SZENE
Schwäbische Zeitung
Dienstag, 22. Oktober 2013
Plattenkiste
Plattenkiste
Perrecy: Du bist das Opfer
100 Songs, die die Welt bewegten
Songs von den Smiths und Morrissey covern – auf Deutsch? Ja, das geht. Perrecy macht’s, und das Ergebnis ist gleichermaßen schräg wie überzeugend. Das liegt vor allem daran, dass der Ingolstädter zwar nicht so theatralisch klingt wie Steven Patrick Morrissey, Ex-Sänger der Smiths, aber in Tonfall und Timbre durchaus Ähnlichkeiten vorweisen kann. Der Mann mit der Tolle ist ein echter Multi-Instrumentalist. Nicht nur, dass er singt, er spielt auf „Du bist das Opfer“ (Timezone) auch Ukulele, Bass, Schlagzeug und Tasteninstrumente. Wo Morrissey pathostriefend daherkommt, klingt Perrecy eher näselnd-nölig. Bei der Übersetzung der teils makabren, teils melancholischen Texte hat Perrecy alles richtig gemacht. So wird aus dem dramatischen Liebeslied „There Is A Light That Never Goes Out“ hier der Song „Da ist ein Licht das niemals erlischt“, Kostprobe: „Und wenn ein zweigeschossiger Bus fährt uns zwei zu Mus/zu sterben mit Dir ist so ein himmlischer Exitus.“ Morrisseys Hit „Irish Blood, English Heart“ heißt in Perrecys Neufassung „Preußisch Blut, Bayerisch Herz“, Oliver Cromwell wird durch Franz Josef Strauß ersetzt. Die Texte der Smiths, die ja teils wirklich schön depri sind, gewinnen da an Komik, etwa wenn „Meine Freundin liegt im Koma“ als entspannte Reggae-Nummer mit Offbeat tänzelt. Auch großartig: „Der erste der Jungs der starb“, im Original: „The First Of The Gang To Die“, mit seiner Räuberpistole: „Hektor war der erste der Jungs, der ’ne Karre erwarb, der erste im Strafvollzug, der erste der Jungs, der starb.“ Großen Spaß werden vor allem wahre Fans haben, die jede Smiths-Zeile auswendig können. Denn wenn man dann hört, wie Perrecy das übersetzt – ein Fest. Da herrscht Panik auf den Straßen von München, manche Frauen sind dicker als andere und der Alltag ist wie Sonntag. Wäre interessant, was der Mozfather dazu sagt. (dre)
Ja, Sendezeit will gefüllt sein. Deshalb gibt es seit Jahren ein Konzept, das dann beispielsweise die „Lieblingslieder der Deutschen“ oder die „35 nervigsten Songs“ oder Ähnliches hervorbringt. Meist gibt es ein paar Videoschnipsel aus vergangenen Tagen und zwischendrin geben C-Promis, deren Namen nicht groß genug eingeblendet werden können, mehr oder weniger originelle Kommentare von sich. Da hebt sich „100 Songs, die die Welt bewegten“ (dienstags, 21.15 Uhr, Vox) positiv ab. Die Sendung bietet gut recherchierte Hintergründe (in der ersten Folge beispielsweise zu „Dadada“ von Trio), angereichert durch Interviews mit den beteiligten Musikern. 40 dieser Songs hat Sony auf ein Doppelalbum gepackt, das wohl vor allem im Weihnachtsgeschäft Käufer finden könnte. Wobei die Mischung schon etwas obskur wirkt. Die ersten Rock’n‘Roller werden beispielsweise mit „Hound Dog“ von Elvis Presley und „Johnny B. Goode“ von Chuck Berry gewürdigt. Doch ausgerechnet „Rock Around The Clock“ von Bill Haley fällt durch den Rost. Andererseits ergeben sich durch die eher unmotiviert wirkende Zusammenstellung durchaus skurrile Songfolgen. „Über sieben Brücken musst Du gehen“, in der Originalversion von Karat folgt beispielsweise auf „London Calling“ von The Clash, einer der innovativsten Bands der Punk-Ära. Judy Garlands „Somewhere Over The Rainbow“ findet ebenso Platz wie Deep Purples „Smoke On The Water“, es gilt Take Thats „Back For Good“ zu ertragen und sich an Lou Reeds „Walk On The Wild Side“ zu freuen. Interessant ist auch, welche Songs und Künstler fehlen. Bruce Springsteen und Queen, Pink Floyd und die Beatles – um nur ein paar zu nennen. Besonders tragisch: „Smells Like Teen Spirit“ von Nirvana, ein Song der den Grunge in den 90ern befeuerte, fehlt auch. (jtw)
Katy Perry hatte zwar in Erwägung gezogen, mehr „dunkle“ Elemente auf ihrem neuen Album „Prism“ unterzubringen, aber es überwiegt doch ihr sonniges Gemüt. FOTO: UNIVERSAL MUSIC
Kalifornische Frohnatur Katy Perry weiß, wie man negative Erlebnisse in gute Laune umwandelt Von Andrej Sokolow ●
BERLIN (dpa) - Eigentlich hatte Katy
Perry nach der bitteren Scheidung von Schauspieler Russell Brand düsterere Musik versprochen. Doch bei ihrem neuen Album „Prism“ gewann wieder ihre kalifornische Frohnatur die Oberhand. Nein, diesmal hat der Name „Prism“ nichts mit dem SpionageProgramm des US-Geheimdienstes NSA zu tun. So heißt auch das neue Album der Popsängerin Katy Perry, das vergangenen Freitag in die Läden kam. Ob die Namens-Doppelung ein geschickter Marketing-Zug oder ganz im Gegenteil die Folge konsequenter Realitäts-Verneinung ist, blieb bisher offen. Fest steht aber: Die Fans bekommen auch beim dritten Studioalbum wieder den gewohnten Katy-Perry-Pop geboten.
