Thomas Knoefel
Okkulte Stories
Blut
Michaela, Raphaela, Nicolai Sursum corda
Okkulte Stories Knoefel
Thomas
©
Vorwort – Re-enter Ghost! Schwarze BlutLysergsäurediethylamidDasGeisterDieSpukErleuchtungFreitodSchwangerFetischeMorphiumMagieVorsehungKind 1661561461261181049072604632197
Robert Eikmeyer
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„Wer [...] in Bezug auf die ontologische Garantie der Unsterblich optiert, der beginnt, die Politik der Unsterblichkeit oder zumindest die Politik der langen Dauer zu praktizieren.“ 1 (Boris Groys, Politik der Unsterblichkeit) Die Politik der langen Dauer, von der hier die Rede ist, meint die Möglichkeit der Einschreibung in die kulturellen Archive. Denn das Schreiben bleibt immer von der Sorge um das Aussehen des eigenen Grabes begleitet, der Vorwegnahme unseres Begräbnisses in Büchern oder anderen geschmückteVirulenzauftundenenMechanikScheinleben,tetDialogvomWerken.DieErlangungderUnsterblichkeitwirddabeialleinEingangindiesenRaumderSchrift,vomerfolgreichenmitdenToten,garantiert.ImJenseitsderZeichenfris-dieStimmedesMenschenallerdingseingespenstischesdasiedaslebendigeWortimmerschonandiederSpracheabgegebenhat.DieGespenster,mitwiresindiesemsymbolischenRaumderArchivezuhaben,behauptenihrErbeindenTextenundBüchern,denenihrEigennamewieeineGrabinschriftsteht.DieihrerMachtgründetinderForderung,eigenereichGrabkammernzuentwerfen,umso unser Überdauern zu garantieren.
Re-enter Ghost!
Vorwort10 Man kann die schriftlichen Zeugnisse von Thomas Knoefel als den Versuch deuten, sein Leben als eine okkulte Storyzu entwerfen.EsbeginntinjungenJahrenmitBüchern aus dem Reich der Toten, die ihm ein Bekannter der Familie, sein „okkulter“ Ziehvater, empfohlen hat, gefolgt von einer verstörenden Begegnung mit der Bildnerei der GeisteskranGedichtenumskeninderSammlungPrinzhornwährenddesMedizinstudi-inHeidelbergunddemanschließendenSchreibenvon 2Therapie hat er sich den Arztberuf und gegen den nahezu EinToten.StimmenKlausdenHaltunerträglichenTinnitusdieTranquilizerverschrieben,suchtinderPhilosophieundbeginnteinePromotionüberMedienforscherVilémFlusser,denerwenigeWochenSandergegründetenVerlagsupposézeichneterdiederLebendenaufundsammeltweiterhindiederAuchindieserPhaselassenihndieGeisternichtlos.MeilensteinimBereichderAudio-Aufnahmensinddie Okkulten Stimmen, 3 eine Sammlung von akustischen Zeugnissen der Verstorbenen, die er gemeinsam mit Andreas Fischer vom Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) herausgibt. Mit Fischer, der das Fotoarchiv des IGPP verwaltet, arbeitet er jahrelang an einem Buch über den Mediziner und Parapsychologen Albert vonin seinem legendären Münchner Palais minutiös mit der Ka merafestgehalten hat,4 und kuratiert für dieAusstellung The
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es die Stimmen der Künstler, deren Schwingungen er aufzeichnet und zusammen mit dem Autor im Verlag Brigade münden schließlich nach dem Scheitern dieses Projektes in Okkulte Brevier. , 6 welches 2019, im Jahr seines Todes, erscheint. In den vier Gesprächen, die Thomas Knoefel von 1993 bis 1997 mit dem Philosophen Boris Groys zur Politik der beschreibt.phierens,abernamUnsterblichkeitgeführthat,besondersdemersten„DerLeichdesPhilosophen“,hörtmandeutlichdieFaszinationfür,auchdenWiderstandgegendiesenHabitusdesPhiloso-denKnoefelselbstalsAskeseundErnüchterung
7 Und ein lautes Plädoyer für den Diskurs des Begehrens, der Transgression und Ekstase. Der Aufschrei gegen eine so gearteteAbklärung hat seine eigene Traditionre Namen wie Fernando Pessoa, Emil Cioran oder Aleister Crowley. Dem Dreieck dieser geistigen Avantgarde und ihrer Anziehungskraft war Thomas Knoefel zeitlebens ver8 In puncto Prosa und Sensibilität für die Sprache dürfte es der portugiesische Dichter, in puncto Verzweiflung der rumänische Philosoph und in puncto Sexualmagie und Ausschweifung der britische Okkultist gewesen sein.
