Paraplegie September 2016 deutsch

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September 2016 | Nr. 159

paraplegie Das Magazin der GĂśnner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung

Eine richtig starke Familie Andrin Deschwanden schweisst alle zusammen

Unfall mit RĂźckenmarkverletzung: So handeln Sie richtig


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Am 1. August feiert die ganze SchweizEDITORIAL 725 Jahre Freiheit und Unabhängigkeit

Créateur-Fabricant

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1953 Liebe Gönnerinnen und Gönner

W

aren Sie schon mal in der Situation, Erste Hilfe leisten zu müssen? Sie sitzen im Auto, und plötzlich kracht es vorne an der Kreuzung. Oder es ist Ihr Nachbar,

der beim Äpfelpflücken von der Leiter fällt. Hand aufs Herz: Wüssten Sie, was genau zu tun ist? Vielleicht liegt der letzte Auffrischungskurs schon einige Jahre zurück – wie war das schon wieder mit der Herzmassage und der Seitenlagerung? Und was genau ist zu beachten,an wenn derGründung Rücken verletztunserer sein könnte? Ein kostbares Andenken die Eidgenossenschaft

Das Taschenmesser „1291“ – Das Geburtsjahr der Schweiz

Esther Schildknecht kennt solche Situationen nur zu gut. Die ehemalige Rettungs­

Die 8 Funktionen

sanitäterin ist Ausbildnerin bei der Sirmed (Schweizer Institut für Rettungsmedizin) in

1. grosse Klinge 2. kleine Klinge 3. Schere 4. Dosenöffner mit 5. - kl. Schraubendreher 6. Kapselheber mit 7. - Schraubendreher 8. - Drahtabisolierer

Nottwil. Ein Kletterunfall vor fünf•Jahren machte zur Paraplegikerin. ihre Griffschale mit sie Rütli-Gemälde von ErnstAn Stückelberg

• Jedes gewesen Messer wird einzeln Bergung erinnert sie sich, als ob es gestern wäre. Kaumnummeriert ein Mensch weiss wohl • Mit 8 Funktionen besser, worauf es in einer solchen Situation ankommt. Ihr Credo ist unmissverständ­

• Limitierte Auflage • Sammelbox zum Aufbewahren Darum sollten möglichst viele Menschen möglichst gut geschult sein. In der Reportage • Mit handnummeriertem Zertifikat «Unfall mit Rückenverletzung: helfen ja – aber wie?» gibt die 38­Jährige ihre Erfahrungen • Exklusiv bei Bradford Exchange an Sie, liebe Gönnerinnen und Gönner, weiter. • 365-Tage-Rücknahme-Garantie lich. Jede Minute zählt bei einer Rettung, insbesondere wenn die Wirbelsäule verletzt ist.

1. August 1291 – Eine magische Zahl, die jedes Kind in der Schweiz kennt, denn sie steht für die Anfänge

Im Wissen umEidgenossenschaft. die grosse Bedeutung einer fachgerechten Rettung von Unfallopfern unserer Was vor 725 Jahren auf dem Rütli seinen Anfang nahm, wollen wir mitmit dieser ganz

Länge: 9 cm

speziellen Sonder-Edition DeshalbParaplegiker­Stiftung zeigt die Vorderseite des edel das Wirbelsäulenverletzung hat würdigen. die Schweizer aufgestalteten InitiativeTaschenmessers von Rütlischwur-Gemälde, das heute noch in der Tellskapelle bewundert werden kann. Für den Hintergrund wurde

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Einsendeschluss: 3. Oktober 2016

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IMPRESSUM: Paraplegie. Das Magazin der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, www.paraplegie.ch Bitte in Druckbuchstaben ausfüllen

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40. Jahrgang | Ausgabe: September 2016 / Nr. 159 | Erscheinungsweise: vierteljährlich in Deutsch, Französisch und Italienisch | Gesamtauflage: 979 735 Exemplare | Auflage Deutsch: 878 136 Exemplare | Copyright: Abdruck nur mit Genehmigung der Herausgeberin und der Redaktion. Herausgeberin: Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, 6207 Nottwil, sps@paraplegie.ch | Verantwortlich: Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Corporate Communications, 6207 Nottwil | Redaktion: Manuela Vonwil (Leitung), Robert Bossart, redaktion@paraplegie.ch | Bild: Walter Eggenberger, Beatrice Felder, Astrid Zimmermann-Boog Layout / Vorstufe: Regina Lips, Michael Kling, Melanie Camenzind | Anzeigen: Fachmedien Axel Springer Schweiz AG, 8021 Zürich, info@fachmedien.ch | Vorstufe / Druck: Swissprinters AG, 4800 Zofingen

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Foto: Rasso Bruckert

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INHALT

6 NEWS Jan Fridén, weltweit anerkannter Tetrahandchirurg am Schweizer Paraplegiker-Zentrum, erhält eine hohe Auszeichnung.

10 PORTRÄT Vor zwei Jahren bohrte sich bei einem Sturz im Jungwachtlager ein Aststück in Andrin Deschwandens Hals – seither ist der 14-Jährige Tetraplegiker. Dank der Hilfe der Familie und seiner dicksten Kumpels ist er heute wieder voller Zuversicht und Tatendrang. Sein Motto: Vollgas geben.

14 REPORTAGE – Erste Hilfe bei Rückenverletzung Bei einer Rückenverletzung ist Erste Hilfe besonders heikel: Laien sind oft unsicher und haben Angst, das Falsche zu tun. Richtiges Handeln muss gelernt sein – damit die Verletzung nicht durch die Rettung verschlimmert wird.

20 ZUR SACHE Viele haben keinen Kontakt zu Rollstuhlfahrern, entsprechend gibt es Berührungsängste. In Sensibilisierungskursen werden Vorurteile abgebaut, und die Teilnehmer erfahren Einzelheiten aus dem Leben querschnittgelähmter Menschen, die ihnen bisher verborgen blieben.

26 SPENDENAUFRUF Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum steckt mitten in einem grossen Veränderungsprozess. Klinikdirektor Hans Peter Gmünder erklärt, wie die Patienten vom grössten Umbau seit dem 25-jährigen Bestehen profitieren.

31 MOSAIK Bei der Schweizer Paraplegiker-Stiftung melden sich immer wieder aussergewöhnliche Menschen, die mit einer überraschenden Idee eine Spende zugunsten querschnittgelähmter Menschen gesammelt haben.

34 FINALE Alltagsimpressionen von Rollstuhlfahrer Roland Burkart.

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NEWS

SPZ-Tetrahandchirurg ausgezeichnet Prof. Dr. med. Jan Fridén, Handchirurg am Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ), wurde Ende Mai in Hamburg (DE) mit dem Ludwig-Guttmann-Preis 2016 geehrt. Diese Auszeichnung ist einer der höchstdotierten Preise auf dem Gebiet der querschnittspezifischen klinischen Forschung. Jan Fridén trage wesentlich dazu bei, Ärzten operative Verfahren zur Verbesserung der Handfunktion näherzubringen, begründete das Preiskomitee seine Wahl.

Ausgezeichnet. Der 63-jährige Jan Fridén operiert Tetraplegiker, die aufgrund ihrer hohen Querschnittlähmung weder mit den Händen Gegenstände greifen oder halten noch schreiben können. Der Arzt ist seit 25 Jahren in der Forschung und Entwicklung der Tetrahandchirurgie tätig. Seit 2011 leitet er den Fachbereich Handchirurgie am SPZ.

Mithilfe der von Jan Fridén entwickelten einzigartigen Operationstechnik erhalten Finger und Daumen eine neue Funktion oder Position, welche das Greifen trotz gelähmter Hand wieder ermöglicht. Dazu verwendet der weltweit anerkannte Spezialist intakte Muskeln und Sehnen der Oberoder Unterarme. Sie werden verkürzt, manchmal gespalten und mit Sehnen an der Hand verbunden. Der Preis bedeute ihm sehr viel, sagt Jan Fridén über seine Auszeichnung. «Ich bin dankbar, dazu beizutragen, die Lebensqualität meiner Patienten im Alltag zu verbessern. Die Auszeichnung wird die Thematik der individuellen Handfunktion von Tetraplegikern weltweit stärker in den Fokus bringen», so der Handchirurg.

