Jeremias Schröder
Leichtes Gepäck beflügelt den Schritt Aus dem Tagebuch eines Benediktinerabtes
Vier-Türme-Verlag
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INHALT
ALLTÄGLICHE HERAUSFORDERUNGEN ͩ
Weglassen – ist weniger mehr? ͩ Ordnung muss sein! ͣ͢ Koffer packen ͣͥ Vom richtigen Lesen ͣͧ Vom Schwindel ͣͪ Zum Alltag berufen? ͤͣ Träumt nur! ͤͦ Jeder Tag ein schöner Tag? ͤͩ KLÖSTERLICHE TUGENDEN ͥ͢
Pfortenweisheit ͥ͢ Turmzeichen zum Gebet ͥͥ Die Inspiration des Lesens ͥͧ Beten, arbeiten und lesen! ͥͪ Verweltlichung noch aktuell? ͦͣ Jugendwahn und Altersweisheit ͦͦ Der Tod – täglich vor Augen? ͦͩ Wo gibt es Anders-Orte? ͧ͢ Heimsuchung Offenbarung ͧͥ Was steckt wirklich hinter Berufung? ͧͨ MENSCHLICHE SCHWÄCHEN ͧͪ
Den Alltag durchbrechen ͧͪ Positive versus negative Neugier ͨͣ Gamaliels Urteil ͨͦ
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KIRCHLICHE SCHÄTZE ͨͩ
Darf man so beten? ͨͩ Erinnerungen – sind sie wirklich wichtig? ͩ͢ Darf es auch mit kleinen Brüchen sein? ͩͥ Gnade, Gericht und Hyperlinks ͩͨ Der Engel für Charly ͩͫ Hitzewelle ͪͤ Vatertag ͪͧ Konflikte zur Reinigung? ͪͪ Sehen Christen traurig aus? ͫͣ JÄHRLICHE FEIERN ͫͦ
Zu viel Euphorie? ͫͦ Porta Sancta ͫͩ Nach dem Fest ͣ͢͢ Carne Vale ͣͥ͢ Das Aschekreuz ͣͨ͢ Fastenzeitliches ͣͫ͢ Passion ͣͣͤ An der Grenze ͣͣͧ Ja, Mai! ͣͣͪ Ausbruch aus der Einzelzelle ͣͤͣ Ars moriendi – die Kunst zu sterben ͣͤͦ WELTWEITER HORIZONT ͣͤͩ
Lernen von Afrika ͣͤͩ Freiheit? ͣͥͣ Mission – immer noch aktuell? ͣͥͦ Mitleid ͣͥͩ Zum Anfassen ͣͦ͢
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Alltägliche Herausforderungen
Weglassen – ist weniger mehr? Auf dem Jakobsweg, dem jahrhundertealten Pilgerweg nach Santiago de Compostela, gibt es in den Hügeln kurz vor dem Erreichen der Provinz Galizien ein kleines Kloster der Missionsbenediktiner. Die dortige Gemeinschaft widmet sich der Seelsorge an den Wallfahrern, von denen vor allem in den Sommermonaten jeden Tag einige hundert zu Fuß oder mit dem Fahrrad das Dorf Rabanal erreichen. Ich versuche, jedes Jahr ungefähr eine Woche dort mitzuleben, um den Mitbrüdern bei der Betreuung der Pilger zu helfen. Und ich bin beeindruckt von den Strapazen, die viele auf sich genommen haben, um diesen Weg zu gehen, der auch ein Weg zu größerer Tiefe und Innerlichkeit ist. Diese Pilger sind Meister der Beschränkung. Wer mit dem Auto reist oder das Gepäck im Transporter vorausschickt, wird nicht als offizieller Pilger in Santiago anerkannt. Deshalb heißt es, alles, was man für eine mehrwöchige Wallfahrt braucht, im Rucksack zu verstauen | 7
