Joan Chittister
Nimm diese Regel als Anfang Die Benediktsregel als Leitfaden für das Leben
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Marianne Steiger
Vier-Türme-Verlag
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Danksagung der Übersetzerin Die Übersetzung des Kommentars von Joan D. Chittister wurde möglich mit Unterstützung der Benediktinerinnen von der Heiligen Lioba in Freiburg-Günterstal. Mein besonderer Dank gilt Sr. Dr. Eoliba Greinemann OSB, der damaligen Priorin des Konvents. Großer Dank gebührt Bärbel Katz, die mit viel Umsicht und großer Geduld den Text verarbeitet und die vielen Änderungen und Umformulierungen eingearbeitet hat. Der Regeltext (Kursivschrift) wurde entnommen aus: Die Regel des Hl. Benedikt. Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz. 15. Auflage. Beuroner Kunstverlag, Beuron 1990. Die Leseabschnitte des vorliegenden Regeltextes (herausgegeben von der Salzburger Äbtekonferenz) mussten teilweise an die amerikanische Einteilung angepasst werden.
1. Auflage 2008 © Vier-Türme GmbH – Verlag, Münsterschwarzach 2008 Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Christian Schrödl, Thomas H. Böhm Umschlaggestaltung: Morian & Bayer-Eynck, Coesfeld Umschlagmotiv: Gernot Candolini, Innsbruck Gesamtherstellung: Friedrich Pustet KG, Regensburg ISBN 978-3-89680-355-9 www.vier-tuerme-verlag.de
Inhaltsverzeichnis Danksagung
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Einleitung
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Die Regel des heiligen Benedikt
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Prolog 1. Die Arten der Mönche 2. Der Abt 3. Die Einberufung der Brüder zum Rat 4. Die Werkzeuge der geistlichen Kunst 5. Der Gehorsam 6. Die Schweigsamkeit 7. Die Demut 8. Der Gottesdienst in der Nacht 9. Die Ordnung der Vigilien im Winter 10. Die Ordnung der Vigilien im Sommer 11. Die Ordnung der Vigilien am Sonntag 12. Die Laudes am Sonntag 13. Die Laudes an den Werktagen 14. Die Vigilien an den Festtagen 15. Die Zeiten für das Halleluja 16. Der Gottesdienst am Tage 17. Die Psalmen im Gottesdienst am Tage 18. Die Ordnung der Psalmen 19. Die Haltung beim Gottesdienst 20. Die Ehrfurcht beim Gebet 21. Die Dekane des Klosters 22. Die Nachtruhe der Mönche 23. Das Vorgehen bei Verfehlungen
16 31 37 52 55 63 67 69 87 89 91 92 94 95 97 98 99 101 102 105 106 107 109 111 5
24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 6
Die Ausschließung bei leichten Verfehlungen Die Ausschließung bei schweren Verfehlungen Unerlaubter Umgang mit Ausgeschlossenen Die Sorge des Abtes für die Ausgeschlossenen Die Unverbesserlichen Die Wiederaufnahme von Brüdern Die Strafe bei Mangel an Einsicht Der Cellerar des Klosters Werkzeug und Gerät des Klosters Eigenbesitz des Mönches Die Zuteilung des Notwendigen Der wöchentliche Dienst in der Küche Die kranken Brüder Alte und Kinder Der wöchentliche Dienst des Tischlesers Das Maß der Speise Das Maß des Getränkes Die Mahlzeiten Das Schweigen nach der Komplet Die Bußen für Unpünktlichkeit Die Bußen der Ausgeschlossenen Die Buße für Fehler im Oratorium Die Bußen für andere Verfehlungen Das Zeichen zum Gottesdienst Die Ordnung für Handarbeit und Lesung Die Fastenzeit Gebetszeiten außerhalb des Klosters Mahlzeiten außerhalb des Klosters Das Oratorium des Klosters Die Aufnahme der Gäste Die Annahme von Briefen und Geschenken Kleidung und Schuhe der Brüder Der Tisch des Abtes Mönche als Handwerker Die Ordnung bei der Aufnahme von Brüdern Die Aufnahme von Kindern
113 115 116 117 119 121 122 123 126 127 129 130 134 135 136 140 143 145 148 149 152 154 155 157 158 163 166 167 167 169 174 175 179 180 182 187
60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73.
