Passagen Nr. 55

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passagen

Kreativität und Kulturschock Kulturaustausch rund um den Globus Am Suezkanal: Der Künstler auf Spurensuche | Design: Objekte, die von der Schöpferkraft erzählen | Experiment: Klangforscher treffen Soundtüftler DAS K U LTU RMAGAZ IN V O N PR O H E LV E T IA, N R . 5 5 , AU SG Ab E 1 / 2 0 1 1


4 – 27 THEMA

Kreativität und Kulturschock: Kulturaustausch rund um den Globus

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ORTSZEIT Kairo: Halluzinieren am Suezkanal Von Lilo Weber

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Rom: Objekte, die von der menschlichen Schöpferkraft erzählen Von Eva Clausen

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REPORTAGE

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PRO HELVETIA AKTUELL Nationale Kulturförderung im globalen Mainstream / Vermittler aller Regionen vernetzet euch! / Literatur auf Tour in Zentralund Osteuropa / Schaufenster für Schweizer Kultur

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PARTNER Literaturnetzwerk Traduki Von Christine Lötscher

Unser Schwerpunkt ist illustriert mit Bildern zum schweizerisch-argentinischen Theaterprojekt Ciudades Paralelas – fotografiert von Lorena Fernandez. 6

Die Inszenierung des wahren Lebens Das Theaterprojekt Ciudades Paralelas macht städtische Lebensräume zur Bühne für Aktionskunst. Von Karen Naundorf

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Das Eigene im Spiegel des Fremden Die Biennale in Venedig ist ein Basar für den internationalen Kulturaustausch. Von Beat Wyss

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Berner Dialekt im Verkehrslärm von Pune Das Pro-Helvetia-Verbindungsbüro in New Delhi ist eine kleine Insel in der tosenden Vielstimmigkeit Indiens. Von Bernard Imhasly

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CARTE BLANCHE Kulturjournalismus von morgen Von Ruedi Widmer

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Von San Francisco bis Shanghai: Die Pro-Helvetia-Aussenstellen

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Auf Augenhöhe? Kulturaustausch zwischen Nord und Süd Der Kulturaustausch mit Afrika zwischen Neokolonialismus und Eigenverantwortung. Von Joseph Gaylard

SCHAUFENSTER Plattform für Künstlerinnen und Künstler Papierbaum Von Herbert Weber

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IMPRESSUM PASSAGEN ONLINE AUSBLICK LESERUMFRAGE: MACHEN SIE MIT!

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Paradoxes Heimweh Kunstschaffende aus der Schweiz und China berichten über Illusionen, Irritationen und kreative Anregungen. Von David Signer

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Titelbild: Lorena Fernandez

Ungewohnte Klangwelten Von Benoît Perrier (Text) und Isabelle Meister (Bilder)


Solides Fundament Kulturpolitik spielt in erster Linie zu Hause. Der internationale Austausch entzieht sich ihrem direkten Zugriff, zu vielfältig sind die Einflussfaktoren. Trotzdem fördern ihn alle europäischen und eine wachsende Zahl asiatischer Länder. Sie verwenden sogar dieselben Instrumente: von der Unterstützung einzelner Kunstprojekte wie Ausstellungen und Auftritte über Länderfestivals bis zum Betrieb von Kulturzentren. Allein, ihre Motivation variiert beträchtlich. Die einen polieren das nationale Image, andere schmieren die politische Mechanik, die dritten suchen Sympathie, die vierten packen den Wirtschaftsaustausch in Kunstpapier, die fünften geben ihren Kulturschaffenden die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu machen und diese nach Hause zu vermitteln. Die meisten Länder mischen die Motive. Der Cocktail hängt von der politischen Konjunktur ab. Und die Schweiz? Nach dem Zweiten Weltkrieg, der Europa in Schutt und Asche legte, lautete Pro Helvetias Auftrag kurz «Landeswerbung». Nur hatte Werbung damals nichts mit Marketing zu tun, sondern mit der Überzeugungskraft kultureller Inhalte, die sich von der Schweiz aus in die Welt verteilen sollten – mit logistischer wie finanzieller Hilfe der Stiftung. Daraus hat Pro Helvetia in 50 Jahren ihre aktuelle Mission entwickelt: die Neugier ausländischer Kultureinrichtungen mit dem Austausch- und Lernbedürfnis der Schweizer Künstlerinnen und Künstler zusammenzubringen, unabhängig von Stimmungen und Missstimmungen in Politik und Wirtschaft. Solche Auslandarbeit ist nicht auf grosse mediale Effekte und politische Inszenierungen aus, sondern auf die Gestaltung von dauerhaften Beziehungen. In Beziehungen übersetzen wir die Mittel, die wir vom Bund erhalten, weil Beziehungen eine Form von Kapital sind, das von selbst nachwächst, wenn der Grundstock einmal gelegt ist. Diese Arbeit ist kleinteilig, vielfältig, herausfordernd für alle Beteiligten. Sie gestaltet das Bild einer anspruchsvollen, auf Inhalte, Qualität und Überraschung bedachten Schweiz. Dieses Fundament ist solide, weil es in den Herzen der Menschen ruht. Passagen zeigt, nach welchen Prinzipien es konstruiert ist. Und wie andere bauen. Willkommen auf dem Rundgang durch die Welt! Pius Knüsel Direktor Pro Helvetia

E DIT O R IAL

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Internationale Kulturarbeit «Erst wenn du dich einer fremden Gesellschaft aussetzt, wirst du wirklich mit deinen eigenen kulturellen Wurzeln konfrontiert», so die Erfahrung einer Schweizer Künstlerin in China. Der Kulturaustausch über Landesgrenzen und Kontinente hinweg öffnet den Blick auf Fremdes ebenso wie auf Eigenes. Lesen Sie, wie Schweizer Kunstschaffende ein Publikum in Indien finden, ob Kulturaustausch auf Augenhöhe mit Afrika gelingen kann, und warum die Biennale von Venedig ein Spiegel interkultureller Begegnungen ist.

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eltsame Dinge passieren in Buenos Aires. In einem Bei der ersten Ausgabe des Festivals in Berlin im September 2010 Shoppingcenter gehen Passanten plötzlich rückwärts. konnten die Kuratoren auf die Unterstützung des Theaters Hebbel Die Bewohner eines Mehrfamilienhauses werden vom am Ufer (HAU) und damit auf einen institutionellen Rahmen bauen. gegenüberliegenden Gehsteig aus beobachtet und schal­ Wenige Monate später in Buenos Aires sind sie und die Produzen­ ten das Licht an, damit die Voyeure sie besser sehen. Wie ten vor Ort organisatorisch auf sich allein gestellt. «In Südamerika ferngesteuert blättern im Lesesaal der Nationalbibliothek Men­ arbeiten heisst, geduldig zu sein. Man muss herzlich auf die Leute schen gleichzeitig in Büchern, in denen viele Seiten leer sind. In zugehen», sagt Kaegi, der schon mehrfach in Argentinien gearbei­ einem Hotel erzählen Zimmermädchen intime Details aus ihrem tet hat. «Ein Ja ist nicht unbedingt ein Ja», gab die Argentiniern Leben und die Geschäftsführung hat nichts dagegen einzuwenden. Arias den europäischen Regisseuren mit auf den Weg. «Und ein Ein Blinder führt Sehende über eine steile Leiter auf ein Flachdach Nein heisst noch lange nicht, dass etwas wirklich nicht geht.» und zeigt ihnen von oben das Vielleicht aus Angst vor Über­ fällen, vielleicht weil sonst die Häuserdickicht der Stadt. Gelder fehlen, wird der öffent­ Es ist wie eine Verschwö­ rung. Als hätte sich eine kleine liche Raum in Argentinien sonst Gruppe von Porteños, so heis­ selten für Interventionen wie bei sen die Bewohner von Buenos Ciudades Paralelas genutzt. Aires, verabredet, sich nicht Doch wie schon in Berlin nimmt für die ungeschriebenen Kodi­ auch das Publikum in Buenos zes zu interessieren, die sonst Aires das Festival begeistert auf. Schnell sind alle Karten ausver­ das Verhalten lenken. Hinter kauft. den Aktionen stecken die The­ aterregisseure Lola Arias aus Psychiater und Bodyguard: Argentinien und Stefan Kaegi Hausbewohner erzählen aus der Schweiz. Zusammen Kaegi selbst zieht aus, um ein sind sie die Kuratoren von Haus für die Performance Prime Ciudades Paralelas (Parallele Das Theaterprojekt Ciudades Paralelas lädt Time des Schweizer Theaterma­ Städte), einem der Haupt­ zu einer Reise in die parallelen Welten chers Dominic Huber zu finden. projekte des Pro­Helvetia­Pro­ verschiedener Grossstädte. Shoppingcenters, «Zwar sind Argentinier sehr of­ gramms Chile & Argentinien. Bibliotheken, Bahnhöfe und Wohnhäuser fene Menschen, aber in diesem Die Kuratoren und sechs wei­ Fall waren sie misstrauisch», tere Künstlerinnen und Künst­ werden zur Bühne für Aktionskunst sagt Kaegi. «Alle Hausbewohner ler aus Argentinien, Deutsch­ und eröffnen den Bewohnern eine neue mussten für diese Performance land, der Schweiz und England Sicht auf ihre Stadt. Ein Augenschein dazu bereit sein, ihre Lebens­ haben Performances entwor­ in Buenos Aires. geschichte zu erzählen und sich fen, die funktionale Orte, wie es ins Wohnzimmer schauen zu sie in allen grossen Städten lassen.» Denn am frühen Abend, gibt, zur Bühne werden lassen: Von Karen Naundorf zur besten Fernsehzeit, wird das Gerichtsgebäude, Shopping­ Mehrfamilienhaus zum Schau­ centers, Mehrfamilienhäuser, Bibliotheken, Fabriken, Hotels, Bahnhöfe, Hausdächer. Stätten des kasten der sozialen Einheiten. Das Publikum, eingeladen zum Vo­ Alltags, gebaut für viele, werden so für den Zuschauer individuell yeurismus, steht gegenüber auf der anderen Strassenseite und be­ und neu erlebbar. Und während der Aktionen stellt sich immer wie­ obachtet die Menschen in ihren Wohnungen, hört über Kopfhörer ihre Stimmen. Was im Stück erzählt wird, ist das reale Leben. «Ich der die Frage: Was davon ist reales Leben, was Inszenierung? hätte nicht gedacht, dass ich mal Geld dafür bezahle, anderen Leu­ «In Südamerika arbeiten heisst, geduldig zu sein» ten ins Fenster zu schauen», sagt eine Frau im Publikum leise. Im «Anstatt Bühnenbilder und Darsteller für viel Geld auf einen ande­ ersten Stock rechts wohnt Guillermo. Liebevoll giesst er die Bal­ ren Kontinent zu fliegen, nehmen wir Ideen mit und arbeiten an konpflanzen. Ein sanfter Typ, so scheint es zunächst. Doch dann jedem Ort mit lokalen Produzenten», sagt Kaegi. «Ich bin oft mit spricht er über seinen Beruf als Bodyguard und Schuldeneintreiber Stücken unterwegs gewesen, die durch Untertitel auf einem Dis­ eines Pokerspielers. «Ich ziehe den Dialog der Flinte vor und erziele play an die örtlichen Gegebenheiten angepasst wurden», sagt Arias, in 70 bis 80 Prozent der Fälle gute Resultate.» Sein Nachbar zur die in Berlin und Buenos Aires wohnt. «Mit Ciudades Paralelas wol­ Linken, ein asiatischer Musiker, beschallt alle im Haus täglich mit len wir etwas anderes erreichen: Performances, die an Orten statt­ dem Bandonéon. Der gefühlsschwere und nicht auf Zimmer­ finden, die es überall gibt, die sich aber an lokale Gegebenheiten lautstärke reduzierbare Klang des Instruments trieb sogar den und Regeln anpassen. Keines der Stücke war in Deutschland und Psychiater im Erdgeschoss einmal beinahe zum Wahnsinn. Von diesem Streit weiss der Zuschauer bereits, wenn der Psychiater in Argentinien gleich.»

Die Inszenierung des wahren Lebens

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seine Version der Geschichte erzählt. Sie klingt nach harmoni­ schem Zusammenleben mit allen Nachbarn. Kein Wort von der Po­ lizei, die der Psychiater rief, um den Bandonéon­Spieler einzu­ schüchtern. «Das Festival in Argentinien hatte im Vergleich zu Berlin ei­ nen speziellen Nervenkitzel», sagt Kaegi. «Wir waren ständig dar­ auf gefasst, dass etwas schief geht. Aber immer gab es eine Lösung.» Im Gerichtsgebäude etwa war Kaegis diplomatisches Geschick ge­ fragt. Bei der Generalprobe wollten Richter die Aufführung unter­ sagen. Dass der Renaissance­Chor in Christian Garcias Stück Im Namen des Volkes fromme Choräle in einem sonst weltlichen Ge­ setzen folgenden Gebäude singt, irritierte sie nicht. Sie störten sich daran, dass während der Aufführung brisante Urteile, gefällt im glei­ chen Gebäude, rezitiert werden sollten. «Diese Texte stehen öffent­ lich einsehbar im Internet, die Chormitglieder lasen sie im Origi­ nalwortlaut vor», sagt Kaegi. «Doch es hiess plötzlich, dass sie im Gerichtsgebäude nur von den Richtern selbst vorgelesen werden dürfen.» Garcias Stück berührt heikle Themen: Kindesraub in der

sagt Arias. «Doch dann machten sie begeistert mit.» Die Frauen putzen fünf Hotelzimmer pro Stunde. Der Besucher folgt ihrem Rhythmus und schaut sich fünf Zimmer an, in jedem erzählt eine der Angestellten aus ihrem Leben. Patricia hat ihre Pflanzen mitgebracht. Über Lautsprecher ist zu hören, dass ihre Kinder mehrere Hundert Kilometer entfernt bei den Grosseltern wohnen. Das Zimmermädchen hat sie seit zwei Jahren nicht gesehen, sie ist zum Geld Verdienen nach Buenos Aires gekommen. Cecilia erzählt von den benutzten Kondomen, die sie in den Zimmern findet. Die Achtlosigkeit der Gäste ärgert sie, wes­ halb sie schon überlegt hat, den Samen zu verkaufen. Von Iris gibt es nur einen Brief zu lesen. Das Hotel kündigte ihr kurz vor Beginn des Festivals. Mit nur 22 Jahren hatte die junge Frau so schwere Rückenprobleme, dass sie den harten Job im Hotel nicht mehr er­ füllen konnte. Jeweils ein Besucher sieht sich alleine ein Zimmer an. Erst wenn das Telefon klingelt, darf er ins nächste weitergehen. Am Ende die Überraschung: Plötzlich steht der Besucher einer der Frauen gegenüber, deren Lebensgeschichte er sich in der letzten Stunde erzählen liess. «Como Ein Ja ist nicht unbedingt ein Ja», gab die Argentiniern Lola estás?» – «Wie geht’s?» fragt sie und lächelt Arias den europäischen Regisseuren mit auf schüchtern. So werden Arias’ Installationen den Weg. «Und ein Nein heisst noch lange nicht, dass von Objekten der Beobachtung zu einer Ge­ etwas wirklich nicht geht. sprächsgrundlage. Die Kuratoren arbeiten bereits daran, das Konzept von Ciudades letzten Militärdiktatur, illegale Abholzung im heutigen Argentinien. Paralelas auf Zürich zu übertragen. «Bei einigen Stücken wird das Das Stück konnte schliesslich aufgeführt werden, weil Garcia alle nicht leicht», sagt Kaegi. So war die Ausgangsthese für die Perfor­ Namen, darunter den des Bürgermeisters von Buenos Aires, än­ mance von Christian Garcia bisher, dass Gerichte Kathedralen der derte. In Ant Hamptons und Tim Etchells’ Stück The Quiet Volume Macht sind: Traditioneller geistlicher Chorgesang trifft auf eine sitzen zwei Besucher nebeneinander im Lesesaal einer Bibliothek. mehr oder weniger weltliche Institution, die wie die Kirche über Fast eine Stunde lang werden sie über Kopfhörer von einer Flüs­ Gut und Böse entscheidet. «Gerichte sind oft so pompös, dass man terstimme instruiert. Sie lesen, blättern oder lauschen gemeinsam sich ein bisschen als Verbrecher fühlt, wenn man sie betritt», sagt der geräuschvollen Stille. Das Stück findet in ihrem Kopf statt, die Kaegi. «Aber in Zürich sehen sie eher wie Schulhäuser aus, und anderen Bibliotheksnutzer bekommen nichts mit. Die Teilnehmen­ eine Verhandlung fühlt sich an, als sitze man mit einem Familien­ den sind Darsteller und Zuschauer zugleich. Ein Stück, das logis­ vater, der ein Problem lösen will, am Tisch.» Arias freut sich auf die tisch einfach zu organisieren ist, scheint es: Mp3­Player, Bücher, nächsten Etappen: «Das Interessante an der Wiederholung des Pro­ fertig. Doch im Lesesaal der Nationalbibliothek in Buenos Aires sind jekts an einem anderen Ort ist der Prozess der Rekontextualisie­ keine Bücher zugelassen, nur Fotokopien. Erst mit einer Sonder­ rung, in dem man viel von der jeweiligen Stadt versteht.» An das genehmigung konnten Hampton und Etchells ihr Stück wie ge­ Festival in Argentinien denken die Kuratoren gerne zurück. «Es plant durchführen. war schön zu sehen, wie das Publikum sich das Festival zu eigen machte», sagt Arias. «Im Shopping­Center kam über die Kopfhö­ Zu Besuch bei den Hotelgespenstern rer das Kommando: Tanzen! Alle machten mit. Und als ein Secu­ Im Gegensatz zum site specific theatre sei das Festival eher situa- rity­Mann einen Teilnehmer davon abhalten wollte, sagt der: ‹Wieso, tion specific, sagt Kaegi. «Wir binden den lokalen Kontext in die ich mache doch nichts Verbotenes!?›» Kaegi fügt hinzu: «Für viele Stücke ein.» Etwa in Lola Arias’ Stück Zimmermädchen. Wer ein war es eine neue Erfahrung, dass der öffentliche Raum nicht nur Hotel durch die Glastür im Erdgeschoss betritt, findet überall auf schmutzig, laut und gefährlich ist, sondern auch spektakulär und der Welt ähnliche Regeln vor. «Aber wer im Hotel Ibis in Buenos eine Entdeckung wert sein kann.» Aires übernachtet, muss zunächst die Plaza del Congreso überque­ ren und kriegt so immer mit, womit die Argentinier unzufrieden sind», sagt Lola Arias, während draussen auf dem Platz Lehrer für Ciudades Paralelas ist vom 26. Mai bis 3. Juni bessere Gehälter protestieren. «Die Zimmermädchen erzählen im in Warschau zu sehen und vom 23. Juni bis 3. Juli in Zürich. www.ciudadesparalelas.com Stück von den Demonstrationen.» Arias will der Frage nachgehen: und www.prohelvetia.ch Wer sind die Hotelgespenster, die unsere Zimmer aufräumen, ohne Naundorf ist Korrespondentin des Welt­ dass wir sie je zu Gesicht bekommen? «Zuerst verstanden die Zim­ Karen reporter­Netzwerks und arbeitet von Südamerika mermädchen nicht, was an ihrem Leben interessant sein sollte», aus für deutschsprachige Medien.