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und jenen mit sich zu tragen: bergauf und bergab, auf den hitzedurchglühten Strecken in der Ebene und bei Regengüssen. Beim Eintreffen in der Pilgerherberge, die meistens erst am Nachmittag öffnet, stellen dann alle ihre Rucksäcke ordentlich in eine Reihe, denn die Betten werden nach dieser Reihenfolge vergeben. Und da staunt man dann, mit wie wenig manch einer unterwegs ist. Aber selbst die Pilger mit großen Trecking-Rucksäcken brauchen hier unvergleichlich viel weniger, als sie sonst zu Hause haben. In meinen Augen ist das eine dieser kostbaren Pilgererfahrungen: mit wie wenig es eigentlich auch geht. Und jeder Wallfahrer weiß, dass das geringere Gepäck ja nicht eine Verarmung bedeutet, sondern eine Erleichterung. Leichtes Gepäck beflügelt den Schritt und hilft, sich besser auf das Wesentliche zu konzentrieren. Nach der Rückkehr von so einer Jakobsweg-Erfahrung überfällt einen das gewöhnliche Leben mit seinem Lärm und den vielen Dingen, die weniger notwendig sind als die Überlebensausstattung im Rucksack. Selbst einem doch recht anspruchslos lebenden Benediktiner fällt einiges auf, das noch entbehrlich wäre. Das ist aber eigentlich nur eine persönliche Wiederentdeckung unserer weisen Ordensregel: Zunächst gibt es in ihr diese erstaunliche Liebe zum Detail, die aus echtem Alltagsbezug kommt. Da ist eben nicht nur von der Gottesliebe die Rede, sondern auch von unscheinbaren Kleinigkeiten, vom Griffel und vom Bettzeug. Aber dieser Blick für die konkreten Alltäglichkeiten führt nicht zu einer kleinlichen Einheitsaskese. Die Re8 |
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gel gesteht jedem das zu, was er zu brauchen meint – solange es halbwegs vernünftig ist. Aber sie warnt dann auch, dass der, der in dieser Weise mehr braucht, sich deshalb nicht überheben soll. Im Gegenteil, er muss einsehen, dass dieses »Mehr« ein Zeichen seiner Schwäche ist, eher Grund zur Demut als zum Stolz. Wallfahrer, Mönche und jeder, der erkannt hat, dass das ganze Leben ein Pilgerweg ist, sollen möglichst unbeschwert gehen. Das ist keine neue Einsicht, und sie ist auch gar nicht selten. Unter den deutschen Sachbuch-Bestsellern steht zur Zeit ein Buch ganz vorn, das schon im Titel rät: »Simplify your life«. Der Autor, ein evangelischer Theologe, gibt gute Anregungen fürs Weglassen, für eine Vereinfachung unseres Lebens, die uns wieder Zeit fürs Wesentliche lässt. Eine Gefahr bleibt allerdings: Manch einer, der alles wegvereinfacht hat, steht am Schluss vor einer großen Leere. Die vielen unnützen Dinge in unserem Leben, die füllen ja auch Zeit und Raum um uns herum aus und verdecken gelegentlich, dass da in der Mitte gar nicht viel übrig geblieben ist. Aber ohne so eine Mitte ist alles umsonst. Der Mönch, der sich frei macht von Unnötigem, will leer werden, damit Gott ihn besser füllen kann. Und der Pilger, der Lasten ablegt, hat immer sein Ziel vor Augen und weiß, dass er unbeschwert besser dorthin gelangt.
