Thomas keating das gebet der sammlung einführung und begleitung des kontemplativen gebetes

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T H OM A S KE AT IN G

Das Gebet der Sammlung Einf端hrung und Begleitung des kontemplativen Gebetes

端bersetzt von P. Guido Joos PA

Vier-T端rme-Verlag


Inhalt

Vorwort zur deutschen Ausgabe 7 Gebet zum Heiligen Geist 10 Einleitung 13

T E IL I

1 Die Dimensionen kontemplativen Betens 21 2 Erste Schritte im Gebet der Sammlung 29 3 Das heilige Wort als Symbol 43 4 Das Abschweifen der Aufmerksamkeit 55 5 Die Geburt der geistlichen Wachheit 77 6 Ăœber die schwierigere Art der Gedanken 91 7 Die EntrĂźmpelung des Unbewussten 109 8 Intensive Exerzitien mit dem Gebet der Sammlung 131 9 Zusammenfassung der Methode des Gebetes der Sammlung 137

Eine Meditation 146


T E IL II

10 Was das Gebet der Sammlung nicht ist 149 11 Ein Überblick über das kontemplative Gebet in der christlichen Tradition 157 12 Leitlinien für Wachstum und Wandlung im christlichen Leben 175 AN H A N G

1

Übungen zur Umsetzung der Wirkungen des kontemplativen Gebetes in das Alltagsleben 183

2

Das Aktive Gebet 188

3

Das wöchentliche Treffen der Gruppe 190

4

Die Methode des Gebetes der Sammlung 192

5

Contemplative Outreach und Zentren der Kontemplation 200

Glossar 201


Vorwort zur deutschen Ausgabe

Die vorliegende Schrift Thomas Keatings, des ehemaligen Abtes der Trappistenabtei Spencer in den USA, gehört zu den einflussreichsten geistlichen Schriften des vergangenen Jahrhunderts. Sie ist Niederschlag einer Erfahrung, die wie zufällig über seine Gemeinschaft kam, gleichsam in einem göttlichen Zu-Fall. In den späten 1960er-/frühen 1970er-Jahren gewannen fernöstliche Formen der Meditation und Mystik in Nordamerika immer mehr Einfluss, auch in kirchlichen Kreisen. Vertreter dieser Richtungen kamen auch zu Besuch nach Spencer, aber die dortigen Mönche spürten, dass sie selbst keine geistlichen Praktiken hatten, die sich mit diesen Formen der Meditation vergleichen konnten. Auch jungen Leuten, die suchend ins Kloster kamen, um christliche Wege der Meditation zu finden, konnte man nichts Passendes anbieten. In der Mitte der 1970er-Jahre fragte Abt Thomas seine Gemeinschaft, ob es nicht möglich sei, eine christliche Form der Meditation methodisch so zu entwickeln, dass sie suchenden jungen Menschen als Alternative zu fernöstlichen Wegen angeboten werden könnte. Ein Mitbruder machte den Vorschlag, dass man dazu wohl die Lehre aus der »Wolke des Nichtwissens«, einer christlichen Schrift aus dem Mittelalter, verwenden könnte. Abt Thomas machte sich mit einigen seiner Mönche an die Arbeit und sie entwickelten auf der Grundlage dieses Werkes eine einfache Methode des Schweigens, des inneren Loslassens und der Hingabe, die ganz im christlichen Kontext stand. Versuchsweise hielten sie Kurse mit Jugendlichen, Priestern und Ordensleuten, die ihnen die Richtigkeit und Fruchtbarkeit dieses 7