Kurzfilm «Ein wenig ist viel» online sehen: www.paraplegie.ch /tetrahand

Preis für Matura-Arbeit Jan Murer aus Root (LU) hat als Matura-Arbeit ein 20-minütiges Filmporträt über Tetraplegiker Martin Doppmann gedreht und im Fach Religionskunde und Ethik eingereicht. Dafür wurde der 18-jährige Absolvent der Kantonsschule Alpenquai im Juni von der Universität Luzern mit dem Luzerner Religionspreis 2016 ausgezeichnet. Für die Dokumentation begleitete der Jungregisseur den Rollstuhlfahrer mit der Kamera und versuchte im Interview zu erfahren, was ein Leben mit starken Einschränkungen lebenswert macht. Der Filmtitel «Ich träumte, ich kann fliegen» ist ein Zitat des Protagonisten. Der 54-jährige Martin Doppmann hatte vor rund zehn Jahren einen Kletterunfall und führt, unterstützt von seinem Freundeskreis, ein recht selbstständiges Leben in seiner Wohnung in Malters (LU).

Filmporträt online sehen: bit.ly/flugtraum

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Globale Bewegung

Erster Internationaler Tag der Querschnittlähmung Die «International Spinal Cord Society» (ISCoS) lanciert am 5. September den ersten Welttag der Querschnittlähmung. Damit will die Organisation das Bewusstsein für die Anliegen von Menschen mit Querschnittlähmung sowie die Prävention von Rückenmarkverletzungen global fördern. Eine frühere bedeutende Initiative der ISCoS dazu ist der 2013 veröffentlichte Gesundheitsbericht «Querschnittlähmung – Internationale Perspektiven». Dieser entstand in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Schweizer Paraplegiker-Forschung. Zusammen mit Weltorganisationen wie der WHO und den Vereinten Nationen (UN) soll der 5. September als offizieller Welttag der Querschnittlähmung, als «International Spinal Cord Injury Day», etabliert werden. Auch die Schweizer Paraplegiker-Stiftung unterstützt die Idee der ISCoS, setzt sie sich doch in der Schweiz bereits seit über 45 Jahren ein für die ganzheitliche Behandlung, Rehabilitation, bestmögliche Integration und lebenslange Begleitung querschnittgelähmter Menschen.

Weitere Informationen auf Englisch: www.worldsciday.org

Filmteam. Preisträger Jan Murer (rechts) mit Martin Doppmann.

Splitter Erstmals in Europa findet am Samstag, 29. Oktober in Zürich die «Disability Pride» statt, ein grosser Umzug mit der Botschaft: Menschen mit Behinderungen sind Teil unserer Gesellschaft. Vorbild der Parade ist New York (US), wo die erste Pride 2015 in den Strassen Manhattans bereits Hunderte Menschen angezogen hatte. Die acht besten europäischen Rollstuhlrugby Nationalmannschaften aus der neu geschaffenen B-Division kämpfen vom 3. bis 9. Oktober im SPZ Nottwil um den Europameister-Titel. Für das Heimteam geht es dabei um den Aufstieg in die A-Division und damit um die Möglichkeit, im kommenden Jahr an den Weltmeisterschaften in Sydney (AU) und 2020 an den Paralympischen Spielen in Tokio (JP) teilzunehmen. An den Paralympics in Rio de Janeiro 2016 (BR) werden 21 Schweizer Athleten in sieben Sportarten auf Medaillenjagd gehen. Traditionell gehören Leichtathletik und Para-cycling zu den stärksten Disziplinen der Schweizer Behinderten- und Rollstuhlsportler. Erstmals seit 2004 ist die Schweiz im Dressurreiten wieder mit zwei Athletinnen vertreten. Die weiteren Sportarten mit Schweizer Beteiligung sind Bogenschiessen, Schwimmen, Sportschiessen und Tischtennis.

Foto: Benno Bühlmann

Der britische Fernsehsender Channel 4 hat einen sehenswerten Trailer zu den Paralympics 2016 veröffentlicht. Der dreiminütige Film «We’re The Superhumans» zeigt bemerkenswerte Menschen mit erstaunlichen Talenten. Trailer online sehen: bit.ly/supermenschen

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Wie ich gegen die Weltbesten antrete? Ich mache es einfach.

Machen Sie Ihren Weg. Wir machen mit. Manuela Schär, paralympische Rennrollstuhlsportlerin

Allianz ist seit 10 Jahren stolzer Supporter der Paralympischen Bewegung.


Agenda

NEWS

7. – 18. September Paralympische Spiele 2016 Rio de Janeiro (BR) 7. September, 19.30 Uhr Autorenlesung mit Norbert Scheuer Nottwil, Bibliothek im Gebäude GZI

Erster Cybathlon: Wettkampf der Roboter Eine Weltpremiere findet am 8. Oktober in Kloten statt: Menschen mit körperlichen Behinderungen messen sich mit Hilfe von neuesten technischen Assistenzsystemen in sechs Disziplinen. Die Athleten werden mit futuristischen Rollstühlen Treppen überwinden oder mit modernsten Prothesen ihre Geschicklichkeit und Schnelligkeit beweisen. Zu erleben gibt es beispielsweise Fahrradrennen mit elektrischer Muskelstimulation oder ein gedankengesteuertes virtuelles Rennen. Der Anlass bietet neben den Wettkämpfen ein attraktives Show- und Rahmenprogramm für die ganze Familie. Organisiert wird der Cybathlon von der ETH Zürich; die Schweizer Paraplegiker-Stiftung und das Schweizer ParaplegikerZentrum unterstützen die Veranstaltung. Programm und Tickets unter www.cybathlon.com

16. September, 10.00 – 16.00 Uhr 2. ParaHelp-Dialog: «Generation (R)oldies» SPZ Nottwil, Aula Information und Anmeldung: www.parahelp.ch 8. Oktober, 9.00 – 18.00 Uhr Weltpremiere: Cybathlon 2016 Swiss Arena, Kloten Information und Tickets: www.cybathlon.ethz.ch 3. – 9. Oktober EM Rollstuhlrugby Sport Arena Nottwil 29. Oktober, 9.30 – 16.30 Uhr Treffen der Angehörigen von Menschen mit Querschnittlähmung SPZ Nottwil Information und Anmeldung: www.paraplegie.ch /veranstaltungen

Foto: ETH Zurich / Alessandro Della Bella

19. / 20. November, 11.00 – 17.00 Uhr Weihnachtsmarkt SPZ Nottwil

Vorbereitet. Der Cybathlon-Testlauf in der Swiss Arena verspricht aussergewöhnliche Wettkämpfe.

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PORTRÄT

Mit voller Wucht

zurück ins Leben

Jede freie Minute verbringt Andrin Deschwanden mit seinen dicksten Kumpeln in einem geheimnisvollen «Rüümli». Sie und seine Familie sind der grosse Rückhalt für den 14-Jährigen, der vor zwei Jahren während eines Jungwachtlagers verunfallte und zum Tetraplegiker wurde. Trotz schwerem Schicksal will er von Trübsal blasen nichts wissen, im Gegenteil: Der selbst ernannte Lausbub steckt voller Energie und Pläne. Text: Robert Bossart | Fotos: Beatrice Felder

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uhig sitzen gehört nicht zu seinen Stärken. Andrin ist mit seinem Rollstuhl in ständiger Bewegung, balanciert gekonnt auf zwei Rädern oder wippt hin und her. Plötzlich saust er durch den Gang der Wohnung in Horw (LU), um sein Handy zu holen. «Über 100 ‹Likes› habe ich auf diesen ‹Post› erhalten», erzählt er stolz. Das Facebook-Foto zeigt ihn während der Parathletics im Mai in Nottwil, wie er mit vollem Einsatz mit dem Rennrollstuhl die Ziellinie überquert. Auf die Frage, was ihm am meisten Spass macht im Leben, kommt die Antwort wie aus der Kanone geschossen. Möglichst viel Zeit mit seinen Freunden verbringen und Sport treiben. Drei bis viermal die Woche trainiert der Luzerner auf der Rennbahn beim Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ). «Früher waren es Disziplinen wie Fussball, Biken, Skifahren, Langlaufen oder Snowboarden. Einfach alles. Heute sind es Rollstuhl-Leichtathletik, Schwimmen, Kayak- und Wasserskifahren.» Seine Mutter, Judith Deschwanden, sitzt daneben und schmunzelt. «Er war nie einer, der untätig sein konnte, Andrin war und ist ein Powerbub.» Und eben – seine Freunde, die ihm so viel bedeuten und die er von klein auf kennt. Freitags treffen sie sich jeweils

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in einem geheimen Raum eines alten Holzhauses, meistens sind sie zu viert, manchmal auch mehr. Erwachsene haben keinen Zutritt. «Im ‹Rüümli› können wir machen, was wir wollen», sagt Andrin. Gamen, reden, Chips essen, Redbull trinken, Musik hören, sich mit Mädchen treffen. Was Jungs halt so tun, wenn sie ungestört sind. 1

