Passagen Nr. 61

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Design? Design! Wer unser Leben formt   Wortfindung in Leukerbad: Das Übersetzen von Sprachmusik Bewegung in Kairo: Choreografische Recherche entlang des Nils Beleuchtung in Delhi: Schatten und Licht bei Jonathan O’Hear DAS KU LTU RMAG AZIN VO N PR O H E LV E T IA, NR . 6 1 , AU SG AB E 2 / 2 0 1 3


4 – 31 THEMA

32 ORTSZEIT Kairo: Tanzend in Trance Der Rechercheaufenthalt zweier Choreografen in der unruhigen ägyptischen Metropole. Von Dalia Chams

Wer unser Leben formt

New Delhi: In der Sprache des Lichts Der Genfer Lichtkünstler Jonathan O‘Hear zeigt die Möglichkeiten von Licht als künstlerischem Medium. Von Elizabeth Kuruvilla

36 REPORTAGE Wie übersetzt man Sprachmusik? Ein Übersetzerkolloquium widmet sich dem Werk Arno Camenischs. Von Michael Braun (Text) und Jonas Ludwig Walter (Bilder)

Im Designuniversum – der Künstler Patrick Hari hat im Auftrag von Passagen eine Bildstrecke geschaffen, die zeigt, was Designer tun und kommentiert, wie Design die Schnittstelle zwischen uns und der Welt bildet.

40 PRO HELVETIA AKTUELL Kulturaustausch entlang des Rheins Den Kunstnachwuchs im Blick Interaktiv und transmedial 33 neue Schweizer Orchesterwerke

6 Zwischen Pizza und Laptop Der Vermittler: Über die unterschätzte Rolle des Designers in unserer Gesellschaft. Von Volker Albus

42 PARTNER Lebendige Weiterentwicklung statt starres Denkmal Von Ariane von Graffenried

12 Design im globalen Wettbewerb Was bedeutet das: hier entworfen, andernorts produziert, überall verkauft? Von Dominic Sturm 14 Geschäftsmodelle der ­Designwirtschaft Wie bewegen sich Designerinnen und Designer auf dem Markt und welche Möglichkeiten haben sie? Von Meret Ernst und Claudia Acklin

22 Im Herzen der Ordnung Ein Essay über das Zusammen­spiel von Design und Dasein, Gegenständen und Lebewesen. Von Siddhartha Chatterjee 26 Auf den Schultern von Riesen Über die Notwendigkeit einer autonomen Fachtheorie in der Berufsausbildung. Von Alexandra Midal 28 Über Danish Design Dänemark als Exempel einer erfolgreichen staatlichen ­Designförderung. Von Hanne Cecilie Gulstad und Till Briegleb

Zum Künstler der Bildstrecke Patrick Hari, 1977 in Belo Horizonte, Brasilien, geboren. Lebt und arbeitet in Zürich.

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43 CARTE BLANCHE Für eine kreolischere Schweiz Von Pierre Lepori 44 SCHAUFENSTER Plattform für Künstlerinnen und Künstler Délit de Faciès 1 Von Omar Ba 47 IMPRESSUM

Titelbild: Patrick Hari Kulturtransporter. Product Design Foto Seite 2: Patrick Hari Eintauchen und Auftauchen als Methodik für Ort- und Raumfragen. Site / Space

8 Der prekäre Prozess des Entwerfens Der Designer Jörg Boner und die Designforscherin Claudia Mareis im Gespräch mit Meret Ernst.

18 Von der Verführung des Designs durch die Kunst Das Design und die Kunst haben eine lange gemeinsame Geschichte. Von Tido von Oppeln


Design? Design! Vom Corporate Design über Naildesign bis zum Designhotel: «Design» ist längst ein Allerweltsbegriff. Er umfasst das Know-how einer Industriedesignerin ebenso wie den Entwurf, der am Anfang aller Bemühungen steht. Er taucht in Managementtheorien auf, adelt allerlei kreativen Mutwillen und zeichnet Konsumgüter aus – das Sportgerät ebenso wie den Taktfahrplan. Ökonomie und Kultur verknüpfen sich darin: So rettete Design einst die Schweizer Uhrenindustrie und trägt seit langem das Bild der Schweiz in die Welt. Nicht von ungefähr heissen die beiden bekanntesten Schweizer Schriften Univers und Helvetica. Design ist ein Medium, mit dem und durch das sich eine Gesellschaft über ihre Herkunft und über ihre Ziele verständigt. Der einführende Essay von Volker Albus geht lustvoll den Irritationen nach, die das Verhältnis zwischen uns und «dem» Design bestimmen. Doch wie kommt der Entwurf auf das Papier, ins Modell und schliesslich in die Produktion? Ein Gespräch mit dem Designer Jörg Boner und der Designforscherin Claudia Mareis zeichnet nach, was den nicht bis ins letzte rationalisierbare Prozess des Entwerfens leitet. Wie Dominic Sturm zeigt, ist Design längst global geworden: Schweizer Designer arbeiten mit Herstellern aus aller Welt zusammen und bedienen einen international ausgerichteten Markt. Tido von Oppeln nimmt in seinem Artikel seinerseits die besondere, spannungsvolle Nähe dieser Disziplin zur Kunst unter die Lupe. Alle diese und weitere Beiträge des Themenschwerpunkts stehen mit der von Pro Helvetia neu aufgegleisten Designförderung in Zusammenhang. Deshalb sind wir in diesem Heft auch der Frage nachgegangen, wie eine solche aussehen und von welchen Erkenntnissen sie geleitet sein könnte. Dabei beschreiben Claudia Acklin und Meret Ernst, in welchen Arbeitsverhältnissen Designer arbeiten. Denn daran sollte sich eine wirksame Nachwuchsförderung orientieren, die sich zwischen Kultur- und Wirtschaftsförderung positioniert. Nur so kann sie der doppelten Aufgabe des Designs gerecht werden, die darin besteht, kulturellen UND ökonomischen Mehrwert zu generieren. Da darf ein Blick über die Grenzen nicht fehlen: Till Briegleb und Hanne Cecilie Gulstad berichten über die dänische Förderung, die Modellcharakter hat. Der Passagen-Schwerpunkt «Design» ist eine Gastredaktion der Zeitschrift Hochparterre. Andrew Holland Direktor Pro Helvetia

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Im Designuniversum Alles ist Design – aber was genau meint der Begriff? Dieses Dossier blickt hinter die Fassade, die uns oft so glitzernd entgegentritt. Es zeigt, was Designer tun, wenn sie entwerfen. Es kommentiert, wie Design mitbestimmt, wie wir die Welt wahrnehmen. Und diskutiert, was Design mit Wirtschaft, aber auch mit Kultur zu tun hat. Patrick Haris Bilder, die diesen Schwerpunkt begleiten, zeigen das Modell und den Prozess, das Objekt und die Dienstleistung, den Raum und die Fiktion. In allen diesen Momenten ist Design gegenwärtig.


W. A . R . P. Virtual Design

Design entwirft – wie die Kunst – ­ mögliche Welten. Doch Design muss die Veränderung eines Zustandes, im Entwurf vorweggenommen, in der Wirklichkeit überprüfen. Selbst fiktionale Welten, wie sie das Gamedesign entwirft, setzen auf das Konkrete: Auf das Spiel, das Wahr­nehmung ­konditioniert, Spiellust fördert und Fähigkeiten trainiert, die unser Leben verändern.


D

er Sprecher war hörbar irritiert. Als er für den Baye­ Zusatz Design begrifflich aufgemotzt und durch eine zeitgeistige rischen Rundfunk die Nachricht verlesen musste, Anglifizierung in die Sphären eines oberflächlichen Lifestyles dass Kanzlerkandidat Peer Steinbrück die «Design­ ­projiziert werden – Hair-, Nail- oder Fooddesign sollen hier als forscherin» Gesche Joost von der Universität der abs­truse Beispiele genügen. Künste Berlin in sein Schattenkabinett berufen habe, Solche Etikettierungen erschweren die Akzeptanz des Begriffs kam sein sonst so routiniert abgestimmter Redefluss merklich ins Design, schlagen sie doch immer wieder Verbindungen zu Sphä­ Stocken. Nicht dass er stotterte, nein, er sprach die Berufsbezeich­ ren, die in einer pluralistisch und marktorientierten Gesellschaft nung absolut fehlerfrei aus; gleichwohl verriet das nur Sekunden­ zwar eine gewisse Berechtigung haben, deren Bedeutung aber bruchteile währende Pausieren und die irgendwie gesperrt klin­ über die einer lokalen, häufig sogar negativen Imagebeeinflussung gende Wiedergabe dieses für politische Nachrichten eher exo­­tischen kaum hinausgehen dürfte. Das ist allein schon deshalb bedauer­ Terminus eine eindeutige Skepsis. Eine «Designerin»? Im Schat­ lich, als sich das Design längst überall einnistet: Wer heute etwa tenkabinett? Am Ende gar im Kabinett? Das verstehe einer! einen Supermarkt betritt, wird mindestens im gleichen Umfang Nun, der Mann vom Bayerischen Rundfunk gehört, wie an­ mit Design konfrontiert wie in der Filiale eines Möbeldesign­ dere Vertreter der journalistischen Zunft auch, eher nicht zu de­ shops. Von der Platzierung der Regale, der Wegführung, der An­ nen, die solch einer Berufung ein uneingeschränktes Verständnis ordnung der Waren, der Auswahl der Musik, der Beleuchtung, entgegenbringen. In den Augen der Temperatur bis hin zur Ver­ der politischen Kaste wie auch packung und der Gleichförmig­ im Bewusstsein der Mehrheit keit «landwirtschaftlicher» Pro­ der Gesellschaft handelt es sich dukte folgt hier alles nur dem bei der von Gesche Joost ver­ einen Design-Credo: Form fol­ tretenen Disziplin nämlich um lows function – wobei die Funk­ eine Profession, die vornehm­ tion dieser Waren ausschliess­ lich der ästhetisch-funktionalen lich darin besteht, gekauft zu Optimierung der Dingwelt ver­ werden. pflichtet und damit ausgespro­ Der Verkaufsaspekt chen unpolitisch sei. Selbst die nachgeschobene Spezifizierung Natürlich ist ein solcher Par­ der Tätigkeit der Berufenen auf cours nicht nur das Werk von Design ist überall. Doch die Wertschätzung die «Belange einer vernetzten Designern. Für den Erfolg, also der Profession ist nicht gar so hoch. die Verkaufszahlen, mindestens Gesellschaft» vermochte wenig Dabei übernehmen Designer die Rolle von dazu beizutragen, die grund­ ebenso verantwortlich zeichnen Moderatoren: Sie vermitteln sätzliche Skepsis gegenüber der die Fachleute von Marketing zwischen t­ echnischem Fortschritt und und Werbung, Betriebswirte, Relevanz dieser Disziplin für ge­ sellschaftliche und erst recht für Verkaufspsychologen, die Laden­ gesellschaftlich wechselnden politische Mechanismen auch bauer und natürlich das Perso­ Bedürfnissen – und machen beides dingfest. nur teilweise abzubauen. nal, das das einzelne Produkt Zeit, Designer ernst zu nehmen. lächelnd zu überreichen hat. ­ Form und Funktion Wie das Produkt, zumal das ver­ Ein Wunder ist das nicht. Für packte Produkt (und welche Von Volker Albus viele, ob Traditionalisten oder Produkte sind eigentlich nicht aufgeklärte Laien, definiert sich verpackt?) jedoch aussieht, ent­ selbst «gutes» Design in all seinen Facetten bestenfalls über die scheiden die Produkt-, die Verpackungs- und die Kommunikati­ rational ermittelnde Formfindung: Ist das Gerät verständlich in onsdesigner. der Anwendung und einfach zu handhaben, ist der Stuhl stabil Und da mittlerweile selbst solch warenferne Branchen wie das und bequem, ist die Leuchte blendfrei und leicht zu verstellen? Finanzgewerbe zunehmend in «Produkt»-Kategorien denken, ist Auch wenn inzwischen weit komplexere Anforderungen gestellt auch hier inzwischen das Mitwirken des Designs unabdingbar. werden, etwa in Bezug darauf, was sie uns bedeuten, was sie aus­ Kurzum: Überall, wo beraten und bedient, produziert und verkauft strahlen und wie nachhaltig sie sind, bilden die klassisch utilitä­ wird, mischt das Design kräftig mit. ren und ästhetischen Parameter die Basis des allgemeinen Design­ Aber auch dort, wo sich Widerstand gegen diese metastati­ verständnisses. sche Ausbreitung des kommerziellen Denkens und Handelns er­ Demgegenüber verströmt jede Form von Gestaltung, die hebt, bedient man sich gezielt gestalterischer Mittel. Was wäre diese rationale Designauffassung mehr oder weniger offensicht­ Greenpeace, was wäre Occupy, was wären unsere Gewerkschaften lich unterläuft, einen Hautgout des Beliebigen, des Unseriösen, ohne ein identifizierbares Signum? Sicher werden die Protest­ um nicht zu sagen: des Halbseidenen. Das ist immer dann der Fall, stürme in Ägypten, der Türkei oder in Griechenland auch ohne wenn handwerklich geprägte Formen der Gestaltung durch den grafische oder szenografische Signifikanten schon aufgrund ihrer

Zwischen ­ Pizza und Laptop

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unmittelbaren Wucht wahrgenommen. Aber immer dann, wenn der Protest Teil einer Mission ist, wenn es darum geht, ein An­ liegen oder einen Missstand wirkungsvoll zu vermitteln, werden quer durch alle Lager für diese eine Aktion entworfene Zeichen, Symbole, Perfomances oder Kostümierungen eingesetzt. Sie pro­ filieren die unterschiedlichen Formen des Protests, das heisst, sie machen das Dagegen nicht nur verständlich und erkennbar, son­ dern werben darüber hinaus auch für dieses Dagegen. Sie tragen also dazu bei, es dem Publikum zu «verkaufen». Mit Blick auf diese Entwicklungen lässt sich somit uneinge­ schränkt eine Ausweitung des Designbegriffs ausmachen. Aller­

durch den Einfluss der Medien, durch technische Neuerungen aber auch durch die arbeitsbedingte Mobilität permanent in Be­ wegung gehalten und hat einen immensen Einfluss auf unsere Verhaltensweisen: Wir arbeiten und essen unterwegs, im Zug, auf dem Fahrrad, im Auto, wir kommunizieren mittels kleinster Ge­ räte zu jeder Tages- und Nachtzeit, an jedem Ort, im Bett, am Tisch während des Essens oder in Sitzungen, wir schlafen fast überall, im Büro, auf Flughäfen, auf Demos oder vor dem Apple-Store. Viele dieser Handlungen erscheinen uns inzwischen als völlig selbstverständlich, wenngleich sie in der Kombination – Essen und Arbeiten, Essen und Kommunizieren, Fahren und Essen, Fahren und Kommunizieren – noch nicht optimal aufeinander abgestimmt sind, zumindest Kurzum: Überall, wo beraten und bedient, produziert und was die dabei eingesetzte Hardware anbe­ verkauft wird, mischt das Design kräftig mit. langt: Pizza und Laptop = Fettfinger und High-Tech, Fahrrad und Smartphone = dings zielt diese «Erweiterung» weniger in Richtung bildende Verkehr und SMS-Geplänkel: Das passt nun einmal nicht zusam­ Kunst, wie noch in den 1980er- und 1990er-Jahren, als vielmehr men, das schliesst sich geradezu aus. in Richtung Markt, Werbung, Service und Gesellschaft. Design Das sind natürlich profane Problemstellungen, aber genau wird dort als Instrumentarium zur Verfeinerung aller möglichen mit diesen Situationen aus den Niederungen des Alltags muss sich Strategien gesehen – und nicht als Spielwiese der Selbstverwirk­ das Design auseinandersetzen. Aber was heisst das? Muss der lichung. Und das gilt auch für das Kerngeschäft der Disziplin. Nur ­Designer von heute nun zum Soziologen mutieren? Oder zum An­ dass sich hier, im Bereich des klassischen Produkt- und Industrie­ wender, der ausschliesslich dem technologischen Fortschritt hin­ designs, über Jahrzehnte ein Kanon etabliert hat, der zwar immer terherhechelt? wieder einmal kräftig durcheinandergewirbelt wird, der sich im Ich glaube, keines von beidem voneinander getrennt, viel­ Prinzip aber immer an den gleichen Parametern Form und Funk­ mehr beides zusammen. Denn er wird nicht umhinkommen, so­ tion orientiert. So ist die Frage nach dem Warum permanenter wohl die soziokulturellen Veränderungen präzise zu diagnostizie­ Neuerung (wenn es doch schon eh alles gibt) nicht nur berechtigt, ren, als auch die physischen und die herstellungsspezifischen vielmehr erscheint sie äusserst verantwortungsvoll, resultieren Entwicklungen genau zu registrieren. Denn ihm kommt zweifel­ doch viele Probleme der Menschheit nicht zuletzt aus ihrer Mass­ los eine sehr entscheidende Rolle zu, nämlich die des Vermittlers, losigkeit, aus dem Überfluss sämtlicher von Mensch und Maschine des Moderators. Er muss die unterschiedlichen Entwicklungen produzierten Güter. Und dass das Design an diesen Konsumgüter­ analysieren, er muss die sich bietenden Optionen und die bewusst fluten eine gehörige Mitverantwortung trägt, gilt auch im Lager oder unbewusst artikulierten Bedürfnisse gegen- und miteinan­ der Repräsentanten dieser Profession als völlig unstrittig. der abwägen und sie in Einklang bringen, er muss sie auf unser aller Leben erleichternde Produkte und Leistungen übertragen. Neuer, besser, billiger, stabiler, nachhaltiger Passgenau und permanent und am besten selbstverständlich und Das Problem ist nur, dass nahezu jedes das Aussehen dieser Kon­ unauffällig. Mit einem Wort: Er muss sie im wahrsten Sinne des sumgüter betreffende Merkmal einem geradezu atemberauben­ Wortes ding-fest machen. den Wandel unterliegt: Herstellungstechniken, Materialien und Und wenn ihm das gelingt, dürfte auch der Nachrichtenspre­ Konstruktionsweisen beeinflussen und verändern Stabilität, Ge­ cher seine Haltung gegenüber dieser Profession relativieren. wicht, Nachhaltigkeit, Annehmlichkeit, Strapazierfähigkeit – und das in einer sich fast täglich potenzierenden Geschwindigkeit. Das heisst, dass wir Designer diese Entwicklungen permanent beob­ achten, analysieren und in unsere Arbeit integrieren müssen, dass wir sie mit dem gesamten attributiven Spektrum eines jeden Pro­ dukts abgleichen müssen, dass wir prüfen müssen, ob dieses oder jenes neue Material vom Preis, von der Nachhaltigkeit, von der Äs­ thetik her tatsächlich geeignet ist, ein neues, ein besseres, heisst eine billigeres, ein stabileres, ein besser rezyklierbares Produkt zu entwickeln. Diese technisch-physischen Turbulenzen sind aber nur ein, Volker Albus (*1949) studierte in Aachen Architektur. Seit 1984 arbeitet er als Designer und Ausstellungsmacher wenn auch zentraler Grund für das Weiter- und Neuentwickeln und ist als Publizist tätig, u.a. für den Design Report, von Produkten. Ein anderer, mindestens ebenso bedeutender As­ form und die KUNSTZEITUNG. Seit 1994 ist er Professor Produktdesign an der Staatlichen Hochschule für pekt ist die sich ständig verändernde soziokulturelle Gemengelage. für ­Gestaltung in Karlsruhe. 2009 gründete er die Hochschul­ Sie wird durch Migration und unsere eigenen Reiseerfahrungen, plattform kkaarrlls mit.

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ntwerfen – für die Serie: Über diese Grundkompetenz muss verfügen, wer sich erfolgreich als Designer, als Designerin etablieren will. Aber was bedeutet Ent­ werfen? Ein Gespräch mit dem Designer Jörg Boner und der Designerin und Designforscherin Claudia ­Mareis zeichnet nach, was dieses nicht bis ins letzte rationalisier­ bare Tun leitet.

die Bedingungen so in den Entwurf integrieren, dass er am Schluss kompromisslos wirkt. Ich ziele stets auf eine Setzung, der man nicht ansieht, dass sie von limitierenden Faktoren be­ stimmt wurde. Wenn Ihr Entwurf kompromisslos wirken soll, klingt das, als hätten Sie eine Vorstellung, an der Sie den Entwurf abgleichen. Wie kommen Sie auf diese Idee, die den Entwurf leitet? Boner: Die eine Idee gibt es nicht. Es gibt eine Summe von Be­ hauptungen, die im Machen entstehen. Ich beginne mit einer ­Behauptung, etwas könnte im Moment interessant sein. Sie muss mich zumindest auf dem Bildschirm überzeugen, das ist die erste Hürde. Dann zeichnen wir gleich digitale 3-D-Modelle, drucken sie wie ein Schnittmuster aus und bauen daraus ein präzises Kar­ tonmodell. Wir wissen zwar schon um die Probleme, aber wir wol­ len sehen, ob die Behauptung trägt, die im Modell eine vor­ läufige Form gefunden hat.

