Kriegstagebuch

Page 1

Meine Kriegserlebnisse aus dem Feldzuge 1914.

Julius Schilling 14. Inf. Reg. Nr. 17916




Erläuterung: Worte in Klammern sind zum besseren Verständnis nachträglich eingefügt worden. Schreibweise und Wörter seines persönlichen und damaligen Sprach-schatzes wurden beibehalten.

Es wurde versucht, angegebene Ortsnamen auf heutigen Karten wieder zu finden. Wo dies nicht möglich ist bzw. starke Zweifel bestehen, wurden die im Tagebuch genannten Orte, soweit entzifferbar, verwendet und mit (??) gekennzeichnet.

Herausgegeben von Petra und Bernd Wilhelmi


5

Vorwort Julius Schilling, mein Großvater. Ich kannte ihn kaum. Als ich Kind war, lebte er mit seiner zweiten Frau in Wernigerode. Meine richtige Großmutter starb bei der großen Grippewelle 1919. Ich war sehr selten in Wernigerode. Er wusste nichts mit mir kleinem Mädchen anzufangen und ich erlebte ihn nur Pfeife schmauchend am Fenster sitzend. Später, als ich eine junge Frau war, kamen wir uns ein bisschen näher, weil ich auch klassische Musik liebte und Bücher. Bücher … Er war Buchbinder von Beruf und dadurch in Bücher vernarrt. Ein paar Exemplare, die er selbst gebunden hat, stehen in meinem Bücherregal. Sonst habe ich nichts von ihm. Außer, das Kriegstagebuch. Es ist in Sütterlin geschrieben. Geschriebenes Sütterlin kann ich nicht so gut lesen. Mein Mann umso besser, deshalb übertrug er dieses Tagebuch in unsere heutige Schrift.


6

Es ist ein authentisches Erleben der Schrecken des 1. Weltkrieges. Für uns beide ist das Tagebuch ein Mahnmal, was Menschen durchmachen müssen, wenn Regierungen beschließen, Krieg zu führen.

Klara und Julius Schilling


7

1. August 1914 Mobilmachung des Heeres und der Marine befohlen. Erster Mobilmachungstag am 2. August. 4. August 1914 Früh um 8 Uhr im Schloss Drachenfels stellen. Mit Kamerad der Dienstzeit zusammengetroffen, fröhliches Wiedersehen. Um 12 Uhr Mittag gegessen: Reis mit Rindfleisch. In der 2ten Stunde Abfahrt nach Leipzig. Dort eingekleidet und Bürgerquartier bezogen.

7. August 1914 Zum Ausrücken bereit. Auf den Bahnhöfen Essen und Trinken bekommen. 40 Stunden lang, auch am Rhein entlang, gefahren bis Cordel (bei Trier). Quartier in Waldfeld. (In) Neuerburg (sind) 2 Häuser weggebrannt. (Weiter nach) Marnas (??),


8

Lenzweiler. Alarmiert nachts 12 Uhr. 8 Tage in Luxemburg gelegen, dort spaziert.

9. August 1914 Im Anmarsch gegen den Feind an der belgischen Grenze entlang, sehr hohe Berge, tüchtig heiß, Neuerburg letztes Quartier. Feindliche Kavallerie-Patrouille gemeldet. 8-Stunden-Marsch zurückgelegt.

10. August 1914 Sonntag früh 6.40 Uhr Marschbeginn. Aussichten, Montag ins Gefecht zu kommen. Es war aber nichts.

12. August 1914 Endlich der langersehnte Rasttag. Nachts wegen geringen Ursachen alarmiert. Aus der Heimat noch keine Post erhalten. Eine gute Kolonne zusammen. Rößler, Land-


9

graf, Schimrich, Enke und Niemann, (alles) alte Kameraden.

16. August 1914 Post erhalten. Tüchtigen Hunger. Für Geld nichts zu haben. Alles ausverkauft, kein Essen, kein Trinken. 18. August 1914 Marsch an der belgischen Grenze. ¾ 10 Uhr Biwak in Bentagne (??). Viele Häuser als Hindernis über die Straße gelegt. Dörfer fast alle zerschossen. Feindlicher Flieger durch Artillerie herunter geschossen. 19. August 1914 Biwak in Amply (??). Marsch durch die Ardennen.


10

20. August 1914 Zwei Tage tüchtige Märsche. 46 Kilometer den Tag. Bei Mongonteur (??) in Gefechtsbereitschaft. Feind 20 Kilometer entfernt. 21. August 1914 Sonnenfinsternis in Belgien. Aufbruch zum Marsch (um) 7.13 Uhr abends bis 5.15 Uhr morgens. Rast bei Füesvort (??). Über eine enge Hängebrücke. Visier auf 500 Meter gestellt.

22. August 1914 Mit 12 Jägern im Gefecht gewesen. 2 Bataillone gegen 1 Division. Ungefähr 50 Tote, auf feindlicher Seite ca. 700.

23. August 1914 Marschiert von nachts ¾ 3 (Uhr) bis andere Nacht um 2 Uhr. Von Dorfbewohnern überfallen (worden).


11

Zivilpersonen (haben) auf uns geschossen. Darauf von uns ein Feuer auf das Haus. Gefährlicher Moment. Alles musste sich flüchten, dass er nicht von den eigenen Leuten angeschossen wurde. Häuser überprüft, Nahrungsmittel mitgenommen. Wenn Zivilpersonen gefunden (wurden), wurden (sie) verhaftet und zur Kirche geschafft. (In) Rodeuny (??) die ersten französischen Gefangenen gesehen. Sonst zieht sich der Feind auf der ganzen Grenze zurück. In einem anderen Dorf wurden die Einwohner in einer Säuberungsaktion erschossen. Bis jetzt nur noch Nachtmärsche.

25. August 1914 Marsch bis zum nächsten Dorf. Dort Erschießung eines Einwohners. Dort eine Gruppe von unseren Volontären. Vorbereitung zur Einschiebung in die Gefechtslinien. Feind hat keinen Ausweg mehr. Nachts ¾ 12 Uhr Alarm - durch dichtes Gestrüpp gekrochen. Alles dun-


12

kel, hintereinander angefasst ging es vorwärts. Starkes Artilleriefeuer.

26. August 1914 Bataillon hetzt zur Stärkung des linken Seitenflügels. Passierend Dorf mit ca. 1000 Einwohnern, geplündert und einige Häuser verbrannt. Danach Marsch zurück durch das Dorf.

