Wunibald müller schenk deinem herzen ruhe

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Lebenstrost und Lebensmut An Tagen der Sehnsucht Sonntagsruhe

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In Tagen der Unsicherheit In die Stille gehen

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Das Heiligtum in mir

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Auf der Suche nach Gott Vergänglichkeit aushalten In Zeiten der Angst

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Gott lässt sich von uns finden Das Vaterunser

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Etwas Unzerstörbares Gott ist immer bei mir

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Unsere Existenz, in Gott geborgen

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Du weckst laut den Jubel, machst groß die Freude

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Manchmal brauchen wir einen Engel

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Das Hässliche im anderen und in mir

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Unerschütterliches Vertrauen Gottes Gastfreundschaft

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Mein Verlangen wird gestillt Gute und schlechte Hirten

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Gott ist mir näher als ich mir selbst Tanzen vor Gott

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Ich bin da für dich

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Gehalten bis zum Schluss – und darüber hinaus Wohnen bei Gott

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Gott rettet aus aller Not

Literatur

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In Tagen der Unsicherheit

Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die Größte unter ihnen. λ KORINTHER λν,λμ͵λν

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Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht, und die Stelle aus dem Ersten Korintherbrief war da: Wir sehen ein dunkles Bild. Jetzt. Zu Lebzeiten. Dann aber werden wir erkennen. Ich bin in Jerusalem. Direkt neben dem Damaskustor der Altstadt. Es ist kurz vor Mitternacht. Der Lärm der Menschen und Autos – es ist Ramadan – dringt an mein Ohr. Zuvor schaute ich von der Veranda des Paulus-Hauses auf die Altstadt, den angestrahlten Felsendom und die El-Aksa-Moschee. Wie durch einen Spiegel sehen wir alles, ein dunkles Bild! Gebäude, Gedenkstätten, Menschen, die durch das Damaskustor strömen, vornehmlich Muslime auf dem Weg vom und zum Felsendom. Zuvor auf dem Weg hierher in Mea Schearim orthodoxe Juden in auffälliger Kleidung. Ich muss tiefer schauen, will ich wirklich erkennen, um was es da geht. Das aber kann nur das ganz Andere, das Heilige, Gott sein. Befinde ich mich doch in der heiligen Stadt. Ich denke an Dorothee Sölle, der ich auf meiner ersten Reise nach Israel im Jahre 1973 im Flugzeug begegnete und die von dem »gar nicht so gelobten Land« sprach. Ich denke an den ehemaligen israelischen Ministerpräsident Ariel Sharon, der irgendwo in einem Krankenhaus – Hadassa? – im Koma liegt. Ich denke an meinen Vater, der vor Kurzem starb.

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Was ist wirklich? Was ist wirklich dran an unserem, meinem Glauben? Mache ich mir nicht etwas vor? Bilde ich mir das nur ein, dass es da etwas Tieferes, Wesentlicheres gibt? Dass es etwas gibt, was ich bisher nur wie durch einen Spiegel sehen kann? Verdunkelt? Entstellt gar? Ist nicht irgendwann einfach alles aus? Das Leben meines Vaters: einfach erloschen? Zu Ende? Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Ist das, was da draußen am Damaskustor abläuft, mehr als äußeres Getue? Was hat das mit Gott zu tun? Hat das etwas mit Gott zu tun? Was berechtigt mich, das in Zweifel zu ziehen? Und wie stehe ich wirklich dazu? Was bedeutet es mir? Glaube ich wirklich daran, dass ich jetzt nur alles wie durch einen Spiegel sehe, dann aber erkennen werde? Glaube ich das wirklich? Ich bin mir da nicht so sicher, so sicher ich mir gerne auch wäre. Aber, was ich spüre, empfinde, ist mehr als: Ich würde es gerne glauben. Da ist so eine Zuversicht, dass es so sein könnte – vielleicht ein Glaube? Ich muss nicht jetzt schon alles durchschauen, ich muss nicht jetzt schon alles erkennen. Es darf auch vieles undurchsichtbar, unklar, unanalysiert bleiben. Diese Einstellung tröstet mich, lässt mich ruhiger werden. Ich tue, was

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ich tun kann. Ich gehe die Schritte, die ich gehen kann. In der Zuversicht, dass ich irgendwann das erkennen, das sehen, das erklären kann, was ich im Moment noch nicht erkennen, sehen, erklären kann. Daraus erwächst mir Mut, mich auch mit kleinen Schritten zufriedenzugeben; die Entscheidungen zu treffen, die ich jetzt treffen kann, auch wenn sie nicht vollkommen sein werden. Doch ich bleibe nicht einfach sitzen oder stehen. Ich gehe weiter. Schritt für Schritt. Nach vorne. Die Spannung bleibt. Die aber muss und will ich aushalten. So muss ich mich damit begnügen, alles zunächst wie durch einen Spiegel zu sehen, dann aber – so hoffe ich – zu erkennen. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.