Ist die Vorstellung, dass die Designerin nach Gesprächen mit dem Auftraggeber mit dem Stift in der Hand vor dem leeren Blatt sitzt und skizziert, ein romantisches Klischee? Jörg Boner: (lacht) Ja, das ist ein Mythos, den wir Philippe Starck zu verdanken haben … Claudia Mareis: Jeder Entwurf hat Limitationen. Das fängt mit ­unserer begrenzten Vorstellungskraft an, dann kommen die Be­ grenzungen des Materials oder der technischen Herstellung. Das gilt nicht nur für das Produkt-, sondern auch für das Grafikde­ sign: Was auf dem Bildschirm Welche Funktion hat dieses Kartonmodell für den Enttoll aussieht, lässt sich oft nicht drucken. Die Idee, dass es einen wurf? bedingungslosen Entwurf gibt, Boner: Es ist ein Etappenhalt. ist unter den Bedingungen der Das Kartonmodell ist wie ein Produktion utopisch, ebenso ist Geist, wie eine Vorwegnahme die Metapher des weissen Blattes des fertigen Produkts. Daran idealisierend. Doch die entschei­ kann man den Charakter ab­ dende Frage ist, wie sehr diese lesen, was im Computer nicht Was tun Designer, wenn sie entwerfen? ­Limitierung auf den Entwurf zu­ oder nur beschränkt möglich Der Designer Jörg Boner und die Design­ rückwirkt. ist. Diesem Modell fügen wir forscherin Claudia Mareis im Gespräch. Boner: Im Design muss der Ent­ weitere Ideen hinzu – oder ma­ wurf zudem für die Serie opti­ chen einen Schritt zurück. Interview: Meret Ernst miert werden. Das ist der grosse Mareis: Da geht es um Ver­ Unterschied zu Architektur. Ar­ dichtung. Bis zum Moment, an chitekten haben ein Bild im Kopf dem es stimmig ist. und zwingen die Handwerker, auf dieses Bild hin zu arbeiten. Mich Boner: Diesen Moment zu erwischen, ist enorm wichtig. Wie ein dagegen macht es glücklich, von Ingenieuren zu hören, ein Ent­ Maler muss ich wissen, wann ich aufhöre. wurf sei für die Ausführung extrem clever gedacht, weil er die Pro­ Und wie erwischt man den richtigen Moment? duktionsbedingungen berücksichtigt. Mareis: Produktdesigner sind stärker auf technische Vorgaben, auf Boner: Das ist vielleicht der einzige, zentrale Moment im Ent­ die Möglichkeiten der industriellen Produktion angewiesen. In der werfen, der kein Mythos ist. Ich kann das nicht erklären. Ihn zu Grafik gibt es fliessendere Prozesse, die fast nahtlos vom Entwurf erkennen, darin stapeln sich meine Erfahrungen, etwa das Wissen, über den Prototyp etwa zum Plakat führen. Sie sind weniger durch dass man auch schon mal am falschen Ort aufgehört hat. den Bruch von Entwurf und Produktion gekennzeichnet. Gibt es blinde Flecken, wenn Designer über ihr eigenes Entwerfen nachdenken? Was heisst genau Prototyp in der Grafik? Mareis: Als Grafikerin musste ich meinen Kunden stets erklären, Mareis: Was selten reflektiert wird, ist etwa die Tatsache, dass De­ dass sie in den Arbeitsbesprechungen einen Entwurf vor Augen signer zu einem grossen Teil am Computer arbeiten. Tastatur und haben. Digitale Darstellungsformen und Drucktechniken täu­ Maus sind relevante Entwurfswerkzeuge. Dennoch gibt es norma­ schen wegen ihrer technischen Perfektion leicht darüber hinweg, tive Werkzeugdiskurse: Man bezieht sich lieber auf Skizzen als auf dass sich gewisse Dinge noch in einem Entwurfsstadium befinden. digitale Technologien … Solange sie nicht gedruckt oder sonst wie materialisiert vorliegen, handelt es sich um Prototypen. Stellt der Wechsel von der 3-D-Zeichnung ins Kartonmodell Boner: Prototyp und Produkt unterscheiden sich im Produkt­ eine Verbindung der digitalen mit den analogen Werkzeugen design demgegenüber stärker. Im formalen Ausdruck müssen wir her?

Der prekäre Prozess des Entwerfens

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Boner: Auf dem Bildschirm bleibt der Entwurf isoliert. Das Modell dagegen interagiert sofort mit dem Raum und verändert sich. Als wir etwa das Modell einer Strassenlampe auf die Strasse trugen und an eine Verkehrstafel klebten, gingen wir gleich wieder rein, tran­ ken Kaffee und fingen von vorne an. Das Modell war viel zu klein. Mareis: Es gibt die Vorstellung, dass man sich im Skizzieren der Form annähert und sie zugleich verifiziert. Das Modell wird zum fluiden Objekt. Claudia Mareis, Sie machten eine Ausbildung zur Grafikerin und setzen sich heute forschend mit Fragen des Entwerfens auseinander. Hat sich Ihre Sichtweise geändert? Mareis: Für mich war das kein grosser Bruch. Das bin immer noch ich, die dieselben Fragen stellt, aber nun mit anderen Mitteln und anderen Konsequenzen. Durch die design- und kulturwissen­

Eine der wichtigsten Eigenschaften für einen Designer ist die Fähigkeit, alles in Frage stellen, alles auch anders denken zu können.

mehr. Design hat im weitesten Sinn mit Kultur und Kultivieren zu tun. Trotzdem gibt es so etwas wie instrumentelles Wissen. Bildet es die Basis? Mareis: Designer sollen ihr Metier beherrschen, aber sich nicht vom Metier beherrschen lassen. Eine der wichtigsten Eigenschaf­ ten für einen Designer ist die Fähigkeit, alles in Frage stellen, alles auch anders denken zu können. Die schlimmste Aussage ist: «Das geht nicht, das kann man nicht machen.» Solche Aussagen machen Ingenieure … Mareis: Auch Designer haben zuweilen eine Schere im Kopf. Wol­ len sie erfolgreich sein, müssen sie wie ein Erfinder eine Position einnehmen, die exzentrisch, verrückt ist. Gelingt es, etwas Neues, Innovatives zu schaffen, ist die Wertschät­ zung hoch. Aber man kann genauso gut scheitern, positioniert man sich ausserhalb der Norm. Entwerfen und Erfinden sind prekäre Prozesse.

schaftliche Reflexion wurde mir aber bewusst, wie wenig ich über die eigene Praxis weiss – und gleichzeitig wie viel. Als Gestalterin glaubte ich stets, über eine ausgeprägte Bildkompetenz zu verfü­ gen. Erst in der Beschäftigung mit den Bildwissenschaften reali­ sierte ich, dass Designer zwar eine bestimmte praktische Bildkom­ petenz haben, dass diese aber limitiert ist. Designer schauen Bilder selten als Bilder an, sondern reflektieren sie im Hinblick auf eine potenzielle Verwendung. Es fehlt ihnen an Beschreibungskompe­ tenz und an «visual literacy». Welches Wissen steckt im Entwerfen? Mareis: Im Entwerfen können vielfältige Wissensformen beobach­ tet werden. Oft geht es um handwerkliches und technisches Wis­ sen, aber auch um implizites Wissen, um Erfahrungswissen im Umgang mit Materialien, Techniken und Entwurfsmethoden so­ wie um eine ästhetische Expertise. Obwohl dieses Erfahrungs­ wissen so wichtig ist, gibt es in der Designausbildung wenig expli­ zite Diskurse darüber, ebenso werden Entwurfsmethoden immer noch tabuisiert.

Wie bringt man Studierende zu ihrer eigenen Entwurfs­ kompetenz? Boner: Ich lehre sie, genau hinzuschauen und sich von medial ver­ mittelten Bildern zu lösen und versuche, ihnen den persönlichen Anteil am Entwurfsprozess bewusst zu machen. Denn das einzige was in dem Beruf interessant ist, ist die eigene Freude daran. Ver­ lierst du sie, hast du alles verloren. Mareis: Aus meiner Sicht geht es um Bildung. Gestaltung ist eine Haltung, wie man der Welt gegenübertritt. Methodendiskurse und feste Gestaltungsregeln können hier nur einen kleinen Beitrag leisten. Wichtiger ist, dass die Studierenden Zeit haben, sich zu bilden und zu entwickeln. Boner: Stimmt, es geht um sehr viel mehr, als nur den Gegen­ stand sauber hinzukriegen. Methoden sind ein Gerüst, aber nicht

Ist das nicht lediglich ein weiterer Mythos, wonach Kreative Grenzen überschreiten müssen, um das Neue zu erobern? Weshalb bewerten wir das höher, als Bestehendes zu optimieren? Boner: Ich bewerte das erst mal nicht. Innovativ ist nicht zwingend gut. Atmosphärisch tolle Objekte hinkriegen ist mindestens so wertvoll. Mareis: Man schätzt am Design verschiedene Dinge: das Heraus­ ragende oder das Typische, den Fleiss, das Durchhaltevermögen oder das Exzentrische. In dieser wechselnden Wertschätzung spie­ gelt sich unser Verhältnis zur materiellen Welt. Doch wir tendie­ ren dazu, nur über hervorragendes Design und Entwurfsprozesse zu sprechen und nicht über Alltagsdesign. Bereits in den 1970erJahren galt jeder als Designer, der eine bestehende Situation in eine bessere veränderte. Dazu gehören auch Ärztinnen, Genetiker, Ingenieure. Trotzdem halten sich die normativen Diskurse bis heute, die festlegen, wer ein Designer ist und wer nicht. Hairde­ sign oder Naildesign gehört nicht dazu. Aber warum eigentlich? Boner: Laiendesign funktioniert ungebrochen nach dem Mythos von Design, den wir eben dekonstruiert haben: Als hundertprozen­ tiger Selbstausdruck. Das beendet jede Diskussion darüber. Doch je mehr kulturellen Mehrwert Design hat, desto komplexer wird Entwerfen. An Entwürfen lassen sich unterschiedliche auktoriale Haltungen ablesen. In der Kunst ist sie zentral. Aber braucht es das im Design? Mareis: Die Anerkennung von Autorschaft ist immer mit Kenner­ schaft verbunden. Ohne sie lassen sich keine Rückschlüsse auf eine Handschrift ziehen. Diese Wertschätzung hängt auf Rezipienten­ seite mit Bildung zusammen, mit Wissen um Verortung und dem Herstellen von Zusammenhängen. Boner: Wichtiger als eine Handschrift zu erkennen, scheint mir zu wissen, von welchem Hersteller, aus welcher Kollektion ein Produkt stammt. Deshalb ist es für uns Designer entscheidend,

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diejenigen Hersteller zu wählen, die nicht schon klar ersichtliche Defizite haben. Auch deshalb, weil sie es sind, die dafür sorgen, dass unsere Entwürfe ihren Markt finden, verkauft und rezipiert werden. Wir Designer müssen uns stets fragen, für wen wir unsere Kraft einsetzen. Design ist per se kein Wirtschaftsfaktor. Es wird nur dann zu einem, wenn es am richtigen Ort daheim ist und gut gehütet wird. Mareis: Nicht nur die Handschrift, auch die Produkte erzählen uns viel über bestimmte Gestaltungsweisen, über den Umgang mit Ma­ terialien oder wie zum Beispiel ein Verschluss funktioniert – das alles kann man an den Objekten lernen, ohne zu wissen, von wem der Entwurf stammt. Diese Beobachtungen sind ein «reverse en­ gineering», das man als Designer wieder für den eigenen Entwurfsprozess nutzen kann. Boner: Als Designer ist man grundsätzlich ein Dilettant. Das heisst, ich lerne von bestehenden Objekten. Bevor ich eine Strassenlampe entwarf, habe ich sie kaum angeschaut. Ein Lichtingenieur wies mich darauf hin, dass die Lichtstreuung zentral ist. Sie leuchtet zwanzig Meter in der Länge, aber nur acht Meter in der Tiefe aus. Erst in diesem Moment ist mir das klar geworden. Designer müssen dieses Wissen reflektieren, um es für neue Entwürfe zu nutzen. Im Unterschied dazu brauchen wir die Dinge meist ohne gross darüber nachzudenken. Was beobachten Sie dabei? Mareis: Die Frage ist, wo hört Design auf? Wenn wir Objekte an­ ders als vorgesehen nutzen, ist der Gestaltungsprozess nicht ab­ geschlossen, sondern läuft in der Nutzung weiter. Damit stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten von Co-Design, von non-inten­ tionalem und partizipatorischem Design. Boner: Es ist ein schöner Moment, wenn die Leute mit einem mei­ ner Entwürfe anders umgehen, als ich mir das vorgestellt habe.

Vermittelt Ihnen das nicht ein Gefühl der Entfremdung von ­Ihrem eigenen Entwurf? Boner: Auf jeden Fall. Sobald ein Entwurf als fertiges Produkt auf der Messe, etwa in Mailand steht, wirkt er fremd. Im Atelier dage­ gen gibt es Momente die viel intensiver sind. Wenn ich spüre, jetzt ist ein Entwurf, ein Vorhaben auf Kurs, macht mich das richtig glücklich. Mareis: Bei einem Buch ist es ähnlich. Als Autorin sehe ich die Ge­ machtheit und die unterschiedlichen Phasen eines Textes viel deutlicher. Ein Buch eines anderen Autors wirkt dagegen wie aus einem Guss. Boner: Stimmt. Man gibt immer das Beste, aber man weiss auch, dass man wieder gescheitert ist. Doch das Wissen um Fehler ­akkumuliert sich, fliesst in den nächsten Entwurf als implizites Wissen ein.

Prof. Dr. Claudia Mareis, 1974 in Zermatt geboren, ist Designerin sowie Design- und Kulturwissenschaftlerin. Seit Februar 2013 ist sie Professorin für Designtheorie und -forschung an der Hoch­ schule für Gestaltung und Kunst Basel und leitet dort das Insti­ tut Design- und Kunstforschung IDK. Jörg Boner, 1968 in Uster geboren, studierte Produktdesign in Basel. Er ist Mitglied der Gruppe N2, führt seit 2001 ein eigenes Büro in Zürich und unterrichtet seit 2002 an der ECAL. 2011 erhielt er den Grand Prix Design vom Bundesamt für Kultur. Meret Ernst leitet seit 2003 die Redaktion für Kultur und Design bei der Zeitschrift Hochparterre.

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DIE K AT H E­D R A L E VON WEIL AM RHEIN Site / Space

Statusgewinn durch edle Herkunft: Längst durchdringen Insze­nie­rungswünsche den privaten Raum der W ­ ohnung – den einzigen Raum, den wir so gestalten können, wie wir wollen. Ich bin, wie ich mich einrichte. ­ Solche ­Kurzschlüsse haben wir längst verinner­licht. Zum guten Glück für die Möbelindustrie. Bildzitat: Hisao ­Suzuki, El Croquis


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n der von zwei Weltkriegen verschonten Schweiz blieb der Sire von der Aargauer Brillenmanufaktur Swisshorn produziert Entwurf industrieller Konsumgüter lange mit dem Ort ih­ und sind in der Schweiz erhältlich. Sie finden aber auch eine ost­ rer Herstellung verknüpft. Bis in die späten 1960er-Jahre asiatische Käuferschaft, die sich für Design interessiert und bereit trugen Produzenten wie Turmix, Zyliss, Rolex, Schindler, ist, für ein im «teuersten Land» der Welt gefertigtes Produkt extra Hilti, Geberit, Jura oder Bernina mit hierzulande entworfe­ tief in die Tasche zu greifen. Für die Zürcher Designer ist das ge­ nen und hergestellten Produkten dazu bei, dass eine reichhaltige gensätzliche Vorgehen konsequent. Schliesslich setzen wirklich Schweizer Design- und Produktkultur entstand und international gute Produkte immer eine massgeschneiderte Lösung für Gestal­ ausstrahlte. Doch längst deckt sich «Swiss Design» nicht mehr tung, Herstellung und Vertrieb voraus. zwingend mit «Swiss Made». Die Globalisierung, spätestens jedoch Stets auf der Suche nach idealen Produktionsorten ist das die digitale Revolution um die Jahrtausendwende, vereinfachte Designbüro Flink aus Chur. Der Designer Remo Frei, der Ingeni­ und beschleunigte den Ideenaustausch und die Arbeitsteilung. Der eur Curdegn Bandli und die aus Taiwan stammende Ökonomin Entwurf und die Herstellung industrieller Produkte lassen sich Frances Lee pendeln zwischen der Alpenstadt und der taiwa­ nun räumlich ohne Weiteres trennen: Digitale Entwürfe können nesischen Millionenmetropole Taipeh. Sie übernehmen neben über Kontinente hinweg in Echt­ der Produktentwicklung auch das zeit diskutiert, am Bildschirm ma­ Sourcing, also die Organisation nipuliert und mittels Verfahren wie der ausgelagerten Produktion für Rapid Prototyping zur handfesten ihre Auftraggeber. «Wir treten ge­ Anschauung sogleich materiali­ genüber unseren Kunden nicht siert werden. Daraus jedoch zu nur als Designer, sondern auch schliessen, dass Agenturen und De­ als Produzenten auf. Im Idealfall signer auf der einen Seite der Welt kümmern wir uns um den gesam­ entwerfen, während die Produk­ ten Prozess – von der ersten Skizze tion nur noch auf der anderen bis zum fertigen Massenprodukt», Seite stattfindet, wäre zu einfach. erklärt Remo Frei das Geschäfts­ Ein Blick auf den Design- und Pro­ modell. Je nach Art des Produktes, duktionsplatz Schweiz zeigt, wie des Designs, der Stückzahl, dem Hier entworfen, andernorts produziert, Zielmarkt, der Qualität und der Designschaffende auf die Heraus­ überall verkauft: Für jedes Produkt forderungen des globalen Struk­ Fertigungsmethode sucht das Un­ müssen Designer die richtige Lösung turwandels reagieren. ternehmen weltweit geeignete Pro­ finden. Eine Herausforderung, für die es duzenten – gefunden werden sie Auf der Suche nach dem idealen auch mal in der Schweiz. Vor allem kein allgemeingültiges Rezept gibt. Produktionsort kleine und mittelständische Unter­ Die Zürcher Industriedesigner nehmen profitieren von dieser Zu­ Von Dominic Sturm Christian Kaegi und Fabrice Aeber­ sammenarbeit. Ihnen fehlen oft die hard von Aekae haben vor fünf Jah­ entsprechenden Kontakte und Res­ ren den Gang nach China gewagt sourcen, um im Ausland eine ei­ – nicht als Designer, sondern als Unternehmer des Taschenlabels gene Produktion zu betreiben. Dabei geht es laut Remo Frei nicht Qwstion und der Brillenmarke Sire. Ein Wagnis für ein kleines nur um eine fertigungsbedingte Kostenersparnis, wenn die Pro­ Unternehmen, wie sie sich eingestehen. Geschuldet war es unter duktion in Schwellenländer ausgelagert wird, sondern um das nö­ anderem ihrem Anspruch, kompromissloses Produktdesign zu re­ tige Know-how. Denn ein nicht geringer Teil des Wissens und der alisieren. «In unserer Doppelrolle als Designer und Unternehmer Erfahrung, wie man Produkte fertigt, sind in Europa durch eben kontrollieren wir neben dem Design- und Produktionsprozess diese Auslagerung verloren gegangen. Zu finden sind sie heute vor­ auch die Vermarktung und den Vertrieb. So können wir unsere Vi­ wiegend in den aufstrebenden Produktionsstandorten in Asien. sion eines guten Produktes umsetzen», erklärt Christian Kaegi. Gut heisst für sie, dass alle eingesetzten Mittel dem Zweck an­ Swiss Made gemessen sein müssen – nicht nur aus gestalterischer Sicht. Sie Doch nach wie vor werden auch in der Schweiz Massenkonsum­ sollen auch den fertigungs- und materialtechnischen, den unter­ güter für den globalen Markt produziert. Das zeigt ein aktuelles nehmerischen und ökologischen Ansprüchen genügen. Dabei ver­ Beispiel aus meiner eigenen Designpraxis. Der Babyartikelher­ stehen sich die zwei Designer als typische Vertreter einer Schwei­ steller Lamprecht fertigt die neu gestalteten Schnuller der Eigen­ zer Design- und Produkttradition: Pragmatisch und mit hohem marke Bibi in jährlich zweistelliger Millionenhöhe in Regensdorf Qualitätsanspruch suchen sie Funktion, Form und Emotion in bei Zürich. Bei der mehrjährigen Produktentwicklung kam dem ­einem Produkt zu vereinen. Design die Aufgabe zu, das Produkt nahtlos in die globale Kom­ Die Qwstion-Taschen lassen sie in China fertigen. Verschifft munikation der Marke einzubinden. Diese setzt auf die 75-jäh­ werden sie nicht nur nach Europa, sondern auch ins nahe Japan rige Markengeschichte und das Vertrauen in Schweizer Qualität. und nach Südkorea. Demgegenüber werden die Hornbrillen von ­Zudem mussten die unterschiedlichen Bedürfnisse der Babys und