27. August 1914 Überschreiten die Maas über Kriegsbrücke. Dort das III. Bataillon der 179. im Gefecht gelegen. Franktireurs (haben) mitgekämpft. Ca. 70 Tote und Verwundete.

28. August 1914 Eisenbahnbrücke gesprengt bei Hesmocares (??). Infanterieregiment (hat) schwere Verluste durch eigene Artillerie.


13

29. August 1914 Vor dem Feind. Turkos (algerisches Schützenregiment) hatten ein Dorf besetzt. Turkos zurückgeschlagen. Viele Tote, 40 bis 50 Gefangene. Offiziere waren (auch) dabei; Verfolgung des Feindes in Richtung Verdun.

30. August 1914 Unser Regiment (hat) verschanzten Feind bei Verdun geschlagen. Patrouille gehabt. Vom Feind früh nichts zu sehen. Ein Dorf (war) von feindlicher Infanterie und Kavallerie besetzt. (Von) dort sind sie weiter zurückgedrängt (worden). Zwei Fälle (von) schweren Hitzschlag. Sanitätsoffiziere benachrichtigt. Mit den Worten: „Ihr verfluchten Hunde, denkt ihr, wir fahren euch mit dem Kinderwagen.“ Danach gingen sie zu den (anderen) Kranken. Dann Biwak in einer Talmulde.


14

31. August 1914 Von früh ½ 6 Uhr bis 9 Uhr abends friedliches Beisammen-sein. Um ½ 10 Uhr ging ein Artilleriefeuer in unser Lager nieder. Es gab einige Verletzte und Tote. Unser Bataillon lag allein in der Talmulde. Unser Bataillonskommandeur war wahrscheinlich tot. (Der) Hauptmann nahm die Führung in die Hand. Darauf gingen wir in Stellung. Der großen Hitze wegen ein schweres Vorwärtskommen. Wir kamen dann in ein heftiges Artilleriefeuer und Infanteriefeuer. Wir waren entschieden zu schnell vorwärts gekommen. Links neben mir schlug eine Granate ein und wühlte ein Loch von 1 Meter Tiefe. Ich wurde vollständig mit Erde zugedeckt. Fähnrich Zimmermann wollte Antwort haben, wie er sich zu verhalten habe, und rief deshalb nach dem Hauptmann. Kaum hatte er den Hauptmann gesehen, ein Aufschrei und Wimmern – eine Granate hatte ihn getroffen. Nun folgte Einschlag auf Einschlag. Unser dritter Zug war fast vollständig vernichtet. Wir hatten keinen Führer mehr. Nur das feindliche Infanteriefeuer


15

hat uns nicht geschadet. Nun ging es über alles drüber weg. Das war ein grauenhaftes Bild, das alles anzusehen und anzuhören, wie die Verwundeten umsanken und wie sie schrien. Dem Einen das Bein weggerissen, dem Anderen die Brust aufgeschlitzt und anderes, was man nicht sah. Ein Schmerz zerreißender Schrei: „Sanitäter hierher!“, doch es war keiner zur Stelle. Wir gingen zurück. (Wir) 13 Mann und ein Leutnant kamen dann endlich bei der Bagage an, wo wir etwas Ruhe hatten. Hier habe ich gemerkt, dass es doch einen Gott gibt.

1. September 1914 Mit der (getroffenen) Bagage weiter gemacht, dann unserer Regimentsbagage angeschlossen. Abends ½ 12 Uhr kommen wir bei unserer Kompanie an. Unser Hauptmann ist selbst an der rechten Hand verwundet. Ein freudiges Wiedersehen war es, als ich meine Kameraden wiedersah. Einer von unserer Kolonne war am Fuß verwundet. Insgesamt hatten


16

wir 118 Verwundete, 5 Tote und 6 bis 7 Vermißte. 2. September 1914 Marsch auf Lherlons zu. Sonst alles eben, aber tüchtig heiß. Nachmittags bekamen wir die freudige Nachricht, dass die Franzosen ihre Stelle eiligst verlassen haben und in Eisenbahntransporten nach Paris befördert werden.

3. September 1914 Auf dem Truppenübungsplatz stehend die Auffüllung gehabt. Es war ¼ 1 Uhr nachts.

4. September 1914 Die französische Châlonsarmee hat sich sehr leicht ergeben. Abends freundlicher Einzug in die Stadt mit Musik. Das erste Mal seit Leisnig im Bett geschlafen.


17

Unsere Kompanie quartierte in einem Krankenhaus.

5. September 1914 Rasttag. Früh in die Stadt gegangen und was zu Essen geholt. Viele Läden geschlossen. Nur ein Kolonialwarenladen war auf, aber keine Leute für den Verkauf waren drin. Ölsardinen, Zucker, Waffeln und Likör mitgenommen.

6. September 1914 Früh Abmarsch von Châlons (sur Marne).

7. September 1914 Abends 6 Uhr verwundet in der Schlacht bei Vitri (sur Orne). Zurückgeschleppt auf den Feldverbandsplatz. Abends ½ 9 Uhr Verband angelegt und in einer Scheune (eines Gehöftes) geschlafen.


18

8. September 1914 Viele Pioniere, die im Gehöft Wasser holen sollten, werden von einer Granate getroffen und verwundet. 2 Männer (sind) sofort tot. Nachmittags 5 Uhr (wurde ich) nach den Feldlazarett geschafft. Neuen Verband angelegt. Feldwebel Brühm daselbst mit Verwundung am Gesäß. Nachts ½ 12 Uhr alles wieder aufstehen und in die Wagen steigen. Bis 4 Uhr in den Wagen gesessen und dann wieder in die Scheune (zurück) gefahren.

9. September 1914 Das Heilige Abendmahl empfangen. Abends weggefahren bis 23 Kilometer vor Châlons, immer weiter gegen den Feind. Mit einer Fuhrparkkolonne gefahren, dann mit einem Automobil (nach) Vozire (??). Dort einen Tag gelegen.


19


20

11. September 1914 Mit der Kleinbahn bis Okur (??) gefahren. Von da mit dem Auto nach Verdun.

11. bis 16. September 1914 In einer Dragonerkaserne gelegen. 16. September 1914 Fahrt im Auto von Verdun nach Luxemburg von 3 Uhr nachmittags bis ½ 10 Uhr abends durch Belgien.

17. September 1914 Warten in Luxemburg. Fahrt in die Heimat.


21

20. September 1914 In Halberstadt ausgeladen und ins St.Salvador-Krankenhaus gebracht. Sehr gute Pflege. Bin auf einmal ruhrkrank.

