Exklusive e Leseprob
@ Charlie Hopkinson 2014
JENNY COLGAN studierte an der Universität von Edinburgh und arbeitete sechs Jahre lang im Gesundheitswesen, ehe sie sich ganz dem Schreiben widmete. Mit dem Marineingenieur Andrew hat sie drei Kinder, und die Familie lebt etwa die Hälfte des Jahres in Frankreich. Alle ihre Romane um »Die kleine Bäckerei am Strandweg« und »Die kleine Sommerküche am Meer« waren inter nationale Erfolge und standen wochenlang auf der Spiegel- Bestsellerliste.
Jenny Colgan, Weihnachten in der kleinen Sommerküche am Meer
Kapitel 1 Im Winter sind die Morgen sehr dunkel auf Mure. Diese winzige Insel hoch oben im Norden von Schottland liegt weit von der Küste entfernt auf halbem Wege nach Island (oder zum Nordpol, so fühlt es sich bei kaltem Wind zu mindest manchmal an). Die Insel ist wunderschön, gemütlich, kahl und ein Ort mi erstaunlich klarer Luft, wenn die Wolken mal weiter ziehen. (…) Flora ist früh auf den Beinen, weil sie sich auf den Weg zur Arbeit machen muss. (…) Flora ist erst vor einem guten Jahr aus beruflichen Gründen wieder auf die Insel zurückgekehrt. Sie war auf Mure aufgewachsen und hatte dann für die glitzernde Großstadt London der Insel jahre lang den Rücken gekehrt. Vor der Heimkehr nach Mure hatte ihr so sehr gegraut, dass sie eigentlich gedacht hätte, sie würde nie mehr hierherziehen. Aber oft laufen die Dinge im Leben ja nicht so, wie man sich das vorgestellt hatte. Das mit dem Auftrag für die Kanzlei klappte nicht wie erwartet, und stattdessen verliebte sie sich wieder in das Land ihrer Vorväter und noch dazu in den Anwalt, der sie hierher zurückgebracht hatte, Joel Binder. Joel. Tja. Der ist ein schwieriger Typ, aber Flora liebt ihn trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb). Drücken wir es mal so aus: Flora liebt Herausforderungen. 3
(…) Flora schiebt sich eine wirre Strähne aus dem Gesicht. Die junge Frau sieht ungewöhnlich aus, allerdings nicht für die Menschen hier auf der Insel: ihre unfassbar helle Haut, so weiß wie der Schaum draußen auf dem Meer, stammt von ihren Vorfahren, Kelten und Wikingern, die sich ge nerationenlang miteinander vermischt haben. Und ihre Haare sind weder braun noch blond, sondern gehen eher ins Rötliche. Ihre hellen Augen ändern mit dem Wetter die Farbe von Blau zu Grün zu Grau. In London war sie völlig verblasst, hier hingegen har moniert sie mit der Umgebung, gehört zur wilden, schäu menden See, zu den hellen Klippen, den weißen Seevögeln und Robben. Sie sieht aus, als wäre sie Teil der Landschaft. Joel ist im Moment nicht hier, er ist in New York und kommt erst kurz vor Weihnachten zurück. Doch aus ge wissen Gründen macht das Flora heute, in diesen dunklen, stillen Morgenstunden, nichts aus. Mit ihrem Hund Bramble im Schlepptau eilt sie fröhlich die Straße hinunter, während sie darüber nachdenkt, was Isla und Iona, ihre hübschen, jungen Mitarbeiterinnen im Café, heute alles für sie erledigen sollen: Es müssen Torten, Kuchen und Pasteten vorbereitet werden – vor allem das Früchtebrot wird ihnen quasi aus den Händen gerissen. Mit dem Backen dieses Früchtebrots haben sie schon Anfang November begonnen, da es vor dem Verzehr einige Zeit ruhen muss, und verkaufen es jetzt portionsweise. 4
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Flora ist ein Risiko damit eingegangen, jeden Tag einen neuen Laib nachzubacken – weil die Zutaten teuer und auf der Insel nur schwer zu bekommen sind. Zu der Zeit wusste sie noch nicht, ob sich das auszahlen würde oder ob sie im Januar auf Dutzenden von verschmähten Früchtebroten sitzen bleiben würden. Seit Anfang Dezember jedoch (also seit letzter Woche) gingen sie weg wie warme Semmeln. Manche Leute holten sich jeden Tag ein Stück, und Flora überlegte schon, viel leicht eine Obergrenze festzulegen, um die Arterien ihrer Kunden zu schonen. Aber sie würde auf jeden Fall täglich weiter nachbacken, damit auch der letzte Laib bis zum Ende der Saison drei Wochen ruhen konnte. Denn dadurch kam ordentlich Geld herein – trotz der Ausgaben für die hochwertigen und da mit teuren Zutaten und trotz ihrer berühmten Kunden karte. (Nur durch diese Karte konnte Flora die Existenz des Cafés im Winter sichern. Mit dem Rabatt konnte sie die Preise für Touristen und Sommerbesucher anheben, ohne damit die Menschen zu benachteiligen, die das ganze Jahr über auf der Insel lebten und weniger verdienten.)
