Nikolaus nonn willkommen vom segen der gastfreundschaft

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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Was ist Gastfreundschaft? . . . . . . . . . . 11 Gastfreundschaft im Alten Testament . . . . . 15 Gastfreundschaft im Neuen Testament . . . . 21 Gastfreundschaft im jungen Christentum . . . 27 Die Zeit des frühen Mönchtums . . . . . . . . 29 Gastfreundschaft und Zuwendung in den Mönchsregeln des Basilius von Caesarea . . . 33 Die Aufnahme von Gästen in der Benediktsregel . . . . . . . . . . . . . 37 Das Umfeld des Gastkapitels . . . . . . . . . . . 37 Benedikts Verständnis von Gastfreundschaft im 53. Kapitel seiner Regel. . . . . . . . . . . . . . 42 Der Begriff der Gastfreundschaft in weiteren Kapiteln der Benediktsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Gastfreundschaft als Schlüssel zur eigenen Identität . . . . . . . . . . . . . 51


Erlebte Gastfreundschaft . . . . . . . . . . . 55 Gastfreundschaft in den Klöstern . . . . . . . 63 Gastfreundschaft der Kirchen . . . . . . . . . 69 Virtuelle Gastfreundschaft . . . . . . . . . . 73 Gastfreundschaft in der Familie . . . . . . . . 77 Wenn Gastfreundschaft nottut. . . . . . . . . 81 Gastfreundschaft – eine Charakterstärke . . . 85 Praktizierte Gastfreundschaft . . . . . . . . 89 Ein Segen sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Annehmen in Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Wertschätzung und Achtsamkeit . . . . . . . . . 92 Kleiner Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Gemeinsam beten . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Friede denen, die kommen – Heil denen, die fortgehen . . . . . . . . . . . 97 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . 103

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Was ist Gastfreundschaft? Der altgriechische Philosoph Aristoteles hat den Menschen als »Zoon Politikon« (frei übertragen: »Lebewesen, das auf Gemeinschaft angelegt ist«) charakterisiert. Vielleicht ist mit diesem philosophischen Begriff am besten beschrieben, warum Menschen nicht Einzelgänger sind, sondern immer wieder die Gemeinschaft mit anderen Menschen suchen. So mag es auch nicht verwundern, dass Menschen anderen – auch fremden – Menschen ein Dach über dem Kopf anbieten, ihnen Gastfreundschaft gewähren. Dabei ist die reine Quartier-Gabe eine Verkürzung des Begriffs Gastfreundschaft; denn nicht nur die bergenden Wände und das schützende Dach bilden die Grundlage für die Gastfreundschaft, sondern auch die menschliche Nähe, das Angesprochen-Sein. Immer wieder suchten und suchen Menschen die Nähe anderer Menschen, um miteinander das Leben zu teilen, um sich auszutauschen, um gemeinsam zu feiern – und nicht zuletzt, um in der Fremde nicht allein und etwaigen Gefahren ausgesetzt zu sein. Die daraus resultierende Gastfreundschaft in fast allen Kulturen und zu allen 11


Zeiten stellt ein sehr hohes Gut dar: Der Gastgeber ist dabei oftmals nicht nur verpflichtet, den Gast aufzunehmen und ihn mit dem Nötigsten zu versorgen, sondern ihm auch Schutz vor möglichen Angriffen zu gewähren. Dabei hat sich gerade in der Antike das Gegenseitigkeitsprinzip herauskristallisiert: Der Gastgeber gewährte dem Fremden Obdach, weil er damit rechnete, in der Fremde selbst einmal gut aufgenommen zu werden. Im Laufe der Zeit entwickelte sich daraus ein Rechtsprinzip, das juristisch eingeklagt werden konnte. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass seit Blütezeit der römischen Republik der lateinische Begriff »hospes« sowohl »Gast« als auch »Gastgeber« bedeutet. Die Ausprägung der Gastfreundschaft ist zunächst rein ethischer Natur, doch gehört sie nicht nur bei den großen Weltreligionen, sondern auch in polytheistischen Religionen sowie Naturreligionen zum Selbstverständnis und zum Fundament. Tatsächlich ist die Gastfreundschaft im Gegensatz zur griechisch-römischen Welt im orientalischen Raum ein ethisch-religiöses Gebot – zunächst in Bezug auf die Stammesangehörigen, aber bald weitet sich das Gebot der Barmherzigkeit auch auf alle Fremden aus. Vor allem in den Wüstengebieten des Vorderen Orients war die Zuflucht bei den Nomaden überlebenswichtig, weshalb das ursprünglich rein religiöse Gebot in die orientalische Weisheitstradition Einlass findet. Auch im Judentum spielt die Gastfreundschaft eine entscheidende Rolle, obgleich die starke Un12