Stories von Thomas Knoefel: Bis auf wenige ja,einerindieeinerderAusnahmenspielenalleokkultenKurzgeschichteninBerlin,Protagonististmännlich,umdie60JahrealtundlebtinAltbauwohnungimOstenderStadtodererinnertsichkünstlichenParadiesederDrogen,bevorerseinLebeneinemdunklenHauseingang,einerKrankenstationoderverwahrlostenWohnungaushaucht.Esfälltnichtschwer,indenzwölfGeschichtenautobiomanistgeradezugeneigt,vomInhaltaufdie‚Chronik
Vorwort12 schon zu Lebzeiten gemütlich einrichten zu können, stellen diese Extravaganten – allesamt Monomanen, Psychopathen auchundLebensmüde–eineMischungausGeo-Graphie,Erleuch-inden
9 Im Auftakt zum Okkulten Brevier „Die Lebenden und die Toten“, in dessen Umfeld die Okkulten Stories entstanden sind, berichtet der Autor über seine ersten Kontakte mit den Toten und sein lebenslanges Ringen mit deren Geistern.10 selseitigenUnddennochtapptmanbeiderVermutungdieserwech-SpiegelungzwischenLebenundTextindieFallen
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Fülle von unbeantwortbaren Fragen hervor. Die Markierung ebenfalls als schwierig und liefert uns sowohl in den Okkulten Stories als auch dem essayistischen Prolog zum Okkulten Brevier kein istmangeneigt,das Oszillieren zwischen Wahrheit und Dichtung zu tolerieren, weil ja der Name auf dem Buchcover eindeutig der Einheit eines Subjekts zugeschrieben werden kann, aber wie trennt man dann zwischen dem Autor der Kurzgeschichten und dem Autor des Breviers? Die Tatsache, dass ein Text von jemandem oder eben keiner. In „Autobiographie als Maskenspiel“ be tont der Literaturwissenschaftler Paul de Man daher, dass es 11
klaresErgebnis.Zwar
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EinGesichtodereineStimmevon jenseits des Grabes bekommen das tote Wort und der Eigenname nämlich durch die Spiegelung im Prozess des Lesens verliehen. Die schwindelerregenden Dimensionen dieser referentiellen Verrücktheit versucht de Man uns ausgerech net am Beispiel der Grabinschriften zu verdeutlichen und wählt zur Illustration des komplexen Vorgangs die Essays
Die von Boris Groys favorisierte Politik der Unsterblichkeit wird zwar durch den Eingang des Subjekts in die Schrift
Okkulten Stories begibt sich der Protagonist sogar auf den Friedhof, liest die Grabinschriften und denkt sich für jeden Namen der Verstorbenen eine eigene Geschichte aus („Freitod“) ... Ein Bock im Todeskampf, Schulfreunde einer Krankheit, depressive Partnerinnen, tollwütige Seher, delirierende Drogenkonsumenten, abgestumpfte Eltern, die
Vorwort14 upon Epitaphs des englischen Romantikers William Wordsworth. Während die Stimme des Autors als Eigenname zur Grabinschrift und seine Bücher zu Grabkammern werden, vermag die Lektüre – Wordsworth wählt hierfür das Bild der sehenden Sonne, die als Auge die Inschrift des Grabes jenseits-des-Grabes zu evozieren. Die rhetorische Figur, die abgeleitet aus griechisch prosopon (Gesicht) und poiein (verleihen). „Die Prosopopöie ist die Trope der Autobiographie, durch die jemandes Name [...] so verstehbar und erinnerbar wird wie ein Gesicht.“13 Geradezu obsessiv umkreisen die Okkulten Stories den ZustandzwischenLeben und Tod.DieHandelndenderKurzgeschichten fürchten den eigenen Tod und das Einnisten der einervomMomentenHilfesichDrogenToteninihreKörper(„Fetische“),schwebenvollgepumptmitanderGrenzedesTodes(„Morphium“),wünschenbiszurBesessenheiteinKind,dassichschließlichmiteinesHeilersinkarniert(„Schwanger“)oderwerdeninderEkstaseoderdesLichtsamEndedesTunnelsTodüberrascht(„Erleuchtung“,„DieVorsehung“).Inder