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Kapitel 2 Obwohl gerade erst die ersten Frühaufsteher auf der Suche nach gutem Kaffee und einem Mince Pie zur Tür herein kamen, war Flora bereits erschöpft. Solch eine Müdigkeit wie die der letzten Wochen hatte sie noch nie zuvor erlebt. Abends schlief sie innerhalb von Sekunden ein. O Gott. Wie sollte sie das bloß Joel beibringen? Es war ja nicht so, als würde er sie nicht lieben, das war ihr klar, auch wenn er die Worte nur schwer über die Lippen brachte. Und Flora wusste auch, dass er sich während seiner Arbeit an Coltons Projekten in den USA eigentlich nur da nach sehnte, zu ihr auf die Insel zurückzukehren. Aber das letzte Jahr war nicht einfach gewesen. Flora hatte endlich Einzelheiten über Joels schwierige Kindheit im Pflegesystem erfahren und begriffen, warum man ihn besser mit Samthandschuhen anfasste. Aber jetzt … jetzt hatte sich etwas verändert, obwohl sie natürlich damit hätte rechnen müssen. Aber verdammt, Flora wusste genau, dass der Zeitpunkt nicht ungünstiger hätte sein können. Blöder hätte die ganze Sache wohl kaum laufen können. Natürlich hatte sie davon geträumt, mit Joel zusammen ein Kind zu bekommen – aber irgendwann mal! Und dieses Irgendwann hatte in weiter Ferne gelegen, viele, viele Jahre 6
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in der Zukunft. Nachdem sie ein Haus gekauft und dafür gemeinsam Möbel ausgesucht und es dekoriert hatten … Okay, tatsächlich konnte sie sich nicht vorstellen, wie Joel mit ihr zusammen Tapeten aussuchte, das schlug sie sich wohl besser aus dem Kopf. Vielleicht würden sie einfach nur zusammen ein hübsches Häuschen kaufen. Viele Häuser standen auf Mure allerdings nicht zum Verkauf, weil es auf der Insel eben nicht viele Häuser gab. Aber irgendetwas Schönes würden sie schon finden. Insgeheim träumte Flora von einem dieser atemberaubenden modernen Ökohäuser aus Große Häuser, große Träume, mit viel Glas und Holz. Dabei machte sie es sich ja eigentlich lieber mit jeder Menge schäbigen Kissen, alten Decken, Büchern und Teetassen gemütlich, wie sie sich eingestehen musste. Egal, das waren eben ihre Träume, und um mehr war es darin noch nicht gegangen. Nur um Kissen und nach Süden ausgerichtete Fenster, und selbst damit war sie Joel ver mutlich um Meilen voraus. Meilen. Sie seufzte. Und des halb war es ganz furchtbar, ihm jetzt mit dieser Geschichte zu kommen, wirklich übel. Das hatte sie nun wirklich nicht vorgehabt, ganz und gar nicht. (…) Ein Baby! Sie konnte es einfach nicht fassen. Es war wirklich der völlig falsche Zeitpunkt, und sie hatte furchtbare Angst vor dem Gespräch mit Joel. Außerdem konnte sie sich das auch gar nicht leisten, und sie hatte gar nicht genug Zeit, und der Hof war wirklich kein geeigneter Platz für einen Säugling, der über Bramble hinweg in den Kamin krabbeln würde … 7
Nachdenklich strich sie sich über den Bauch. Und den noch … ein Baby!