terscheidung zwischen »Einheimischen« und »Fremden« – allein schon aufgrund des kultischen Reinheitsgebots – nicht unproblematisch war. Der Widerspruch zwischen der Aufnahme und der Abgrenzung von Fremden durchzieht das gesamte Alte Testament. Im Christentum schließlich zählt die Gastfreundschaft zu den »sieben Werken der Barmherzigkeit«, wie sie der Evangelist Matthäus in Jesu sogenannter Endzeitrede formuliert: Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde beherbergen, Nackte kleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Tote bestatten (vgl. Matthäus 25,34–46 und Matthäus 8,22). Ausgehend von diesen Worten Jesu, ist für den Mönchsvater Benedikt die Gastfreundschaft äußerst wichtig; denn im Gast wird Christus aufgenommen (vgl. Regel Benedikts 53,1; im Folgenden mit RB abgekürzt).

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Gastfreundschaft in den Klöstern Da mein Vater aus einem Dorf in der Eifel stammt, bin ich schon früh mit Benediktinern in Berührung gekommen; denn bei Besuchen in seinem Elternhaus stand meistens auch ein Ausflug nach Maria Laach an. Benediktinische Gastfreundschaft hat sich mir aber erst erschlossen, nachdem ich mich auf den »geistlichen Weg« gemacht hatte. Einer meiner ersten Klosteraufenthalte fiel in das Jahr 1977: In den Sommerferien – ich hatte im Frühjahr begonnen, auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachzumachen – verbrachte ich mit einem Schulfreund vierzehn Tage in einem Kloster in BadenWürttemberg. Auch wenn der Gastbereich dort sehr groß war und wir daher kaum mit den Mönchen der Abtei in Berührung kamen, kümmerte sich der Gastpater rührend um uns. Er erklärte uns den Tagesrhythmus des klösterlichen Lebens, deutete uns das Mönchsleben als alternativen (Lebens-)Weg in der Welt von heute und erschloss uns so manchen Sinn verschiedener liturgischer Riten. Vor allem aber kamen wir dort mit anderen Gästen zusammen, erzählten, wo wir jeweils her63


kamen, was wir machten, und tauschten uns aus. Es waren wirklich intensive Tage des Gebets, vor allem aber auch Stunden der Begegnung mit Menschen. Manche dieser Begegnungen halten bis heute an. Eine ganze Reihe von Besuchen in verschiedenen Klöstern folgte, vor allem natürlich Besuche in »meinem« Kloster, in das ich sieben Jahre später eingetreten bin. All diese Klosteraufenthalte, sei es bei Ordensschwestern, sei es in Männerklöstern, haben mich gelehrt, dass ich überall willkommen war. Eine besondere Erfahrung von Gastfreundschaft aber habe ich immer wieder in den Klöstern unserer Kongregation von St. Ottilien gemacht. Es ist ja allgemein bekannt, dass ein Benediktinerkloster in der Regel selbstständig ist. Die einzelnen Klöster der benediktinischen Konföderation sind aber gehalten, sich zu Verbänden, den sogenannten Kongregationen, zusammenzuschließen. Schwerpunkt der Kongregation von St. Ottilien ist die Mission und die derzeit etwa 1.000 Mönche leben in neunzehn Ländern auf vier Kontinenten. Auch wenn sich viele Mönche untereinander persönlich nicht kennen, ist doch das einigende Band so stark, dass wir eine große Familie bilden. Und egal, ob ich in Deutschland, in Europa oder auf einem anderen Erdteil unterwegs bin: es findet sich immer wieder ein Ort, an dem ich mit offenen Armen empfangen werde. So zum Beispiel im vergangenen Jahr: 64


