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PATIENTENZENTRIERTE KOMMUNIKATION Die Schulung der Kommunikation von Fachpersonen ist die Grundlage einer erfolgreichen Behandlung

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Informierte Patientinnen und Patienten Kommunikation im medizinischen Alltag

Alle medizinischen und therapeutischen Fachpersonen des Schweizer Paraplegiker-Zentrums durchlaufen eine Schulung für die patientenzentrierte Kommunikation. Diese trägt entscheidend zu einer erfolgreichen Behandlung bei.

Viele Gedanken kreisten dem Verunfallten durch den Kopf, während er auf den Rücktransport mit der Rega in die Schweiz wartete. Er spürte seine Beine nicht mehr, hatte eine Vorahnung, aber keine Information über seinen Zustand. «Man machte Röntgenbilder und die Ärztin vor Ort betreute mich sehr nett. Aber die Ungewissheit hat mich stark belastet», sagt Roman Späni.

Der 42-Jährige aus Freienbach SZ machte Badeferien auf den Kapverden und wollte seinen beiden Söhnen zeigen, wie man am besten durch eine Welle taucht – dabei prallte er auf eine Sandbank. Bereits fünfzehn Stunden später landete der Helikopter auf dem Dach des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ). «Die Abklärungen zeigten schnell, wie es um mich stand», sagt Späni. «Die Auskunft der Ärzte war eindeutig.» Gemeinsam mit seiner Familie willigte er in eine Operation an der Wirbelsäule ein. Hat ihn diese Entscheidung überfordert? Nein, meint Späni. Der Austausch mit den Fachpersonen sei sehr hilfreich gewesen.

Seit vier Monaten ist der Tetraplegiker jetzt in Nottwil und lernt jeden Tag etwas mehr über seinen Körper und das komplexe Thema Querschnittlähmung. «Ich bekomme viele Informationen, aber gut erklärt. Und wenn man etwas nicht versteht, kann man ungeniert nachfragen.»

Unterschiedliche Bedürfnisse Wer schon einmal eine Arztpraxis im Gefühl verlassen hat, nicht verstanden worden zu sein, oder von den vielen Fachworten überfordert war, kennt das: Man hätte sich eine bessere Kommunikation gewünscht. Doch bereits das Behandlungszimmer sorgt für ungute Gefühle. Zum Arzt oder ins Spital gehen wir nicht freiwillig; es geht um Krankheit, Unsicherheit, Schmerzen, Angst. Die Beteiligten haben im Gespräch unterschiedliche Bedürfnisse: Als Patientin, als Patient wollen wir wissen, was mit uns los ist und wie wir wie der gesund werden. Ein Arzt dagegen muss unter vielen möglichen Diagnosen die richtige herausfinden. Dafür ist er neben Fachwissen auf präzise Informationen von uns angewiesen.

Auch der Wissensunterschied in der Arztpraxis kann verunsichern. «Der Austausch mit einer Autoritätsperson findet nicht wie unter Freunden auf Augenhöhe statt», erklärt Kommunikationsexperte Wolf Langewitz. «Die Patientinnen und Patienten sprechen daher selten über ihre Ängste und verschweigen gewisse Dinge.» Wolf Langewitz ist emeritierter Medizinprofessor der Universität Basel. Gemeinsam mit Anke Scheel-Sailer, der leitenden Ärztin Paraplegiologie am SPZ, führt er in Nottwil Schulungen zur Kommunikation im medizinischen Alltag durch.

Die Rolle der Kommunikation am SPZ In den Kursen lernen die Teilnehmenden die patientenzentrierte Kommunikation kennen: Wie sie Menschen im Spitalbett ermutigen, sich mitzuteilen. Wie sie Gesprächsziele erreichen. Wie sie all jene Fakten vermitteln, die Entscheidungen ermöglichen. «Patientinnen und Patienten, Angehörige und Fachpersonen legen bei uns gemeinsam die Rehabilitationsziele fest», sagt Kursleiterin Scheel-Sailer. «Umso wichtiger sind eine professionelle Kommunikation und die Sensibilität für die jeweilige Situation, in der sich ein Mensch befindet.»