Bessere Kumpels als vorher Dass Andrin im Rollstuhl unterwegs ist, tut der innigen Freundschaft keinen Abbruch. «Wir sind fast bessere Kumpels als vorher», meint Lars, der seinen Kollegen verschmitzt anschaut. «Das Ganze hat uns zusammengeschweisst.» Er war mit dabei, vor zwei Jahren im Jungwachtlager. Andrin trug im Wald zusammen mit einem Leiter einen kleinen Baumstamm auf der Schulter, den sie für den Bau eines Vorzeltes verwenden wollten. Im Dickicht übersah der damals 12-Jährige eine Mulde – er rutschte aus und stürzte unglücklich auf den Baum. «Ich konnte nur noch flüstern und mich nicht mehr bewegen», erinnert er sich. Ein kleines Aststück hatte sich in den Hals des Jungen gebohrt. «Dadurch wurde der Rückenmarkkanal verletzt», erklärt seine Mutter. «Zudem hat sich der Hals durch den

Sturz überdehnt, was zu einer Schwellung führte. Die Nerven wurden abgedrückt und gequetscht.» Zum Glück waren sie nur teilweise durchtrennt, deshalb spricht man von einer inkompletten Tetraplegie. Wenigstens haben wir ihn noch Andrin wurde zuerst im Kinderspital Zürich, danach in der Universitätsklinik Balgrist behandelt. Drei Wochen nach dem Unfall kam er zur Rehabilitation ins Schweizer Paraplegiker-Zentrum nach Nottwil. «Das war das Beste, was uns passieren konnte», sagt Judith Deschwanden. Sie und ihr Mann Paul besuchten ihn jeden Tag. «Anfangs ging es ihm himmeltraurig», erzählt die 52-jährige Mutter. Auch für sie war es eine harte Zeit.


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1 Engagiert. Mehrmals pro Woche trainiert Andrin mit seinem Rennrollstuhl auf der Rennbahn beim Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil. 2 Verschworen. Unter Ausschluss jeglicher Erwachsener trifft er sich mit seinen Freunden in Horw auf einem Dachstock, der liebevoll «Rüümli» genannt wird. 3 Vergnügt. Zu Hause auf dem Balkon bringt der 14-Jährige mit seinen Spässen seine Mutter Judith zum Lachen.

strahlt übers ganze Gesicht. «Manchmal schlichen wir uns spät abends auf die Leichtathletikbahn und fuhren wilde Rennen.» 3

«Ich drehte manchmal fast durch.» Sie sah die Angst und Hilflosigkeit im Gesicht ihres Sohnes und kämpfte mit der eigenen Verzweiflung. «Immer, wenn ich weinen musste, ging ich nach draussen, damit er mich nicht so sieht.» Und diesen Satz haben die Eltern immer wieder zueinander gesagt: «Wenigstens haben wir ihn noch.» Während der Rehabilitation spielte die Familie für Andrin eine zentrale Rolle, sie gab ihm Rückhalt. Angst habe er eigentlich nie gehabt, versichert er.

«Ich habe es immer positiv genommen. Und als Roberto auftauchte, ging es mir gleich viel besser.» Roberto, ein junger Mann, war ein Mitpatient. «Seine Wirbelsäulenverletzung war viel gravierender als meine, entsprechend ging es ihm eigentlich viel schlechter als mir.» Mit seiner fröhlichen Art vermochte er es, Andrin auf positive Art zu beeinflussen. «Roberto hat mich stets aufgeheitert.» Richtige Lausbubenstreiche hätten die beiden gespielt, meint Paul Deschwanden. Andrin

Beweglichkeit zurückgewonnen Ab und zu übertrieb es Andrin auch mit der Missachtung der Hausordnung. «Wir mussten ihm an einer Wand im Zimmer sämtliche Regeln detailliert aufschreiben», erinnert sich sein 61-jähriger Vater. Die Pubertät machte sich bemerkbar, zudem ist Andrin einer, der schon von klein auf einen ziemlich harten Kopf hatte. Eine Eigenschaft, die ihm auf dem Weg zurück in ein selbstständiges Leben geholfen hat: War er anfangs noch mit Elektrorollstuhl unterwegs, konnte er bald schon in einen herkömmlichen

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1 Zusammenhalt. Der Unfall von Andrin hat die ganze Familie zusammengeschweisst.

2 Rauferei. Wenn er nach der Schule nach Hause kommt, schnappt er sich seinen Vater für ein freundschaftliches Kräftemessen.

3 Kumpels. Mit seinen Freunden hat er nicht nur viel Spass, sie sind für Andrin auch ein wichtiger Rückhalt.

4 Schule. Vor dem Unfall stand er mit der Schule auf Kriegsfuss – heute weiss er, wie wichtig eine gute Ausbildung für ihn ist.

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Rollstuhl wechseln. Auf Grund der inkompletten Lähmung schaffte er es mit Hilfe der Ergo- und Physiotherapie, verschiedene Muskeln zu reaktivieren. Hartnäckig erkämpfte er sich alles, was möglich war, zurück. Heute kann Andrin seine Hände und Arme wieder bewegen. Als er nach rund vier Monaten seinen Eltern sogar einige zaghafte Schritte vorführen konnte, brachen diese in Tränen aus. Wird Andrin möglicherweise wieder gehen können? «Es wird sicher nie mehr so sein wie früher», sagt Judith Deschwanden, und ihr Sohn fügt an: «So, wie es jetzt ist, reicht es. Damit bin ich zufrieden.»


PORTRÄT

«Ich bin immer noch ein richtiger Lausbub»

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Einstellung zur Schule geändert Zuversichtlich ist er auch, wenn es um seine Zukunft geht. Er, der eigentlich in die Fussstapfen seines Vaters treten und Zimmermann werden wollte, hat durch den Unfall seine Pläne ändern müssen. Zeichner Fachrichtung Ingenieur, Elektroplaner oder Architekt sind nun seine Wunschberufe. Um eines dieser Ziele erreichen zu können, braucht der 14-Jährige einen einigermassen guten Schulabschluss. «Da hat der Unfall sogar eine positive Wirkung gehabt», sagt Judith Deschwanden. Andrins Schulkarriere war vor dem Unfall von Schwierigkeiten

geprägt. «Schule war einfach nie mein Ding», meint er. Heute sieht er das Ganze etwas anders. Die Zeit in Nottwil spielte dabei eine massgebende Rolle. Andrin war der erste Jugendliche, der während der Rehabilitation in der Klinik im Rahmen der offiziellen Patientenschule ParaSchool Schulunterricht erhielt. Das ermöglichte es ihm, den Anschluss an den obligatorischen Schulstoff nicht zu verlieren. «Es war fantastisch, er hat in Nottwil sehr viel gelernt», sagt sein Vater. Seine Einstellung zur Schule und zum Lernen habe sich verändert. «Er hat viel Selbstvertrauen tanken können.» Andrin nickt und grinst: «Ich bin jetzt so eine Art Chef in der Klasse, mein Wort zählt fast mehr als das der Lehrerin.» Andrins Motto: Gas geben Heute möchte Andrin vor allem eins: Gas geben. Bei allem, was er tut und anpackt. So wollte er zum Beispiel das motorisierte Zuggerät – den Swiss-Trac –, mit dem er jeden Morgen zur Schule fährt, frisieren. «Der fährt nur 6 km/h, das ist viel zu langsam.» Seine Eltern haben ihm dieses Unterfangen zum Glück ausreden können. Inzwischen hört er – mit einigen Ausnahmen – auf sie. Das, was die Familie erlebte, hat sie alle näher zusammengebracht. Judith Deschwanden gibt zu, dass sie in der ersten Zeit nach Andrins Heimkehr ziemlich ausgebrannt war. «Ich hatte gegenüber seiner Schwester Anuschka ein schlechtes Gewissen, weil sie fast jeden Abend allein zu Hause war.» Die 23-Jährige nickt. Aber das Ganze habe auch positive Seiten, meint sie. «Vor dem Unfall hat er mich oft genervt. Heute haben wir es viel besser, er ist reifer geworden durch die ganze Geschichte.» Freude am Leben zurückgekehrt Die Familie ist wegen Andrin in eine Wohnung mit Lift umgezogen. Da sie Mitglied

der Gönner-Vereinigung sind, hat Andrin die ihm zustehende Gönnerunterstützung erhalten. Davon und vom Angebot der Direkthilfe durch die Schweizer Paraplegiker-Stiftung hat er noch kaum Gebrauch machen müssen. «Später, wenn ich einmal selbstständig lebe und beispielsweise ein umgebautes Auto brauche, werde ich aber froh sein um die Hilfe», sagt er. Froh ist die Familie auch um das, was sie in Nottwil erlebt hat. «Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass wir ein Leben lang dort anklopfen dürfen», sagt Mutter Judith. Bei den Deschwandens ist die Freude am Leben zurückgekehrt. Es wird wieder viel gelacht – vor allem wegen Andrin. Wenn er nach der Schule nach Hause kommt, schnappt er sich meist seinen Vater, um mit ihm zu raufen. Der 14-Jährige hält alle auf Trab. «Ich bin halt immer noch ein richtiger Lausbub.»

