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„Soneros“ Compay Segundo Von Andreas Schulz (Text und Fotos)
Was ist Kubas Exportschlager Nummer eins? Zigarren? Zuckerrohr? Weit gefehlt. Es ist eine Gruppe von Musikern, die das Rentenalter längst erreicht haben.
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ie großen alten Herren, die „Soneros“, ziehen aus, ein letztes Mal die Welt zu erobern. Sänger Ibrahim Ferrer ist über 70, Pianist Rubén Gonzáles hat die 80 erreicht, doch der Senior des höchst lebendigen Clubs ist Gitarrist Francisco Repilado, genannt Compay Segundo. Der ist mit Jahrgang 1907 der älteste Pop-Star der Welt. Die aktuelle Popularität kubanischer SonMusik ist dem anhaltenden Erfolg des „Buena Vista Social Club“ zu verdanken. Gitarrist Ry Cooder, bekannt für seine athmosphärischen Filmmusiken
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Calle Salud – Compays Musik für Gitarre Von Andreas Schulz Für alle, die sich am momentanen Kuba-Boom berauschen möchten – rein musikalisch, versteht sich – bietet sich hier die perfekte Gelegenheit. Zwei Songs von Compays aktueller CD „Calle Salud“ haben wir für normal gestimmte Gitarre aufbereitet. Das Stück „Chan Chan“, das Franz Holtmann in der letzten Ausgabe schon vorstellte, ist auch hier wieder zu finden. Da die AKUSTIKGITARRE-Leser somit bestens vorbereitet sind, kommen nun ein Auszug von Compays Original-Solo (Abb. 3) sowie zwei sich ergänzende Begleitgitarren in Abb. 1 und Abb. 2. Das Tonmaterial ist sehr arpeggio-orientiert – da soll noch mal einer sagen, es lohne sich nicht, Dreiklänge zu üben! Bei den eher linearen Melodieteilen wird die natürliche Moll-Tonleiter (Takt 6) oder die harmonische Moll-Tonleiter (Takt 7) benutzt. Ein zweites wunderschönes Stück ist „Se Perdió La Flauta“, dessen Intro-Solo unter Abb. 5 abgedruckt ist. Die passende Rhythmusgitarre ist in Abb. 4 zu finden.
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und ethnomusikologischen Feldforschungen, produzierte 1997 mit kubanischen Musikern diese CD, ein Musikerlebnis ersten Ranges. Dank Cooders altem Weggefährten Wim Wenders waren die Musiker und ihre Kultur als Musikfilm nochmals in den Kinos weltweit zu erleben, ein dichtes Dokument der Leichtigkeit und Lebensfreude Kubas wie der Persönlichkeiten der beteiligten Musiker. Diese wieder entdeckten Super-Abuelos (SuperGroßväter) fesseln uns mit ihrer Magie und ihren Geschichten – und natürlich mit der Wucht ihrer Musik, des Son Cubano. „Ihre Hingabe zur Musik und ihr Zusammenhalt
Lebendes Denkmal: Compay Segundo
Und Compay? Der komponierte mit „Chan Chan“ den Hit der „Buena Vista“-CD und ist seit den 30er Jahren in Kuba ein Idol. Die allererste auf Kuba entstandene Schallplatte wird ihm zugeschrieben. Er ist ein kultiger Opa, der sein ganzes Leben für die Musik gelebt hat. Geboren wurde er im November 1907; als Teenager spielte er bereits in diversen Bands, zunächst noch als Klarinettist. Später entdeckte er die kubanische Gitarre mit drei doppelchörigen Saiten, genannt Trés. Dieser Klang nahm ihn sofort gefangen, allerdings auch der der klassischen Gitarre. Also kombinierte er kurzerhand die beiden Instrumente zum selbst entwickelten „Armónico“, das ihm mit seinen sieben Saiten (und acht (!) Stimm-Mechaniken) die Möglichkeiten und Vorteile beider Instrumente bietet. Bearbeitet wird dieses winzige Unikat mit dem Plektrum. Bekannt wurde Francisco als einer der