Design im globalen Wettbewerb

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ihrer Eltern bei einem so emotionalen und ergonomisch an­ spruchsvollen Produkt mit einer vollautomatisierten hochtech­ nischen Massenfertigung in Einklang gebracht werden. «Für komplexe Massenherstellungsprozesse ohne Handarbeit ist die Schweiz noch heute der perfekte Werkplatz», bestätigt Ingenieur Curdegn Bandli. Wie Aekae haben auch die Macher von Flink mit dem Berg­ sportlabel Rotauf eine eigene Produktmarke im Portfolio. Den ­geeigneten Hersteller für ihr Lawinenrettungsgerät haben sie in Taiwan gefunden. Die Wintersportkleider des Labels dagegen las­ sen sie in der Schweiz nähen. Der Direktvertrieb übers Netz macht es möglich, dass die Kleider trotz der teuren Fertigung zu den glei­ chen Preisen wie die der globalen Konkurrenz angeboten werden können. Remo Frei weiss um die Vorteile: «Hier entworfen und produziert für den lokalen Markt: Das finden wir vernünftig für eine Marke wie Rotauf.» Die Nischenmarke richtet sich denn auch an jene Bergsportler, die lokal gefertigte Produkte mit einem lang­ lebigen Design der Massenware aus Fernost vorziehen. Die Beispiele von Bibi, Rotauf, Sire oder Qwstion zeigen, dass bei der Wahl des Produktionsstandortes die Fertigungskosten nicht mehr allein den Ausschlag geben. Neben fertigungstechni­ schen und logistischen Rahmenbedingungen gilt es mehr denn je auch «weiche», design- und markenstrategische, Faktoren zu be­ rücksichtigen.

den Luxusbrillen «Handmade in Switzerland» von Aekae zeigt, dass da ein neuer Markt entsteht. Er ist attraktiv für findige Unter­ nehmerinnen und Designer, die es verstehen, diese auf der ganzen Welt erkennbare Designsprache markengerecht zu übersetzen. ­Sowohl Flink als auch Process unterstützen hiesige und zuneh­ mend auch asiatische Firmen dabei, den riesigen asiatischen Markt mit «Schweizer Design» zu erschliessen. Dass es dabei zu einem designspezifischen Wissenstransfer kommt, wird in Kauf genom­ men. «Im globalen Designwettbewerb mischen alle mit», sagt Chris Harbeke. Darüber, dass die Designkonkurrenz aus Asien ernst zu nehmen sei, sind sich alle befragten Designer einig. Globale Designkonkurrenz

Für Christian Kaegi gibt es dennoch keinen Grund, sich vor dieser Konkurrenz aus Asien zu fürchten: «Intelligentes Designdenken, also komplexe gestalterische und unternehmerische Probleme zu verstehen, wird immer gefragt sein.» Das Quäntchen Vorsprung im globalisierten Designwettbewerb sieht auch Peter Wirz in der Fähigkeit, strategisch zu denken und zu entwerfen. Dabei werden Produkte nicht isoliert, sondern immer als Teil einer übergeord­ neten Problemlösung betrachtet. Gerade Industriedesigner haben erkannt, dass mit dem Wandel zur Informations- und Service­ gesellschaft das Produktdesign auch die Gestaltung von Dienst­ leistungen, von Handlungsspielräumen, Organisations- und Um­ gangsformen umfasst. Dafür braucht es eine solide Ausbildung Lokal verankert, global wirksam und Praxiserfahrung. Doch sind Nachwuchsdesigner auf den kom­ «All business is local», antwortet der Designer Chris Harbeke von plexer werdenden Designprozess genügend vorbereitet? Die erfah­ der Design- und Markenagentur Nose auf die Frage, welche Aus­ renen Designer Chris Harbeke und Peter Wirz zweifeln daran. De­ wirkungen die Globalisierung auf das Designgeschäft habe. Um fizite machen sie vor allem im unternehmerischen Denken, beim dann zu präzisieren, dass gutes Industriedesign zwingend dort technischen Grundverständnis und in der mangelnden Reife aus, stattfinde, wo ein Produkt tatsächlich entwickelt wird. Denn das die nach nur drei Ausbildungsjahren bis zum Bachelor und ohne komplexe Geschäft ist abhängig vom Auftraggeber, vom Zielmarkt, praktische Erfahrungen kaum erreicht werden können. Trotzdem vom Wissensstandort mit seinen Forschungs- und Ausbildungs­ sehen sie für den Design-, Werk- und Wissensplatz Schweiz gerade für kleine und mittlere Unternehmen gros­ ses Potenzial. Vorausgesetzt, dass die Her­ Längst deckt sich «Swiss Design» nicht mehr zwingend steller es nicht beim leeren Schlagwort mit «Swiss Made». «Swissness» bewenden lassen. Ein umfas­ sender Designansatz bedeutet weder Zeitinstitutionen, vom Werkplatz. Es entsteht immer lokal – auf der noch Geldverschwendung, sondern ist der Schlüssel, um im glo­ ganzen Welt. Deshalb holen sich die Zürcher Designer für das balisierten und zunehmend fragmentierten Markt von heute ­Interior Design der holländischen Zugkompositionen, die sie im erfolgreich mitzumachen. Auftrag des Thurgauer Bahnbauers Stadler entwerfen, holländi­ sche Designer mit an Bord. Um so den Geschmack der künftigen Benutzerinnen und Benutzer zu treffen. Peter Wirz, Mitinhaber und Gründer der Designagentur Pro­ cess mit Büros in Luzern, Zürich, Shanghai und Taipeh meint: «Es gibt heute kein lokales Design, nur gutes oder schlechtes Design – und das weltweit». Doch gutes Design brauche eine konsequente Einbettung von Produkten und Marken in einen lokalen Kontext. Das ist für Designer heute so selbstverständlich wie sie Farb­ konzepte, ergonomische Studien oder Schaummodelle entwerfen. Der Modebegriff «Swissness» steht dabei nur für eine identitäts­ Dominic Sturm, 1973 in Bern geboren, seit 2002 in der stiftende Kontextualisierungsstrategie unter vielen. Sie zielt dar­ Schweiz als Produktgestalter tätig, absolvierte 2009 ein in Basel, das er mit der Masterthesis auf ab, Marken, Produkten oder Dienstleistungen die lokale und Nachdiplomstudium Macht und Mächtigkeit im Produktdesign abschloss. globale Wiedererkennung zu sichern. Das asiatische Interesse an Er führt sein Atelier Bureau Sturm Design in Zürich.

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E

s gibt Künstlerkarrieren, die über Jahre hinweg mit sich Angebote explizit an Unternehmen, die technologie- und wisFördergeldern unterstützt werden. Das macht für senschaftsbasierte Innovation vorweisen können. Zum Zug komdie Kunstförderung Sinn, denn ein internationaler men vorzugsweise Startups aus den Bereichen Biochemie oder Durchbruch kann auch im reifen Alter gelingen. Im Informations- und Kommunikationstechnologie. Zum andern Design ist das undenkbar: Wer als Designer gelten will, fehlt jungen Designern die Kenntnis der Instrumente einer wirtmuss sich über kurz oder lang ökonomisch durchsetzen. Oder den schaftsorientierten Förderung. Was ein Businessplan ist, wird in Beruf wechseln. der Ausbildung zumeist nicht vermittelt, ebenso wenig allgemeine Sie sind selbständig oder angestellt; die einen entwerfen für betriebswirtschaftliche Zusammenhänge. verschiedene Auftraggeber, andere vergeben Lizenzen ihrer EntZugleich fehlt aufseiten der Wirtschaftsförderer das Verständwürfe oder gründen eine Marke – und nicht wenige kombinieren nis für die Voraussetzungen, unter denen Designer arbeiten. Sie diese Geschäftsmodelle. Doch alle, die sich selbständig machen lernen im Prozess und holen sich situativ das Wissen ab, das sie wollen, brauchen unternehmerisches Können. In den knappen brauchen. Dieses Wissen greift weit aus und geht oft über das bedrei Jahren, in denen sie den berufsbefähigenden Bachelor in De- triebswirtschaftliche Know-how hinaus. Mehr Erfolg versprechen sign erwerben, konzentrieren sie sich auf das Kerngeschäft des deshalb Fördermodelle, die auf ein Coaching setzen, das einem Entwerfens – komplex genug ist es. konkreten Projekt angepasst ist Zum Unternehmer, zur Unternehund in dem die nötigen Kenntmerin reifen sie in den Jahren nach nisse situativ abgeholt werden ihrer Ausbildung. können. Wie kann die DesignfördeManagen oder Entwerfen? rung diese Entwicklung fördern? Bis anhin hat in der Schweiz die Designer, die sich als selbstänöffentliche Hand Design unter ­ dige Unternehmer positioniedem Dach der Kulturförderung ren wollen, brauchen dafür die unterstützt. Entsprechend sind die nötigen Instrumente – im BeUnternehmerisches Können ist wichtig ­Förderinstrumente ausgelegt: als wusstsein, dass ihnen das Unterfür eine erfolgreiche Etablierung Werk- und Projektbeiträge à fonds nehmertum selten Selbstzweck im Beruf. Hier sollte eine Schweizer perdu, als Preise und, seltener, als ist. Designer definieren Erfolg Designförderung ansetzen. nicht nur wirtschaftlich, sonAusbildungs- und Atelierstipendien oder Berufspraktika. Wird dadern auch am Grad der Autonomit das unternehmerische Können mie des beruflichen Handelns, Von Meret Ernst gestärkt? Ja, wenn ein Preis im an der Vernetzung in einer rechten Moment kommt und zu Szene, an der Möglichkeit, verweiteren Aufträgen führt, die lehrreich sind. Ja, wenn ein Berufs- schiedene designbezogene Rollen zugleich zu spielen oder messen praktikum die Frage klären hilft, in welcher Rolle sich eine Desig- ihn an der Anerkennung ihrer Autorschaft innerhalb der Designnerin in Zukunft bewähren will. Nur bedingt, wenn es um die szene. Designer sind Spezialisten darin, das zu denken, was es noch ­Befähigung geht, unternehmerisch zu handeln. Dazu braucht es nicht gibt – auf dieser Kompetenz gründet ihr Erfolg. Das stimmt zusätzliche Förderinstrumente, wie sie unter dem Begriff Cultu- nicht mit den Zielen der klassischen Wirtschaftsförderung überein. ral Entrepreneurship diskutiert und ausprobiert werden. Sie ent- Diese sieht Erfolg unter anderem darin, wenn sich Mikrounternehstammen dem Arsenal, mit dem die Wirtschafts- und Standort­ men zu KMUs und zu guten Steuerzahlern entwickeln. Ein wachförderung ihr Geschäft betreibt. sendes Unternehmen zu managen geht allerdings zulasten des Entwerfens und der kreativen Autonomie, die Designer suchen. Ziel: Unternehmertum fördern Um diesen Zielkonflikt zu entschärfen, braucht es von beiden Anders als die staatliche Kulturförderung sieht die Wirtschafts­ Seiten eine Annäherung: Es braucht unternehmerisches Denken förderung im Prinzip keine Förderung der Akteure in Form von in der Ausbildung, wie es als Cultural Entrepreneurship erforscht direkter Finanzhilfe vor. Die Kantone können etwa mit der Ver- und vermittelt wird. Und es braucht vonseiten der Wirtschafts­ mittlung von günstigem Bauland und mit Steuererleichterung in förderung Initiativen, die gezielt auf die besonderen Bedürfnisse der Startphase oder bei einem geplanten Betriebsausbau helfen. der Akteure der Kreativszene eingehen. Der Bund wiederum sorgt für günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Dazu gehören auch die Unterstützung bei administrativen Abläufen und im Verkehr der Unternehmer mit Behörden und Ämtern. Selbstverständlich können auch Designer an den Unterneh- Meret Ernst, Dr. phil. Kunsthistorikerin, leitet seit 2003 mergründungskursen und Coaching-Angeboten der Standort­ die Redaktion für Kultur und Design bei der Zeitschrift Sie ist seit 2010 Vizepräsidentin der förderung teilnehmen. Doch allzu fleissig machen Designer bis- Hochparterre. Swiss Design Association SDA und als Designexpertin in lang nicht davon Gebrauch. Woran liegt es? Zum einen richten zahlreichen Jurys vertreten.

Marktreife ­erlangen

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N

ach drei Jahren bis zum berufsbefähigenden Bache- Produkts an einen Händler oder Zwischenhändler abgeben könlor, den sie an einer der sieben Schweizer Design- nen. Aber die Lizenzeinnahmen sind gering und decken die Koshochschulen erwerben, stehen Designer vor der ten für die Produktentwicklung selten. Sie sind somit eher ein Wahl: In welcher Rolle wollen sie mit Design ihren ­Zubrot zur Tätigkeit in Agenturen als eine Existenzgrundlage. DeLebensunterhalt verdienen? Heute stehen ihnen vier signer, die dieses Modell wählen, müssen sich querfinanzieren. Möglichkeiten zur Verfügung, um sich auf dem Markt in einer Oder sie entwickeln viertens ihre eigene kleine Marke und ­angestellten oder selbständigen Tätigkeit zu behaupten. Einige verwerten ihre Produkte selbst. Die Gründung einer eigenen dieser Optionen sind etablierter als andere, aber letztlich müssen Marke bedeutet mehr unternehmerische Kontrolle, ist aber das bei allen Eintrittshürden überwunden, Vor- und Nachteile ab­ herausforderndste Geschäftsmodell. Das Leben als Kreativuntergewogen werden. Das zeigt sich, nehmerin beginnt mit der Suschaut man die vier Geschäftsmoche nach Herstellern, dem Nachdelle genauer an. denken über Einkaufspreise und Erstens: Designer beginnen Margen. Auch Investitionen sind in einer Designagentur zu arbeioft notwendig für Produktion ten, oft als Praktikantin, später als und Marketing. Dennoch ist das Junior Designer – oder sie grünInteresse für diesen Weg heute den früher oder später ein eigenes gross. Die wachsenden Mög­ Designbüro. Das ist naheliegend, lich­keiten, den Verkauf und die denn die Designwirtschaft ist ein ­Vermarktung über Internet zu organisieren, ermutigen junge Dienstleistungssektor. Agenturen tragen mit ihren Angeboten zur Designer dazu, mit einem so geProduktentwicklung, zur Inno­va­ nannten Mikro Brand zu experition, zum Erscheinungsbild oder mentieren. zur Customer Experience, der Kun­ Wo das Glück liegt denerfahrung von Firmen, bei. Der Wer in den Beruf einsteigt, muss sich Markt um Aufträge ist umkämpft, Und was heisst das nun alles erst über seine Rolle klar werden: Designer selbst wenn der Designsektor in für die Designerin? Es gibt keiarbeiten selbständig oder angestellt, den letzten Jahren auch in der nen allgemeingültigen Weg zur als Dienstleister oder sie gründen ein Schweiz gewachsen ist und DesigGlückseligkeit. Jeder Designer ner ihre Kunden häufig davon wird je nach Persönlichkeit, Leeigenes Label. überzeugt haben, dass ­Design eine benssituation, Risikobereitschaft strategische Dauer­aufgabe eines und auch Wissen eine ­eigene Von Claudia Acklin Strategie entwickeln müssen. Unternehmens ist. So tragen klei­Dabei haben die Designer aber ne Agenturen ein Klumpenri­si­ko: einen entscheidenden Vorteil: Sie arbeiten oft für wenige Kunden. Fällt einer davon weg, wird es brenzlig. Grös­sere Agen­turen hal- Auch das Überleben im Markt gleicht einem Designprozess, einer ten sich laut Studien besser, weil sie arbeitsteilig und kontinuierlich iterativen Serie von Entscheidungen in Richtung der bestmögliKunden akquirieren können. chen Lösung. Und mit solchen Prozessen umzugehen, das haben sie gelernt. Angestellt oder frei?

Arbeiten als Designerin: Vier Modelle zum Glück

Zweitens arbeiten Designer in einem Unternehmen, das eine eigene Designabteilung unterhält und sie als Designer einstellt. Die Schweiz ist bekanntlich ein Land der kleinen und mittleren Unternehmen; diese leisten sich aber selten eigene Designabteilungen. Im Gegenteil: Viele Firmen kennen den Mehrwert von Design schlecht oder haben Vorurteile gegenüber der Arbeit von Designern. Es gibt zwar mittlerweile Grossunternehmen in der Schweiz, die auf Design-Thinking, Design-getriebene Innovationsprozesse, setzen. Allerdings hat dieser Trend auch seine Schattenseiten für die Designer, weil sich zunehmend Nicht-Designer als Berater für diese Methode etablieren, um in einem nutzerorientierten, dem Design entlehnten Prozess auf neue Lösungen zu kommen. Drittens können Designer ihre selbstentwickelten Produkte bei einem Händler oder Zwischenhändler in Lizenz geben. Viele Designer sind dankbar, wenn sie das mühselige Vermarkten eines

Dr. Claudia Acklin, Geschäftsleiterin Creative Hub – eine Plattform für die Förderung der Schweizer Designwirtschaft. www.creativehub.ch

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REFLEXIONS­B E Z I E H U N G E N Industrial Design

Wir richten unser Handeln danach aus, eine sinnfällige Verbindung zu den Artefakten aufrecht zu erhalten. Wir entnehmen ihnen, wie sie unser ­Handeln ermöglichen oder einschränken, wir lernen mit und an ihnen, sie zu ­gebrauchen, und ihre Form vermittelt uns, zu welcher Kategorie sie gehören. Kurz, wir treten in eine intensive Beziehung mit dem Gerät, das uns umgibt.