Re-enter Ghost! 15tere der Geschichten sind vom Leben Gezeichnete. Diese Beispiele der Deprivation sind wie die Protagonisten der Stories Sinnbilder des Erzählers beziehungsweise Autors im Text und verweisen so wiederum auf die allen Kurzgeschichten Leser-Autor lässt sich mühelos auf die Spiegelung zwischen Autor des Textes und Autor im Text erweitern.14
Ein romantischer Dichter wie William Wordsworth, der für sein lyrisches Ich vergleichbare Sinnbilder gefunden hat beziehungsweise die Kunst in der Lage sind, die Wunden des Lebens zu heilen. Aber auch bei ihm gibt es bereits die Vorahnung, dass die harmonische Vereinigung der Welt der mit der Welt der Toten zum Scheitern verurteilt sein könnte. Die Verheißung, durch die Sprache das Tote zum Klingen zu bringen, ihm durch die Prosopopöie eine Stimme zu verleihen, will bereits in einigen der Essays upon Epitaphs nicht mehr gelingen. Diese enden mit einer Passage über die Grabinschrift eines Taubstummen, der zu Lebzeiten die fehlenden Töne der ihn umgebenden Natur durch die vor allem die Metapher und Prosopopöie, bekommen die Klänge der Natur für den Talbewohner in der Privatheit des Lesens eine Gestalt.
Lebenden
stumm,alsDingentiert,Repräsentation.beruhtebenauchGefahr.WasunsdasLichtderWelterblickenlässt,aufderBildhaftigkeitderSprache,ihrerFähigkeitzurIndemsiedieäußereWirklichkeitrepräsenzeigtunsdieSprachediesesEtwas.DieFähigkeitzureinGesichtundeineStimmezuverleihen.Doch„BilddesDinges[...]istsie[dieSpracheRE]stillundsostumm,wieBilderebensind“. Man spricht wir undphieWiederherstellungverdrängterversteinernvon-jenseits-des-Grabesten.SprachemensioneshiermitmehralsnurderklassischenRhetorikundih-derSpracheüberhaupt.DurchdenGebrauchdertretenwireinindiegefroreneScheinweltderTo-DieProsopopöie,mitderwirbeimLeseneinerStimme-einGesichtgeben,lässtunsselbstundeingeisterhaftesDaseinfristen.„TodisteinNamefüreinsprachlichesDilemma,unddiederSterblichkeitdurchdieAutobiogra-(dieProsopopöiederStimmeunddesNamens)beraubtentstelltindemMaße,wiesiewiederherstellt.“
Vorwort16 Insofern wir auf diegleiche, bildhafte Sprache angewiesind wir ebenfalls der äußeren Wirklichkeit beraubt, dennschluss zu Hölderlins Auftaktversen in der Hymne Patmos –
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„So kommt es, daß Abwesende zugegen [...] und, was man kaum in Worte fassen kann, Tote lebendig sind ...“17 (Cicero, Laelius de Amicitia) „O meine Freunde, es gibt keinen Freund.“ Mit dieser Anrufung, gleichzeitig performativer Widerspruch, beschwört Jacques Derrida die Politik der Freundschaft als Alternative zur Politik der Unsterblichkeit. Im gleichnamigen Buch spricht der französische Philosoph, dessen Diktum Ein Text-Äußeres gibt es nicht Ende der 1960er Jahre das Dilemma der Sprache auf den Punkt gebracht hat,18 von der antiken Amicitia als Epitaph oder Grabrede. Die folgenden den Raum der neuzeitlichen Freundschaft als Akt der bedingungslosen Liebe und reinen Verausgabung aufzufassenSo viel Zuversicht für das Kommende hat Thomas Knoefel sicherlich nicht gezeigt, aber alle die ihn kannten, wissen, dass er zeitlebens der Freundschaft einen hohen Stellenwert beigemessen hat. Als Freund vermissen wir ihn schmerzlich, als geisterhafte Stimme-von-jenseits-des-Grabes spricht er in seinen Texten nach wie vor zu uns.
