Paraguay Ausstellung Infografik

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Ausstellung anlässlich des Weltgebetstages der Frauen

El Chaco: Paraguay und die Europäer El Chaco – der Name entstammt der im Hochland Perus weit verbreiteten Indianersprache Quechua und bedeutet „Jagd“ – umfasst das nordwestliche Staatsgebiet Paraguays und Regionen in den angrenzenden Ländern Argentinien, Bolivien und Brasilien. Der Chaco ist oberflächlich gesehen eine wenig fruchtbare Dornbuschsteppe. Er war jedoch immer Durchgangszone, Handelsroute schon in vorspanischer Zeit für die Inka, die nach Federn aus dem Amazonasgebiet verlangten und dafür Silberschmuck boten. Der Chaco war später Durchgangszone für die spanischen Eroberer, die, vom La PlataGebiet kommend, in Richtung Westen das „El Dorado“, das goldene Land, suchten. Der Chaco war und ist aber auch Lebensraum für viele ethnische Gruppen wie die der Mataco, Toba, Chamacoco, Lengua, Mocoví, Mbayá, um nur einige zu nennen. Sie hatten ihre Lebensweise den unwirtlichen natürlichen Bedingungen optimal angepasst. Die große Trockenheit und relative Unfruchtbarkeit der Böden verschaffte dem Chaco lange Zeit relative Ruhe vor großräumiger Besiedlung. Jesuitendörfer im großen Stil scheiterten in diesem Gebiet, ebenso spanische Siedlungen. Interessant wurde der Chaco erst durch die Ausbeutung des QuebrachoBaumes, der ein begehrtes Hartholz und auch Tannin liefert, ein Färbemittel und Gerbstoff für Leder. Bis heute ist der Chaco vergleichsweise sehr dünn besiedelt, nur ca. 3% der paraguayischen Bevölkerung leben in dieser 60% des Staatsgebietes umfassenden Region. Nur den mennonitischen Bauern gelang es, sich dauerhaft in diesem Gebiet zu etablieren.

Abb: Chagalaacchi, eine junge Chamacoco-Frau; um 1930; Hans Krieg; Archiv Linden-Museum

Abb: Mestizin in Tobati-Tracht, um 1930; Hans Krieg; Archiv Linden-Museum


Der Jesuitenstaat in Paraguay (1609 bis 1767) Den in den subtropischen Teil Paraguays eingedrungenen spanischen Eroberern und Großgrundbesitzern folgten im Jahre 1609 die Jesuitenmissionare. Um in der Bekehrung zum Christentum erfolgreich zu sein, erlernten sie die indianischen Sprachen und gründeten Missionsdörfer. Nicht nur die Mission, sondern auch die Einführung eines christlichen Sozialsystems war erklärtes Ziel der Jesuiten. Viele Häuptlinge wurden von den Missionaren selbst überzeugt, mit ihrer Gruppe in ein Missionsdorf zu ziehen. Diese boten nicht nur bessere Lebensbedingungen als die Dörfer der Großgrundbesitzer, sondern gewährten zudem Schutz vor den brasilianischen Sklavenjägern, die Hunderttausende auf die Plantagen von São Paulo verschleppten. Vor allem das Volk der Guaraní lebte weitgehend in Jesuitendörfern. Sie arbeiteten als Gärtner und Bauern, kultivierten den Mate-Baum und produzierten als erste eine sehr ­feine, ökonomisch überaus erfolgreiche Teesorte, die bis nach Spanien verkauft wurde. Zusätzlich züchteten sie Baumwolle in großen Mengen. Die Völker des Chaco waren weitaus schwieriger in Dörfern anzusiedeln, da sie ursprünglich eine nomadische Lebensweise pflegten. Dem Jesuitenpater Paucke gelang es jedoch im 18. Jahrhundert, den Stamm der Mocoví in ein Missionsdorf zu überführen. Er ließ Schmieden, Mühlen, Gerbereien, Schreinereien und Ziegelbrennereien errichten. Die Frauen lernten weben und färben. Bald war der Wohlstand der MocovíReduktion San Javier mit den Guaraní-Siedlungen vergleichbar. Insgesamt lebten im 18. Jahrhundert, der Blütezeit der Reduktionen, ungefähr ­140 000 Indianer in 33 Siedlungen. 1767 wurden die Jesuiten aus Südamerika vertrieben, die Reduktionen lösten sich auf.

