Sonja Buller »Lotte und der Problem Tausch Zauber«

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EXKLUSIVE LESEPROBE Die neue Serie um das herrlich chaotische Leben von Lotte und ihren Freunden


Sonja Bullen, Lotte und der Problemtauschzauber

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I »Alle Menschen haben Probleme. Deshalb Vorsicht, wenn du den magischen Anhänger trägst ...« Die zwölfjährige Lotte traut ihren Augen nicht, als sie das alte Tagebuch ihrer Tante liest! Was hat es mit dem Anhänger auf sich? Am nächsten Tag in der Schule ist eigentlich alles wie immer: Jan traut sich nicht, Pauline anzusprechen. Und Lottes beste Freundin Mira interessiert sich nur fürs Reiten, nicht für sie. Da geschieht das Unglaubliche – das Amulett tauscht ihre Probleme. Plötzlich versucht Jan alles, sich Mira zu nähern, obwohl er in Pauline verliebt ist. Und Lotte redet in Paulines Nähe nur noch dummes Zeug. Heilloses Chaos bricht aus, und Lottes immer verrücktere Pläne, alles wieder in Ordnung zu bringen, machen es nur noch schlimmer ...

ch bin so froh, dass Mira bei mir ist. Wenn es wirklich darauf ankommt, kann ich mich auf meine beste Freundin verlassen. Bei uns im Haus ist nämlich eine ganz komische Stimmung, seit Ma den Anruf bekommen hat, dass ihre Schwester gestorben ist. Meine Tante Marie-Lou, die ich noch nicht einmal kannte. Und heute Nachmittag sollen wir sogar etwas von ihr erben. Mira sitzt dicht neben mir auf dem Sofa in meinem Zimmer. »Deine Mutter und ihre Schwester haben sich wirklich eine Ewigkeit nicht gesehen?« »Paps sagt, sie haben sich schon gut verstanden, aber irgendwann gab es einen großen Streit. Danach haben sie sich wohl nie mehr richtig vertragen.« »Das ist aber traurig.« Mira lässt die Schultern hängen. »Was wird deine Ma dann wohl erben?« »Keine Ahnung. Ich hab eigentlich gar keine Lust, mit zu dem Notar zu gehen, wir sind aber alle eingeladen worden, das steht in dem Einladungsbrief.« »Was genau ist ein Notar?«, will Mira wissen. »Ma hat mir erklärt, dass so jemand rechtliche Dinge überprüft und dass man dort Geld und Wertgegenstände hinterlegen kann.« »Eigentlich praktisch. Und was ist mit deiner Tante Gertrud?« Ich seufze. »Die kommt auch, sie wird ebenfalls etwas erben. Allerdings hat sie sich wohl noch schlimmer mit 3


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Marie-Lou gestritten als meine Mutter. Ich bin sowieso nicht scharf darauf, sie zu treffen.« Mira kichert. »Das kann ich verstehen. Bei eurer Sommerparty letztes Jahr hab ich erst gedacht, sie ist eine unbeliebte Nachbarin oder so etwas.« »Lotte! Wir müssen los!«, ruft Ma uns vom Flur aus mit brüchiger Stimme zu. Mira nickt. »Dann mach ich mich jetzt auch auf den Weg. Schreib mir sofort, wenn du es hinter dir hast, ja? Ich denk an dich!« »Danke, Mi.« Wir traben nach unten, wo Paps gerade an der Garderobe meiner Mutter den Arm um die Schulter legt. »Bis bald, Mira!« Ma seufzt tief, bevor sie die Haustür öffnet. Ihre Augen sind gerötet. Ich winke meiner Freundin nach, als ich schon im Auto bin und sie noch ihr Fahrrad aufschließt. Ich wünschte, sie könnte mitkommen. Den ganzen Weg zum Notariat muss ich darüber nachdenken, wie meine Mutter sich wohl fühlt. Auch wenn Ma und Marie-Lou einen schlimmen Streit hatten, muss es doch trotzdem ein Schock sein zu wissen, dass man nun plötzlich statt zwei Schwestern nur noch eine hat. Und wenn die dann auch noch Gertrud ist, die außer für ihren kleinen Chihuahua Frau Sarafina wenig Verständnis für irgendjemanden hat, würde mich das jedenfalls runterziehen. Aber wie kann man denn auch seine eigene 4

