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Carte blanche

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Kultursplitter

Kultursplitter

Corsin Fontana, Foto: Niklaus Bürgin Corsin Fontana, «Ohne Titel», 2012, Martin Hürlimann, Chur

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Dialoge mit dem Orient

Dagmar Brunner Der Künstler Corsin Fontana gibt Einblick in seine Inspirationsquellen.

«Ich werde ganz kribbelig, wenn ich nicht arbeiten kann», sagt Corsin Fontana. In Chur hat er sich zwar ein temporäres Atelier eingerichtet, aber derzeit gibt es andere Prioritäten: Das Bündner Kunstmuseum widmet ihm eine grosse Einzelausstellung, begleitet von Veranstaltungen und einer aufschlussreichen Publikation. Kurator Stephan Kunz präsentiert dabei wichtige Hintergründe seines Werks.

Der langjährig in Basel und heute im Val Lumnezia lebende Künstler (geboren 1944) wurde schon früh durch Schulfunksendungen auf arabische Musik aufmerksam und bereiste ab 1977 verschiedene Länder Afrikas, vor allem Marokko. Meist per Autostopp und zum Teil mit Freunden unterwegs, begegnete er vielfältigen Landschaften, Kulturen und Traditionen, deren karger Reichtum ihn begeisterte. Er lernte unterschiedliche Musikstile kennen, die er mit Tonband aufnahm oder auf Kassetten erwarb. So entstand eine umfangreiche Sammlung populärer und klassischer Musik aus dem arabischen Raum sowie aus Indien und Pakistan. Die mit einfachen Instrumenten gespielte Berber- und Gnawamusik ist ihm besonders lieb. Rhythmus und Dynamik, Wiederholung und Variation zeichnen sie aus und haben eine hypnotische, meditative Wirkung.

Nach kurzer Berufszeit als Offsetdrucker in Basel entschied sich Fontana für ein freies künstlerisches Leben. Er gehörte zur ersten Generation im Kaserne-Atelierhaus Klingental, wo er 52 Jahre lang (bis 2019) ruhig und kontinuierlich arbeiten konnte. Bald erhielt er auch Preise und fand später in Tony Wuethrich einen Galeristen, der ihn seit fast 25 Jahren begleitet.

Raffinierte Reduktion.

Corsin Fontanas Werk ist vielseitig: Lange setzte er sich mit Naturphänomenen auseinander, schuf Objekte und Installationen aus «armen» Materialien, machte Aktionskunst und Filme, Druckgrafik und Kunst am Bau. Einst war er das jüngste Mitglied der Basler Farnsburggruppe, die gegen konservative Förderkriterien opponierte. Er blieb indes ein stiller Kunstschaffer, der daneben als Taglöhner oder als Viehhüter auf Bündner Alpen jobbte und seiner Musikleidenschaft frönte.

Heute reist Fontana oft mit seiner Frau Sonia, die Wurzeln in Indien und Afrika hat. Die Affinität zu diesen Kulturen manifestiert sich auch in Farben, Motiven und der Textur seiner meist monochromen und teilweise grossformatigen Bilder der letzten Dekade, die nun ausgestellt sind. Mit Ölkreide aufwendig geschichtete Streifen und Gitter erzeugen vielfältige Assoziationen und loten Gegensätze aus: Licht und Dunkelheit, Dichte und Leere, Zeigen und Verbergen, Präzision und Unschärfe. Schlicht und intensiv, sinnlich und erhaben zugleich wirken diese Anordnungen. Ein Video und eine Hörstation mit ausgewählter Musik samt den Covers der Tonträger sowie ein Saal mit älteren Werken und Vitrinen mit Skizzen runden die Schau ab.

Und was hat es mit den kryptischen Titeln von Katalog und Ausstellung auf sich? Nichts Bestimmtes, «eine rein phonetische Aussage», meint schmunzelnd der Künstler, der als Schüler mit andern eine Geheimsprache kultivierte. Derzeit freut er sich besonders darauf, wieder Zeit und Musse für seine Arbeit zu haben.

Corsin Fontana, «Scalafundas»: bis So 21.11., Bündner Kunstmuseum, Chur Katalog: Corsin Fontana, «Schgh», Hg. und Text Stephan Kunz (Dt./Arab.): Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich, 2021. 168 S., 134 Abb., br., CHF 39 Peter Burri Drei Ausstellungen erinnern an den erfolgreichen Elsässer Maler Jean-Jacques Henner aus dem 19. Jahrhundert.

1829 im Sundgauer Dorf Bernwiller geboren, wurde der begabte Bauernsohn Jean-Jacques Henner von seinem Zeichnungslehrer in Altkirch gefördert, der ihn klassizistische Werke kopieren liess. Später studierte Henner in Paris, wo er 1858 den Prix de Rome der Académie des Beaux-Arts gewann. Der damit verbundene Aufenthalt in der Villa Medici prägte sein weiteres Schaffen. Gefragt war Henner danach als exzellenter Porträt-Maler, doch berühmt wurde der «akademische Realist» mit seinen idealistischen Frauenakten, die er bei Dämmerlicht in der Natur inszenierte: hellhäutige und oft rothaarige Nymphen oder Badende, aber auch eine in Gedanken versunkene «Magdeleine» mit nacktem Oberkörper, die ihr Gesicht von den Betrachtenden abwendet. National gefeiert wurde der Künstler, als er 1871 sein Bildnis einer würdevoll trauernden Elsässer Trachtenfrau «L’Alsace, elle attend» nannte. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg, bei dem Frankreich das Elsass und Lothringen verloren hatte, wurde dieses Werk zum Sinnbild der Hoffnung auf eine Revanche.