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der französische Künstler Ange Leccia präsentierte Weil sich Design stets auf konkrete Funktionen und auf Milieus 1987 unter dem Titel La Séduction das aktuelle oder Zielgruppen bezieht, blieb es im Kunstkontext weiterhin ein ­Modell eines Mercedes 300 CE. Das Werk stand an­ Mittel, um gegen ein selbstgefälliges l’art pour l’art der Kunst anlässlich der documenta VIII in der Orangerie des zutreten. Eine konsequente Weiterführung dieser Entwicklung Kurfürstlichen Stadtschlosses in Kassel. Die im Titel fand in den 1990er-Jahren statt. Als Museumsbesucher sah man der Arbeit angekündigte Verführung schien mit dem Auto selbst sich damals nicht selten genötigt, in bar- oder loungeähnlich eingelöst – oder im Warencharakter und seiner Präsentationsform ­gestalteten Kunstinstallationen zu lesen, sich zu unterhalten, Muaufgeführt zu werden. Denn langsam drehte sich vor den Augen sik zu hören oder gar zu kochen. In diesen aus Möbeln, Geder Zuschauerinnen und Zuschauer der Wagen auf einer glänzen- brauchsgegenständen und Designobjekten arrangierten Räumen den Plattform, die von einem Autohaus installiert wurde. Kühl forderten die Objekte das Publikum zur Teilnahme an Kunst auf. und sachlich erschien die dunkelMit dieser Strategie erneuerten und erweiterten Künstlerinnen blau metallic gehaltene Karos­ und Künstler einen für veraltet serie, und das schlichte Design gehaltenen Begriff von Kunst. fügte sich mit grosser Selbst­ verständlichkeit in diese Kathe­ Kunst sollte nicht mehr nur bedrale der Kunst ein. Tatsächlich trachtet, sondern auch erlebt brach die Arbeit mit den etablierwerden. Der französische Kurator ten Konventionen des Ausstellens Nicolas Bourriaud theoretisierte und müsste selbst für den Kunst1998 dieses Genre schliess­lich als markt, der Werke ja auch als Esthétique relationelle. Das Stre­Waren handelt, als Provokation ben nach unmittelbarer Relevanz verstanden worden sein. Leccias für das alltägliche Leben kann Arbeit machte einen Paradig­ sich also auch darin ausdrücken, menwechsel sichtbar, den die Be­ dass «designte» Objekte unserer deutung des Designs im Aus­ Lebenswelt in den Ausstellungs­ stellungs­kontext erfuhr. Mit der kontext gelangen. Das Anliegen documenta VIII eröffnete zwei der autonom gewordenen Kunst, Jahre vor der Gründung des Vitra auch im Leben der Menschen Wer verführt hier wen? Kunst und Design Design Museums in Weil am stattzufinden, ist allerdings keine Rhein und des London Design Erfindung dieses Jahrzehnts. Es haben eine lange gemeinsame Museums eine Ausstellung, die gilt bereits als Merkmal der Geschichte. Trotz der unterschiedlichen angewandte Kunst erstmals ­klas­sischen Avantgarde des beginAufgaben der beiden Disziplinen ­profitieren gleichwertig zeigte und sie weder nenden 20.  Jahrhunderts. Man sie wechselseitig von ihren Präsentationsim Ausstellungslayout noch im könnte sogar noch einen Schritt Katalog von der bildenden Kunst weiter gehen und behaupten, dass und Rezeptionsweisen. unterschied. die Avantgarden im Design einen Anspruch an die Kunst bereits Von Tido von Oppeln Eine eigenständige Disziplin verwirklicht sahen. Denn Design Für den künstlerischen Leiter ist – in Form von gestalteten ProManfred Schneckenburger existierte zwischen den beiden Diszi­ dukten – im Leben und Alltag der Menschen wirksam und das war plinen zwar ein Unterschied – aber kein Gefälle, was ihre visuelle letztlich, was die Avantgardisten auch von der Kunst forderten. Dennoch kann ebenso wie in der Kunst auch im Design von und konzeptionelle Qualität im Rahmen seiner Ausstellung anging. Design wurde nicht nur im Sinne einer Anwendung von einer Entfremdungserfahrung gesprochen werden. Zumindest Kunst vorgestellt, sondern als eigenständige Diszi­plin, welche die wenn man sich auf den scharfsinnigen Analytiker des industriellen ganze documenta VIII thematisch prägte. Arrivierte Designer wie Zeitalters, Karl Marx, beruft. Für Marx charakterisierten die FabriAlessandro Mendini, Andrea Branzi und Andreas Brandolini waren ken das Produkt als Ware und machten die industrielle Arbeit zu mit Installationen ebenso vertreten wie der noch recht junge De- einem austauschbaren Handelsgut, entfremdet vom Leben. Von signer Jasper Morrison. Auffällig viele künstlerische Positionen dieser Entfremdung wurden auch die Waren erfasst und verwanmachten ausserdem die Ästhetik von Waren zu ihrem Gegenstand. delten sich zu einem unnahbaren Gegenüber des Lebens. In ihrer Indem etwa die erwähnte Arbeit von Ange Leccia durch ein Mer- vom Kontext der Herstellung losgelösten Präsenz sind weder der cedes-Autohaus aufgebaut worden war, wurde auch die Waren­ Prozess der Produktion, noch die Bearbeitung des Materials sichtpräsentation selbst ausgestellt und konfrontierte dadurch gewis- bar. Durch diese Reinheit werden sie zum begehrenswerten fremsermassen die Kunst mit dem Design. Gleichzeitig regte Leccia zu den Gegenstand ohne Ursprung oder Vergangenheit. Der Charakeinem neuen Blick auf das Designobjekt als Objekt mit einer ei- ter der Ware gründet weder im Gebrauch, noch auf der Befriedigung genständigen Bedeutung an. alltäglicher Bedürfnisse, sondern allein im Markt.

Von der ­Verführung des Designs durch die Kunst

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den 1990er-Jahren. Autorendesign wird in einem so grossen Umfang gesammelt und gehandelt, dass Galerien der Nachfrage entsprechen. Heute residiert die Design Miami / Basel als Sammlermesse für Designgalerien nicht nur zeitlich, sondern auch örtlich parallel zur Kunstmesse Art Basel – als wolle man eine Nähe der Disziplinen demonstrieren, von der offensichtlich beide profitieren. Die Kunst, indem das Design die Verbindung zum Alltag herstellt; und das Design, indem die Kunst die Möglichkeit zur Selbstreflexion vorführt. In Installationen, Einzelstücken, limitierten und Kleinst­ auflagen sucht das Design seither weniger die Nähe zur Kunst, als vielmehr die Möglichkeit einer distanzierten und reflektierten Betrachtung und Bewertung der eigenen Arbeit. Das Design entwiWachsende Bedeutung des Autorendesigns ckelt damit einen Diskurs über die Disziplin und steht so einem Das klassisch moderne Design von Marcel Breuer, Wilhelm Wa- unreflektierten Fortschrittsdenken, wie es noch für die Moderne genfeld, Max Bill oder Dieter Rams betonte in seiner Gestaltung konstitutiv war, kritisch gegenüber. «Es geht eher darum, Fragen die Funktion. Das Radical Design dagegen, wie diese Bewegung aufzuwerfen, als Antworten zu liefern», so formulierten Anthony genannt wurde, wollte soziale oder politische Momente, humor- Dunne und Fiona Raby ein Programm, das als Critical Design und lustvolle Motive sowie emotionale Gestimmtheiten in den heute nicht etwa von der Kunst verführt ist, sondern vielmehr als Entwurf integrieren. Eine Haltung, die jedoch weniger als Ästhe- ästhetische Praxis und als Kommentar von Designern über Design tisierung denn als eine Betonung der Autorenrolle des Designers verstanden werden kann. zu verstehen ist. Sie machte eine Umdeutung von GebrauchsgüDa stellt sich die Frage, ob die eine Disziplin in der anderen tern sichtbar: Die Form der Objekte gab nicht mehr vor, allein aufgeht. Trotz verschiedentlich geäusserter Verschmelzungsphanfunktional begründet zu sein. Tatsächlich polarisierten die Pro- tasien sind die beiden Felder Kunst und Design denn auch unterdukte, die in Folge dieser Entwurfspraxis auf den Markt gelangten, scheidbar geblieben. Tatsächlich sollte eher von einem veränderdie Designszene. Sie widersprachen allen Grundsätzen funktiona- ten Werkbegriff im Design gesprochen werden, als von einem ler Gestaltung, missachteten Prinzipien wie Materialgerechtigkeit Aufgehen des Designs in der Kunst. Auch Designer wie Jurgen Bey, oder Gebrauchsfähigkeit. Trotzdem oder gerade deswegen wurden Jerszy Seymour oder Martino Gamper, deren Objekte sich als «Fusie in ihrem Avantgarde-Anspruch zu einem wichtigen Thema des sionen» interpretieren lassen, oder Künstler wie Martin Boyce oder Feuilletons. Die meisten dieser Entwürfe wurden allerdings nur Tobias Rehberger haben keine Schwierigkeiten sich selbst und ihre in Kleinauflagen produziert – mit einigen wenigen Ausnahmen, Arbeit in ihrem jeweiligen Feld zu verorten. Es ist vielmehr die wie etwa der dreibeinigen Zitronenpresse Juicy Salif von Alessi, Tendenz zu beobachten, dass sich beide im Repertoire der Gestal1987 entworfen von Philippe Starck. Auf die Kritik aus dem Lager tungsmittel der jeweils anderen Disziplin bedient haben. Das Dedes funktionalistischen Designs, die monierte, dass die Presse sign übernimmt Arbeitsweisen aus der Kunst und die Künstler entlehnen Themen und Strategien des Designs. Die Arbeiten und das Arbeiten sind In der Entfremdung der Ware von ihrem Zweck und ihrem sich demnach ähnlicher geworden. DesignProduzenten nahm die Sehnsucht nach Authentizität und objekte sind in einigen Fällen formal so weUrsprünglichkeit im Design ihren Anfang. nig von Kunstwerken zu unterscheiden, wie umgekehrt. Das Design hat inzwischen nicht praktisch sei, reagierte Starck mit einer vergoldeten Jubilä- eine selbstreflexive gestalterische Praxis hervorgebracht und Wege umsausgabe. Die Unverträglichkeit von Zitronensäure und Gold in eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Disziplin gegibt bei diesem Produkt einen eindeutigen Hinweis auf sein We- funden. Ob Objekte des Designs möglicherweise doch Kunst sind, sen. Geliefert wird die Presse mit dem folgenden Gebrauchshin- lässt sich insofern beantworten, als dass sie ihrem Anspruch nach weis: «Bei Kontakt mit säurehaltigen Substanzen könnte die Ver- zwar autonome Werke sind, jedoch weiter in ihrer Disziplin vergoldung Schaden erleiden.» Starck soll auf eine Nachfrage zur ortet bleiben. Bleibt also nur noch die Frage, ob es nicht eigentlich offensichtlichen Unbrauchbarkeit des Gebrauchsgegenstands ge- an der Zeit wäre, von einem Werk des Design zu sprechen. antwortet haben: «Meine Presse ist nicht dazu da, Zitronen auszupressen, sondern Gespräche anzuregen.» Die Haltungen, die sowohl Designer als auch Benutzer gegenüber Gebrauchsobjekten einnehmen können, haben sich damit Tido von Oppeln (*1974) studierte Kulturwissenschaften, deutlich erweitert. Galt in den 1960er-Jahren ein solches Autoren- Philosophie und Museumspädagogik an der Humboldtdesign, das nicht länger allein die von aussen herangetragenen Universität Berlin. Seit 2005 beschäftigt er sich als Autor und mit Design, Kunst und Architektur. Seit 2010 Aufgaben erfüllen mochte, lediglich als Thema, über das man in Kurator unterrichtet er Designgeschichte und -theorie in Potsdam, kleinen, oft exklusiven Kreisen diskutierte, so änderte sich das in Luzern und Zürich. In dieser Entfremdung der Ware von ihrem Zweck und ihrem Produzenten nimmt, ähnlich wie für die Kunst, auch für das Design die Sehnsucht nach Authentizität und Ursprünglichkeit ihren Anfang. Denn so wie die autonome Kunst auf dem Kunstmarkt des 19. Jahrhunderts zur Ware wurde, verlor auch das industriell hergestellte Produkt die Verbindung zum Leben und wurde zur autonomen Ware. Eine Selbstkritik, wie sie die Avantgarden für die Kunst formuliert hatten, wurde im Design allerdings erst in den 1970er-Jahren formuliert. Vor allem in Italien setzten Designer dem funktionalistischen Design, das sich ohne Widerstand in den ökonomischen Kreislauf einordnete, eine Konzeption entgegen, die sich als «emotional» und «radikal» verstanden wissen wollte.

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R E N AT O B AT O , BOOTSBAUER Product Design

«Alle Menschen sind Designer. Fast alles, womit wir uns b­ eschäftigen, ist Design, Planung, Entwurf, denn Design ist die Grundlage jeder ­menschlichen Tätigkeit», meinte der amerikanische D ­ esigner Victor ­ Papanek ­bereits 1972 – in jenem Jahr, in dem der Bericht Die Grenzen des Wachstums des Club of Rome erschien. Und er formulierte das als Kritik gegen alle Designer und Architek­tin­nen, die mit ihrem pro­fessionellen Ent­ wurfswissen den Überfluss mehren.


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er Schweiz wird weitherum ein hohes Mass an Ordnung und Präzision zugeschrieben, ob in ästhetischer oder anderweitiger Hinsicht. Doch welchen Einfluss hat die zunehmende Mobilität und Verflechtung von Menschen, Objekten und Medien auf das «Herz der Ordnung»? In diesem Essay möchte ich einen persönlichen Querschnitt durch das allumfassende, untrennbare Zusammenspiel von Design und Dasein, Gegenständen und Lebewesen ziehen. Auf welche Weise verbinden sich für mich, im Hier und Jetzt des Basler Sommers 2013, dieses Werbeplakat, jene Pixelanzeigen, dieses Kunstwerk im öffentlichen Raum und jene Betonwohnblöcke? Ausgehend vom Begriff des Rasters werde ich einige neuzeitliche Objekte und Situationen unter die Lupe nehmen sowie einige Überlegungen über Räume und Erfahrungen anstellen. Raster und die für sie verwendeten Materialien sind prägende Merkmale von Schlüsselobjekten, mit denen meine poetische Forschungsreise beginnen soll.

Grafikdesigns, wo sie das Zusammenstellen mehrerer Elemente zu einem ebenso aussagekräftigen wie ästhetischen Ganzen beträchtlich erleichtern. Natürlich wirken sich nicht alle Rastersysteme, wie jenes der internationalen, zeitgenössischen Architektur oder des Schweizer Grafikdesigns, – deren Beliebtheit im Übrigen nicht zuletzt auch mit dem modernistischen Glauben an technologischen Fortschritt und wissenschaftliche Rationalität zu tun hat – in gleicher Weise auf unser Leben aus. Zwar haben sie sich in vielen Fällen als äusserst praktisch erwiesen, können in gewissen Situationen aber auch zu starr und einengend sein. Den meisten Rastern gemein ist jedoch das Potenzial, das sie in visueller und infrastruktureller Hinsicht zu bieten haben. Die Frage ist nicht ob, sondern wie sie funktionieren und welchen Effekt sie auf uns haben.

Im Herzen der Ordnung

Fassade oder Panzerung?

Bei meinem Spaziergang durch Basel entdecke ich immer wieder neue Raster, so etwa beim Blick ins stets frappierend ähnlich geSiddhartha Chatterjee, Designexperte Stadt der Raster staltete Innere von Fitnessstu­ aus Delhi, forschte auf Einladung Dem auswärtigen Besucher präsendios (und auf manche der dort zu von Pro Helvetia und dem Basler Ateliertiert sich Basel als stimmungsvolle bestaunenden Körper!). Noch ofprogramm iaab im Juli in der Schweiz. Stadt, in der ihm sofort überall fensichtlichere Beispiele sind das ­Raster auf­fallen – sei es in Gestalt Stadtbild prägende Gebäude wie In seinem Essay erörtert er seine ordentlich aufgereihter elektronider Messeturm, der sich prakEindrücke aus Basel und gewährt Einblick scher Anzeigetafeln, rechteckiger tisch nahtlos in die globale Typoin sein Langzeit­projekt The Art of Order. Briefkasten­ anlagen (vor ebenso logie von Wohnhäusern, Stadien kastenförmigen Wohn­gebäuden), und Einkaufszentren einfügt, wie kachel- und pixelbasierter Kunst, sie auch in vielen anderen StädVon Siddhartha Chatterjee der allgegenwärtigen Flaggen und ten anzutreffen ist. Ich fühle Fahnen, öffentlicher Skulpturen mich an die archetypischen Arkaoder auch mancher Graffiti. In vielen dieser Fälle ist das rasterar- den Walter Benjamins erinnert: Gewölbe aus Stahl und Glas, die tige Erscheinungsbild auf die Kombination identischer, vorgefer- neue, ambivalente Konfigurationen von Innen und Aussen, von tigter Elemente zurückzuführen. Als Ganzes und in Betrieb kann Wohnräumen, Geschäften und öffentlichem Leben ankündigten. das betreffende Objekt dazu dienen, festgelegte grafische und / oder In seinen Pariser Passagen beleuchtete Benjamin die Facetten sprachliche Informationen so darzustellen, dass sie auch aus einer ­einer modernen, exhibitionären Ordnung, die den öffentlichen gewissen Entfernung noch erkennbar sind (Uhren, Laufschriften, Raum einschliesst und zu Konsum anregen soll. Eine zentrale Schriftzüge, Mosaikkunst). Andere Objekte laden den Betrachter Funktion erfüllt in diesem Zusammenhang auch heute noch die zu einer (sub-)kulturellen Erfahrung ein – von behördlich geneh- Fassade. migten Investitionen in das Stadtbild und in kommunale DienstZu den auffälligsten Merkmalen des Basler Messeplatzes gehöleistungen bis hin zu provo­kativen Ausdrucksformen von Selbst- ren das sich über den ganzen Platz erstreckende Bodenmuster, die bestätigung (Skulpturen, Brunnen, Wappen, Fahnen, Graffiti). riesige Uhr an der nordöstlichen Ecke des Platzes sowie die Aus­ Wieder andere werden als manuell-mechanische Systeme genutzt, senhülle des schimmernden Neubaus von Herzog & de Meuron an um Dinge – oder Menschen – zu sortieren, unterzubringen und der Südseite des Platzes. Dessen Fassade bilden silbergraue Streifen wiederzufinden (Briefkästen, Wandschränke, Banktresore, Apart- aus unterschiedlich stark nach aussen gekrümmten Elementen, die menthäuser, Wohnsiedlungen, Stadtbezirke). Das Rasterprinzip, den Schuppen eines Tiers gleichen und sich beim Näherkommen das sich als Schachbrett, dachziegelartiges oder anderes geometri- wie Wellen zu kräuseln und über die Oberfläche auszubreiten scheisches Muster manifestiert, ist ein effizientes Rezept, um entweder nen. Während diese Struktur von innen an vielen Stellen einen naGleichartiges möglichst platz­sparend auf engem Raum anzuord- hezu ungehinderten Blick hinaus ermöglicht, sind von aussen nur nen oder Verschiedenartiges zu strukturieren, zum Beispiel in einige Innenwände und Verstrebungen zu erahnen. Im Vergleich Form eines Gemüsebeets oder eines demografischen Registers. zu den umliegenden alten Kleinbasler Gebäuden ist der imposante Eine wichtige Rolle spielen Raster schliesslich auch im Bereich des Bau mit den beiden schräg versetzten Ausstellungsetagen zwar ein DES IG N? DE SIG N! 22


wahrer Koloss, doch verleiht ihm seine poröse Aussenhaut eine Leichtigkeit, die ihn auf fast schon behutsame Weise mit seiner Umgebung interagieren lässt. Die matt reflektierende Aluminiumfassade nimmt die Farben des Himmels auf, lässt sie mit den Erdtönen eines benachbarten Backsteingebäudes verschmelzen und zerstreut das grelle Sommerlicht, statt es wie eine Glasfassade zurückzuwerfen. Ich blicke noch einmal hinauf und muss plötzlich nicht mehr

laufend verändert werden. In diesem Kontext stellt sich unweigerlich die Frage, in welchem Ausmass das funktionale, rasterbasierte Design des alternden Modernismus das tatsächliche Funktionieren der dynamischen Kulturräume beeinflusst hat, durch die und um die herum es fliesst. Als Axiom für angewandte Kunst und Design bietet sich eine bekannte anthropologische Erkenntnis an: «Die Dinge, die wir machen, machen uns aus.» Daraus ergibt sich, dass man der Art und Weise, wie Die Frage ist nicht ob, sondern wie Raster funktionieren Strukturen errichtet werden, grösste Aufund welchen Effekt sie auf uns haben. merksamkeit schenken sollte, so dass diese als Richtlinien dienen können, auf deren an Schuppen oder Wellen, sondern an ein Kettenhemd denken. Wen Grundlage immer wieder Neues entsteht. Als ausgebildeter Nutdiese Panzerung wohl schützen soll? zer und Missbraucher von Rastern für Grafiken, Ausstellungen In der Mitte des Komplexes bildet eine breite, ebenerdige Un- und Installationen bin ich froh, dass Raster nur eines der mög­ terführung, durch die auch das Tram fährt, einen grosszügigen lichen Hilfsmittel eines Designers darstellen. Ich freue mich auf öffentlichen Raum. In dessen Decke klafft ein gewaltiges rundes zukünftige, spannende Entdeckungen im weiten Feld zwischen Loch, das sich wie eine Röhre durch die darüber liegenden Stock- Design, Physik und Metaphysik, Biologie und Philosophie – zuwerke schraubt und den Blick auf den Himmel freigibt – ein of- sätzlich inspiriert durch den Zufall und den steten Wandel, von fensichtlich am Computer entstandenes und daher etwas kühl wir- dem unser Dasein bestimmt ist. kendes, zugleich aber auch irgendwie filigranes und organisches Design. Staunend bleibe ich eine Weile unter diesem Himmels­ auge stehen und beobachte, wie es die Sonnenstrahlen herein­ fallen und sich an den Kanten seiner ebenfalls schuppenartigen Innenseite brechen lässt.