Solidarität ist wichtig «Solche Unfälle sind zum Glück äusserst selten. Aber leider kann es immer und überall in unserem Alltag vorkommen», sagt Monika Elmiger, Geschäftsleiterin von Jungwacht Blauring Schweiz. «Die Geschichte von Andrin Deschwanden, der vor zwei Jahren in einem Jungwachtlager verunfallte und zum Tetraplegiker wurde, zeigt uns, wie wichtig die Solidarität mit querschnittgelähmten Menschen ist. Nebst den 1,8 Millionen Gönnerinnen und Gönnern der Schweizer Paraplegiker-Stiftung leistet auch Jungwacht Blauring einen wichtigen Beitrag zur Integration von beeinträchtigten Menschen. So geht Andrin auch als Rollstuhlfahrer noch heute ins Zeltlager der Jungwacht.»

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REPORTAGE


Unfall mit Rückenverletzung: helfen ja – aber wie? Ein Sturz von der Leiter, ein Unfall mit dem Motorrad, ein Kopfsprung in seichtes Wasser – Erste Hilfe bei einem Unfall mit Rückenverletzung ist besonders heikel. Was sollen Helfer tun, was nicht? Klar ist: Mit den richtigen Massnahmen kann oftmals Schlimmeres verhindert werden.


REPORTAGE

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Text: Robert Bossart | Fotos: Astrid Zimmermann­Boog und Beatrice Felder

B

ei meiner Rettung ist alles gut gelaufen.» Esther Schildknecht arbeitet teilzeit als Ausbildnerin bei der Sirmed, dem Schweizer Institut für Rettungsmedizin, einer Tochter­ gesellschaft der Schweizer Paraplegiker­Stif­ tung in Nottwil. An einem Erste­Hilfe­Kurs zeigt sie einer Gruppe von Buschauffeuren der Verkehrsbetriebe Luzern, wie Verunfallte mit Rückenverletzung erstversorgt werden. Sie weiss, wovon sie spricht. Vor fünf Jahren ist die St. Gallerin beim Klettern selber verun­ fallt. An einer Felswand übten die J+S­Leiter den Flaschenzug. Kurz vor der Mittagspause

seilten sich die Teilnehmer ab – unglück­ licherweise kam es zu einer Verwechslung beim Material, so dass Esther Schildknechts Seil zu kurz war. «Ich stürzte aus etwa fünf Metern zu Boden.» Sie erinnert sich, dass sie extrem starke Rückenschmerzen hatte und die Beine nicht mehr bewegen konnte. Sofort Verdacht auf Rückenverletzung Ihre Kurskollegen betreuten die Verletzte, bis der Rettungshubschrauber am Unfall­ ort eintraf. «Meine Kollegen hatten sofort den Verdacht, dass es sich um eine Quer­

«Möglichst viele Menschen sollten möglichst gut geschult werden. Damit sie in einer Notfallsituation wissen, was zu tun ist» Esther Schildknecht, Ausbildnerin Sirmed

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schnittlähmung handeln könnte», erzählt die 38­Jährige. Da sie bei Bewusstsein war, lies­ sen die Helfer die Verunfallte liegen und vermieden jegliche Bewegung der Wirbel­ säule. Esther Schildknecht erinnert sich, wie wichtig auch die mentale Unterstützung war. «Meine Kollegen hielten mich bei Laune und sprachen mir Mut zu. Das ist in solchen Situa­ tionen von zentraler Bedeutung.» Verunfallte könnten in Panik geraten und sich dadurch unkontrolliert bewegen, was die Rückenver­ letzung verschlimmern kann.


1 Sturz. Bei einer Rettungsübung der Sirmed (Schweizer Institut für Rettungsmedizin) in Nottwil spielt ein Teilnehmer einen Verletzten, der auf der Treppe gestürzt ist. 2 Kontakt. Zwei Kursteilnehmer kümmern sich um den Verunfallten, der mitteilt, dass er die Beine nicht mehr bewegen kann.

Was lässt sich verhindern? Rund 200 Menschen erleiden pro Jahr in der Schweiz eine Querschnittverletzung durch einen Unfall. Bei den 2015 im Schweizer Paraplegiker-Zentrum zur Erstrehabilitation aufgenommenen Patienten hat in 43 Prozent der Fälle ein Sturz, in 35 Prozent ein Sportunfall und in 18 Prozent ein Verkehrsunfall zur Rückenmarkverletzung geführt. Viele Unfälle sind vermeidbar. Die Risiken im Verkehr lassen sich durch eine defensive, konzentrierte Fahrweise und den Verzicht auf riskante Manöver, wie das Schreiben und Lesen von SMS-Nachrichten am Steuer, beeinflussen. Prävention bedeutet auch, geltende Regeln zu beachten. «Leider wird das Gebot, nicht in unbekannte

3 Lagerung. Auf der Treppe kann der Patient nicht stabil liegen, deshalb wird er möglichst schonend an einen sicheren Ort verlegt.

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Gewässer zu springen, immer wieder missachtet», sagt Sirmed-Geschäftsführer Helge Regener. Sollten folglich sämtliche Risiken vermieden werden? Nein, meint Helge Regener. Die Frage sei aber, wie sehr jemand ans Limit geht. «Nicht alle Unfälle lassen sich verhindern, aber Vorhersehbares ist vermeidbar.»

Die sieben häufigsten Unfallursachen, die zu Querschnittlähmung führen können:

Quelle: Statistik SPZ

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Lebensrettung geht immer vor Die Rettungskräfte flogen Esther Schild­ knecht ins Inselspital Bern, wo sie operiert wurde. Danach verbrachte sie ein halbes Jahr in der Rehabilitation im Schweizer Paraplegiker­Zentrum in Nottwil. Die Ver­ unfallte hatte Glück: Weil ihr Rückenmark nicht vollständig durchtrennt wurde und sie also inkomplett gelähmt ist, gelang es, verschiedene Muskeln zu reaktivieren. Heute kann sie sich mit Gehstöcken fort­ bewegen. Vor dem Unfall arbeitete Esther

Badeunfall

Autounfall

Skiunfall

Haushaltsunfall

Velosturz

Töffsturz

Reitunfall

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REPORTAGE Vorsicht. Die Seitenlagerung ist bei Wirbelsäulenverletzten nur selten nötig, weil sie meist wach und ansprechbar sind. Wichtig ist jedoch immer, Bewegungen der Wirbelsäule möglichst zu vermeiden.

Schildknecht als Rettungssanitäterin, ent­ sprechend hat sie zahlreiche Rettungen selbst miterlebt. Wie beurteilt sie die Hilfe der Laien, welche am Unfallort als soge­ nannte Ersthelfer in Erscheinung treten? «Manche haben Bedenken, etwas falsch zu machen. Sie wissen zwar, dass ein Patient

bei einer Rückenverletzung möglichst nicht bewegt werden sollte.» Wenn dieser aber aus einer gefährlichen Situation gerettet werden müsse, hätten viele Angst, den Verunfallten noch mehr zu verletzen. «Die Haltung dazu ist aber klar: Lebensrettung geht vor Quer­ schnittlähmung», betont sie.

Ausbildung ist das A und O Die Rettungssanitäterin und Ausbildnerin, die heute inkomplette Paraplegikerin ist, kennt das Thema Erste Hilfe bei Rücken­ markverletzung aus allen Perspektiven. Ihr ist vor allem eines wichtig: «Möglichst viele Menschen sollten möglichst gut geschult werden. Damit sie in einer Notfallsituation wissen, was zu tun ist.» Die Seitenlagerung wird beispielsweise so geübt, dass zwei bis drei Retter mit überkreuzten Händen den Verunfallten umlagern (siehe Bild links). All diese Kniffe und Tricks können im Ernstfall von entscheidender Bedeutung sein. Die Buschauffeure haben am Vormittag Theorie gebüffelt. Ihr Wissen können sie am Nachmittag in die Tat umsetzen. Esther Schildknecht lässt die Kursteilnehmer einen «Verletzten» betreuen, der auf einer Treppe gestürzt ist und sich nicht mehr bewegen kann. «Muss man ihn seitenlagern, sollen wir ihn von der Treppe auf den Boden legen?» Die Chauffeure diskutieren eifrig unterei­ nander, welches die richtigen Massnahmen

Rückenverletzung: Auf das gilt es zu achten Die richtige Reihenfolge Zuerst wird immer der Rettungsdienst (Telefon 144) alarmiert. «Anschliessend müssen die Helfer sich vergewissern, ob die Einsatzstelle sicher ist, damit sie sich nicht selber gefährden», sagt Helge Regener, Geschäftsführer der Sirmed. Erst jetzt kann man sich dem Verletzten zuwenden.