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ulturaustausch wird oft als diplomatisches Geschäft lung 1889 publizierte der 30-jährige Henri Bergson seinen Essai unter zwei Staaten verstanden, bei dem das Gastge- sur les données immédiates de la conscience. Die Zeit war reif für berland die aktive Rolle spielt. Bei den Goethe-Insti- den Gedanken, sich die Welt als ein sensomotorisches Erlebnis vortuten, der United States Information Agency, den In- zustellen, in dem die Bewegung das Kommando übernimmt, wähstituts Français und den Schweizer Instituten in aller rend Raum und Zeit als abstrakte Kategorien der Messbarkeit an Welt handelt es sich um Einrichtungen, die für die Weltoffenheit Bedeutung verlieren. Die Pariser Expo 1889 liess die Distanzen der aber auch für das (Selbst)Verständnis des gastgebenden Staates in ganzen Welt auf die Strecke zwischen Trocadéro und Champ de aller Welt werben. Mars zusammenschrumpfen. Nicht der Raum der Erde sollte erNun gibt es aber auch eine Plattform internationalen Kultur- fahrbar gemacht werden, sondern die Dichte ihrer Vielfalt.1 austauschs, die in ihrer 116-jährigen Geschichte zur globalen Dabei kam, mit Hegel gesprochen, eine postkoloniale «List der Einrichtung gewachsen ist: die Biennale Venedig, sie wird in diesem Vernunft» ins Spiel. Die Weltausstellung bildete das Laboratorium einer allmählichen UnterwanJahr zum 54. Mal ausgerichtet. Die internationale Kunstausderung der Grenze zwischen selbsternannter Hochkultur stellung unterscheidet sich von den üblichen Formen der und Primitivität. Zwar war das Spektakel angelegt als Kulturdiplomatie darin, dass der Austausch interaktiv und Leistungsschau der Kolonialzugleich multilateral operiert. macht Frankreich, die neben den Errungenschaften des Die gastgebende Institution technischen Fortschritts als begnügt sich mit der Rolle der Moderatorin einer kultuKontrast die kolonisierten Unrellen «jam session». Es geht tertanen in landesüblichen Bean der Biennale Venedig nicht hausungen beim Maisstampum paternalistische «Kulturfen, Holzschnitzen und Tanzen Die Biennale in Venedig, die im Juni eröffnet förderung», sondern um eivorführte. Doch im Gegensatz wird, ist ein Basar für den internationalen zu einer Theorie, die eher stanen egalitären Diskurs unter Kulturaustausch. Der Kunstwissenschaftler Beat gleichwertigen Partnern und tisch zwischen Tätern und OpWyss verteidigt das Konzept der LänderPositionen. fern unterscheidet, gilt es zu erkennen, wie sich auch die Ein derart transnationapavillons, das viele Kuratoren für rückständig Kultur der europäischen Koler Austausch auf Augenhöhe halten: Sie bieten die Möglichkeit lonialstaaten einer allmählischwebt Bice Curiger vor, der ästhetischer Selbstdarstellung und machen Schweizer Kommissarin der chen Kreolisierung unterzog. die Biennale zu einer Plattform für diesjährigen Biennale, wenn Die Verwestlichung der Welt sie ILLUMInations zum Motto bringt zugleich eine Orientalidas kulturelle Spiegelstadium der Welt. der Schau macht. Damit bricht sierung des Westens hervor. sie eine Lanze für das gute alte In diesem ZusammenVon Beat Wyss hang muss vom kulturellen Pavillonsystem in den Giardini Spiegelstadium gesprochen von Venedig, haftet doch dieser Plattform der Ruf der Rückwerden. Das «Spiegelstadium» ständigkeit an. Unter Kuratoren hat sich der Gemeinplatz durch- nach Jacques Lacan beschreibt die Selbstwahrnehmung eines gesetzt, wonach das «Nationale» in der Gegenwartskunst kaum Kleinkinds zwischen 6 und 18 Monaten über die Identifikation einoch eine Rolle spiele. nes Gegenübers als Gestalt. Es macht sich im Spiegelstadium jenes erblickte Alter Ego zum ersten Ideal-Ich, mit dem es sich narzissDie Weltausstellung als Laboratorium tisch identifiziert.2 Dieser Gedanke ist geeignet, vom individuellen In der Tat sind Länderpavillons ein Relikt der Weltausstellungen im auf den kollektiven Prozess der kulturellen Identität übertragen zu 19. Jahrhundert. Einen Höhepunkt fand das Konzept an der Pariser werden. Die interkulturelle Begegnung ist ein Spiegel, der meine Exposition Universelle von 1889, als Charles Garnier, der Architekt Innenwelt in den Kontext der Umwelt versetzt. der Pariser Opéra, zu Füssen des Eiffelturms eine Weltgeschichte In seinem Essay von 1889 hat Bergson den Gedanken eines menschlicher Behausung in Modellbauten ausbreitete. Die Pavil- zweifachen Ich entwickelt, wenn er von einer doppelten Wahrnehlons der Biennale Venedig folgen jener fixen Idee, Architektur nach mung der Welt spricht. Es gibt einerseits die von innen heraus ernationalen Merkmalen zu ordnen. Während der alteuropäische Ko- lebte «durée» und andererseits die Erfahrung meiner selbst als eilonialismus seinem fatalen Höhepunkt zustrebte und dabei bemüht nes Körpers im Raum, gespiegelt durch meine Umwelt, durch die war, die kulturellen Besonderheiten der ganzen Welt ethnografisch anderen. «So bildet sich ein zweites Ich, welches das erste überexakt zu klassifizieren, gab es zugleich philosophische Ansätze, die formt.»3 Aus einem Selbst («même») wird ein Anderer («autre»). das postkoloniale Denken vorbereiteten. Im Jahr jener Weltausstel- Ich werde mir selbst ein Anderer, während ich mich als einen wahr-

Das Eigene im Spiegel des Fremden

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nehme, der sich im Raum unter anderen bewegt. Bergson hegt also einen Gedanken, den sein Zeitgenosse Arthur Rimbaud im zweiten Seherbrief mit dem Satz «Ich ist ein anderer» zum Schlagwort der Subjektkritik machen sollte.

bietet geradezu eine Lackmusprobe für die Art und Weise, wie visuelle Kommunikation von regionalen Gewohnheiten und Tabus unbewusst gesteuert wird. Das zeitgenössische Kunstsystem ist das Ergebnis einer Säkularisierung. Es hat die ästhetische Philosophie des 18., die abendländische Kunstgeschichte des 19. und die TrauKunst als das verhandelbare Objekt erarbeit postkolonialer Analyse des 20. Jahrhunderts im Gepäck. Es gilt zu unterscheiden zwischen einem ethnologischen und Die Biennale Venedig hat zwei institutionelle Vorläufer: den Pariser Salon als Ort des öffentlichen Wettstreits zwischen Kunst und Kri- einem historischen Blick auf Artefakte: Ethnologie klassifiziert das tik sowie die Weltausstellung, jene internationale Leistungsschau Andere, in der Geschichte schreibt sich das Selbst ein. Der historivon Industrie, Kunst und Gewerbe. Während die Messebauten nach ografische Akt besteht in der Subjektivierung einer Vergangenheit, der Schau in der Regel abgebrochen wurden, ist das Gelände in Ve- die jetzt als die Eigene, als «mein kulturelles Erbe» entdeckt wird. nedig als Fossil einer Wettbewerbsidee aus dem 19. Jahrhundert er- Der ethnografische Akt indessen definiert das Andere im Modus halten geblieben. Die Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in den einer Beobachtung, die sich im blinden Fleck kritischer Selbstwahrnehmung aufhält. Aus dieser Warte wird «Global Art» betrachtet: von einer Die interkulturelle Begegnung ist ein Spiegel, der meine Kunstgeschichte mit dem Anspruch, WeltInnenwelt in den Kontext der Umwelt versetzt. kultur ethnografisch zu kolonisieren. Entgegen einer unhistorischen AuffasGiardini finden also in einem archäologischen Grabungsfeld der sung von «Weltkunst» beruht Kunst auf gesellschaftlichen ErrunModerne statt. Unter postkolonialen und postnationalen Bedin- genschaften, die ich die Vier Tugenden des Kunstsystems nenne: gungen wirken die Länderpavillons als Marktstände ästhetischer die Achtung des Individuums; die soziale Wertschätzung von Ar(Selbst)Behauptungen im offenen Wettbewerb untereinander. Sie beit; offene Tausch- und Handelspraktiken; die Freiheit öffentlicher sind ein Spiegelsaal regionaler Selbstdarstellung, die vom Gegen- Meinungsäusserung. über wahrgenommen werden will, und bieten damit eine szenische Fehlt nur eine der vier Qualitäten, ist Kunst in Gefahr oder Plattform zum kulturellen Spiegelstadium der Welt. Die Basar- wird gar unmöglich gemacht. Diese Errungenschaften haben sich struktur der Biennale Venedig lässt Kunst erfahren als ein Gegen- über Jahrhunderte entwickelt von der Philosophie des Humanisstand von reinem Tauschwert parallel zum Tauschmittel Geld. mus über eine bürgerlich-ökonomische Ethik zur Politik verfasster Kunst ist das verhandelbare Objekt. Kunst ist erst Kunst, wo sie Demokratie und den Befreiungsbewegungen in den Kolonien. Die Ware geworden ist im ökonomischen und im kommunikativen vier Tugenden bilden, mit einem Begriff Michel Foucaults gesproSinn: zum Handelsgut in freier Zirkulation auf dem Markt, bewer- chen, das historische Apriori von Kunst. tet vom unzensierten, öffentlichen Diskurs. Das Kunstsystem steht als Blüte auf dem Fundament der Aufklärung, deren Geist die 54. Biennale in ihrem Titel ILLUMInations «Global Art»: ethnografisch kolonisierte Weltkultur aufruft. Der Basar von Venedig betreibt Kulturaustausch auf einem Eine transkulturelle Kunstgeschichte sollte endlich aufhören mit Markt, wo mit der Diskursware Kunst als dem verhandelbaren Obder Gewohnheit, alle handwerklich gestalteten Artefakte als «Kunst- jekt, aus regional ganz unterschiedlichen Perspektiven heraus, werke» zu qualifizieren. Eine umfassende historische Etymologie weltweit um Toleranz und Menschenrechte, das Kleingedruckte der des Wortes «Kunst» wäre vonnöten. Selbst im Westen trat das Wort Aufklärung, gefeilscht wird. «Kunst» nach heutigem Sprachgebrauch erst um 1800 im Geist der Romantik auf. Viele Sprachen dieser Welt kannten den Ausdruck nicht, bevor er von Ethnographen und Archäologen importiert wurde. Sie haben Artefakte aus den Kolonien zu «Kunstwerken» gemacht, indem sie diese über den Kunsthandel den Sammlern im Wyss ist Professor für Kunstwissenschaft und MedienWesten zuführten. Anstatt das Wort und die Bedeutung von Kunst Beat theorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung vorschnell zu globalisieren, müsste eine neue Kunstgeschichte Karlsruhe. Als Professorial Fellow am Schweizerischen für Kunstwissenschaft leitet er seit 2008 ein daran gehen, vergleichende Studien anzustellen über die unter- Institut Forschungsprojekt zur Geschichte der Biennale Venedig. schiedlichen Praktiken der Visualisierung von religiösen, sozialen 1 Siehe dazu Beat Wyss: Bilder von der Globalisierung, Die und ornamentalen Botschaften durch gestaltete Objekte. Weltausstellung von Paris 1889, Berlin: Insel, 2010. Bergsons Die Rede von «Global Art» bleibt einer naiven Phänomenolo- Essay wird im Folgenden zitiert nach der Ausgabe Presses gie verhaftet, die in der Möglichkeit sinnlicher Erfahrung bereits universitaires de France, Paris 1927, reprint Paris: Quadrige, 2005. die transzendentale Bedingung von Kunst zu erkennen glaubt. Der menschliche Körper wird zur anthropologischen Konstante, zur 2 Jacques Lacan: Le stade du miroir comme formateur de la fonction du Je; The mirror stage as formative of the geschichtslosen Universalie menschlicher Kreativität erklärt. In der function of the I, in: Ders. und Alan Sheridan: Écrits. Tat aber haben die Kulturen der Welt ganz verschiedene Traditio- A selection, S. 1–7. nen ausgeprägt, worin körperliches Wahrnehmen in unterschied- 3 «Ainsi se forme un second moi qui recouvre le premier.» licher Weise moralisch und ethisch kodiert ist. Kunsterfahrung Bergson 1927, a.a.O., S. 103.

