Sabine demel kirche sind wir alle

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Inhalt

Die Krisenfrage nach dem Warum des Engagements für die Kirche als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1

Dialog – Zugänglichkeit – Enttäuschung: ein unzertrennliches Trio . . . . . . . 11

1.1 Die Vielfalt der Enttäuschungen in der Kirche und über die Kirche . . . . . . . . 12 1.2 Die Erfahrung der Unzugänglichkeit als Quelle der Enttäuschung . . . . . . . . 15 1.3 Der trauernde Abschied als Weg aus der Enttäuschung . . . . . . . . . . . 16 1.4 Der gekreuzigte Auferstandene und verwundete Heiland als Urbild für die Gnade der Zugänglichkeit und des Dialogs in der Enttäuschung . . . . . . . . . . . . 20 1.5 Die Macht der Zugänglichkeit und des Dialogs als Prävention gegen Enttäuschungen . . . 28 2

Ermächtigung als Folge des Dialogs für die Glieder der Gemeinschaft – ein Blick auf die Strukturen der Kirche nach innen . . . . . . . . . . . . . . . 32

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2.1 Die lähmende Selbstwidersprüchlichkeit der Kirche in ihren Strukturen . . . . . . . 32 2.2 Die Dialoggemeinschaft des dreifaltigen Gottes als Strukturvorgabe für die Kirche . 37 2.3 Schlüsseldaten der Verfassungsstruktur der katholischen Kirche . . . . . . . . . . 40 2.4 Ein laien- und teamorientierter Strukturwandel der Kirche als Zukunftsoption . . . 49 2.5 Vertrauen und Zutrauen als notwendige Begleiter des Strukturwandels . . . . . . . 58 2.6 Ein neuer Aufbruch der Bischöfe als Initialzündung für einen dialogischen Strukturund Mentalitätswandel . . . . . . . . . . 63 3

Inkulturation als Folge des Dialogs für die Mission – ein Blick auf den Grundauftrag der Kirche nach außen . . . . 65

3.1 Einladung zur Entscheidung – das Grundverständnis von Mission . . . . . . . . . . 66 3.2 Die Verkündigung des Evangeliums als Missionspraxis – ein Blick in die Geschichte der katholischen Kirche . . . . . . . . . . 70 3.3 Mission als Fortsetzung der Sendung Jesu Christi – die theologische Grundlegung und praktische Neuorientierung seit dem II. Vatikanischen Konzil . . . . . . . . . . 71

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3.4 Selbstentäußerung und ganzheitliche Befreiung des Menschen – die Übersetzung der konziliaren Missionstheorie in das kirchliche Recht . . . . . . . . . . . . . . 83 4

Synodalität als Folge des Dialogs für den laufenden Dialogprozess – ein Blick auf die konkreten Erfordernisse in der Kirche von Deutschland . 86

4.1 Am II. Vatikanischen Konzil als Dialogereignis Maß nehmen . . . . . . . . . . . 87 4.2 Die Doppelfrage nach dem Unaufgebbaren und Unausweichlichen stellen . . . . . . . 96 4.3 Aporien und Sprachlosigkeiten aushalten . 98 4.4 Notwendige Rahmenbedingungen herstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4.5 Die Gestaltungskraft des Heiligen Geistes ernst nehmen . . . . . . . . . . . . . . . 110 Der Hoffnungsblick auf die Kirchengeschichte als Abschluss . . . . . . 113

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

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Ermächtigung als Folge des Dialogs für die Glieder der Gemeinschaft – ein Blick auf die Strukturen der Kirche nach innen

Mehr Beteiligung und Mitbestimmung, mehr Freiheit und weniger Gehorsamsforderungen, mehr Kooperation und weniger Alleingänge, kurzum: mehr Ermächtigung der Gemeinschaft an den grundlegenden Vollzügen der Kirche! Wenn Bischöfe das hören und lesen, dann sagen sie oft, sie seien es müde, zu den immer gleichen Reformforderungen Stellung zu nehmen. Und sie weisen darauf hin, dass andere Herausforderungen viel wichtiger sind: die Gottesfrage, die Krise in der Weitergabe des Glaubens, der Relativismus, die gesellschaftliche Orientierungslosigkeit.

