Acoustic Player 4-2011 - Story Paul Simon aus Akustik Gitarre 4-2011

Page 1

STORY

Von Michael Lohr

Zeitlos Paul Simon · Frage: Wer verfügt über die Beobachtungs- und Formulierungsgabe eines Dichters, die melodische Überzeugungskraft eines PopSongwriters, das Gitarrenspiel eines Folk-Pickers, die stilistische Neugier eines Weltmusikers, das sensible Gehör eines Tontechnikers, den scharfen Verstand eines Musikproduzenten und die moralische Autorität eines Mannes, der mit seiner Musik in Anstand und Würde älter werden will? Antwort: Paul Simon natürlich, dessen neues Album wieder ein Ereignis ist – und es ist eine Geschichte wert. in Songbook enthält Texte, Noten, Gitarrenakkordsymbole, Klavierbegleitungen. ‚Songs Of Paul Simon’ von 1973, aber bietet zusätzlich eine „Introduction“: Auf zwei Seiten legt der Musiker nüchtern dar, wie seine Lieder entstehen. Herumklimpern auf der Gitarre, am besten in Tonarten, in denen er sich weniger gut auskenne – um nicht ständig in die gleichen Akkord-

Foto: Mark Seliger

Paul Simon: Still a star after all these years

wechsel zu verfallen. Dazu unbewusst Wörter singen, die gut klingen, ohne Rücksicht auf deren Sinn – bis eine Wortfolge entsteht, die natürlich klingt und eine Bedeutung besitzt. Hat sich eine solche Zeile bei ihm festgesetzt, baut er einen Song drum herum. Dabei greift Simon alles Wort- und Tonmaterial auf, was als merk-würdig in seinem mentalen Arbeitsspeicher hängen bleibt. Sarkastische Triviali-

aktuelle Produktion Paul Simon: So Beautiful Or So What (2011, Concord) Kein Hauch von Alter in der Stimme, keine Spur Nostalgie in den Texten, keine sentimentale Religiosität im Angesicht der eigenen grauen Haare: Humorvoll, schlank und elegant, modern und zugleich zeitlos kommt die Musik des fast 70-Jährigen daher, weltgewandt, gesättigt von menschenfreundlich-selbstkritischer Spiritualität und gesundem Sarkasmus. Balladen wie ‚Questions For The Angels’ berühren mit tiefer Zartheit, Groove-Songs wie ‚Love Is Eternal Sacred Light’ reißen einfach mit. Solche Titelgebungen zeigen Simon auf Sinnsuche – verraten jedoch zunächst nicht, welch ein Kaleidoskop an Empfindungen, Überlegungen, Beobachtungen und Ironien der Amerikaner da einfließen lässt. Auch die Musik dieses ebenso tiefen wie leichtfüßigen Albums speist sich aus zahllosen Quellen entlang Simons langem Weg: Anmutiges Folk-Gitarrenspiel, Percussion aus aller Welt, Flüssigkeit afrikanischer E-Gitarren, Heiterkeit karibischer Rhythmen, alles mit dem Fluss kristallklarer Melodien. Man genießt jede Sekunde eines Albums, das dem Hörer den Glauben an Intelligenz und Substanz von Pop-Musik zurückgibt. Michael Lohr

36

AKU S TIK G ITARRE 4 / 1 1

tät. ‚Mother And Child Reunion’ etwa verdankt seinen Namen einem chinesischen Gericht mit gekochten Eiern und gebratenem Hühnchen. Die griffige Kurzanleitung zum kreativen Schreiben liefert nebenbei einen Schlüssel zum Verständnis dessen, was Simons Kunst auszeichnet: große Vielschichtigkeit dank eines immer wechselnden spontanen, bewusst handwerklichen und selbstkritischen Prozesses über mehrere Arbeitsgänge hinweg. Die Motivation: Neugier und Freude am Tüfteln. „I think my next songs will be better“, schließt Simons „Einführung“ lakonisch. Wer in Simon noch immer den traurigen Folkie sieht, der den gescheiterten „Boxer“ besingt, übersieht die Kleinigkeit von 40 Jahren und ein Dutzend stilistisch, thematisch und produktionstechnisch deutlich unterschiedliche Soloalben. 1970, mitten im Megaerfolg von ‚Bridge Over Troubled Water’, verabschiedet sich Simon nicht nur vom Duopartner Garfunkel, sondern auch vom großen Sound-Aufwand ihres letzten gemeinsamen Werkes. Stattdessen orientiert er sich an Jesse Winchesters rootsigem Debütalbum mit karger Instrumentierung und brillanten Texten – allerdings auf seine persönliche Art.