Weges bestätigten. Sie nannten diesen Weg »Centering Prayer«, also zentrierendes oder sammelndes Beten, oder wie sich auf Deutsch eingebürgert hat: »Gebet der Sammlung«. 1981 legte Abt Thomas sein Amt nieder, um ganz frei zu sein für die weitere Entwicklung dieser Form des christlichen Meditierens. Auf diesem Weg wurde er zu einem der bekanntesten geistlichen Meister in den USA bis zum heutigen Tag. Aus dieser Arbeit entwickelte sich ein kontemplatives Netzwerk weit über die USA hinaus, mit einer großen Vielfalt von Kursangeboten, Publikationen und lokalen Gruppierungen. Das Gebet der Sammlung ist keine Meditationstechnik, die Menschen zu isolierten spirituellen Erfahrungen führen will, sondern ein Weg, der gleichzeitig zur Erfahrung der kontemplativen Dimension der Heiligen Schrift und der Liturgie des Kirchenjahres führt. Das Gebet der Sammlung erschließt somit eine neue, kontemplative Ebene von Glauben und Leben – und führte deshalb an vielen Orten zu einem neuen Aufbruch kirchlicher Spiritualität. Besondere Aufmerksamkeit verdient der reinigende Charakter des Gebetes der Sammlung. Dieser Aspekt war von Thomas Keating und seinen Mitbrüdern ursprünglich nicht intendiert – und war ihnen anfangs auch überhaupt nicht bewusst. Diese Entdeckung war ein weiterer göttlicher Zu-Fall, der wohl auch ein wichtiger Grund für die wirkungsvolle Verbreitung und Beliebtheit dieser Methode ist: Je länger man mit einer gewissen Regelmäßigkeit das Gebet der Sammlung pflegt, desto mehr merkt man, wie sehr diese einfache Methode des Schweigens und der Hingabe an Gott die Tiefen der Seele in eine heilsame Bewegung bringt. Alte Wunden und seelische Blockaden lösen sich allmählich auf und negative Verhaltenmuster verlieren ihre Wirksamkeit. Je mehr diese innere Reinigung voranschreitet, desto tiefer und freier wird das kontemplative Gebet und desto freier und liebevoller kann der Mensch mit anderen umgehen. 8


Im siebten Kapitel des ersten Teiles beschreibt Thomas Keating diese Wirkung als »Entrümpelung des Unbewussten«. Im Laufe der Jahre hat er aus diesen Erfahrungen heraus und in Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten eine geistliche Psychologie entwickelt, die vielen Menschen eine wertvolle Orientierungshilfe für die Höhen und Tiefen des inneren Weges geworden ist. Der hier angedeutete therapeutische Heilungsprozess kann sich auch ohne professionelle Hilfe entfalten, sofern man nur mit einer gewissen Regelmäßigkeit das Gebet der Sammlung in seinen Alltag einfügen kann, normalerweise zweimal am Tag. Thomas Keating liefert auch dazu wichtige Hinweise aus seiner langjährigen Erfahrung. Das Gebet der Sammlung bewirkt also im Laufe der Zeit eine umfassende Reifung des Menschen, bei dem innere geistliche Erfahrungen und konkretes Verhalten im Alltag nicht auseinanderklaffen. Der Mensch findet immer mehr zur inneren und äußeren Ganzheit, im intensiven Austausch der Liebe mit Gott und Mensch und Welt. In einem Vortrag wies Thomas Keating einmal darauf hin, dass ein solcher innerer Reinigungsprozess gerade für Menschen in Führungspositionen besonders wichtig ist, damit sie aus einem gereinigten und offenen Herzen mit Menschen umgehen können und nicht durch negative oder krankhafte Verhaltensmuster die ihnen anvertrauten Menschen eher beschädigen, statt sie zu fördern. Dieses Buch wendet sich aber bei weitem nicht nur an Führungskräfte: Es ist eine Einladung an alle, die nicht nur geistliche Erfahrungen suchen, sondern eine tiefgreifende Wandlung und Heilung ihres ganzen Seins ersehnen – aus der Kraft des Glaubens und der Hingabe. P. Fidelis Ruppert OSB 1982–2006 Abt von Münsterschwarzach

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Einleitung

Diese neue Ausgabe des Buches »Das Gebet der Sammlung« weist auf die erste Ausgabe vor über zwanzig Jahren hin und gibt uns auch die Gelegenheit, einige seiner Teile, auf Grund der Erfahrungen mit dieser Form des Gebetes der letzten zwanzig Jahre, auf den neuesten Stand zu bringen. Für die große Hilfe bei dieser Neuausgabe möchte ich dabei P. Carl Arico herzlich Danke sagen. Teil I bezieht sich auf die Methode des Gebetes der Sammlung und seinen unmittelbaren konzeptionellen Hintergrund. Teil II bietet spirituelle, historische und theologische Reflexionen, um diese Methode des Betens in größerem Zusammenhang zu sehen. Während des ganzen Buches möchte ich dabei auch die häufig gestellten Fragen der Teilnehmer an dieser Form des Betens in Kursivschrift aufzeigen. Um Klarheit zu schaffen, scheint es mir besser zu sein, den Begriff »Gebet der Sammlung« für das Erwachen der Gabe der Kontemplation, die in diesem Buch beschrieben wird, zu verwenden und den Begriff »kontemplatives Gebet« für seine völlige Entfaltung unter der Führung des Geistes Gottes vorzubehalten. Der wesentliche Grund für das Gebet der Sammlung und sein kontemplatives Darüberhinausreichen, das spirituelle Netz, das es dabei unterstützt, will dazu beitragen, den Menschen das Wissen und die Erfahrung der Liebe zu bringen, die Gott zu uns hat. Kontemplatives Beten besteht in einem Prozess innerlicher Transformation. Es ist eine Umwandlung, die Gott initiiert, doch, wenn wir zustimmen, uns zum Einssein mit Gott führen wird. In diesem 13