Die Aufnahme von Priestern Die Aufnahme fremder Mönche Die Priester des Klosters Die Rangordnung in der Gemeinschaft Einsetzung und Dienst des Abtes Der Prior des Klosters Die Pförtner des Klosters Brüder auf Reisen Überforderung durch einen Auftrag Eigenmächtige Verteidigung eines Bruders Eigenmächtige Bestrafung eines Bruders Der gegenseitige Gehorsam Der gute Eifer der Mönche Die Regel als Anfang unseres Weges zur vollen Gerechtigkeit
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Danksagung Wie man weiß, sind Bücher, auch wenn sie nur von einem Autor geschrieben werden, das Produkt vieler. Bei meiner eigenen schriftstellerischen Tätigkeit bin ich ständig im Gespräch mit einer Reihe von Lektoren, die mit mir diskutieren und sich den Kopf zerbrechen und durch einen ersten Entwurf durchkämpfen. So wird der zweite Entwurf dank ihrer Anregungen für viele verständlicher. Die Lektoren dieses Buches waren besonders hilfreich. Ich danke jedem einzelnen für seine Zeit, seine Mühe und seinen Sachverstand. Die meisten ihrer Vorschläge habe ich übernommen, jedoch nicht alle, so dass Unzulänglichkeiten nicht auf sie zurückgehen. So habe ich – trotz dringender Empfehlung eines Lektors – keine Beispiele aus meinem eigenen Klosterleben hier angeführt, um einzelne Aussagen zu bekräftigen, weil ich der Auffassung war, dass der Regeltext selbst zu ehrwürdig ist, um ihn auf einen bestimmten Ort und dessen Tradition einzuengen. In diesem Buch geht es nicht um Joan Chittister und eine bestimmte Ordensgemeinschaft; es geht darum, jedem Menschen Zugang zur Regel zu ermöglichen und ihm ihr Potenzial zu erschließen – Ordensleuten und Nicht-Ordensleuten gleichermaßen. Auch habe ich nicht alle Geschichten und Sprichwörter zitiert, obwohl ich eine Literaturliste beigelegt habe, da dieselben Erzählungen in der Weltliteratur häufig vorkommen. Wenn es sich hierbei um eine falsche Einschätzung meinerseits handelt, trage ich dafür die volle Verantwortung. Dennoch waren die Randbemerkungen und Fragen eines jeden Lektors eine große Bereicherung für mich, und ich habe mich bemüht, sie nach und nach zu beantworten. Folgende Lektoren haben bei der Entstehung dieses Buches mitgewirkt: Gerald Trambley, Gene und Lisa Humenay, John and Karen Dwyer, Lawreuce Antoun SSJ, Mary Lou Kownackie OSB, Stephanie Campbell OSB, Patrick Henry, Br. Thomas Bezanson, Ann Marie Sweet OSB, Kathy Stevens und Diane Wilson. 9
Einigen Mitarbeitern gebührt besonderer Dank. Marlene Bertke OSB, die diese Arbeit von Anfang an begleitet hat, verdanke ich Genauigkeit, Stil und Folgerichtigkeit in allen meinen Arbeiten. Maureen Tobin OSB, Assistentin und Sekretärin, war für die Logistik zuständig und hielt mir den Rücken frei. Mary Grace Hanes OSB brachte den Text aus dem dunklen und komplizierten Innenleben eines Computers ans Tageslicht. John Farina, mein Verleger und der Urheber dieser Serie, hat mich ermutigt, beraten und einen großzügigen Handlungsrahmen gewährt. Ohne ihn wäre die Welt um einen Versuch ärmer, das Beste aus der westlichen Spiritualität neu zu beleben und unserer Zeit zugänglich zu machen. Was dieses Buch anderen Menschen zu geben vermag, weiß ich nicht. Mir brachte es in all den Monaten seines Entstehens Stunden der wohltuendsten Lectio meines Lebens. Dafür bin ich am meisten dankbar.