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Ordnung muss sein! Beim Blick auf meinen Schreibtisch wäre »Ordnung müsste sein« vielleicht angebrachter. Einige Briefe, die noch der Beantwortung harren, lugen da unter Aktendeckeln hervor, zwischendrin ein Stempelkissen – zum Glück zugeklappt. Die Computermaus steht auf einem Stapel von Unterlagen, der auch noch durchzulesen wäre ... Bei der Ordnung, über die ich heute schreiben möchte, geht es aber nicht darum, dass die Schreibtischoberflächen makellos glatt sind, oder dass die Bücher im Regal nach Rückenhöhe sortiert sind. Es geht eigentlich darum, dass wir erkennen, wo die Dinge in unserem Leben hingehören. Tief in den meisten von uns steckt ja diese Empfindung, diese Urwahrnehmung, dass wir eigentlich Teil einer großen Harmonie sind, dass wir mit der Schöpfung mitschwingen, mitklingen sollen, und dass es uns am besten geht, wenn wir mit der Welt um uns übereinstimmen. Dieses Übereinstimmen soll dabei nicht eine rückgratlose Verbiegbarkeit sein, sondern auch etwas Neues und Eigenes, eine Bereicherung: wie ein Instrument, das harmonisch zu einem Ensemble dazukommt. Aber wie diese Harmonie finden? Mancher beginnt auf dem Esoterikmarkt zu suchen, studiert Feng Shui oder was auch immer gerade als die letzte Heilslehre angepriesen wird. Aber wonach sich unsere Seele insge10 |
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heim wirklich sehnt, das ist etwas viel bodenständigeres, im Grunde auch heimischeres; es ist das, was unsere Vorfahren »ordo« genannt haben, die Ordnung eben. »Ordo« ist verwandt mit dem lateinischen Wort für Ursprung. Es hat also nichts mit »Schema F« oder einem saubergekehrten Kasernenhof zu tun. Vielmehr geht es um unsere Quellen, um Regeln und Gesetze, die aus unserer Natur stammen und der Entfaltung und dem Erhalt des Lebens dienen. Ein Lehrbuch dieser so verstandenen Ordnung ist die Regel des heiligen Benedikt (geschrieben um 529). Sie versucht, uns Mönchen bei der ordnenden Gestaltung des Tageslaufes und des ganzen Lebens zu helfen. Da ist der Rhythmus von Gebet, Arbeit und Lesung. Da wird erklärt, wie die Mitbrüder einander verbunden sind: in Liebe und Zuneigung, aber auch in Respekt und Ehrfurcht. Da finden sich auch Gedanken dazu, wie man die gestörte Ordnung – etwa bei einem Streit – wieder ins Lot bekommen kann. Denn aus der guten Ordnung kommt Frieden. Aber dieses Streben nach Ordnung ist nicht nur für Klosterleute gedacht. Es gilt überall, wo Christen, ja eigentlich, wo Menschen ihr Leben in die Hand nehmen wollen. Einer, der sich damit beschäftigt hat, ist der gute alte Pfarrer Kneipp von Bad Wörishofen. Bekannt geworden ist er ja vor allem als Berater in Gesundheitsfragen und als Heiler, und man hat ihn darum auch »Wohltäter der Menschheit« genannt. Aber in seinem Heilen steckte nicht nur kaltes Wasser, sondern auch sehr viel tiefe Erkenntnis von dieser tiefen Ordnung, | 11
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ohne die alles bei uns in Unordnung gerät, der Stoffwechsel des Leibes und der Haushalt des Geistes und der Seele. Die fünfte Säule der Gesundheitslehre des Sebastian Kneipp ist die sogenannte Ordnungstherapie: Der Patient kann nur gesunden, wenn er in seinem Leben das Gleichgewicht und die Harmonie der Natur wieder herstellt. Konkret heißt das: die rechte Menge an Schlaf und Essen, Bewegung, Abwechslung, Freude. Bei den meisten dieser Dinge – Freude ist eine Ausnahme – gibt es ein Zuviel und ein Zuwenig. Das Zuwenig – an Essen, an Schlaf –, das kann eine kurze Zeit der Ertüchtigung dienen. Das Zuviel schadet eigentlich immer. Auf lange Sicht gibt es für jeden das rechte Maß, und wer dieses Maß dauerhaft verfehlt, dem ergeht es schlecht. Als sehr junger Mönch und Theologiestudent hatte ich einen tüchtigen Beichtvater, der sich meine langen Schilderungen einer sich nahenden großen Krise zunächst geduldig anhörte, mir dann fest in die Augen sah und sagte: Wie viele Stunden schläfst du eigentlich jede Nacht? Die Antwort befriedigte ihn nicht, und er sagte mir, ich solle eine Stunde früher ins Bett gehen. Da war die Ordnung meines Leibes wieder hergestellt, und nun konnte auch der Geist und die Seele wieder das je ihre tun. Ordnung muss sein!
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