Kommunikative Signale Auf der anderen Seite des Messeplatzes sticht natürlich besonders die transparente Riesenuhr ins Auge, ein beeindruckendes Beispiel mechanischer Präzision im Überformat – grösser als manche Kirchenuhr, aber auf deutlich geringerer Höhe angebracht. Dadurch ist die Uhr, in der sich die Umgebung spiegelt, nur vom Platz aus sowie, als fragmentierte Silhouette, aus dem Inneren des Glasgebäudes sichtbar, das sie schmückt. Entsprechend scheint sie nicht in erster Linie als Zeitanzeige, sondern als visuelles Wahrzeichen und kommunikatives Signal der hier stattfindenden interna­ tionalen Uhren-, Schmuck- und Kunstmessen zu dienen. Wie das allgegenwärtige «+» der Schweizer Flagge oder Hans Hilfikers herrlich minimalistische Bahnhofsuhr für die Schweizerischen Bundesbahnen repräsentiert die Uhr eine allgemein verständliche Symbolik und hebt sich durch ihren verspielten Umgang mit Materialien und ihre besondere Platzierung ab. In gewisser Weise stellt sie ein kraftvolles Sinnbild für die Vereinigung nationalistischer und kapitalistischer Ordnung dar – banal und wunderschön zugleich. Als ich dem Rand des Platzes entlanggehe, erkenne ich, dass das Bodenmuster den Schriftzug MESSE BASEL bildet. Einen Moment lang habe ich das verwirrende Gefühl, eine winzige Figur in einem architektonischen Modell zu sein. Die Graffiti in versteckten Ecken und Winkeln dieses brandneuen Raums lassen mich an die modernistischen Wohnmaschinen Le Corbusiers denken, die ihren Bewohnern grössere Handlungsfreiheit gewährten; Design kann eine steuernde Funktion haben und ein bestimmtes Ziel verfolgen, kann aber auch durch kleine Akte der Selbstdarstellung, die ihrerseits oftmals zukünftige Gestaltungskonzepte inspirieren,

Der Künstler und Designer Siddhartha Chatterjee studierte Museumsdesign an Indiens National Institute of Design sowie Anthropologie in London. Von Delhi und Bangalore aus ist er als Ko-Direktor für die Kommunikationskunstfirma seechange tätig. sc@seechange.in Übersetzt aus dem Englischen von Reto Gustin

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JUST GET IT! Product Design

Design heisst entwerfen. Oft genug ist das ein Projekt mit einem unsicheren Ausgang. Nicht selten scheitern Ideen in der Umsetzung, sei es in der Skizze, im Modell, im Prototyp, in der Serie oder im Verkauf. Ein gescheiterter Entwurf ist wertlos, lautet das Verdikt der Ver足wer足tung. Stimmt nicht, wissen Designer: Solches Scheitern beweist die grund足legende F辰higkeit, Neues zu denken.


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anche Designer neigen dazu, sich von der Ge- jener Epoche zukam. Betrachtet man Design ausschliesslich aus schichte ihrer Disziplin zu befreien, indem sie den Sichtweise der erfolgreichen Industrialisierung, treffen alle diese Glauben erwecken, ihr Schaffen sei sui generis. Auffassungen zu. Andere wiederum vertiefen sich in die Quellen, Auch wenn man sich vom Funktionalismus entfernt, mehren setzen sich mit der Geschichte des Designs ausei- sich die Auffassungen, auf welche Ursprünge die Designhistorionander, denken darüber nach, ziehen ihre Schlüsse daraus und grafie setzen kann. Andrea Branzi und vor ihm Reyner Banham setzen sie künstlerisch um – und erlangen auf diese Weise eine haben den italienischen Futurismus neu interpretiert, um die Genicht zu leugnende Freiheit. Man denke etwa an die Ready-made schichte des Designs aus einer anderen Perspektive zu erzählen. von Achille Castiglioni, das Redesign von Giò Ponti oder an die Und schliesslich veranstalteten 1976 Franco Raggi und Sonja GunHaltung eines Andrea Branzi. ther auf der Architektur-Biennale in Venedig die Ausstellung Il Doch von welcher Geschichte sprechen wir? Der Werdegang Werkbund – 1907 alle origini del design. Sie wollten damit beweides Designs scheint stärker an die technischen Möglichkeiten ge- sen, dass die Geburt des Designs auf die Gründung des Deutschen koppelt zu sein als etwa an die Verbreitung der Volkskultur und Werkbundes und nicht auf die Arts & Crafts-Bewegung von Wilder Medien. Der Begriff Design wird Richard Redgrave und Sir liam Morris zurückgeht. Der Verweis auf die Vielfalt von Entstehungsgeschichten soll Henry Cole zugeschrieben. Sie gaben 1849 das Journal of Design & Manufactures heraus, und die Tatsache, dass die Gründung zeigen: Das eigene Geschichtsverständnis beeinflusst die spätere ­ihres Journals in die Zeit der Positionierung des Designers und Entstehung der industriellen ermöglicht ihm frei von vorge­ Produktion fällt, liefert einen fertigten Formeln, Moden und wichtigen Hinweis auf die Vervon Allgemeinplätzen zur eigebindung zwischen Design und nen Haltung zu finden. Standardisierung. Von Ruskin zu den FabLabs Die funktionalistische Dimension von Design leitet sich Wer hat heute nicht schon von den von einer noch komplexeren (hisFabLabs gehört? Jenen alterna­ tiven Produktionseinheiten, die torischen) Konstruktion ab. Sie geht auf die zwei Werke Pioneers mit Rapid Prototyping und Open of the Modern Movement (PevsSource arbeiten. Sie präsentieren Ein Plädoyer für die Notwendigkeit, ner, 1936) und Mechanization sich als die neuen Formen der Takes Command (Giedion, 1948) Self-Design Industries 2.0 und beangehende Designer mit der Geschichte zurück. Obwohl sie den Glauben rufen sich auf Thesen aus dem ihrer Diziplin vertraut zu machen. an den technischen Fortschritt England des 19. Jahrhunderts. Abteilen, stehen sich damit zwei gesehen vom Versprechen einer Von Alexandra Midal Thesen betreffend die Herkunft kundenorientierten Standardisiedes Designs und seiner Definition rung und einer In-house-Pro­ gegenüber. Giedion sieht Design duktion knüpft FabLab an John als Bestandteil einer technischen Kultur, während Pevsner eine Ruskins Ideal von Gemeinschaftlichkeit und der Teilhabe an. Diese funktionalistische Geschichte der Pioniere beschreibt. Die Koexis- heutige Annäherung an Morris’ Meister Ruskin zur Schaffung einer tenz beider Auffassungen führt zur Frage, ob es möglich ist, über- neuen Auffassung von Design ist nicht unbedeutend. Ruskin war ein haupt eine Geschichte des Designs zu schreiben. scharfer Kritiker der britischen Wirtschaft, der den Zusammenhang Der Modernismus glaubte ausschliesslich an die Funktion, von Ökonomie und Ästhetik, von Güterproduktion und Lebensbeals sei dies der einzige Wegbegleiter von Design. Interessanter- dingungen aufzeigte. Als Visionär plädierte er für einen Sozialstaat weise gibt es jedoch viele verschiedene. So verdankt Design nach mit besseren Lebens- und kulturellen Bedingungen für alle. Seine Ansicht vieler Historiker seinen Durchbruch etwa dem Deutschen «ketzerischen Ansichten» lösten einen Sturm der Entrüstung aus, Peter Behrens, der als erster Industriedesigner zwischen 1907 und Ruskin verlor seine Anstellung beim Cornhill Magazine und zog sich 1914 eine Zusammenarbeit mit einem Unternehmen, der All­ aus dem intellektuellen Leben zurück. Fortan leitete er eine Handgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG), einging und diesem werkergemeinschaft, die seinen Idealen einer Organisation nach ein Gesicht gab. Weitaus mehr jedoch führen die Geburtsstunde dem Vorbild der Gilden im Mittelalter entsprach. Dass Ingenieure von Design auf das Bauhausmanifest aus dem Jahr 1919 zurück, und Gestalter von FabLabs Ruskins Konzept heute übernehmen, worin dessen Leiter und Gründer, der deutsche Architekt Walter zeigt, dass die Rückbesinnung auf gewisse historische Ideen kein ­Gropius, allen Tatsachen zum Trotz Design mit den Gesetzen des Verharren in den verstaubten Regalen der Geschichte des Designs Funktionalismus verband. Nicht zu vergessen aber auch die Be- bedeuten muss, sondern eine Quelle kühner Praktiken sein kann. deutung der F ­ abrik für Bugholzmöbel der Gebrüder Thonet oder Der Masterstudiengang Design an der HEAD ist nach diesem der Ford-Werke. Auch sie werden häufig als Ursprung des Designs Doppelmodus der (Wieder-)Vereinbarkeit von Praxis und Theorie genannt und zeigen, welche Bedeutung dem Unternehmergeist aufgebaut. Ihr Designunterricht ist besonders: Er bekennt sich zur

Auf den Schultern von Riesen

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absoluten Notwendigkeit einer autonomen Fachtheorie. Im Vordergrund steht ein Ausbildungsformat, das die Designer mit den Figuren der Vergangenheit vertraut macht. Das soll ihr Wissen und Können vervollständigen und festigen und ihnen helfen, einen zeitgemässen Ansatz für ihre Arbeit zu formulieren. Heutzutage, wo vieles unsicher ist und hinterfragt wird, bedeutet diese Designschule für eine Generation, die nicht nach vorgekautem Wissen und vorverdauten Trends strebt, wie es ihnen andernorts bisweilen serviert wird, ein Ort einzigartiger Innovation.

die Aufmerksamkeit wird gefangengenommen. Wenngleich die ­Demokratisierung von Wissen das Ziel war, so war es letztlich doch weit mehr als das: nämlich eine nie dagewesene geistige Erfahrung. Der für Re-Think the Eames realisierte Film spielt – wie damals bei den Eames – anhand neuartiger Bilder mit den Grenzen der Visualisierung und des Verständnisvermögens des Gehirns. Entstanden ist eine 120m2 grosse, unter der Leitung von Nitzan Cohen und Dominic Robson von den Studierenden realisierte Installation. Auf 12m grossen, an verteilten Stellen im Raum angebrachten geneigten Leinwänden laufen zwei Filme gleichzeitig, die Das Beispiel einer Hommage man unmöglich mit ein- und demselben Blick erfassen kann. BeNehmen wir aus aktuellem Anlass das Beispiel von Re-Think the gleitet wird die Vorführung von einem Musiker, der jeden Abend Eames – die Hommage, mit der die Masterstudierenden das be- live eine Instrumental-Performance komponiert und den Zurühmteste Designerpaar des 20. Jahrhunderts, Charles und Ray schauer in eine multisensorielle Umgebung einhüllt. Der ‹kleine› Eames, auf der Mailänder Möbelmesse 2013 ehrte. Während die Ehrenerweis an die vielen Talente von Charles und Ray Eames bevon Hermann Miller und Vitra herausgegebenen Möbel und die sticht durch neue Formen, denn der erzeugte öffentliche Raum Architektur ihres Case Study House in Pacific Palisades allseits ein stützt sich in seinem Design auf ein Gesamtkonzept. Begriff sind, vergisst man darüber oft die Leistung des Paares als Dieses Beispiel unter vielen erlaubt, die Zähler auf Null zuFotografen. Ihr Nachlass u ­ mfasst mehr als 750 000 Negative. rückzustellen und damit zumindest teilweise der modernistischen Wenngleich nicht ihr Schaffen dokumentierend, so ist es dennoch Behauptung zu widersprechen, Kreation und Innovation seien nur ein einzigartiges Werk und Vorbild für zukünftige Gestalter. Durch nach einer tabula rasa möglich. Abbrüche können sinnvoll sein, die Möglichkeit, in das Gesamtwerk der Eames, in diese ausdrucks- niemals jedoch zum Preis der Ignoranz. Re-think the Eames zeigt starke Welt einzutauchen, ermögliche ich meinen Studierenden auch, dass der Bezug zu unserer eigenen Geschichte eine ideenreiein in pädagogischer und gestalterischer Hinsicht beispielloses che Pädagogik ist, die nichts mit Nostalgie zu tun hat und die dem Abenteuer. Design die Fähigkeit zurückgibt, sich neu zu erfinden: In der FreiDie Eames pflegten zu sagen, ein Stuhl sei zuallererst ein Kon- heit der Aktion und in einem geistigen Raum, der über den streng zept, das sich aus einer holistischen Betrachtungsweise heraus ent- funktionalistischen – und das Design häufig verfremdenden – Rahwickle. Dafür steht auch ihr Think Theater, das sie 1964 auf der men hinausgeht. Weltausstellung in New York im IBM-Pavillon präsentierten. Für Denn so tritt Design aus den Bibliotheken hinaus und erfährt die eiförmige Struktur des Pavillons von Eero Saarinen entwarfen eine Neubelebung. Wenn ich auf der «zugleich» praktischen und sie einen immersiven Raum mit synchronisierten 35mm-Projek- theoretischen Doppelnatur von Design insistiere, dann, weil nur toren. Darauf lief ein Film, der zeigt, wie das Gehirn die komple- ein sich der Beziehungen dieser Vielfalt an Auffassungen ­bewusster xen und die einfachen Probleme auf dieselbe Weise löst. Die Sinne Ansatz ausgereifte Designer hervorzubringen vermag. Designerintauchen in einen wundervoll inszenierten Raum ein. Die Perfor- nen, die sich ihrer Disziplin und des komplexen Hintergrundes bemance, denn so muss man es nennen, ist von den Erläuterungen wusst sind und die in der Lage sind, diesen Hintergrund selbst dann zu würdigen, wenn sie ihn umgehen oder überholen. Mit dieser Haltung möchte ich Die Rückbesinnung auf historische Ideen muss kein meine Studierenden davor bewahren, DeVerharren in den verstaubten Regalen der Geschichte sign in zwei Aspekte aufzuteilen: In jenen bedeuten, sondern kann eine Quelle kühner Praktiken sein. mit der Technik als oberster Priorität und in jenen, in dem die Theorie überwiegt. eines Zirkusdirektors im Frack begleitet. Die Vorführung beginnt, Damit sie keinem vereinfachenden Dualismus verfallen. Die noch während sich das Publikum auf den Stufen niederlässt. Der Kombination beider zeugt von der Ambition des Designers, einen Zuschauer sieht sich einer rhythmisierten Projektion gegenüber, Dialog zu praktizieren – selbst wenn sich dieser als kompliziert die auf 22 Bildschirmen unterschiedlicher Grössen und geometri- erweist. In einer Zeit, in der viele Disziplinen ineinander überscher Formen eine Mischung aus Filmen und Fotografien zeigt. greifen, reiht Design sich in eine historische Kontinuität ein, die Das Ganze wird begleitet von einer Kaskade von Erläuterungen zur dieses hinterfragen darf und deren Komponenten sich nicht nur Abstraktionsfähigkeit des Gehirns, während dies gleichzeitig in ei- anhand ihrer gegenseitigen Resonanz interpretieren lassen, sonner ununterbrochenen Bilderflut demonstriert wird. Als zusätzli- dern vor allem aus einer autonomen und individuellen Perspekche Steigerung übernahmen die Eames die Idee einer beweglichen tive: jener von Design. Sitzfläche. Die auf hydraulischen Federn befestigten Stufen heben Alexandra Midal ist Designhistorikerin und -forschende und die Zuschauer 90 Fuss, gut 27 Meter, über den Boden, was ein pri- freie Kuratorin. Sie war Assistentin von Dan Graham und ckelndes Gefühl, ähnlich dem Empfinden auf einem Karussell in ist zurzeit Professorin an der Haute école d’art et de design Vergnügungsparks, verursacht. So gerät plötzlich das Spektakel, (HEAD) Genf. das zunächst ein einfaches Vergnügen verhiess, ins Wanken und Aus dem Französischen von Katharina Hofer

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I

n unserer globalisierten Welt ist oft nicht mehr auf den ers- Bewerber erhalten kann, ist eine Einmalzahlung von DKK 50 000, ten Blick erkennbar, woher das Design eines Objekts stammt. etwa 8300 Schweizer Franken. «Die Beträge, die wir vergeben, solDass Danish Design der zunehmenden Ausbreitung dieses len in jedem Fall hoch genug sein, um für den einzelnen Künstler internationalen Stils bisher erfolgreich trotzen konnte, hat einen echten Unterschied zu machen», erklärt Leppänen. Durch es nicht zuletzt staatlicher Förderung zu verdanken. Die den Zusammenschluss per Januar 2014 mit Danish Crafts, einer grosszügige Unterstützung von Kunst und Design hat in den ebenfalls vom dänischen Kulturministerium finanzierten Institunordeuropäischen Ländern eine lange Tradition. Bereits in den tion, wird der Kunstfond bald noch mehr Mittel zur Verfügung 1950er-Jahren erhielten skandinavische Designer die Gelegenheit, ­haben, um Kunsthandwerker und Designer zu unterstützen und sich im Rahmen einer staatlich finanzierten Wander­ausstellung sie international bekannt zu machen. Als wichtigste Förderkritedurch Europa und Nordamerika international zu ­präsentieren. Per rien gelten Talent sowie die Qualität des künstlerischen Schaffens. H. Hansen, Professor an der Kopenhagener Wirtschaftsuniversität, Gefragt sind neben Konzeptualität und Ästhetik auch Profes­ stellte in seinem 2006 erschienenen Buch Da danske møbler blev sionalität und Umweltbewusstsein – Letzteres vor allem im Inmoderne («Als dänische Möbel modern wurden») die These auf, dustriedesign, in dem der Ausschuss Projekte bevorzugt, die ökodass es im Grunde dieses Markelogische und soziale Aspekte ting war, das den Mythos des berücksichtigen. «Skandinavischen Designs» erDie Klassiker der Zukunft schuf und weltweit verbreitete. Eine neue, aktualisierte AusstelZu den Empfängern von Förlung unter dem Titel Skandi­ derbeiträgen gehörte 2013 beinavisches Design – Jenseits des spielsweise die KeramikkünstMythos reiste zwischen 2003 lerin Christin Johansson, die und 2006 durch E ­ uropa. Wie die den Ausschuss insbesondere anderen nordischen Staaten bemit ihrer theatralisch inszeschränkt sich Dänemark jedoch nierten Einzelausstellung Her keineswegs auf die Präsentation Alter Ego Universe 2012 übernach aus­sen, sondern engagiert zeugte und ein Stipendium Auf der Weltkarte des Designs nimmt sich weiterhin intensiv für die über drei Jahre erhielt. «Diese ­Dänemark trotz seiner bescheidenen Grösse Design­ förderung im eigenen Mittel ermöglichen mir, mit aneinen prominenten Platz ein. Das ist auch Land. deren Kunsthandwerkern zuder staatlichen Förderung zu verdanken. sammenzuarbeiten und meine Diverse Kriterien Projekte schneller voranzuÜber die Vergabe öffentlicher bringen», so Johansson. Von Hanne Cecilie Gulstad Mittel zur Unterstützung des Auch Signe Schjøth, ebenheimischen Kunstschaffens befalls Keramikkünstlerin, hat findet in Dänemark die staatlinach eigener Aussage stark von che Kulturstiftung, der Statens Kunstfond. Dessen Fachausschuss den ihr gewährten Zuschüssen für Lebenshaltungskosten, Reisen für Kunsthandwerk und Design besteht aus drei Mitgliedern, die und Ausstellungen profitiert. Schjøth, die an mehreren nationalen für einen befristeten Zeitraum ernannt werden, zwei durch den und internationalen Ausstellungen teilgenommen hat, ist überStiftungsrat und eines durch den Kulturminister; zurzeit sind dies zeugt, dass die lange Tradition von Kunsthandwerk und Design in ein Keramikkünstler, ein Grafiker und eine Schmuckdesignerin. Dänemark auf die hohen qualitativen Standards zurückzuführen «Das Fachwissen der Künstler, die in unsere Kommissionen beru- ist, zu denen die staatliche Förderung wesentlich beigetragen hat. fen werden, trägt entscheidend dazu bei, dass sich die Stiftung konFür die Designer der neuen Generation bildet diese Tradition tinuierlich weiterentwickelt und stets mit den aktuellen Bedürf- zwar eine solide Grundlage, bedeutet aber auch, dass sie ständig nissen des jeweiligen Bereichs vertraut ist», sagt Nina Leppänen, mit ihren berühmten Vorgängern in Konkurrenz stehen. «Die Däleitende Beraterin des Ausschusses. Der Kunstfond arbeitet auto- nen sind ziemlich konservativ, was Design angeht, und kaufen am nom, also ohne direkte Beteiligung von Regierungsstellen; seine liebsten Klassiker, wie etwa die Stühle von Arne Jacobsen», weiss Entscheide sind endgültig und können an keine andere behörd­ Nina Leppänen. «Doch die jungen Designer, die wir unterstützen, liche oder politische Instanz weitergezogen werden. arbeiten hart, schlagen neue Wege ein und haben sicherlich das Das Budget des Kunstfond für Kunsthandwerk und Design Potenzial, die Klassiker der Zukunft zu erschaffen.» belief sich im ablaufenden Jahr auf 13 Millionen dänische Kronen, rund 2,15 Millionen Schweizer Franken. Die Unterstützung der Künstler erfolgt vorwiegend in Form von Arbeitsstipendien und Hanne Cecilie Gulstad ist Kunstkritikerin und lebt in Reisezuschüssen. Die Stipendien werden für eine Dauer von bis Kopenhagen. Sie hat Kunstgeschichte in Trondheim, zu drei Jahren gewährt und sollen zur Deckung der grundlegen- Norwegen, sowie Moderne Kultur in Kopenhagen studiert. den Lebenshaltungskosten dienen. Die niedrigste Summe, die ein Aus dem Englischen von Reto Gustin

