auf Speed und hat uns dann auch erzählt, dass er gerade Viagra braucht. Und so war der Bandname geboren: Wir sind die VIAGRA BOYS.

Okay, also gab es keine Erektionsstörungen innerhalb der Band, gut ... Also, ich kann da jetzt nicht für jeden sprechen, haha!

Aus eigener Erfahrung heraus kann ich sagen, dass unglaublich viele Menschen Probleme mit sexuellen Inhalten in Musik haben oder zumindest mit etwas, das auf diese Art und Weise provoziert. Habt ihr auch schon eure Erfahrungen damit machen müssen, beispielsweise nur aufgrund des Bandnamens bereits vorverurteilt zu werden? Oh ja, vor allem am Anfang. Da waren sehr viele Leute, die das Ganze etwas merkwürdig fanden. Aber ich halte mich nicht so lange daran auf. Vielleicht haben viele Menschen ein Problem damit, aber fickt euch einfach. Zumindest hatten wir nicht das Problem, mit dem Namen an Shows zu kommen. Wir sind ja auch, was unsere Musik betrifft, jetzt nicht so sexuell unterwegs. Trotzdem haben auch da viele Leute Vorurteile und denken, wir führen uns auf wie Machos oder Fuckboys oder dass wir Frauen hassen oder all so ein Blödsinn. Aber das war mehr am Anfang, jetzt ist es wirklich besser geworden.

Kommen wir zu eurem neuen Album „Welfare Jazz“. Ihr habt zwei Musikvideos vorab releaset, „Ain’t nice“ und „Creatures“. Die beiden Videos erzählen eine zusammenhängende Geschichte. Kannst du uns mehr darüber erzählen? Wahrscheinlich sind die Videos gar nicht so tiefgründig, wie du denkst. Das erste Video beginnt mit diesem komischen Alptraum, den ich mal für eine Zeit sehr oft hatte: dass alle Menschen um mich herum einfach nur sauer auf mich sind. In dem Traum war ich bei meiner Mutter und sie hat geweint. Und dann war ich bei meiner Freundin, die total angepisst war und auch geweint hat. Alle meine Freunde waren sauer auf mich. Ich ging die Straße entlang, und fremde Menschen haben sich über mich aufgeregt. Ich dachte, das wäre vielleicht eine ganz gute Idee für ein Musikvideo. Also habe ich dem Regisseur davon berichtet, und wir haben es entsprechend ein bisschen abgeändert, dass die Leute nicht einfach alle nur sauer auf mich sind, sondern ich wie ein völlig abgefuckter, besoffener Idiot die Straße entlanglaufe. Und das passt ja auch zum Songtitel „Ain‘t nice“. Und das „Creatures“-Video sollte dann so etwas wie ein Gegensatz dazu sein. Weißt du, ich bin sozusagen ein Speedfreak. Und Menschen, die jede Menge Scheiß konsumieren, die leben ein Stück weit außerhalb der Gesellschaft und machen so eine Scheiße wie Fahrräder klauen und so. Und so war auch mein Leben für eine bestimmte kurze Zeit. Deshalb ist das Video der Kontrast: Ich bin jetzt ein Sellout-Musiker, habe ganz viel Geld und lebe in einem Schloss und habe Depressionen. Aber es geht wirklich mehr um den Spaßfaktor in den Videos. Sie haben nicht wirklich so eine tiefe Bedeutung.

Klingt aber auch nicht ausschließlich oberflächlich. Ich hätte gedacht, der Aspekt psychische Gesundheit spielt auch noch mit rein, da der Protagonist in den Schlossszenen im Rollstuhl sitzt und dort nur von dem Rowdy-Leben träumt, das er aber ja so nicht haben kann. Das ist auch eine sehr akkurate Beschreibung der Videos. Generell finde ich es immer interessant, was andere Menschen in Videos sehen, denn am Ende ist es ja so, wenn es für dich das und das bedeutet, dass es das dann eben auch für dich bedeutet. Mich hat auch ein Fan gefragt, wofür genau „Creatures“ steht. Sie hat mir erzählt, dass sie gerade zwanzig ist und schon heroinabhängig war, und dass sie sehr mit der Handlung aus „Creatures“ mitfühlen konnte. Deshalb ist es eigentlich egal, was es in Wirklichkeit aussagen sollte, wenn es für dich etwas aussagt, das dir helfen kann.

Ist es nicht auch ein sehr schönes Gefühl, wenn man Menschen mit seiner Musik berühren oder ihnen sogar helfen kann? Ja, absolut, es ist wirklich wunderbar, wenn man weiß, dass man einem Menschen helfen konnte, dass er sich verstanden und nicht ganz allein mit etwas fühlen muss. Als ich ein Kind war, habe ich auch oft bei Musik nicht verstanden, worum es genau geht, aber ich habe einfach gefühlt, dass es um mich geht, haha.

Die meisten deiner Texte handeln von falschen Lebensentscheidungen, Beziehungen und Trennungen und der zu späten Einsicht, etwas falsch gemacht zu haben. Wieviel Prozent davon bist wirklich du, und was davon ist nur ausgedacht? Ich würde sagen, achtzig Prozent davon bin ich. Und den Rest erfinde ich dann dazu, damit es sich ins Gesamtgefüge einpasst. Es ist aber nicht bei jedem Song dieselbe Thematik. Auf diesem Album jetzt geht es vorrangig um falsche Lebensentscheidungen, die man dann bereut oder aus denen man bestenfalls auch etwas lernen konnte. Auf dem Album davor ging es vielleicht etwas mehr um Selbsthass. Es ist nicht so, dass ich mir vorher genau Gedanken mache, worüber ich schreiben möchte. Manche Dinge verstehe ich vielleicht selbst auch erst später ... vielleicht in einem Jahr oder so, haha.

Woher kommen die Inspirationen zu deinen Texten und eurer Musik? Sehr viel aus der Countrymusik. Viel Classic Rock, Neil Young und so was. Aber auch Storyteller sind ein großer Einfluss. Ich mag es, wenn Musik Geschichten erzählen kann. Jenny Josefine Schulz

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