Schwester aus den Augen verlieren? Das ist doch irgendwie seltsam. Im Gegensatz zu sonst ist es heute absolut still im Auto. Vielleicht müssen Ma und Paps auch so viel nachdenken wie ich. Als wir kurz vor unserem Ziel sind, jedenfalls laut Navi, rutscht meine Mutter unruhig auf ihrem Sitz hin und her. »Da fährt gerade jemand weg!« Sie deutet auf ein Auto am Straßenrand. »Prima, direkt vor der Tür.« Paps blinkt und parkt rückwärts in die Lücke. Und, na klar, Tante Gertrud ist schon da. Sie steht vor dem Eingang, ihr braunes Hündchen auf dem Arm. Der Motor ist noch gar nicht richtig aus, da hechtet meine Mutter bereits aus dem Auto. Ob sie es schnell hinter sich bringen will? Paps schwingt sich energiegeladen vom Fahrersitz. Ich hab es nicht so eilig, denn ich weiß ja gar nicht, was mich gleich erwartet. »Ihr seid zu spät. Jetzt aber schnell!«, ruft Gertrud uns entgegen. »Hallo erst mal«, entgegnet Paps betont freundlich. »Kennst uns ja.« Frau Sarafina kläfft wie immer in den höchsten Tönen. Ma und Tante Gertrud umarmen sich stumm und kurz, mir reicht meine Tante hoheitsvoll die Hand, als sei sie eine Königin, die einen Handkuss erwartet. Nun ja. Paps klingelt, und sechsundvierzig Stufen später stehen wir vor einem großen Mann mit Spitzbart. »Guten Tag, ich bin Phileas Montabus. Bitte nehmen Sie noch einen Moment Platz. Ich bin gleich bei Ihnen.« 5


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Im kleinen Wartezimmer des Notars riecht es nach Staub und alten Dokumenten. Gertrud hebt Frau Sarafina sofort auf ihren Schoß, wo die Hundedame sich zufrieden einrollt. Während ich Ma und meiner Tante gegenübersitze, muss ich wieder an Marie-Lou denken. Meine Mutter hat immer gesagt, dass die schon als Kind schräge Ideen hatte, was auch immer das genau bedeutet. Daran ist doch erst mal auch nichts auszusetzen, finde ich. Ich hätte gerne Geschwister, egal wie die dann wären. Der Notar taucht vor uns auf und deutet eine klitzekleine Verbeugung an. Es würde nur noch fehlen, dass er einen Zylinder auf dem Kopf hätte. Das würde so gut zu ihm passen, dass es wahrscheinlich gar nicht weiter auffallen würde. Er weist in Richtung seines Büros am Ende des Flures. Die Tür ist leicht geöffnet. »Nach Ihnen.« Gertrud schnappt sich ihr Hündchen, Paps nickt Herrn Montabus zu, und Ma folgt mit nachdenklich gerunzelter Stirn. Mitten im Büro des Notars steht ein großer Holztisch. Auf der einen Seite steht ein besonders großer Sessel mit einer Sitzfläche aus braunem Leder, gegenüberliegend warten vier Stühle nebeneinander. Gertrud setzt sich sofort auf den mächtigen Sessel, zieht sich einen der anderen Stühle heran und platziert darauf Frau Sarafina. Wie peinlich ist das denn? Herr Montabus räuspert sich. »Da sitze ich, wenn es recht ist.« Seine tiefe Stimme ist heiser, dabei aber trotzdem durchdringend. 6

Jedenfalls reagiert Gertrud sofort. Vielleicht weil sie es jetzt endlich auch gecheckt hat. Sie greift nach ihrem Hündchen, nimmt den Stuhl umständlich wieder mit auf die andere Seite und klemmt sich Frau Sarafina unter den Arm. Paps schüttelt kaum merklich den Kopf, ich kann mir aber vorstellen, was gerade in ihm vorgeht. »Also, wie Sie bereits wissen, hat Ihre Schwester, Tante und Schwägerin Marie-Lou Sonnenstein Ihnen einen Brief hinterlassen, den ich jetzt verlesen werde. Fragen können wir im Anschluss klären.« Herrn Montabus’ Blick bleibt an mir haften, als wolle er in mich hineinsehen, bevor er endlich den Umschlag öffnet, eine kleine Brille aufsetzt, sich aufrichtet und zu lesen beginnt.