Kapitel 3 Draußen war es bitterkalt, und Flora lächelte, als der Wind die Tür aufstieß und die nächsten Kunden mit verfrorenen Mienen in ihr Café pustete. »Es liegt Schnee in der Luft«, warnten die alten Damen, die immer vor Schnee warnten, obwohl es selten welchen auf Mure gab. Die weißen Flocken fielen zwar, blieben aber meist nicht liegen, weil der Wind einfach nicht lange genug Ruhe gab. Auf Mure war Schnee etwas Lebendiges, ein Wirbelwind, der über die Berge und Täler der High lands stob. Flora konnte sich noch daran erinnern, dass ihre Mutter sie einmal nachts tanzend draußen im Schnee gefunden hatte. Damals hatte sie ihr auch die Geschichte von den Schneegeistern erzählt, die kleine Kinder mitnahmen. So blau gefroren war Flora selbst schon ein halbes Schnee kind, und ihre Mutter erklärte warnend, dass Kinder des Meeres sich von Schneekindern besser fernhalten sollten. Dann nahm sie Flora mit ins Haus, um sie mit ei ner sahnigen heißen Schokolade wieder aufzuwärmen, was 8
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allerdings Fintan weckte. Als er sich lautstark beschwerte, bekam er natürlich auch eine Tasse. Schließlich wurden die Geschwister wieder ins Bett gesteckt, und zwar mit einer Wärmflasche, einem schmatzenden Kuss und einer Umar mung von ihrer Mutter, die nach Schokolade und Mehl und Geborgenheit roch. Es lag nicht am Schnee, dass sie heute an ihre Mutter denken musste, so viel war Flora klar. Mit kräftigen Armen rührte sie den zähen Teig für das Früchtebrot, während Isla und Iona wie am Fließband Scones und Sandwiches für die morgendliche Kundschaft produzierten. Flora sah sich um. Mrs Johanssen schaute gerade her ein. Sie war vermutlich auf dem Weg zu Saif, dem syrischen Arzt, bei dem sie sich gerne jede Woche einen Termin holte, um über sich und ihre Zipperlein zu sprechen. Dabei war sie für ihre achtundsiebzig Jahre noch so gut beieinander, dass es einem medizinischen Wunder gleichkam. Mrs Johans sen hatte ihr Leben lang jede Menge Fisch und Rüben ge gessen und schwere körperliche Arbeit verrichtet. Sie war stark wie ein Ochse. Man musste Saif wirklich zugutehalten, dass er auf Mrs Johanssen genauso aufmerksam einging wie auf alle an deren Patienten auch, obwohl er wirklich viel zu tun hatte. In Annies Küche bestellte Mrs Johanssen immer einen Scone ohne alles und fragte noch dreimal nach, ob da auch wirklich keine Rosinen drin waren, weil die angeblich schlecht für ihre Verdauung waren. 9
Heute war auch die Strickgruppe da. Die Strickerinnen gaben nie viel Geld aus und kamen vor allem, um zu Hause nicht heizen zu müssen, aber das nahm Flora ihnen nicht übel. Weil ihre zauberhaften Kleidungsstücke mit den komplizierten Mustern immer noch als lokale Handarbeit durchgingen, halfen die Frauen bei zu vielen Bestellungen den Fair-Isle-Strickerinnen aus dem Süden. Die Damen aus der Gruppe teilten sich eine Kanne Tee und ein paar Scones und setzten sich direkt an die Heizung, um ihre arthriti schen Hände warm zu halten, die nach vielen Jahren an den Stricknadeln ganz krumm und schief geworden waren. Das rhythmische Klicken der Nadeln war bei der Arbeit eine angenehme Begleitmelodie und passte auch zum Mur meln von BBC Radio nan Gàidheal, das den ganzen Tag im Hintergrund lief. Draußen wirbelte die eine oder andere Schneeflocke durch die Luft, und Geoffrey, der die zauberhaften Tassen und Teller fürs Café töpferte und außerdem selbst ein treuer Kunde war, stand mit betrübter Miene vor der Tür. Er schaute zu Flora hinüber. »Nein!«, rief sie. »Ich meine doch nur …« »Ich hab dein Gesuch gelesen«, fiel ihm Flora ins Wort. »Aber wenn ich erst Hunde ins Café lasse, wo kommt dann als Nächstes? Löwen? Büffel?« »Auf Mure gibt es aber nicht viele Büffel.« 10