Den Ausschlag für die Schulungen gaben Zufriedenheitsumfragen bei Patientinnen und Patienten und interprofessionellen Teams. Dabei zeigte sich, dass dieser Punkt noch Optimierungspotenzial hat. «Wir haben erkannt, dass die Kommunikation ein Schlüsselthema ist, in das wir fortlaufend investieren müssen», sagt

«Mit dem Arzt spricht man anders als im Freundeskreis.» Prof. Dr. med. Wolf Langewitz

Bessere Gesundheit

Wenn Fachpersonen besser kommunizieren, sind die Patientinnen und Patienten «gesünder»: Sie haben weniger Arztbesuche und weniger Beschwerden, sie benötigen weniger Laboruntersuchungen und weniger Medikamente.

SPZ-Direktor Hans Peter Gmünder. Der gut informierte Patient soll in Nottwil nicht bloss ein Schlagwort sein, sondern gelebte Realität.

Den Fachpersonen stehen oft verschiedene Varianten für eine Behandlung zur Verfügung. Welche dann tatsächlich gewählt wird, muss in jedem Einzelfall neu bewertet werden – und das kann nur gemeinsam mit den Betroffenen geschehen. «Damit unsere Patientinnen und Patienten ein Vertrauensverhältnis zu den Fachleuten aufbauen können, müssen sie ein begründet gutes Gefühl haben, dass ihnen alle notwendigen Informationen auf angemessene Weise vermittelt worden sind», erklärt der Klinikdirektor. «So entsteht gute Medizin.»

Fragen oder Zuhören? Die Kommunikationsschulungen im SPZ finden auf allen Hierarchiestufen statt und werden durch neue Leitfäden und Strukturen für die Visite und die Gesprächs führung ergänzt. Das Resultat ist messbar: Der Punkt Kommunikation erhält in den Patientenbefragungen immer bessere Noten. Zudem geben die ausformulierten Leitfäden allen interprofessionellen Teams mehr Klarheit und Kompetenzen. Nicht zuletzt profitiert auch die Kommunikationskultur in Nottwil durch die permanenten Weiterbildungen.

Aber wie kann das «begründet gute Gefühl» während der Visite aufgebaut werden, wenn in wenigen Minuten die wichtigsten Informationen vermittelt werden müssen? «Darauf legen wir in den Schulungen viel Wert: Herauszufinden, was ein Patient, eine Patientin in diesem Moment tatsächlich an Information benötigt», sagt Hans Peter Gmünder. Es ist eine Gratwanderung. Wer zu viele Fakten bekommt, ist heillos überfordert. Wer ungenügend informiert wird, kann nicht die Fragen stellen, die für ihn wichtig sind.

Wolf Langewitz und Anke Scheel-Sailer setzen auf eine enge Ver bindung von Theorie und Praxis. Im heutigen Kurs stellen die Teilnehmen den Beispiele von schwierigen Situationen vor, und die beiden Kursleitenden ordnen ihnen all gemeine Muster zu. Ihr erster Tipp: In einigen Fällen ist es nützlich, zuerst eine Agenda festzulegen – wie viel Zeit haben wir und welche Punkte sollen geklärt werden?

Wer etwas erfahren will, hat zwei Möglichkeiten, erklären sie, Fragen oder Zuhören. Beide Strategien seien nützlich. Es brauche ein gezieltes Fragen, um die Diagnose einzugrenzen, sagt Langewitz. Gleich zeitig warnt er davor, nur gezielt zu fragen: «Dann bewegen wir uns im eigenen Denkmuster und übersehen das Unerwartete.»

«Die Kommunikation in einer Klinik erfordert hohe Sensibilität.» Dr. med. Anke Scheel-Sailer

Und wer wiederum zu offene Fragen stellt, erhält womöglich ausschweifende Antworten. Die beiden Kommunikationsfachleute empfehlen einen klugen Mix aus gezielten Fragen und aktivem Zuhören.

Umgang mit der Informationsflut Die Fülle an Information, die in einem Spital in kurzer Zeit vermittelt werden muss, ist immens. So stehen zum Beispiel für die Visite der Inneren Medizin pro Patientin und Patient nur 8,5 Minuten zur Verfügung. In dieser Zeit werden in einem Akutspital im Durchschnitt zwanzig Informationen gegeben. «Wir sagen also nicht nichts, sondern ausgesprochen viel», sagt Langewitz. Deshalb sei er nicht überrascht, wenn sich die Angesprochenen nur an wenig erinnern können WWSZ-Technik

Warten, Wiederholen, Spiegeln, Zusammenfassen ist eine gute Option, um herauszufinden, wo ein Problem liegt. Diese Technik erweitert den Gesprächsraum für Dinge, die das Gegenüber nicht von sich aus erzählen würde.