22. September 1914 Am 22. September bin ich geröntgt worden, damit der Arzt weiß, wo die Splitter sitzen.

14. Oktober 1914 Durch die Ruhrkrankheit konnte keine Operation vorgenommen werden, da mir am 6. Oktober der Magen ausgepumpt wurde. Habe mich soweit erholt und bin heute operiert (worden). Habe aber tüchtige Schmerzen gehabt. Werde nun bald wieder laufen können.


22

6. November 1914 Heute versucht, ob ich laufen kann. Habe von meiner Kompanie 8 Tage Urlaub bekommen. Sonntag geht es nach Leipzig, um die anderen Verwandten zu besuchen. vom 29. November 1914 bis 1. März 1915 in Garnison Leisnig 1. März 1915 Von Leisnig nach Wurzen transportiert. Quartier im „Schweizer Garten“ bezogen. Nur auf dem Fußboden auf Stroh geschlafen.

2. März 1915 (Für) Mobil (erklärt) zum 2ten Transport ins Feld.


23

3. März 1915 Feldmarschmäßig eingekleidet, Wäsche und eiserne Ration gefasst. 4.30 Uhr Abschied vom Bataillonskommandeur im Kasernenhof vom 179. Infanterieregiment. Danach ging es ins Quartier zurück. Das habe ich auf Befehl nicht mehr verlassen, da Absperrkommando bis ½ 10 Uhr abends. 6. März 1915 Zum zweiten Mal (zum) Frontkrieg. Obigen Datums in Brüssel angekommen. 7. März 1915 Haubourdin. Quartier in einer SunlichtSeifenfabrik bezogen. Liegen 3 bis 4 Tage in diesem Ort als Korpsreserve. Werden dann den Regimentern zugeteilt. In der Fabrik befindet sich ein Gaskocher. Für uns ganz praktisch, (es) wird öfters Kaffee gekocht. Haben auch einen saftigen


24

Schinken requiriert. Nachmittags können wir zwei Stunden auf den Markt gehen. Ist aber kein besonderes Wetter. Immer nur Regen, die Kanonen wummern dazu. Man hat das Gefühl wie bei einem schweren Gewitter. Liegen jetzt (nur) noch 14 Kilometer hinter Front.

9. März 1915 Am 8. März die zweite Feuertaufe erhalten. Liegen in der Stellung der 107ten. Bin wieder meinem alten Regiment und Kompanie zugeteilt. Liegen in Lomme bei Lille. Dasselbe ist dermaßen befestigt, dass ein Wiedererobern durch den Feind unmöglich ist. Sind 6 Tage im Schützengraben und zwei Tage in Ruhe in einem Massenquartier in Lomme. Im Graben ist es tüchtig nass. Gesprengt wird nur des Nachts. Da werden Kisten mit Erde gefüllt und drei übereinander gestellt zu beiden Seiten der Laufgräben, damit man ungehindert in die Schützengräben gelangen kann, ohne von einem feindlichen Geschoß getroffen zu werden.


25

Sturmangriffe sind hier seit vor Weihnachten nicht mehr vorgekommen. Artilleriekämpfe auch nicht, zwecks (wegen) der kurzen Entfernung, da sie sonst die eigenen Leute treffen würden.

11. März 1915 Wache am Leichen“gut“ gehabt. Deshalb „Gut“, wo etwas gefunden wurde, hat (diese Stelle) einen besonderen Namen erhalten. Da gibt es plötzlich ein Schreien „Wasser“ beim Leichengut. Wollte wieder zur Kompanie zurück. Die ist 20 Minuten vom Graben entfernt. Habe aber den Weg nicht wieder gefunden und war einem Feuer ausgesetzt. Bin gekrochen und gehüpft, über einen Drahtverhau gestolpert und wieder zurück ins Leichengut und gewartet bis unsere Kameraden kamen.

13. März 1915 Liegen in Reserve in einer kleinen Küche, können dort kochen und braten. Dürfen


26

uns aber nicht sehen lassen, bekommen sonst feindliches Feuer. Bin ich froh, dass ich gleich am ersten Tag in den Schützengraben gekommen bin. Die anderen sind nach Arras gekommen, wo viele ihr Leben lassen mussten. Haben dort mit Inder gekämpft. Letztere sollen danach aufgestapelt gelegen haben, so viele Tote sollen sie gehabt haben. 16. März 1915 Bis jetzt noch keine Post aus der Heimat erhalten. Vorerst ist es hier ganz ruhig, nur des Nachts geht das Brummeln los. Auf die kurze Entfernung muss man sehr vorsichtig sein. Die Engländer werfen immer Konservenbüchsen, die mit Sprengpulver gefüllt sind, in unsere Gräben. (Liege) nahe neben einem erbeuteten englischen Maschinengewehr, was einen kolossalen Krach macht. Unser Schützengraben ist im Zickzack gebaut und ungefähr bis an die Schultern ausgehoben. Darauf sind Sandsäcke gebaut, dicht nebeneinander, damit kein Geschoß durch


27

kann. Nur aller 6 Schritte sind Gucklöcher eingebracht. Sobald eine Leuchtkugel abgeschossen wird, muss man durch die Gucklöcher sehen, ob der Feind eventuell Versuche macht, uns anzugreifen. Es ist für jeden Angreifer schwierig. Erstens müsste man über die hohe Schützengrabenmauer, dann Drahtverhau und ein tiefer Graben und wieder ein Drahtverhau. Wir sind in verschiedene Gruppen eingeteilt. Zu einer Gruppe gehören 8 Mann und die haben alle einen Unterstand. Derselbe ist ein schrapnellsicheres Bretterhäuschen. Am Tage stehen von früh 7 bis abends 7 allemal 2 Mann im Schützengraben Wache. Kommen also auf jeden Mann den ganzen Tag 9 Stunden Wache. Die andere Zeit sind wir im Unterstand. An Schlafen aber nicht zu denken. Sind immer alarmbereit. 19. März 1915 Liegen in Lomme in Ruhe. Sind geimpft (worden) gegen Cholera. Können hier auch Baden. Am 18. ist ein Kamerad an


28

beiden Händen verwundet (worden). Gerade in dem Moment, als er durch die Schießscharte schießen wollte. Gleichzeitig kam noch eine Gewehrgranate und verletzte ihn am Kopf. 22. März 1915 Waren 2 Tage in erster Linie, liegen jetzt im Reservegraben. Da kann man erst wieder schlafen. In unserer Kompanie sind wieder 2 Unglücksfälle vorgekommen. Ein Mann steigt auf die Bank im Schützengraben und schießt über die Deckung. Beim zweiten Schuss fällt er zu Boden und ist an der Pulsschlagader getroffen. Die anderen zwei sind durch eine Konservenbüchse, die mit Kugeln, Schrauben und Dynamit gefüllt war sehr schwer verwundet (worden). Dem Einen Bein und Kinnlade weggerissen, dem anderen die Hand.


