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Viennale 2021

DIE VIENNALE 2021

Singende Mörder, die schlimmste Person der Welt, protokollierte Träume und nervöse Prinzessinnen: ausgewählte Highlights der 59. Viennale.

Den Begriff der Erinnerung kann Viennale-Direktorin Eva Sangiorgi nicht aus dem Kopf bekommen, wenn sie versucht, eine Klammer für das diesjährige Festivalprogramm zu finden. „Erinnerung als Vergegenwärtigung von persönlichen oder geteilten Erfahrungen. Erinnerung als die Art und Weise, in der sich Erfahrung und Geschichte in Literatur, Dichtung und Leben verflechten, wie etwa bei den Filmen von Terence Davies. Erinnerung als etwas, das weitergegeben, geteilt und gelehrt wird – an der Schule, unter Klassenkameraden, unter Menschen, mit denen wir unterwegs sind. Aber Erinnerungen brauchen auch die Demontage, sie sollten ein Erbe sein, dem man sich kritisch nähert.“ Sei es Sara Gómez‘ Arbeit in der Historiografie; sei es das Spiel einer Tochter mit ihrer nicht greifbaren, klein gewordenen Mutter bei Céline Sciamma, seien es schwindende Erinnerungen bei Gaspar Noés neuer Arbeit. Ein Blick auf die Viennale 2021 …

EMPFEHLUNGEN AUS DEM HAUPTPROGRAMM

Annette (Regie: Leos Carax, F/D/BE/Japan/Mexiko 2020) Leos Carax (Holy Motors) hat ein Musical gestaltet (die Musik stammt von den Sparks), das das Filmfestival in Cannes eröffnete und von der tragischen Liebe zwischen einem Comedian und einer Opernsängerin (Marion Cotillard) erzählt. Als ein gemeinsames Kind entsteht, nimmt ihre Geschichte eine böse Wendung ins Bodenlose: Adam Driver beginnt zu singen …

Land of Dreams (Regie: Shirin Neshat, USA/D/Katar 2021) Shirin Neshat (Women Without Men) führt komödiantisch in die USA einer „nahen Zukunft“. Die gebürtige Iranerin Simin Hakak arbeitet für das CensusBüro und soll ergründen, wovon die Amerikaner nachts träumen. Dies ist ein Programm der Regierung, um die Bürger verstehen und auch kontrollieren zu können. Nun soll sie die Träume einer irakischen Kolonie ehemaliger Revolutionäre auskundschaften.

Diários de Otsoga (Regie: Miguel Gomes, Maureen Fazendeiro, Portugal 2021) Ein Film, gedreht ohne Drehbuch während des Lockdowns 2020 in einem französischen Sommerhaus. Die Schauspielerinnen protestieren gegen ihre undefinierten Rollen, die Regisseurinnen halten dagegen. Frei und verspielt.

e Card Counter (Regie: Paul Schrader, USA/UK/ China 2021) Ein Mann, der sich seinen Lebensunterhalt beim Black Jack verdient, muss sich seiner Vergangenheit stellen. Der Blick zurück führt in den Irakkrieg und hinter Gitter … Zu Paul Schraders fabelha em Hauptdarsteller wird Oscar Isaac.

Spencer (Regie: Pablo Larraín, D/UK 2021) Pablo Larraín verwandelt (ähnlich fabelha wie Natalie Portman in Jackie) Kristen Stewart in eine Prinzessin am Rande des Nervenzusammenbruchs: Er inszeniert drei Weihnachtstage bei den britischen Royals – und Diana hat gerade von Prinz Charles’ A äre mit Camilla erfahren … Benedetta (Regie: Paul Verhoeven, F 2021) Ein Klosterdrama mit großer Lust an der Provokation – zum Beispiel der Lust an einem von zwei Nonnen aus einer Heiligen gur geschnitzten Holzdildo. Verhoeven versetzt u.a. Virginie E ra und Charlotte Rampling ins 17. Jahrhundert.

Au Bord du Monde – Vortex (Regie: Gaspar Noé, F/BE/Monaco 2021) Ein alterndes Ehepaar. Sie, eine ehemalige Psychiaterin, ist an Demenz erkrankt; die Wohnung wird für sie zum Labyrinth. Er, ein Filmhistoriker, sucht eine Aus ucht. Der ratlose Sohn scheut sich vor der Verantwortung. Gaspar Noé lmt im Split-ScreenVerfahren, um jeden Moment aus den verschiedenen Perspektiven einzufangen: Jeder bleibt in seinem Kader.

Petite maman (Regie: Céline Sciamma, F 2021) Céline Sciamma, die die Viennale zuletzt mit ihrem fabelha en Porträt einer jungen Frau in Flammen besuchte, legt nun ein magisches Spiel der Imagination vor: Nelly lernt am Ort der Kindheit ihrer (nicht ganz grei aren und einfachen) Mutter ein Mädchen kennen, Marion. Die neue Spielgefährtin entpuppt sich als imaginär: Es ist ihre Mutter vor 25 Jahren …

e Power of the Dog (Regie: Jane Campion, Neuseeland/ Australien 2021) Ein Neo-Western, bei dem ein gemeinsam eine Ranch führendes Brüderpaar aus dem Gleichgewicht gerät, als einer der beiden eine Witwe mit Sohn im Teenageralter heiratet. Jane Campion fokussiert auf die Figurendynamik, Benedict Cumberbatch, Jesse Plemons, Kirsten Dunst und Kodi Smit-McPhee spielen dabei mit. Silberner Löwe in Venedig.