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»Und wenn Hundehaare in meine Scones geraten? Was ist dann mit den Leuten, die allergisch sind?« »Ich wollte doch bloß …« Geoffrey kniff die Augen zusammen. »Du hast heute Morgen aber schlechte Laune.« »Das stimmt doch gar nicht. Ich hab nur die Nase voll davon, den Leuten neunhundertneunundvierzig Mal am Tag erklären zu müssen, warum hier keine Hunde reindürfen.« »Das machst du nur, weil du Hunde nicht magst.« »Geoffrey! Wie kann man Hunde nicht mögen? Ich hab doch selber einen, ich will bloß keine Pfotenabdrücke im Mehl!« Geoffreys Ruffalo war ein riesiger Beagle-Terrier- Mischling, der selbst aber keine Ahnung hatte, wie groß er war. Er stieß ein tiefes Heulen aus. »Wenn du ihn nicht so verwöhnen würdest, dann würde ihm ein bisschen Schneeregen auch nichts ausmachen«, rügte Flora Geoffrey. »Es ist schlimm, einen Welpen so leiden zu sehen«, erwiderte Geoffrey fürsorglich. »Der wiegt doch mehr als ein Kleinwagen!«, rief Flora aus. »Außerdem zwinge ich dich ja auch nicht zum Besuch meines Cafés.« »Doch, indem du immer diese Käsescones machst!«, widersprach Geoffrey, woraufhin Flora zufrieden nickte. Bald darauf öffnete sich die Tür erneut und ließ einen kalten Windstoß herein. 11
Es waren Charlie und Jan, die auf der Insel die Firma Outward Adventures betrieben. Um Geld reinzubringen, richteten sie ihre Abenteueraufenthalte manchmal für Geschäftsleute aus, oft jedoch für sozial benachteiligte Kinder – wobei ihnen Joel gelegentlich zur Hand ging. »Teàrlach!«, rief Flora. Die meisten Leute benutzten die gälische Form von Charlies Namen. »An so einem Tag geht ihr mit euren kleinen Kunden aber sicher nicht raus, oder?« Sie bereitete Charlies Tee so zu, wie er ihn gerne hatte. Der sanfte Hüne stampfte mit den Füßen und pustete sich auf die Finger, dann wackelte er in der angenehmen Wär me damit herum. Jan tat nichts dergleichen und schaute sich stattdessen mit demselben Blick wie immer in Annies Küche um, als hielte sie die Heizung für sträfliche Extravaganz und Flora für eine verweichlichte Müßiggängerin, die sich hier ein schönes Leben machte. »Nee, nee«, sagte Charlie und nahm dankbar seinen Tee entgegen. Jan beobachtete das Ganze mit Adleraugen. Sie traute Flora nicht über den Weg, weil sie Charlie mal etwa zehn Sekunden lang geküsst hatte. Dabei waren Jan und Charlie zu der Zeit nicht einmal ein Paar gewesen. Dass sie dann wieder zusammengekommen waren und sogar geheiratet hatten, hatte leider nicht, wie von Flora 12
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erhofft, zu einem Ende der Spannungen zwischen den bei den Frauen geführt. »Äh, möchtest du vielleicht auch eine Tasse Tee, Jan?«, fragte Flora verzagt. »Ich bin bei der Arbeit!«, entgegnete Jan so entrüstet, als hätte Flora ihr einen doppelten Wodka mit Irn-Bru angeboten. Und als Charlie bezahlte, wurde ihr Blick noch miss billigender, als empöre sie sich darüber, dass Flora in ihrem Geschäft doch tatsächlich Geld annahm. »Also«, erklärte Charlie fröhlich, der von der angespannten Situation wie immer nichts mitbekam. Er war ein wunderbar unkomplizierter Mann. »Diese Woche haben wir Geschäftsleute da, aus einer Buchhaltungsfirma in Swindon.« Flora warf einen Blick nach draußen. Obwohl die Uhr inzwischen zehn anzeigte, war es immer noch ganz schön düster. Sie entdeckte eine Gruppe von unglücklich wir kenden Männern und Frauen in riesigen, unvorteilhaften Regenmänteln, die vom seitlichen Wind fast mitgerissen wurden, und musste lächeln. Die waren ja noch schlimmer dran als Ruffalo. »Jetzt sag doch bitte noch, dass sie für dieses Privileg mehrere Tausend Pfund bezahlen.« »Allerdings«, antwortete Charlie ernst. »Und vor dem Mittagessen fahren wir noch auf dem Loch Errin Kajak.« Flora strahlte. »Oh, das werden sie hassen. Haben die denn schon mal in einem Kajak gesessen?« 13