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In die Stille gehen

Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den Herrn! Und siehe, der Herr wird vorübergehen. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem Herrn her; der Herr aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der Herr war nicht im Erdbeben. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der Herr war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle. Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm und sprach: Was hast du hier zu tun, Elia? λ KÖNIGE λσ,λλ͵λν

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Wo ich Gott finde? Hier in der heiligen Stadt Jerusalem? Ich sitze auf der Veranda des Paulushauses. Es ist früh am Morgen. Ich sitze einfach da. Lasse alle Gedanken und Gefühle zu. Bin wach für Gott, für Dich, meinen Gott. »Früh erwache ich zu dir«, heißt es in einem Psalm, den ich oft zu Hause als Morgengebet spreche. Ich schließe die Augen. Denke an Gott. Ich denke an dich, meinen Gott. Du bist natürlich hier in Jerusalem nicht mehr als zu Hause in Lengfeld oder bei den Menschen in Pakistan, die augenblicklich von einer Naturkatastrophe heimgesucht werden. Der Lärm, der von der Straße vor dem Damaskustor an mein Ohr dringt, übertönt fast die Stimme des Muezzins. Gottes Stimme, deine Stimme, geht oft unter im Lärm der Welt – auch in meiner äußeren und inneren Welt. Gerade höre ich das erste Glockenläuten. Es vermischt sich mit dem Straßenlärm. Es ist heller geworden. Jetzt entdecke ich die Grabeskirche und den Turm der Erlöserkirche. Ich sehe mehr als vorher. Doch, so scheint es mir, ich entferne mich immer mehr von Gott, von dir. Wenn ich die Augen schließe, bist du mir wieder näher. Ich muss nicht nach Jerusalem gehen, um Gott zu finden. Ich muss auch nicht erst einen

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Gottesdienst besuchen, um ihm nahe zu sein. Das Gehabe der Hüter der heiligen Stätten, das laute und allzu Demonstrative mancher Gottesdienste können mir den Zugang zu Gott erschweren. Ich kann aber natürlich auch dort Gott finden. Das hängt auch von mir ab. Es hängt davon ab, ob ich ihn innen, in mir finde. Ihm dort begegne. Der Tiefenpsychologe Carl Gustav Jung nennt es die Person Nummer Zwei, in die der, der in sie eintritt, verwandelt wird, dem ganz Anderen begegnet. Wie sehr ich doch Romano Guardini verstehe, wenn er schreibt: »Unser ganzes Leben sollte der Ewigkeit Nachbar sein. Immer sollte in uns die Stille sein, die nach der Ewigkeit hin offen steht und horcht.« Welch ein Privileg, immer wieder in die Stille zu gehen. Welch eine Labsal, in der Erfahrung der Stille das stille, sanfte Sausen der Anwesenheit Gottes zu erfahren. Welch ein Trost für die Seele, welche Herzensruhe, die davon ausgeht. Ich sehne mich nach solchen Erfahrungen. Erfahrungen, die mir erlauben, mich zurückzuziehen, bei mir einzukehren, mich zugleich aber auch zu rüsten für das Leben, den Kampf, die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit des Alltags. Erfahrungen, die mir erlauben,

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Kraft zu schöpfen, den Lebensmut in mir zu stärken. Jetzt höre ich wieder Glockengeläut. Ich höre nach innen. Auf das Säuseln des Windes in mir. Ich halte inne, schließe die Augen. Bin einfach da. Offen für Gott. Für dich. Da mich, seit es hell geworden ist, die Moskitos plagen, habe ich mich in mein Zimmer zurückgezogen. Von draußen dringen die Schreie der Arbeiter, die Hupen der Autofahrer an mein Ohr. Gerade auch das Gekrächze einiger Vögel. Ich bin in Jerusalem. Das ist schön. Doch gerade ist vor allem Jerusalem in mir. Bin ich in Berührung mit Gott. Mit dir. In mir. Dann bist du aber auch hier – in Jerusalem. Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den Herrn! Und siehe, der Herr wird vorübergehen. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.

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