Paul Simon Weltmusik statt „One Trick Pony“ Simon überdenkt die Weltmusik-Ansätze auf ‚Bridge Over Troubled Water’, etwa die Andenklänge von ‚El Condor Pasa’ oder Bossa wie ‚So Long, Frank Lloyd Wright’. Sollte man das künftig nicht gleich richtig angehen? Mit den Experten für die jeweilige Stilistik? Mit Jimmy Cliffs Begleit-Band spielt er sein ‚Mother And Child Reunion’ als Reggae fürs erste Soloalbum ein. Beim sarkastischen ‚Paranoia Blues’ lassen gespenstische Bottleneck-Sounds von Stefan Grossman das Blut in den Adern gefrieren. Für ‚Hobo‘s Blues’ bittet er den greisen Jazz-Geiger Stephane Grappelli zu einem swingenden Duett; den mitreißenden Latin-Rhythmus von ‚Me And Julio Down By The Schoolyard’ besorgt die Band Uru Bamba. Ein gutes Jahr später sucht Simon – künstlerisch erfolgreich, finanziell unabhängig, privat als junger Vater glücklich – für sein positivstes Album richtig gute US-Roots-Musiker. Der Falsett-Gesang des Reverend Claude Jeter, die Dixie Hummingbirds und die lässige Rhythm Section der berühmten Muscle Shoals Studios in Alabama tragen bei zu einem Traumalbum. Unendlich viel dunkler, aber ebenso brillant klingt das Nachfolgewerk ‚Still Crazy After All These Years’, überschattet und inspiriert zugleich vom Scheitern von Simons erster Ehe. Dass fünf Jahre später ‚One Trick Pony’, die selbstgeschriebene und (mit Simon in der Hauptrolle) selbstverfilmte Geschichte eines fiktiven Songwriters, als Kinofilm floppt und als Soundtrack-Album trotz großartiger Lieder und toller Band nur mäßig ankommt, empfindet der erfolgsverwöhnte New Yorker auch als eine Art Befreiung. Erstens habe er „eine Menge Hits gehabt, ohne zu wissen, was sie eigentlich dazu machte“, zweitens machen ihm Kehrseiten der Popularität ohnehin zu schaffen: „Manche Leute, die einen gar nicht kennen, mögen einen grundlos; andere, die einen ebenso wenig kennen, können einen nicht leiden. Beides bekommt einem Menschen nicht. Und Ruhm kann zerstörerisch sein, wenn man nicht herausfindet, wie man damit umgehen muss. Um sich nicht selbst zu verlieren.“

die Rhythmusspuren und nimmt sie auf, bevor er den eigentlichen Song dazu schreibt. Bei nicht hundertprozentigem Gefallen wirft er beides weg und beginnt vollkommen neu. Unbeachtet, weil niemand mehr etwas von ihm erwartet, schneidet er seine Lieder gezielt zu auf die Grooves südafrikanischer Ensembles, mit denen er sich in Johannesburger Studios getroffen hat – illegal, jedenfalls laut UNOKulturboykott gegen den damaligen Apartheid-Staat. Das wäre doch die Gelegenheit für einen unzweideutigen Anti-Apartheid-Song gewesen, monieren Kritiker. Eindeutig politische Lieder bewirken nichts, hält Paul Simon dagegen; sie predigen den bereits Bekehrten, während Andersdenkende nur weghören. Und

DisKografie

Paul Simon (1972, Label) There Goes Rhymin’ Simon (1973, Label) Live Rhymin’ (1974, Label) Still Crazy After All These Years (1975, Label) One Trick Pony (1980, Label) Hearts And Bones (1983, Label) Graceland (1986, Warner) The Rhythm Of The Saints (1990, Warner) Paul Simon’s Concert In The Park (1992, Label) Songs From The Capeman (1998, Warner) You’re The One (2000, Warner) Surprise (2006, Warner) So Beautiful Or So What (2011, Hear Music/Concord)

Online-Info www.paulsimon.com

What a wonderful world ...

Das Magazin AKUSTIK GITARRE – das europaweit größte Fachmagazin für Akustikgitarristen. Runde 150 Seiten News und Testberichte, Workshops, Interviews, Reportagen, CD-/DVD- und Buchbesprechungen, eine Gastkolumne mit bekannten Persönlichkeiten, Konzertberichte, Tour-Ankündigungen und vieles mehr. AKUSTIK GITARRE – die Zeitschrift für Fingerstyle, Singer/Songwriter, Folk, Blues, Pop, Jazz, Latin, Rock und Klassik.

