Reinhold Gestrich
Neue Kra! für Pßegerinnen und Pßeger
Vier-Türme-Verlag
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Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Überarbeitet und zeitlich überlastet . . . . . . . . . . . . . 11 Zeitdruck und Überstunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Zeit zum Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Erschöp! und ausgebrannt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 »Ausgebrannt und kurz vor der Explosion« . . . . . . . . . . 28 »Burnout« als Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 »Segne uns, denn der Weg ist weit« – Geschichte von Elia, dem erschöpften Propheten . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Dass die Kraft ausreichen möge . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Was helfen und schützen kann . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Ohnmäch"g im System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Brief eines Pflegers, der sich »sauelend fühlt« . . . . . . . . . . 38 Was geschieht mit der Ohnmacht der Pflegenden im »Intensiv-Konflikt«? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 »Ich saß eine ganze Weile auf meinem Sofa und grübelte« . . . 41 Pfleger Klaus und sein Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Der Glaube im Konflikt mit dem, was im Argen liegt – biblische Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Streit und Klage, Aufbegehren und Sich-Auseinandersetzen . . 51 Mit Konflikten leben und sie überwinden . . . . . . . . . . . 53
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Mit Tod und Sterben konfron"ert . . . . . . . . . . . . . . 55 »Halten Sie meine Hand, dann kann ich vielleicht schlafen« . . 55 »Irgendwann fingen wir dann in völliger Verzweiflung an zu lachen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Wie geschieht Entlastung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Veränderungen zu unseren Ungunsten und dennoch den Mut nicht verlieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 »Freude am erlernten Beruf kann schnell verloren gehen« . . . 67 Verschlechterte Rahmenbedingungen für die Pflegeberufe . . . 71 »Pflege, das ist mein’s!« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Erfahrungen des »Empfangens«, die stärken . . . . . . . . . . 76 »Immer auf unserem Rücken« – Belastende Umstände in der Altenpßege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Über die schwierige Lage in einem Pflegeheim . . . . . . . . . 78 Ist der Samariter selbst unter die Räuber gefallen? . . . . . . . 91 Politisches Handeln ist gefragt . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Kann man eine neue Blickrichtung gewinnen? . . . . . . . 95 Die Jünger von Emmaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Nach und nach brachen die Wände auf . . . . . . . . . . . . 99 Neue Blickrichtungen gewinnen . . . . . . . . . . . . . . . 100
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Vom unendlichen Wert des Menschen . . . . . . . . . . 102 »Wir haben die Leute hier so lang, wie Gott es für richtig hält« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 »Achtet die Menschen, die es schwer haben!« . . . . . . . . . 105 »Jeden Tag komme ich freudig in meinen Dienst« . . . . . . 108 »Wir wollen es ihnen doch schön machen!« . . . . . . . . . 111 Liebe und Zuversicht – Wege hin zu einer gelingenden Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Das verschenkte Königtum, oder: Von der Schönheit der Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Eine Betrachtung zum Matthäusevangelium . . . . . . . . . 117 Wie wurde aus dem armen palästinensischen Mädchen Miriam eine Königin? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Wie können wir »königlichen Glanz« auch bei den Pflegenden erkennen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Mut, der S"mme des Herzens zu folgen . . . . . . . . . . 125 Viorica Agarici, eine rumänische Krankenschwester und Heldin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Die Erbin des Reiches – Ein Märchen aus Rumänien . . . . 126 Starke Wurzeln und gute Kra!quellen . . . . . . . . . . . 137 Wurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Quellen neuer Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Ressourcen in uns und um uns – Besinnungstexte . . . . . . 140
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Was die Pßegenden pßegt . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Motivation und Pflegewirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . 145 Lage der Pflegearbeit in den Krankenhäusern . . . . . . . . 146 Lage der Pflegearbeit in den Seniorenheimen . . . . . . . . . 148 Auf dem Weg zu einer Verbesserung der Situation . . . . . . 148 Erstrebenswerte strukturelle Veränderungen für die Pflege in den Krankenhäusern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Erstrebenswerte strukturelle Veränderungen im Altenpflegeberuf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Berufspolitische Arbeit der Pflegenden und ihrer Verbände . 151 Was die Pflegenden pflegt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