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as Pro-Helvetia-Büro sah an diesem Tag zur Hälfte Jahren fiel zusammen mit dem Höhepunkt einer wirtschaftlichen wie ein Lazarett aus, zur andern glich es einem Entfesselung des Landes. In den letzten zwanzig Jahren hat sich Kindergarten. Der Künstler Jason Kahn war zu aus der Asche einer jahrzehntelangen Politik staatlicher GängeBesuch, und mit ihm seine Frau und drei Kinder: lung, in der Armut quasi staatlich verordnet war, eine neue städeines auf dem Boden, mit Papier und Farbstiften, das tische Mittelklasse entwickelt. Sie umfasst heute 300-400 Milliojüngste auf dem Arm der Pro-Helvetia-Mitarbeiterin Sadaf Raza. nen Menschen, und diese suchen zunächst einmal die prallen Puneet Kumar, Chauffeur, Ausläufer, Mädchen für alles, machte Freuden des Konsums, umso ungehemmter und lärmiger, je länderweil in der kleinen Küche Tee für die Besucher und das vier- ger sie darauf verzichten mussten. Ob diese Mittelklasse auch für köpfige Frauenteam um Chandrika Grover, die seit der Gründung die leisen Angebote kultureller Reflexion, und dies durch das vor fünf Jahren Leiterin der lokalen Pro-Helvetia-Aussenstelle in Prisma eines kleinen mitteleuropäischen Landes, sensibilisiert New Delhi ist. werden kann? «Wir müssen uns selbstverständlich einschränken», Aus ihrem Büro kommend, humpelt sie mir zur Begrüssung meint Chandrika Grover mit fast schon helvetischer Bescheidenentgegen, eine Bisswunde am Fuss. Ich versuche mir vorzustellen, heit. «Die Schweiz ist ja ein kleines Land, und seine internationale wie sie so wohl bis in den zweiten Stock gekommen ist. Der Grund Ausstrahlung ist, auch wirtschaftlich, nicht auf Massenkonsum ihres Malheurs hat indirekt mit und -geschmack ausgerichtet. Jason Kahns Kunstobjekten zu Das knappe Budget hat uns zudem von vornherein eine tun: Beim kürzlichen DiwaliStrategie vorgegeben, die seFest hatte ein Knallkörper vor ihrem Haus eine solche Exlektiv ist, in Bezug auf Kulturplosion verursacht, dass nicht angebote wie auch auf Zielnur die Heckscheibe ihres gruppen.» Autos zerbarst. Auch ihr Hund Dies bedeutet allerdings verlor offenbar kurz seine nicht, betont Grover, dass man Sinne, rannte wie wild umher nur ein kleines grossstädtiund klammerte sich schliesssches Publikum, das Englisch lich ans Bein seiner Herrin. spricht und einen global ausWährend seines Künstlergerichteten Kulturgeschmack aufenthalts in Delhi hat Jason hat, ansprechen will. Um einer Kahn Geräusche und andere elitären Gettoisierung zu entVor fünf Jahren hat Pro Helvetia ihre AussenLautsignale aufgezeichnet, die gehen, hat der Swiss Arts er dann so installierte, dass bei Council in Indien von Beginn stelle in Indien eröffnet. Aus dem anfänglichen weg den Akzent nicht auf Ferihrer Wiedergabe ein akustiAustausch von traditionellen «Exporttigangebote, sondern auf Proscher Raum entsteht. In diesem schlagern» hat sich eine Vielfalt künstlerischer Fall hatte er Bewohner der induzenten und Vermittler geKooperationen und ein dichtes Netzwerk dischen Hauptstadt Delhi nach legt. «Ich sehe meinen Auftrag ihren Lieblingsgeräuschen und dann erfüllt, wenn ich Schweivon Partnerschaften entwickelt. Mit -lauten ausgehorcht. Im Crafts zer Künstlern eine Plattform Experimentierfreude und Risikobereitschaft geben kann, die ihnen eine Museum präsentiert er gleichhat sich das Büro Profil verschafft. Auseinandersetzung mit Inzeitig eine bereits bestehende dien in all seinen ErscheiGeräuschinstallation. Der Benungsformen ermöglicht.» sucher des Museums, der soVon Bernard Imhasly eben dem Verkehr entronnen Der Akzent liegt also nicht auf ist, realisiert zuerst gar nicht, Repräsentationsveranstaltundass das summende Geräusch über seinem Kopf von 50 kleinen gen, sondern auf der physischen Präsenz der Künstler, sei es als Transistorradios kommt. Die akustische Invasion der Stadt und Ausführende in einer Theaterproduktion, einer musikalischen die massive Präsenz der Holzskulpturen machen den ohrenbe- Performance oder einer bildnerischen Installation, oft kombiniert täubten Besucher zunächst taub für diese Einstimmung in einen mit einem Aufenthaltsstipendium. In zweiter Linie möchte sie dies anderen, leiseren Raum – bis er dann einmal in die Luft schaut auch für indische Kulturtätige tun, sagt Grover, sei es, dass sich und der unaufdringlichen Installation gewahr wird – sie heisst diese mit Schweizer Künstlern für ein Projekt vor Ort zusammendenn auch In the Air. tun, oder dass sie mit Residenzen die Schweiz aus der Nähe kennenlernen. Mehr als Hebammendienste leisten Das Resultat lässt sich sehen. Das anfängliche Dutzend ProAls kleine Insel in der tosenden Vielstimmigkeit des indischen Mil- jekte jährlich ist auf dreissig angewachsen, und diese haben auch liardenvolkes positioniert sich auch das Verbindungsbüro von Pro eine respektable Breite kultureller Ausdrucksformen erreicht. Es Helvetia. Die Gründung der Aussenstelle in New Delhi vor fünf begann 2007 noch recht verhalten, mit traditionellen «Export-

Berner Dialekt im Verkehrslärm von Pune

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schlagern» wie Hugo Loetscher, Paul Giger und Pierre Favre, mit Bollywood-Filmen in Bern, mit Kammermusik, der Le-CorbusierIkone Chandigarh und Ausstellungen über Schweizer Designklassiker. Aber mit dem gemeinsamen Auftritt der Perkussionisten Lucas Niggli und Karthik Mani kam es bereits zur ersten Exploration einer musikalischen Zusammenarbeit, die in den folgenden Jahren weitere Früchte tragen sollte. Dasselbe geschah mit dem Theatermann Denis Maillefer und sollte sich auch beim Comiczeichner Andrea Caprez zeigen. Bei allen dreien nahm eine Strategie Gestalt an, die mehr als Hebammendienste leisten wollte. Sie wollte künstlerische Kooperationen weiterhin begleiten, möglicherweise mit dem Einbezug anderer Partner bis in Drittländer wie Südafrika und Polen, in denen Pro Helvetia ebenfalls präsent ist. Im Fall von Caprez kam es sogar zur Publikation eines Buches, When Kulbushan met Stöckli, das in beiden Ländern gute Kritiken erhielt. «Was mich im Rückblick am meisten freut», sagt Grover, «sind diese Verknüpfungen, und wie daraus plötzlich ein Netzwerk entsteht, mit neuen und überraschenden Beziehungen zwischen Kunstschaffenden verschiedener Länder, zwischen ProHelvetia-Büros, zwischen Festivals.»

Die Künstlerin Archana Hande schätzt die offene, unstrukturierte Form von Künstleraufenthalten («you are not stressed to be productive»). Allerdings könne dies auch zu weit gehen. In der Schweiz sei sie als Künstlerin weitgehend auf sich selbst angewiesen gewesen. Zusammenarbeit mit Goethe-Institut, Alliance Française und British Council

Dass der indische Swiss Arts Council im gleichen Atemzug wie seine grossen europäischen Nachbarn genannt wird, verdankt er allerdings auch diesen. Praktisch jede der rund hundert Interventionen in den letzten fünf Jahren wurde in Form einer Kooperation abgewickelt – mit indischen Partnern (meist ohne deren finanzielle Mitträgerschaft), und mit anderen ausländischen Instituten, allen voran den drei grossen. Am intensivsten, so Chandrika Grover, ist die Zusammenarbeit mit den Goethe-Instituten. Dies hängt gewiss mit der Sprachnachbarschaft zusammen, aber auch damit, dass Deutschland eine allzu enge politische Anbindung seiner Kulturarbeit vermeidet und eine Dialogstrategie verfolgt, die nicht nur dem Gastland gilt, sondern auch befreundete Institutionen einschliesst. Ein überraschendes Image der Schweiz Solche Kooperationen helfen Chandrika Grover auch, ihr Mittlerweile hat sich das Büro in New Delhi auch durch Kontakt- grösstes Handicap, die dünne finanzielle und infrastrukturelle Defreude, Experimentierlust und Risikobereitschaft Profil verschafft. cke, möglichst weit auszulegen. Sowohl das Goethe-Institut wie Heiko Sievers, der Leiter der Goethe-Institute in Südasien, attes- Alliance Française und British Council sind auch in Grossstädten tiert seiner Schweizer Partnerin, in den fünf Jahren «ein für viele ausserhalb der fünf indischen Metropolen präsent. Als im DeInder überraschendes Image der Schweiz» kreiert zu haben. «Es zember 2010 acht Lyriker aus Grossbritannien, Frankreich, der ist das Bild eines offenen, selbstkritischen, experimentier- und di- Schweiz und Indien in Pune auftraten, hatte der British Council alogfreudigen Landes.» Das Büro in Delhi hat dies auch deshalb die lokale Organisation übernommen, und die Veranstaltung erreicht, meint Sievers, weil es (etwa im Gegensatz zu Alliance wurde im Garten der Alliance Française durchgeführt. Grover: Française und British Council) nicht als Ableger der Schweizer «Wie in vielen anderen Städten Indiens – Hyderabad, Jaipur, Botschaft wahrgenommen wird. Indirekt leiste es damit seinen Chennai, Lucknow, Ahmedabad, Trivandrum etc. – könnten wir ohne diese Zusammenarbeit in Pune nicht präsent sein. So erhalten wir die MöglichUm einer elitären Gettoisierung zu entgehen, hat der Swiss keit, die grosse Bindung an Delhi, Mumbai Arts Council in Indien von Beginn weg den und Bangalore zu lockern. Mein Ziel ist es, ausser den Metropolen weitere fünfzehn Akzent nicht auf Fertigangebote, sondern auf Produzenten Städte zu erreichen.» und Vermittler gelegt. Kostenbeteiligungen mehrerer Institute ermöglichen ausserdem Projekte, die Teil an die «Public Diplomacy» für die Schweiz, obwohl oder ge- anders gar nicht realisiert werden könnten. Dies gilt gerade für rade weil es nicht ostentativ die Schweizer Fahne schwingt. Eine technisch anspruchsvolle Grossveranstaltungen wie Attakkalari, inhaltliche Abstimmung zwischen Pro-Helvetia-Büro und Schwei- die Internationale Tanz-Biennale in Bangalore, wo das Goethe-Institut und Pro Helvetia eine fruchtbare Zusammenarbeit entwizer Botschaft gibt es kaum. Positive Urteile hört man auch von anderen Kulturschaffen- ckelt haben, mit der Beteiligung von Kunstschaffenden wie Esther den in Indien. Meera Menezes, Kunstjournalistin und Kuratorin, Suter, Nicole Seiler und Philippe Saire. Attakalari ist ein Beispiel ist der Meinung, dass sich das Pro-Helvetia-Büro in New Delhi dafür, dass die grösste Wirkung in der Zusammenarbeit mit den nach fünf Jahren dicht hinter den Platzhirschen der grossen aus- lokalen Kulturpartnern erreicht wird. Jayachandran, der Initiator ländischen Kulturinstitute eingereiht hat. Dies gelte namentlich des Tanz-Festivals, ist voll Lobes darüber, dass sich die Schweiz, für den Bereich der bildenden Künste, wo es eine gute Balance kein klassisches Land des Tanzes, hier «kreativ und fokussiert» zwischen der wenig spektakulären Unterstützung einzelner einbringt. «Dank dem Pro-Helvetia-Netzwerk brachte Grover Künstler und Initiativen mit öffentlichem Profil gefunden habe. junge Choreografen nicht nur aus der Schweiz, sondern auch aus Letzteres zeige sich am Engagement beim Indian Art Summit und Südafrika und dem arabischen Raum nach Bangalore.» Parallel dem Co-Sponsoring des Skoda-Preises, der zu einem wichtigen zum Festival veranstaltete Nicole Seiler zudem eine Meisterklasse und die Tanzjournalistin Esther Straub einen Workshop zur TanzTalentmesser für junge Kunstschaffende zu werden verspricht.

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vermittlung – «für Indien äusserst wichtige Interventionen.» Allerdings wird man bei Kooperationen auch zum Gefangenen der lokalen Organisatoren: In Pune etwa war der British Council trotz seiner starken lokalen Präsenz nicht fähig, mehr als zwei Dutzend Zuschauer aus dem grossen Pool dieses «Oxford of the East» (die Stadt zählt über 300 000 Studenten) zu einem Lyrikabend anzulocken. Dennoch bieten sich Kooperationen gerade in der Literatur an, namentlich zwischen dem Deutschen und dem Französischen. Vor einem Jahr organisierte das Pro-Helvetia-Büro in Delhi zusammen mit dem Goethe-Institut und der Österreichischen Botschaft im Anschluss an das Jaipur-Literaturfestival in Delhi eine Lange Nacht der Literatur. Dies wiederholte sich 2011 und der Erfolg bewog das Pro-Helvetia-Team, sich mit den Franzosen an das Projekt einer Longue Nuit zu machen. Auch das Englische, Indiens wichtigste «Link Language», wird nicht ausser Acht gelassen. Grover ist sichtlich stolz auf den Vertrag, den sie vor kurzem mit dem Verlag Seagull Books in Kolkata abgeschlossen hat. Er soll zur Übersetzung von acht bis zehn Werken von Schweizer Autoren führen und diese Bücher neben Indien auch im ganzen anglophonen Weltmarkt absetzen. Indien wie die Schweiz sind mehrsprachige Länder, und die eindrücklichsten Formen der Zusammenarbeit sind die Veranstaltungen, die dies thematisieren. In Pune etwa brachten die acht Lyriker ebendiese sprachliche Verschiedenheit auf die Bühne. Einen Abend lang bewiesen sie, dass sie dennoch einen Dialog ermöglicht, einen, der gerade diese Unterschiede auslotet und Brücken schlägt. Zuvor hatten sich die acht, darunter der Berner Rapper und Poet Raphael Urweider, zehn Tage lang in einem Workshop in Pondicherry ihre Texte vorgelesen und gegenseitig übersetzt. Der Abend in Pune war dann, nach einem ersten Auftritt in Chennai, die Gelegenheit für die Poeten, sich mit Können und Lust die sprachlichen Bälle zuzuwerfen und zurückszuspielen, sodass die wenigen Zuschauer den kalten Wintersmog bald vergassen. Sogar der Lärm der Automotoren und das ständige Hupen wurden überspielt, nicht durch Aufdrehen der Lautsprecheranlagen, sondern im sonoren Echo von berneroberländischen, gälischen und tamilischen Lautmalereien. Jason Kahn hätte seine helle Freude gehabt.

Von San Francisco bis Shanghai: Die Pro-HelvetiaAussenstellen Die Verbreitung und Promotion von Schweizer Kultur ist die wichtigste Aufgabe von Pro Helvetia im Ausland. Ein wichtiges Instrument dafür sind die Verbindungsbüros und Kulturzentren, welche die Stiftung rund um die Welt unterhält. Mit der Gründung eines Kulturzentrums in Paris im Jahre 1985 setzte die Schweizer Kulturstiftung erstmals einen Fuss ins Ausland. 1988 folgte ein Verbindungsbüro in Kairo und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eröffnete die Stiftung Büros in Krakau, Prag, Bratislava und Budapest. (Letztere drei wurden vor einigen Jahren geschlossen und das Büro in Krakau nach Warschau verlegt.) 1998 erweiterte die Stiftung ihr Tätigkeitsgebiet auf das südliche Afrika und eröffnete ein Verbindungsbüro in Kapstadt. Schritte nach Asien folgten mit New Delhi (2007) und Shanghai (2010). Um Schweizer Kulturschaffen vor Ort zu präsentieren und den Kulturaustausch mit Gastländern zu pflegen, hat Pro Helvetia zudem Mandate ans Istituto Svizzero in Rom, das Swiss Institute in New York und an swissnex San Francisco vergeben. Nur die Kulturzentren in Paris, Rom und New York verfügen über eigene Veranstaltungs- und Ausstellungsräume. Die Verbindungsbüros funktionieren dagegen als Kulturagenturen und Drehscheiben für Kontakte zur Region. Pro Helvetia beschäftigt dort fast ausschliesslich lokale Mitarbeitende, die in ihrer Region ein Netzwerk von Partnerschaften aufbauen. Sie suchen Kultureinrichtungen, die am langfristigen Austausch mit der Schweiz interessiert sind, und entwickeln gemeinsam mit ihnen Programme. So ermöglichen sie Schweizer Künstlerinnen und Künstlern neue Erfahrungen und erschliessen ihnen neue Märkte. Damit der Austausch für beide Seiten fruchtbar ist, haben Künstlerinnen und Künstler der Gastländer im Gegenzug die Möglichkeit, mittels Residenzen und Projektkooperationen den Kontakt zur Schweiz zu knüpfen. Das Netz der Verbindungsbüros wird regelmässig überprüft und neuen Bedürfnissen angepasst. Bis im Jahr 2020 will die Stiftung Büros in Russland und Lateinamerika aufbauen, das Büro in Warschau wird voraussichtlich geschlossen. Die Pro-Helvetia-Aussenstellen sind nur ein Teil des Auslandengagements der Stiftung. Finanzhilfen an Kulturprojekte Dritter, Förderschwerpunkte und Länderprogramme runden die Auslandarbeit ab.

www.prohelvetia.in Bernard Imhasly war von 1991 bis 2007 SüdasienKorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung mit Sitz in Delhi. Davor arbeitete er im Diplomatischen Dienst der Schweiz und war Lehrbeauftragter der Universität Zürich.