Abb: Ruine der Reduktion San Cosme y Damian, Landesmedienzentrum BW

Abb: Ruine der Kirche von San Cosme y Damian, Landesmedienzentrum BW

Abb: „Procession der schon christlichen Mocobier...“, Florian Paucke, Stift Zwettl, Niederösterreich, Wandtafel Nr. 2, 90 x 52 cm, Mitte 18. Jhd

Abb: „Das Getreidefeld“, Florian Paucke, Stiftsbibliothek Zwettl, Niederösterreich, Codex 420, Teil II, Tafel Nr. 924a


Die Reitervölker des Chaco (um 1700 bis 1884) Vor der Landnahme durch die Spanier war der Chaco von nomadischen Stämmen besiedelt, die ihre Wege durch diese unwirtliche Region den Jahreszeiten und damit den jeweils verfügbaren Nahrungsmitteln anpassten. Sie waren hervorragende Läufer, die in der Lage waren den Nandu, den südamerikanischen Strauß, zu Fuß zu erlegen. Die besonders kriegerischen Stämme, darunter die Toba, die Mocoví, die Lengua und Mbayá, begannen sich Anfang des 17. Jahrhunderts Pferde zuzulegen. Sie raubten sie von den Farmen der Spanier oder fingen einfach von den zahllosen, frei herumlaufenden Pferden welche ein.

Abb: „Ferde Rennen“, Florian Paucke, Stift Zwettl, Niederösterreich, Wandtafel Nr. 10, 33 x 24 cm, Mitte 18. Jhd

Die Einführung des Pferdes veränderte die Kultur dieser Stämme, die unter dem Sammelbegriff Guaycurú bekannt wurden, völlig. Die Häuptlingsfamilien verloren an Macht, der Erfolg des Einzelnen im Krieg war von größerer Bedeutung. Hinzu kam eine Schicht von Sklaven, die aus Gefangenen Spaniern und Angehörigen anderer Stämme bestand. Die ehemaligen Jäger entwickelten sich zu Kriegern, für die Krieg, Raub und Plünderung Lebenszweck war. Die Reiterkrieger schweiften in einem Gebiet umher, das eine Million Quadratkilometer umfasste. Sie verhinderten bis zu den Angriffen des argentinischen Militärs zwischen 1870 und 1884, das sie schließlich besiegte und in feste Siedlungen zwang, eine nachhaltige Besiedlung des Chaco.

Abb: „Wie die Mocobier in Paraguarien zu Felde ziehen und den Feind aufsuchen“, Florian Paucke, Stift Zwettl, Niederösterreich, Wandtafel Nr. 3, 163 x 92 cm, Mitte 18. Jhd


Die großen Kriege Der von 1864 bis 1870 geführte Krieg Paraguays gegen die Tripel-Allianz von Argentinien, Brasilien und Uruguay war die blutigste Auseinandersetzung in Lateinamerika nach der Eroberung durch die Europäer. Zählte Paraguay vor dem Beginn des Konfliktes ungefähr eine halbe Million Einwohner, so starben während des Krieges und in den Jahren der Seuchen und Hungersnöte danach mehr als die Hälfte oder sogar drei Viertel. Da gegen Ende des Konfliktes noch ältere Männer und Jugendliche rekrutiert wurden, waren fast nur noch Frauen und Kinder da, die die Last der Aufbauarbeit zu tragen hatten. Man schätzt das Verhältnis zwischen Männern und Frauen auf 1:3 oder 1:4. Annähernd die Hälfte des Staatsgebietes ging nach Ende des verlorenen Krieges an Brasilien und Argentinien. Die Frauen übernahmen nach dem Ende des Krieges nahezu das gesamte wirtschaftliche Leben eines Landes, das nur noch als „geographische Notiz“ existierte. Sie bauten die Farmen wieder auf, brachten den Handel wieder in Gang und betätigten sich als Handwerkerinnen. Erst ungefähr fünf Jahre später begann Paraguay als Land wieder Fuß zu fassen. Der Chaco-Krieg (1932-1935) gegen Bolivien fügte der Bevölkerung Paraguays wieder hohe Verluste zu, die Kriegskosten schwächten das immer noch unter den Folgen des Tripel-Allianz Krieges leidende Land. Das Bestreben Boliviens, sich einen direkten Zugang zum Meer zu verschaffen kostete in Paraguay wieder mindestens 50 000 Menschen das Leben. In diesem Krieg allerdings verdoppelte Paraguay sein Staatsgebiet. Es gewann große Teile des zu Bolivien gehörenden Gran Chaco Gebietes hinzu. Nicht jedoch das ­Gebiet mit den Ölvorkommen.