Literatur und Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
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Einleitung Die Situation der Pflegeberufe hat sich in den letzten Jahren zunehmend verändert. Steigernder Leistungs- und Zeitdruck, teilweise starke Bürokratisierung der Arbeitsabläufe und knappe finanzielle Mittel bestimmen zu einem großen Teil den Arbeitsalltag von Schwestern und Pflegern. Schon bald sind manche all dem nicht mehr gewachsen – sie stoßen an ihre Grenzen. Die Dauerbelastung lässt sie körperlich und seelisch krank werden. Eine häufig bei den Pflegeberufen auftretende Erkrankung ist das Burnout-Syndrom. Sowohl Pflegende als auch Patienten leiden unter dieser Entwicklung in der Alten- und Krankenpflege. Es stellt sich die Frage, ob und wie eine gelingende Pflege angesichts der oftmals widrigen Rahmenbedingungen überhaupt noch möglich ist. Dieses Buch möchte den vielen Pflegenden Mut machen und sie bestärken, »trotz alledem« an ihrer Arbeit festzuhalten. In Eigenberichten und Interviews kommen Schwestern und Pfleger zu Wort, die offen von ihren Sorgen und Nöten im Berufsalltag erzählen und davon, wie sie damit umgehen. Sie sprechen über ihre Einstellung zum Leben und über ihre Beziehung zu Gott. Die Berichte sind zum einen eine »Bestandsaufnahme« der Pflegesituation, zum anderen vermitteln sie aber auch ein Stück Hoffnung und Zuversicht. Der Autor bedankt sich bei den Pflegemitarbeitern, die mit ihm über ihren Arbeitsalltag gesprochen haben, besonders auch bei den Mitarbeitern des Stuttgar— 9
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ter Diakonie-Klinikums und des Karl-Olga-Krankenhauses, die bereit waren, das von ihnen erarbeitete Gottesdienst-Manuskript zur Verfügung zu stellen. Kleine Texte – Verse, Gebete, Liedzeilen – am Ende einzelner Kapitel wollen die Leserin und den Leser einladen, innezuhalten und die eigene Situation zu überdenken. Man kann dabei mit Gott ins Gespräch kommen und/oder die Verse für den Moment als Worte des Zuspruchs und der Hoffnung auf sich wirken lassen. Es ist das Anliegen dieses Buches, die Aufmerksamkeit auf die kritische Situation in der Pflege zu lenken und zugleich mögliche Wege aus der »Sackgasse in der Pflege« aufzuzeigen. Es erweist sich als notwendig, äußere Rahmenbedingungen zu ändern und neue zu schaffen. Hier sollten die Leitenden von Kliniken und Pflegeheimen zusammen mit den Pflegenden Lösungen suchen und gemeinsam neue Wege gehen. Dies wird sowohl den Schwestern und Pflegern als auch den Patienten zugutekommen. So können dann mit der Zeit »Wände aufbrechen« und der »Einbahnweg« in der Bearbeitung der Pflegeprobleme kann zum »Zweibahnweg« werden.
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Überarbeitet und zeitlich überlastet »Wo bleibt die Auszeit für mich?« Diese Frage stellen sich Menschen in Pflegeberufen immer wieder – nach einem langen Arbeitstag, der ihnen alles abverlangt, der ihnen keine Zeit mehr für sich selbst lässt. Eine Krankenschwester formuliert ihre Gedanken während eines Stuttgarter Gottesdienstes zum Thema »Pflege in der Sackgasse«: »Heute war wieder ein frustrierender Tag. Ich habe erst um 22.10 Uhr die Sta"on verlassen, obwohl um 20.15 Uhr Feierabend gewesen wäre. Doch wie so o! sind wir nicht fer"g geworden. Die Menge der Arbeit und meine eigenen Ansprüche sind in der vorhandenen Zeit einfach nicht zu bewäl"gen. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität ist enorm. Schon bei Schichtbeginn war nicht einmal Zeit, meine Kollegen zu fragen, wie es ihnen geht, geschweige denn, eine Pause von nur zehn Minuten zu haben, um sich kurz zu stärken. Ich möchte meine Arbeit wirklich gut machen und habe diesen Beruf einmal gewählt, um Menschen zu helfen. Viele Dinge, wie Schüleranleitungen und Teambesprechungen, fallen im Grunde in meine Freizeit. Wo bleibt da die wirkliche ›Auszeit‹ für mich?«
In einem Bericht der »Frankfurter Rundschau« vom 11./12. Juli 2009 über die Arbeitsbedingungen von Klinikpflegepersonal beschreibt eine Krankenschwester ihren (Arbeits-)Alltag: »An manchen Wochenenden dachte Sabine Becker (Name geändert), dass sie keine Kraft — 11