6. Thomas Knoefel: Mensch, Berlin 2019.
8. Vgl. Thomas Knoefel: Ich bin imstand, wie das Universum plural zu sein. Fernando Pessoa eine Annäherung, in: HugoE.M. Cioran „Cafard“. Originaltonaufnahmen 1974–1990, hg. von Thomas Knoefel und Klaus Sander, supPessoa 9. Unvollendete der Texte dürften dem Umstand geschuldet Autors zu keinem Abschluss kommen konnte. Unter weitge-
Vorwort18 1. Boris Groys: Politik der Unsterblichkeit. Vier Gespräche mit Thomas Knoefel, München/Wien 2002, S. 8.
7. Vgl. „Der Leichnam des Philosophen“, a.a.O (Anm. 1), S. 7-60.
2. 2002 erscheint unter dem Titel Monomania bei Revolver –Archiv für aktuelle Kunst eine Sammlung der Gedichte von Thomas Knoefel.
3. Okkulte Stimmen – Mediale Musik. Recordings of Unseen Intelligences 1905–2007, hg. von Thomas Knoefel und Andreas Fischer, supposé 2007. Materialisations-Phänomene, Mün chen 1914.
5. Im Vorfeld der Ausstellung The Message. Das Medium als Kunstmuseum Bochum, 16.2.-13.4.2008.
11. Vgl. Paul de Man: „Autobiographie als Maskenspiel“, in: Ders.: Die Ideologie des Ästhetischen, hg. von Christoph Menke, Frankfurt a.M. 1993, S. 131–146. Allegorien des Lesens, Frankfurt a. M. 1988, S. 115. 13. Ders.: a.a.O. (Anm. 4), S. 140. 14. Vgl. ebd., S. 136. 15. Ebd., S. 145. 16. Ebd. 17. Cicero, Laelius de Amicitia, zit. n. Jacques Derrida: Politik der Freundschaft, Frankfurt a. M., S. 7.
Re-enter Ghost! 19 hender Beibehaltung des unabgeschlossenen Charakters einiger der Kurzgeschichten wurden im Rahmen des Lektorats nur eindeutige Versehen und Rechtschreibfehler korrigiert. Um Missverständnissen vorzubeugen, wurde an 10. Vgl. a.a.O. (Anm. 6), S. 5–37.
Schwarze Magie
n seiner Todesangst brachte das Tier ungeheure Kräfte auf und war kaum zu halten. Mit seiner linken Hand umfasste er die Hinterläufe, mit der rechten eines der beiden leicht gebogenen Hörner. Er musste den Bock mit seinem ganzen Gewicht auf die Erde drücken, damit dieser sich ihm nicht entwand. Das Klagen des Tieres klang wie das wohl das natürlich ganz abwegig war, hörte es sich für ihn genauso an. Auch die wässrigen, bernsteinfarbenen Augen te er, sind nicht von dieser Welt – könnten auch von einer fremdartigen, extraterrestrischen Spezies stammen.
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Das Tier, noch jung, keine zwei Jahre alt, wollte sich fest zusammen, presste den Kopf so gut es ging nach unten. Der Priester sprach ein langes Gebet auf Edo – vielleicht erklärte er dem Bock, warum er sterben musste oder einem ein Nigerianer aus Abuja, den er erst seit Kurzem kannte, der ihn vor Wochen in einem Supermarkt im Wedding in
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Schwarze Magie22 verschiedene Namen, wohl als Beschwörung. Dann brach er drei Kolanüsse auf, warf sie unter weiteren Anrufungen auf Seiten sollten Auskunft geben, ob nun alle Vorbereitungen Priester das Ifá-Orakel, ein Wahrsageinstrument des westafrikanischen Voodoo,befragt, wasin seinem Fall geschehen zuterarmeindastenundunzähligedemontiertermüsse,umdasProblemschnellundeinfüralleMalzulösen.Traktor,einesdieserehemalsvolkseigenen,leereFlaschenlagennebenKonservendosen,altenMaschinenausEisen,derenFunktionmannurvermu-konnte,überdasGeländeverstreut.SeineFingerwurdensteif,verkrampftensich,ermeinte,Tierkaumnochlängerbändigenzukönnen.SchweißliefseinlinkesAuge,dassofortzubrennenbegann.BeideUn-warenbereitsvonMückenzerstochen.DerBockhörte„schreien“auf,wandsichabernochimmerwieverrückt.