Prozess wird sich die Art und Weise, wie man die Wirklichkeit sieht, verändern. Eine Restrukturierung des Bewusstseins wird dabei wahrgenommen, die einem hilft, ein zunehmendes Gespür für die göttliche Gegenwart in und jenseits von allem, was geschieht, wahrzunehmen, es in Zusammenhang zu bringen und ins tägliche Leben zu integrieren. Nach christlicher Tradition ist das kontemplative Gebet eine reine Gabe Gottes. Um sie als reine Gabe zu bezeichnen, muss man jedoch einen feinen Unterschied treffen, denn sonst würde man den Eindruck erwecken, dass es außerhalb unserer Reichweite liegt und nur den Menschen, die im Kloster leben, vorbehalten ist, den Einsiedlern oder jenen, die ein sehr strenges Leben führen. Im Gegenteil dazu gehört aber Kontemplation zum fundamentalen Bestandteil menschlicher Natur und ist von daher jedem menschlichen Wesen erreichbar. Wir können sie erwerben, wenn wir die Vorstellung von dem, was wir selbst sind, lassen, unseren Willen Gott überlassen, uns auf Gottes Sein, das immer schon in uns ist, verlassen und darauf warten, dass er sich uns offenbart. Regelmäßige Zeiten der Stille und Einsamkeit werden uns dabei helfen, unser Gespür für Gottes Gegenwart während der Zeiten, in denen wir wach sind, wahrzunehmen und den Einfluss des falschen Selbst in uns (das, was der hl. Paulus den »alten Menschen« nennt) zurückzudämmen, der den umwandelnden Prozess der Gnade verlangsamt. Dieses falsche Selbst ist ein idealisiertes Bild von uns selbst, das sich seit unserer Kindheit in uns entwickelt hat, um mit den gefühlsmäßigen Traumata zurechtzukommen, die sich aus dem enttäuschenden Bestreben nach Sicherheit und Überleben, nach Liebe und Selbstachtung, Macht und Kontrolle in uns bildeten. Dieses falsche Selbst sucht außerdem nach Glück in der Identifikation mit ganz besonderen Gruppen, bei denen es auf Anerkennung stößt und die am Aufbau seines Selbstwertgefühles mitwirken. Auf der sozialen Ebene trägt es zu Gewaltausbrüchen bei, zu Krieg und institutioneller Ungerechtigkeit. 14


Das Gebet der Sammlung ist eine Bewegung göttlicher Liebe, die die christliche Tradition des kontemplativen Betens erneuern möchte. Sie besteht darin, dem Ruf des Heiligen Geistes zuzustimmen, der in uns wohnt und arbeitet. Sie bezieht sich grundsätzlich auf die Art des Betens, wie sie Jesus in Matthäus 6,6 vorschlägt: »Du aber geh in deine Kammer, wenn du betest, und schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.« Beachtenswert ist das schrittweise Vorgehen in diesem Text, in immer tiefere Zustände des Schweigens: 1. Den äußeren Tumult zurücklassen, die Umgebung, in der wir uns befinden, auch die Unruhe, die beim Eintritt in unser innerstes Zimmer, in die spirituelle Ebene unseres Selbst, unserer Intuition und unseres inneren Willens aufkommen könnte. 2. Die Tür schließen, das bedeutet, jenes innere Gespräch in uns auszuschließen und abzuschalten, in dem wir gewöhnlich stets mit uns selbst sind, in dem wir Menschen und Ereignisse, die in unser Leben eintreten oder daraus austreten, beurteilen, auswerten und auf sie reagieren. 3. Zum Vater im Verborgenen beten, der zu uns ohne Worte zu sprechen vermag. Die Methode des Gebetes der Sammlung antwortet dieser Einladung dadurch, dass sie: 1. Gottes Gegenwart und Wirken in uns zustimmt, 2. sich voll Gottes Willen unterwirft, 3. sich auf Gott bezieht, der im Schweigen in uns wohnt, das das Schweigen unseres inneren Selbst ist. 15


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