Meinrad dufner gottestäter die gefahr negativer gottesbilder

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Inhalt

1

»Gottestäter« – Herren des Glaubens . . . . 7

2

Die Bibel ist ein Bilderbuch . . . . . . . . 9 Die Grundierung der biblischen Bilder . . . . . 13

3

Religion braucht Ritus . . . . . . . . . . 19 Ritus ist Symbol, nicht Magie . . . . . . . . . . 26

4

Diener des Wortes . . . . . . . . . . . . 37

5

Gebet ist Beziehung . . . . . . . . . . . 45

6

Die »Seelenführer« . . . . . . . . . . . . 55

7

Gott ist ökumenisch. . . . . . . . . . . . 61

8

Apostel des Lammes . . . . . . . . . . . 71

9

Zur Desinfektion einmal Doxologie. . . . 79

10 Jedes Gebet .... . . . . . . . . . . . . . . 85 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . 87


2 Die Bibel ist ein Bilderbuch Da die Bibel so unmissverständlich warnt, sich ein Gottesbild zu machen, braucht sie Bilder, also eine Mehrzahl, eine Vielzahl an Bildern, die das Geheimnis umkreisen, tangieren, enthüllen und verhüllen zugleich. Daher finden sich in der Bibel Bilder und Gegenbilder, die einander die Waage halten. Hier werden Biografien entfaltet, an denen abzulesen ist, wie Gott am Menschen handelt, wie sich diese beiden miteinander, aneinander erfahren: der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott des David, der Vater des Jesus von Nazaret, der Gott der Apostelgeschichte. Es finden sich dort aber auch »Ikonen« von Gott, quasi archetypische Bilder. So wird er Vater oder Mutter genannt, er heißt König, Krieger, Hirte, Richter, Arzt, Heiland, Freund, manchmal auch Feind und Rächer und vieles mehr. Nicht zu vergessen: Er wird auch Liebhaber genannt. All diese Bilderfülle ist wahr, aber sie ist nicht die Wahrheit in Definition. Die Wahrheit ist ein offenes Bild, das sich nur im dialogischen Gespräch eröffnet. Ohne ein Gegenüber, das das Bild liest, deutet, mit 9


seiner eigenen Erfahrung füllt, kann sich das Bild nicht zeigen. So ist das Bild wie das Wort immer einem Übersetzungsprozess ausgeliefert. Auch das Wort ist nicht Definition oder objektive Festlegung. Es hat ebenso am Oszillieren der Wirklichkeit teil. Die Theologie verdirbt, wenn sie die Relativität der Sprache und des Argumentes vergisst. Sie beginnt, einen, ihren Götzen zu bauen. Es sind die Sprachen die Gott in sich verbergen und offenbaren. Meine Sprache gibt Gott nicht her.1 Da die Bibel einfach da ist und jede Begegnung mit ihr ebenso Gott enthüllt wie den Menschen, der sich ihm stellt, schwebt das Gespräch im Unmittelbaren. Man kann nicht sagen: Das muss so und jenes anders verstanden werden. Es ist nur herauszuhören, was die Begegnung anrichtet, ausrichtet, wohin sie richtet. Deshalb muss der wache Leser sich seiner eigenen Schablonen oder Raster oder Denkbahnen wie Erfahrungen bewusst sein. Diese bestimmen den Vorgang mit. Reden wir von Gott als »Vater«, so reden wir immer über unser jeweiliges persönlichstes Urbild, das lebendig wird, wenn der Name »Vater« gerufen wird. »König« ist ebenso ein solches Erfahrungswort, ähnlich wie »Fels« oder »Burg«. Das Gemeinte kann an der Bezeich10


nung Gottes als »weites Land« deutlich werden: dem einen ist es Freiheit und Freude, dem anderen macht es Angst. Zudem gibt es zeitbedingte Bilder, die wir Heutige so nicht mehr gelten lassen brauchen. Israels Gott war zunächst der Stammesgott, der existierte, um den Fremden zu drohen, der die Feinde hassen musste. Erst im Lauf der Religionsgeschichte reinigte sich die Gottesrede von Nationalismen und Regionalvorstellungen zur universalen Gottesrede, wie sie in der alttestamentlichen Prophetie und besonders von Jesus ausgesprochen wird. Das wird beispielsweise deutlich in der Rede des Paulus von den Sklaven. Heute ist Sklaverei allgemein geächtet, wir könnten nicht mehr unkritisch von Sklaventum reden. Die Todesstrafe war jahrhundertelang selbstverständlich und wurde nicht infrage gestellt. Das ist heute, nach all dem, wozu uns das 20. Jahrhundert die Augen geöffnet hat, nicht mehr der Fall. Wie im Menschenbild wesentliche Verschiebungen und Erweiterungen, aber auch neue Verengungen entstehen, so ergeht es auch der Rede und Anschauung von Gott. Für den Gottesredner ist es daher wichtig, sich dieser fragilen Qualität bewusst zu sein. Es scheint, die Gottdeutlichkeit spült sich ewig und unaufhaltsam aus dem Meer des Geheimnisses wie das Leben aus dem Watt. Und jeder ist Teil dieses Prozesses. Welche Bilder aber weckt der Prediger, der Lehrer, die Pfarrerin? Ich muss die eigene Bilderwelt kennen! Das ist natürlich eine große Anforderung, ein uferloses 11