Informationen unter: www.prohelvetia.ch/aussenstellen

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iner jungen Johannesburger Kuratorin wird ange­ heute in Südafrika lebt. In einem Interview* prangerte er kürz­ boten, ein Residenz­ und Ausstellungsprojekt mit lich die «zahllosen Demütigungen und Erniedrigungen» an, die europäischen und südafrikanischen Künstlern mit zu afrikanische Empfänger internationaler Fördermittel erleiden: organisieren. Zur Seite gestellt wird ihr ein Berufs­ «Viele afrikanische Künstler müssen einen unverhältnismässig kollege aus Europa, der in seinem Heimatland hohes grossen Teil ihrer Zeit, Energie und Ressourcen dafür aufwen­ Ansehen geniesst. Als Geldgeber des Projekts fungieren die den, Anträge auszufüllen und ständig sich verändernden Ansprü­ Botschaft und einige kulturelle Institutionen dieses Landes. Als chen und Erwartungen gerecht zu werden. Auch wenn wir die die aufwendigen Vorbereitun­ grenzenlose Macht der Geld­ gen vor Ort längst angelaufen geber mit hochtrabenden Aus­ sind, lässt der europäische Kol­ drücken wie ‹Partnerschaft›, ‹Empowerment› oder ‹inter­ lege über einen Dolmetscher nationale Freundschaft› ka­ mitteilen, dass er nicht nach Jo­ hannesburg kommen werde, da schieren, mildert das nicht die er «arme Menschen und Tiere Wucht des Zusammenpralls nicht leiden könne». Während zwischen denen, die Geld und der konsternierte Dolmetscher Ressourcen, aber kaum sinn­ diese Worte kaum über die Lip­ volle Ideen haben, und denen, pen bringt, wird die Haltung die zwar gute Ideen, aber des Kurators von den europäi­ kaum Geld haben.» schen Geldgebern stillschwei­ Verschärft wird dieser un­ gend gebilligt und muss von befriedigende Zustand laut Mbembe dadurch, dass viele seiner südafrikanischen Kolle­ nationale Kulturförderpoliti­ gin hingenommen werden. Obwohl es sich bei dieser ken und ­netzwerke innerhalb Geschichte, die sich tatsächlich Afrikas die schädliche Ideo­ so zugetragen hat, um ein logie übernommen haben, die extremes Beispiel handelt, ver­ das System der internationa­ mittelt sie doch ein anschauli­ len Kulturfinanzierung propa­ ches Bild des Ungleichgewichts giert: Das afrikanische Kunst­ Ein grosser Teil der Kulturförderung in Afrika der Kräfte, das die kulturelle Zu­ schaffen wird mythologisiert und im neokolonialistischen sammenarbeit zwischen Nord wird durch den Norden bezahlt. Unter und Süd prägt, und veranschau­ Konzept von «Kultur und Ent­ diesen Umständen eine gleichberechtigte licht, wie künstlerische Anlie­ wicklung» auf eine Rolle redu­ Zusammenarbeit zu etablieren, ist schwierig. gen hinter Macht­ und Geldin­ ziert, welche die Künste hem­ Der Vorwurf des Neokolonialismus und teressen zurückstehen müssen. mungslos für die Zwecke der sozialen und wirtschaftlichen der Instrumentalisierung afrikanischer Kultur «Zahllose Demütigungen Entwicklung instrumentali­ sorgte jüngst für hitzige Debatten. Der und Erniedrigungen» siert. «Kultur ist keine Dienst­ südafrikanische Forscher und Kulturmanager Zur Finanzierung der Kultur­ leistung, sondern eine Platt­ Joseph Gaylard hat sich mit verschiedenen förderung in Afrika und des form für neue Ideen und Austauschs zwischen Nord und Visionen», so Achille Mbembe. Kulturakteuren unterhalten und kommt zu Süd hat der Norden seit jeher «Wenn wir diese Visionen un­ überraschenden Antworten. einen grossen Teil beigetragen. terdrücken, werden wir nie mit Nach Schätzung der simbabwi­ eigener Stimme sprechen.» Von Joseph Gaylard schen Kulturstiftung Culture Mbembe stört sich auch Fund kommen alleine 60 Pro­ an der «sonderbaren und er­ zent aller Mittel für die Kultur­ bärmlichen Fassade» des kul­ förderung in Simbabwe aus Schweden, und auch in Südafrika, turdiplomatischen Rahmens, in dem ein Grossteil der entspre­ der grössten Volkswirtschaft des Kontinents, beträgt der Anteil chenden Mittel vergeben werde. Viele afrikanische Kulturakteure der ausländischen Unterstützung immer noch stolze 10 bis sind nur zu gut vertraut mit den Widersprüchen zwischen den in­ 15 Prozent. Unter diesen Umständen eine gesunde und gleichbe­ ternationalen Kulturprogrammen, die oft unter dem Etikett der rechtigte Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd zu etablieren, «Kulturdiplomatie» finanziert werden, und dem Rechtsrutsch in ist kein leichtes Unterfangen. Der lautstärkste Kritiker der gegen­ der Zuwanderungspolitik sowie der Behandlung von «Fremden» wärtigen Situation ist Achille Mbembe, ein führender afrikani­ in den Geberländern (ob Neuankömmlinge oder Bürger der zwei­ scher Intellektueller, der ursprünglich aus Kamerun stammt und ten oder dritten Generation). Welche Auswirkungen dies haben

Auf Augenhöhe? Kultur­ austausch zwischen Nord und Süd

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kann, musste schon manch ein schwarzer afrikanischer Künstler bei der Einreise an einem europäischen Flughafen erfahren. Die Förderpolitiken und Absichten von Kulturinstitutionen aus dem Norden alleine mit den politischen Kurswechseln in ih­ ren Ländern zu erklären, greift jedoch zu kurz. Zwar findet zurzeit in Europa (und in zunehmendem Masse auch in Nordamerika) zweifellos eine politische Verschiebung nach rechts statt, doch sind die meisten dieser Institutionen noch unter linksgerichteten So­ zialdemokratien ins Leben gerufen worden. Viele von ihnen muss­ ten seither empfindliche Budgetkürzungen hinnehmen und sind daher ständig auf der Suche nach neuen Argumenten, um ihre ei­ genen Regierungen vom Nutzen des Austausches und der inter­ nationalen Partnerschaften im Bereich der Kultur zu überzeugen.

er es beschreibt, «in die Jauchegrube der internationalen Kultur­ förderung zu stürzen». Der Schlüssel zur Bewahrung der Un­ abhängigkeit und redaktionellen Integrität des Magazins sei es ge­ wesen, sich nicht der «Notfallmentalität» zu unterwerfen, die oftmals die Förderung afrikanischen Kunstschaffens präge und Afrika als todkranken Patienten betrachte, der dringend kompe­ tente Hilfe aus dem Norden braucht. Erwartungen vorab klären

Die kritischen Ansichten eines Achille Mbembe werden mittler­ weile auch von einigen Geldgebern geteilt. Mike van Graan, der Generalsekretär des Arterial Network, eines panafrikanischen kul­ turellen Netzwerks, weist im Zusammenhang mit der Evaluation eines niederländischen Austausch­ und Partnerschaftsprogramms «Entwicklung» nach afrikanischen Bedürfnissen darauf hin, dass kulturelle Kooperationen zwischen Nord und Süd Farai Mpfunya, der Direktor des simbabwischen Culture Fund, ei­ oft auf beiden Seiten Fragen aufwerfen: «Passen sich die Empfän­ ner lokal geführten Non­Profit­Organisation, die ein Jahresbudget ger von Fördergeldern in vorauseilendem Gehorsam den Vorstel­ von rund einer Million US­Dollar verwaltet, zeichnet denn auch lungen ihrer Partner aus dem Norden an, um sich die Chance auf ein moderateres und differenzierteres Bild als Mbembe, wenn er weitere Unterstützung oder Reisen in den Norden nicht zu ver­ über die Situation in Simbabwe spricht: «Mbembe nimmt zwar ei­ derben? Halten sich die niederländischen Kollegen mit Kritik zu­ nige wichtige Elemente der aktuellen Debatte über Kultur und rück, um nicht bevormundend oder neokolonialistisch zu wirken, Entwicklung auf, berücksichtigt aber nicht die vielen undokumen­ und lassen den Projekten deshalb einfach ihren Gang? Machen sie tierten Bemühungen von Afrikanern um mehr Selbstbestimmung klar, was ein Projekt erreichen und wie viel Verantwortung der in Nord­Süd­Beziehungen.» Partner aus dem Süden tragen soll? Können sie, wenn sie Beden­ Obwohl der Culture Fund ausschliesslich mit schwedischem ken haben, ob der Partner ihre Erwartungen erfüllen kann, diese Geld finanziert wird, ist er nach Mpfunyas Überzeugung ein durch ausdrücken und auch bei einem bereits laufenden Projekt die not­ und durch afrikanischer Kulturfonds – nicht nur, weil er von Af­ wendigen Korrekturen vornehmen?» All diese Punkte verweisen rikanern geleitet wird und Afrikaner unterstützt, sondern auch auf die eine oder andere Art auf die grundlegende Frage, welche aufgrund seiner Entstehungsgeschichte: «Der Kultursektor stellte Voraussetzungen es für den Aufbau von gesünderen Beziehungen bereits in den 1980er­Jahren die bestehenden Nord­Süd­Beziehun­ zwischen Nord und Süd im Kulturbereich braucht und welche Chancen solche «Räume der gegenseitigen Anerkennung und Achtung», wie Mbembe Kultur ist keine Dienstleistung, sondern eine Plattform sie nennt, bieten könnten. für neue Ideen und Visionen», so Achille Mbembe. Wie van Graan aus eigener Erfahrung weiss, können Nord­Süd­Beziehungen aus­ «Wenn wir diese Visionen unterdrücken, werden wir nie geglichener gestaltet werden, wenn beide mit eigener Stimme sprechen. Seiten dem Entstehungsprozess solcher Partnerschaften mehr bewusste Beachtung gen im Entwicklungsbereich in Frage. Das gab den Anstoss zur schenken. Was die einzelnen Partner zur Beziehung beitragen Gründung der Stiftung. Man wünschte sich ein Fördermodell, das können, was sie sich von ihr versprechen und wie Machtverhält­ es den Simbabwern ermöglicht, ‹Entwicklung› nach ihren tatsäch­ nisse und Entscheidungsfindungen geregelt sein sollen, wird vor lichen Bedürfnissen zu definieren, afrikanisches geistiges Eigen­ lauter Begeisterung über die Lancierung neuer Projekte und Ideen tum zu identifizieren und Wege zu finden, um eigene Ideen um­ selten explizit besprochen und schon gar nicht abschliessend ge­ zusetzen. Es dauerte mehrere Jahrzehnte, einen Partner für ein klärt. Verbesserungen in diesem Bereich wären wünschenswert, derartiges Modell zu finden… Der Aufbau einer respektvollen dürften jedoch kaum ausreichen, um die bestehenden Ungleich­ Partnerschaft zum gegenseitigen Nutzen entsprach sowohl den gewichte auszuräumen. revolutionären Idealen der Gründerväter Simbabwes als auch der Erkenntnis eines Teils des Nordens, dass er von Kooperationen mit Der Süden trägt Verantwortung Die Verantwortung für eine grundlegende Veränderung liegt zu dem Süden ebenfalls profitieren kann.» Einer der profundesten Kenner der Probleme und Chancen einem wesentlichen Teil auf den Schultern der Kulturakteure der Kultur im heutigen Afrika ist Ntone Edjabe, der eine Vielzahl im Süden; an ihnen ist es, sich für die Entwicklung und Ausge­ unterschiedlichster Projekte auf dem ganzen Kontinent realisiert staltung sinnvoller nationaler Kulturpolitiken sowie entspre­ hat, darunter das Online­ und Printmagazin Chimurenga. Als chender Institutionen, Organe und Unterstützungsmechanismen diese anfangs selbstfinanzierte Publikation immer grösser und am­ für Kunstschaffende zu engagieren. Damit sichern sie sich eine bitionierter wurde, blieb Edjabe nichts anderes übrig, als sich, wie solidere Grundlage für die Verhandlungen mit ihren Gegenübern

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aus dem Norden. Der bekannte südafrikanische Schriftsteller und Kontinent ausweiten würde. Die von Edjabe angeführte «Petit­ Kurator Khwezi Gule merkt in diesem Zusammenhang an, dass Blanc»­Mentalität – die verinnerlichte Unterdrückung, die die die kolonialen Infrastrukturen für Kultur in den meisten afrika­ südafrikanische Wahrnehmung des gesamtafrikanischen Kontexts nischen Ländern so gestaltet wurden, «dass sie unter anderem der trübt – ist vielleicht das grösste Hindernis, das einem solchen Vor­ Abschöpfung von Reichtum und nicht in erster Linie der Entwick­ haben im Wege steht. Im Zuge der systematischen Eroberung des restlichen Kon­ lung der Bevölkerung dienten». Daraus ergibt sich die Notwendig­ keit, die gegenwärtigen Strukturen und Institutionen radikal neu tinents und von dessen Märkten und Ressourcen durch südafrika­ zu konzipieren. Ihre Relevanz ist heute zwar fragwürdig, aber im­ nische Unternehmen sehen mittlerweile weite Teile der südafrika­ merhin bestehen sie bereits und könnten durchaus für neue Zwecke genutzt werden. Ich glaube, wir beginnen erst allmählich zu verstehen, Ergänzend dazu plädiert Edjabe für wie wertvoll Süd­Süd­Beziehungen sein können, nicht grösseren Zusammenhalt und neue Ebe­ nen der Zusammenarbeit zwischen den zuletzt auch zu neuen Wirtschaftsmächten wie China oder Akteuren im Süden: «Ich glaube, wir begin­ Brasilien. Statt uns auf die Schuldgefühle des Westens nen erst allmählich zu verstehen, wie wert­ zu verlassen, sollten wir uns nach alternativen voll Süd­Süd­Beziehungen sein können, Finanzierungsquellen umsehen. Ntone Edjabe nicht zuletzt auch zu neuen Wirtschafts­ mächten wie China oder Brasilien. Statt uns auf die Schuldgefühle des Westens zu verlassen, sollten wir nischen Öffentlichkeit das übrige Afrika als Bedrohung für den uns nach alternativen Finanzierungs­ und Unterstützungsquellen Wohlstand ihres Landes und nicht als Quelle vielfältiger kreativer, umsehen. Südafrika bietet sich hier in vielerlei Hinsicht eine kultureller und intellektueller Ressourcen, die einen wertvollen grosse Chance, sofern es die ‹Petit­Blanc›­Mentalität ablegen Beitrag zur Neukonzipierung des sozialen und kulturellen Gefü­ ges in Südafrika leisten könnten. Dies zeigt sich zum Beispiel da­ kann.» rin, dass Südafrikas Kulturinstitutionen bei der Vergabe von staat­ Es fehlt am politischen Willen lichen Fördermitteln im Allgemeinen nur einheimische Künstler Afrika hat die Möglichkeit, eine Haltung einzunehmen, die nicht berücksichtigen. Der Aufbau von Süd­Süd­Partnerschaften und von Demut und Unterwürfigkeit gekennzeichnet ist, sondern auf ­Netzwerken, durch die sich einige der beschriebenen Probleme den dynamischen, transnationalen Austausch von Ideen, Men­ von Nord­Süd­Kooperationen vermeiden liessen, wäre ein grosser schen und Projekten auf dem ganzen Kontinent setzt. Das eröff­ und bedeutsamer Schritt für den Kultursektor, sowohl in Süd­ net neue Möglichkeiten, Partnerschaften zwischen Nord und Süd afrika als auch auf dem ganzen Kontinent. für beide Seiten sinngebend zu gestalten. Ein gutes Beispiel dafür ist das von niederländischen Institutionen getragene Programm Arts Collaboratory, das Netzwerke und Projekte unter Partnern aus dem Süden propagiert und fördert. Man mag sich nun fragen, woher ein Kontinent, auf dem zwar rund 15 Prozent der Weltbevölkerung leben, der aber nur rund 2,5 Prozent des Weltbruttoinlandsprodukts erwirtschaftet, die Mit­ tel für solch umfassende Reformen nehmen soll; Tatsache ist aber, dass die drei grössten Volkswirtschaften Afrikas – Südafrika, Ägyp­ ten und Nigeria – mit hoher Wahrscheinlichkeit alle in der Lage wären, auf regionaler Ebene Kulturförderung auf eine Art und Weise zu betreiben, die als Vorbild für andere Formen von grenz­ überschreitenden Kooperationen zwischen afrikanischen Staaten dienen könnte. Für die Umsetzung solcher Pläne fehlt es in erster Linie an politischem Willen und nicht etwa an den notwendigen Ressour­ *Art & Development. Interview mit Achille Mbembe cen. So verteilte zum Beispiel der südafrikanische National Lot­ von Vivian Paulissen. In: Art South Africa. Art South Africa. Opinions that Matter, Herbst 2010. tery Distribution Trust Fund 2008/09 nur 18 Prozent der ihm ins­ gesamt für Kunst und Kultur zur Verfügung stehenden rund 100 Joseph Gaylard ist Direktor des südafrikanischen Visual Arts Network, das Forschung, Networking und Lobbyarbeit Millionen Euro. Auch wenn sich die finanziellen Möglichkeiten betreibt und sich an Projekten beteiligt, die neue Ansätze der Kulturförderung nicht mit denjenigen in Europa oder Nord­ für eine zeitgemässe Kulturförderung in Afrika prüfen. Daneben ist er als unabhängiger Autor, Forscher und amerika vergleichen lassen, so könnte ein ebenso durchdachter Mitarbeiter in gestalterischen Projekten tätig, insbesondere wie mutiger Einsatz der vorhandenen Mittel einen grundlegenden im Bereich von experimentellen Arbeiten im öffentlichen Wandel der kulturellen Rahmenbedingungen im südlichen Afrika Raum. auslösen, der sich in der Folge möglicherweise auf den ganzen Aus dem Englischen von Reto Gustin