»Nein.« »Dann wird das aber eine ganz schöne Tour de Force. Nehmt ihr ein bisschen Tee für sie mit raus?« »Nein«, wiederholte Charlie. »Oh, Teàrlach, so fies bist du sonst aber nicht!« »Ich bin nicht fies, sieh sie dir doch an.« Die Buchhalter aus Swindon standen eng zusammen und redeten heftig aufeinander ein. »Siehst du? Die diskutieren gerade, ob sie meutern oder vielleicht einfach verschwinden sollen, und tauschen sich darüber aus, wie sehr sie uns verabscheuen. Die hassen uns wirklich aus vollster Seele.« Flora nickte. »Das wundert mich nicht.« »Tja, so läuft das eben«, murmelte Jan. »Das ist Team building. Der gemeinsame Hass auf uns bringt sie enger zusammen.« Flora zwinkerte. »Ich hätte ja nicht gedacht, dass diese Taktik funktioniert. So ausgedrückt, klingt es allerdings logisch. Aber eure Jungen bekommen von euch doch Wurstbrötchen!« Charlie zuckte mit den Achseln. »Diese Jungen bekom men von uns, was auch immer wir ihnen geben können … Aber in Ordnung, mach uns mal fünfzehn von euren einfachsten Sandwiches zum Mitnehmen fertig, für später. Du kannst auch gerne das Brot von gestern dafür nehmen, wenn du willst.« 14
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»Das werd ich bestimmt nicht!«, rief Flora entsetzt aus. »… und schlag dafür bitte noch was auf den Preis drauf.« »Das muss doch nicht sein«, warf nun Jan ein. »Doch, mach das mal, Yarta«, bestätigte Charlie. Das war eine in der Gegend übliche liebevolle Anrede. Leider bedeutete sie »mein Schatz« und war ihm entschlüpft, bevor er es merkte. Jan starrte ihn an, und Flora verzog gequält das Gesicht, als sie seine Teetasse wieder entgegennahm (die nur für ihn bestimmt war und hinten im Laden an einem Regalbrett hing). (…)
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Kapitel 9 Ein Gutes hatte es ja, schwanger zu sein, dachte Flora am nächsten Morgen, man lag abends nicht grübelnd wach. Sobald ihr Kopf das Kissen berührte, war sie weg, als hätte man einen Schalter umgelegt. Es lag vermutlich zu gleichen Teilen an der Schwangerschaft und daran, dass sie keinen Gin Tonic mehr aus Inge-Britts schmutzigen Gläsern trank. Mit einem Seufzen tapste sie auf dicken Socken durch die Küche und dachte neidisch an Lornas Wohnung. Da gab es in der Küche Fußbodenheizung, und Flora zog bei ihren Besuchen immer sofort die Schuhe aus. Es war echter Luxus. Jetzt goss sie sich eine Tasse Tee ein. Joel würde am nächsten Tag nach Hause kommen, und dann würde sie endlich mit ihm reden können. Nur noch ein Tag. Sie würde nur noch einen Tag überstehen müssen. Als sie in ihrem Café ankam, traf sie Isla und Iona kichernd und aufgeregt an. »Was ist denn mit euch beiden los?«, fragte sie miss trauisch. Die beiden waren total jungsverrückt und hatten nichts als Unsinn im Kopf. Es konnte also alles Mögliche sein, 16