Liebe Schwestern! Obwohl, so lieb hatten wir uns ja eigentlich gar nicht, trotzdem sagt man das wohl so. Bevor ihr erfahrt, was ich euch vererbe, habe ich noch ein paar Dinge zu sagen. Ich habe nie verstanden, was eigentlich in euch vorgeht, und ganz gewiss beruhte das auf Gegenseitigkeit. Wir hatten schon als Kinder oft Streit, und als später jeder seiner Wege ging, war das auch gar nicht schlimm. Ich trage euch nichts nach, denn wahrscheinlich sind wir einfach zu verschieden, um uns zu verstehen. Auch der große Altersunterschied hat es nicht gerade leichter gemacht.

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Dennoch muss ich loswerden, dass dir, Gertrud, die du dich wohl am meisten an meiner Andersartigkeit und an meinen Vorstellungen gestoßen hast, ein wenig mehr Feuer und weniger Gleichförmigkeit gut stehen würden. Und du, Leona, musst wissen, dass ich dich immer um deine Tochter Lotte beneidet habe, auch wenn ich es nie zugab. Eine neue Generation bringt immer frischen Wind in Familien. Deshalb möchte ich dir, meiner lieben Nichte, auch meinen wertvollsten Besitz vermachen. Gehe weise damit um.

Herr Montabus greift in eine Schublade, zieht einen großen Umschlag heraus und überreicht ihn mir feierlich. Mein Herz hämmert plötzlich so laut, dass ich meine, alle könnten es hören. Ich ziehe ein kleines dunkelblaues Kästchen und ein schweres Buch mit furchigem hellbraunem Ledereinband aus dem Umschlag. Neugierig öffne ich das Kästchen. Auf einem weißen Seidentuch liegt ein leuchtend grüner, rautenförmiger Anhänger an einer feinen Silberkette. Ich hole das Schmuckstück vorsichtig heraus und lege es in meine Hand, die sofort zu kribbeln beginnt. »Ist der Anhänger wertvoll?«, ruft Gertrud in die Stille. Herr Montabus lächelt. »Ja, das ist er wohl. Er ist auf seine Weise wertvoll.« Ich lege den Anhänger in das Kästchen zurück und blättere das Buch durch. »Da steht ja gar nichts drin!«, entfährt es mir. 8

»Dieses Tagebuch hat Marie-Lou seinerzeit besonders am Herzen gelegen. Zudem beinhaltet es eine Überraschung in der Überraschung.« Herr Montabus zwinkert mir zu. Hä? Kapier ich nicht. Aber bevor ich nachhaken kann, drängt sich Gertrud wieder dazwischen. »Was hat meine Marie-Lou mir denn vererbt?« Sie richtet sich kerzengerade auf. »Nur Geduld, hier geht alles der Reihe nach. Erst mal zu Ihrer Schwester …« Herr Montabus beugt sich wieder über den Brief.

Leona, dir vererbe ich etwas, was mir stets sehr viel bedeutet hat. Es hat mich immer an eines der wenigen schönen Dinge erinnert, die wir als Kinder geteilt haben

Wieder öffnet Herr Montabus seine Schublade. Er überreicht meiner Mutter ein rechteckiges Paket, in dunkelblaues Seidenpapier eingeschlagen. Ma wickelt es behutsam aus. Ihre Augen weiten sich, und sie beginnt leise zu schluchzen. »Was ist es denn?« Gertrud reckt ihren Hals. Mittlerweile ist ihr Gesicht richtig zerknautscht, so angespannt ist sie. »Unser altes Märchenbuch«, flüstert Ma und drückt es an sich. 9


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»Aha«, ist alles, was meiner Tante dazu einfällt. Unruhig scharrt sie mit den Füßen, was Frau Sarafina dazu anregt, laut loszukläffen. Herr Montabus zieht erst seine Augenbrauen hoch, dann wirft er Gertruds Schatz einen scharfen Blick zu. Das winzige Hündchen verstummt augenblicklich. Wow, wie hat er das nur hinbekommen? Wenn dieser Hund sonst bellt, hört er so schnell nicht wieder auf. »Und nun zu Ihnen.« Herr Montabus blickt meine Tante über den Rand seiner Lesebrille an, bevor er loslegt.