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ls an diesem winterlichen Dienstagnachmittag vor Als das Plastikhaus durch eine Unachtsamkeit bei der Produktion dem Kultur- und Kongresszentrum Luzern ein rie- schwarze Flecken abbekam, schlug der Verantwortliche den siges rotes, chinesisch wirkendes Plastikhaus auf- Künstlern vor, die dunklen Stellen zu aufgemalten Backsteinen geblasen wird, fragt ein Passant, was das denn sei. umzugestalten. Jian war einverstanden, Kunz jedoch absolut da«Kunst», antwortet der Techniker, der am elektri- gegen, bloss wegen eines Malheurs das ursprüngliche Design zu schen Gebläse hantiert. The Container heisst das Ungetüm, und ändern. Sie bestand auf einer Wiederherstellung. Ihm waren aber ist ein Gemeinschaftswerk der Schweizerin Sandra Kunz und des die damit verbundenen sozialen Komplikationen – stur zu erscheiChinesen Yang Jian. Container, weil das wabbelige Gebäude ein nen und Leute zu verärgern – peinlich. auf den Kopf gestelltes Matterhorn enthält. Man begegnet seiner Die beiden Künstler stellen auch fest, dass ihr Werk sehr von der Decke hängenden Spitze, wenn man den Innenraum be- unterschiedlich aufgenommen wird. Schweizer werden durch tritt. Kommt hinzu, dass der Luftdruck variiert. Manchmal scheint die Kombination von rotem Gebäude und weissem Berg oft ans das Gebäude zu erschlaffen, dann richtet es sich wieder auf. Als ob Schweizerkreuz erinnert, während für Chinesen Rot die Farbe des es atmete. Glücks oder der Kommunistischen Partei darstellt. Was Jian auch Es hat eine lange Reise hinter sich. 2008 wurde es im Zendai beobachtet hat: «Da solche Installationen in China ein junges Museum of Modern Art in Pudong-Shanghai gezeigt, 2009 in Xia- Phänomen sind, erkennen sie viele Betrachter gar nicht als men und 2010 im Swiss Pavillon Kunstwerk. Sie denken eher an der Weltausstellung in Shanghai, eine Zeremonie oder einen Empbevor es nach Basel weiterreiste. fang.» Sandra Kunz selbst kam 2006 Widerstandsfähige Illusionen zum ersten Mal nach China, im Eine Schlüsselfigur im KulturRahmen eines sechsmonatigen austausch zwischen der Schweiz Artist-in-Residence-Programms, und China ist Hans J. Roth, Exund seither lebt sie ungefähr halGeneralkonsul in Hongkong. be-halbe in der Schweiz und in Sandra Kunz erinnert sich, dass China. Seltsame Gerüche, ungewohntes er ihre Chinabegeisterung anEssen, unbekannte Begrüssungsrituale: In der Fremde die eigenen fangs eher zu dämpfen verKulturaustausch findet nicht zwischen Wurzeln erkennen suchte, was sie erstaunte. InInstitutionen, sondern zwischen Menschen Auf das Thema Kulturschock anzwischen versteht sie ihn. Allzu gesprochen, berichtet sie überleicht schlägt Idealisierung spästatt. Künstlerinnen, Schriftsteller und raschenderweise nicht von irriter in Enttäuschung oder AgTheaterschaffende aus China und der tierenden Erlebnissen in der gression um. «Die beiden KulSchweiz berichten über ihre Erfahrungen Fremde, sondern von der Rückturen sind sehr verschieden, das mit dem anderen – über Illusionen, kehr nach ihrem ersten Chinamuss man erst mal akzeptieren Aufenthalt, als sie verwirrt festkönnen», sagt er. Bei allem guten Irritationen und kreative Anregungen. stellte, wie fremd ihr die Schweiz Willen seien eine chinesische geworden war. Sie wollte – paraOper oder Kalligrafie schwer verVon David Signer doxes Heimweh – so rasch als ständlich für Europäer. möglich zurück in ihre Wohnung «Die moderne Kunst hinnach Xiamen. «Als Künstlerin gegen, wo vielleicht Anknüpmeinst du, du seist dir deiner Umgebung ziemlich bewusst», sagt fungspunkte leichter zu finden sind, ist in China immer noch sehr sie. «Aber erst wenn du dich einer fremden Gesellschaft aussetzt, elitär und minoritär.» Wichtig ist ihm, dass Künstler, wenn sie wirst du wirklich mit deinen eigenen kulturellen und sozialen schon nach China gehen, für längere Zeit dort bleiben. «Unsere Wurzeln konfrontiert.» Illusionen sind widerstandsfähig. Die ersten paar Monate halten Mit dem jungen chinesischen Künstler Yang Jian war sie be- sie der Realität ohne weiteres stand.» Schwierig sei für Europäer reits gut befreundet, als sie zusammen das aufwendige Container- in China oft der Mangel an Freiraum; man fühlt sich eingeprojekt in Angriff nahmen. «Eigentlich war das Haus zu gross für schränkt. Umgekehrt kommen Chinesen oft nicht klar mit der uns», sagt er lachend. Es gab viele Probleme: produktionstech- plötzlichen Autonomie, die ihnen im Westen abverlangt wird. Sie nische, organisatorische, finanzielle. «Künstler sind es gewohnt, fühlen sich verängstigt und allein. individuell und autonom zu arbeiten. Eine Kooperation wäre auch Gelinge es aber, eine Balance zwischen Idealisierung und Kulmit einem chinesischen Künstler nicht einfach gewesen», kons- turschock zu finden, so Roth, werde oft eine enorme Kreaktivität tatiert Jian. Sandra Kunz gehe planmässig, pünktlich und präzis freigesetzt: «Gerade für Künstler ist es wichtig, sich auch befremdvor; er selber sei eher der Improvisator. Sie selbst kann das bestä- lichen Milieus auszusetzen.» Er findet, sie seien oft, auch in Austigen: «Wenn wir auf ein Hindernis stossen, versuchen wir es zu tauschprogrammen, ein bisschen egozentrisch und erratisch; er entfernen. Chinesen suchen eher einen Umweg.» wünscht sich mehr Offenheit und Bereitschaft zu Kommunika-

Paradoxes Heimweh

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tion und Konzessionen. «Wenn man sich auf eine andere Gesellschaft wirklich einlässt, führt das von selbst zum Überdenken von eigenen Positionen.» Ein Beispiel für diesen Prozess ist Christian Vetter. Der 1970 in Zürich geborene Künstler hielt sich im Jahr 2007 für sechs Monate in einem Aussenbezirk von Peking auf. «Es war eine eher liberale Phase, vor der Olympiade, und ich war überrascht, wie ‹westlich› und ‹normal› alles war», erinnert er sich. «Es brauchte Zeit, bis ich die Unterschiede entdeckte. Heute weiss ich: Ich könnte zehn Jahre dort leben, die Sprache beherrschen, mich anpassen – ich würde doch fremd bleiben.» Rückblickend stellt er fest, dass dieser Auslandaufenthalt eine unvergleichliche Zäsur in seinem Leben darstellte: «Meine Arbeit änderte sich um 180 Grad, von gegenständlich zu abstrakt, von farbig zu schwarz-weiss.» Aber nicht, weil ihn China übermässig beeinflusst hätte. Eher im Gegenteil: «Ich wurde mir meines Europäertums bewusst. Ich war zufrieden, Europäer zu sein.» Was diese Zeit fruchtbar machte für ihn, war nicht so sehr die Nähe zu China als der Abstand zur Heimat: «Die Erfahrung, sich völlig fremd zu fühlen.»

gen.» Die Leute empfand sie im allgemeinen eher als unfreundlich; als Frau und Mexikanerin fühlte sie sich oft zusätzlich deklassiert. Besser wurde es erst, als sie nach Peking und Shanghai ging und Zugang zu einer internationaler orientierten Szene fand. Ein unbedingter Wille zum Erfolg

Mit andern Fragen sind Künstler konfrontiert, die nur kurz nach China gehen, beispielsweise für die Einrichtung einer Ausstellung, wie Yves Netzhammer. 2008 stellte er sein Werk The Subjectivisation of Repetition in der Ausstellung Synthetic Times im National Art Museum of China (NAMOC) in Peking aus. Wie auch die meisten andern dort vertretenen Künstler aus dem Westen stellte er sich Fragen nach dem politischen Für und Wider, in einem Land wie China auszustellen. Bereits im Vorfeld wurden Szenarien ausgearbeitet für den Fall von Zensur oder Absetzung. «Wir gingen davon aus, dass das NAMOC als offizielle Institution auch ein Ort der Ausgrenzung von systemkritischer Kunst sei – wenn auch natürlich in Ermangelung genauerer Informationen», so Netzhammer. «Man war mit vielen Unwägbarkeiten konfrontiert. Konnte man sich zum Beispiel bei chinesischen Kollegen einfach offen erAlles läuft über Beziehungen kundigen, wie es um die Zensur stand?» Was ihm im Umgang mit Chinesen vor allem auffiel: «Einer«Kulturaustausch findet nicht zwischen Institutionen, sondern zwischen Individuen statt», sagt die Pekinger Theaterregisseurin seits braucht – und nimmt man sich – für alles viel mehr Zeit. Die Cao Kefei, die mit dem Schweizer Dramaturgen Mats Staub das Kommunikation ist kodierter und indirekter als bei uns. AndererStück Der rundere Mond über mit Schweizern verheiratete Chi- seits sind gerade die Künstler dort extrem zielorientiert. Der Wille, nesinnen erarbeitet hat. Der Ausdruck «Austausch zwischen der unbedingt erfolgreich zu sein, lässt sie weniger zögern und zauSchweiz und China» scheint ihr etwas gar abstrakt, gross und ver- dern als Künstler bei uns.» Er fand es auch schwierig einzuschätwässert. «Ich fange lieber konkret und klein an», sagt sie. Schliess- zen, wie sein Werk von Chinesen aufgenommen wurde. Wirkt auf lich würden Unterschiede ja primär ganz direkt und körperlich er- sie beispielsweise die Grausamkeit an Tieren, die in einigen seiner fahren (was der Theaterarbeit natürlich entgegenkommt): als Arbeiten eine Rolle spielt, harmloser als auf europäische Betrachter? Und schockiert sie dafür anderes, das er gar nicht beabsichtigt hat? Auch hier Erst wenn du dich einer fremden Gesellschaft aussetzt, blieben für ihn vor allem Fragen zurück. wirst du wirklich mit deinen eigenen Der Schriftsteller Peter Weber, der im Rahmen des Foodscape-Programms Ende kulturellen und sozialen Wurzeln konfrontiert. 2008 für zwei Wochen in China war, ist ebenfalls auffällig vorsichtig mit Einschätseltsame Gerüche, ungewohntes Essen, Verunsicherung bei Be- zungen: «Sofortaussagen sind meist nur Aussagen über sich grüssungsritualen, deplatzierte Berührungen. «Bei einer so engen selbst.» Was ihm geblieben ist: Einmal wollte er einen älteren Zusammenarbeit wie mit Mats Staub und den Laiendarstellern, Schriftsteller zum Thema Essen befragen. «Wir haben mehr Erdie auf der Bühne ihre eigenen Geschichten erzählen», resümiert fahrung mit dem Hungern als mit dem Essen», antwortete der Kefei, «ist das Aufeinanderprallen von unterschiedlichen Men- Mann. schen herausfordernd; dadurch lerne ich nicht nur die andern, Übrigens: Der Lieferwagen mit dem Material für The Consondern auch mich selbst in verschiedenen Facetten kennen, was tainer kam mit zwei Stunden Verspätung beim Kongresszentrum unter normalen Umständen nicht möglich wäre. Zusammenarbeit an. Der Fahrer hatte für die Strecke von Bern nach Luzern eine bedeutet auch Kompromisse; ich bedaure ein wenig, dass meine «Abkürzung» genommen, und sorgte damit für Spott. So werden Vision der Inszenierung nicht ganz in Erfüllung gegangen ist. Aber durch Kulturaustausch auch Klischees wie die Schweizer Pünktlichkeit relativiert. jedes Bedauern spornt gleichzeitig weitere Kreativität an.» Nüchterner fällt die Bilanz von Ana Roldán aus. Die aus Mexiko stammende, in Zürich lebende Künstlerin verbrachte 2008 acht Monate in der südchinesischen Stadt Kunming. «Ich fand kaum jemanden, der meine Arbeit verstand», stellt sie rückbli- Dr. David Signer (*1964) ist Ethnologe, Journalist und ckend fest. Konzeptuelle Kunst, wie sie Roldán pflegt, ist dort of- Schriftsteller. Er schreibt unter anderem für die NZZ am Sonntag und Du und ist Lehrbeauftragter an fenbar selbst Leuten aus dem Kulturleben sehr fremd. Zudem: «Es der Universität Zürich. Zuletzt erschien von ihm ist eine sehr geschlossene Gesellschaft; alles läuft über Beziehun- der Roman Die nackten Inseln, Salis Verlag, Zürich.

int e rn at io n ale ku lt u r ar b e it

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«Das Theaterprojekt Ciudades Paralelas fotografisch zu begleiten, war eine bereichernde Erfahrung für mich», meint die Fotografin Lorena Fernandez. «Die Spannung zwischen Dokumentarischem und Fiktion auszuloten, gehört zu den Dingen, die mich in meiner Arbeit am stärksten faszinieren.» Lorena Fernandez ist 1974 in Argentinien geboren und lebt und arbeitet in Buenos Aires. Sie studierte Film an der Escuela Nacional de Experimentación y Realización in Buenos Aires und besuchte Workshops zu zeitgenössischer Fotografie bei Julieta Escardó und Alberto Goldenstein. Fernandez arbeitet als Fotografin, Kamerafrau und Filmdozentin. 2008 gewann sie den Ernesto-Catena-Preis für zeitgenössische Fotografie und seither war sie in zahlreichen Ausstellungen präsent. Ihre Werke umfassen Kunst- und Fotobücher sowie Kunstzeitschriften. Sie ist eine Künstlerin der FosterCatena Gallerie. www.lorena-fernandez.com


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Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia unterhält ein weltweites Netz von Aussenstellen. Sie dienen dem Kulturaustausch mit der Schweiz und erweitern die kulturellen Netzwerke.

Halluzinieren am Suezkanal K AIRO

Von Lilo Weber, London – Als am 5. Juni 1967 die israelische Luftwaffe die ägyptischen Flugfelder angriff und so der 6-TageKrieg begann, waren auf dem Suezkanal 14 Cargo-Schiffe aus acht Nationen unterwegs nach Norden. Es sollte eine lange Reise werden. Die Frachter erhielten den Befehl, im Grossen Bittersee anzuhalten. Der Salzwassersee zwischen dem nördlichen und dem südlichen Teil des Kanals dient den Schiffen als Ausweichstelle; nun sollte er den 14 Frachtern zum Gefängnis

Auf Spurensuche nach Frachtschiffen aus dem 6-Tage-Krieg: Aus der Serie The Bitterlake Chronicles (Detail) von Uriel Orlow.

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Foto: Uriel Orlow

Der in London lebende Schweizer Künstler Uriel Orlow interessiert sich für die Nebenschauplätze der Weltgeschichte. Einen davon hat er in Ägypten gefunden, wo er sich auf die Spurensuche von gestrandeten Frachtschiffen aus dem 6-Tage-Krieg gemacht hat.


Die Männer auf dem Schiff vertreiben sich die Zeit mit Gewichtheben. Aus der Installation The Short and the Long of it.