Links Anke Scheel-Sailer gibt Tipps für die Praxis. Rechts Für den SPZ-Direktor ist Kommunikation ein Schlüsselthema: Dr. med. Hans Peter Gmünder. Unten Roman Späni erzählt seine Erlebnisse in unserem Blog: www.paraplegie.ch /roman

– zu viel Information untergräbt das Credo des gut informierten Patienten.

Wenn es darauf ankommt, sollte man sich auf circa sieben bis zehn neue Informationen beschränken. Die wirklich wichtigen unter ihnen definieren die Fachpersonen, indem sie das Risiko abschätzen, wenn eine davon nicht gegeben wird: Welche Wissenslücke könnte der Patientin, dem Patienten bis zum nächsten Arztbesuch schaden? Die auf diese Weise ausgewählten Informationen müssen dann gut im Gedächtnis verankert werden – etwa indem man das Gegenüber bittet, das Wichtigste zu wiederholen.

Und wie erledigt man alle Aufgaben in der gegebenen Zeit? Der Tipp wird im Kurs mehrmals angesprochen: Struktur spart Zeit. «Eine einfache Struktur veranlasst mich, zu überlegen, was ich mitteilen will», sagt Anke Scheel-Sailer. «Wenn ihr sicher sein wollt, dass euer Gegenüber eine Information versteht und für die Entscheidung nutzt, muss sie Teil der zwei bis vier Informationen sein, die unser Gehirn gleichzeitig bearbeiten kann. Haltet das Ganze so einfach wie möglich – und habt Mut zu Sprechpausen.»

Nicht aufgeben – dranbleiben Unfallopfer Roman Späni hat ein gutes Gefühl, nach seiner Ankunft in Nottwil den richtigen Operationsentscheid getroffen zu haben. In der ersten Zeit beschäftigte ihn vor allem die

Frage, ob er je wieder wird gehen können – und war überrascht, dass ihm dazu in der Spezialklinik niemand eine definitive Aussage geben kann. «Anfangs fragte ich mich: Warum ist das so? Aber auch das wird einem gut erklärt.» Bei der Diagnose Querschnittlähmung gibt es keine einfachen Antworten, denn jeder einzelne Fall entwickelt sich wieder anders.

Seine Rehabilitation in Nottwil erlebt der gelernte Elektromechaniker, der weltweit Maschinen in Betrieb genommen hat, als einen Prozess, der immer weitere Kreise zieht und dabei ständig neue Elemente hinzufügt – Sozialdienst, Berufskunde, Wohnungsumbau, Fahrzeugum bau, Abklärungen für die Tetra-Handchirurgie. Die Fragen, die er sich heute stellt, richten sich insbesondere auf die Selbstständigkeit, die er mit seiner Rehabilitation anstrebt.

«Wenn mich etwas bedrückt, frage ich zuerst eine Pflegefachperson. Manchmal werde ich dann auch an den Arzt auf der Visite verwiesen», sagt Roman Späni. Die Kommunikation im SPZ sei durchwegs gut. Sein Tipp: Als Patient sollte man den Kopf nicht hängen lassen, wenn man etwas nicht gesagt bekommt – sondern dranbleiben. «Man kann hier wirklich alles fragen und erhält immer eine Antwort. Manchmal muss man halt zwei Mal fragen. Das Wichtigste ist, nicht aufzugeben.»

(hbr, kste/hbr, we)

Informationen im Gehirn

Unser aktives Gehirn kann mit circa 7 bis 10 Informationen umgehen und 2 bis 4 gleichzeitig bearbeiten. Informationen gehen nach rund 20 Sekunden verloren, wenn sie nicht aufgefrischt werden.

Strukturieren 1. Am Anfang das Zeitbudget angeben. 2. Organisatorische Aspekte nennen («Wenn mein Piepser läutet, muss ich kurz ran»). 3. Mit dem Gegenüber die Agenda festlegen. 4. Übergänge ankündigen («Jetzt möchte ich auf dieses Thema eingehen»).

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