29

26. März 1915 Habe heute viel Post aus der Heimat erhalten. War jetzt zwei Tage in erster Linie und einen Tag in zweiter Linie. Heute geht es wieder nach Lomme. Da kann man auch mal Bier genießen. 31. März 1915 Habe mir gestern einmal Lille angesehen. Dürfen jedoch nur bis zur Wache. Die Deutschen haben Angst, das wir womöglich durchbrennen könnten. In Lille gibt es ganz schöne Parkanlagen. War zum Impfen. Auf dem Heimweg fing die Artillerie an zu schießen, 30 Minuten und zuletzt eine gelbe Schwefelgranate. Gott sei Dank ist nichts passiert. 1. April 1915 Der erste Osterfeiertag. Den ganzen Tag hat es geregnet. Habe wieder im Graben gelegen. Die ersten Stunden vergehen


30

(schnell), die letzten 2 bis 3 Stunden sind ekelhaft. Auf die kurze Entfernung muss man tüchtig aufpassen, damit wir nicht überrumpelt werden.

7. April 1915 2 Männer von jeder Gruppe lernen Handgranaten zu werfen. Da wird auf ein zerschossenes Haus geworfen, da kann man gleich die Wirkung beobachten. Auch wird unter unseren Schützengraben weg gegraben – bis zu dem englischen Graben (wird) unterminiert.

14. April 1915 Wieder verschiedene Verluste gehabt. 1 Mann tot und 4 verwundet. Dem Einen ist durch eine Handgranate der Kopf abgerissen (worden) und den anderen das Gehirn ins Gesicht und auf den Rücken gespritzt. Das war grauenhaft anzusehen.


31

20. April 1915 Krank gemeldet. Habe starken Darmkatharr. Liege in Eskapek in der Revierstube. Bekomme Pillen und Tee. In der Krankenstube ist eine richtige Schweinewirtschaft. Es ist ein dreckiges Gehöft. Da liegen wir in 6 Zimmern verteilt auf Stroh. Es spottet jeder Beschreibung, was alles für Kranke hier sind. Da sind Leute mit Fuß-, Kopf- oder Armschuss, also denen es schwerfällt, sich allein zu behelfen. Die sollten doch lieber in ein Lazarett geschafft werden, damit sie bessere Pflege und Lager hätten. Dann sind hier noch Darm- und Geschlechtskranke. Das einzige Schöne ist der große Park, wo es sich schön spazieren lässt. Ist auch eine Erholung von dem Getöse im Schützengraben.

28. April 1915 Bin wieder gesund und auch schon im Schützengraben. Hier scheint es alle Tage gefährlicher zu werden. Müssen gewärtig


32

sein, dass wir eines Tages mal in die Luft gehen (werden). Hier ist die engste Entfernung, wo die Unterminierung vonstattengehen kann. Wir selbst unterminieren bei der 7. Kompanie, sind schon 15 Meter vor. Ob und wann wir dann englische Gräben sprengen, ist noch nicht bestimmt. Bei Ypern, wo die Deutschen vorgedrungen sind, haben erst Pioniere mit Gasbehältern gearbeitet. Der Inhalt (der Gasbehälter) war so stark, dass die Engländer betäubt im Graben gelegen haben. Unser Kaiser selbst (ist) mit bei Ypern gewesen. Soll es verboten haben, wieder Gasbehälter zu benützen, weil es zu grauenhaft sei.

5. Mai 1915 Haben wieder drei sorgenvolle Tage hinter uns. Wir waren gerade im Schützengraben, als die 139., die gleich rechts neben uns liegt, zu einem Scheinangriff musste. Am ersten Tag hat die Artillerie


33

furchtbar geschossen. Es war unheimlich warm. Die Granaten flogen über unsere Schützengräben. Wir mussten uns völlig ruhig verhalten. Keinen einzigen Schuss durften wir abgeben. Die Laufgräben waren gesperrt. Wer keine Wache hatte, durfte nicht hinaus. Die Engländer sollten denken, wir sind zur Unterstützung nach Ypern (gegangen). Wir hoffen nun, dass die Engländer uns angreifen wollten. Aber nichts war. 12. Mai 1915 Von unserem Regiment sind zwei Mann zu den Engländern übergelaufen. Einer von der Dritten Kompanie. Er sollte bestraft werden, weil er eine Ladenkasse geplündert hatte. Er meldete sich freiwillig zu einem Kontrollgang. Wie er über den Drahtverhau weg ist, ruft er: „Nun könnt ihr mich nicht mehr verfolgen.“ Musste bei den Engländern in den Graben. Die dritte Kompanie liegt nur 600 Meter von den Engländern weg. Am anderen Tag hat die feindliche Artillerie das Offi-


34

zierskasino beschossen. Auch eine Batterie von uns, von der die Engländer gar keine Ahnung haben konnten, ist beschossen worden. Also hat er alles verraten.

15. Mai 1915 Bei uns tobt jetzt der Kampf links und rechts von uns. In der Stellung, wo ich liege ist, (es) so halbwegs ruhig. Aber Schrapnell schießen schon in den Laufgraben und in die zweite Stellung. Wenn man jetzt in Lomme liegt, muss man gewärtig sein, dass Alarm ist und fort geht’s. Haben jetzt wieder drei Todesfälle hintereinander zu verzeichnen. Einer Herzschuss, der andere Geschlechtsschuss. Nachts kurz vor 12 Uhr ein alter Landwehrmann – Kopfschuss. Er stand 4 Meter von mir, sah nach der Uhr, sagt darauf: „Nur noch zwei Minuten, dann werden wir abgelöst“. Auf einmal hören wir etwas fallen. Wie wir hinsehen, liegt der alte Landwehrmann da und das Blut


35


36

kam tüchtig gelaufen. Hat einen Schuss durch die Schießscharte bekommen, der als Querschläger in trifft.