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Einleitung Diese Einleitung mag viele abschrecken. Denn es sind bereits so viele Kommentare zur Benediktsregel geschrieben worden, dass sich eine bestimmte Form etabliert hat und die Erwartungen groß sind. Wer sich für diese Art interessiert, mag von dem vorliegenden Buch enttäuscht sein. Es geht hier nicht in erster Linie um eine geschichtliche Erklärung der Benediktsregel. Viele Aspekte monastischer Gelehrsamkeit sind nicht enthalten: Zum Beispiel werden monastische Handschriften nicht verglichen; die Herkunft der Wörter wird nicht ergründet; die praktische Anwendung über die Jahrhunderte wird nicht erforscht. Es gibt zahlreiche Werke über die benediktinische Lehre, die auf diesen Gebieten sehr kompetent sind. Dieser Kommentar blickt lediglich voller Hochachtung und Staunen auf ein Dokument, das fast fünfzehnhundert Jahre überdauert hat und nach dem Abertausende von Menschen rund um die Welt leben – auch heute noch. Es stellt sich die Frage: Wie kann sich etwas so lange halten und welche Bedeutung, wenn überhaupt, hat es für den Durchschnittsmenschen unserer Tage, der sich täglich mit einer Kultur auseinandersetzen muss, in der Oberflächlichkeit und Verworrenheit vorherrschen? In diesem Buch sind im Wesentlichen zwei Argumente angeführt. Zum einen ist die benediktinische Spiritualität die Spiritualität des 21. Jahrhunderts, weil sie sich mit den Problemen unserer Zeit befasst: Verantwortlichkeit, zwischenmenschliche Beziehungen, Autorität, Gemeinschaft, Ausgewogenheit, Arbeit, Einfachheit, Gebet sowie seelische und geistige Entwicklung. Zum anderen beruht ihre Aktualität auf der Tatsache, dass es sich in erster Linie um eine Lebensweise und eine Geisteshaltung handelt und nicht um religiöse Vorschriften. Immerhin ist es der benediktinischen Lebensweise zu verdanken, dass das christliche Europa von den verheerenden Auswirkungen des dunklen Mittelalters verschont geblieben ist. In einem Zeitalter, das wieder auf dem besten Weg ist, sich selbst 11
zu zerstören, wäre die Welt gut beraten, danach zu fragen, wie dies verhindert werden kann. Diese frühe Mönchsregel gehört zu den Weisheitsüberlieferungen des Christentums und gründet in der Bibel, was ihre Inspiration und ihr Endziel betrifft. Weil sich die Regel häufig auf die Bibel bezieht, um ihren Standpunkt zu untermauern, und weil sie sich als Weisheitsliteratur mit dem Sinn und Zweck des Lebens befasst, werden die Zusammenhänge nicht näher erläutert. Vielmehr sollen die in der Regel vertretenen Standpunkte im Lichte der Weisheitsliteratur anderer Kulturen betrachtet werden, speziell der jüdischen Kultur, des Zen, des Taoismus, des Sufismus und Hinduismus. Wobei sich bei dieser Gegenüberstellung zeigt, dass sich Benedikt von Nursia in der Strömung von Denkern befand, die aus einer einzigen Tradition lebten, die allein die allgemeinen Grundwahrheiten des Lebens im Blick hatte. Die Regel Benedikts ist keine methodische Abhandlung über Theologie. Ihre Logik ist die Logik des in Christus gelebten täglichen Lebens. Dieser Kommentar betrachtet lediglich das Werk, Abschnitt für Abschnitt, und versucht, unter den Krusten von Sprache und Zeit das ihr zugrunde liegende Konzept und dessen Bedeutung für uns heute zu erklären. Es wird beispielsweise zu erklären versucht, warum Benedikt sich überhaupt mit der Rolle und Funktion des Pförtners eines Klosters befasste und was das hinsichtlich unseres Umgangs mit der Welt bedeuten könnte. Das eigentliche Anliegen dieses Buches ist es, ein aus dem Altertum stammendes Dokument dem modernen Leser zugänglich zu machen. Denn oft sucht er vergeblich nach einem spirituellen Gerüst, worauf er sein Leben aufbauen kann in einer Zeit, in der bekennende Frömmigkeit weitestgehend der Vergangenheit angehört und die grundlegenden Fragen des Lebens ungeklärter und drängender denn je sind. Da die Regel ebenso viele Jahrhunderte von Frauen wie von Männern gelebt wurde, war mir besonders daran gelegen, dass sich Frauen vom Text angesprochen fühlen. Deshalb habe ich die Regel redigiert und die übliche männliche Form durch die universale Sprachform ersetzt. Damit soll klar zum Ausdruck kommen, dass Spiritualität 12