Bewusstlosigkeit Bei Rückenmarkverletzten ein eher seltener Fall. Kommt er doch vor, muss der Patient auf die Seite gelagert werden. «Auch hier hat die Lebensrettung Vorrang», sagt Helge Regener. Wenn mehrere Personen vor Ort sind, soll die Seitenlagerung langsam, schonend und gleichmässig durchgeführt werden.

Wach und ansprechbar Bei Rückenverletzungen ist die Person meistens wach. «Dann sollte sie sich möglichst nicht rühren», so Helge Regener. Jegliches Drehen, Beugen oder Biegen der Wirbelsäule ist zu verhindern. Es kann auch sein, dass ein Patient durch den Unfall die Wirbelsäule gebrochen hat, ohne dass aber das Rückenmark betroffen ist. «Da ist es entscheidend, dass der Verunfallte ruhig liegen bleibt, um Sekundärschäden zu vermeiden.» Besteht indes Gefahr für den Verunfallten, dann muss er an einen sicheren Ort verlegt werden. «Bedenken bezüglich einer Wirbelsäulenverletzung dürfen nicht blockieren, wenn lebensrettende Sofortmassnahmen nötig sind», erklärt Helge Regener.

Kreislaufstillstand Bewusstlos und ohne Atmung: Diese Kombination kommt zum Glück nur selten vor. Unabhängig von der vermuteten Verletzung der Wirbelsäule müssen sofort Reanimationsmassnahmen eingeleitet werden: Herzmassage, Beatmung und, falls vorhanden, der Gebrauch eines Defibrillators. «Diese Massnahmen müssen in Kursen gelernt und geübt werden», so Helge Regener.

Helm ab oder nicht? Ist bei einem Töffunfall der Helm noch auf dem Kopf und besteht die Gefahr, dass der Verunfallte ohnmächtig wird und erbricht, muss der Helm in jedem Fall abgenommen werden – am besten durch zwei geschulte Personen.

Wie erkennt man Wirbelsäulenverletzungen? Diese Zeichen sind typisch: – Schmerzen in der betroffenen Region des Rückens – Gefühllosigkeit oder Empfindungsstörungen in den Beinen oder Armen – Beine können nicht mehr bewegt werden (allenfalls auch Arme) – Verlust von Temperatur- und Schmerzempfinden an den betroffenen Körperregionen


Sirmed bildet Laien und Profis aus Die Sirmed (Schweizer Institut für Rettungsmedizin) ist eine Tochtergesellschaft der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Sie bildet professionelle Retter (Dipl. Rettungssanitäter HF und Transportsanitäter) aus, führt rettungsdienstliche Fort- und Weiterbildungen durch und gibt Erste-Hilfe-Kurse für Laien. Ein Schwerpunkt ist die Versorgung wirbelsäulenverletzter Menschen.

Dr. med. Roland Albrecht (53) ist seit 2008 Chefarzt und Mitglied der Geschäftsleitung der Rega. Er ist zudem Stiftungsrat sowie Chefarzt der Alpinen Rettung Schweiz und Verwaltungsrat bei der Sirmed.

Weitere Informationen und Kursprogramm: www.sirmed.ch /kurse

«Wir machen gute Erfahrungen am Unfallort» Roland Albrecht, welche Erfahrungen macht die Rega mit Ersthelfern? Wie gehen diese mit allfälligen Rückenmarkverletzungen um? Wir machen meist gute Erfahrungen mit der erfolgten Erstbetreuung am Unfallort. Es wird gut darauf geachtet, dass die Patienten bis zu unserem Eintreffen ruhig liegen bleiben und vor Witterungseinflüssen geschützt sind.

Profis. Wenn die Rettungssanitäter eintreffen, wird der Patient «immobilisiert», also mit geschulten Griffen auf der Bahre so festgemacht, dass er stabil liegt und transportfähig ist.

sind. Geduldig aber bestimmt gibt die Kurs­ leiterin Anweisungen. «Die Wirbelsäule sollte möglichst immer in einer Linie und gerade bleiben. Auf keinen Fall dürft ihr sie zusammenstauchen.» Rehabilitation beginnt am Unfallort Kursteilnehmer Thomas Thalmann ist froh, sein Wissen über die Erste Hilfe aufgefrischt zu haben. «An die Gefahr einer Rückenmark­ verletzung denkt man meist gar nicht.» Retten will gelernt sein: Vor allem bei Rückenver­ letzungen kann richtiges Handeln entschei­ dend sein, deshalb ist die Sirmed ein wichtiger Teil des Leistungsnetzes der Schweizer Para­ plegiker­Stiftung. Esther Schildknecht ist froh, dass ihre Rettung fehlerfrei verlau­ fen ist. «Die Rehabilitation von Querschnitt­ gelähmten beginnt am Unfallort.»

Wie geht die Rega beim Verdacht auf Wirbelsäulenverletzung vor? Der Patient wird von Beginn an immobilisiert, sorgfältig untersucht und mit einem Venenzugang versehen, über welchen ein Schmerzmittel verabreicht werden kann. Zur Unterstützung der Atmung erhält der Patient Sauer­ stoff über die Nase. Blutdruck, Puls und Sauerstoffgehalt im Blut werden kontinuierlich überwacht. Danach wird der Patient auf die Vakuummatratze umgelagert, in den Helikopter eingeladen und in die nächste geeignete Ziel­ klinik geflogen. Sind die Leute sensibler auf Rückenmarkverletzungen geworden? Konkrete Daten fehlen uns zwar dazu, aber: Das Bewusst­ sein in der Bevölkerung und bei den Rettern in Bezug auf Rückenmarkverletzungen ist gross. Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Rega und Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ)? Die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden des SPZ ist professionell. Der neue Helikopterlandeplatz auf dem Dach des SPZ ermöglicht der Rega­Crew den direkten und schnellen Zugang zu den Behandlungsräumen. Eine von der Rega installierte Wetterstation auf dem Dach liefert zudem ständig aktualisierte Flugwetterdaten, damit die Piloten stets über das Wetter am Zielort informiert sind.

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ZUR SACHE

Das geht unter die Haut Wie fühlt es sich an, wenn man nicht mehr gehen kann, welche Schwierigkeiten müssen Querschnittgelähmte im Alltag überwinden? Und wie verhalte ich mich gegenüber Rollstuhlfahrern? Während eines Sensibilisierungskurses der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung erhalten die Teilnehmer Einblicke in das Leben von Menschen mit Querschnittlähmung, die ihnen bisher verborgen blieben. Ein Workshop, der aufrüttelt – und deshalb niemanden kalt lässt.


Text: Robert Bossart | Fotos: Walter Eggenberger

I

ch dachte immer, das Schlimmste sei, dass man gezwungen ist, im Rollstuhl zu sitzen.» Roger Müller, angehender Bauleiter, besucht zusammen mit rund 20 Kollegen vom Campus Sursee (LU), Bildungszentrum Bau, im Schweizer Paraplegiker-Zentrum einen

Crashkurs. Kursleiter Harald Suter erklärt den Teilnehmern, wie man einen Rollstuhl auseinanderklappt.

sogenannten Sensibilisierungskurs. Die jungen Männer hören gebannt zu, als Kursleiter Harald Suter vom Sozialdienst der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV) aus seinem Leben als Paraplegiker berichtet. Ein Sekundenschlaf beim Autofahren machte ihn vor 18 Jahren zum Rollstuhlfahrer. Die Bauleute haben viele Fragen: «Wie geht Sex, wenn man nichts spürt», will jemand wissen. Suter spricht von einem neuen Körpergefühl und erzählt unverblümt, dass je nachdem auch Hilfsmittel oder Medikamente zur Unterstützung verwendet werden. «Vieles ist einfach anders als vorher.» Er beschreibt, wie viele Rollstuhlfahrer ihre Blase und ihren Darm auf aufwendige Art entleeren müssen. Das quäle die Betroffenen oft mehr als die eigentliche Lähmung. «Das alles war mir nicht bekannt», sagt Roger Müller, und seine Kollegen neben ihm nicken. Habe mir das einfacher vorgestellt Als Harald Suter einige Beispiele von typischen Unfällen, die zu einer Querschnittlähmung führen können, erläutert, hören

anders. «Was ich hier höre, bleibt haften und geht unter die Haut.» Nächster Programmpunkt ist ein Selbstversuch im Rollstuhl. Die Bauleiter fahren über Wiesen und Kiesplätze und versuchen, kleine Hindernisse und Rampen zu überwinden. Manch einer scheitert und bleibt irgendwo stecken. «Ich habe mir das einfacher vorgestellt», heisst es da und dort. Schliesslich geht es darum, mit dem Rollstuhl Treppenstufen zu erklimmen: Ein Kursteilnehmer zu Fuss versucht, seinen Kollegen im Rollstuhl die Treppe hinaufzubringen – eine schweisstreibende Übung. Vieles ist plötzlich wertlos Silvan Bodmer, ein kräftiger, junger Mann, wirkt nach dem Rollstuhltraining einigermassen hilflos. «Bisher dachte ich, dass es nicht so wichtig ist, ob eine Rampe sechs oder sieben Prozent Steigung hat. Jetzt habe ich erlebt, dass es einen riesigen Unterschied ausmacht.» Er ist erstaunt, wie viele kleine Hindernisse ein Rollstuhlfahrer überwinden muss und wie schwierig das den Alltag macht. «Ich drücke 120 Kilogramm in die