Schwarze Magie 23 drohlich sein werde und auch nur durch ein blutiges Opfer zu bessern. Im Tausch gegen einen jungen Ziegenbock sollte, wenn er den Priester richtig verstand, Ogum, ein TechnoloFeuer und Eisen spielt, die Aufgabe übernehmen, ihm zu helfen. Ein Geschäftspartner und ehemaliger Freund, den er Pistole“,Versuchhaben,genmandankenauf.wenignochausStudienzeitenkannte,schuldeteihmGeld–sehrvielerreichtunddieZeitdrängte.DieGehälterseinerAnNunschienesihmvölligbefremdlich,einfachunvorzuundmanmachtesichschnelllächerlich,wennmitFreundenoderBekanntenauchnurinAndeutun-darübersprach.Andererseits:EineZiegewarbilligzukostetegerademalfünfzig,sechzigEuro–undeinendurfteesallemalwertsein.EinEthnologe,derlangeder Chakuta, erzählt, mit der Priester Scherben, Nägel und Nadeln auf beliebige Entfernung in die Körper anderer Menschen schickten, um sie zu peinigen, mit es musste ebenfalls schon Jahre her sein, ein Buch gekauft, in welchem ausführlich vom Tot-Beten, dem mortem petere,
Schwarze Magie24 die Rede war: Mit dem Psalm 109 des Alten Testamentes, die „Verwünschunggrausamer Feinde“, als SchwarzeMesse gelesen (auch das sechste und siebente Buch Mosis sollten sich hervorragend zum Aussenden von Flüchen eignen), versuchte man allen Ernstes, lästige, unliebsame Menschen Puppen, die mit Nägeln traktiert, mit Giften bestrichen, „er tränkt“ und angezündet oder mit dem Gesicht nach unten begraben wurden. Und er erinnerte sich an einen Jungen gleichen Alters –es war die Zeit ihrer späten Pubertät, kurz vor dem Abitur –, der mit dem Kopf voran vom Fahrrad stürzte und über Wo chen im Koma lag. Später hörte er, dass man ihn mehrere Freund wieder in die Schule kam (mit einer wulstigen, über die Stirn, das linke Auge, bis zum Wangenknochen verlaufenden Narbe), war er nicht mehr derselbe, verschlossener, oft abweisend, für sein Alter zu ernst. Er benahm sich auch sonst merkwürdig, ging nach dem Unterricht meist auf direktem Weg heim, wollte nicht länger mit ihm abhängen, amdio im Arm, um die Häuser ziehen. Selbst sein Interesse an Mädchen schien viel geringer als zuvor. Und er lachte nicht mehr, kein einziges Mal. Es ging etwas Verlorenes von ihm sich unsicher, befangen. Jede heitere, ausgelassene Stim-
Schwarze Magie 25 mit dem Spaß war es dann schnell vorbei. Die meisten Jungs begannen,ihn zumeiden,ludenihn nicht auf ihre Partys ein, zu waschen oder es war ihm einfach egal. Und es kostete ihn Überwindung, länger in sein Gesicht zu sehen – die Narbe vollbrachte noch keine Wunder. Besonders aber war ihm in Erinnerung geblieben, dass der Freund nach seinem Unfall erzählte, er sei in der Lage, seinen Herzschlag zu kontrollie kaum noch etwas zu essen. Vielleicht hinge es mit seiner jedenfalls nicht. Er nannte es „mit dem Größeren Kontakt seinem unteren Rücken festgebissen habe, von elektrischen Impulsen, feinen Vibrationen, die sich meist in der frühen Nacht in kürzer werdenden Intervallen bemerkbar machten und dass seine Gliedmaßen sich wie ein in die Länge gezogener Gummi ausdehnten ... die Wirbelsäule sich am schien ... und gleich darauf das Gefühl, er gerate außer sich, würde schweben: Dann sei es ihm möglich, den Körper zu behauptete auch, er könne Gedanken lesen, anderen Bilder und Gefühle implantieren, seinen Willen aufzwingen. Da mals,als Jugendlicher, dachteer,dassim Kopf des Freundes etwas beschädigt, gefährlich durcheinander geraten, nicht
Veve, das Zeichen Ogums in den Sand: Muster geraden, in regelmäßigen Abständen sternförmig verdickten Linien und einer zentralenAchse durchbrochen, die nach unMännerhellen,einganzeingestreute,dertenzubeidenSeiteninSchlaufenauslief,ausdenenzweischräg-ZugmitzuVolutengeschwungenenEndendasSymbol.DeninzwischenrotverfärbtenAbendhimmellockertenschwefelgelbeWolkenauf.EinEichelhäher,inderNähe,gablautkrakeelendAlarm.VonderNach-streunender,abgemagerterHund,herbeigelocktvondenpanischenTönenderZiege,beobachtetediebeidenaussichererEntfernung.