weder ein männliches Privileg ist noch dass sie überwiegend bei Männern anzutreffen ist und dass Frauen genauso lange nach der benediktinischen Regel gelebt haben wie Männer. Gegenstand dieses Buches ist benediktinische Spiritualität, nicht männliches Benediktinertum. Benedikt von Nursia wurde im Jahre 480 geboren. Als Student in Rom wurde er der dekadenten Gesellschaft seiner Umgebung überdrüssig, und er verließ die Stadt, um etwa fünfzig Kilometer von Subiaco entfernt ein einfaches, spirituelles Leben als Einsiedler zu führen. Aber bald wurde er von den Menschen dieses Gebiets wie auch von Anhängern entdeckt, die ebenso wie er nach einer sinnvolleren Lebensweise suchten. Sie schlossen sich ihm an, und diese Vereinigungen sind der Ursprung monastischen Lebens, das sich schließlich über Europa ausbreiten sollte. In unseren Tagen gibt es über 1400 Benediktiner/-innen- und Zisterzienser/innen-Gemeinschaften, die unter dieser Regel leben. Diese Reflexionen beruhen auf einer vierzigjährigen persönlichen Erfahrung in monastischem Leben, von denen ich zwölf Jahre Priorin eines benediktinischen Klosters und acht Jahre Präsidentin einer Föderation war, die aus dreiundzwanzig unabhängigen Gemeinschaften bestand. Neben den Ordensleuten, die sich zur benediktinischen Lebensweise bekennen, gibt es weltweit unzählige Menschen, die inmitten einer chaotischen und widersprüchlichen Welt in der Regel ebenfalls einen Wegweiser und eine Grundlage für ihr eigenes Leben finden. In Anbetracht dessen ist der Text in datierte Leseabschnitte unterteilt, die das dreimalige Lesen vorsehen, so wie es Benedikt in Kapitel 58 für Anfänger vorschreibt. Dieses Buch wurde hauptsächlich für diese Menschen und Menschen wie sie geschrieben, um einen Text zugänglich zu machen, der über die Zeit hinweg für viele Menschen eine Lebensader gewesen ist.
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Die Regel des heiligen Benedikt Die Benediktsregel, alt wie sie ist, ist sehr eindringlich, aber auch insofern problematisch, als sie sich sehr einfach liest. Da gibt es nichts Verschlungenes, nichts Metaphysisches. Ganz im Gegenteil: sie ist direkt und eindeutig; der Text ist unkompliziert, die Sprache einfach, um einfache Bezüge zu einfachen Dingen herzustellen, die auch heute noch, nach 1500 Jahren, von Bedeutung sind. Deshalb kann man kaum missverstehen, was sie sagt. Es ist nicht verwunderlich, dass sie sich so lange gehalten hat. Aber gerade weil sie so schlicht, so klar in ihrer Gliederung und so unkompliziert in ihrer Konzeption ist, wird ihr Anliegen leicht als Agenda des 6. Jahrhunderts abgetan, und es ist ziemlich schwierig, ihren bleibenden Wert zu erkennen. Es ist wahrlich ein ehrliches, freimütiges Dokument, aber wie es scheint, nicht sehr relevant für eine Gesellschaft des 21. Jahrhunderts und deren Lebensstil. Für Leser, die sich mit dem Erbe mittelalterlicher Mystik, den Abhandlungen der Scholastiker und den theologischen Texten aus Jahrhunderten beschäftigt haben, ist es fast unbegreiflich, dass dieses nahezu 1500 Jahre alte kurze Dokument sich jetzt als eines der bedeutendsten spirituellen Handbücher aller Zeiten erweist. Bände wurden darüber geschrieben, aber dieser kleine bescheidene Text selbst muss geradezu enttäuschend sein in einer Kultur, in der alles imposant klingen und flott aussehen muss. Was ist es also, was die Benediktsregel dem 6. Jahrhundert sagt, das ihr nicht nur das Recht, sondern auch die Notwendigkeit verleiht, auch im 21. Jahrhundert gehört zu werden? Was hat es mit der Regel auf sich, dass sie in all den Jahrhunderten und verschiedenen Kulturen sowohl unverfälscht geblieben als auch unentbehrlich geworden ist? Die Antwort liegt sicherlich mehr in den Gedanken, mit denen sie sich befasst, und in der Einstellung, die sie bewirken 15