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würde aber wohl auf jeden Fall mit dem anderen Ge schlecht zu tun haben. Iona lief rot an. »Nichts. Gar nichts, alles ist gut. Wir hatten gestern einfach einen guten Umsatz.« Flora warf einen Blick in den Safe. Das hatten sie für diese Jahreszeit wirklich. »Ist etwa einer von Charlies An wälten getürmt und hier gelandet?« Es kam durchaus von Zeit zu Zeit vor, dass einer aus Teàrlachs Gruppe ausscherte, sich durch Wind und Wetter vom Inselinneren an die Küste kämpfte und dann im Café landete, wo er mit einem Käsesandwich und einem Schäl chen heißer Suppe in einer Ecke kauerte, bis seine Hände zu zittern aufhörten. Flora hatte genug Mitleid, um ihnen etwas Leckeres vorzusetzen. Wenn Charlie auf der Suche nach den Ausreißern anrief, verpfiff sie sie aber doch, denn so weit ging die Liebe dann auch wieder nicht. Jetzt schüttelte Isla den Kopf. »Nein, von den Anwälten war es keiner. Sondern …« »Pscht!«, brachte Iona sie zum Schweigen. »Okay«, murmelte Isla. »Ja, klar. Pscht.« Flora ignorierte die beiden und warf einen Blick auf den Kalender. »Ach du meine Güte«, stöhnte sie, »ich muss mich um die Planung für das Fest nach dem Krippenspiel kümmern. Das ist ja bald.« In der Zeit, in der ihre Mutter vier schulpflichtige Kinder hatte, hatte sie eine Tradition ins Leben gerufen. Nach dem 17
Krippenspiel waren immer alle zum Hof herübergekommen, um zusammen zu feiern, und seitdem war das auf der Insel ein fester Termin im Dezember. »Wirst du da auch tanzen?«, fragte Isla. Flora schüttelte den Kopf. Sie hatte das sichere Gefühl, dass ihre Tage als Highland-Tänzerin gezählt waren. »Himmel, nein«, sagte sie. »Aber ihr könnt gerne.« »Mir bleibt auch gar keine andere Wahl«, erklärte Isla betrübt. »Mrs Kennedy hat mich bereits in die Mangel ge nommen.« »Ach, tatsächlich?«, fragte Flora. Sie selbst war von ih rer unbarmherzigen Tanzlehrerin dieses Jahr nicht gefragt worden. Sah man es ihr etwa schon an? Nein, das war unmöglich. Das konnte doch gar nicht sein. »Na ja, ist ja auch egal. Für uns ist entscheidend, dass wir dafür dreihundert Mince Pies vorbereiten müssen.« Die Mädchen stöhnten. »Es isst doch jeder gerne selbst gebackene Mince Pies.« »Ja, die sind aber …« Flora wusste schon, worauf sie hinauswollten. Wenn man die Füllung lange in der Marinade ließ, wurde sie pappig und klebrig, und die kleinen Rindertalgfitzelchen blieben am Rand kleben. Den Teig bei so vielen kleinen Portionen locker und luftig hinzubekommen war nicht unbedingt schwierig – aber das Ganze war furchtbar monoton. »Na, dann mal los«, rief Flora aufmunternd, während sie frisch gebackenen Kuchen aus dem Ofen zog und für 18
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gut befand. »Jeder macht hundert. Gott, nein, das klingt ja genauso schlimm. Vielleicht probieren wir es mal mit Fließbandproduktion?« Jetzt warf sie einen kurzen Blick auf die Bilanz vom Vortag. »Wisst ihr was, am besten bleibt ihr an einem Abend länger und rechnet das zum anderthalbfachen Satz ab.« Das besänftigte die Mädchen ein wenig, und Flora ging zur Tür hinüber, um das Schild auf »Geöffnet« zu drehen. Gegen elf Uhr fingen ihre beiden jungen Angestellten wie der mit dem Gekicher an. Flora war hinten in der Küche. Du liebe Güte, wie konnte sie bloß immer noch so müde sein? Sie hatte doch ungefähr neun Stunden geschlafen. Also goss sie sich noch eine Tasse Kaffee ein. Obwohl sie inzwischen auf koffeinfrei umgestie gen war, ließ sich ihr Körper damit ja vielleicht überlisten. Dann hörte sie die schweren Schritte von Männern draußen im Hauptraum – von vielen Männern, so, wie es klang. Flora warf einen Blick zur Tür hinaus. Vor der Theke stand eine Truppe ein wenig unbeholfen wirkender junger Burschen. Sie hatten alle kurz geschorenes Haar und trugen lange, schwere Mäntel. Alle waren sehr blass, und viele von ihnen groß und gut aussehend mit hohen Wangenknochen. Isla und Iona standen grinsend bei der Verkaufstheke, und selbst die Strickerinnen der Fair-Isle-Gruppe schienen ihren Nadeln einen Moment ruhen zu lassen. 19