Gertrud. Dir vererbe ich natürlich auch etwas. Ich glaube, dass das von all den Dingen, die ich besitze, am besten zu dir passt. Vielleicht hast du es vergessen, aber es gab Momente, da konnten wir gemeinsam lachen.

Gertruds Erbe sieht von außen ähnlich aus wie Mas. Meine Tante packt ein Buch aus und starrt es an. Sie hält es fassungslos in die Luft. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Gedichte, Reime und Sketche. Abgebildet ist ein Mensch mit seinem Hund. Paps schmunzelt in sich hinein, Gertrud hingegen legt ihre Stirn in tiefe Falten. Sie atmet mühsam, blättert das Buch hektisch durch, als erwarte sie, dass sich etwas darin befindet. Dann wendet sie sich empört dem Notar zu. »Aber man munkelte, meine Schwester sei reich!« Ihre Stimme klingt plötzlich viel zu hoch. 10

Herrn Montabus’ Blick lastet auf meiner Tante. »Und?«, ist alles, was er antwortet. Es fühlt sich so an, als wäre es auf einen Schlag zehn Grad kälter im Raum. »Na ja, also, ich hab gedacht, dass, vielleicht, nun …«, stottert sie. »Dass ich möglicherweise noch etwas außer diesem Buch geerbt habe.« »Nein, das haben Sie nicht.« Der Notar rückt seine irgendwie viel zu kleine, kreisförmige Brille zurecht. »Der Brief ist noch nicht zu Ende.«

Ich kann mir vorstellen, dass du ganz schön enttäuscht bist, Gertrud. Damit du aber weißt, wohin meine sämtlichen sonstigen Besitztümer geflossen sind, teile ich es dir mit. Ich bin nämlich sicher, dass es für dich wichtig ist. Ich habe eine Stiftung gegründet. Zusammen mit meinem geliebten Leolay. Eine Stiftung, die solche sogenannten verrückten Menschen wie mich und ihn unterstützt, die SfmA. Der Stiftungsverwalter, Herr Montabus, sitzt gerade vor euch. Tja, und nun, lebt wohl, meine Schwestern. Und Lotte sowieso. Du wirst schon sehen.

Herr Montabus faltet sorgsam den Brief zusammen und lächelt. Meine Mutter blickt nachdenklich aus dem Fenster, Paps streicht ihr über den Rücken. Gertrud krault gedankenverloren Frau Sarafinas Ohr, ein bisschen zu stark, denn der Hund jault auf. »Oh, Verzeihung, mein 11


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Zimtschneckchen. Das wollte ich nicht.« Plötzlich macht meine Tante ein bedrohliches Gesicht. »Sie haben ja beste Laune, Herr Notar. Wie viel Geld wandert bei der ganzen Sache denn in Ihre eigene Tasche? Kein Wunder, dass Sie so schmierig vor sich hin grinsen. Ich werde Sie verklagen!« Der Notar fixiert Gertrud wortlos. Nach einem Moment eisigen Schweigens weicht sie seinem Blick aus. »Es ist schade, dass Sie so unzufrieden mit Ihrer Erbschaft sind. Das ist allerdings kein Grund, mich anzugreifen. Gibt es sonst noch Fragen?«, erkundigt er sich. Gertrud starrt blass ins Leere, Paps schüttelt den Kopf. »Wofür steht denn SfmA?«, will Ma wissen. »Stiftung für magiebegabte Außenseiter«, antwortet der Notar, als wäre es das Normalste der Welt. Meine Tante scheint nicht zu wissen, ob sie lachen oder weinen soll. »Und was genau bedeutet das?«, erkundigt sich Paps. »Die Stiftung ist ein Ort, an dem sich Marie-Lou geborgen gefühlt hat. Dort gingen, und gehen noch immer, lauter Menschen ein und aus, die anders sind und Fähigkeiten haben, die in den Augen von Außenstehenden nicht ganz normal sind.« »Das trifft den Nagel auf den Kopf. Sie sind wirklich nicht ganz normal, deshalb hat meine Schwester auch Sie ausgewählt!«, brüllt Gertrud. Der Notar steht schlagartig auf. »Sie verlassen mein Büro, jetzt.« Mir läuft eine Gänsehaut über den Rücken, denn Herrn Montabus’ Stimme ist eiskalt. 12