Was hinter Danish ­Design steckt

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V

on Danish Design hat jeder, der sich auch nur ein bei. Entscheidender mag aber der Aufruf zum Vatermord gewirkt bisschen mit Design auseinandersetzt, eine klare Vor- haben. Die zahlreichen Designbeauftragten, die das Land mit stellung: Egg-Chair, Schwan, Artischockenlampe; Studien und Posten versah, erklärten Design zur LebensgestalArne Jacobsen, Poul Kjaerholm, Verner Panton; viel tung inklusive ökologischem und sozialem ProblemlösungsdeHolz, schöne Stoffe, fröhliche ­Farben. Doch dieses sign. Als das gedankliche Feld so erweitert war, mussten die paar prägnante Bild hat einen Makel: Es ist uralt, jedenfalls in der Zeit- Säulenheiligen der Nachkriegsmoderne niemandem mehr im rechnung des Designs. Das goldene Zeitalter des dänischen Mö- Weg stehen. belentwurfs waren nämlich die 1950er- und 1960er-Jahre. Und diese übermächtige Tradition wurde ein «frustrierendes Erbe» für Neue Freiheiten junge Designer, wie Gitte Just erklärt. Just ist Chefin des Berufs- Die neue Freiheit des Denkens beflügelte eine ganze Generation, verbandes Danish Design Association und kämpft gegen den Fluch die Welt im Grossen wie im Detail neu zu denken. Dänische der Marke. Die Erwartungen an Danish Design sorge zwar bis ­Architekturbüros, die sich einen umfassenden Designbegriff zu heute für gute Umsätze bei einigen Herstellern, auf die Fortent- eigen gemacht haben – wie BIG oder 3XN – zählen international wicklung von Stil und Inhalt aber wirkte das Label jahrzehntelang zu den originellsten Ideengebern für ökologische, soziale und hemmend. trotzdem coole Projekte. Modedesigner wie Henrik Vibskov, Baum Das erkannte auch die dänische Regierung. Bereits 1997 be- und Pferdgarten oder Lene und Sören Sand erzeugen eher Extraschloss Dänemark eine nationale Designpolitik und stellte 10 Mil- vaganz als die typisch skandinavische Gemütlichkeit. Und die junlionen dänische Kronen bereit, was gen dänischen Designfirmen wie umgerechnet rund 1,65 Millionen Hay oder Muuto erklären sich Schweizer Franken sind. Ein Aktizwar zu Phönixen aus der Asche onspapier der Regierung aus dem der Designväter, entfernen sich aber für Experimente mit GlaJahre 2007 kam trotzdem zu dem ernüchternden Schluss: «Das dänimour und Humor immer häufische Design hat es grundlegend ger von deren solidem Entwurfsverpasst, neue Trends im D ­ esign dogma. aufzunehmen, wie es den jetzt Dänemark scheint also geDänische Designförderung gilt ­führenden Designnationen USA, willt, aus der eigenen sozialen weitherum als vorbildlich. Doch was tun Tradition des Designs eine zeit­ Japan, Deutschland, England und junge D ­ esigner – stehen ihnen die Heroen Holland gelungen ist.» Ziel der Regenössische Haltung zu formuder Designgeschichte vor dem Licht? gierungsinitiative sei es deshalb, lieren. Dem entspricht das aktuDänemark zurückzu­führen in die elle Thema für die Index-Awards «internationale Designelite». 2013, die grossen HerausfordeVon Till Briegleb Dieses selten starke Interesse rungen der Welt mit gestalterider Politik an kreativen Berufen schen Mitteln zu bearbeiten. Und entstand keineswegs allein aus nationaler Kränkung, nicht mehr die dänische Regierung hat gerade einen dritten Wachstumsplan die berühmte «Designnation» zu sein. Dass die Förderung des für die Kreativindustrie aufgelegt. Dessen Diagnose lautet nun Sektors zur nationalen Aufgabe erhoben wurde, erklärt Peter J. endlich wieder: «Dänemark ist besonders stark in Architektur, Lassen, Gründer des Möbellabels Montana, ganz schlicht: «Wir Mode und Design.» sind ein kleines Land, das ursprünglich von der Landwirtschaft lebte. Wir müssen nutzen, was vorhanden ist. Und das ist nicht viel.» Mit Design sucht Dänemark also seine Chance auf dem Weltmarkt.

Vom ­ atermord V

Gestaltung des Lebens Deswegen wurde 2007 ein zweiter umfangreicher Förderungskatalog mit Stipendien, Krediterleichterungen und internationalen Austauschprogrammen entwickelt und mit 23 Millionen Kronen ausgestattet, was damals 5,1 Millionen Franken entsprach. Um die grosse Ambition als führende Designnation zu unterstreichen, hatte die Regierung bereits 2005 den höchst dotierten Design­preis der Welt initiiert. Alle zwei Jahre überreicht ein Mitglied der Königsfamilie fünf Index-Design-Awards zu 100 000 Euro – allerdings im Jahr des Brandberichts, 2007, an keinen Dänen. Das frustrierende Erbe haben Dänemarks junge Entwerfer trotzdem abgestreift. Dazu trug sicherlich staatliche Förderung

Till Briegleb, 1962 in München geboren, studierte Politik und Germanistik in Hamburg. Er war Musiker, ab 1991 Kulturredakteur der taz und von 1997 bis 2002 bei der Woche. Seitdem arbeitet er als freier Autor, unter anderem für die Süddeutsche Zeitung. Seine Schwerpunkte sind: Architektur, Kunst und Theater.

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BLICKREGIME, NIEDERKOMPLEXER ACCESSOIRES Object Design

Designerinnen und Designer entwerfen in einem unsicheren Prozess mögliche und zukünftige Welten, behaupten, überprüfen und realisieren sie. Entscheidend ist dabei die Fähigkeit, die Welt nicht nur zu sehen, wie sie ist, sondern wie sie sein könnte.


WIR WERDEN IHNEN NOCH NÄHER KOMMEN Service Design

Auch eine Dienst­ leistung ist Design, denn dahinter steckt eine gestalterische Leistung und eine Kommunika­ tions­absicht. Auch wenn sie selten als «­ Design» interpretiert wird, ist eine Dienstleistungsgesellschaft ohne diese Leistung nicht denkbar.


OR T SZEI T

SAN FRANCISCO NEW YORK PARIS ROM WARSCHAU K AIRO JOHANNESBURG NEW DELHI SHANGHAI VENEDIG

Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia unterhält ein weltweites Netz von Aussen­stellen. Sie dienen dem Kulturaustausch mit der Schweiz und erweitern die kulturellen Netzwerke.

Tanzend in Trance K AIRO

Während seines Recherche-Aufenthalts lässt sich das Choreografenpaar auf langen Erkundungsgängen von der facettenreichen Metropole inspirieren.

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Von Dalia Chams – 3. Juni 2013, nachts. Laurence Yadi und Nicolas Cantillon tref­ fen in Kairo ein. Die ägyptische Metropole empfängt sie mit einer Kundgebung, die von den Richtern gegen das Regime der Muslimbrüder organisiert worden ist. In ei­ nem anderen Teil des Stadtzentrums befin­ det sich die Künstlerresidenz, in welcher sie die nächsten vierzehn Tage wohnen wer­ den. Die beiden Tänzer und Gründer der Compagnie 7273, haben einen von Pro

Fotos: Randa Shaath

Laurence Yadi und Nicolas Cantillon von der Compagnie 7273 verbrachten Anfang Juni 2013 zwei ­Wochen in Kairo, um für ihr neues Stück Tarab zu recherchieren, das im Oktober in Genf Premiere feierte. Zeitgleich mit ihrem Besuch schwollen die Proteste gegen die Regierung Mursis an.


Helvetia unterstützten Recherche-Aufent­ halt in Kairo erhalten, um ihre neue Cho­ reografie vorbereiten zu können: Tarab – was auf Arabisch musikalische Trance bedeutet. Privat und beruflich zwischen der Schweiz und Frankreich pendelnd, möch­ ten sie sich hier von der Energie dieser hek­ tischen Hauptstadt inspirieren lassen. Der Bewegung des Nils folgend Tags darauf flanieren sie durch die Stadt, nehmen den frenetischen Rhythmus der dichtbevölkerten Strassen in sich auf. Und legen sich ihre eigenen Orientierungs­ punkte zurecht: ein Ort, wo sie Falafel aus Kefen essen, ein Eiskonditor, der den glei­ chen Vornamen trägt wie Laurence Yadis Vater, der aus Algerien stammt. Das fran­ zösisch-schweizerische Paar macht sich pausenlos neue Freunde, lächelnd und den gängigen Höflichkeitsbezeugungen nach­ kommend. Auf ihrem Spaziergang fällt ­ihnen auf, wie sich die Menschen ohne ­Aggression durch die Menge schlängeln. Wie kommt man durch dieses ganze Ver­ kehrschaos, ohne zusammenzustossen? Die fliessenden Bewegungen, kontinuier­ lich und sich nie wiederholend, beeindru­ cken die Tänzer. Wie durch Zufall findet man darin FUITTFUITT wieder, jenen Stil, den Laurence Yadi und Nicolas Cantillon 2006 kreierten. Er verleiht dem Tanz eine ornamentale ­Dimension und lässt der Sen­ sibilität viel Raum. «Die Musik versetzt un­ sere Körper in Bewegung und das über­ trägt sich dann auf die Zuschauer. Das ist kein intellektueller Vorgang», hält der 1972 im französischen Melun geborene Nicolas Cantillon fest, um ihre Arbeitsweise zu be­ schreiben. Das Paar, seit sechs Monaten verhei­ ratet, gründete vor zehn Jahren die Tanz­ truppe 7273. Der Name entnahmen sie ­ihren Geburtsjahren. Zum zehnjährigen Jubiläum ihrer Compagnie haben die bei­ den beschlossen, ein Stück für zehn Tän­ zer zu machen, und für sich selbst haben sie bei einem Goldschmied in Kairo zwei Silberringe mit dem eingravierten Titel ih­ rer neuen Choreo­grafie in Auftrag gege­ ben, Tarab. Ihr letztes Stück, Nil, das 2011 mit dem Schweizer Tanz- und Choreografie­ preis ausgezeichnet wurde, vermittelte den Eindruck, man folge auf wundersame Weise der Bewegung des langen afrika­ nischen Flusses. Die Choreografie hatte

e­ twas Fliessendes, ähnlich dem Nilwasser, das durch seine zarten Wellen ohne heftiges Aufbrausen dem Stil von FUITTFUITT ent­ spricht. «In Nil wollten wir ein zeitgenössisches Ballett kreieren, das sich an die Musik des Mitt­ leren Ostens anlehnt, aber nicht in Klischees abgleitet. Deshalb wählten wir den Nil und Ägypten, die Wiege der orientalischen Mu­ sik mit Grös­sen aus der arabi­ schen Kultur wie Umm Kulthum und Mohammed Abdel Wahab», erläutert Nicolas Cantillon, als müsste er ihren Aufenthalt in Kairo rechtfertigen. Laurence Yadi ergänzt ihn mit Einzelheiten über ihre Vorgehensweise: «Wir tanzten, und Richard Bishop komponierte, während er uns zu­ schaute. Wir hatten ihm den Rhythmus eines syrischen Pop Folk-Lieds über einem Sufi-Beat Die beiden Tänzer suchen nach Bewegungen, die an die arabische Kalligrafie erinnern. vorgegeben. Für unser neues Pro­ jekt Tarab gehen wir gleich vor.» Das Wort Tarab kehrt wie ein Leitmotiv Emad El-Din ägyptische Tänzer mit ihrem wieder. Es handelt sich um jenen undefi­ Tanzstil vertraut. Auch wenn das Niveau nierbaren Zustand zwischen Trance, Eks­ mittelmässig ist, legen sie doch Begeiste­ tase und unbändiger kollektiver Freude, rung an den Tag. Zusammen nehmen sie den man beim Hören gewisser Musikstü­ eine choreografische Phrase auf, die sie cke empfindet, wie dies im Besonderen bei auch in Tarab verwenden wollen. Dann der Diva Umm Kulthum der Fall ist. «Zwi­ führt das Paar seine Recherche fort zu den schen den orientalischen Interpreten gibt Melodien neuer Arrangements der Lieder es einen Einklang, der darin besteht, dass von Umm Kulthum. Die Körper wiegen man nicht auf, sondern zwischen den No­ sich, die Bewegungen sind eine Anlehnung ten spielt. Der Tarab geht einem direkt zu an die gebogenen Linien der arabischen Herzen, erschüttert einen im Innersten. Kalligrafie und an die Arabesken der Kai­ Wir möchten eine Bewegung erschaffen, roer Moscheen, die sie besucht haben. die diese Form von Hypnose wiederzuge­ Trotzdem bleiben sie in den Registern des ben vermag», erklärt Nicolas Cantillon. zeitgenössischen westlichen Tanzes. «In Genf wollen wir die hier begonnene Arbeit mit anderen Tänzern und Richard Bishop, Unruhen und Proteste «Die erste Vorstellung von Nil fand im Ja­ der für sieben Monate in der Schweiz weilt, nuar 2011 in Genf statt. Einen Monat spä­ fortsetzen », sagt Laurence Yadi. Der Klang ter sollten wir in der Bibliothek von Alex­ aus der E-Gitarre des amerikanischen Mu­ andria in Ägypten auftreten, doch die sikers mit libanesischer Mutter verzaubert Vorstellung wurde wegen der politischen und durchdringt die Körper der beiden Unruhen abgesagt», erinnert sich Lau­ Tänzer, bis er eins wird mit ihnen. Ent­ rence Yadi. Dieses Mal findet ihr Besuch deckt haben sie die Musik von Sir Richard ziemlich genau vierzehn Tage vor der Bishop 2010, dank der CD The Freak of ­zweiten Umsturzbewegung statt. Die flie­ Araby, die sie auf einem Kairoer Trottoir genden Händler strömen in die Haupt­ ergattert haben. verkehrsadern und die Fahnenverkäufer Während Laurence Yadi und Nicolas machen ein gutes Geschäft. Derweil ma­ Cantillon die Vormittage im Studio ver­ chen Laurence Yadi und Nicolas Cantillon bringen, gehören die Nachmittage den Be­ in dem im Stadtzentrum gelegenen Studio gegnungen und Konzerten; so versuchen O R T SZ E IT 33


Der Text entstand im Juli 2013 in direktem Anschluss an den Rechercheaufenthalt der beiden Tänzer. Dalia Chams, Ägypterin mit Wohnsitz Kairo, ist Journalistin mit den Spezialgebieten Kultur, Medien und Gesellschaft. Aus dem Französischen von Markus Hediger

In der Sprache des Lichts NEW DELHI

Im Sommer 2013 zeigte der Genfer Lichtdesigner Jonathan O’Hear in Indien, wie sich Licht auf der Bühne als ­künstlerisches Medium einsetzen lässt.

Bei ihm wird Licht zu einem Darsteller: Jonathan O’Hear demonstriert den Workshopteilnehmenden in Delhi und Bangalore, die Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten.

Von Elizabeth Kuruvilla – Über man­ gelnde Beschäftigung konnte sich Jona­ than O’Hear während seines mehrwöchi­ gen Aufenthalts in Indien nicht beklagen. Die Leitung von Beleuchtungswork­ shops in Delhi und Bangalore sowie die Mitarbeit an einer Tanzproduktion nah­ men ihn so stark in Anspruch, dass er erst wenige Stunden vor dem Heimflug in die Schweiz Zeit für einen Besuch der Natio­ nal Gallery of Modern Art in New Delhi fand. Dort erklärt der Genfer Lichtdesig­ ner, dass Gemälde oft die besten Lehr­ meister für den Einsatz von Licht und Schatten seien, und fügt an: «Der Mensch nimmt Licht auf eine ebenso ursprüng­ liche wie universelle Weise wahr. Unser aller Leben beginnt in der Dunkelheit, führt ins Licht und endet mit der Rück­ kehr in die ­Dunkelheit.» Licht, so O’Hear weiter, sei nichts weniger als eine eigene Sprache, die sowohl Hoffnung als auch – O R T SZ E IT 34

bei ihrem Verstummen – Angst und Ver­ zweiflung verbreiten könne. O’Hear, der 1971 im englischen Rugby zur Welt kam, studierte zunächst Literatur in London und anschliessend Film- und Videoproduktion in Vancouver. Danach be­ gann er, obwohl er selbst kein besonders eifriger Theatergänger war, sich mit dem Lichtdesign für Bühnenwerke zu beschäf­ tigen: «Ich dachte, das würde ich ein paar Jahre lang machen und mich dann etwas anderem zuwenden. Doch irgendwie bin ich seither dabei geblieben.» Als wegwei­ send erwies sich die Zusammenarbeit mit dem exzentrischen Schweizer Choreogra­ fen Foofwa d’lmobilité, mit dem er die Lust an Innovation und einem mehr als nur de­ korativen Einsatz von visuellen Mitteln teilt. Für die Choreografie Au Contraire, für die sich Foofwa d’lmobilité vom Filme­ macher Jean-Luc Godard inspirieren liess, dachte O’Hear lange darüber nach, wie er

Foto: Rahul Giri (90ml Photography)

sie, die Geheimnisse des Tarab tiefer zu ­ergründen. Mal nehmen sie an einer Füh­ rung durchs Umm Kulthum-Museum teil, mal begeben sie sich an die Moham­ med Ali-Strasse, die Strasse der Musiker und ägyptischen Tänzerinnen, wo Nicolas Cantillon Unterricht nimmt in orienta­ lischer Laute (Oud). «Ich habe schon Gi­ tarre gespielt. Vor etwa drei Monaten habe ich in der Türkei eine Bouzouki gekauft. Und jetzt ist eben die Oud dran. Musizie­ ren erlaubt einem, anders mit dem Körper zu spielen», sagt Nicolas Cantillon, der Musiker gewesen war, bevor er sich dem Tanz zuwandte. Die beiden Choreografen geniessen die Freuden der orientalischen Improvisa­ tion und gehen von einem Konzert zum anderen. Ahmed Al-Maghrabi weist sie in den Noten auf logische und unlogische ­Aspekte des Tarab hin. Er ist der Besitzer des Zentrums Makan für Musikethnologie, wo die Tänzer an einem Zar-Ritual (Exor­ zismus) teilgenommen haben, das zu einer Aufführung umgewandelt wurde. «Die Zar-Musiker hören einander ganz beson­ ders aufmerksam zu. Da herrschen völlig andere Codes als bei Jazzmusikern», stel­ len sie fest. Und wieder treffen sie, dieses Mal in den mystischen Kreisen, in denen man die Namen Gottes beim Gedenken ei­ nes Heiligen auf einem Volksfest psalmo­ diert, plötzlich auf das Konzept des Tarab. Doch immer öfter drängt sich der poli­ tische Kontext in den Vordergrund. Für heute Abend wird die Vorführung der tan­ zenden Derwische abgesagt, weil es seit Beginn der Protestbewegung häufig zu Stromausfällen kommt. Das französischschweizerische Paar begibt sich also zu dem vornehmen Viertel Zamalek, in wel­ chem der Sitzstreik der Intellektuellen vor dem Kultusministerium abgehalten wird. Tanz, Musik und Politik vermischen sich auf der Strasse. Eine andere rebellische Fa­ cette dieser Stadt, die niemals schläft.


den Geist des Kinos ins Theater trans­ portieren konnte. «Schliesslich wurde mir klar, dass wir im Kino nur eine Illusion von Bewegung erleben, bestehen Filme doch aus einzelnen Bildern, die erst in unserem Gehirn zusammengesetzt werden.» Um diesen Effekt nachzuahmen, liess er in ra­ scher Abfolge rote, grüne und blaue Lich­ ter so aufblitzen, dass sie von den Zuschau­ ern als weiss wahrgenommen wurden.