20. Mai 1915 Bei den Kämpfen in Arras soll es wieder schrecklich hergegangen sein. Haben 54 Mann mitgeschickt und 13 sind nur wiedergekommen. Die Unseren waren erst zurück-geworfen (worden), haben aber dann Verstärkung erhalten und dann ging`s wieder vor und haben die Stellung wieder erobert, bis auf den ersten Graben, welcher total zerschossen war. Sind also höchstens 300 Meter zurück. 7. Juni 1915 Denken, dass die Engländer durchbrechen. (Sie) haben schon ihre Drahtverhaue durchgeschnitten. Die Unseren, (die) im ersten Graben liegen, werden vollständig zugrunde gehen, die können


37

nicht zurück, weil der Laufgraben zur zweiten Stellung abgeschlossen wird.

23. Juni 1915 Als wir im ersten Graben waren, wurden wir nachmittags mit schwerer Artillerie beschossen. Ein Glück war es, dass die Leute meiner Gruppe nicht im Unterstand waren. Es schlug eine Granate dicht davor ein. Die Splitter flogen in die Bude und haben die ganzen Sachen von uns zerrissen. Ich stand gerade Wache, als die Granate 4 Meter von mir einschlug.

22. Juli 1915 Sind jetzt mit dem Untermininieren weitere 30 Meter vorwärts. Links so 25 Meter, rechts 40 Meter weit. Müssen dann in den Minenschacht eine Stunde Grenzposten verrichten. Sonst ist es ganz schön eingerichtet. Elektrisches Licht haben wir dort unten.


38

Aber eine dumpfige Luft, dass man froh ist, wenn man wieder raus ist. Vergangene Nacht hat die 4. Kompanie einen englischen Korporal angeschossen, der mit noch zwei Mann auf Patrouille war. Haben den Engländer in unseren Graben geschleppt. Er hatte über der Brust eine Pfeife hängen. Der Leutnant von der 4. Kompanie pfeift, auf einmal ein mörderisches Feuer von drüben. Darauf ist der Leutnant zu zwei anderen (Gruppen) gegangen und wieder das Feuer. Am 16. Juli, wo die Engländer durchbrechen wollten, war alles ganz ruhig und nur ab und zu Artilleriefeuer. Es wurden dabei 4 Mann von der 7. Kompanie von einem Schrapnell getroffen. 3 Mann sofort tot, der andere am nächsten Tag. 31. Juli 1915 Heute wieder im Schützengraben und auch gleich Horchposten im Minenschacht bezogen. Die Engländer haben uns jetzt Konservenbüchsen herübergeworfen und auf die Büchsen geschrie-


39

ben: „Den Berliner Witzbolden als erstes Frühstück gewidmet.“ Die Engländer wissen nämlich noch nicht, was für Truppen (sächsische) wir sind. Aber auf jeden Fall hat es was zu bedeuten. Ob sie wieder freundschaftliche Annäherungsversuche machen wollen wie Weihnachten bei der 107. Kompanie oder ob es eine Lockung sein soll? Die Engländer sind nämlich ganz hinterlistige Leute. Bei uns sieht es noch gar nicht danach aus, dass der Krieg bald zu Ende ist. Bei uns wird noch immer feste ausgebaut. Auch die Engländer arbeiten tüchtig.

4. August 1915 Hier gehen mal wieder tüchtig Marschgedanken um. Es kommt (von den Engländer) alles durcheinander. Minen, Flugbummer, schwere Artillerie und Maschinengewehrfeuer.


40

5. August 1915 Wieder sind drei Tage in erster Linie vergangen, die ich nicht so gleich wieder vergessen werde. Vom 31. Juli bis 3. August sind wir dermaßen mit Feuer überschüttet worden, dass wir nicht anders dachten, es geht los. In unmittelbarer Nähe schlug eine Mine ein. Die Luft war zum Ersticken, dass wir gezwungen waren die Rauchmasken um zu machen. Es war wie ein Wunder geschehen, dass uns nichts weiter zustieß. Wir erwiderten das Feuer und nun ging`s wieder los. Haben die drei Tage kein Auge zugetan. 7. August 1915 Verlassen vielleicht in 14 Tagen unsere jetzige Stellung. Haben ja nun alles ausgebaut. Kommen vielleicht 3 Wochen hinter die Front nach Loos ins Quartier, wo natürlich tüchtig exerziert wird.


41

Es ist nun alles durcheinander: Aktive, Reserve, Landwehr und ungedienter Landsturm. Damit alles zusammen harmoniert, soll exerziert werden. Es ist genau sowie beim 107ten. Kommen dann wieder in unsere alte Stellung. Die 4. Kompanie hatte vorgestern wieder mal 3 Engländer auf Patrouille gefangen, deswegen hat der Hauptmann das Eiserne Kreuz 1. Klasse erhalten. 10. August 1915 Wir sind noch bis Sonnabend im Graben und kommen dann nach Loos. Es ist nicht weit von Lomme entfernt. Höchstwahrscheinlich 10 Tage und kommen dann wieder in unsere alte Stellung, wenn in der Zeit nichts dazwischen kommt. Bei uns gibt es jetzt sogar auch exerzieren, wenn jemand im Schützengraben ein Gewehr hat, wo Schmutz dran ist. Er muss dann zwei Stunden exerzieren. Kaum hat man (jedoch) sein Gewehr geputzt und in der nächsten Minute


42

kommt ein Mann vorbei und das Gewehr sieht wieder (schmutzig) aus.

15. August 1915 Haben jetzt sehr wenig Zeit. Der Dienst ist dermaßen, dass man jede freie Minute ausnützen muss sein Zeug, was wir haben, in Ordnung zu bringen, damit man nicht auffällt. Um 5 Uhr früh ist Wecken, dann Kaffee fassen, 6.30 Uhr antreten und exerzieren bis 10 Uhr. Von 11 bis 12 Uhr Gewehr reinigen, 12.30 Uhr Essen fassen. 2.50 Uhr Instruktionsstunde dann Appell und um 7.15 Uhr (ist der) Dienst aus. Gehe nur Postkarten lesen und um 9 Uhr ins Bett. Ist jedoch immer noch besser als im Graben. Am 30. 8. sollen wir wieder in unsere alten Stellungen kommen. Kann aber auch anders (werden).

19. August 1915 Kompaniefest, großes Schweineschlachten mit komischen und juxerischen Auffüh-


43

rungen. Frische Wurst und Semmeln gab es auch. Abends Wellfleisch gegessen. Liegen jetzt in Armeereserve, können, wenn was losgeht, von Ypern bis Arras eingeschoben werden.

29. August 1915 Rücken Dienstagnacht wieder in unsere alte Stellung, auf wie lange wissen wir nicht. Wir wollen jetzt in großen Massen durchbrechen. Das wird Anfang September sein. Es soll eine dreistündige Kanonade bei Ypern stattfinden, damit der Engländer seine ganze Reserve dort hinzieht. Aber am entgegengesetzten Ende, bei Arras, soll der Durchbruch sein. Dann wird das Marschieren wohl wieder losgehen.