Fotos: Henning Moser (oben); Ayman Hussein (unten)

werden. Der Suezkanal war geschlossen, acht Jahre lang. Die Passage zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer wurde erst 1975, nach einem weiteren Krieg, wieder geöffnet. Das ist der Stoff, aus dem die Kunst Uriel Orlows ist. Den in London lebenden Schweizer faszinieren Ereignisse, die sich, wie er sagt, «im Schatten der Weltgeschichte abspielen.» Darin sieht er ein grosses Potenzial für Kunst und Repräsentation. Seine vorletzte installation Remnants of the Future (2010) beruht auf Recherchen in einer Geisterstadt Nordarmeniens, die noch unter Michail Gorbatschow errichtet, aber nach dem zusammenbruch der Sowjetunion nicht fertig gebaut wurde. Für seine neueste Arbeit The Short and the Long of it, reiste er nach Ägypten und an den Suezkanal. Wann er erstmals von den Schiffen auf den Bitterseen gehört hatte, weiss er heute nicht mehr so genau. Die Briefmarken müssen ihn auf die Geschichte gebracht haben. Schiffe, gestrandet zwischen Raum und Zeit Als sich herausstellte, dass die Schiffe auf unbestimmte, sprich sehr lange zeit stecken bleiben würden, begannen die Mannschaften, sich zu organisieren. Sie gründeten die Great Bitter Lake Association, tauschten aus ihrem Frachtgut Lebensmittel aus und gingen sich gegenseitig mit Wartungsarbeiten zur Hand. Und sie druckten, da sie ja gewissermassen ihr

insel», als Heterotopie im Foucault’schen Sinn: Hier wurden an einem real existierenden Ort, der indes von der Gesellschaft abgeschlossen war, die ideale und Utopien eben dieser Gesellschaft verwirklicht. Der Konflikt im Nahen Osten setzte sich, wie wir wissen, fort, die zeit verstrich, die Mannschaften wurden regelmässig ersetzt – die Schiffe blieben. Die Menschen, die da Dienst hatten, mussten sich beschäftigen. im Film, den Uriel Orlow als Teil seiner installation The Short and the Long of it in der Ausstellung Hydrarchy: Power & Resistance at Sea in der Londoner Gasworks Gallery zeigt, sieht man die Männer Sackspringen und Gewichtheben. Sie organisierten verschiedene Wettbewerbe und während der Olympischen Spiele in Mexiko ihre eigene Parallelolympiade.

Vergangenes mit Bildern evozieren Heute verwischen sich die Bilder. Da sind Männer auf dem Schiff am Trinken, ein Junge fischt die Flaschen aus dem Wasser, dann sehen wir den Künstler, der hinausschaut auf den See, wo ein Schiff im Dunst auftaucht – als Fata Morgana der Vergangenheit. Uriel Orlow hat mit Schiffsleuten in Hamburg gesprochen, die damals im Great Bitter Lake stationiert waren. Und von Anfang an war klar: Da musste er hin. Er wollte den Ort ersehen, mit Menschen sprechen, die sich erinnerten. Er bewarb sich um eine Residenz der Pro Helvetia in Kairo und lernte Arabisch, intensiv. «Mir war klar, dass ich ohne Sprachkenntnisse nicht weiterkommen würde.» Auch nicht ohne Hilfe vor Ort. Von Januar bis April 2010 weilte er als Künstler in Residenz in Kairo, dann wieder im April dieses Jahres. Bereits im November 2010 stellte er Ergebnisse seiner Nachforschungen in Berlin und London vor. Ein ägyptischer Filmemacher stand ihm zur Seite und führte die Verhandlungen. «Das war sehr wichtig, denn vieles lief über Beziehungen.» Die beiden liessen sich im Fischerdorf Fayid am Ufer des Great Bitter Lake nieder, doch Fotografieren und Filmen gestalteten sich schwierig – das Gebiet ist noch immer militärische zone. Material sammeln, Gespräche mit Beteiligten, ErinnerunEreignisse, die sich im Schatten der Weltgeschichte abspielen, faszinieren Uriel Orlow. gen anhören, sich ein eigenes

eigenes Territorium verwalteten, Briefmarken, die in der ganzen Welt zum Sammelgut wurden. Die Schiffe kamen aus Deutschland, England, Frankreich, den USA, Schweden, Bulgarien, Polen und der Tschechoslowakei, also von hüben und drüben des Eisernen Vorhangs. «Der Krieg im Nahen Osten war eigentlich ein Stellvertreterkrieg», sagt Uriel Orlow, «eine Fortsetzung des Kalten Krieges: Die USA waren auf der Seite der israeli, die Sowjetunion mit Nasser verbündet. Und unweit davon fanden sich Menschen von beiden Seiten, gefangen in eben diesem Konflikt, zu einer Gemeinschaft. Da wurden Freundschaften fürs Leben geschlossen.» Die Yellow Fleet – so wurde die Flotte genannt, weil der Wüstensand sich auf den Schiffen niedergelegt hatte – sieht Orlow als «Friedens-

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Die Ausstellung The Short and the Long of it ist im August in La Rada, Locarno, zu sehen und von Oktober bis November im FRAC Aquitaine in Bordeaux. www.urielorlow.net und www.prohelvetia.org.eg Lilo Weber arbeitete von 2002 bis 2010 als freie Journalistin in London und war zuvor Kulturredaktorin der Neuen Zürcher Zeitung. Sie lebt heute wieder als Kulturpublizistin in der Schweiz.

Objekte, die von der menschlichen Schöpferkraft erzählen ROm

im istituto Svizzero in Rom rollen 51 Objekte weit mehr als die Geschichte des Designs auf. Die Begegnung mit einfachen, schwarzen, viereckigen Gebrauchsgegenständen wird unter Anleitung des Münchner Designers Konstantin Grcic zur Entdeckungsreise durch die menschliche Kreativität.

Die Schau untersucht die Verwendung des schwarzen Vierecks in zeitgenössischen Designobjekten. Tetsubin Teekanne aus Gusseisen.

Von Eva Clausen, Rom – Design ist Formgebung, ist bewusstes Gestalten. Die Quintessenz des von Menschengeist und -hand Geschaffenen ist das Viereck, denn es besitzt nicht Seinesgleichen in der Natur. Andere Formen finden Entsprechungen, Vorbilder in ihr, nicht aber das Viereck. Es ist ein Meilenstein, wenn nicht gar der Grundstein der Geschichte der Menschheit, der zivilisation schlechthin. Für den Designer Konstanin Grcic ist es der inbegriff des Künstlichen, im positiven Sinne. Es bedeutet die auf der Ratio basieO R T SZ E IT

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rende, schöpferische Emanzipation des Menschen von dem Vorgegebenen, ein prometheischer Akt von geometrischer Präzision. Wird der jüngsten der Künste, dem Design, das Prädikat der Kunstvollwertigkeit nur zögerlich zugesprochen, dürfte an seinem Primat der Künstlichkeit wohl kaum zweifel bestehen. Grcic greift folglich nicht nur von Berufs wegen auf Designobjekte zurück. Der besondere Reiz in der Schau liegt darin, dass er ihnen zwar ihren Designcharakter, vornehmlich die Funktionalität, belässt, sie aber den-

Foto: Salvatore Gozzo

Bild vom Schauplatz machen – bis dahin gleicht Uriel Orlows Arbeit der eines Historikers oder Reporters. Er aber begreift seine Arbeit nicht als Geschichtsarbeit, sondern als Kunstarbeit. Er will nicht Geschichte erzählen, weder im narrativen noch im historischen Sinne, sondern Vergangenes evozieren, in Bildern. «Die Evokation soll etwas wieder greifbar machen, das nicht mehr da ist – das ist eine Art Halluzination.» Er spricht von der «Politik des Bildes», mittels dessen die traditionelle Geschichtsschreibung hinterfragt wird: «Wie gehen wir mit Geschichte um? Was wird überliefert? Und wieso werden gewisse Ereignisse verschwiegen oder treten höchstens als Fussnote auf?» Die Arbeit vor Ort war essenziell. Er suchte nach Spuren und Erinnerungen, redete mit den Dorfbewohnern und viele Tage verbrachte er damit, vom Ufer aus die Schiffe auf dem Kanal zu beobachten. Er nennt das «Halluzinieren vor Ort». Dann werden die Bilder geordnet. Einige davon hat er in den Londoner Gasworks auf einem Tisch ausgelegt, andere an die Wand gehängt: Fotografien, Briefmarken und zeichnungen von Fischen. Der Videofilm verbindet Alt und Neu, gestern und heute, das Filmmaterial der Seeleute und jenes des Künstlers. Nicht immer ist klar, was wo zu orten ist – das gehört zum Halluzinatorischen der installation. Dem Film stellt er eine Diaprojektion mit Texttafeln an die Seite. Diese erinnern an Ereignisse, Filmtitel, Songs aus jenen acht Jahren, da die Schiffe gestrandet waren: Jaws, Studentenunruhen in Paris, «Give Peace a Chance» – keine Chronologie der Ereignisse, nirgends. Und ein Treffen von Wort und Bild höchstens zufällig. Sinn ergibt sich aus dem Ganzen, aus dieser Landschaft von Bildern, Berichten, Sätzen und Assoziationen.


noch wie Kunstwerke präsentiert. Einzigartigkeit und Serienmässigkeit gehen Hand in Hand.

Fotos: Salvatore Gozzo (oben); Markus Jans (unten)

Objekte im Zwiegespräch inspirationsquelle ist für Grcic neben der Kaaba, dem islamischen Urheiligtum in Kubusform, das berühmte Schwarze Quadrat des russischen Malers Kasimir Malewitsch, das er nicht inhaltlich, also als Bild, sondern gestalterisch in seiner Präsentationsform zitiert. Malewitsch hängte seinerzeit das Quadrat wie ein russisches Heiligenbild auf. Dies tut Grcic nun mit dem schwarzen Hartschalenkoffer Salsa Iata von Richard Morszeck, eine treffliche ikone unserer heutigen Migrantenwelt. Es geht Grcic um die Sichtweise, die Perspektive, die die Objekte aus der Enge der funktionalen Genügsamkeit in die Weite ästhetischen zusammenspiels entführen. Der weisse Ausstellungsraum des instituts wird zur exemplarischen Bühne, die Regie von Konstantin Grcic ist prägnant und doch von spielerischer Leichtigkeit. Die Objekte – darunter der Diana B Beistelltisch der Firma ClassiCon, (das einzige Objekt in der Schau von Grcic selbst) das «i» der Helvetica, der klassischsten aller serifenlosen Schriftarten von Max Miedinger und Eduard Hoffmann, der Vitra 03 Stuhl von Maarten van Severen – werden auf weisse Sockel gestellt, an die Wand gehängt, in Vitrinen gelegt. Damit schafft

Konstantin Grcic gilt als Verteidiger des schlichten Designs.

Figur, die die Brücke zwischen der Fantasie und dem Fliessband schlägt. «Die idee des Prototyps liegt gewissermassen auch dem Konzept der Ausstellung zugrunde», so erklärt der verantwortliche Kurator am istituto Svizzero Salvatore Lacagnina, denn von dem Grcic zollt dem Einzelcharakter der Objekte Respekt und «römischen Original» orchestriert sie zu einem Ganzen. wird die Schau mehrfach repliziert werden: Grcic einen Verfremdungseffekt, ohne der noch bis Anfang Juni ist sie in Berlin zu seRealität der Dinge Abbruch zu tun. Sie hen und im Herbst in Warschau. zollt Grcic werden zu Akteuren in einer inszenierung, dem Einzelcharakter der Objekte Respekt, die sich gleichwohl feiner Überraschungs- um sie in ein Ganzes zu orchestrieren, so ist effekte bedient, etwa in der suggestiven das istituto Svizzero bemüht, unter BePaarung des Buches der Bücher, der Bibel, rücksichtigung der Eigenständigkeit der mit dem Aschenbecher Cubo von Bruno Gattungen die interdisziplinarität zu Munari, oder des schwarzen Diamanten fördern. in den letzten Jahren wurde das mit dem ChipA4 für iPad und iPhone 4 von Augenmerk verstärkt auf Architektur, DeApple. Grcic gibt dabei nur die Anleitung, sign und zeitgenössische Kunst gerichtet, er hebt nicht den didaktischen zeigefin- derweil gerade hier die Vielfalt der Berühger, verzichtet auf langatmige fachliche rungspunkte einen spannenden Dialog und designgeschichtliche Erklärungen. Er ermöglicht. «in der Schaffung oder zuminlässt die Objekte alleine für sich und den dest Offenheit für fliessende Übergänge», Betrachter sprechen. wie der institutsleiter Christoph Riedweg es ausdrückt, bleibt das Haus seiner Berufung treu, «stets im Dienste der kulturellen Das Visionäre mit dem Handwerklichen zusammenarbeit zwischen der Schweiz verknüpft zurückhaltung und Respekt vor dem und italien zu stehen.» Objekt sind auch für Grcics berufliches Die Ausstellung Black2 ist noch bis Anfang Juni Selbstverständnis charakteristisch. Er ist im 32c Workshop/Joerg Koch in Berlin zu gelernter Möbelschreiner und gilt als Versehen und im Oktober im Rahmen des Festivals Warsaw Under Construction in Warschau. teidiger des einfachen, schlichten Designs. http://032c.com; www.artmuseum.pl; Das zeichenbrett ist für ihn wie eine www.istitutosvizzero.it Werkbank, das Gestalten wie das Meisseln Konstantin Grcic, 1965 geboren, ist ein einer Skulptur. Vielleicht fühlt er sich desdeutscher industriedesigner und gilt als einer halb mit der italienischen Tradition beder Einflussreichsten seines Fachs.Grcic absolvierte eine Ausbildung zum Möbelschreisonders eng verbunden, in der das Visioner und studierte dann am Royal College of Art näre stets eng mit dem Handwerklichen in London Design. 1991 gründete er in verknüpft ist. Der italienische Designer München das Designbüro KGiD (Konstantin Grcic industrial Design). Er entwarf im Auftrag Vico Magistretti war einer seiner Lehrer zahlreicher führender Designfirmen Möbel, während des Designstudiums am LondoLeuchten und Accessoires. Für seine Arbeit wurde Grcic wiederholt ausgezeichnet. Seine ner Royal College of Art. Achille Castigliaus Polypropylen gefertigte Lampe MAYDAY oni, Joe Colombo, Aldo Rossi, Franco wurde 2001 in die permanente Sammlung des Albini haben seinen Werdegang ebenfalls Museum of Modern Art in New York aufgenommen. geprägt und bestücken zum Teil die Schau. «in italien ist der enge Kontakt Eva Clausen, 1961 in Düsseldorf geboren, lebt seit 1980 in Rom. Sie hat Literatur und zwischen Designer und Hersteller immer Kunstgeschichte studiert. Seit 1994 ist sie noch von grosser Bedeutung», meint Korrespondentin für die Kulturseiten mehrerer Grcic, wie die Rolle des prototipista, des deutschsprachiger zeitungen. Modellbauers, zeigt, jener unerlässlichen O R T SZ E IT

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Ausfl체ge in experimentelle Gefielde: Dragos Tara mit modifizierten Kl채ngen auf dem Kontrabass im Konzertlokal des Genfer Kulturzentrums Usine.

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R EP OR TAGE

Ungewohnte Klangwelten Das Festival Présences Eléctroniques in Genf sorgte für eine Begegnung, wie sie nur selten stattfindet: Akademische Klangforscher trafen auf populäre Soundtüftler und entlockten einer Installation aus 48 Lautsprechern überraschende Klänge. Ein musikalischer Brückenschlag, der beim Publikum Anklang fand. Von Benoît Perrier (Text) und Isabelle Meister (Bilder)

Bei Christian Zanési sitzt jeder Handgriff. Geschickt und präzise bedient der fran­ zösische Komponist die Regler des Misch­ pults, mit dem er ein ganz besonderes «Orchester» steuert: Das Akusmonium des INA­GRM (Institut National de L’Audio­ visuel, Groupe de Recherches Musicales), eine Installation aus 48 Lautsprechern, die eigens für das Festival Présences Electroniques aus Paris nach Genf ins Alhambra gebracht wurde. Im Dämmerlicht des 1920 erbauten Kino­ und Theatersaals sind die überall im Raum verteilten Boxen nur schemenhaft zu erkennen. Hier und im Kulturzentrum Usine trifft an diesem zweiten Wochenende im Dezember die akademische elektronische Musik auf ihr populäres Pendant – eine Begegnung, wie sie trotz aller Gemeinsamkeiten (vom Handwerkszeug über die Inspiration bis zur Ästhetik) nur selten stattfindet. Das Mischpult steht mitten im Publikum und sieht aus wie eine Kommandobrücke. Das Alhambra ist heute ein Schiff und der Mann an den Reglern sein Kapitän. R e po R tag e

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Er entscheidet, wo im Saal welcher Klang wie laut zu hören ist und welche Wirkung die Musik dadurch entfaltet. Nicht anders als zum Beispiel ein Pianist agiert er als In­ terpret einer im Voraus erstellten Kompo­ sition. Welche Möglichkeiten dies eröffnet, weiss kaum jemand besser als Christian Zanési, Initiator von Présences Electroniques und künstlerischer Leiter des INA­GRM in Paris, einer 1958 von Pierre Schaeffer gegründeten Forschungsgruppe, die das Akusmonium erfand und als Be­ gründerin der «konkreten Musik» («mu­ sique concrète») gilt. Die Idee des Festivals ist es, dieses nuancenreiche Instrument der Kunstmusik in die Hände von Vertre­ tern sowohl der akademischen als auch der populären elektronischen Musik zu le­ gen und so diese beiden Welten einander, aber auch dem Publikum näherzubringen. Mitwirkende beim ersten Schweizer Gast­ spiel, organisiert von Headfun, den Ver­ anstaltern des Festivals Electron, und un­ terstützt durch Pro Helvetia, sind unter anderem der Zürcher Komponist Marcus


Maeder, das Dubstep­Genie Kode9 sowie der renommierte elektronische Künstler Monolake.