Auch ich hätte noch ein paar Fragen. Zum Beispiel, was es mit dem leeren Tagebuch auf sich hat. Und warum man gleich verrückt sein soll, wenn man anders ist. Und Leolay? Hab ich vorher noch nie gehört. Aber Herr Montabus scheint es plötzlich sehr eilig zu haben, uns loszuwerden. Oder vor allem Tante Gertrud. Er geleitet uns wieder auf den Flur und ins Wartezimmer. »Bei Bedarf können Sie sich jederzeit an mich wenden.« Seine Brille ist ein Stück runtergerutscht, und er senkt den Kopf, um hindurchzusehen. »Sofern das in einem angemessenen Ton passiert«, fügt er mit einem kühlen Blick zu Gertrud hinzu. »Jetzt muss ich weitermachen. Auf Wiedersehen.« Als er mir die Hand reicht, lächelt er mich aufmunternd an. Ich nicke verlegen, zu mehr bin ich gerade nicht fähig. Auch Ma sieht etwas verloren aus. Paps und sie gehen gemeinsam die Treppe hinunter, vor ihnen läuft Gertrud, die sich die ganze Zeit beklagt. Ihre Absätze klackern auf der Steintreppe. »Das kann doch wohl alles nicht wahr sein! Ein lächerliches Buch! Und das ganze Geld hat jetzt dieser widerliche Notar? Kein Wunder, dass der sich so benommen hat.« Ich bin mehr als erleichtert, als wir endlich unten sind, wieder an der frischen Luft. »Wie er sich benommen hat? Wenn überhaupt, hast du dich benommen, und zwar völlig daneben!«, schleudert Ma ihr entgegen. Doch Tante Gertrud macht unbeeindruckt weiter. »Ich werde mir überlegen, einen Anwalt zu nehmen und ge13


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gen diese alberne Stiftung vorzugehen!« Sie stampft auf den Boden, und ich wundere mich, dass ihr Absatz das aushält. Mein Opa hat manchmal gesagt, dass bei Geld die Freundschaft aufhört. Vielleicht hat er damit auch so etwas gemeint. Ma baut sich vor ihrer Schwester auf. »Sag mal, was hast du denn gedacht? Dass wir all ihre Reichtümer erben, sofern es die überhaupt gab? Obwohl wir uns jahrelang nicht umeinander gekümmert haben?« Meine Mutter spricht leise, aber irgendwie drohend. Sie umklammert wieder ihr Märchenbuch. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber es wirkt fast so, als würde sie ein bisschen zittern. »Ich möchte jetzt nach Hause.« Sie verabschiedet sich mit einem Kopfnicken von Gertrud, Paps folgt ihrem Beispiel, und ich, na ja, streichle noch kurz Frau Sarafina, denn die kann ja nichts dafür. Dass sie mit Tante Gertrud zusammenleben muss, meine ich. Als wir im Auto sitzen, atmen wir alle auf. »Wisst ihr was? Wir fahren noch beim Bäcker vorbei und besorgen uns leckeren Butterkuchen. Wir sollten es uns den Rest des Tages so richtig gut gehen lassen, um die traurige Stimmung zu vertreiben. Und überhaupt, das bevorstehende Wochenende einläuten. Einverstanden?« Na, da muss Paps natürlich nicht zweimal fragen. »Danke, Christoph. Ich bin froh, wenn ich abgelenkt werde und wenigstens eine Weile nicht über all das nachdenken muss.«

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Ich würde meine Mutter eigentlich gerne noch etwas über meine verstorbene Tante ausquetschen, werde das aber besser auf später verschieben. Sie wirkt gerade wieder ein wenig fröhlicher. Vielleicht kann auch ich mich beim Gedanken an die bevorstehenden freien Tage wieder etwas entspannen. Obwohl … ein Satz, den Marie-Lou mir mit auf den Weg gegeben hat, fliegt mir wieder und wieder durch den Kopf, ohne dass ich ihn einfangen kann. Du wirst schon sehen.

