Otto betz zum glück gibt es die freude

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INHALT

Ewige Suche nach dem Glück . . . . . . . . . 13 Das Geschenk und die Aufgabe der Freude . . 19 Lachen und Weinen haben ihre Zeit . . . . . . 22 Die Gefährdung der Freude . . . . . . . . . . 29 Freudenindustrie . . . . . . . . . . . . . . . 33 »Freude heißt die starke Feder« . . . . . . . 35 Die kleinen Tore der Freude

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Sich treffen lassen vom »Sinnstrahl der Dinge« . . . . . . . . . 48 Von einsamen und gemeinsamen Freuden . . . 51 Höhenzüge der Freude . . . . . . . . . . . . 55 Freude hat mit dem Leib zu tun . . . . . . . . 58 Ein Spaziergang durch die Zeiten . . . . . . . 66 Die Bibel als Freudenbotschaft . . . . . . . . 71 Boten der Freude in der Kirchengeschichte . . 75 Meine Repräsentanten einer elementaren Freude . . . . . . . . 81

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Freude hat mit der Hoffnung zu tun . . . . . 98 Momente des Glücks . . . . . . . . . . . . 101 Freude hat etwas mit dem Staunenkönnen zu tun . . . . . . 108 Freude hat etwas mit Dankbarkeit zu tun . 113 Blitzlichter der Freude . . . . . . . . . . . 118 Ein Wort zum Abschied

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Ewige Suche nach dem Glück Und wie steht es mit dem Glück? Da werden wir darauf hingewiesen, dass wir ja ein Verb haben: »glücken«, das mit »gelingen« umschrieben werden kann. Schon in alten Zeiten hat man das Glück in Verbindung gebracht mit den Schicksalsmächten, die uns ein »Los« zuteilen oder zuwerfen, wobei das Werfen wohl daran erinnern soll, dass es darauf ankommt, das rechte Los auch zu erhaschen, und dass man das Glückslos auch versäumen kann. Dann erweist es sich, ob einer ein »Glückskind« ist oder ein »Pechvogel«. Wer einmal Carl Orffs »Carmina Burana« szenisch erlebt hat, der wird das Bild der Anfangsszene nicht vergessen: Fortuna, die Glücksgöttin, steht inmitten eines Rades, das sich immerzu dreht. Und auf dem Rad sitzen Menschen, die hinaufoder hinunterbefördert werden. Da ist einer zwar obenauf, aber bald wird er hinabrutschen, ein anderer ist ohne Macht und Herrlichkeit, sitzt ganz unten auf dem Rad, während wieder ein anderer auf seine Stunde wartet, weil das Rad ihn hinaufbefördert.

O Fortuna, du Mondhafte, was bist du für ein veränderliches Wesen; immer bist du im Wachsen, immer im Schwinden, 13

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einmal drückst du uns nieder, dann wieder verwöhnst du unseren wachen Sinn mit deinem Spiel. Schon in den mittelalterlichen Handschriften findet sich dieses Motiv, seine Botschaft ist: Das Glück ist wetterwendisch, trau nicht der aktuellen Situation, schnell kann sich das Blatt wenden: Eben schienst du noch ein Bevorzugter des Schicksals zu sein, plötzlich wirst du fallengelassen und bist von allen guten Geistern verlassen.

Wunden hat mir Fortuna geschlagen, ich beklage sie mit nassen Augen, sie hat mir, die Widerspenstige, ihre Gaben entzogen. Wahrhaftig, ihr prangt an der Stirn eine Locke, aber jedes Mal, wenn ich die Gelegenheit nutzen will, greif ich ins Leere. Es scheint nicht vom einzelnen Menschen abzuhängen, ob er eine Veranlagung zum Glücklichsein hat oder ob ihm ein dunkleres und verschattetes Los beschieden ist. Die Griechen hatten die Vorstellung, drei Schicksalsfrauen, die Moiren, würden als die göttlichen Spinnerinnen jedem Menschen seinen Schicksalsfaden zuspinnen. Dem Menschen bliebe nichts anderes zu tun übrig, als dieser göttlichen Weisung zuzustimmen. Der Gegenwartsmensch wird zwar darauf hinweisen, dass er sich das Recht auf freie Entscheidung nicht nehmen lassen will, aber auch er muss 14