Die CD Zu jeder Ausgabe der AKUSTIK GITARRE ist eine hochwertige CD separat erhältlich. Hier finden Sie Einspielungen aller Gitarren-Workshops aus dem Magazin. Dazu hervorragende Soundbeispiele von sämtlichen im Heft vorgestellten Testinstrumenten und technischem Equipment. Das Besondere: In zehn Bonustracks hören Sie die Musik der porträtierten Künstler oder Stücke aus empfehlenswerten CD-Neuerscheinungen. DAS

DVDDas

Wor

ksho

Großartiges Graceland Mit einer methodischen Neuausrichtung vermied Simon bei der nächsten Produktion solche Fehler. Für ‚Graceland’ notiert er zuerst

p-Ma

gazi

r n fü

r g ita

rist

DVD

-WO

RKS

HOP

-MA

GAZ

en

IN F ÜR

G IT AR

RIST

EN

Coming

soon: das ult imative Mitsp iel-Mag azin für Git arrist en

soon:

Coming

imative

das ult

Ein veritabler, aber richtig befreiender Misserfolg aber steht Simon noch bevor. Inmitten der Turbulenzen seiner zweiten Ehe entsteht ‚Hearts And Bones’ – ein Flop bei Kritikern und Publikum. Von allerlei Problemen abgelenkt, hatte Simon Songs umgeschrieben, damit sie auf Begleit-Tracks passen, die eigentlich seinen hohen Maßstäben nicht genügten. „Die Aufnahmen auf dem Album waren schlechter als die Songs selbst und ihre Demos.“

(Auszug)

in

Magaz

Mitspiel-

arristen

ic Acousrt Playe

für Git

to diamvero doles Duissi blaore odio do consequat.ssim zzriusto ero elis con sequi iurem quisit vel tat dolenim tem volup nostrud

Die Website Der schnelle Weg in die Welt der AKUSTIK GITARRE. Unter www.akustik-gitarre.com sehen Sie Stories, Interviews und Testberichte auf Video als Ergänzung zu unserem Magazin. Dazu gibt es Kleinanzeigen, Leserbriefe, ein komplettes Online-Archiv und das beliebte Gitarrenforum. Die neue Rubrik Akustiknetz bietet wichtige Adressen der Gitarrenszene, von Herstellern und Werkstätten über Händler, Schulen und Workshop-Anbieter bis hin zu Verlagen oder Festivalund Konzertveranstaltern.

to euis vero doles ndiam zzrit dit nosto conseullan hent delispraese min et ad et dolore nibh ex iliquat vent nis nismolorem tionsequis

Acou Playestic r

vero dole consequa sto con sequ t. Duissi blaor issim dolen zzriusto e diamim nostrud vel iurem quisi odio do tem volup t ero elis tat

vero dole sto nosto cons

endia dolore min ullan m zzrit euis vent nis nibh ex hent delis dit tionsequis et nismoloread et prae m iliqua se t

vero dole conseni sto comm amcommo odo dolore ad dunt od te velit ea iustin ing eugi g ea am

Das DVD-Workshop Magazin Ab Januar 2011 im Handel. Der ACOUSTIC PLAYER – das DVD-Workshop Magazin für Gitarristen. Bis zu vierzehn spannende Workshops pro Ausgabe aus allen wichtigen Gitarrenstilen. Schritt für Schritt erklärt vom Chefredakteur der AKUSTIK GITARRE, Andreas Schulz. Die Kombination aus Noten, Tabulaturen und einer hochwertigen DVD mit über drei Stunden Laufzeit macht den ACOUSTIC PLAYER zu dem neuen Lernmittel für Gitarristen.

w w w . a k u s t i k - g i t a r r e . c o m


STORY

Paul Simon

Nach rauschend erfolgreichen Welttourneen investiert Simon Jahre (und Millionen) in ein eigenes Broadway-Musical. Das jedoch floppt heftiger als all seine Projekte zuvor und setzt ihn bösartiger, persönlicher Kritik aus. ‚You‘re The One’, Simons Rückbesinnung auf sein ureigenes Handwerk, setzt sich liebevoll bis bissig auseinander mit dem, was sich in der Welt getan hat – und bei ihm selbst: In glücklicher dritter Ehe verheiratet mit Edie Brickell, wird er in den Neunzigern noch dreimal Vater.