2.1 Die lähmende Selbstwidersprüchlichkeit der Kirche in ihren Strukturen Die Bischöfe sind es leid, immer das Gleiche hören und lesen zu müssen. Die Bischöfe sind es leid, im32

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mer wieder den innerkirchlichen Strukturdebatten ausgesetzt zu werden. Aber viele andere Glieder der Kirche, die große Mehrheit derer, die nicht Bischöfe sind, sind auch müde und sind es auch leid, immer und immer wieder darauf aufmerksam machen zu müssen, dass die biblische Überlieferung und die Tradition der Urkirche voller lebendiger Zeugnisse sind für die Vielfalt, die Geschwisterlichkeit und das partnerschaftliche Miteinander in der Nachfolgegemeinschaft Jesu Christi – also für all das, was modern als »Ermächtigung« beziehungsweise »Empowerment« bezeichnet wird und Formen der Machtausübung meint, die nicht lähmend, sondern förderlich wirken, sowie Machtstrukturen, bei denen die Fäden der Macht nicht nur in eine Hand oder nur in wenige Hände gelegt werden, sondern in möglichst viele und miteinander vernetzte Hände. Wie oft soll das noch wiederholt werden? Es ist von all denen so oft und immer wieder neu zu wiederholen, die nicht auf das kleine Senfkorn Hoffnung verzichten wollen, dass Jesu Vorbild vom respektvollen und die Freiheit achtenden Umgang Gottes mit uns Menschen auch bei uns in der Kirche von heute Ängste vor Veränderung überwinden helfen und Mut zu neuen Aufbrüchen freisetzen kann – auch und gerade in den Fragen der kirchlichen Strukturen. Denn ich bin fest davon überzeugt: Wenn es der katholischen Kirche gelingt, sich in vielen strukturellen Fragen von der »lähmenden Selbstwidersprüchlichkeit«23 zu befreien, dann gewinnt sie dadurch viel an innerem und äußerem Freiraum, um sich intensiv je33

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nen Fragen zu stellen, welche die Bischöfe und der Papst zu Recht als grundlegender ansehen als die Strukturprobleme: die Gottesfrage, die Weitergabe des Glaubens, den Relativismus, die gesellschaftliche Orientierungslosigkeit.24 Bisher ist allerdings zumindest auf Seiten der kirchlichen Autorität zu wenig Sensibilität zu spüren, diese »lähmende Selbstwidersprüchlichkeit« in den kirchlichen Strukturen wirklich wahrzunehmen und abzubauen. Schließlich ist diese in der katholischen Kirche schon jahrzehntelang gegeben; sie besteht insbesondere in der Diskrepanz zwischen den Aussagen über die Kirche und den konkreten Strukturen in unserer Kirche, in der Diskrepanz zwischen der ständigen Rede von den »Schwestern und Brüdern« wie auch vom »Volk Gottes«, von der »kirchlichen Gemeinschaft« und der »Teilhabe aller an der Sendung der Kirche« auf der einen Seite und der vielfachen Erfahrung auf der anderen Seite, dass es in den entscheidenden Momenten des kirchlichen Lebens aber dann doch kein Miteinander, keine kooperative Arbeitsweise, keine Beteiligung an Entscheidungsprozessen gibt, sondern alles einseitig von oben nach unten zu verlaufen scheint, vom Papst über die Bischöfe zu den Pfarrern hin zum Rest der kirchlichen Gemeinschaft. Anschauungsmaterial dafür gibt es genug, wie jüngst durch die Diözesanleitung des Bistums Augsburg belegt worden ist: Da ist seit etlichen Monaten von einem Dialogprozess der deutschen Kirche die Rede – und was macht der Augsburger 34