31. August 1915 Das Schützengrabenleben hat wieder seinen Anfang genommen. Die Begrüßung


44

(durch) die Engländer war ruhig. Wir wollen mal sehen, wie es ihnen wieder mit uns gefällt. Die 133te hat sich Leute wegfangen lassen, während wir von den Engländern welche gehascht haben. 14. September 1915 Heute sind nun 4 Tage von den 12 Tagen vorbei, aber die waren ganz gut. Die Engländer haben uns zwar Tag und Nacht keine Ruhe gelassen. Sind nun in zweiter Stellung, die ist doch ein bisschen angenehmer. Werden den Engländern beim Sprengen wohl tüchtige Verluste zugefügt haben. Bin am 13.9. zum Gefreiten befördert (worden).

26. September 1915 Die Engländer haben sich wieder unter schweren Verlusten zurückgezogen. Wir befinden uns wieder in unseren Graben. Sind ganz durchnässt, hat gestern furchtbar geregnet.


45

14. November 1915 Am 12.10. haben wir wieder zwei alte Kameraden von uns begraben. Einer war Unteroffizier, mit dem ich gedient habe. Auch zwei englische Fliegeroffiziere haben wir begraben. Da waren verschiedene hohe Herren mit zu diesem Begräbnis. Anschließend war die Beerdigung unserer Kameraden. Die Offiziere gingen aber ihre Wege. Nicht einmal unseren Kameraden erwiesen sie die letzte Ehre. Da wird der Feind demnach mehr geehrt als wir.

12. Dezember 1915 Verhängnisvolle Tage sind wieder hinter uns. War in Reserve in Lomme. Es war nachmittags ½ 2 Uhr gerade beim Stiefelreinigen. Auf einmal ging`s „Ssssbruch“. Eine schwere Schwefelgranate platzte unmittelbar in unserer Nähe. Ich 1, 2, 3 den Rock an, Mütze um und fortgerannt. Die Zweite da. Schreckliches Bild überall. Einen war das Bein abgerissen, den anderen


46

die Schädeldecke weg. Jetzt die dritte (Granate), ein Volltreffer im Burgturm. Dann folgte eine auf die andere. In das Lazarett in Lomme haben sie 8 Mal reingeschossen, wobei 6 Verwundete ihr Leben lassen mussten. Auch von unserer Kompanie ein Mann, der nicht rechtzeitig fort kam, ist von einem Splitter tÜdlich getroffen (worden). Die Einwohner schrien, wussten sie doch nicht, ob ihre Kinder mit dabei waren. Tote Pferde lagen auf der Wiese, alle Fensterscheiben kaputt. 93 Stßck von der Sorte (Granaten) haben sie nach Lomme geschickt.

17. Dezember 1915 Habe Urlaub erhalten. Bin voraussichtlich am 20. um 12 Uhr mittags in Leipzig. Bis 29. 12. Urlaub.


47

30. Dezember 1915 Bin nun wieder glatt gelandet um 1 Uhr nachts. Waren meist nur in unseren Quartieren. Kamen gerade zur Weihnachtsfeier der Kompanie an. Es war ganz schön, doch packte es mich ein paar Mal, dass ich nun schon das dritte Mal von zu Hause weg bin.

1. Januar 1916 Neujahr im Feld. Habe geschlafen, doch Punkt 12 Uhr machte mich unsere Militärmusik, die durch die Preußischen (Truppen) zog, munter. Doch zwei Stunden darauf war wieder der schönste Angriff von den Engländern. Haben aber nichts erreichen können.

11. Januar 1916 Liegen jetzt wieder 3 Tage in Reserve. Der letzte Tag im Graben konnte für uns gefährlich werden. Nachts ¾ 4 Uhr ging


48

es los, ein Gepfeife und Getute, es war Alarm. Schnell kraxelten wir aus unserer Unterkunft heraus und sahen links von uns ein helles Feuer. Die Engländer versuchten einen Grabenangriff und wir sahen von dort Wolkenschichten kommen. Unsere Artillerie zerschoss feste, deshalb entstand dort Feuer. Uns gegenüber war es wie ausgestorben, kein Schuss fiel. Mussten nun angestrengt beobachten, dass die drüben uns nicht überrumpeln. Unsere Artillerie schoss zwar, aber immer zu kurz, (so) dass die Granaten in unseren Graben fielen. Hatten dadurch zwei Mann Verluste. Nach und nach trat auch links von uns wieder Ruhe ein.

13. Januar 1916 Sind wieder einmal mit dem blauen Auge davon gekommen. Die Engländer haben Minen geschleudert. Aber schnell waren wir im Kaninchenbau. Habe auch einmal beobachten können, wie unsere Artillerie einen Flieger abschoss. Direkt einen Volltreffer. Das Ding war auf einmal eine


49


50

Feuersäule. Es sah wirklich schaurig schön aus. Ein Munitionslager haben sie in die Luft gesprengt in der Nähe von Lomme-Lille. 40 Soldaten und über 500 französische Einwohner sind dabei kaputt gegangen. Durch was das gekommen (ist) ist noch nicht raus.

14. Februar 1916 3 Tage liegen wir schon in heftigen Artillerie- und Minenfeuer. Haben gestern und vorgestern 7 Stunden lang immer auf ein und denselben Platz gesessen im granatensicheren (Unterstand), welcher unglücklicherweise noch mit Wasser gefüllt ist, dass wir die Füße im Wasser hängen haben. Frieren natürlich heftig und an Essen kann man auch nicht denken, wenn man nicht irgendein Stück Brot einstecken hat. Heraus kann man nicht bei der Schießerei. Es summt und surrt von Splitter in der Luft. Haben natürlich auch Verluste. Heute sind 14 beerdigt worden und morgen werden noch einmal 11 Mann beerdigt werden vom I. und II. Bataillon.


51

Von unserer Kompanie sind 2 Mann tot und 3 Mann verwundet. Bei der 5. Kompanie ist eine schwere Granate in den Unterstand gefallen. Es waren 3 Mann drin, die natürlich vollständig zerdrückt wurden. Einen der Kopf weg. Ein anderer, der in kauernder Stellung saß, war nur noch eine breitgedrückte Masse, von der man nichts mehr erkennen konnte. Die Schießerei ging meist von uns aus. Die Engländer sollten getäuscht werden. Wir haben nämlich an einer ganz anderen Stelle angegriffen. Die Engländer müssen tüchtige Verluste haben. 24. März 1916 Gestern waren wir baden, etwa 300 Meter hinter dem Feind. Das Bad liegt in einem Schlossgang, schön eingerichtet. Es kann allerdings nur abends benutzt werden, weil sonst der Rauch des Schornsteins gesehen wird. Hier hausen wir jetzt. Alles mögliche gemacht.