Einbezug des Alltäglichen Eine Brother­Schreibmaschine aus den Sixties und Kisten mit Unmengen von Kassetten: Willkommen im Studio von Vincent de Roguin, der sich hier, in einem Industriegebäude unweit des Genfer Flug­ hafens, auf seinen Auftritt beim Festival vorbereitet. Der Schweizer Künstler – schlaksig, Anfang dreissig, blonder Bart – beschäftigt sich seit zehn Jahren mit expe­ rimenteller elektronischer Musik und ist in diesem Bereich unter anderem als Impro­ visator und als Komponist für Radio und Theater tätig. Zudem war de Roguin, der Extreme Metal und den Progressive Rock von Yes und King Crimson zu seinen wich­ tigsten musikalischen Einflüssen zählt, Mitglied der Genfer Band Shora und der international beachteten Experimental­ formation Æthenor. Sein Studio beherbergt etliche Tas­ teninstrumente (Farfisa­Orgel, Celesta, Jupiter­Synthesizer …) und eine beeindru­ ckende Sammlung von analogen Sound­ modulen, Verstärkern und Revox­Geräten. «Ursprünglich waren es noch viel mehr, aber ich habe einiges aussortiert und ver­ kauft – der Grat zwischen sinnvoller An­ schaffung und reiner Fetischbefriedigung ist oft schmal …», gibt er schmunzelnd zu. Typisch für die konkrete Musik, erklärt de Roguin, ist der Einbezug des Alltäglichen. So ist der Klang eines Wassertropfens in ei­ nem akusmatischen Stück zwar Teil der Komposition, kann vom Zuhörer aber auch als Umgebungsgeräusch wahrgenommen

Vincent de Roguin möchte eine Brücke zwischen psychedelischer und konkreter Musik schlagen.

werden – und genau für dieses Spannungs­ feld zwischen Realität und Abstraktion in­ teressiert sich der Künstler. Dessen grosses Interesse an konzeptuellen Fragen kommt im Übrigen nicht von ungefähr: De Roguin betätigt sich auch als Plastiker und ist es daher gewohnt zu erläutern, zu legitimie­ ren und einzuordnen. Zum Begriff der «Transversalität» etwa meint er: «Die Tren­ nung der Künste in einzelne Sparten ist rein kulturell bedingt. Statt, wie manche dies tun, andere Medien als hermetisch ab­ geschlossene Bereiche zu betrachten – hier Musik, da Literatur, dort bildende und dar­ stellende Künste –, tut man bei der Formu­ lierung eines künstlerischen Kommentars zur Realität besser daran, eine globale Sichtweise einzunehmen.»

Fans von Experimen­ tal Rock, Kunst­ studenten, Musik­ theoretiker und andere Neugierige: das Publikum ist bunt gemischt.

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Was er sich von seinem Auftritt erhofft? «Eine Brücke zwischen psychedelischer und konkreter Musik zu schlagen», ein Eintauchen in ungewohnte Klangwelten zu ermöglichen. Eine besondere Heraus­ forderung stellt die Dauer des Stücks – 15 Minuten – dar, das den Zuhörer weder langweilen noch überfordern soll. Fest steht auf jeden Fall, dass die Voraufzeich­ nung des Stücks auf Band erfolgen wird. Den Ausschlag für diese Wahl gab die hohe Belastbarkeit des analogen Tonträgers oder, wie de Roguin es ausdrückt, «seine Fähigkeit, das Chaos zu absorbieren». Lyrische Orgeln, stampfende Bässe Zurück im Alhambra: Christian Zanési be­ endet gerade sein Set, bestehend aus zwei Etüden, die der französische Klangkünst­ ler Luc Ferrari 1958 komponierte, und übergibt seinen Platz hinter dem Mischpult an Vincent de Roguin. Die Bühne ist leer, im Saal wird es dunkel. Erste perkussive Töne sind zu hören. Ich sehe sein Studio vor mir – worauf hat er da getrommelt und womit? Wie hat er es aufgenommen und bearbeitet? Eine Art Heulen kommt und geht, ein Rhythmus setzt ein; irgendwie klingt es wie ein Radio auf der Suche nach der richtigen Frequenz. Der Klang ist so räumlich, dass er fast mit Händen zu grei­ fen ist. Und dann ist es vorbei. Das Ziel, den Zuhörer ins Grübeln darüber zu bringen, ob er natürliche oder künstliche Klänge hört, ist erreicht; offenbar beinhaltete das


Stück genau die richtige Menge an In­ formationen. Nach seinem Auftritt zieht de Roguin ein positives Fazit. Am Morgen hat er noch intensiv geprobt und die beste seiner fünf Versionen des Stücks für den Abend ausgewählt. Auf den Schweizer folgt der Kanadier Tim Hecker. Er spielt auf der Bühne, wäh­ rend ein Tontechniker des GRM das Akus­ monium vom Saal aus steuert. Sein lyri­ sches Set umhüllt den Zuhörer mit Musik und weckt Assoziationen an eine hallende Kathedrale mit mächtigen Orgeln. Etwas enttäuschend ist danach der Australier Ben Frost, dessen Mischung aus repetiti­ vem Hauchen und Wolfsgeheul nicht zu fesseln vermag. Den ersten Teil des Abends beschliesst Leila, eine Vertraute von Björk, mit drei CD­Spielern, einem Rack mit Ef­ fektgeräten und ziemlich brutalen Über­ gängen.

«Eine Art Heulen kommt und geht, ein Rhythmus setzt ein; irgendwie klingt es wie ein Radio auf der Suche nach der richtigen Frequenz.» der organische Techno von Childe Grangier – der sich nach seinem Auftritt freut wie ein kleines Kind und die Wiedergabequalität der Anlage rühmt. Auch die durch den Raum wirbelnden Klangpartikel von Mar­ cus Maeder versetzen das Publikum in eine andere Welt, ebenso wie der meditative Am­ bient des Norwegers Biosphere. Auf der Bühne bauen die Techniker des GRM das Akusmonium ab und lassen nur acht rote, kugelförmige Lautsprecher stehen, die in der Luft zu schweben schei­ nen – als sei HAL, der neurotische Bord­

Die kugelförmigen Lautsprecher scheinen im Raum zu schweben.

Weiter geht es im Zoo, einem Konzertlokal im Kulturzentrum Usine, wo die Genfer Association pour la Musique Electroacous­ tique ein zweites Akusmonium installiert hat. Nach Ausflügen in experimentelle Ge­ filde mit den modifizierten Kontrabass­ klängen von Dragos Tara und dem Äthero­ phon von Therminal C übernimmt unter grossem Applaus Kode9 die Regler. Rasch ist der Raum erfüllt von stampfenden Bäs­ sen und dem Jubel der tanzenden Menge. Mit virtuosen Übergängen und Rhythmus­ wechseln beweist der Dubstep­Pionier, dass er nicht umsonst als einer der wich­ tigsten Köpfe der zeitgenössischen elek­ tronischen Musik gilt. Reise in eine andere Welt Am zweiten Tag des Festivals stehen auf dem Programm des Alhambra unter ande­ rem eine Hommage an Pierre Schaeffer und

computer aus Stanley Kubricks «Odyssee im Weltraum», gleich in mehrfacher Aus­ führung wiederauferstanden. Ein schlak­ siger Riese mit rasiertem Schädel und schwarzen Doc Martens an den Füssen lässt sich vor der imposanten Installation fotografieren, bevor er in den Saal zurück­ eilt, um Christian Zanési zu bitten, ihn unbedingt nach Paris einzuladen, damit er noch einmal auf dem Akusmonium spielen könne – es ist Robert Henke, bes­ ser bekannt unter seinem Pseudonym Monolake. Er ist einer der Entwickler der Software Ableton Live, die weltweit zur Live­Produktion von elektronischer Musik verwendet wird. Nach seinem Auftritt ist er in eupho­ rischer Stimmung, schwärmt von der fan­ tastischen Atmosphäre des Festivals (ge­ nau wie alle anderen befragten Künstler und Besucher) und betont, wie fruchtbar R e po R tag e

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dieses Aufeinandertreffen von akademi­ scher Kultur und Underground sei. Das Akusmonium hatte er zuvor zwar schon einmal in Aktion erlebt, selbst bedient hat er es heute aber zum ersten Mal. Zur Auf­ führung brachte er dabei mit Tau ein ei­ gens für das Festival und das Instrument komponiertes Werk, was Philippe Dao, Lei­ ter der musikalischen Produktion beim GRM, nicht überrascht hat: «Die meisten Künstler versuchen auf diese Weise, die Möglichkeiten, die ihnen die Apparatur bietet, voll auszuschöpfen.» Dieser zweite Abend im Alhambra war aussergewöhnlich, sowohl in Bezug auf die Qualität als auch auf die Vielfalt des Gebotenen, und bewies, dass das Ziel des Festivals erreicht wurde: die Verbindun­ gen zwischen akademischen Klangfor­ schern und populären Soundtüftlern auf­ zuzeigen. Das bunt gemischte Publikum (Fans von Experimental Rock, Kunst­ studenten, Musiktheoretiker und andere Neugierige) geht von Bord des Schiffs Al­ hambra und macht sich auf den Weg zum Zoo und den hedonistischen Flötenklän­ gen von Matias Aguayo – mit den Eindrü­ cken einer ganz besonderen akustischen Reise in den Ohren und voller Vorfreude auf die nächste Entdeckungsfahrt. Hörproben unter: www.vincent­de­roguin.ch; www.monolake.de; www.domizil.ch/marcus_ maeder Benoît Perrier hat ein Philosophiestudium absolviert und ist heute als Journalist tätig. Er schreibt für Le Courrier und Place Neuve und ist in der Radiosendung Les Bruits du Frigo zu hören. Zudem ist er fest entschlossen, irgendwann eine Westschweizer Sektion des Fanklubs von Steely Dan zu gründen. Isabelle Meister lebt und arbeitet als Fotografin in Genf. Sie dokumentiert in ihren Arbeiten vorwiegend die Kulturszene: Theater, Tanz und Musik – ist aber auch als Porträtfotografin tätig. http://isabellemeister.ch Aus dem Französischen von Reto Gustin


PRO H ELV E T I A A K T U EL L

Nationale Kulturförderung im globalen Mainstream Führen globale Märkte auch zu einem globalisierten Geschmack? Und was bedeutet dies für die nationale Kulturförderung: muss sie nun die bekannten Traditionen hervorheben, um im internationalen Wettbewerb authentisch und unverwechselbar zu wirken? Solchen Fragen geht die Tagung «Kulturpolitik zwischen Globalisierung und nationalem Interesse» am 17. Juni in Aarau nach. Eingeladen werden namhafte Expertinnen und Experten wie der französische Medienforscher Frédéric Martel, Autor des Buches «Mainstream. Wie

funktioniert, was allen gefällt». In seinem Report über die weltweite Kulturindustrie untersucht er die Massenkultur und zeigt auf, welche Interessen dahinter stehen. Parallel zu dieser hochkarätigen Tagung, die sich an ein kulturpolitisch interessiertes Publikum wendet, zeigen das Stadtmuseum Aarau und das Forum Schlosspark noch bis am 31. Juli in der Alten Reithalle in Aarau die Wanderausstellung Helvetia Park. Die Schau, die sich der Metapher des Jahrmarkts bedient, ist im Rahmen von «Ménage – Kultur und Politik zu Tisch» entstanden. Mit diesem Programm hat Pro Helvetia – parallel zur parlamentarischen Debatte über das neue Kulturförderungsgesetz – die Rolle der Kultur und ihr zuweilen spannungsreiches Verhältnis zum Staat ausgeleuchtet. Die Tagung bildet den Abschluss dieses Programms. http://menage.prohelvetia.ch

Vermittler aller Regionen, vernetzet euch! Seit Januar ist sie online – die erste Informationsplattform für Kulturvermittlung in der Schweiz. Ob Shakespeare in der Schule, Banker im Museum oder Kinderkunst im öffentlichen Raum, www.kulturvermittlung.ch gibt Auskunft über aktuelle Projekte, Köpfe und Ideen. Initiiert von Pro Helvetia, der Pädagogischen Hochschule Bern und der Schweizerischen UNESCO-Kommission soll die Plattform zum unverzichtbaren Arbeitsinstrument für Kulturvermittlerinnen und -vermittler werden. Kultur-vermittlung.ch wird mit rund 20 Partnern aus Kultur, Lehre und Forschung betrieben und richtet sich ans Schweizer Fachpublikum – auf Deutsch, Französisch und Italienisch. Herzstück ist neben einer Projekt- und Personendatenbank, welche die Nutzerinnen selbst speisen, ein Diskussionsbereich für monatlich wechselnde Debatten. Informationen zu Verbänden und Ausbildungsmöglichkeiten, Literaturtipps, Artikel internationaler Experten und ein Newsbereich runden das Angebot ab. Das Projekt mit Pioniercharakter soll die bisher vorwiegend lokal organisierte Vermittlerszene schweizweit vernetzen und zum Diskurs über die hierzulande noch junge Disziplin anregen.

Die Wanderausstellung Helvetia Park ist noch bis am 31. Juli in der Alten Reithalle in Aarau zu sehen.

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Foto: Alain Germond

www.kultur-vermittlung.ch


Literatur auf Tour in Zentral- und Osteuropa Vaikų istorijos

orijos

r dideliems vaikams, skaitytojams, kujeigu būtų. Septynios istorijos, kuriose uokingi maištuoliai, tragiško sudėjimo stuojančiam nepakeičiamumui sudaryti ino, bet netiki, kad žemė yra apvali, ir vienas, kuris visiems daiktams naujus upranta. Vienas, kuris mano, kad Ameišradėjas, išradinėjantis daiktus, kurie varkaraštį moka atmintinai, nors niekaato, kad informacijos langelyje žmonės uoti visus pasaulio laiptus, kad žinotų

Peter Bichsel © Isolde Ohlbaum

Peter Bichsel

Peteris Bichselis, gimęs 1935 metais Luzernoje, gyvena Solothurne. Iki 1968 metų (paskutinį kartą 1973 metais) jisai dirbo pradinių klasių mokytoju. 1964 metais jis savo trumpomis istorijomis Iš tikrųjų norėjo ponia Blum susipažinti su pienininku iškart išgarsėjo; grupė 47 jį priėmė susižavėjusi ir 1965 metais įteikė jam savo literatūros premiją. Nuo 1985 metų P. Bichselis yra Berlyno menų akademijos narys ir koresponduotas Vokietijos kalbos ir poezijos akademijos Darmstate narys.

Vaikų istorijos • Peter Bichsel

storijas galima palyginti su Johanno mis istorijomis: kaip šitos žaismingai

istorijos » yra kyga, skaitoma nuo šimtmečių, ji suprantama visiškai ų istorijos », nepaisant viso subtilaus dirbtinumo, yra liaudies knygos (naujo

Ein neues Publikum für Melinda Nadj Abonji, Lukas Bärfuss und Ivan Farron: Die Wanderausstellung Swiss Lib. – Switzerland’s literature on tour bringt Schweizer Gegenwartsliteratur an die grossen Buchmessen in Zentral- und Osteuropa. Anfang Jahr war die von Pro Helvetia initiierte Ausstellung bereits in Vilnius zu Gast und reist nun weiter nach Prag, Lemberg und Krakau. Die als begehbare Bücherstadt konzipierte Schau stellt in Wort, Bild und Ton das hiesige Literaturschaffen anhand dreier Themenbereiche vor: «Transnationales», «Schauplätze» und «Liebe/Beziehungen». In Videointerviews erzählen die Autorinnen und Autoren, welche Bedeu-

Peter Bichsels Kindergeschichten – vielleicht bald auf Litauisch.

tung diese Themen in ihrem Schaffen haben. Die Besucher können zudem in die Schweizer Spoken-Poetry-Kultur und in Lieder mit lyrischen Texten hineinhören. Neben bestehenden Übersetzungen in die jeweilige Landessprache oder ins Englische präsentiert Swiss Lib. auch sogenannte «Blindbände»: herausragende Bücher von Schweizer Schriftstellern, die noch auf eine Übersetzung warten. Das Rahmenprogramm bringt Literaturschaffende, Kritiker und Verleger jeweils beider Länder für Lesungen und Gespräche zusammen und wird von einem binationalen Team kuratiert.