Im vergangenen Frühjahr bin ich kurzfristig für einen erkrankten Exerzitienmeister eingesprungen und am Ostermontag 2010 nach Tansania geflogen. Wer eines unserer Klöster in Tansania besucht, kommt als Erstes nach Kurasini, der Missionsprokura in Dar es Salaam. Dort leben zwei Brüder, von denen der eine für die Verteilung der Missionsgaben zuständig ist, der zweite hingegen ist »nur« für den Gästebetrieb da. Als ich mitten in der Nacht in Dar es Salaam ankam, wurde ich selbstverständlich am Flughafen abgeholt, hatte in Kurasini ein Zimmer, in dem die Klimaanlage eingeschaltet war, kühles Bier stand bereit. Offene Arme bei der Begrüßung und eine Rundumversorgung bis hin zum Weiterflug nach Mtwara, zweihundert Kilometer östlich von Ndanda gelegen. Vor dem Inlandsflug, der mich zur Abtei Ndanda bringen sollte, hatte ich jedoch die Gelegenheit, unsere Missionsstation Kilimahewa zu besuchen. Dort fuhr ich am zweiten Ostersonntag mit Pater Beda zu einer Buschmesse: In einer Wellblechbaracke mit Löchern im Dach, durch die zwischenzeitlich das Regenwasser auf den Lehmboden tropfte, war eine stattliche Anzahl von Männern, Frauen und Kindern zum ersten Gottesdienst nach Ostern zusammengekommen. Als wir mit dem Auto ankamen, hörten wir schon von weitem den Gesang der zum Gottesdienst versammelten Gemeinde. Die Menschen, durchweg arme Bauern, hatten sich sonntäglich fein herausgeputzt und saßen auf 65


Holzplanken, die über Ziegelsteine gelegt waren und die Kirchenbänke ersetzten: Ich hatte mich zunächst auf eine solche Holzplanke im hinteren Teil der Wellblechkapelle gesetzt. Doch dauerte es nicht lange, und es wurde – ich weiß nicht woher, denn weit und breit war keine Hütte, geschweige denn ein Haus zu sehen – ein zwar wackeliger, aber benutzbarer Stuhl gebracht, auf den ich mich setzen musste. Diese einfachen Menschen begegneten mir, dem Gast aus Europa, mit großer Ehrfurcht und boten mir eine Sitzmöglichkeit an, die sie selbst nicht hatten. Nach dem Gottesdienst musste ich viele Hände schütteln und wurde verabschiedet wie ein guter Freund und alter Bekannter. Vielleicht lag es einfach daran, dass – wenn ich auch die Sprache der Menschen nicht verstanden habe – wir gemeinsam Eucharistie gefeiert hatten ... Im unweit der Abtei Ndanda gelegenen Dorf gleichen Namens sind mir die Menschen ebenfalls mit großer Sympathie begegnet. Überall wurde ich mit leuchtenden Augen und offenen Armen empfangen. Eine Erfahrung, die mir hier in meiner Heimat nur selten zuteilwird. Als ich dann nach der Exerzitienwoche von Mtwara aus wieder nach Kurasini geflogen war, um abends das Flugzeug nach Deutschland zu besteigen, stellten sich Schwierigkeiten ein. In Island war wenige Tage zuvor der Vulkan Eyjafjallajökull ausgebrochen und hatte den Flugverkehr über großen Teilen von Europa lahmgelegt. So musste beziehungsweise durfte ich in Dar es Salaam neun 66


Tage »Zwangsurlaub« verbringen. Mit einer Reihe von Gästen, die ebenfalls auf einen Rückflug nach Europa oder Amerika warteten, wurde mir unerwartet Gastfreundschaft gewährt, weil es sich einfach gehört, »der Schwester und dem Bruder in Not« beizustehen.

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