KaPiTeL 2 »Und, was hat deine Mutter geerbt?« Mira steht am Samstagmorgen mit Reiterhose vor meiner Tür, ihr blonder Zopf wippt hin und her. Ich wünschte, ich hätte ihre tollen, glatten blonden Haare und nicht solch eine rote, wellig-widerspenstige Mähne. Gestern nach der Testamentseröffnung konnte ich Mira nicht mehr erreichen. Sie hat nicht auf meine Nachrichten reagiert. »Komm erst mal rein, Mi.« Meine Freundin ist wie ein Flummi. Es ist selten, dass sie mal stillsteht. Leider steckt sie in letzter Zeit all ihre 15


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Energie in ihr Pferd Zuckerflocke. Den Namen kann ich manchmal schon gar nicht mehr hören. Es tat so gut, dass sie mir gestern beistand, aber solche spontanen Besuche wie heute sind selten geworden. Trotzdem kann ich Mira nicht lange böse sein. Wir kommen bei ihrem Hobby aber auch nicht zusammen – ich stehe leider so überhaupt nicht auf Pferde. Die sind groß und unberechenbar. Als kleines Kind wurde ich mal von einem Pferd getreten, als wir einen Sonntagsausflug zu einem Bauernhof unternommen haben. In meinem Zimmer machen wir es uns wieder auf meinem Sofa bequem. »Was war denn gestern los? Ich wollte dir alles erzählen, aber du warst nie online.« Mira seufzt theatralisch. »Ich musste mich um Zucker­ flocke kümmern.« Überraschung. »Dem ging es überhaupt nicht gut. Wir haben sogar vermutet, er könnte eine Kolik haben, aber irgendwann ging es mit ihm zum Glück wieder bergauf. Sorry, dass ich mich nicht gemeldet habe. Ich hab aber wirklich die ganze Zeit an dich gedacht.« Mira strahlt mich so sehr an, dass ich meinen finsteren Gesichtsausdruck, den ich eigentlich geplant hatte, sofort knicken kann. Sie stößt mir in die Seite. »Aber jetzt erzähl endlich!« »Na gut, also. Marie-Lou hat uns allen einen Brief geschrieben!« »Wow! Voll komisch, den dann zu lesen, also von jemandem, der schon gestorben ist, meine ich.« 16

»Ja, komisch war das schon irgendwie, aber wenn meine Tante nicht gestorben wäre, hätten wir da ja nicht gesessen, bei diesem Notar, Herrn Montabus. Der würde auch gut nach Hogwarts als Lehrer passen, so musst du dir den vorstellen.« »Und was hat er gesagt?« »Na, er hat den Brief vorgelesen. Marie-Lou hat meiner Mutter ein Märchenbuch vererbt.« Mira zieht enttäuscht die Mundwinkel nach unten. »Das ist alles?« »Für Ma bedeutet es aber viel. Marie-Lou konnte ja schon längst lesen, als sie geboren wurde, und hat ihr wohl öfter daraus vorgelesen, wenn sie traurig war. Das hat sie mir hinterher erzählt. Es hat in dem neuen Regal im Wohnzimmer einen Ehrenplatz bekommen.« »Und deine Tante Gertrud? Hatte die wieder ihren süßen Hund dabei?« »Ja, klar, Frau Sarafina ist immer da, wo Gertrud ist. Sie hat ein Buch mit Tiergedichten geerbt, das fand sie irgendwie nicht so witzig. Also Gertrud. Sarafina ging leer aus.« »Oh. Das ist natürlich schade. Ich dachte, ihr erbt Geld oder ein Haus oder so etwas.« »Ja, das dachte Gertrud wohl auch.« Ich gehe zu meinem Schreibtisch und schnappe mir erst das Tagebuch, dann das kleine Kästchen. »Ich hab auch etwas bekommen. Ein Tagebuch, das Marie-Lou am Herzen lag. So hat es der Notar gesagt. Allerdings ist es leer.« 17