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Bischof? Er verordnet, er verbietet, er fordert – aber nicht etwa nach Rücksprache mit den diözesanen Gremien, auch nicht nach Befragung der Gemeinschaft der Gläubigen und erst recht nicht nach einer Beteiligung von Repräsentanten des diözesanen Gottesvolkes an seiner Entscheidungsfindung. Nein, ohne jede Befragung, ohne jede Rücksprache, ohne jede Beteiligung an seiner Entscheidungsfindung – ja, letztendlich ohne jeden Respekt vor der Gemeinschaft und deren gewachsenen Strukturen vor Ort, ohne Respekt vor den bisherigen Gepflogenheiten und vertrauten Gemeinschaften – legt der Bischof von heute auf morgen einfach fest, wie im Jahre 2025 die pastorale Struktur der Diözese auszusehen hat, dass ab sofort sonntagvormittags nur noch Eucharistiefeiern und keine Wortgottesdienste mehr stattfinden dürfen und dass die Pfarrgemeinderäte ab sofort kein beschließendes Stimmrecht mehr haben – um nur einige Beispiele zu nennen.25 Und über diese seine autarken bischöflichen Verordnungen, Verbote und Forderungen will er nun mit den Gläubigen ins Gespräch kommen, bittet gar, darüber miteinander einen Dialog zu führen. Ja, der Bischof von Augsburg spricht tatsächlich davon, mit den Gläubigen »seiner« Diözese einen Dialog führen zu wollen, allerdings einen Dialog, wie er sich ihn vorstellt, nämlich: einen Dialog, bei dem als Voraussetzung sichergestellt ist, dass seine Verordnungen, Verbote und Forderungen gehorsam befolgt und dienstbereit umgesetzt werden. – Was für ein Aberwitz! Was 35

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soll das für ein Dialog sein? Das kann gar kein Dialog sein! Denn Dialog ist mehr als nur ein »Darüber reden«, Dialog ist mehr als nur ein Gespräch und erst recht mehr als nur ein Gespräch im Nachhinein! Dialog ist auch nicht einfach nur eine Methode, eine Strategie oder ein genialer Trick, um die Gläubigen dorthin zu bringen, wo man sie haben will. Nein! Ein ganz großes und ein ganz dickes Nein, das ist kein Dialog und das darf nicht als Dialog verkauft werden! Denn Dialog ist nicht nur ein Gespräch! Dialog ist auch nicht nur eine Methode! – Dialog ist vielmehr eine Haltung! Dialog ist die Haltung der Offenheit, die Haltung der Neugierde und die Haltung des Verstehen-Wollens des/der anderen! Im Dialog lassen sich die GesprächspartnerInnen so aufeinander ein, dass sie sich vom anderen angehen, von ihm betreffen lassen – sie lassen sich so aufeinander ein, dass sie jeweils den anderen/die andere zu verstehen suchen und vom anderen her die eigenen Sichtweisen beurteilen. Auf diese Weise des Miteinander-aufeinander-Einlassens können sich dann nämlich neue Blickwinkel eröffnen und neue Perspektiven einer gemeinsamen Auffassung und – wo nötig – neue Perspektiven einer Problemlösung entwickeln. Wer dazu nicht bereit ist, wer zu dieser Haltung der Offenheit, der Neugierde und des Verstehen-Wollens des/der anderen nicht bereit ist – und ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass viele Kirchenmänner dazu nicht bereit sind – sollte aufhören zu behaupten, er wolle einen Dialog! Denn wer vom Dialog spricht, kann 36

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nicht gleichzeitig Verhaltensweisen und einen Umgangsstil praktizieren, die dem zuwiderlaufen, was Dialog meint. Wer Dialog für sich in Anspruch nimmt, kann nicht gleichzeitig seinem Gegenüber ständig vermitteln, dass das, was er oder sie sagen und bewegen wollen, nicht erwünscht ist, falsch, störend oder gar schädlich ist und deshalb überhört wird, folgenlos bleibt oder höchstens persönliche Sanktionen nach sich zieht. Wer so denkt und agiert, ist alles andere als dialogisch.

2.2 Die Dialoggemeinschaft des dreifaltigen Gottes als Strukturvorgabe für die Kirche

Doch was ist die Alternative zum Dialog? Die Antwort auf diese Frage muss lauten: Es gibt keine Alternative zum Dialog – es sei denn, man nimmt in Kauf, unkirchlich zu sein oder unkirchlich zu werden. Denn die Alternative zum Dialog lautet: Monolog, Alleingang, Unzugänglichkeit – und das ist unkirchlich, das entspricht nicht dem Wesen unserer Kirche. Warum? Weil unser Gott, der der Lebensgrund unserer Kirche ist, das Urbild des Dialogs ist. Ja, mehr noch: Unser Gott selbst ist der Dialog. Denn unser Gott hat sich uns als durch und durch dialogischer Gott geoffenbart, als der dreifaltige Gott, der eine permanente Dialoggemeinschaft von Vater, Sohn und Heiligem Geist ist. Und dieser 37