«Die jungen Leute werden plötzlich ruhig, wenn sie vom Leben der Querschnittgelähmten erfahren» Markus Hauser, Dozent Campus Sursee

die jungen Berufsleute genau hin. «Es ist so rasch passiert, gerade auf Baustellen», meint der 44-Jährige. Mal ist es ein Geländer eines Gerüsts, das noch nicht montiert ist, mal eine rutschige Stelle auf einem Dach. «Wir kennen alle die Sicherheitsvorschriften, wir müssen unsere Mitarbeiter auf dem Bau entsprechend schulen», sagt ein angehender Bauleiter. So richtig verinnerlicht habe er das bisher nicht. Das sei nun ab sofort

Höhe, aber das nützt mir jetzt nichts. Vieles, was du dir im Leben erkämpft hast, ist im Rollstuhl plötzlich wertlos. Deshalb ist mein Verständnis für Querschnittgelähmte grösser geworden.» Tabuthemen ansprechen «Der Sensibilisierungskurs fährt allen Teilnehmern in die Knochen», sagt Markus Hauser, Betriebspsychologe und Dozent am

Paraplegie, September 2016

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ZUR SACHE

Die 57-jährige Heidy Anneler ist seit 52 Jahren Tetraplegikerin. Sie arbeitet als Psychologin und Sozialdiakonin. Heidy Anneler wohnt in Nussbaumen (AG).

«Es ist noch längst nicht alles optimal» Heidy Anneler, warum ist es für Rollstuhlfahrer wichtig, dass die Bevölkerung für deren Anliegen sensibilisiert wird? Wir möchten spüren, dass wir Teil der Gesellschaft sind. Wir wollen akzeptiert und zugehörig sein – das ist ein urmenschliches Bedürfnis. Zudem ist für Menschen ohne Querschnittlähmung Sensibilisierung wichtig: Es gibt ihrem Leben mehr Breite und Tiefe. Ich höre immer wieder, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema Querschnittlähmung die Leute reifer macht, dass es sie wachrüttelt. Barrierefreies Bauen, rollstuhlgängige Züge, das Behindertengleichstellungsgesetz BehiG: Hat in den letzten Jahren nicht schon ein grosser Sensibilisierungsprozess stattgefunden? Ja, die Situation heute ist viel besser als vor 20 Jahren. Ich kann mich noch gut erinnern, als es noch keine Toiletten für uns gab und wir im Viehwagen Bahn fahren mussten. Es hat sich sehr viel getan, aber es ist noch längst nicht alles optimal.

Campus Sursee. Er besucht seit Jahren regelmässig mit angehenden Bauleuten die SPV-Workshops in Nottwil. «Einerseits wird gezeigt, welche Unfallgefahren im Berufsalltag lauern, andererseits soll der Workshop die Bauleute für das Thema hindernisfreies Bauen von Wohnungen und Verkehrswegen sensibilisieren.» Es gehe auch darum, Tabuthemen anzusprechen, so Markus Hauser. Wie begegne ich Rollstuhlfahrern im Alltag, biete ich Hilfe an, wenn jemand im Laden etwas aus einem höher gelegenen Regal nehmen will? «Viele wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen, da sie keinen Kontakt zu Rollstuhlfahrern haben.» Falsche Bilder Angehende Lehrer, Verkehrswegbauer, Gymnasiasten, Bauleiter, Angestellte von diversen

Zum Beispiel? Es gibt Restaurants, in denen das Behinderten-WC mit Putzmitteln und Werkzeug vollgestellt und damit unbenutzbar ist. Auch bei Umbauten kommt es vor, dass die baulichen Anpassungen nicht praxistauglich sind. Bürogebäude etwa, die im ersten Stock zwar eine Toilette für Rollstuhlfahrer haben, die aber nur über eine Treppe erreichbar ist. Da verkommt barrierefreies Bauen zu einer Alibiübung. Sie sind Psychologin: Wo «klemmt» es noch im zwischenmenschlichen Bereich zwischen nicht querschnittgelähmten Menschen und Rollstuhlfahrern? Es gibt immer noch Vorstellungen in den Köpfen, die mich erstaunen. Kürzlich war ich mit einer Freundin auf einem Spaziergang, als ein Bekannter sie ansprach und sagte: «Silvia, das ist nett, dass du jetzt auch noch Behinderte betreust.» Das war für mich sehr verletzend, weil ich nicht als Mensch wahrgenommen wurde. Gibt es auch Erfreuliches? Auf jeden Fall. Viele Menschen wissen durch Filme, Zeitungsartikel oder Bücher viel zum Thema. Deshalb sind ihnen Rollstuhlfahrer und ihre Anliegen nicht mehr so fremd. Interessant ist etwa, dass ich zum Teil als Psychologin glaubwürdiger wirke, weil ich im Rollstuhl sitze. Die Patienten nehmen es mir eher ab, dass ich sie in ihrer schwierigen Lage verstehe. Weil sie sehen, dass auch ich schwere Zeiten durchgemacht habe.

Balance. Die angehenden Bauleiter merken bei den Übungen rasch, dass etwa das Überwinden von Treppenstufen anstrengend ist und viel Gleichgewichtsgefühl erfordert.

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ZUR SACHE Spass. Am Ende des Kurses vergnügen sich die Teilnehmer bei einer Runde Rollstuhlbasketball.

Hindernisse. Sand, Stufen, Wiesen, Geröll: Harald Suter lässt die jungen Männer am eigenen Leib erfahren, wie mühsam und tückisch der Alltag von Rollstuhlfahrern sein kann.

Firmen: Letztes Jahr besuchten gegen 1400 Personen in 66 Workshops die Sensibilisierungskurse. «Die jungen Leute werden plötzlich ruhig, wenn sie vom Leben der Querschnittgelähmten erfahren», erzählt Harald Suter. Für ihn ist klar, dass die Kurse sinnvoll und notwendig sind. «Viele haben ein falsches Bild von Rollstuhlfahrern und sind beispielsweise beeindruckt, wie selbstständig man als Querschnittgelähmter leben kann.» Es gehe auch darum, zu vermitteln, dass Rollstuhlfahrer ganz normale Menschen seien. «Schaut uns in die Augen, sprecht uns an, nehmt Kontakt auf.» Das gibt Harald Suter allen Kursbesuchern mit auf den Weg. Er ist sicher, dass Sensibilisierung Wirkung zeigt: «Das anfängliche Mitleid wird zu echter Empathie. Genau das braucht es.»

Schweizer Paraplegiker-Vereinigung:

Hilfe zur Selbsthilfe Die Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV) ist eine Partnerorganisation der Schweizer Paraplegiker-Stiftung und zählt rund 11 000 Mitglieder. Die SPV ist der Dachverband der Querschnittgelähmten und engagiert sich für die Wiedereingliederung und die Verbesserung der Lebensqualität ihrer Mitglieder. Der SPV sind 27 regionale Rollstuhlclubs in der gesamten Schweiz angeschlossen. Sie fördert den Rollstuhlsport und bietet verschiedene Dienstleistungen an, etwa Lebens-, Rechts- und Bauberatungen, Reisen und Freizeitangebote für Querschnittgelähmte oder Sensibilisierungskurse.