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»Hä?« Mira blättert wie wild durch die Seiten. »Und was soll das?« »Vielleicht ist Marie-Lou nichts eingefallen, was sie reinschreiben soll. Ich hatte auch gehofft, dass etwas von ihr drinsteht und ich mehr über meine Tante erfahren würde.« »Dann sollst du es wohl als Tagebuch benutzen, Lotte.« »Ich hab aber noch etwas geerbt, schau mal hier.« Ich überreiche Mira das Kästchen. Sie öffnet den Deckel und holt die Kette heraus. »Wow. Der Anhänger glitzert ja richtig! Ist das ein Diamant? Die sind doch superwertvoll. Vielleicht bist du reich!« »Keine Ahnung. Ma sagt, ich bin reich, aber ich weiß nicht genau, ob sie damit Geld gemeint hat. Jedenfalls hat der Notar gesagt, dass der Anhänger auf seine Art wertvoll ist, was auch immer das bedeutet.« »Aufregend, das Ganze. Weißt du eigentlich, wie Marie-­ Lou aussah?« »Nur als Kind. Und da gibt es auch nur ganz wenige Fotos.« »Schade eigentlich. Also, dass du so wenig weißt über deine Tante. Wenn du ganz viel Geld geerbt hättest, was hättest du dann eigentlich damit gemacht?« Jedenfalls hätte ich mir kein Pferd gekauft. »Vielleicht hätte ich eine Stiftung gegründet.« Auf Miras Gesicht bildet sich ein Fragezeichen. »Eine Stiftung? Was ist das denn?«

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»Na, so eine Wohltätigkeitsorganisation. All das Geld von Marie-Lou ist in die Stiftung für magiebegabte Außenseiter geflossen.« »Magiebegabte Außenseiter? Das ist ja schräg. Was soll das denn sein? Eine Zauberschule für Leute, die dann im Fernsehen auftreten? Oder ist der Name eine Tarnung für eine geheime Agentenvereinigung oder so etwas?« »Ha, wer weiß. Vielleicht werde ich es noch herausfinden. Ich würde die Stiftung für talentfreie Matheschüler gründen. Vielleicht wäre ich dann bei Herrn Bayer nicht so verloren.« Mira kichert. »Wer ist bei dem denn nicht verloren? Der schafft es auch, den Mathefreaks die Lust an Zahlen zu nehmen.« Sie wirft einen Blick auf ihre Uhr. »Oh, musst du schon los? Zum Stall?« Mira schaut einen Moment lang schuldbewusst drein, dann lächelt sie. Die Vorfreude auf Zuckerflocke überwiegt eben doch. »Ja, ich muss noch mal nach ihm sehen. Nach gestern sowieso.« »Ich hoffe, es geht Zuckerflocke gut!« »Glaub schon, gestern war er dann ja echt fit, als ich aufgebrochen bin. Ich will aber auf Nummer sicher gehen.« Plötzlich fallen mir all die tollen Sachen ein, die Mira und ich früher gemacht haben. Da haben wir oft das ganze Wochenende zusammen verbracht, doch das scheint ewig her zu sein. Auch an Schultagen fährt Mira nach der Schule fast immer zum Stall. Und nicht mehr zu mir, oder 19


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ich zu ihr. Sie hat mir natürlich schon oft angeboten, sie zu begleiten, aber ich fühle mich da bei den übergroßen Huftieren einfach nicht wohl. Mira steht auf. »Willst du nicht heute mitkommen?« Kann sie Gedanken lesen? »Hach, Mi, du weißt doch, ich und Pferde. Und dann hast du da doch deine ganzen anderen Mädels. Wenn die reden, verstehe ich nur Bahnhof. Vielleicht können wir morgen was machen?« »Hmm, auf dem Hof ist Tag der offenen Tür, da sind wir alle eingespannt, aber, also, es gibt auch frische Waffeln«, druckst sie herum. Ich versuche mich zu überwinden. »Vielleicht schau ich mal vorbei, ja? Ansonsten sehen wir uns am Montag. Erste Stunde Mathe. Ein Traum.« »Ach, das schaffst du auch ohne so eine Stiftung. Du hast doch mich!« Mira ist und bleibt die Beste. Wir umarmen uns, dann flitzt sie die Treppe runter und winkt noch mal. Plötzlich fühle ich mich schrecklich allein. Marie-Lous Kästchen ist noch auf meinem Bett, daneben das Tagebuch. Ich lege das Amulett in meine Hand und betrachte es von allen Seiten. Irgendwie komisch, dass Marie-Lou gerade mir solch einen schönen Anhänger vermacht hat. Je länger ich ihn ansehe, desto grüner scheint er zu werden. Eigentlich viel zu schade, um in einem Kästchen herumzuliegen. Ich öffne den filigranen Verschluss und lege mir die Kette um den Hals. Sie hat die 20