Als ersten Vorgeschmack gab es bereits die Single-Auskoppelung „Roar“, eine eher typische Lebenshilfe-Hymne über mehr Selbstbewusstsein im Stil ihres vorherigen Hits „Firework“. Der Song schaffte es souverän an die Spitze der Charts und Perry gewann mit über einer halben Million Downloads auch klar das Duell gegen Lady Gaga und deren Single „Applause“. Der nächste potenzielle Hit ist der tanzbare Titel „Walking On Air“ und „Prism“ hält noch einiges mehr davon bereit. Seit dem Durchbruch mit „I Kissed A Girl“ und „Hot 'n Cold“ 2008 kann sich die Musikbranche auf die Anziehungskraft der 28-Jährigen verlassen. Perry verkaufte mit ihrem Gute-Laune-Pop über zehn Millionen Alben. Während der Arbeit an „Prism“ ließ sie durchblicken, dass das neue Album etwas mehr „dunk-
lere“ Elemente bekommen könnte. Schließlich fiel in die Zeit ihre Scheidung vom britischen Schauspieler Russell Brand nach nur einem Ehejahr. Es sei eine bittere Trennung gewesen, offenbarte sie dem Hochglanz-Magazin „Vogue“. Brand habe per SMS am Neujahrsabend 2011 die Scheidung angekündigt. Im Video zu „Roar“ wird jetzt Perrys selbstverliebter Begleiter von einem Tiger angefallen. Abgesehen davon überwog bei „Prism“ am Ende ihre kalifornische Frohnatur.
rem Durchbruch wurde sie von der Plattenfirma Columbia fallen gelassen – während das unfertige Album später unter dem Dach des Konkurrenten EMI zum Verkaufsschlager wurde. Die ersten Anläufe für eine Musik-Karriere machte Perry schon im Alter von 15 Jahren, ihre Begeisterung für freizügige Popmusik hatte den Bruch mit dem hochreligiösen Elternhaus zur Folge. Privat ist Perry inzwischen mit dem Musiker-Kollegen John Mayer zusammen, der auch als Co-Autor bei einem Song von „Prism“ auftaucht und bei einem weiteren Titel Gitarre spielt. Er habe auch den Titel des Albums vorgeschlagen, erzählte Perry – als Hinweis auf ihr breites Spektrum an Emotionen.
Eine neue Liebe Schließlich hat sie Übung darin, negative Erlebnisse in gute Laune umzuwandeln. Nach Perrys steilem Aufstieg in den vergangenen Jahren vergisst man leicht, dass sie jahrelang vergeblich an die Türen der Musikbranche klopfte. Noch kurz vor ih-
Infos unter www.katyperry.com.