Weitere Informationen unter: www.spv.ch (Kultur und Freizeit / Sensibilisierung)


Die zentrale Frage ist:

Was braucht der Patient? Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) erfindet sich neu: Die Klinikerneuerung und -erweiterung ist in vollem Gang, der Ausbau soll den veränderten Behandlungsmethoden und Patientenbedürfnissen gerecht werden. Der grösste Umbau seit dem Bestehen des SPZ ist nötig, um die steigende Nachfrage bewältigen zu können. Direktor Hans Peter Gmünder erklärt im Interview, welchen Nutzen die Patienten davon haben. Interview: Robert Bossart | Visualisierungen: Hemmi Fayet Architekten AG

Offenheit. Physio-, Ergo- und Sporttherapie werden räumlich zusammengeführt. Die Therapiegeschosse sind durch einen Innenhof verbunden.


Dr. med. Hans Peter Gmünder, Direktor Schweizer ParaplegikerZentrum

Welchen Nutzen hat der Neu- und Umbau für die Patienten? Wir haben Strukturen, die über ein Vierteljahrhundert gewachsen sind, mit zum Teil verwobenen Inhalten. Mit einer Neusortierung verbinden wir die Inhalte so, dass sie den zukunftsorientierten Behandlungskonzepten entsprechen. Das, was der Patient von uns erwartet, soll er noch präziser auf ihn zugeschnitten erhalten.

Hans Peter Gmünder, das Schweizer Paraplegiker-Zentrum wird erweitert und umgebaut. Warum ist das nötig? Das SPZ ist nun 25-jährig. Durch das laufende Wachstum während dieser Jahre passen die räumlichen Gegebenheiten nicht mehr zum Angebot, welches das SPZ heute und in Zukunft zur Verfügung stellen möchte. Auch die Art, wie wir unsere Leistungen erbringen, bedarf zum Teil völlig neuer Strukturen.

Was für Strukturen? Es geht um Behandlungsprozesse. Ein frisch Verunfallter kommt zu uns und hält sich in verschiedenen Abteilungen auf – Operationssaal, Intensivpflegestation, Bettenstation. Zudem erhält er unterschiedliche Therapien, diverse medizinische Behandlungen usw. All diese Behandlungsprozesse werden wir noch besser aufeinander abstimmen und damit effizienter gestalten, unterstützt durch neue Organisations- und Raumstrukturen. Wir schaffen auch neue, berufsgruppenübergreifende Therapiekonzepte. So werden zum Beispiel die Physio-, die Ergo- und die Sporttherapie räumlich zusammengeführt. Es entsteht ein grosser Therapiebereich, in dem eine Frage zentral ist: Was braucht der Patient?

Können Sie ein Beispiel machen? Nehmen wir die beiden Bereiche Akutmedizin und Rehabilitation: Diese sind heute stark durchmischt, Ärzte und Pflegefachpersonal müssen zwischen unterschiedlichsten Behandlungen hin und her wechseln. Im Rahmen unseres ganzheitlichen Ansatzes ist das zwar sinnvoll, aber nun sind neue Schwerpunkte nötig.

Fakten zum Umbau:

Mehr Betten, modernere Behandlungsmethoden Mit einer Bettenbelegung von fast 100 Prozent stösst das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) heute an Kapazitätsgrenzen. Um steigenden Bevölkerungszahlen und Menschen, die immer älter und dadurch zunehmend krankheitsbedingt querschnittgelähmt werden, auch weiterhin gerecht werden zu können, benötigt das SPZ mehr Raum. Der Kernbau des SPZ wird deshalb erneuert und erweitert. Zusätzlich entsteht ein neuer Gebäudeteil Richtung See. Das Spital wird um zwei Bettenstationen erweitert, die Anzahl Betten steigt um 24, von 150 auf 174. In ein paar Jahren ist sogar eine Erhöhung auf 192 Betten möglich. Die Kosten für die Klinikerneuerung und -erweiterung sind mit 150 Millionen Franken veranschlagt. Diese Investition wird zu 90 Prozent aus zurückgestellten eigenen Mitteln und aus Baukrediten getätigt. Staatliche Unterstützung für den Erweiterungsbau erhält das SPZ keine. Zehn Prozent der Bausumme sollen mittels Spenden generiert werden. Der Erweiterungsbau wird im Frühjahr 2017 bereitstehen. Geplant ist, die gesamte erneuerte Klinik im Verlauf des Jahres 2019 in Betrieb zu nehmen.

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Foto: AV Atelier Sommerhalder

Aufbruch. Richtung See entsteht ein neuer Gebäudeteil. Er soll unter anderem Platz schaffen für zwei neue Bettenstationen.

Sportmedizin spannt mit ambulanten Diensten zusammen Die Sportmedizin Nottwil wird im Rahmen der Klinikerneuerung vom bisherigen Standort im Guido A. Zäch Institut ins Hauptgebäude des Schweizer Paraplegiker-Zentrums verlegt. «Zusammen mit Sport-, Physio- und Ergotherapie werden wir in einem gemeinsamen Trainingsbereich tätig sein», sagt Dr. med. Phil Jungen, Chefarzt der Sportmedizin. «Wir sind neu mit vielen Fachbereichen örtlich verbunden.» Dadurch werde der fachliche Austausch schneller und einfacher, und der Patient komme rascher zu den medizinischen Leistungen, die er brauche. «Diese Zusammenlegung integriert die Sportmedizin besser in den klinischen Alltag», so Phil Jungen. Mit der Klinikerneuerung werden auch die Angebote in der Sportmedizin modernisiert und vermehrt an die Bedürfnisse der Sportler angepasst. Die Sportmedizin rückt zudem räumlich näher zum Trainingsbereich des Rollstuhl-Spitzensports. «Wir sehen so täglich, wo die Sportler stehen und können rasch und unbürokratisch unsere Dienste anbieten.» Die Klinikerneuerung kommt ebenso nicht querschnittgelähmten Menschen zugute. «Wir schaffen beispielsweise neue Laufbänder an, welche vom Körpergewicht entlasten. Damit können Patienten mit Knieverletzungen früher wieder trainieren», so der Chefarzt.

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Luzern, Basel, Bern, St. Gallen: An vielen Orten werden Spitäler ausgebaut. Ist das SPZ unter Druck, um in diesem Wettbewerb mithalten zu können? Nein, aber ganz im Geist des Gründers Guido A. Zäch wollen wir unsere Vorreiter- und Führungsrolle in der Akutmedizin, Rehabilitation und der lebenslangen Begleitung von Querschnittgelähmten weiterhin einnehmen. Dazu bilden die geplanten Baumassnahmen die Grundlage. Denn es ist dieses umfassende Leistungsnetz aus Solidarität, Medizin, Integration und lebenslanger Begleitung sowie Forschung unter einem Dach, das uns in der Schweiz und darüber hinaus einzigartig macht. Diesen Mehrwert wollen wir erhalten.

Kontoverbindung für Ihre Spende Schweizer Paraplegiker-Stiftung PC Konto 60-147293-5 IBAN Nr. CH14 0900 0000 6014 7293 5 Zweck: Bau SPZ Werden Sie Teil der zukünftigen Geschichte des Schweizer Paraplegiker-Zentrums und unterstützen Sie den Erweiterungsbau mit Ihrer Spende.


Ansicht. Die Visualisierung zeigt, wie das Schweizer Paraplegiker-Zentrum nach der Erweiterung von der Seeseite aus betrachtet aussehen wird.

Der Neubau soll auch nicht querschnittgelähmten Menschen zugutekommen. In welchen Bereichen? Damit wir für die Querschnittgelähmten Akutmedizin und Rehabilitation auf höchstem Niveau anbieten können, brauchen wir beispielsweise eine breit aufgestellte Wirbelsäulen- und Rückenmarkchirurgie, Intensivund Beatmungsmedizin, Schmerzmedizin und auch modernste radiologische Diagnostik, verknüpft mit klinischer Forschung. Davon profitieren auch nicht gelähmte Patienten. Entsprechend investieren wir in diese Bereiche.

Warum behandelt das SPZ immer mehr Menschen ohne Querschnittlähmung? Mit hohen Patientenzahlen entwickeln wir das nötige Wissen auf Spitzenniveau weiter. Das hat sowohl fachliche als auch wirtschaftliche Vorteile. Dies erreichen wir nur, wenn wir Patienten mit und ohne Querschnittlähmung behandeln. Das ergibt schliesslich eine Win-win-Situation: Weil wir beides machen, profitieren Rollstuhlfahrer und Nicht-Querschnittgelähmte voneinander.