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dialogische Gott hat Gemeinschaft mit uns aufgenommen und uns zu seinem Volk gemacht. »Er tat es, indem er Mensch wurde, um als Mensch mit uns Menschen, wie ein Freund mit Freunden zu verkehren und so einen Dialog mit uns zu führen. Sein größtes Geschenk ist es, dass er uns aus unserer Selbstverfangenheit und Herrschaftsbesessenheit erlöst und zur dialogischen Partnerschaft befreit hat. Er nimmt uns als Partner bei der Verwirklichung seines Reiches ernst. Wie er ohne das zustimmende Ja Marias nicht Mensch werden wollte, gründet er das Volk Gottes auch auf unsere freie Zustimmung und Mitwirkung. Ohne Gottes Initiative und bleibende Gegenwart wäre die Kirche nicht Volk Gottes, ohne unser ›Ja‹ wäre sie nicht Volk Gottes. Die dialogische Gemeinschaft Gottes mit uns soll ›Fleisch werden‹ in der dialogischen Gemeinschaft, die wir untereinander verwirklichen. Zur Gemeinschaft (Communio) wird das Volk Gottes nur im Dialog, in dem wir uns als Partner an- und ernstnehmen, wie Gott uns als Partner an- und ernstgenommen hat. So sind unsere freie Zustimmung und unser Mittun und der Dialog miteinander wesentliche, ja konstitutive Elemente der Kirche.«26 Die Kirche als die Gemeinschaft Gottes mit uns kann demzufolge nichts anderes sein als eine permanente Dialoggemeinschaft aller Kirchenglieder mit Gott und untereinander. Wenn und wo Kirche das nicht ist, wenn und wo Kirchenglieder nicht dialogfähig oder nicht dialogwillig sind – egal, ob es sich dabei um Laien, Kleriker oder gar Bischöfe handelt –, wo Kirche sich nicht dialogisch präsentiert, wird sie 38

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sich selbst untreu, gerät sie aus der Spur des Evangeliums, verrät sie sich selbst – zumindest in einer zentralen, ja wesentlichen Dimension ihres KircheSeins – und gerät so in die beschriebene Selbstwidersprüchlichkeit, die sie so sehr lähmt, ihr so viel Kraft und Energie raubt, dass sie sich nicht mehr adäquat den drängenden Problemen unserer Zeit wie der Gottesfrage, der Weitergabe des Glaubens und anderem widmen kann. Anders gesagt: Es ist »unkirchlich«, weil »undialogisch«, dass nur von den einen Umorientierung und Opfer verlangt werden und bei den anderen alles bleiben soll wie bisher. Es kann nicht sein, von den Gläubigen zu erwarten, dass sie in eine andere Pfarrkirche gehen, in der sie sich dann wie Fremde fühlen und die Atmosphäre einer wirklichen Gemeinschaft vermissen. Denn diese Menschen fangen früher oder später an, sich zu verabschieden – zuerst innerlich und dann auch äußerlich. Es kann nicht sein, dass kirchliche Lebensformen und kirchliche Aktivitäten, für die sich viele in der Kirche jahrelang mit Leib und Seele engagiert haben, einfach ohne Rücksprache zur Seite geschoben werden. Es kann nicht sein, dass sich viele Kirchenglieder, Laien wie Priester, Hauptamtliche wie Ehrenamtliche, nicht ernstgenommen fühlen und in ihrer eigenen Verantwortlichkeit nicht anerkannt werden. 39

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Es kann nicht sein, dass bewährte Formen der Mitwirkung wie Wahlen und Mitbestimmungsrechte wieder zurückgedrängt werden. Es kann nicht sein, dass der Platz und die Rolle des Priesters wieder ängstlich abgegrenzt und zugleich ausgeweitet wird auf Kosten der Mitwirkung der anderen Gläubigen, die ihrerseits in ihren Möglichkeiten eingeschränkt werden. Es kann auch nicht sein, dass KritikerInnen aufgefordert werden, auf ihr Amt zu verzichten oder aus der Kirche auszutreten! Es kann nicht sein, dass differenzierte und mündige Wortmeldungen als kirchenschädigend und kirchenspalterisch diffamiert werden. Es kann nicht sein, dass nur Recht ist, was der Bischof will. Das alles widerspricht der Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes als Urbild des Dialogs.

2.3 Schlüsseldaten der Verfassungsstruktur der katholischen Kirche Werden Überlegungen zur Mitwirkung und Ermächtigung in der Sendung und Leitung der katholischen Kirche angestellt, dann ist dabei (auch) 40

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