Der Bock wurde schwächer, gab tief aus dem Bauch, den Eingeweiden, ein Wimmern von sich. Der Priester reichte ihm eine geschälte Kolanuss, die er kauen, dann den Brei gut mit Speichel vermengt in die Hände spucken und auf seinem derunterGinKopfverteilensollte.DreimalmussteereinengroßenSchluckausderFlaschenehmenundineinerkleinenFontäneDrucknachaußenpressen...MiteinemStockzeichnetePriesterdas
Schwarze Magie26 mehr in Ordnung sei. In manchen Gesprächen verwechselte dieser Wörter oder formulierte umständlich, wiederholte sich ..., brach ab und begann von Neuem. Weil er schnell ermüdete, mit dem Lernen nicht mitkam, musste der Freund das Klassenjahr nachholen, und sie sahen sich nur noch in den Pausen, auf dem Schulhof.
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Damit die Magie auch wirke, erklärte ihm der Priester in einer Mischung aus Pidgin-Englisch und Deutsch, müsse Mann aus Nigeria in einer heruntergekommenen Wohnung daszusammengerolltMenschenumStrohstandenRäucherungen,tendemGeruchHustonskatrimuschelnmitauchinKreuzberggesessen,sichseinephantastischenGeschichtenamTagbrauchtemanhierelektrischesLicht.Schilde,Leopardenfellenbespannt,hingennebengetrockneten–nebenBVG-FahrplänenundeinemFilmplamitHumphreyBogartundKatharineHepburninJohn„AfricanQueen“.Einwürziger,tabakähnlicher(vielleichtaucheineSpurvonHarz,vonsüßdufWeihrauch)hingindenRäumen.DerPriesterliebtereinigtebeinahejedenTagseineWohnungindenEckendesgrößerenderbeidenZimmer:InumhülltendieKörper.EinerderFetischetrugeindenHalsunddientewohleinemLiebeszauber,umzweifürimmeraneinanderzubinden.Beieinemihrerhabe,bissienacheinigenStundendurchKüchenfensterverschwundensei.ObdasKriechtier
Schwarze Magie28 vermutlich machte es für ihn keinen Unterschied. An kleinere „Abwesenheiten“ des Nigerianers, wenn dieser einensend oder während sie miteinander sprachen über Minuten seine Augen geschlossen hielt, gewöhnte er sich schnell. Störten ihn die Allmachtsgedanken, das herablassende, überheblicheAuftreten?
Sein zweiter Name, den ersten ver gaß er regelmäßig, lautete passenderweise „Godspower“. In jedem Fall war das Selbstbild des Priesters grandios: Keiner kurzen,dieserlaufendenzeigteeinenWohnungdieschlagenen“widerstehederMacht,mitdererMenschenwillenlosmache,Nachbarin,diehalbeTageamFensterhing,füresnichtsBessereszutungab,alsLeutezubeobachten,ZiegenundHühnergeopfertwurden,hängteerZauberan,dersiekurzeZeitspätermiteinerschwe-ihmderPriestereinenholzteerartigen,nachobenzu-schwarzenKlumpen.DasmitgeballtemUnheil-MenschdannnachwenigenTagenkrank.nurwenigeZentimeterlangenInstrumentabwech-
Schwarze Magie 29 selndzweihochfrequente, pfeifende Töne,überzeugt, damit einige „Hexen“ anzulocken (körperlose, übermenschliche grobemdümmlichnersbreitendeneingeschlagen,heraus,deMilitärsAbujaungesellig,kaltmularenimmerderAschegerhutloszuschicken.Wesen,dieimAstralenherumlungernundauf„Arbeit“war-ZumAbschlussbliesderPriestereinenFin-vollmitmenschlichemKnochenmehlvermischteausdemFenster.ZielseinesAnschlages,erklärteihmNigerianer,seieinMannvomArbeitsamt,welcherihnwiederantretenlasse,mitneuauszufüllendenForschikaniere.(ObwohlerBerlindiemeisteZeitzuundauchsonstwenigeinladend,dieMenschenrechtverschlossenfand,wollteerkeinesfallsnachzurück,vermutlichwarihmdasLebenineinemvonregiertenLandzuanstrengend,gefährlich.)SeinelinkeSchulterdrücktedenBockzuBoden.Die-schießendeBlutineinemPlastikeimerauf,weidetemitwarfdieInnereienineinemweitenBogenzurSei-andenStammeinersichüberihnenaus-Buche.DerPriesterlegteeinPhotodesSchuld-(währendeinerSilvesterpartyentstanden,einwenigindieKameralächelnd)aufdasvonschwarzem,BandverschnürtePaketunddarüberdenKopfder