»Hallo«, sagte Flora fröhlich. Seine Mütze in der Hand, trat der Anführer der Gruppe mit verlegenem Blick einen Schritt vor. »Wir möchten … siebzehn …« Er deutete auf das Früchtebrot. Als sie seinen starken Akzent bemerkte, schaute Flora ihn sich genauer an. Plötzlich hatte sie eine Ahnung, wo sie herkamen. »Da, natürlich«, sagte sie lächelnd. Der junge Mann wirkte verblüfft. »Sie kommen doch aus Russland, oder?« Unter den Männern brach eine gedämpfte Debatte in einer Sprache aus, bei der es sich offensichtlich um Rus sisch handelte. »Da«, sagte der Mann schließlich widerwillig. Isla und Iona kriegten sich vor Kichern kaum ein, während sie die Stücke vom Früchtebrot in eine große Tüte packten. Bei Floras Stammkunden würde es heute Nachmittag enttäuschte Gesichter geben. »Fischer?«, fragte Iona. Diese Typen waren so offensichtlich keine Fischer, dass Flora beinahe laut aufgelacht hätte. Sie trugen zum Bei spiel alle Militärmäntel. »Da. Da. Fischer«, stammelte der Mann und lief rot an, als die Mädchen weiterglucksten. Flora nickte fröhlich. »Fischer also.« Sie wusste, dass sie große Probleme bekommen konnten, wenn jemand mal ernsthaft der Frage nachging, ob es hier 20
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in der Gegend eigentlich AtomUBoote gab. Daher hakte man besser nicht nach. Der attraktive junge Mann bedankte sich, bezahlte und wandte sich schon zum Gehen, da rannte Iona mit krebs roten Wangen zu ihm hinüber und drückte ihm einen Flyer für die Murer Weihnachtsfeier in die Hand.
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Shortbread Wenn ihr schottische Rezepte ausprobiert, darf Shortbread natürlich nicht fehlen. Es ist ganz einfach, deshalb können auch Kinder gut mitmachen. Wenn ihr nicht an Fintans un gesalzene Butter kommt, kauft die hochwertigste, die ihr euch leisten könnt. 150 g hochwertige Butter 60 g feiner Streuzucker 200 g Mehl Den Ofen auf 180°C vorheizen und ein Blech mit Back papier auslegen. Zucker und Butter cremig rühren, dann mit dem Mehl zu einem Teig verarbeiten. Den Teig etwa einen Zenti meter dick ausrollen und in die gewünschte Form schneiden – werdet dabei kreativ (oder seid so faul wie ich und stecht einfach mit einem Glas Kreise aus! ) Streut noch ein bisschen zusätzlichen Zucker darauf und stellt die ausgestochenen Teigelemente mindestens eine halbe Stunde in den Kühlschrank, sonst werden sie beim Backen nichts. Schiebt sie dann etwa 20 Minuten in den Ofen oder bis sie goldbraun sind und lecker aussehen. 22
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ISBN 978-3-492-31510-4
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978-3-86952-396-5 Erscheint zeitgleich als Hörbuch. Hier geht’s zur Hörprobe:
Ein Roman wie
Weihnachts- Shortbread und Früchtekuchen
EAN 4043725004225
Winterzeit auf der Insel Mure ist wunderbar! Während draußen Stürme toben, kuschelt man sich vor dem Kamin so richtig ein, mit Menschen, die man liebt, und genießt regionale Köstlichkeiten von Weihnachts-Shortbread bis Whiskypunsch. Doch der Zauber der Vorweihnachtszeit kann sich nicht so recht entfalten, wenn man ungeplant vom Ex-Boss und heutigen Liebsten schwanger ist und nicht weiß, wie man es ihm sagen soll. Für Flora, in deren Café die Vorweihnachtszeit eigentlich ein Fest voller Wärme, Düfte und Atmosphäre sein könnte, beginnt ein Ringen mit sich selbst und ein Warten auf den richtigen Moment ... Mit bester Empfehlung von: