Evagrius ponticus die große widerrede antirrhetikos

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Evagrius Ponticus

Die große Widerrede A N T I R R H E T I KO S

übersetzt von Leo Trunk mit einer Einführung von Anselm Grün und Fidelis Ruppert

Quellen der Spiritualität Band ͟

Vier-Türme-Verlag


INHALT

Einführung 6 Leben und Werk des Evagrius PonƟcus 7 Das Leben des Evagrius 7 Das Werk des Evagrius 9 Die Lehre des Evagrius PonƟcus 11 Die Acht-Laster-Lehre 11 Gedanken und Dämonen 13 Die Arten der Dämonen 14 Der Kampf mit den Dämonen 25 Die antirrhetische Methode 26 Der AnƟrrheƟkos 28 Zur vorliegenden Ausgabe 28 Ein Handbuch für geistliche Begleiter 29 Beispiele für die antirrhetische Methode im Antirrhetikos 31 Lukios, Brief an Evagrius 36 Evagrius, Vierter Brief 37 AnƟrrheƟkos: Wort des Evagrius über die acht Gedanken 40 ERSTES WORT Gegen die Gedanken der Völlerei 44 ZWEITES WORT Gegen die Gedanken der Unzucht 61 DRITTES WORT Über die Geldgier 79 VIERTES WORT Über die Gedanken des Dämons Traurigkeit 93 FÜNFTES WORT Gegen den Dämon Zorn 113 SECHSTES WORT Gegen die Gedanken des Dämons Unlust 128 SIEBTES WORT Gegen die Gedanken vonseiten des Dämons der eitlen Ruhmsucht 144 ACHTES WORT Gegen die verfluchten Gedanken des Stolzes 156 Anmerkungen 172


Einführung P. Anselm Grün OSB P. Fidelis Ruppert OSB

Unsere Zeit bietet, nicht nur im spirituellen Bereich, vielfältige Angebote, Möglichkeiten und Wege. Zahlreiche Menschen sehnen sich deshalb nach einer Orientierung und nach den Grundlagen unseres Lebens und Glaubens. So ist es nicht verwunderlich, dass die über eintausendsechshundert Jahre alten Texte des Evagrius Ponticus von vielen als eine wertvolle Quelle wiederentdeckt wurden – schließlich wurden insbesondere die Texte des »Antirrhetikos« aus genau diesem Grund verfasst: Als Antwort an den Mönch Lukios, der Evagrius um ebensolche Anweisungen und Orientierungen für das Leben gebeten hatte. Evagrius war mit seinen Schriften der Erste, der eine Art Gesamtschau des monastischen Lebensweges vorgelegt hat – dennoch sind seine Texte in ihrer einfachen Sprache heute noch verständlich. In unserer folgenden Einführung in das Leben und Werk des Evagrius und speziell in den Antirrhetikos, wird eines besonders deutlich: seine Gabe, genau hinzusehen, den Menschen so zu sehen, wie er ist, mit all seinen Leidenschaften, Wünschen und Schwächen. In ihrer Geradlinigkeit, feinfühlig, jedoch ehrlich, helfen so die Schriften des Evagrius auch heute noch, die Grundproblematiken und Grundbewegungen des menschlichen Herzens zu erkennen und dementsprechend zu handeln. ͤ


Die Lehre des Evagrius PonƟcus Die Acht-Laster-Lehre Die Acht-Laster-Lehre, die von Evagrius Ponticus und Johannes Cassianus entfaltet wurde, ist ein interessantes Kapitel monastischer Psychologie. Sie geht davon aus, dass es im Menschen acht grundlegende Bestrebungen gibt, die ihn von seiner inneren Bestimmung und von Gott wegführen möchten, die sogenannten »acht Gedanken« oder »acht bösen Gedanken« beziehungsweise Laster: Völlerei, Unkeuschheit, Geldgier, Zorn, Traurigkeit, (geistliche) Lustlosigkeit, eitle Ruhmsucht und Stolz. Diese »Gedanken« sind Grundtendenzen, Bestrebungen und Leidenschaften im Herzen des Menschen, die als Quelle von vielen anderen Übeln und Sünden betrachtet werden. Jedem dieser acht Laster ordnet Evagrius einen Dämon zu. Da diese Liste sehr praktisch war, um die inneren Probleme des Menschen zu beschreiben, wurde dieses Schema in den folgenden Jahrhunderten sehr populär, so erscheint sie später auch bei Climacus, Maximus Confessor und anderen. Aus den »acht bösen Gedanken« wurde dann der Acht-Laster-Katalog beziehungsweise noch später das Schema der sieben Hauptsünden (wobei die Liste um die Traurigkeit gekürzt wurde). Man hat damit das sündige Verhalten der Menschen beschrieben und vor diesen Sünden gewarnt. Damit war aus den »acht Gedanken« ein Moralschema geworden, während Evagrius mit seinen »acht Gedanken« eigentlich eine geistlich-pädagogische Absicht verfolgte, nämlich seinen Mönchen zu helfen, die ͟​͟


Hintergründe ihrer Sehnsüchte, Leidenschaften und Fehlverhalten besser zu durchschauen und ihnen ein Handwerkszeug an die Hand zu geben, um diese destruktiven Bestrebungen der Seele zu läutern, zu heilen und sie in eine positive Richtung zu lenken – auf dem Weg zu Kontemplation und geistlicher Reife. Evagrius betont immer wieder, dass es sich bei diesen »Gedanken« nicht um Sünden handelt, sondern dass es zunächst mal nur Gedanken sind, oft aber energiegeladene Gedanken, also Emotionen, Leidenschaften usw., die im Herzen des Menschen wach werden, ob er das will oder nicht. Solche Gedanken oder Emotionen oder leidenschaftlichen Gefühle zu haben oder nicht zu haben liegt nicht in der Macht des Menschen. Es hängt vom Menschen, von seiner Freiheit ab, ob er sich auf diese negativen Impulse dann einlässt und sündigt oder ob er sie überwindet und freier wird. Evagrius möchte die Mönche lehren, diese inneren Bewegungen und Bestrebungen ihrer Seele zu verstehen, sie rechtzeitig wahrzunehmen und in geeigneter Weise damit umzugehen. Dann werden sie nicht mehr von ihren inneren Bestrebungen dominiert, sondern können in eine innere Freiheit und Ruhe gelangen, damit kontemplatives Beten möglich wird. Den Praktikos als eine Art geistlicher Psychologie hat Evagrius nicht völlig neu erfunden, sondern verschiedene Studien haben gezeigt, dass vieles schon bei Origenes und bereits bei den griechischen Philosophen zu finden ist, die ihre Schüler zu lehren pflegten, wie sie ihre Seele von den unlauteren Bestrebungen reinigen und so den Weg zum inneren Frieden und zur Weisheit finden konnten. Das erklärte Ziel des Evagrius ist es also, den Mönchen zu helfen, das innere Durcheinander ihrer Seelen zu reinigen und zu heilen, damit das reine, kontemplative Gebet möglich wird. Er hat also eine rein kontemplative Absicht. Gleichzeitig ist dieser Reinigungsweg aber auch ein Entwicklungsweg, der zu einer ͟͠


reifen und weisen Persönlichkeit führt, was sich auch im friedlichen und heilenden Umgang mit den Mitmenschen auswirkt. Gedanken und Dämonen Wenn Evagrius von den »Gedanken« spricht, dann spricht er oft auch von Dämonen. Gute Gedanken werden nach seiner Auffassung durch Engel eingegeben, schlechte Gedanken durch Dämonen. So kann Evagrius zum Beispiel sagen, dass ein Mönch von Gedanken der Unkeuschheit heimgesucht wird, oder er kann sagen, dass der Dämon der Unkeuschheit den Mönch aufstachelt. Das ist für ihn dasselbe. Wie immer wir diese Lehre über die Dämonen einschätzen wollen, Tatsache ist, dass moderne Psychologen, die sich mit Evagrius befassen, in dieser dämonologischen Deutung eine Hilfe für die Mönche sehen: Sie identifizieren sich zunächst nicht mit diesen Gedanken und Emotionen, sie betrachten sie als etwas, was auf sie zukommt. Dadurch haben sie eine gewisse Distanz von ihren Emotionen und Gedanken, sie können ihnen gegenüber Stellung beziehen und sind ihnen nicht einfach ausgeliefert. Evagrius ist der Meinung, dass der Mensch genug Distanz und Freiheit gegenüber andrängenden Gedanken und Emotionen haben und ihnen widerstehen und mit ihnen in reifer Weise umgehen kann. Das ist nicht einfach, aber möglich. Und es ist Aufgabe des Mönches, die entsprechenden Techniken und Praktiken zu erlernen, um diesen »geistlichen Kampf« bestehen zu können. Er spricht oft davon, dass die Dämonen Krieg gegen uns führen, wir aber in der Kraft Christi und mit den entsprechenden Waffen diesen geistlichen Kampf gewinnen können. Evagrius hat also ein sehr positives und gesundes Menschenbild und sagt immer wieder, dass wir in der Kraft des Erlösers immer stärker sind als die Dämonen. Aber wir müssen wachsam sein und bereit zum Kämpfen. ͟͡


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