Foto: Kevin Mazur

Nach ‚Surprise’ 2006 rechnet nicht einmal er selbst noch mit einem weiteren Paul-SimonAlbum. Nicht, dass er sich zu alt dafür vorkommt: „Niemand behauptet, man müsse aufhören zu malen oder Romane zu schreiben, wenn man älter wird“, meint er und versteht die Rolling Stones: „Die zeigen den Leuten früher ungeahnte Möglichkeiten dessen, was man im Alter aus sich machen kann.“ Simon

Foto: Lynn Goldsmith 2000

‚Graceland’, größter Erfolg seiner Karriere, ermutigt ihn, Ähnliches vier Jahre später mit brasilianischen Musikern anzugehen: ‚The Rhythm Of The Saints’ wird, verglichen mit dem satten ‚Graceland’-Groove, ein eher subtiles Meisterwerk.

selbst wird umgetrieben vom Gedanken, die Musik, die er als junger Mann geliebt hat, so weiterzuentwickeln, dass man mit ihr ebenfalls würdig und lebendig alt werden kann. Nach fast 50 Jahren Songwriting wundert er sich, dass ihn die Muse nie verlassen hat. Allerdings kommt es nach einem fertigen Projekt bei ihm regelmäßig zu einem Winterschlaf der Ideen: „Es scheint nichts zu passieren. Aber die Ideen ruhen nur; sie sind im Untergrund durchaus aktiv.“

Die Rückkehr Der konkrete Anreiz, doch wieder aktiv zu werden, ergebe sich meist aus einem Detail des letzten Albums, an dem man weiterarbeiten könne. Diesmal sind es Harmonien von ‚Surprise’, die ihn inspirieren, nach vielen Jahren noch einmal auf Harmonie- statt auf Rhythmusbasis zu schreiben – konkret wieder auf der akustischen Gitarre : „Ich wollte noch einmal etwas tun, was ich lange vermieden hatte, nämlich mich mit der Gitarre hinzusetzen und einen Song zu schreiben“, ganz wie früher: Melodien und Worte als bedeutungsfreien Schönklang vor sich hin laufen zu lassen. Als Erstes entsteht ein kleines Gitarrenstück namens ‚Amulet’, auch auf

38

AKU S TIK G ITARRE 4 / 1 1

‚So Beautiful Or So What‘ vertreten. Es folgen zwei Balladen: nur Paul Simon und seine Gitarre. „Dann hatte es sich aber für mich ausballadet“, sagt er. „Ich musste dann wieder ein Rhythmusstück spielen, wozu ich mich nach drei Solo-Songs berechtigt fühlte.“ Am Ende steht, „ohne dass ich es beabsichtigt hatte, ein Album, das meine gesamte künstlerische Reise und Karriere rekapituliert“ und an seine Anfänge mit ‚Paul Simon’ von 1972 erinnert. Es sind berückend schöne afrikanische und lateinamerikanische Elemente zu hören, ein paar Folk-Anklänge, herrliche Harmonien, dazu Texte, über deren Humor, Tiefe und Komplexität man nur staunen kann. Doch noch etwas anderes platziert diesen Songwriter in eine eigenen Liga: seine Besessenheit von Klang. ‚So Beautiful Or So What’ verarbeitet unter anderem Sounds einer zum Stillstand kommenden Dampfmaschine, Schnipsel einer Weihnachtspredigt von 1941, Wildtiergeräusche aus der kenianischen Savanne, eine bestimmte Kuhglocke – alles sinnvoll eingeflochten, getreu Simons Motto, dass man immer neue Klangräume öffnen müsse; sonst höre das Publikum auf zuzuhören. Motive und Klänge, an die man sich gerade gewöhnen möchte, entferne er gezielt, damit sie sich nicht abnutzten. So enthält das mit schlanker Besetzung eingespielte ‚So Beautuful Or So What‘ einmal ein hauchfeines pastorales Orchesterarrangement, das wie eine leichte Brise aufkommt und verweht. „Ich mag bei PopMusik nicht, wenn das zu dick rauskommt“, sagt er. Vielleicht liegt der lebendige und frische Eindruck des neuen Werkes an der Detailliebe der Produktion auf jeglicher Ebene. Zwar lässt Simon schöpferischen Zufällen viel Raum; doch was nachher im Song erscheint, wird ganz rational entschieden. Warum thematisiert der Titel-Song plötzlich die Szene des Attentats auf Martin Luther King? „Das ist wie Malen; man weiß vorher nicht, was man an einer bestimmten Stelle der Leinwand malen wird, aber dann ergibt es sich. Plötzlich, zunächst unerklärlich für mich, war diese Passage mit diesem großartigen Menschen Martin Luther King da, und er sagte, dass das Leben wunderschön sei. Wenn er mir in meinem Song nicht erschienen wäre, hätte ich diese Zeilen sicherlich herausgestrichen.“

Info Workshops mit Gitarrenarbeit und Songs im Stil von Paul Simon gab es in den Ausgaben 3, 4 und 5-2000 der AKUSTIK GITARRE.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.