Bereich Intensiv-, Schmerz- und Operative Medizin:

Vergrössern und bündeln Die Intensiv-, Schmerz- und Operative Medizin ist innerhalb des Schweizer Paraplegiker-Zentrums ein wichtiger und zentraler Bereich. Hier werden Querschnittgelähmte operiert und danach betreut. Ebenso gibt es den immer wichtiger werdenden Bereich der Wirbelsäulenchirurgie für Menschen mit und ohne Querschnittlähmung; hinzu kommen die Neurochirurgie, das Weaning (Beatmungsentwöhnung) und die Tetrahandchirurgie. Die Intensivpflegestation (IPS) wird von 8 auf 16 Betten vergrössert. «Das Konzept der neuen IPS ist eine ‹mitheilende› Umgebung: wenig Geräusche, viel Ruhe, biologisch gesteuertes Licht, wohnliche Einrichtung in Kombination mit weniger Beruhigungsmitteln», erklärt PD Dr. med. Markus Béchir, Chefarzt und Leiter Intensiv-, Schmerz- und Operative Medizin. Dies werde den Stress der Patienten massiv reduzieren und zur schnelleren und besseren Genesung beitragen. Ebenso werden die Kapazitäten für nicht querschnittgelähmte Patienten von 12 auf 20 Betten ausgebaut. Diese waren bisher an verschiedenen Orten im Haus untergebracht, neu werden sie nahe der Intensiv- und Operativen Medizin sein. Durch den Ausbau können mehr Patienten behandelt werden. «So eignen sich Ärzte, Therapeuten und Pflegende mehr Routine und Erfahrung an, was zu Qualitätssteigerung und noch höherer Kompetenz führt», betont Chefarzt Markus Béchir. Bessere Abläufe, neue technische Verfahren, gezieltere Behandlung: Dies alles kommt den Patienten zugute und wird letztlich ein Gewinn sein für Menschen mit und ohne Querschnittlähmung.


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BESONDERE SPENDEN

Spende statt Geschenk Mit einer klaren Absicht machten sich Hans Guggisberg und seine Frau Katharina am 25. Mai auf den Weg nach Nottwil. Sie wollten der Schweizer Paraplegiker-Stiftung 730 Franken überreichen. «Was in Nottwil für querschnittgelähmte Menschen alles geleistet wird, finden wir sinnvoll und sehr unterstützenswert», begründete das Paar aus Schüpfen (BE) seine Aktion. Der Betrag

Gewinnende Idee Eine besondere Idee hat sich auch die IVF HARTMANN AG aus Neuhausen (SH) einfallen lassen. Das Schweizer Unternehmen im Bereich der medizinischen Verbrauchsgüter präsentierte sich während drei Tagen am SGC Kongress in Lugano (TI), dem Jahreskongress der Chirurgen. Am Stand wurde eine Spendensammelaktion lanciert: Pro ausgefülltem Wettbewerbstalon werden zehn Franken an die Schweizer Paraplegiker-Stiftung gespendet. Die eingeworfenen Talons führten zum erfreulichen Spendenbetrag von 1210 Franken.

kam zustande, indem Hans Guggisberg die zu seinem 80. Geburtstag geladenen Gäste bat, anstelle eines Geschenks eine Spende mitzubringen. «Ich habe doch schon alles, was mir wichtig ist. Wissen Sie, das grösste Geschenk für mich war, dass meine Familie und Freunde zusammenkamen, um mit mir zu feiern», offenbarte der 80-Jährige bei der Spendenübergabe.

Geburtstag in Nottwil gefeiert Max Saxer-Schlatter lud seine Familie und Freunde zu seinem 80. Geburtstag ins Luzernische nach Nottwil ein. Der Glarner organisierte für seine 15 Gäste eine Unternehmensführung im Schweizer Paraplegiker-Zentrum und anschliessend ein gemütliches, ausgiebiges Mittagessen im Restaurant der Spezialklinik. Der Blick hinter die Kulissen hat die Teilnehmenden und insbesondere den Jubilar beeindruckt. «Als Ausdruck hoher Achtung Ihrer Intensivarbeit und Linderung von Leid und Not überreiche ich Ihrer Stiftung zu meinem Achtzigsten einen Beitrag von 600 Franken», bedankt sich Max Saxer-Schlatter für den speziellen Tag in einem Schreiben.

Checkübergabe. Ina Sieber, Area Sales Manager (links), und René Amsler, Head of Sales Hospital (rechts), von der IVF HARTMANN AG treffen in Nottwil Gabriella Bottoni (zweite von rechts), Projektleiterin Fundraising, Schweizer Paraplegiker-Stiftung, und Karin Gläsche Mehar, Pflegeentwicklung und Bildung am Schweizer Paraplegiker-Zentrum.

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MOSAIK

Mit Gymi-Projekt für junge Rollstuhlfahrer gesammelt Die vierte Klasse der Kantonsschule Zürcher Unterland in Bülach hatte den Auftrag, teamweise ein Projekt zu bestimmen und umzusetzen. «Bei unserem Projekt wollten wir den Sport in den Mittelpunkt stellen und damit etwas Sinnvolles bewirken», sagt Fabian Beer stellvertretend für sein 13-köpfiges Projektteam. Die Studierenden entschieden sich für einen Sponsorenlauf, bei dem pro gefahrenem Velokilometer ein Franken von Sponsoren gespendet werden sollte. Während rund drei Monaten trafen sie sich wöchentlich, um an ihrem Projekt «Social Cycling» zu arbeiten. Im Juni schliesslich fand der fünftägige Sponsorenlauf statt, an dem eindrucksvolle 2406 Velokilometer gezählt wurden.

uns. Umso mehr, als wir damit helfen können, ihren Weg in die Zukunft zu ebnen», erklärt Fabian Beer den Beschluss des Projektteams zugunsten der Jugendrehabilitationswochen am SPZ.

Jugendpower. Pflegeexpertin Romy Thalmann, Organisatorin der Jugendrehabilitationswochen am SPZ, erhält 2406 Franken von Fabian Beer, Florian Gübeli und Jan Schweizer, Studierende der Kantonsschule Zürcher Unterland.

Auf der Suche nach Möglichkeiten, um den gesammelten Betrag sinnvoll einzusetzen, stiess das Projektteam auf der Website des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ) auf das Angebot Jugendrehabilitation. «Die Idee, die Spende für Jugendliche einzusetzen, gefiel

BRIEFE AN DIE STIFTUNG

Zuversicht gegeben Ich danke der Schweizer ParaplegikerStiftung von Herzen für die Mietkostenübernahme für das Pflegebett und die Matratze, welche ich beide vorübergehend benötige. Ich bin sehr froh, dass es die Stiftung und ihre Direkthilfe gibt. Pia Schmid, Neuenkirch LU Ich bin sehr zufrieden mit den Reparaturarbeiten an meinem Treppenlift, die Sie finanziert

32 | Paraplegie, September 2016

haben. Endlich kann ich wieder in die obere Etage gelangen, wo die Geräte für meine Physiotherapie und meine Stehtrainings installiert sind. Ich danke Ihnen, dass Sie mich nochmals finanziell unterstützt haben. Betroffener aus dem Tessin Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung bei der Anschaffung eines Autos. Dadurch bin ich unabhängig, was beruflich wie privat Vorteil

und Erleichterung ist. Diese Selbstständigkeit ist extrem wichtig für mich. Betroffener aus der Romandie Unverschuldet von einem Tag auf den anderen zur Paraplegikerin zu werden, ist ein überaus schwerer Schicksalsschlag. Die dadurch entstandene finanzielle Belastung bedrückt zusätzlich. Einen Lichtblick in dieser für meinen Mann und mich so schwierigen Zeit


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Jugendrehabilitation. Die 16-jährige Carlotta Ahlers absolviert einen kniffligsportlichen Parcours anlässlich ihrer Jugendrehabilitationswochen in Nottwil. Das dreiwöchige Angebot während der Sommerferien richtet sich an Rollstuhlfahrer im Alter von 12 bis 17 Jahren mit dem Ziel, deren Selbstständigkeit, Selbstbestimmung sowie sportliche und soziale Integration zu stärken. Denn nur mit hoher Autonomie haben junge Menschen im Rollstuhl Aussicht auf Chancengleichheit und bessere Lebensqualität.

bildete Ihre Direkthilfe. Sie ermöglichte den Kauf eines Occasionsautos, das nun mit Unterstützung der IV behindertengerecht umgebaut wird. Es wird mir privat und beruflich wieder Mobilität ermöglichen. Danke für den grosszügigen Zustupf. Bettina Bieri, Bern Für die finanzielle Unterstützung beim Kauf eines Handbikes bedanke ich mich

herzlich. Ich freue mich schon riesig, grössere Touren zu unternehmen. Mein Mann ist vor acht Monaten an den Folgen der Parkinson-Erkrankung gestorben. Die Velotouren in freier Natur werden mir auch helfen, meine Trauer besser zu bewältigen. Gertrud Huber, Rickenbach b. Wil TG

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Am 1. August feiert die ganze Schweiz 725 Jahre Freiheit und Unabhängigkeit

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