perfekte Länge. Mir wird auf einen Schlag sehr warm und ein bisschen schwindelig. »Lotte! Essen!«, ruft Ma im selben Moment, als könne sie meinen Hunger aus der Ferne spüren. Bevor ich noch umkippe, sollte ich wirklich runtergehen. »Danke, ich komme!« Das Tagebuch klappe ich vorher noch schnell zu und lege es auf meinen Schreibtisch. Nach meinem Lieblings-Kartoffelauflauf fällt es mir umso schwerer, mich in Bewegung zu setzen, denn ich habe auch noch die Mathehausaufgaben vor mir, und die würde ich am liebsten so lange vor mir herschieben, bis sie sich in Luft auflösen. Ist doch auch total unfair, am Wochenende Hausaufgaben machen zu müssen. Ich schlurfe die Treppe hoch und nehme mir vor, erst noch in meinem neuen Buch aus der Bibliothek weiterzulesen, bevor ich mich ans Lernen mache. Plötzlich fällt mir auf, dass das Tagebuch zwar noch auf meinem Schreibtisch liegt, aber aufgeschlagen! So hatte ich es nicht hinterlassen! Ich hab es derart eilig, mir das Ganze genauer anzusehen, dass ich mir heftig das Knie am Stuhl stoße. Das gibt es doch nicht. Jemand hat etwas in mein Tagebuch geschrieben! Mit leuchtend grüner Tinte. Wie ist das möglich? Ich atme hektisch, als ich mein Zimmer absuche. Das Fenster ist noch immer geschlossen, und auch sonst ist nichts verändert. Ich fahre vorsichtig mit der Hand über den Tagebucheintrag, die Tinte ist trocken.

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Probleme, Probleme, Probleme! Egal, wo man hinschaut. Alle Menschen haben sie. Zugegeben, manche haben größere und manche kleinere, aber Probleme haben sie alle, und irgendetwas ist immer. Deshalb gib gut Acht, was du mit wem denkst, während du den Anhänger bei dir trägst. Denn sonst bist du zwar dein Problem los, aber um welchen Preis? Nutze dein Wissen weise. Ist der Anhänger einmal aktiviert, wandert das Geheimnis von einem zum anderen. Die Kraft kann sich sogar verdoppeln, wenn zwei Puzzleteile ineinanderpassen. Gehe achtsam mit deiner Macht um! Marie-Lou

»Es dauert eine Ewigkeit, bis ich mich von den Zeilen losreißen kann. Ein Seitenblick zum Spiegel über meinem Bett bestätigt mir, dass ich aussehe, wie ich mich fühle. Als hätte ich ein Gespenst gesehen! Hab ich ja vielleicht auch? Oder hab ich die Champignons im Auflauf nicht vertragen? Als ich wieder hinschaue, sind Marie-Lous Worte verschwunden.«

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Sonja Bullen, geboren 1977, studierte am Institute of Children’s Literature in Connecticut und arbeitet als Schriftstellerin, Hörfunksprecherin und freie Texterin. Auf ihren zahlreichen Reisen, die sie durch die halbe Welt führen, schreibt sie am liebsten Kinderbücher. Die Autorin lebt mit ihrem Mann, ihren zwei Kindern und einer treuen Labradorhündin in der Nähe von Bremen.


EINE IRRWITZIG-MAGISCHE NEUE SERIE

EAN: 4043725002597

Sonja Bullen Lotte und der Problemtauschzauber Hardcover, 176 Seiten € 10,00 (D) / € 10,30 (A) ISBN 978-3-492-70517-2 E-Book geplant

www.piper.de/youandivi


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