Hauptvertreter des „Son Cubano“ in den „Cuartetos“, den kulturellen Treffpunkten von Havanna. In den vierziger Jahren gründete er mit dem Sänger Lorenzo Hirrezulo das Duo „Los Compadres“. Die beiden wurden mit ihrem sonoren zweistimmigen Gesang und den charmanten Texten richtiggehende Stars in Kuba. Hier erhielt Francisco auch seinen Künstlernamen: weil er stets die Rolle der zweiten Stimme übernahm, wurde er kurzerhand zum „Compay Segundo“, dem zweiten Compadre. 1959 wurde alles anders: Mit der Revolution in Kuba geriet Compay in Vergessenheit. Um zu überleben, musste er als Friseur und schließlich als Zigarrendreher in einer Fabrik arbeiten, bis er 1974 in Rente geschickt wurde. Obwohl jedes Kind auf Kuba seine Lieder kannte („Yo Vengo Aqui“ – „Hier komme ich“ – komponierte er mit 15 Jahren), nahm niemand die Existenz des alten Musikers zur Kenntnis. Das änderte sich erst zu Beginn der 90er Jahre: Compay wurde
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untereinander sind einzigartig. In Kuba fließt die Musik wie ein Fluss. Sie beschützt dich und baut dich von innen nach außen auf“, schildert Cooder seine Eindrücke.
Plattentipps
wieder aktiv und tauchte unter anderem auf Festivals in Spanien auf. Nächste Station: die schon erwähnte CD „Buena Vista Social Club“, die ihn mit einem Paukenschlag ins musikalische Bewusstsein der ganzen Welt zurückbeförderte. Vor allem ein überraschend Zwischen Hoffnung und junges Publikum erlag dem Charme dieser Traurigkeit: Compay Segundo ebenso heiteren wie melancholischen Musik. So konnte man bei den Deutschland-Konzerten des rüstigen Rentners tanzende Fans von 16 Jahren an aufwärts erleben, die sich von dem Mann auf der Bühne hinreißen ließen und zur zweiten Zugabe lauthals „Compay, Compay“ skandierten. Seinen neunzigsten Geburtstag feierte Compay vor zwei Jahren mit seiner Platte „Lo Mejor De La Vita“ („Das Beste im Leben“). Diese Aufnahmen pflegen den „klassischen“ Son und hauchen ihm neues Leben ein, indem sie ihn zu einer Beziehung mit der spanischen Folklore verführen. Eine Musik zwischen Hoffnung und Traurigkeit, getragen von Compays klingendem Bariton und seiner ewig verstimmten „Armónico“. Ganz neu in den Plattenregalen steht das Nachfolgewerk „Calle Salud“, aufgenommen im Februar und März 1999 und benannt nach Compays Adresse in Havanna, der „Straße der Gesundheit“. Diesmal ist ein Klarinettentrio in die Arrangements integriert und verleiht den Sons, Merengues und Boleros eine ganz eigene holzig-weiche Klangfarbe. Der alte Plattentipps Herr singt nach wie · Calle Salud (1999, EastWest) vor mit unerschütter· Lo Mejor De La Vida (1998, EastWest) licher Lebensfreude · Antologia (1997, EastWest) · Cien Anos De Son (1999, EastWest) über Liebe und Leben, · Yo Vengo Aqui (1997, EastWest) und wenn er in Wim · Buena Vista Social Club (1997, EastWest) Wenders wunderbarer Filmdokumentation augenzwinkernd über die Frauen philosophiert, ist man geneigt, sein Respekt gebietendes Alter zu vergessen. Compay Segundos Energie ist bewundernswert. Seine kaum zu erschütternde Fröhlichkeit nimmt das Publikum gefangen. Er ist die Personifikation kubanischer Musik und zugleich ihr lebendes Denkmal. Mit etwas Glück dürfen wir noch einiges von ihm erwarten. Ein hohes Lebensalter liegt offensichtlich in der Familientradition. Seine Großmutter, Ma Regina, starb im Alter von 115. Da hat Francisco – genannt „Compay“ – noch einige Jährchen vor sich. ANZEIGEN
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