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zugeben, wie stark jeder durch sein Erbgut und durch das Milieu geprägt ist. Die Bedingungen und Voraussetzungen jeder einzelnen Existenz sind nicht in unsere Wahlfreiheit und unser Belieben gestellt: Wir finden uns mit unseren Veranlagungen und Begabungen vor, es kommt höchstens darauf an, was wir damit anfangen. Wir sprechen gern vom »Zufall«, aber wer wirft uns zu? Vielleicht hat Max Frisch recht, der in sein Tagebuch geschrieben hat:

Wir erleben keine Zufälle, die nicht zu uns gehören. Am Ende ist es immer das Fälligste, was uns zufällt. Der Sprachgebrauch unserer Umgangssprache macht deutlich: Wie schön, wenn einer eine »Glückssträhne« hat, wenn einer »vom Glück verfolgt« wird oder unter einem »Glücksstern« geboren scheint, aber häufiger noch wird vor einem blinden Vertrauen gegenüber dem Glück gewarnt: Das Glück scheint unzuverlässig zu sein, es ist wandelbar, unstet, verführerisch, es kommt zwar plötzlich und überraschend, lässt sich aber nicht festhalten. Wir setzen zwar auf den »Glücksfall«, ersehnen den glücklichen Ausgang, freuen uns, wenn wir wieder einmal Glück gehabt haben, müssen aber immer damit rechnen, dass unsere Glückserwartungen zerplatzen wie Seifenblasen. In einer Bachkantate heißt es:

Man nehme sich in Acht, wenn das Glücke lacht. 15

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Und weil wir nicht mit einem bleibenden Glück rechnen können, hat wohl der Glücksskeptiker Günter Eich recht, wenn er sagt:

Wir richten uns immer auf das Glück ein, aber es sitzt nicht gern auf unseren Stühlen. Nun wird uns ja das Glück gewöhnlich nicht gleich zentnerweise angeboten, aber es gibt doch die Spurenelemente, die Einsprengsel von Glück, die Glückshappen, die ja auch nicht zu verachten sind. Wenn uns – zur eigenen Überraschung – etwas Schwieriges gelingt, wenn wir eine Begegnung geschenkt bekommen, die unser Selbstgefühl beflügelt, dann mag uns wirklich ein Glücksgefühl durchschauern. Es scheint doch wohl so zu sein, dass die Vorstellung von einem dauerhaften Glück besonders problematisch ist und ebenso der Gedanke, dass uns ein gehöriges Quantum Glück einfach zusteht. »Ein langes Glück verliert allein schon durch die Dauer«, heißt es bei Lichtenberg, vielleicht ist ein Dauerzustand sogar schon mit Langeweile verbunden, aber schlechtmachen sollten wir uns den Begriff des Glücks auch nicht, er ist mit unserem Menschenschicksal nun einmal eng verbunden.

Das Glück, das glatt und schlüpfrig rollt, Tauscht in Sekunden seine Pfade, Ist heute mir, dir morgen hold Und treibt die Narren rund im Rade. Lass fliehn, was sich nicht zu halten lässt. 16

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Den leichten Schmetterling lass schweben. Und halte nur dich selber fest. Du hältst das Schicksal und das Leben. So hat es Ernst Moritz Arndt erlebt und als Lebensweisheit uns weitergegeben. Und noch drastischer hat es Heinrich Heine ausgedrückt:

Das Glück ist eine leichte Dirne Und weilt nicht gern am selben Ort; Sie streicht das Haar dir von der Stirne Und küsst dich rasch und flattert fort. Es ist ja seltsam, dass uns die Momente des Glücks oft so kurz und federleicht vorkommen, während uns die Zeiten einer schweren Not endlos erscheinen und sich hinziehen wie eine zähe Masse, in der man steckenbleibt. Zeit ist nicht gleich Zeit, manche schmale Spanne hat ein großes Gewicht, während lange Phasen aus unserem Gedächtnis verschwinden, als wären sie gar nicht gewesen. Unsere Erfahrungen gewichten wir nach anderen Maßstäben, als sie von der Zeit, die uns die Uhr angibt, gemessen werden könnte. In dem spanischen Schelmenroman Gil Blas gibt es ein paar Zeilen, die dieser Einsicht Ausdruck geben:

Weh mir, ein Jahr des Glücks scheint mir wie ein leichter Hauch; Doch ein Augenblick des Leides ein Jahrhundert voll von Qualen. 17

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Allerdings gibt es auch eine andere Beobachtung: Die Stunden einer Glückseligkeit haben sich tief in unser Gedächtnis eingegraben, wir können sie wieder aufsteigen lassen, und sie kommen uns ganz nah, während die Zeit, in der nichts Wesentliches geschah, auch keinen Haltepunkt hat, um sie zu erinnern. Deshalb können Glücksüberfälle, mögen sie noch so kurz gewesen sein, tiefe Spuren hinterlassen haben. Und lange Zeitabschnitte, die nur von Langeweile und Ödnis geprägt waren, scheinen spurlos zu verschwinden.

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Das Geschenk und die Aufgabe der Freude Wie steht es aber nun mit der Freude? Im Grimm’schen Wörterbuch heißt es, Freude sei mehr als Vergnügen, etwas weniger als Lust. Und es wird darauf hingewiesen, dass wir von »stiller, ruhiger Freude« sprechen, von herzlicher, wahrer, inniger, unschuldiger, aber auch von unmäßiger, ausgelassener, ausschweifender Freude. Offenbar hat es die Freude in aller Regel mit einem Gemütszustand zu tun, der mit Zufriedenheit verbunden ist, mit einem Gefühl heiterer Gelassenheit, während das Glück »emphatischer« ist, mit einer größeren Gemütsaufwallung verquickt. Ein anderer Aspekt scheint mir besonders wichtig: Wir sagen häufig, vom Glück würde man »heimgesucht« oder überrascht, es bricht gleichsam über uns herein, und wir sind immer in Gefahr, es zu verpassen; die Freude dagegen hat einen anderen Charakter: sie wird uns angeboten, sie verlangt unsere Mitarbeit, wir brauchen dazu offene Sinne. Wir werden von ihr angeregt, aber sie ist auf unser Mittun ausgerichtet. Wer sich nicht anstecken lässt, dem nützen die schönsten Freudenangebote nichts. Und ist die Freude nicht auch mit dem Staunen verwandt? Wer nämlich staunen kann, für den ist die Wirklichkeit nicht »gewöhnlich« und 19

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alltäglich, er lässt sich immer wieder überraschen und ist verwundert über die Fülle der Geschenke des Daseins, die uns jeden Tag gewährt werden. Weil sich nichts »von selbst versteht«, können auch unscheinbare Erfahrungen uns zum Staunen bringen, wenn wir nur aufmerksame Sinne haben und nicht abgebrüht (und damit gleichgültig) geworden sind.

Die für uns wichtigen Aspekte der Dinge sind durch ihre Einfachheit und Alltäglichkeit verborgen. Man kann es nicht bemerken – weil man es immer vor Augen hat. LUDWIG WITTGENSTEIN

Aber es scheint eine grundsätzliche Gefährdung zu geben, die sich sowohl gegen die Freude wie gegen das Glück richtet. Wenn nämlich ein Mensch davon überzeugt ist, die Welt sei ein missglücktes Gebilde, das Leben sinnlos, das Dasein eine permanente Verzweiflung, dann können sich die Organe für die Wahrnehmung des Schönen, für das Geglückte und Geordnete, gar nicht entfalten. Nach dieser Lesart ist der Glückliche und Freudige nur der letztlich Blinde, der die Härte und Furchtbarkeit des Daseins nicht zugeben will, sondern in ein Traumreich der Illusionen flüchtet. Ein Mindestmaß an Vertrauen zum Dasein, eine elementare Zustimmung zur vorgefundenen Wirklichkeit scheint die Voraussetzung zu sein, Freude zu erfahren und Glücksgefühle wahrzunehmen. 20

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Das Gefühl der Sinnlosigkeit kann sich nicht mit Freude verbinden, es stellt sich vielmehr Trauer und eine Verdunkelung des Gemüts ein. Pierre Teilhard de Chardin hat eine erstaunliche Beobachtung gemacht, die er so ausgedrückt hat:

Physiologisch gesehen ist die »natürliche« Freude am Sein in jedem Menschenleben die erste Morgenröte der göttlichen Erleuchtung.

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