Foto unten: Georg Anderhub

Schaufenster für Schweizer Kultur Was gibt es Neues in der Schweizer Tanzszene? Welche Neuerscheinung hat die Literarturliebhaber hierzulande aufhorchen lassen? Und welche Musikbands sollten auch im Ausland Gehör finden? Seit Anfang April informiert die neu gestaltete und inhaltlich erweiterte Promotionsplattform von Pro Helvetia im Internet über das aktuelle Schweizer Kulturschaffen. Vorgestellt werden Künstler, Gruppen und Projekte sämtlicher Kunstsparten, die von Pro Helvetia unterstützt worden sind und denen sie zu weiterer Präsenz im In- und Ausland verhelfen möchte. Die Plattform richtet sich in erster Linie an Veranstalter und diplomatische Vertretungen rund um den Globus, die Schweizer Kulturschaffende einladen

Prag: 12. – 15. Mai, Lemberg: 15. – 18. September, Krakau: 3. – 6. November. www.prohelvetia.pl

möchten. Als «Matchmaker» bringt sie Angebot und Nachfrage zusammen und ermöglicht den direkten Kontakt zu den Künstlerinnen und Künstlern. Darüber hinaus bietet die Plattform dem kulturinteressierten Publikum ein reich ausgestattetes Schaufenster zeitgenössischer Schweizer Kultur. Ein wichtiger Bestandteil sind die soeben erschienenen Cahiers d’Artistes, Erstpublikationen für vielversprechende Kunstschaffende aus dem Bereich der Visuellen Künste. Pro Helvetia wird die acht neuen Künstlerhefte wiederum im Rahmen der Swiss Art Awards vom 14. – 19. Juni in Basel präsentieren. www.prohelvetia.ch/promotion

Die Schweizer Tänzerin und Choreografin Anna Huber in ihrem Solostück Eine Frage der Zeit.

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Von Christine Lötscher – «Der schwierige Versöhnungsprozess in Bosnien zwingt uns bosnischen Autoren ein politisches Engagement beim Schreiben auf. Wenn ich über diese Gesellschaft schreibe, ist auch das Private politisch», sagt Lamija Begagic, eine junge Autorin aus Sarajevo. Dass ihre Texte auch ausserhalb Bosniens gelesen werden können, ist dem Netzwerk Traduki zu verdanken: Für den Schwerpunkt Bosnien und Herzegowina an der Leipziger Buchmesse 2010 wurde eine ihrer Geschichten ins Deutsche übersetzt. Übersetzen ist das Kerngeschäft von Traduki, wie bereits im Namen anklingt, doch es gilt nicht nur Sprachgrenzen zu überwinden. In den Ländern des ehemaligen Jugoslawien setzt sich Traduki für einen literarischen Austausch zwischen den neuen Nationalstaaten ein. So erscheinen Lamija Begagics Bücher auch in Serbien; ausserdem arbeitet sie bei der von kritischen serbischen Intellektuellen gestalteten Internetplattform Beton mit. Im vergangenen Herbst verbrachte die junge Bosnierin mit einem Traduki-Stipendium einen Monat in der kroatischen Hafenstadt Split. Das Autorenatelier bot Zeit und Raum für konzentriertes Schreiben, aber auch für einen intensiven und nachhaltigen Austausch mit dem kroatischen Literaturbetrieb. Workshops in Split und Solothurn Traduki vermittelt nicht nur Texte, sondern organisiert Begegnungen zwischen Autoren, Übersetzern, Verlegern und Kritikern. Workshops in Split und in Solothurn, massgeblich von Pro Helvetia unterstützt, boten den südosteuropäischen Ländern sowie Deutschland, Österreich und der Schweiz Gelegenheit, ihre jeweilige Literatur und ihren Literaturbetrieb vorzustellen. Dadurch festigt Traduki bestehende Kontakte und weckt die Neugier auf noch unbekannte Autoren und Texte. Das Netzwerk vermittelt dem deutschsprachigen Publikum Bücher aus südosteuropäischen Sprachen und sorgt im Gegenzug dafür, dass Leser in Südosteuropa die deutschsprachige Literatur entdecken: Gerade wurde Hansjörg Schertenleibs Roman Das Regenorchester ins Bulgarische übersetzt. Grossen Wert legt Traduki aber auch auf die Förderung von Übersetzun-

PA R T N E R

Traduki Das Literaturnetzwerk Traduki fördert in der ehemaligen Krisenregion des Balkans den Dialog zwischen den Nationen und erschliesst dem deutschsprachigen Publikum anspruchsvolle Literatur aus Südosteuropa.

gen innerhalb Südosteuropas, zwischen dem Albanischen, Bulgarischen, Rumänischen und den Sprachen des ehemaligen Jugoslawiens – auch da gibt es noch viel zu entdecken. Entstanden ist Traduki 2008 aus einer gemeinsamen Initiative von Deutschland, Österreich und der Schweiz. In Deutschland wird es getragen vom Auswärtigen Amt, der S.Fischer Stiftung und dem Goethe-Institut, in Österreich von Kulturkontakt Austria und dem Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten und in der Schweiz von Pro

partNer: lit e r at u r Ne t Z W e r k t r aDu ki

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Helvetia. Seit Ende 2009 ist auch Slowenien Partner, vertreten durch die Buchagentur JAK. Anspruchsvolle Krimis aus Kroatien Die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit allen Beteiligten, seien es Verlage oder Übersetzer, ist für Traduki zentral. «Ihnen allen kommt als Kulturvermittler eine entscheidende Rolle zu», sagt Antje Contius, Geschäftsführerin der S.Fischer Stiftung, unter deren Dach Traduki untergebracht ist. Traduki zeichnet sich durch eine individuell gestaltete Förderung aus, die eine genaue Kenntnis der Länder und ihrer Literaturen voraussetzt. Hier kommt die Literaturwissenschaftlerin, Übersetzerin und Kulturvermittlerin Alida Bremer ins Spiel. Sie ist so etwas wie die Seele von Traduki, indem sie ihre langjährige Erfahrung mit dem Literaturbetrieb in den südosteuropäischen Ländern einbringt und ihre unzähligen persönlichen Kontakte nutzt. Sie sieht sofort, welcher Text zu welchem Verlag passen könnte und versucht Bücher, die nicht die verbreiteten Balkan-Stereotypen bedienen, zu vermitteln. Zum Beispiel die anspruchsvollen Krimis und Thriller, die in den letzten Jahren in Kroatien entstanden sind. «Wir fördern Übersetzungen, aber wir beraten die Verlage auch bei der Suche nach Autoren», erklärt sie, «und es ist wichtig, die Leute in den einzelnen Ländern persönlich zu kennen, um wirklich einen Überblick zu haben.» Obwohl Traduki normalerweise nur die Übersetzung finanziert (für Druckkosten, Layout, Marketing und Distribution müssen die Verlage selbst aufkommen), sind auch Ausnahmen möglich. «Zurzeit entsteht eine Anthologie, eine Zusammenarbeit zwischen kosovarischen und serbischen Autoren, die wir vollumfänglich unterstützen. Denn dieses grenzüberschreitende Projekt trifft den Kern unserer Anliegen genau.» www.traduki.eu Christine Lötscher ist Literaturwissenschaftlerin und Literaturkritikerin; sie ist Mitarbeiterin des Schweizerischen Instituts für Kinder- und Jugendmedien SIKJM. Die Rubrik Partner stellt jeweils eine Institution oder ein Netzwerk der Kulturförderung vor.


CA RTE BL A NCHE

Illustration : Aurel Märki

Kulturjournalismus von morgen Von Ruedi Widmer – Kulturaffine Menschen dürfen sich freuen: Die Kultur als Branche blüht. Auch die Kulturmedien gewinnen insgesamt an Volumen. In anderen Worten: Der Kulturjournalismus hat Zukunft. Leicht erschwerend kommt allerdings hinzu, dass man ihn zuerst neu erfinden muss. Um dem Problem auf die Spur zu kommen, lohnt sich zuerst die Tuchfühlung mit den Kunden. Fragt man zumal junge Leute, wo und wie sie Kulturjournalismus konsumieren, dann entsteht das Bild eines monumentalen Gewusels. Man bewegt sich, das Grundmuster des Navigierens im Internet übernehmend, in Medien kleinster bist grösster Reichweite, nimmt da und dort etwas mit, liest einiges zu Ende, übt sich im Schwarmverhalten à la Facebook und Twitter, springt von Community zu Community. Klassische Medien sind für solche Nutzer bestenfalls ein Zwischenstopp. Um möglichst viele von ihnen zu erreichen, übt sich der massenmediale Kulturjournalismus im Spagat. Es entstehen Unschärfen. Beispielsweise: Wo hört die Kultur thematisch auf – bei der Minarettdebatte, beim Blockbustergame oder beim Shiatsu? Wo hört der kulturbezogene Journalismus auf – beim huldigenden Starporträt, bei der Peoplespalte oder bei der Stilberatung? Und wo beginnt die Kompetenz des Lesers – hat er von, sagen wir, Robert Walser, schon einmal gehört? Zu diesen Fragen der Positionierung von Kulturmedien kommen weitere, für die Zukunft des Kulturjournalismus mindestens so relevante, die sich um das Verhältnis von Kultur und Medien grundsätzlich drehen. So im genannten Beispiel: Wie erreiche ich als Veranstalter ein Publikum für meinen Robert-Walser-Abend, wenn die ereignis- und celebrityfixierten Kulturjournalisten, die in lokalen Szenenbiotopen und globalen Social-Media-Netzen le-

ben, zum Schluss kommen, dass Robert Walser für sie persönlich zwar höchst spannend, für ihr Zielpublikum hingegen nicht interessant ist? Eine der möglichen Antworten lautet: Die Anbieter von Kultur müssen in solchen Fällen für die Berichterstattung selber sorgen und auch in die Tasche greifen. Dafür gibt es auf dem Netz mittlerweile Hunderte von Beispielen. Viele sehen deshalb den Kulturjournalismus alter Prägung in unaufhaltsamer Erosion begriffen. Doch lebt nicht in Zeiten des Blätterns und Klickens gerade der Feuilletonjournalismus alter Prägung mit Themen wie Robert Walser wieder auf? Finden sich nicht weiterhin MainstreamKulturmedien mit attraktiven und kulturjournalistisch hochkompetenten Inhalten? Und gibt es nicht seit Jahren Beispiele für profilierten Online-Kulturjournalismus (etwa perlentaucher.de oder nachtkritik. de), zu denen sich beinahe täglich neue, spannende Angebote gesellen? Die Antwort ist jedes Mal ein klares und vehementes Ja. Das magische Dreieck – ein Kulturjournalismus nämlich, der in einem nachhaltigen Kompetenztransfer zwischen Produzent, Vermittler und Konsument besteht – funktioniert in alten wie neuen Medien bestens. Bloss tut er es imc ar t e b laN c h e

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mer mehr in Nischen und immer weniger auf der Bühne einer strahlkräftigen, erinnerungsfähigen Öffentlichkeit. Für die Kulturjournalisten der Zukunft sind auf diesem Hintergrund drei Erkenntnisse besonders wichtig: Erstens ist das Bedürfnis nach kenntnisreichen Texten und Beiträgen nicht verschwunden; inhaltliche Kompetenz, verbunden mit medienübergreifender erzählerischer Potenz und einem breiten Kontextwissen, finden mit Sicherheit auch künftig ihre Abnehmer. Zweitens ist die Kulturjournalistin gut beraten, sich zuallererst als Kulturpublizistin zu verstehen, die Massenmedien genauso wie Fachpublikationen und Blogs bedienen kann. Drittens finden ihre Leistungen nebst Anerkennung auch ihren verdienten Lohn, wenn sie in der Lage ist, Kulturjournalismus wenigstens im Kleinen neu zu erfinden – d.h. Kulturmedien als Geschäftsmodelle kreativ (mit-)zu denken und (mit-)zu prägen. Ruedi Widmer ist verantwortlich für die Masterstudienrichtung publizieren & vermitteln der Zürcher Hochschule der Künste. Der Lehrgang für angehende Kulturjournalistinnen, Kulturpublizisten und -kommunikatorinnen ist eine Kooperation mit dem Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW.


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ScH AU FENSTER

Kritische Landschaften Papierbaum oder der Widerstand der Dinge, 2008 Foto, Pigmentdruck auf Büttenpapier, 114 cm × 142 cm von Herbert Weber Papier ist das Material, das den Foto­ grafen Herbert Weber immer wieder begleitet. Meist ist es Kopierpapier oder Papier ab Rolle, das er für Instal­ lationen und Arrangements verwen­ det, die er dann fotografiert. Er be­ wegt sich einem Wanderer ähnlich mit Vorliebe in der Natur. Ausgerüs­ tet mit Stativ, Kamera und Fernaus­ löser lässt er sich von einem Ort ins­ pirieren und steht auch selbst vor die Kamera. «Meine Bilder sind eine Um­ setzung meiner Wahrnehmung der Welt. Meist sind die Dinge etwas ver­ schoben – und kommen damit mei­ ner Realität näher.» Herbert Weber (*1975) hat an der Zürcher Hochschule der Künste Fo­ tografie studiert. Er lebt und arbeitet im Toggenburg. www.herweber.ch

Die Rubrik Schaufenster präsentiert jeweils ein Werk einer Künstlerin oder eines Künstlers aus der Schweiz.

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Passagen, das Magazin der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, berichtet über Schweizer Kunst und Kultur und den Kulturaustausch mit der Welt. Passagen erscheint dreimal jährlich in über 60 Ländern – auf Deutsch, Französisch und Englisch.


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Herausgeberin: Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung www.prohelvetia.ch

Passagen Das Kulturmagazin von Pro Helvetia online: www.prohelvetia.ch/passagen

Redaktion: Redaktionsleitung und Redaktion deutsche Ausgabe: Janine Messerli Mitarbeit: Isabel Drews und Elisabeth Hasler

Pro Helvetia aktuell Aktuelle Projekte, Ausschreibungen und Programme der Kulturstiftung Pro Helvetia: www.prohelvetia.ch

Redaktion und Koordination französische Ausgabe: Marielle Larré

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Redaktion und Koordination englische Ausgabe: Rafaël Newman Redaktionsadresse: Pro Helvetia Schweizer Kulturstiftung Redaktion Passagen Hirschengraben 22 CH-8024 Zürich T +41 44 267 71 71 F +41 44 267 71 06 passagen@prohelvetia.ch

Paris/Frankreich www.ccsparis.com Rom, Mailand, Venedig/Italien www.istitutosvizzero.it Warschau/Polen www.prohelvetia.pl Kairo/Ägypten www.prohelvetia.org.eg Kapstadt/Südafrika www.prohelvetia.org.za

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© Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung – alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung und Nachdruck nur mit schriftlicher Zustimmung der Redaktion. Die namentlich gezeichneten Beiträge müssen nicht die Meinung der Herausgeberin wiedergeben. Die Rechte für die Fotos liegen bei den jeweiligen Fotografinnen und Fotografen. Die Stiftung Pro Helvetia fördert und vermittelt Schweizer Kultur in der Schweiz und rund um die Welt. Sie setzt sich für die Vielfalt des kulturellen Schaffens ein, ermöglicht die Reflexion kultureller Bedürfnisse und trägt zu einer kulturell vielseitigen und offenen Schweiz bei.

Shanghai/China www.prohelvetia.cn

A u S B L IC K

Die Zukunft des Kulturjournalismus Brauchen wir im Zeitalter von Blogs, Twitter und Amazon den klassischen Kunst- und Literaturkritiker noch, der uns sagt, was gut, was lesenswert ist? Längst ist die Autokratie der Kritiker der Polyphonie der Blogger gewichen. Eine willkommene Demokratisierung, finden die einen. Eine beklagenswerte Banalisierung, die andern. In der nächsten Passagenausgabe berichten wir über die Auswirkungen des wirtschaftlichen und technischen Medienwandels auf den Kulturjournalismus. Wir beleuchten das Interesse der Schweizerinnen und Schweizer an Kulturthemen in den Medien und fragen, wie Kulturjournalismus im sich revolutionierenden Ägypten aussieht. Die nächsten Passagen erscheinen Ende August.

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und hier geht’s zur onlineumfrage: www.prohelvetia.ch Teilnahmeschluss ist der 15. Juni 2011 iMPrES Su M / Pa SSag E n o n Lin E / au S b Lic K

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Zu gewinnen: untitled, Print auf Büttenpapier, Bildauflage 2/3, 2009, 80 × 64cm.


Ein Ja ist in Argentinien nicht unbedingt ein Ja. und ein Nein heisst noch lange nicht, dass etwas wirklich Lola Arias nicht geht.

” Statt uns auf die Schuldgefühle des

Die Inszenierung des wahren Lebens Karen Naundorf, S. 6

“ Westens zu verlassen, sollten wir uns

nach alternativen Finanzierungsquellen umsehen. Ntone Edjabe

Auf Augenhöhe? Kulturaustauch zwischen Nord und Süd Joseph Gaylard, S. 18

Kunst beruht auf gesellschaftlichen Errungenschaften, “ die ich die vier Tugenden des Kunstsystems nenne: die Achtung des Individuums, die soziale Wertschätzung von Arbeit, offene Tausch- und Handelspraktiken, die Freiheit Das Eigene im Spiegel des Fremden Beat Wyss, S. 10 öffentlicher Meinungsäusserung.

unsere Illusionen sind widerstandsfähig. “ Die ersten paar Monate halten sie der Realität ohne weiteres stand. ” Hans J. Roth Paradoxes Heimweh David Signer, S. 24

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