Foto: Soumita Bhattacharya

Skulpturen aus Licht Als O’Hear 2010 erstmals nach Indien kam, um die Teilnehmer der Gati Summer Dance Residency zu beraten, entwarf er das Lichtdesign für Rememory von Lokesh Bhardwaj. «Dieses Stück liess mir viel Raum, um meine persönlichen Erfahrun­ gen mit Erinnerungen einfliessen zu las­ sen.» Mit Glühbirnen, die er in verschiede­ nen Höhen aufhängte, visualisierte er das Netz der neuralen Aktivität, die der Prozess des Erinnerns in der Hirnrinde auslöst. Licht als künstlerisches Medium zu verwenden, ist in Indien eher ungewöhn­ lich. «Bei uns wird die Beleuchtung meist erst wenige Stunden vor der Aufführung festgelegt und hat in erster Linie hübsch auszusehen», weiss Mandeep Raikhy, zeit­ genössischer Tänzer und Programmleiter des Gati Dance Forum in Delhi. Im Zent­ rum seiner zweiten abendfüllenden Choreo­ grafie A Male Ant Has Straight Antennae, die am 13. Juni vor vollen Rängen Premiere feierte, stehen die Themen Männlichkeit und Intimität – ein Wagnis in ­einem Land, in dem von der Norm abweichende Sexua­

lität immer noch weitgehend tabuisiert und jeder nicht machohafte Mann verspottet wird. Bevor O’Hear zur Produktion stiess, hatten Raikhy und seine Tänzer zwar be­ reits einige Szenen entworfen, wussten aber noch nicht genau, wie sie sie zusammen­ fügen sollten. «Jonathans Ideen halfen uns diesbezüglich enorm weiter und inspirier­ ten darüber hinaus die gesamte Choreogra­ fie», hält Raikhy fest. Zu Beginn des Stücks stehen die Tänzer – sechs Männer und eine Frau – in Unterwäsche bereit und warten, bis das Publikum seine Plätze eingenom­ men hat. In der Folge verlassen sie die Bühne bis zum Ende nie mehr, sondern zie­ hen sich, wenn sie eine Pause haben, in den Schatten des von O’Hear errichteten Bam­ busgerüsts zurück, von wo aus sie – als ­Metapher für den Blick der Gesellschaft – das Geschehen beobachten. «Die Beziehung zwischen Darstellern und Publikum ver­ ändert sich dadurch radikal», hat Raikhy festgestellt und erklärt, solche Einfälle seien typisch für die «bedeutungsstiftende Ar­ beitsweise» des Genfer Lichtdesigners. Wie eine frische Brise Mit seinem Beleuchtungskonzept akzen­ tuierte O’Hear die Gegenüberstellung von privaten Sehnsüchten und öffentlichen Er­ wartungen an die Männlichkeit, die das Stück thematisiert. Unterstützt wurde er von Gyandev Singh, einem an der National School of Drama ausgebildeten Bühnen­ bildner. «Jonathans Ankunft war wie eine frische Brise», erinnert sich dieser. «Wir beschlossen, nichts zu verbergen» – weder

das Gerüst am Bühnenrand noch die gut sichtbar aufgehängten Lampen, mit deren Hilfe die beiden immer wieder neue Räume aus Licht und Schatten schufen. Mit seinen Workshops stiess O’Hear bei Lichtdesignern, Fotografen und Veran­ staltern in Indien auf enormes Interesse, weshalb Jayachandran Palazhy, der künst­ lerische Leiter des Attakkalari Centre for Movement Arts, bereits plant, ihn nächstes Jahr erneut einzuladen. «Jonathans Um­ gang mit Licht gleicht dem eines Malers. Wie etwa in Vermeers Gemälden wird auch bei ihm das Licht zu einem Darsteller», so Palazhy. Da Lichtdesign an den meisten in­ dischen Theaterschulen noch immer ein eher stiefmütterliches Dasein fristet, sieht Palazhy in derartigen Workshops über Licht und Bewegung ein grosses Potenzial. O’Hear seinerseits, der in seiner Kü­ che in Genf ständig an neuen Ideen bastelt, freut sich vor allem darüber, dass Licht als künstlerisches Medium immer mehr Aner­ kennung findet. Zurzeit arbeitet er an ei­ ner Lichtsteuerung, die mithilfe von Elek­ troden auf die im Gehirn stattfindenden Impulse beim Betrachten eines Objekts re­ agieren soll – vielleicht eine seiner brillan­ testen Ideen, verkörpert sie doch auf ein­ zigartige Weise, welche Emotionen Licht in uns auslöst. Elizabeth Kuruvilla lebt in New Delhi. Sie ­arbeitet als Buchkritikerin und Kulturredakteu­ rin beim indischen Wochenmagazin Open. Aus dem Englischen von Reto Gustin

Nur in Unterwäsche gekleidet, sind die Tänzer auf einer leeren Bühne den Blicken des Publikums schutzlos ausgesetzt. Das Stück A Male Ant Has Straight Antennae thematisiert gesellschaftliche Bilder von Männlichkeit.

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R EP OR TAGE

Wie übersetzt man ­Sprach­musik? Ein international besetztes Übersetzer-Kolloquium widmet sich in der Walliser Bergwelt Arno Camenischs Erfolgsbuch Ustrinkata und wird ziemlich gefordert, denn bereits der Titel zwingt zu einer kreativen Lösung. Von Michael Braun (Text) und Jonas Ludwig Walter (Bilder)

Wie gelange ich vom «Was» zum «Was­ ser»? Welche Brücke führt von einem Fra­ gewort zu einem lautähnlichen Substan­ tiv? Sechs Übersetzer grübeln über den Anfang von Arno Camenischs grossarti­ ger Erzählung Ustrinkata. In einem Kon­ ferenzraum in einem kleinen Hotel im ­Walliser Bergort Leuk um einen Tisch ver­ sammelt, tasten sie sich langsam und akribisch in die eigenwillige Melodie des Textes hinein. Der alpine Kanton Wallis, in dem das Französische, das Deutsche und das Walliserdeutsch aufeinander­ treffen, scheint mit seiner Lage an einer Sprachgrenze der ideale Ort für ein Pro­ jekt der Übersetzung und sprachlichen Grenzüberschreitung zu sein. Und es ist zunächst der sprachliche Übergang vom «Was» zum «Wasser», der die hier beteilig­ ten Übersetzer aus Ljubljana, Lemberg, Moskau, Göteborg, Glasgow und Lausanne vor grosse Herausforderungen stellt. «Was, Wasser, fragt die Tante am Stammtisch in der Helvezia …» So beginnt Camenischs Text – und die Übersetzer, die hier in Leu­ kerbad in einem dreitägigen Kolloquium

gemeinsam mit dem Autor die Oberflä­ chen- und Tiefenstrukturen von Ustrinkata erschliessen, finden kühne und über­ raschende Lösungen in ihrer jeweiligen Sprache. Arno Camenischs bündnerischer Zun­ genschlag ist schon für Deutschschweizer Ohren eine Erfahrung von Fremd­ heit. Umso mehr ist er das für die versammelten Übersetzerinnen und Übersetzer. In immer neuen Anläufen nähern sie sich dem Text und sie sprechen wie Alexej Schipulin aus Russland vom «Glück», wenn es gelingt, dem Text in der eigenen Übersetzung ­einen ähnlichen Rhythmus und «eine ähnliche Bildgebung» implantieren zu ­können. Der «Klang-Rekonstruktion», so betont Schipulin, kommt dabei primäre Bedeutung zu. Camenisch bestärkt ihn mit seinem Bericht vom Entstehungspro­ zess des Ustrinkata-Textes: Etwa fünfzig­ mal liest er sich die einzelnen Szenen laut vor, um die angemessene Satzmelodie für sie zu finden. Mit Ustrinkata hat Arno Camenisch (35), der auf deutsch und rätoromanisch RE PO R TAG E 36


Anschreiben gegen das Verschwinden: Arno Camenischs Ustrinkata ist eine Ode an die Kraft des Erzählens. Am Literatur­ festival in Leukerbad stellt sich der Bündner Autor den Fragen seiner Übersetzer.


Intensiver Austausch vor imposanter Kulisse: Die sechs Übersetzerinnen und Übersetzer des Kolloquiums mit dem Leiter Jürgen Jakob Becker (2.v.r.) und dem Autor Arno Camenisch (3.v.l.).

schreibende Autor, seine Bündner Trilogie abgeschlossen. Am Ausgangspunkt dieser Erzählung steht ein Szenarium des Ab­ schieds. In einer kleinen Spelunke in der Talschaft Surselva sitzen einige Dörfler rund um ihren Stammtisch und erwarten die Sintflut. Es ist der letzte Abend in der «Helvezia» vor der endgültigen Schlies­ sung des Lokals. Die Stammtischbesucher erzählen sich, umtost vom Dauerregen, Geschichten vom Leben und vom Über­ leben, von Unglücksfällen und wundersa­ men Errettungen in ihrer dörflichen Welt. Zugleich üben sie sich in der Kunst des Trinkens: In Unmengen wird hier, in vielen «Kübeln» Bier oder Kaffee mit Schnaps («Caffefertic») genossen – sie verflüssigen die Rede und mobilisieren den Wider­ standsgeist der Dorfgemeinschaft. Die Dorfbeiz wird zum universalen Erzähl­ raum und die Stammtischbesucher stem­ men dem drohenden Ende ihrer Kultur

ihre Geschichten entgegen. Camenischs Prosa, die in dialogisch gebauten Szenen die Eigenarten der vom Verschwinden be­ drohten rätoromanischen Dorfwelt ein­ fängt, ist ein polyphones Sprachkunst­ werk, das auch international gewaltiges Aufsehen ­erregt hat. Teile oder Auszüge der Trilogie wurden in knapp 20 Sprachen übersetzt, darunter ins Holländische, Chi­ nesische und Ungarische. Weitere sind in Vorbereitung. Donal McLaughlin, der erfahrenste Übersetzer in der Textwerkstatt, ein «iri­ scher Schotte», der auch schon Urs Wid­ mer und Pedro Lenz ins Englische über­ tragen hat, kann für sich in Anspruch nehmen, zur internationalen Entdeckung von Arno Camenisch beigetragen zu ha­ ben. Beide lernten sich bereits 2008 ken­ nen, und um besser in die rätoromanische Welt eintauchen zu können, entschlossen sich Autor und Übersetzer zur gemein­ RE PO R TAG E 38

samen Expedition in Camenischs abgele­ genes Heimatdorf. Dort erhielt McLaugh­ lin die Gelegenheit, den rätoromanischen Stimmen zu lauschen und sie sich einzu­ verleiben, um anschliessend die eigen­ tümlichen Satzmelodien in seine Über­ setzungsarbeit einfliessen zu lassen. Ein Auszug aus Sez Ner in der amerikanischen Zeitschrift Harper’s Magazine bereitete schliesslich den Weg zu dem verblüffenden Erfolg, der Camenisch seit seinem Erstling treu geblieben ist. Poetik der Mündlichkeit Bereits zum achten Mal findet, angeglie­ dert an das Literaturfestival Leukerbad, eine mehrtägige Übersetzerwerkstatt statt. Aber­mals wird sie von Pro Helvetia (im Rahmen von Moving Words, siehe Kasten), dem Literarischen Colloquium Berlin (LCB), dem Centre de traduction lit­ téraire de Lausanne (CTL) und dem Palais


Valais unterstützt und von Jürgen Jakob Becker geleitet. In der Leuker Klausur wurden, unter­ brochen nur von kurzen Kaffeepausen und abendlichen Ausflügen in die örtliche Gas­ tronomie, die Eigenheiten der melodiösen Sprachenmischung von Ustrinkata gleich­ sam philologisch mikroskopiert. Es ist eine Prosa, in der alle Sätze in ihrer mäandern­ den Struktur immer wieder auf die Orali­ tät der Kultur verweisen, aus der Arno Camenisch stammt. «Ich habe keinen ­ Sprachauftrag», erläutert hierzu der Autor, «ich arbeite nur mit Klängen, mit Tonali­ täten aus dem Romanischen». Manchen Kritiker hat die Herkunft Camenischs aus dem Dorf Tavanasa dazu verleitet, den ­Autor als literarischen Exoten aus einer ­Regionalkultur einzustufen. Aber nur im ersten Band der Bündner Trilogie, der vir­ tuosen Beschreibung des Lebens auf der Alp Stavonas in Sez Ner, ist die rätoroma­ nische Version in Sursilvan gleichwertig ­neben die deutsche Fassung des Textes ­gestellt. Für Ustrinkata, so erklärt Came­ nisch, hat er sich ganz bewusst für das Deutsche als Literatursprache entschie­ den, denn im Deutschen habe er eine grös­ sere Distanz zum Stoff. Der Eigensinn der Übersetzung Bei der Beschäftigung mit Ustrinkata, so berichtet die slowenische Übersetzerin Amalija Macek, erlebte sie eine ganz funda­ mentale Verunsicherung, der unglaublich «verschlossene Text» habe ihr zuerst das Gefühl gegeben, kein Deutsch mehr zu ver­ stehen. Gerade die Worterfindungen Arno Camenischs verlangten immer wieder un­ gewöhnliche Lösungen für eine Neuer­ schaffung des Textes in der Zielsprache. Welche Schwierigkeiten mit der Übertra­ gung verbunden sind, beschreiben sehr an­ schaulich Alexej Schipulin aus Moskau und Chrystyna Nazarkevich aus Lemberg, die seit zwanzig Jahren Klassiker wie Böll und Brecht, aber auch Gegenwartsautoren wie Ilma Rakusa oder eben Arno Camenisch übersetzen. Für die kunstvollen Satzbildungen von Ustrinkata, in denen den Vornamen meist ein bestimmter Artikel vorangestellt wird («Der Alexi will aufstehen, nichts da, sagt der Luis, oh darf ich nicht mal mehr schiffen gehen, der Cleveri, ist halt mit ­allen Wassern gewaschen, sagt der Otto, so verschlagen sind wir denn auch»), müssen

Abschluss des Übersetzungs­ schwerpunkts Moving Words Mitte Mai 2013 wurde an den Solothurner Literaturtagen Moving Words. Swiss Translation Programme 2009–2012 offiziell mit einer international besetzten, öffentlichen Veranstaltung über das Übersetzen der Werke von Robert Walser abgeschlossen. Die Übersetzungsförderung von Pro Helvetia ist damit aber nicht etwa beendet, sondern wird in erprobter und optimierter Form fortgeführt und in die reguläre Förderung der Abtei­ lung Literatur und Gesellschaft integriert. Während des schliesslich um ein Jahr verlängerten Schwerpunkts konnte die An­ zahl übersetzter Schweizer Literatur im In- und Ausland deutlich gesteigert werden. Es entstanden zudem neun Schweizer Buchreihen bei internationalen Verlagen, darunter eine in China, Indien, den USA, Russland und Norwegen. Dank der weltweiten Zusam­ menarbeit mit Verlagen, Übersetzern und Übersetzungsinstitutionen verfügt die Stif­ tung nun über ein ausgewiesenes Expertennetzwerk, was die künftige Arbeit erleichtert und ihre Qualität sichert. Für Moving Words standen Zusatzmittel von 2,4 Millionen Franken zur Verfügung. Mehr Infos unter: www.prohelvetia.ch

Schipulin wie Nazarkevich kreative Alter­ nativen finden. Denn in den slawischen Sprachen gibt es keine bestimmten Artikel, sodass hier virtuose Hilfskonstruktionen erforderlich werden, etwa der Gebrauch ­eines Demonstrativpronomens. Auch die regelmässig in Ustrinkata eingestreuten dialektal angehauchten Kunstwörter oder Kraftausdrücke («Coffertori», «Koffer­ tami», «Hailandzac», «Saich») verlangen nach einer poetischen Transposition, die ohne radikalen sprachlichen Eigensinn nicht zu haben ist. Camille Luscher aus Lausanne, so­ eben mit dem Preis Terra Nova der Schwei­ zerischen Schillerstiftung für Literatur und literarische Übersetzung ausgezeich­ net, hat bereits die ersten beiden Came­ nisch-Bücher ins Französische übertra­ gen. Sie berichtet von der Schwierigkeit, das literarische Idiom des Autors, diese mit romanischen Elementen versetzte «Bau­ ernsprache», in das von seiner Anlage her elegante und förmliche Französisch zu übertragen. Die Mündlichkeit der Ustrinkata-Prosa fordert von den Übersetzern die grundsätzliche Bereitschaft, von der Wört­ lichkeit der Übertragung abzusehen und stattdessen die Sprachmusik Camenischs in ihrer Sprache neu zu erschaffen. Bereits die Beschäftigung mit dem Titel des Bu­ ches geriet zum aufregenden Exerzitium: Der schweizerdeutsche Ausdruck «Ustrin­ R E PO R TAG E 39

kata» bezeichnet den letzten Abend einer Beiz, bevor sie schliesst. Ein letztes Mal versammeln sich die Stammgäste zum ­gemeinsamen «Austrinken». Unterschied­ lichste Lösungen wurden ersonnen, in de­ nen das Signum des Endes, des Abschieds und Verschwindens einer Kultur, eine Ent­ sprechung findet. So reichten die Vor­ schläge von «Letzte Runde» bis hin zu «Der letzte Krug». Trotz aller Schwierigkeiten bei der Übertragung von Ustrinkata darf man sich die Übersetzerinnen und Übersetzer von Arno Camenisch als glückliche Menschen vorstellen. Zwar bleiben sie permanent Schiffbrüchige, die das scheinbar sichere Gestade einer Sprache verlassen haben, ohne die Gewissheit, je das feste Ufer des gesuchten Eilands, der Zielsprache, zu er­ reichen. Zugleich geniessen sie jedoch das Glück der Auflösung sprachlicher Grenzen. Michael Braun (*1958) lebt als Literaturkritiker und Moderator in Heidelberg. Zuletzt veröffentlichte er 2011 den Aufsatzband Hugo Ball – Der magische Bischof der Avantgarde beim Verlag Wunderhorn und edierte ebenda den Lyrik-Taschenkalender 2014. Jonas Ludwig Walter, geboren 1984, studierte an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin, wo er heute lebt und arbeitet. Im Oktober 2013 hat er an der HFF Konrad Wolf in PotsdamBabelsberg ein Regie-Studium aufgenommen. www.jlwalter.de


PRO H ELV E T I A A K T U EL L

Kulturaustausch entlang des Rheins Es tut sich was im Dreiländereck: Seit letztem September erhält der grenzüberschreitende Austausch zwischen Kulturschaffenden in Baden-Württemberg, im Elsass und in der Nordwestschweiz frischen Auftrieb. Im Rahmen von Triptic – Kulturaustausch am Oberrhein realisieren Kultureinrichtungen aus dieser Region gemeinsame Projekte – so etwa die Kaserne Basel, das Theater Freiburg und die beiden Strassburger Theater Le Maillon und Pôle Sud, die mit Dance Trip während einer Saison drei zeitgenössische Tanzproduktionen untereinander austauschen. Neue Formen der Zusammenarbeit erprobt auch die nomadische Ausstellung Grenzgänger / Passe-frontières: Drei Kuratorinnen und drei Künstler realisieren gemeinsam

eine Art Fortsetzungsgeschichte mit drei sich immer weiterentwickelnden Ausstellungen in drei Städten Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz. Und das Projekt Transborder erkundet mit einer Reihe von akustischen Performances Grenzüberschreitungen im wörtlichen wie übertragenen Sinn. Mit Triptic will Pro Helvetia zusammen mit einem ­Dutzend lokaler Partner die Vernetzung zwischen Kulturschaffenden in der ­Region entlang des Rheins stärken. Insgesamt 17 grenzüberschreitende Pro­ jekte aus allen künstlerischen Sparten hat eine trinational zusammengesetzte Jury vor einem Jahr ausgewählt, die das Publikum nun bis im Mai 2014 entdecken kann. www.triptic-culture.net

Den Kunst­ nachwuchs im Blick Dem Nachwuchs gehört die Zukunft! In diesem Sinne unterstützt Pro Helvetia neu Präsentationen von Nachwuchskünstlerinnen und -künstlern an renommierten internationalen Kunstmessen. Für Galerien ist dies ohne Förderung oft ein zu grosses Risiko. Damit betritt Pro Helvetia in der Schweiz Neuland. Kunstschaffenden bis 35 Jahren, deren Abschluss ihrer Ausbildung maximal 5 Jahre zurückliegt, wird so der Schritt in den Markt und zugleich der Kontakt mit einem professionellen internationalen Publikum erleichtert. Als weitere Massnahme unterstützt die Schweizer Kulturstiftung nun auch kuratorische Initiativen für den Nachwuchs in selbstorganisierten Kunsträumen sowie in kleinen und mittleren Kunstinstitutionen. Kunsträume oder freischaffende Kuratorinnen und Kuratoren haben hier die Möglichkeit, sich ­entweder für einzelne Projektbeiträge oder mit einem Jahresprogramm zu ­bewerben. Bei Letzterem steht das Konzept ganz im Vordergrund, womit dem Freiraum für die in diesem Bereich so wichtigen kurzfristigen Entscheidungen Rechnung getragen wird.

Im Rahmen von Triptic realisiert L’Ososphère eine Wanderausstellung in Containern mit Stationen in Basel, Strassburg und Karlsruhe.

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Foto: Philippe Groslier

www.prohelvetia.ch


Interaktiv und transmedial

Mobile. In Touch with Digital Creation: Mit ihrem neuen Impulsprogramm unterstützt Pro Helvetia zwischen 2013 und 2015 über 30 verschiedene Initiativen.