52

7. April 1916 Bei uns hat sich jetzt ein sehr trauriger Fall ereignet. Rechts von uns ist die 2. Kompanie angelangt. Die haben an der Deckung gearbeitet. Wo nun unsere Posten rausgehen, denken die von der 2. Kompanie, es sind Engländer und hauen einen von uns mit dem Spaten auf den Kopf. Der andere sieht das und denkt ebenfalls, es sind Engländer und schießt die 2 Mann von der 2. Kompanie um Haufen. Die waren sofort tot. Es ist sehr traurig. Der Mann, der sie erschossen hat, hat geweint und geschluchzt und konnte sich gar nicht wieder zu frieden geben. 30. Juni 1916 Haben wieder zwei schwere Tage hinter uns. Es ist mehr rechts von uns gewesen, wo wir jetzt liegen. Der Graben ist ziemlich 400 Meter vorverlegt (worden). Waren (erst) etwa 700 Meter von den Engländern entfernt, jetzt sind es nur noch 120 Meter. Ohne Weiteres lassen sich das


53

die Engländer nicht gefallen, (deshalb) werden wir nun tüchtig beschossen. Auch schießt unsere Artillerie was das Zeug hält, dass ein richtiges Trommelfeuer zustande kommt. Gestern habe ich einen sehr schaurigen Anblick gehabt. Von uns stehen zwei Fesselballons oben, um zu beobachten. Die sahen aus wie Parzival. Es war abends ½ 10 Uhr, da kommen englische Flieger aus den Wolken und stürzen sich auf die Ballons und schießen eine Brandbombe ab. In kaum zwei Minuten waren die Ballons vernichtet. Ein Beobachter konnte sich noch rechtzeitig mit einem Fallschirm retten.

3. Juli 1916 Bei uns tobt schon 4 Tage der Kampf. Jetzt ist es einigermaßen wieder ruhig geworden. Die Engländer hatten bei uns angegriffen, sind aber abgeschlagen (worden). Die Engländer haben zweimal einen Gasangriff gemacht und uns tüchtig mit der


54

Artillerie zugesetzt. Der Gasangriff war dermaßen stark, dass wir etliche Gasvergiftete haben. Mäuse, Ratten und Hunde sind überall tot aufzufinden. Das Gras und die Pflanzen sind schwarz geworden. Hatte einmal meine Maske abgesetzt und dachte, dass das Gas nun vorüber ist, aber ein schmerzliches Brennen und ein erstickender Geruch nach Chlor, zwang mich so schnell wie möglich die Maske wieder umzutun. Der Gasangriff dauerte ca. 1 ¼ Stunde. Wir haben alle so geschwitzt, dass der Schweiß nur so lief. Muss nun doch so langsam und richtig atmen wie möglich. Heute wurden wir abgelöst. Hatten 4 Tage nicht geschlafen. Die Gewehre waren verrostet. Da viele nicht mehr schießen konnten, ging es mit Handgranaten (weiter). 15 tote Engländer haben wir reingeholt. Es sind meist Australier. Die Zahl der Gefangenen ist noch unbestimmt, jedenfalls ein ganzes Teil.


55

11. August 1916 Schreckliche Tage sind es. Liegen seit 5.8. an der Somme. Der Feind greift des Nachts 3 bis 4 Mal an. Unser III. Bataillon hat schon sehr viele Verluste gehabt. Mit Kopfschüssen ist jetzt weniger zu rechnen, da wir Stahlhelme haben. Liegen vorläufig immer noch in einer Zwischenstellung. Haben aber auch schon Verluste durch Flieger und Artillerie. 20. August 1916 Sind heute wieder aus dem Gegenkessel heraus. Es kann aber jeden Augenblick wieder vorgehen. Haben schon ganz schöne Verluste. Sind etwa nur noch 70 Mann von der Kompanie (vorhanden). Habe beim Vorgehen einen Prallschuss (an der) linken Hüftseite (erhalten), aber nicht von Bedeutung. Es wird noch weiter gerammelt.


56

21. August 1916 Habe jetzt 12 Tage das Grauen hinter mir. Aber jeden Augenblick kann es wieder vorgehen. So wie es hier zugeht, habe ich noch nicht erlebt. In der Nacht vom 12. zum 13. August gingen wir vor. Schon in einer Entfernung von 5 Kilometern mussten wir in Marsch, immer hinter dem Vordermann her durch Sperrfeuer. Hier bekamen wir schon Verluste. Es ging durch ein Dorf, welches tüchtig beschossen wurde. Ein ekelhafter Leichengeruch kam uns hier schon entgegen. Am Ausgang des Dorfes sollten wir als Bereitschaftskompanie untergebracht werden. Es waren Unterstände von 5 Meter Tiefe in der Erde. Hier fühlten wir uns sicher. Sollten 2 Tage dort liegenbleiben, aber kaum war eine Stunde vergangen, kam der Befehl zur 6. Kompanie vorzurücken. Natürlich waren wir müde und kaputt. Ja wie nun die Stelle finden. Kein Führer (da), der uns hinführen konnte. Auf der Karte wurde es unserem Kompanieführer gezeigt. Grup-


57

penweise geht es vor. Ein kleiner Halt zum Verschnaufen wird gemacht. Es ist in einem Hohlweg. Da kommen uns Pioniere entgegen, die mit ihrer Arbeit fertig sind. Wie sie nun auf die Höhe kurz vor dem Hohlweg kommen, kommt eine Granate und reisst zwei Kameraden zu Boden. Sie haben ihre letzte Arbeit getan. Es geht über viele Kameraden, die stumm da liegen, hinweg. Ein Schaudern ist es, wie sie alle da liegen. 6, 8 und 10 Mann in einem Granatenloch. Ein einziger Wunsch nur: Nicht hier verwundet werden auf freiem Felde. Man kann nicht zurückgebracht werden. Die Schießerei geht fort ohne eine kurze Pause. Von Granatloch zu Granatloch arbeiten wir uns vor. Noch ein kurzer Sprung und wir sind am Ziel. Vorher aber noch die Ungewissheit, ob wir auch richtig sind. Das Regiment soll bis jetzt 1800 Mann Verluste haben. 29. August 1916 Gott sei Dank sind wir am 28. August abgelöst worden. Waren also 3 Mal vorn.