Die indigenen Völker des Chaco Die Region des Gran Chaco gilt bis heute in den Augen vieler – mit Ausnahme der indigenen Völker - als „toter Winkel“ Südamerikas. Die Dornbuschsteppe ist von wenigen, nur zeitweise viel Wasser führenden Flüssen durchzogen. Dennoch lebten über viele Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende hinweg zahlreiche Indianerstämme in diesem Gebiet. Ihre Lebensweise war durch das Halb-Nomadentum hervorragend an die raue Natur angepasst. Sie lebten vom Sammeln von Wildfrüchten und etwas Jagd, der zyklische Wanderrhythmus richtete sich nach der Verfügbarkeit bestimmter Früchte. Hauptnahrungsmittel war in einigen Gebieten die Frucht des Algarrobo-Baumes, die wie die europäische Johannisbrotfrucht zur Familie der Hülsenfrüchte gehört. Feldbau betrieb man in geringem Umfang. Die traditionelle Behausung war eine aus Ästen errichtete Kuppeldachhütte, in der Großfamilien lebten. Die zentrale Persönlichkeit eines Stammes war der Häuptling, der die zwischen 25 und 200 Menschen umfassende Gruppe anführte. Der Schamane, der die bösen Geister kontrollierte, war auch der Heiler. Wie häufig bei nomadischen oder halbnomadischen Gruppen richteten sich Wohnsitz und Eigentum nach der Frau. Heiratete ein Paar, zog der Mann mit seiner Habe in das Haus der Frau. Die Herstellung der Netztaschen, der Hausbau, die Viehzucht, das Töpfern und Sammeln von Holz war Frauenarbeit. Die Jagd, Herstellung von Waffen, Schneiden von Kalebassen und Holzarbeiten Sache der Männer. Alltägliche Dinge wie Feldarbeit, Nahrungszubereitung und Fischfang gehörte zu beider Aufgabenbereich.

Abb: „Kazike und Kazikin“, Florian Paucke, Stiftsbibliothek Zwettl, Niederösterreich, Codex 420, Teil II, Tafel Nr. 492a