Alte Songs in neuem Glanz
Interview
Tindersticks veröffentlichen Neuaufnahmen
„Wir sind alle sehr detailverliebt“
BERLIN (dpa) - Stilvoll waren die
Tindersticks schon immer und machten opulenten Indie-Pop, als der noch so gar nicht in Mode war. Elegant und selbstbewusst feiert die britische Band nun auch ihr 20-jähriges Bestehen. Andere Künstler hätten zu diesem Anlass eine Best-of-Sammlung auf den Markt geworfen. Die Tindersticks um Sänger Stuart Staples und Multiinstrumentalist David Boulter hingegen setzen sich anspruchsvoller mit ihrem Werk auseinander. „Across Six Leap Years“ vereint zehn ältere Lieder, deren Potenzial der Band im Rückblick nicht ausgeschöpft erschien. Die Neuaufnahmen an der legendären Abbey Road in London sollten diesen Songjuwelen den ultimativen Glanz verleihen. „Es ging uns darum zu zeigen, was für eine Band wir heute sind und dass wir bestimmten Liedern erst jetzt gerecht werden können“, sagte Staples.
Meist wählten die Musiker dazu einen dezent orchestralen Ansatz, der Lieder wie „Dying Slowly“ eben nicht in einem Meer von Streichern absaufen lässt, sondern ihre zeitlose Klasse herausstreicht. Neben dem gewohnten Edel-Pop erweisen sich die Tindersticks diesmal auch als SoulMänner („If You're Looking For A Way Out“, „I Know That Loving“), oder sie nähern sich dem Jazz („Say Goodbye To The City“). Staples, dessen Stimme sich auf älteren Aufnahmen manchmal arg nuschelig und gedämpft anhört, singt klar und beseelt wie selten. Die Arrangements sind wieder von erlesener Qualität – Vibrafon, Klavier und Orgel, Besenschlagzeug, weiche Bässe, Gitarren und Bläser fügen sich zu einem warmen, einladenden Klangbild. Bei dieser stets gut gekleideten Band darf man es wohl so sagen: Chapeau! Und man freut sich auf die nächsten 20 Tindersticks-Jahre.
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Nicht nur auf die Musik legen Abby großen Wert, sondern auch auf Artwork, Videos und Blogeinträge
A
bby weben auf ihrem Debütalbum „Friends and Enemies“ einen filigranen Soundteppich. Derzeit sind die vier Musiker mit dem Album im Gepäck auf Tour. Vergangene Woche waren sie in Konstanz und München. Christiane Wohlhaupter stellte Henne und Filou ein paar Fragen. Wer sich eure Bandhomepage ansieht, bekommt das Gefühl, dass euch über die Musik hinaus Abby als Gesamtkunstwerk wichtig ist. Wie kommt das alles zusammen: Artwork, Videos, Blog? Henne und Filou: Ja, für uns ist es sehr wichtig in der Gesamtheit ein stimmiges Bild abzugeben. Wir sind alle sehr detailverliebt und geben uns erst zufrieden, wenn alles für uns passt. Zudem transportieren wir Abbys Geschichte in unserer Musik und unserer visuellen Identität. Um die behandelten Themen vollständig zu verstehen, ist sie inhaltlich ebenso wichtig wie die Songtexte. Zudem arbeiten wir seit einigen Jahren mit denselben Grafikern und Video-Artists zusammen
und legen häufig selbst Hand an, um ans Ziel zu kommen. Euer Album nennt sich „Friends & Enemies“. Wer wäre denn ein musikalischer Freund und wer ein musikalischer Feind von Abby? Diese Frage lässt sich so nicht beantworten, da der Albumtitel sich maßgeblich auf Abbys Innenleben, also den Krieg der Gedanken bezieht. Dieses Thema wird in dem
Song „Monsters“ besprochen. Generell bezieht sich der Titel „Friends and Enemies“ nicht zwingend auf andere Personen sondern ist vielmehr an jeden einzelnen selbst gerichtet. Also an die guten und schlechten Gedanken die jeder in sich trägt. Ihr habt schon viele Shows im Ausland gespielt – was unterscheidet einen Auftritt in Island
von einem Auftritt vor deutschem Publikum? Diese Frage wird häufig gestellt und ist schwer zu beantworten, da das Publikum sich schon von Konzert zu Konzert im eigenen Land ständig verändert. Der Vorteil an englischsprachigen Ländern ist vielleicht der, dass unsere Texte schneller und besser verstanden werden. Ansonsten wurden wir bisher immer gut von unserem Publikum aufgenommen. Kann man Pop wirklich studieren? Was hat euch die Popakademie Mannheim beigebracht? Die Frage ist wohl eher, ob man Emotionalität und Individualität lernen kann. Nein! Meiner Meinung nach ist es nicht wichtig, Musik zu studieren, man kann jedoch seine handwerklichen Fähigkeiten am Instrument verbessern, die jedoch nur ein kleiner Teil des Gesamten sind.
Legen viel Wert aufs Gesamtkunstwerk: Abby.
FOTO: PR
Informationen und Songs unter www.searchingforabby.com.