e Souvenir II (Regie: Joanna Hogg, Irland/UK 2021) Vor zwei Jahren inszenierte Joanna Hogg eine junge Filmstudentin auf der Suche nach ihrer Stimme, die von Tilda Swintons Tochter Honor Swinton Byrne gespielt wurde, und einer komplizierten und fordernden ersten Liebe. e Souvenir ist bei der Viennale zu sehen – und außerdem die Fortsetzung e Souvenir II: Das Leben und Werken nach Anthony … L’Evénement – Das Ereignis (Regie: Audrey Diwan, F 2021) Audrey Diwan ver lmt die eindringliche Erzählung von Annie Ernaux. Was passiert, wenn man Frauen das Recht auf Selbstbestimmung nimmt – etwa auch die Möglichkeit, sich für einen Schwangerscha sabbruch zu entscheiden? Der Film spielt in den 1960er-Jahren in Frankreich. Der Blick etwa nach Polen oder Texas verraten aber, dass das ema niemals an Dringlichkeit verliert. Goldener Löwe in Venedig.

Zeroes and Ones (Regie: Abel Ferrara, D/UK/I/USA 2021) Ethan Hawke irrt – im Rahmen einer Undercover-Mission mit allen Befugnissen ausgestattet – als gezeichneter US-amerikanischer Soldat durch Rom; die Welt ist von einer Pandemie gezeichnet. Regiepreis für Ferrara in Locarno.

Verdens verste menneske – e Worst Person in the World (Regie: Joachim Trier, NO/F/SE/DK 2021) Die „schlimmste Person der Welt“ ist Julie nicht wirklich – sie verliebt sich nur in einen anderen Mann, während sie eigentlich mit Underground-Comiczeichner Askel liiert ist, der mit ihre eine Familie plant. In zwölf Kapiteln, einem Prolog und einem Epilog wird von Julie erzählt, die ganz famos von Renate Reinsve dargestellt wird. In Cannes wurde sie zur besten Darstellerin gekürt.

Drive My Car (Regie: Hamaguchi Ryusuke, Japan 2021) Der in Cannes ausgezeichnete Spielfilm Drive My Car basiert auf einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami. Im Zentrum: Ein gezeichneter Theatermacher, der inmitten einer Beziehungskrise seine Frau verliert und nun in einem roten Saab 900 zu einem Gastspiel in Hiroshima aufbricht, wo er von der schweigsamen Chauffeurin Misaki herumgefahren wird.

Große Freiheit (Regie: Sebastian Meise, A/D 2021) 1945. Nach dem Konzentrationslager landet Hans gleich im Gefängnis, er wird es über Jahrzehnte immer nur kurz verlassen. Sein „Verbrechen“: Er ist homosexuell. Sebastian Meises fantastisches Kammerspiel, das in Cannes ausgezeichnet wurde, bringt Franz Rogowski und Georg Friedrich zusammen.

RETROSPEKTIVE UND SPECIALS

„Monografien“ sind im Jahr 2021 Terence Davies und Henrik Galeen gewidmet. Davies (The Deep Blue Sea), der den diesjährigen Festival-Trailer gestaltet hat, bringt natürlich auch seinen aktuellen Film Benediction mit. „Der Schattenspieler“ zeigt die Arbeit von Henrik Galeen, dem Filmautor des Weimarer Kinos, den Siegfried Kracauer als „Experten für phantastische Horrorfilme“ bezeichnete. Er schrieb etwa auch an Stummfilm-Klassikern wie Nosferatu (1922) und Das Wachsfigurenkabinett (1924) mit. Die Kinematografie beschäftigt sich mit Arbeiten von Fabrizio Ferraro. Eine Historiografie ist Sara Goméz gewidmet. Zu sehen ist u.a. der erste kubanische Langfilm, der von einer Frau gedreht wurde.

Benediction

Die Regisseurin selbst hat seine Fertigstellung gar nicht erlebt: Sie starb während der Schnittphase ihres Films Ce Cierta Manera (1974–1977). Die Historiografie „Pionier der Kunst der Illusion“ beschäftigt sich mit Frilmtrickzauberer Segundo de Chomón. DOT. verlost neben vier 5er-Ticket-Blöcken fürs Festival zehn Festivalpackages: In der heiß begehrten ViennaleTasche finden sich Kataloge, Plakate und andere feine Goodies. Mitspielen per Mail an gewinn@pph-media.at.

Die Retrospektive ist dem Filmwissenschaftler und -kritiker Amos Vogel, der heuer 100 geworden wäre, gewidmet. Die Programmierung ging ungewöhnlich vonstatten: Kuratoren aus aller Welt waren aufgefordert, aus Vogels Perspektive auf das neuere Filmschaffen zu blicken.

Mit DOT. zur Viennale

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Keine Barablöse.

ECKDATEN ZUR VIENNALE 21.–31.10.2021

Retrospektive „Film as a subversive art 2021: A Tribute to Amos Vogel“: 22.10.–25.11.2021, www.filmmuseum.at Das gesamte Programm wird am 12.10. veröffentlicht, Tickets sind ab 16.10., 10 Uhr, zu haben. Alle Infos auf www.viennale.at

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