Abb: Chamacoco-Mann, um 1930 Hans Krieg; Archiv Lindenmuseum

Abb: Kuppeldachhütte der Choroti, um 1930 Hans Krieg; Archiv Lindenmuseum

Abb: Lengua-Frauen beim Wasserschöpfen, um 1930 Hans Krieg; Archiv Lindenmuseum


Die Mennoniten in Paraguay Die erste Einwanderungswelle von Mennoniten – einer protestantischen Glaubensgemeinschaft - nach Paraguay erfolgte aus Russland, in das sie erst im 18. Jahrhundert auf Einladung Katharina der II. ausgewandert waren. Sie sollten die Wolga­ steppe kultivieren. Ab 1923 flohen sie vor Folter, Mord und stalinistischen Straflagern über Kanada und Mexiko nach Paraguay, wo sie sich ab 1927 ansiedelten. Die zweite Welle folgte nach dem 2. Weltkrieg in den Jahren zwischen 1947 bis 1952. Insgesamt kamen ungefähr 10 000 Mennoniten, alles „Russlanddeutsche“, von denen sich die meisten ihren Lebensunterhalt als Weizenbauern verdient hatten. Die zweite Welle bestand jedoch nahezu ausschließlich aus Frauen und Kindern, da die Männer die Stalinära und den Krieg nicht überlebt hatten. Im paraguayischen Chaco erwartete sie ein unglaublich hartes Dasein. Sich als Weizenbauern in einer derart klimatisch ungünstigen Region zu etablieren brachte viele an den Rand der Verzweiflung. Dennoch gelang es ihnen durch Zusammenhalt und harte Arbeit, ökonomisch erfolgreich und heute sogar wohlhabend zu sein. Begleitet war dieser Weg jedoch durch die parallel verlaufende Geschichte der indigenen Völker, die durch die Besiedlung des bis dahin recht unberührten Chaco einen radikalen Kulturumbruch erlebten. Es kam ab 1930 zu einer regelrechten „Sternwanderung“ ganzer Indianerstämme, die sich um die Mennonitenkolonien Fernheim, Filadelfia, Menno, Friesland und Neuland ansiedelten, um dort als Lohnarbeiter und Haushaltshilfen zu arbeiten. Obwohl diese Koexistenz weitgehend friedlich verlief, führte der ständige Kontakt zur Auflösung der Stammesstrukturen. Die Sprachen gingen verloren, das Identitätsbewusstsein zerfiel. Dazu trug sicher die zunehmende Missionierungstätigkeit der Mennoniten unter den indigenen Völkern bei.

Abb: Mennonitisches Bauernpaar, um 1930 Hans Krieg; Archiv Lindenmuseum

Abb. oben u. unten: Transport von Weizenmehl im Chaco, Hans Krieg; Archiv Lindenmuseum, um 1930

Abb: Mennonitisches Gehöft in der paraguayanischen Kolonie Friesland, 1985, Landesmedienzentrum BW


Die Moderne Die hohen Verluste im Tripel-AllianzKrieg führten zu systematischen Ansiedlungsversuchen europäischer Kolonisten im fruchtbaren Osten Paraguays. Einen bedeutenden Besiedlungsschub erlebte Paraguay jedoch erst ab 1970 durch südbrasilianische Einwanderer deutscher und italienischer Abstammung, ein in Lateinamerika als beispiellos geltender Migrationsprozess, der durch den Bau des größten Wasserkraftwerkes der Welt in Itaipú noch verstärkt ­wurde.

Abb: Hauptstadt Asunción, Landesmedienzentrum BW

Paraguay zählt heute ungefähr 6 Millionen Einwohner. 90% der Einwohner sind Mestizen, die meisten sprechen neben Spanisch auch die zweite Landessprache: Guaraní. Das Land ist eine demokratisch regierte Präsidialrepublik. Zur Zeit erlebt es einen wirtschaftlichen Aufschwung, insbesondere durch den Export von Soja und Fleisch. Dennoch gehört es zu den Ländern Lateinamerikas mit geringem Pro-Kopf-Einkommen. In Verruf geriet das Land im 20. Jahrhundert vor allem durch die Diktatur Alfredo Stroessners, eines deutschstämmigen Generals, der sich 1954 an die Macht putschte. Er verlieh dem Land durch seine 40jährige Diktatur zwar Stabilität, beging jedoch schwere Menschenrechtsverletzungen. Insbesondere die „Operación Condor“ in den 1970er und 80er Jahren, während der Regimegegner im Einvernehmen von sechs Ländern grenzübergreifend verfolgt wurden, gab es viele Tote und Verschwundene. In Europa geriet Stroessner in die Schlagzeilen, weil er zahlreichen Verbrechern aus der Zeit des Nationalsozialismus nicht nur die paraguayische Staatsbürgerschaft, sondern auch Unterschlupf gewährte. Stroessner starb unbehelligt vor kurzem im brasilianischen Exil.

Abb: Indianerin beim Brennholz­ sammeln, Landesmedienzentrum BW

Den indigenen Völkern geht es in Paraguay eher schlecht. Viele leben in Reservaten ein entwurzeltes und verarmtes Leben. Ein Stamm lebt gar im botanischen Garten der Hauptstadt als Touristenattraktion. Sie üben untergeordnete Tätigkeiten aus, der Zugang zu Bildung und sozialem wie wirtschaftlichen Aufstieg ist ihnen kaum möglich.

Abb: Indianerin, Landesmedienzentrum BW


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