In den 1990er-Jahren besassen ein paar wenige ein nationales Autotelefon, sprich ein Natel. Heute besitzt mehr als die Hälfte der Schweizer Bevölkerung ein Smartphone. Damit steht die

Schweiz weltweit an sechster Stelle, gleich hinter Ländern wie Singapur, Schweden und den USA. Die verbreitete ­Nutzung mobiler Geräte, die Möglichkeit, immer und überall online zu sein,

verändert nicht nur unsere Art und Weise zu kommunizieren, sie verändert unsere Gesellschaft, Wirtschaft und unsere Kultur. Das kreative Potenzial der Digi­tali­ sierung ist enorm. In hohem Tempo werden neue kulturelle Ausdrucks­for­ men entwickelt: Von interaktiven ­Bilderbüchern über Games für Tablets bis Augmented Reality-Anwendungen. Mit dem Impulsprogramm Mobile. In Touch with Digital Creation fördert Pro Helvetia digitale Werke mit künst­ lerischem Anspruch. Der Fokus liegt auf der Interaktion und der transmedialen Narration. So unterstützt die Schweizer Kulturstiftung zwischen 2013 und 2015 über dreissig Initiativen, darunter eine Ausschreibung für transmediale ­Projekte sowie für Schweizer Games, Forschungsaufenthalte am CERN, ­Tagungen, Ausstellungen und Promotionsplattformen im Ausland für Schweizer Entwickler, Gamedesignerinnen und ­Medienkünstler. www.prohelvetia.ch/mobile

Foto: Andreas Hidber

33 neue Schweizer ­ Orchesterwerke Am 12. Dezember erklingt im Palazzo dei Congressi in Lugano Vergessene Lieder von Nadir Vassena, gespielt vom Orchestra della Svizzera italiana. Mit dieser Uraufführung startet die Werkreihe Œuvres Suisses. Bereits programmiert sind weitere Uraufführungen in Biel (12.03.14) und Solothurn (14.03.14) und in Basel, Genf und Lausanne (im Juni 2014). Unter dem Label Œuvres Suisses werden in den nächsten drei Jahren 33 neue sinfonische Orchesterwerke von Schweizer Komponistinnen und Komponisten zur Uraufführung gelangen. So entsteht ein in seinem Umfang ein­zig­ artiges neues Schweizer Repertoire an zeitgenössischen Werken für Kammerund Sinfonieorchester. Getragen wird

dieses Projekt von einer Gemeinschaftsinitiative, die Pro Helvetia und der ­Verband Schweizerischer Berufsorchester orchester.ch lanciert haben: Elf Berufsorchester aller Landesteile haben sich verpflichtet, von 2014 bis 2016 je drei Werke von Schweizer Komponistinnen und Komponisten uraufzuführen. Im Gegenzug unterstützt Pro Helvetia während der gesamten Projektdauer alle an Œuvres Suisses beteiligten Orchester in ihrer Tournee- und Vermittlungstätigkeit. Œuvres Suisses verbindet so die Förderung neuer Musik mit der weiteren internationalen Etablierung der Orchester. Ins Boot geholt werden konnte auch die Schweizerische Radio- und Fern­­sehgesellschaft (SRG), die sämtliche PR O H E LV E T IA AK T U E LL 41

Pro Helvetia fördert neue sinfonische Kompositionen.

­ raufführungen aufzeichnen wird. Das U aktuelle sinfonischen Musikschaffen aus der Schweiz wird mit einer Tonträger­ dokumentation somit nicht nur dem ­Publikum der Konzertauditorien vorbehalten sein, sondern kann auch zur ­Promotion der Werke und der Orchester auf dem internationalen Parkett verwendet werden.


PA R T N E R

Lebendige Weiter­ entwicklung statt starres Denkmal Ob Tambouren, Spitzen­ macherinnen oder Jodler: Volkskulturelle Verbände können seit Anfang 2013 Unterstützung für ihre Projekte beim neuen Volkskulturfonds beantragen.

Für die Volkskulturverbände stellt die Möglichkeit der Gesuchstellung Neuland dar. Aber auch die Jury des Volkskulturfonds begebe sich bei der Beurteilung der Gesuche teils in neue Gefilde und müsse erst noch einen gemeinsamen Definitionskatalog erarbeiten, erklärt Markus Brülisauer, Leiter der IGVS-Geschäftsstelle. Da die Volkskultur in der Regel von Laien praktiziert wird und eine professionelle Berufsausbildung oftmals fehlt, greifen die Subventionskriterien von Pro Helvetia, die sie bei anderen Kultursparten anwendet, hier nicht immer. Auch stellt, so Brülisauer, für manche Volkskultursparten das Kriterium der «Weiterentwicklung von Volkskultur» eine Schwierigkeit dar. Diesem gerecht zu werden, falle den Volks­ musikverbänden leichter als beispielsweise der Vereinigung Schweizer Spitzenmacherinnen, die der Rekonstruktion und dem Handwerk verpflichtet ist. Doch SchmidKunz ergänzt: «Die Weiterentwicklung muss nicht zwingend inhaltlicher Natur sein, sondern kann auch in Form einer Zusammenarbeit erfolgen, etwa wenn sich ein Volkskulturverband mit einer anderen Interessensgruppe einlässt und ein gemeinsames Projekt lanciert.» Schmid-Kunz ist überzeugt, dass jetzt mit der neuen Geschäftsstelle in Altdorf und dem neuen Volkskulturfonds von Pro Helvetia ein frischer Wind weht und sich den Volkskulturverbänden dadurch inte­ res­sante Möglichkeiten eröffnen. Er hofft, dass «sie von dieser Chance Gebrauch ­machen.» Damit die Schweizer Volkskultur lebendig bleibt und nicht zum Denkmal wird. Ariane von Graffenried ist promovierte Theaterwissenschaftlerin, freie Autorin und Spoken Word Performerin. Sie ist Mitglied des Autorenkollektivs Bern ist überall und des Duos Fitzgerald & Rimini.

vier Anträge verabschiedet. Eines dieser Projekte sieht zum Beispiel vor, dass sich am Tag der Volkskultur an der OLMA 2013 die verschiedenen Volkskulturverbände gemeinsam präsentieren: mit Informationsständen, Darbietungen und interaktiven Angeboten wie Volkstanzcrashkursen oder Chlefele-Workshops.

PARTNER: IG V O LK SK U LT U R 42

Illustration: Raffinerie

Von Ariane von Graffenried – Eingeklemmt zwischen Bergriesen, Bürgerhäusern und Bussen steht ein Tell aus Bronze auf dem Altdorfer Ratshausplatz und blickt in die Ferne. Gleich ums Eck befindet sich das Haus der Volksmusik. Hier wird mit Weitsicht Schweizer Volkskultur unterstützt. Das nationale Kompetenzzentrum für Fragen rund um das Volksmusikschaffen beheimatet seit 2013 die neue Geschäftsstelle der Interessengemeinschaft für Volkskultur Schweiz (IGVS). Rund 300 000 Aktive sind in elf Verbänden unter ihrem Dach vereint. Dazu gehören der Eidgenössische Jodlerverband, der Schweizer Blasmusikverband, die Schweizer Chor- sowie die Trachtenvereinigung. Grosse und kleine Organisationen werden durch die IGVS vertreten, Volkstheaterschaffende, Zupfmusikanten und Fahnenschwingerinnen strukturell durch sie geeint. Ende der 1980er-Jahre gegründet, mangelte es der IGVS lange Zeit an Infrastruktur und Professionalität, erinnert sich Johannes Schmid-Kunz, scheidender Leiter des Hauses der Volksmusik und Geschäftsführer der Schweizerischen Trachtenvereinigung: «Nicht einmal die minimalsten Organisationseinrichtungen wie etwa ein Sekretariat oder eine Homepage mit disponiertem Festkalender waren vorhanden. Jeder Verband kochte sein eigenes Süppchen.» Mit der neuen Geschäftsstelle im Haus der Volksmusik soll sich dies nun ändern und die IGVS an Wirkung und Ausstrahlung gewinnen. Seit Februar 2013 ist Albert Vitali, Luzerner FDP-Nationalrat und Aktivmitglied des Jodlerchörli Heimelig, ihr neuer Präsident. «Es muss uns gelingen, die IGVS auf Vordermann zu bringen» betont Vitali. Das ist umso wichtiger, als die IGVS mit Pro Helvetia eine Leistungs­ vereinbarung unterzeichnet hat. In einem 2013 beginnenden, dreijährigen Pilotprojekt leistet die Kulturstiftung einen jähr­ lichen Beitrag von 100 000 Franken an einen Fonds, den die IGVS verwaltet. Zwei Mal pro Jahr können Volkskulturverbände Gesuche für Projekte eingeben, die der ­Talentförderung, dem Austausch und der Weiterentwicklung der Volkskultur zugutekommen. Zu deren Beurteilung hat die IGVS eine unabhängige Fachjury eingesetzt. Diese hat im ersten Halbjahr bereits


CA RTE BL A NCHE

Für eine ­kreolischere Schweiz Von Pierre Lepori – Jeder Schriftsteller sollte ein «Bastard» sein, meinte der gros­se franko-algerische Dichter Jean Sénac. Oder zumindest ein «Negerlein», das seine Sprache nicht richtig beherrscht, wie der auf Martinique geborene Autor Patrick Chamoiseau kokettiert. Die Schweiz ist nicht kreolisch – ihre Mehrsprachigkeit funktioniert eher als Neben- denn als Miteinander –, ermöglicht uns aber, ohne das Land zu verlassen, quasi einen Verrat an Muttersprache und Vaterregion zu begehen und uns den Einflüssen anderer Sprachen auszusetzen. Wir können zu Exilanten im eigenen Land werden, die einen Teil ihrer Identität aufgeben, um sich am Rand einer (fremden) Sprache niederzulassen, «weder darin noch ausserhalb davon, sondern auf der undefinierbaren Linie dazwischen» (Jacques Derrida). Selbst in einer behäbigen Gesellschaft (wie der Schweiz) hat das geschriebene Wort das Potenzial, sich über Grenzen ­hinwegzusetzen und an Etabliertem zu rütteln – so wie dies der «schizophrene Sprachstudent» Louis Wolfson tat, der 1970 einen Roman auf Französisch verfasste, um seiner ungeliebten englischen Mutter­ sprache zu entfliehen und ihr «ganze, idealerweise unzerlegbare, zugleich fliessende und beständige Wörter» gegenüberzustellen (Gilles Deleuze). Wir leben in einem Winkel Europas, in dem die Übersetzung eine gesellschaftliche Notwendigkeit darstellt, die aber durchaus ihre Tücken hat: «Dem Ziel einer parallelen, möglichst nahe am Original bleibenden Übertragung steht die Freude an einer atmenden, lebendigen Übersetzung gegenüber, die tief in die geheimnisvolle Materie einer Sprache eintaucht. […] Es ist eine Reise in einen grossen Brunnen des Erinnerns und des Vergessens» (Valère Novarina). Mein linguistisches Fundament besteht, wie Ihres vielleicht auch, aus mehreren Schichten: Den Klängen Venetiens

und der Marken – der Heimatregionen meiner Grosseltern mütterlicherseits –, dem Dialekt der Tessiner Täler meines Vaters, dem Italienisch der Schule und des Studiums in Florenz, dem Deutsch aus meiner Zeit in Bern und schliesslich, seit 15 Jahren, nun auch dem Französisch von Lausanne. Entsprechend konnte ich, als ich mich der Schriftstellerei zuwandte, nicht anders, als mich eingehend mit dem Phänomen Sprache zu befassen. Als Mi­ grant im eigenen Land entfernte ich mich immer weiter von der Vorstellung von Sprachen als monolithischen Einheiten. Daraus entstand das Bedürfnis, mich selbst zu übersetzen, mich und meine Wurzeln zu verraten und eine neue Identität als französischsprachiger Bastard mit italienischem Akzent zu finden. Gibt es einen grundlegenden Unterschied zwischen dem Schreiben in der Mutter- und in einer Fremdsprache? Zwischen einer Übersetzung und einer Selbstübersetzung? Ich denke nicht, es sei denn, man vertrete ein moralisierendes Konzept des Übersetzens. Mit Babel heureuse ­widmete der Philosoph Arno Renken dem «amoralischen» Übersetzen eine scharfsinnige Studie, in der er feststellte: «Die ­Essenz [des Übersetzens] ist nicht eine CAR T E B LANCH E 43

­ ixierung, auf die man sich stützen kann, F sondern eine Destabilisierung, die man gewinnbringend nutzen soll. Das Streben nach einer nicht als solche zu erkennenden Übersetzung, die ständige Suche nach ‹Genauigkeit›, ‹Originaltreue› oder ‹Angemessenheit› dient vielleicht nur dazu, die Unruhe zu unterdrücken, die Übersetzungen in die literarische und philosophische Ordnung bringen.» Das Überschreiten monolingualer Grenzen fördert die stete Weiterentwicklung der Sprache. Dazu gehört auch die Freiheit, bei jedem Schritt, jedem Wort zu straucheln. Immerhin ist, wie David Bellos betont hat, bereits die Hälfte der Weltbevölkerung de facto zwei- oder mehrsprachig. Machen wir deshalb die Schweiz etwas kreolischer, indem wir unsere Unsicherheit als Chance verstehen und die Vielfalt der Sprachen geniessen, die unseren Lebensraum durchdringen und prägen. Pierre Lepori, in Lugano geboren, lebt heute in Lausanne, wo er für das Schweizer Radio sowie als Schriftsteller und Übersetzer tätig ist. Zuletzt veröffentlichte er 2013 Sans peau, die von ihm selbst aus dem Italienischen übersetzte Version seines ersten Romans Grisù. Aus dem Französischen von Reto Gustin Illustration: FLAG Aubry / Broquard


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SCH AU FENSTER

Omar Ba Délit de Faciès 1, 2013 Ausschnitt. Öl, Gouache, Tinte, Bleistift auf Wellkarton, 210 × 150 cm Es sind zarte und zugleich bedrohliche Bildwelten, die der Genfer Künstler Omar Ba ­heraufbeschwört. Sie zeigen oftmals auf schwarz grundiertem Karton geheimnis­­volle Wesen, oszillierend zwischen Traum und Wirklichkeit. Politische Aktualität verbindet sich mit ikonografischer Schönheit, europäische Stilmittel werden mit afrikanischen Symbolen kombiniert. Die düsteren Malereien erzählen von Ohnmacht, Angst und Bedrohung und verweisen auf das Unsichtbare. Mit archaischer Kraft berühren sie den Betrachter, fordern ihn zum genauen Hinschauen heraus und zwingen ihn zum Weiterdenken. Der Ausschnitt aus dem Bild Délit de ­Faciès 1 («Das falsche Aussehen haben») zeigt im Vordergrund eine Figur mit geschlossenen Augen. Im Hintergrund, inmitten einer or­ namentalen Landschaft, verbergen sich zwei Gestalten – Verkörperungen von Macht und Gewalt. Sie sind typisch für Omar Bas Arbeiten, in denen immer wieder Soldaten und Despoten auftauchen und sich die Geschichte des afrikanischen Kontinents mit der sozialen Realität der Gegenwart vereint. Omar Ba wurde 1977 in Loul Sessène, Senegal, geboren und lebt in Genf. 2011 erhielt er den Swiss Art Award. Seine Arbeiten wurden in der ganzen Schweiz gezeigt, jüngst zusammen mit denjenigen der Schweizerin Claudia Comte im CentrePasquArt in Biel. Im Ausland war Ba an Ausstellungen in Paris, London, New York und Miami beteiligt. www.bartschi.ch

Die Rubrik Schaufenster präsentiert jeweils ein Werk einer Künstlerin oder eines Künstlers aus der Schweiz.

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Passagen, das Magazin der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, berichtet über ­Schwei­zer Kunst und Kultur und den Kulturaustausch mit der Welt. Passagen erscheint zweimal jährlich in über 60 Ländern – auf Deutsch, Fran­zösisch und Englisch.


IMPRESSUM Herausgeberin Pro Helvetia Schweizer Kulturstiftung www.prohelvetia.ch Redaktion Redaktionsleitung und Redaktion deutsche Ausgabe: Alexandra von Arx Redaktion und Koordination Schwerpunkt: Meret Ernst Mitarbeit: Isabel Drews Redaktion und Koordination französische Ausgabe: Marielle Larré

ONLINE Passagen Das Kulturmagazin von Pro Helvetia online: www.prohelvetia.ch/passagen

Die nächste Passagen-Ausgabe widmet sich dem Thema Digitale Kultur und ­erscheint im Juni 2014.

Pro Helvetia aktuell Aktuelle Projekte, Ausschreibungen und Programme der Kulturstiftung Pro Helvetia: www.prohelvetia.ch

Zuletzt erschienene Hefte:

Pro Helvetia Aussenstellen

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Redaktionsadresse Pro Helvetia Schweizer Kulturstiftung Redaktion Passagen Hirschengraben 22 CH-8024 Zürich T  +41 44 267 71 71 F  +41 44 267 71 06 passagen@prohelvetia.ch

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Hybride Kulturen Nr. 60

Johannesburg/Südafrika www.prohelvetia.org.za Kairo/Ägypten www.prohelvetia.org.eg

Redaktion und Koordination englische Ausgabe: Marcy Goldberg

PA S S AG E N

Hybride Kulturen Kunst in der Migrationsgesellschaft Surrealismus, Poesie und Akrobatik: Daniele Finzi Pasca in Montreal Biennale Venedig: Valentin Carron im Schweizer Pavillon Warschau: Bühnenreife Rebellion gegen den Überwachungsstaat DAS K ULTUR M AG AZI N V ON P R O HE LV E TI A, NR . 6 0 , AUSG AbE 1 /2 0 1 3

passagen

Traumberuf Künstler Nr. 59

Paris/Frankreich www.ccsparis.com Rom, Mailand, Venedig/Italien www.istitutosvizzero.it

Gestaltung Raffinerie AG für Gestaltung, Zürich Druck Druckerei Odermatt AG, Dallenwil Auflage 25 000 © Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung – alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung und Nachdruck nur mit schriftlicher Zustimmung der Redaktion.

San Francisco/Vereinigte Staaten www.swissnexsanfrancisco.org Shanghai/China www.prohelvetia.cn

Traumberuf: Künstler Die Schnitzeljagd zum Erfolg Singen für sauberes Wasser: Spezialmaterial in Kolumbien Bewegung als visuelles Erlebnis: Pe Langs kinetische Kunst in San Francisco Kleinkunst: Eine schweizerische Herzensangelegenheit D A S K U LT U R M A G A Z I N V O N P R O H E LV E T I A , N R . 5 9 , A U S G A bE 2 / 2 0 1 2

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Warschau/Polen www.prohelvetia.pl Newsletter Möchten Sie laufend über aktuelle Projekte und Engagements von Pro Helvetia informiert werden? Dann abonnieren Sie unseren E-Mail-Newsletter unter: www.prohelvetia.ch

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Der Geschmack der Freiheit Nr. 58

Der Geschmack der Freiheit Ägyptens Künstler in Zeiten des Umbruchs Kollektives Experiment: Schlaferlebnis in der Kunstgalerie Wurzeln schlagen im harten Pflaster: Das Swiss Institute in New York Werke aus der Wunderkammer: Andreas Züst in Paris D A S K U LT U R M A G A Z I N V O N P R O H E LV E T I A , N R . 5 8 , A U S G A BE 1 / 2 0 1 2

passagen

Performance Nr. 57

Performance

Die Stiftung Pro Helvetia fördert und vermittelt Schweizer Kultur in der Schweiz und rund um die Welt. Sie setzt sich für die Vielfalt des kulturellen Schaffens ein, ermöglicht die Reflexion kultureller Bedürfnisse und trägt zu einer kulturell vielseitigen und offenen Schweiz bei.

Das Spiel mit Inszenierung und Authentizität Vietnam meets Schwyzerörgeli: bittersüsse Begegnung in Giswil Workshop im Instant-Komponieren: Das Duo Schaerer/Oester in Grahamstown Genie versus Handwerk: Kann man schreiben lernen? D A S K U LT U R M A G A Z I N V O N P R O H E LV E T I A , N R . 5 7 , A U S G A bE 3 / 2 0 1 1

Das Abonnement von Passagen ist kostenlos und ebenso das Herunterladen der elektronischen Version unter www.prohelvetia.ch/passagen. Die Nachbestellung einer gedruckten Einzelausgabe kostet Fr. 15.– (inkl. Bearbeitung und Porto).

Silberpreisträger Sparte: Non-Profit/­ Verbände/­Institutionen

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Eine der wichtigsten Eigenschaften für einen Designer ist die Fähigkeit, alles in Frage stellen, alles auch anders denken zu können. Der prekäre Prozess des Entwerfens. Claudia Mareis im Gespräch mit Meret Ernst, S. 8

Pizza und Laptop = Fettfinger und High-Tech, ­Fahrrad und Smartphone = Verkehr und SMS-­ Geplänkel: Das passt nun einmal nicht zusammen, das schliesst sich geradezu aus. Zwischen Pizza und Laptop Volker Albus, S. 6

Wer als Designer gelten will, muss sich über kurz oder lang Marktreife erlangen Meret Ernst, S. 14 ­ökonomisch durchsetzen. Oder den Beruf wechseln. www.prohelvetia.ch/passagen

Die Stiftung Pro Helvetia fördert und vermittelt Schweizer Kultur in der Schweiz und rund um die Welt.


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