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mehr haben würde, montags wieder im Krankenhaus zu arbeiten. Sie war völlig überfordert und überarbeitet. Becker arbeitet als Stationsleiterin in einer Frauenklinik. 250 Überstunden hat sie angehäuft. Oft kam sie erst um 18 Uhr heim – nach einem zehnstündigen Arbeitstag.« Der in der Klinik zu viel verbrachten Zeit stand dann nicht mehr genug Zeit gegenüber, die man braucht, um abzuschalten und sich zu erholen. Darum konnte Sabine Becker zu Hause am Schluss nicht mehr gut schlafen: »Oft wachte sie schon ein, zwei Stunden vor dem Wecker auf.« Die Altenpflegerin Viviane Zimpel erzählt von ihrer früheren Arbeitsstelle in einem Pflegeheim. Dort war sie mit der Stationsleitung betraut. In ihrem Arbeitsalltag fühlte sie sich einem ständigen Zeitdruck ausgesetzt. Sie musste sich – wie viele andere auch – »die Arbeit mit nach Hause« nehmen: »Ich bin Sta"onsleitung und arbeite voll in der Pßege mit. Die Möglichkeit, mich aus der Pßege auszuklinken, um andere wich"ge Dinge zu erledigen, habe ich, wie die meisten meiner Kollegen, nicht. Fast alle von uns schreiben die Dienstpläne zu Hause oder in der FreiZEIT. Selbst Pßegeplanungen werden teilweise mit nach Hause genommen.« (Zimpel, in: Piecho#a/Henze 2004, S. 175)
Zeitdruck und Überstunden Drei Pflegende erzählen von sehr langen Arbeitstagen, hervorgerufen durch Überstunden und »Heimarbeit«. Alle haben auf Grund der Anforderungen von Seiten des Berufs etwas von ihrer privaten Zeit drangege— 12
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ben. Sie nahmen ein Stück von ihrem persönlichen »Eigentum« und opferten es den Erfordernissen der Arbeit. Zeit ist wertvoll, jeder möchte über genügend davon verfügen, um dieses Gut nach eigenen Bedürfnissen zu gestalten. Auch wenn Menschen gerne arbeiten – niemand kann ununterbrochen dabei verbleiben. Einen geregelten Rhythmus von Arbeit und Freizeit empfinden wir als förderlich für die Gesundheit, wie Einatmen und Ausatmen. Wurde etwas Wichtiges dadurch gewonnen, dass die drei Pflegenden so viel zusätzliche Zeit einsetzten? Sicher haben sie am Ende das Gefühl, mit großer Mühe alles bewältigt zu haben, was zu tun war. Das ist gut! Doch etwas anderes, was sie sich wohl genauso wünschten, ist dadurch offenbar nicht erreicht worden: mehr Zeit für die Patienten beziehungsweise Bewohner zu haben. Die lange Dauer der Arbeit bedeutet leider, dass die Betroffenen für manches, aber eben doch nicht für die ihnen anvertrauten Menschen mehr Spielraum gewinnen. Kaum hört man irgendwo, dass die überstunden-fleißigen Pflegenden an diesem Punkt des menschlichen Kontakts mit ihrer Arbeit Fortschritte machen würden oder zufrieden wären. Die Mitarbeiter, die durch den Arbeitsdruck schon zu wenige Minuten mit den ihnen Anbefohlenen verbringen konnten, haben danach durch Überbeanspruchung und Stundenüberlastung auch noch zu wenig Zeit für sich selbst! In Kombination führen die beiden Faktoren zu starken Gefühlen des Unbefriedigtseins, nicht irgendwo am Rand, sondern im Kern des Beruflichen und des Persönlichen. Darum sind die Äußerungen der drei Mitarbeiterinnen alarmierend. Kann beziehungsweise darf so etwas vorkommen, dass jemand regelmäßig zwei Stunden mehr arbeitet, als er ei— 13
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gentlich muss, oder dass jemand immer wieder schriftliche Arbeit mit nach Hause nimmt? Es ist leicht abzusehen, dass man so etwas nicht lange durchhält! Ohne Auszeit für sich kann man so viel schwere Arbeit in Krankenhaus, Seniorenheim oder häuslicher Pflege nicht leisten. Aber auch das andere gilt: Ohne das Gefühl der Befriedigung, den Menschen gerecht geworden zu sein, zu deren Hilfe man da ist und denen man auch auf der menschlich-emotionalen Basis beistehen möchte, wird der Berufsalltag immer belastender. Wie kommt es zu solchen Missständen? Sind die Überstunden nötig oder vielleicht vermeidbar? Haben sich die betroffenen Menschen etwa selbst freiwillig verausgabt, indem sie – durch ein hohes Berufsideal veranlasst – mehr geben, als sie eigentlich können beziehungsweise müssen? Oder werden diese Mitarbeiter von ihren Arbeitgebern ausgebeutet, die es achselzuckend in Kauf nehmen oder gar darüber hinwegsehen, dass das Personal seine Aufgaben in Normalzeit nicht bewältigt und durch Mehrarbeit überbeansprucht wird? Welches sind die Ursachen für den enormen Zeitdruck im Krankenhaus und Altenpflegeheim? Einige (organisatorische) Gründe seien im Folgenden genannt: – Intensivierung der Arbeitsbelastung durch Dokumentation und komplexere Behandlungsformen. – Kürzere Verweildauer in Krankenhäusern und damit entsprechender Mehraufwand durch viele Aufnahmen und Entlassungen. – Belastung durch mehr schwerkranke und moribunde Patienten, bei denen nicht nur der sachliche, sondern auch der zeitliche Pflegeaufwand höher ist. – Stellenkürzungen, Bettenabbau, Tendenz, dass frei werdende Stellen manchmal nicht wieder besetzt werden. — 14
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