58

Als wir das zweite Mal zurückgekommen sind, hatten wir nur 3 Stunden Ruhe, dann ging es wieder vor. Hätten es aber nicht länger ausgehalten. Wurden fast alle ruhrkrank. Nun noch der elende Regen, der Gestank der Leichen war unheimlich. Haben nun 5 bis 6 Tage Ruhe. Von hier geht es wieder in feste Stellung. Es ist ja dort auch nicht besonders ruhig, aber doch nicht halb so gefährlich wie dort an der Somme. 31.August 1916 Sind nun den 2. Tag in Ruhe. Heute hatten wir Aufstellung vor seiner Majestät König Fr. August (Anm. Friedrich August III, König von Sachsen). Es wurden da einige Orden ausgeteilt, später sollen noch einige folgen. Hatte die hohe Ehre von seiner Majestät angesprochen zu werden. „Wo hamse denn die Auszeichnung verdient?“ „Bei einer Patrouille Eure Majestät hier im Frühling.“


59

„Ach so, da bin ich doch auch schon hier gewesen.“ „Jawohl Majestät.“ „Äh, wo, wo sind Sie denn her?“ „Aus Halle an der Saale.“ „Aha so.“ Dann ging er weiter. Drei Tage waren wir vorn, wurden von der 12. Kompanie abgelöst. Jetzt geht es zurück. Froh sind wir außerdem (den) Gegenkessel hiermit zu entkommen. Auch beim Zurückgehen mussten wir einige Kameraden zurücklassen. Wir sind nun in die Quartiere zurück und können uns ausruhen. Nachmittags ist Dankgottesdienst angesetzt. Der Feldprediger erscheint, aber kaum hat er angefangen kommt eine Ordonanz und meldet: „Sofort alles alarmbereit!“ Das Zeug wird gepackt und fort geht’s das zweite Mal. Früh beim Nebel ging es vor. Wir hatten den Auftrag die Engländer und den Graben zu werfen. Beim Vorgehen erhielt ich dann einen kleinen Prallschuss, welcher mich einen Augenblick beim Vorgehen hinderte. Ich suchte mit noch einigen Kameraden Schutz in einen


60

Granatloch. Inzwischen war der Nebel verschwunden. Wir wollten heraus und sofort setzte von drüben ein Maschinengewehrfeuer ein. Ein Kamerad wurde getroffen. Wir mussten wieder zurück in das Loch. Waren auf eine unbesetzte Stelle geraten und waren direkt in den englischen Graben gelaufen. Am Abend beschlossen wir dann aus unserem Loch aufzubrechen. Aber was wir den ganzen Tag ausgehalten haben ist unbeschreiblich. Wir durften uns nicht rühren, sofort gaben englische Flieger Signale. Viele andere Kameraden, die auch in Granatlöchern lagen, wurden getroffen und verschüttet. Dachte auch jeden Augenblick, dass wir nun auch an die Reihe kommen. Konnten kaum noch liegen so kaputt waren wir. Von früh ½ 7 Uhr bis abends ½ 10 Uhr immer auf dem Bauch und ganz still liegen, das ist eine Tortur. Endlich wurde es dunkel und wir machten uns auf. Jetzt merkten wir, dass wir nur noch 15 Meter zum Graben der Engländer hatten. Wir mussten uns nun nach rechts halten. Hier wurden wir von unserer Artillerie beschossen. Wir suchten in Gra-


61

natlöchern Schutz. Jetzt sah ich auf einmal Licht - was ist das? Ich dachte ein Unterstand von den Engländern. Aber beim Näherkommen war es ein Signalfeuer für Flieger. Unsere Kompanie, die vorgerückt war, habe ich erst am anderen Tage gefunden. Viele von meinem 2. Zug, welcher zu weit nach rechts gekommen war, sind kaputt gegangen. Auch deren Führer, Feldwebel Kühne ist mit gefallen.

Mit diesen Eintrag endet das Tagebuch. Warum, weshalb? Wir wissen es nicht.


62


63

Es ist an der Zeit Weit in der Champagne im Mittsommergrün Dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blüh'n Da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht Im Wind, der sanft über das Gräberfeld streicht Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat Deinen Namen nicht, nur Ziffern und jemand hat Die Zahl neunzehnhundertundsechzehn gemalt Und du warst nicht einmal neunzehn Jahre alt Ja, auch Dich haben sie schon genauso belogen So wie sie es mit uns heute immer noch tun Und du hast ihnen alles gegeben: Deine Kraft, Deine Jugend, Dein Leben Hast du, toter Soldat, mal ein Mädchen geliebt?


64

Sicher nicht, denn nur dort, wo es Frieden gibt Können Zärtlichkeit und Vertrauen gedei'n Warst Soldat, um zu sterben, nicht um jung zu sein Vielleicht dachtest du Dir, ich falle schon bald Nehme mir mein Vergnügen, wie es kommt, mit Gewalt Dazu warst du entschlossen, hast dich aber dann Vor dir selber geschämt und es doch nie getan Ja, auch Dich haben sie schon genauso belogen So wie sie es mit uns heute immer noch tun Und du hast ihnen alles gegeben: Deine Kraft, Deine Jugend, Dein Leben


65

Soldat, gingst du gläubig und gern in des Tod? Oder hast zu verzweifelt, verbittert, verroht Deinen wirklichen Feind nicht erkannt bis zum Schluß? Ich hoffe, es traf dich ein sauberer Schuß? Oder hat ein Geschoß Dir die Glieder zerfetzt Hast du nach deiner Mutter geschrien bis zuletzt Bist Du auf Deinen Beinstümpfen weitergerannt Und dein Grab, birgt es mehr als ein Bein, eine Hand? Ja, auch Dich haben sie schon genauso belogen So wie sie es mit uns heute immer noch tun Und du hast ihnen alles gegeben: Deine Kraft, Deine Jugend, Dein Leben Es blieb nur das Kreuz als die einzige Spur Von deinem Leben, doch hör' meinen Schwur


66

Für den Frieden zu kämpfen und wachsam zu sein: Fällt die Menschheit noch einmal auf Lügen herein Dann kann es gescheh'n, daß bald niemand mehr lebt Miemand, der die Milliarden von Toten begräbt Doch finden sich mehr und mehr Menschen bereit Diesen Krieg zu verhindern, es ist an der Zeit Hannes Wader


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.