6 Die »Seelenführer« Dass ein Titel wie »Seelenführer« sich etablieren konnte, ist beinahe unverständlich, denn im Evangelium heißt es eindeutig: »Lasst euch nicht Meister nennen, nur einer ist euer Meister, Christus« (Mt 23,7). Diese Gottunmittelbarkeit, die an einer Reihe von Stellen des Neuen Testamentes aufscheint, verdient, in Erinnerung gerufen zu werden. Wir erleben heute, dass die sogenannte geistliche Begleitung immer größeren Zuspruch erfährt. Eine solche Begleitung hat in Zeiten von Lebensumbrüchen und in intensiven Lebenszeiten großen Wert, sie kann jedoch nicht zu etwas wie einer »Dauerinfusion« werden. Für mich stellt sich dann die Frage, ob eine ständige geistliche Begleitung nicht geistlichen Infantilismus und Unselbstständigkeit fördert und beim zu Begleitenden verhindert, dass dieser selbst erwachsen wird. Stattdessen wird das Ausharren in diesem geistigen Zustand gepflegt. In der Verlagswelt spricht man in dieser Hinsicht von »Ratgeberliteratur«. Diese Sparte fährt 55


beträchtlichen Gewinn ein, weil die Unsicherheit im Umgang mit den verschiedensten Dingen und Situationen des Lebens immer größer wird. Gleichzeitig steigt das Sicherheitsbedürfnis ins Maßlose und vergrößert damit noch die Angst, die dahinter steht. Deshalb braucht es ständig Expertenmeinung, Bücher, die wissen, wie »man« es macht, Menschen, die Rat geben. Im Schwarzwald kennt man das Sprichwort: »Wer viel frägt, geht viel irr.« Die eigene Intuition und das eigene Urteil »verdünnen« sich, wenn sie zu wenig geübt und gebraucht werden. »Gottestäter« schwimmen auf der Welle dieser Hilflosigkeit. Sie gibt manchem selbsternannten Guru sein Gewicht. Schon seit meinen Kindertagen bin ich »Beichtvater«: Ich sehe mich auf langen Spaziergängen mit Klassenkameraden, die mir ihren Kummer erzählen. Mutlos gewordenen Mitschülern zeigte ich ihre verdeckten Stärken auf, ich entwarf mit ihnen »Sanierungsprogramme«. Streitende kamen, um mit meiner Hilfe wieder miteinander Frieden zu machen. Ich muss gestehen: Bei all dem kam ich mir recht gut vor. Es zeigte mir, wie wichtig ich war, es zeigte mir aber auch eine meiner Gaben und Fähigkeiten. Das half mir, schulische Schwächen nicht so ernst zu nehmen. In Vielem Helfer zu sein, relativierte die eigenen Schwächen und Ängste. Hier lauert jedoch die Gefahr, dem Helfersyndrom zu erliegen: Indem man anderen hilft, wird die eigene Hilflosigkeit übersehen oder gar verdrängt. Von heute aus betrachtet, bin ich für meine damalige »Bubensünde« dankbar. Sie hat 56


mir geholfen, dass keine Schulnote mein Selbstwertgefühl kränken konnte, sie hat mir überhaupt geholfen, Fremdbeurteilung stets der Eigenempfindung nachzuordnen. So habe ich die Schule erhobenen Hauptes bestanden. Ich hoffe, dass mein ichbeladenes Helfersein trotzdem auch manchmal taugte. Eine weitere Beobachtung zu diesem Thema betrifft ebenfalls das Verhältnis von Begleiter, Begleiterin und Klientel. Oft ist es fast augenfällig, dass das Klientel in einer Begleitung ziemlich homogen ist: fast ausschließlich depressive Menschen, die fast ausschließlich mit Beziehungsproblemen zu kämpfen haben; fast ausschließlich Menschen mit Entscheidungshemmungen, fast ausschließlich Menschen, die Probleme mit ihrer Sucht haben. Es lohnt sich sehr, die Spiegelung des Klientels anzuschauen, das heißt: Was sagt es über mich als Begleiter aus, dass diese Menschen gerade bei mir anklopfen? Dieses Anklopfen an sich ist nicht falsch, es muss dem betroffenen Begleiter, der Begleiterin aber bewusst sein. Die Affinität und Kompetenz auf einer Seite ist immer auch die Begrenzung und Schwäche auf der anderen Seite. Die Erfahrung zeigt, dass Helferkompetenz auch Helfermacht sein kann. Wir dürfen also nicht allzu blauäugig unseren altruistischen Motiven trauen. Das Vermögen als Heiler könnte die eigene Verwundbarkeit verdrängen helfen. Das Altertum kannte deshalb als Mahnwort: »Arzt, heile dich selbst.« Damit muss ein erster, unverzichtbarer Teil des eigenen Selbstbildes gemeint sein. Je57


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