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wurden bereits glasig. Dann sprach er ein abschließendes Gebet. An einem Dienstag, dem Tag Ogums, würden sie fürzeit aus gerösteter Yamswurzel und Bohnen – an diesen Ort zurückkehren.Inzwischen war die Dämmerung angebrochen. Er klebte ihm vor Nässe unter den Armen, die Hose hing an der Haut seiner Oberschenkel fest, scheuerte unangenehm. wurde ihm die Absurdität des Unternehmens bewusst: eine ein windiger Geschäftspartner mit dem Geld rausrückte, sich bequemte seine Schulden zu zahlen! Es war geradezu idiotisch, sich auf eine so schräge Sache einzulassen. Wiegen, völlig „meschugge“, zu glauben, Magie könne etwas ausrichten, Erfolg haben, wo seine teuren Anwälte seit Wochen scheiterten.
Glas der Lampe, die an einem dicken Kabel unter dem VorTür. Ein laut surrender Generator sorgte für Strom und Licht. Zeitungen stapelten sich neben Haufen achtlos auf den Boden geworfener Kleidung, etlichen mit Gläsern und
Schwarze Magie 31schen vollen Aschenbechern Essensreste und AluminiumlichMundler,Ritualetwaslehntetrankenesradiosuchtselten,seinGroßvaterlebenGlühbirne.tenHolz.bereitsVerpackungenvonFertiggerichten.VorderSpülestandeineKeimeaustrieben.ZweiderdreiFensterwarenmitLanggedrehteFliegenfängerausLeimpapierbaumel-vondereinzigenLampedesZimmers,einernacktenErfandeserstaunlich,dassMenschen,anscheikonnten.Kurzmussteerauchanseinenverstorbenendenken,denstetseinGeruchvonTabak,MotganzesLebenhierimMärkischenverbracht,seinDorfimmernurwenigeTageverlassen,esnureinmalbisleidendenCousinzubesuchen.EinaltesTransistor-spielte70er-Jahre-Schlagermusik,zwischendurchgabWerbungfüreinMöbelhausinLuckenwaldeundVer-Schnaps,hochprozentigenKorn.EinzweitesGlaserab,seineSpeiseröhrebranntenochheftig.NachSmalltalküberdiebevorstehendenWahlen(daserwähntensiemitkeinemWort)zahlteerdemHänd-einemvielleichtfünfzigjährigenMannmitkräftigemundvomAlkoholgerötetenAugen,der,schonsichtangetrunken,beimRedenausfahrendeBewegungen
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den für die Ziege ausgemachten Preis und überließ ihm den war angenehm mild, aufgeladen vom Duft der Kiefern und Fichten. Er atmete tief dasAroma der sanften, anbrechenden großedenderrendeinemlefonieren.kurzsichfühlteNochZweckinvonNachtein.SiefuhrenzurückzumnächstenDorfundnahmendortdieLandstraßeRichtungBerlin.DerPriesterschienHochstimmung,meinte,derZauberwerdebaldseinenerfüllen.AufdemWegzurücksprachensienichtviel.immersaherdieAugendessterbendenTieresvorsich,sichseltsamentrückt,einwenigschwindelig,wiebeiunverändertbesterLaune.Manverabschiedetesichundvereinbarte,amnächstenTagmiteinanderzute-ErliefaufdieandereStraßenseite,zudervontrübenHausnummernschildbeleuchtetenTür.Wäh-ernachdemSchlüsselsuchte,löstesicheineGestaltausimDunkelngelegenenEckedesEingangs.ErerkannteMann,seinenehemaligenFreund,derihmsoübelmit-Schlagaderdurchtrennte...
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