Strasbourg, Mulhouse und Paris.

Man mag Henners Werk, zu dem auch Landschaftsbilder oder ein an Holbein erinnernder «Toter Christus» gehören, für rückwärtsgewandt bis manchmal gar etwas schwülstig halten: Ein Meister seines Fachs war er allemal. Vermögend und seiner sicher, sah er auch keinen Grund, den aufkommenden Impressionismus zu bekämpfen, sondern verhalf etwa Edouard Manet zu einer Ehrung. Strasbourg zeigt nun unter dem Titel «La chair et l’idéal» eine Retrospektive des höchst produktiven, 1905 verstorbenen Malers. Mulhouse setzt den Akzent auf seine Zeichnungen und Studien. Und im heute staatlichen, 1924 von einer Nichte des Künstlers gegründeten Pariser Henner-Museum wird seine Beziehung zum Elsass thematisiert.

«Jean-Jacques Henner (1829–1905) – La chair et l’idéal»: bis Mi 19.1., Musée des Beaux-Arts, Strasbourg, www.musees.strasbourg.eu «Henner dessinateur»: bis So 30.1., Musée des Beaux-Arts, Mulhouse, www.musees-mulhouse.fr «Alsace. Rêver la province perdue 1871–1914»: bis Mo 7.2., Musée national Jean-Jacques Henner, Paris, www.musee-henner.fr

Bruno Rudolf von Rohr Beim Wiederaufbau der Kathedrale Notre-Dame kommt jurassisches Know-How zum Einsatz.

Die Bilder der brennenden Kathedrale NotreDame in Paris haben vor zweieinhalb Jahren bei vielen Menschen auf der ganzen Welt starke Emotionen ausgelöst. Auch der junge jurassische Unternehmer Gauthier Corbat, ausgebildeter Kunsthistoriker und Träger eines Master- Diploms in europäischen Studien (Etudes européennes), der vor ein paar Jahren eine Diplomaten-Karriere einschlagen wollte, wurde von dem dramatischen Ereignis tief berührt.

Als nach dem katastrophalen Brand bekannt wurde, dass die Kathedrale originalgetreu wieder aufgebaut werden sollte, aktivierte Corbat, der sich schliesslich für den Einstieg ins Familienunternehmen entschieden hatte, das Netzwerk seiner Firma. Corbat SA ist eine in der Schweiz führende, international tätige Holzverarbeitungsfirma im jurassischen Vendlincourt.

Auf Grund deren grenzüberschreitender Tätigkeit und des Fachwissens seines Personals in der Verarbeitung von Laubhölzern verspürte er spontan das Bedürfnis, am Wiederaufbau mitzuwirken, und zwar, wie es die Tradition will, unentgeltlich.

Corbat verstand sofort die Ausstrahlung, die davon ausgehen würde – sowohl für das Unternehmen selbst wie auch für den Kanton Jura insgesamt. Schliesslich handelte es sich um die Rettung eines der symbolträchtigsten religiösen Bauwerke der Welt. Der Dachstuhl, ein mittelalterliches Meisterwerk, trug den Namen «la forêt» (der Wald) wegen seiner unzähligen Eichenbalken. 2000 Eichen braucht es für den Neubau. Corbat hatte sogar die Absicht, eine Anzahl bester Eichen der jurassischen Wälder beizusteuern, doch die zentralistische und wohl auch chauvinistische französische Regierung machte ihm, zumindest vorerst, einen Strich durch die Rechnung.

Dank seiner Hartnäckigkeit, seiner beruflichen und persönlichen Verbindungen nach Frankreich und dem guten Ruf der CorbatGruppe wurde ihr als einziger Schweizer Sägerei neben etwa 40 anderen, ausschliesslich französischen Betrieben, ein Los von 50 bis 200 Jahre alten elsässischen Eichen für den Zuschnitt anvertraut. Sie sollen in zwei Jahren ihren endgültigen Platz im Querschiff und im Spitzturm finden. Im Oktober fand der Zuschnitt statt, danach werden die Balken zur Trocknung ein Jahr lang gelagert. In der Zwischenzeit erhofft sich Corbat noch einen zweiten Auftrag für den Dachstuhl des Schiffs. Vielleicht wird es ihm dann gelingen, Eichen aus dem Jura in das neue Dachwerk einzufügen als symbolische, völkerverbindende Geste.

Der Dachstuhl, ein mittelalterliches Meisterwerk, trug den Namen «la forêt» (der Wald) wegen seiner unzähligen Eichenbalken. Gebaut nach dem Lauf der Sonne

Tilo Richter Eric Wassers Heliodome im elsässischen Cosswiler macht sich die Natur zunutze.

Fährt man von Basel nach Strasbourg und etwas darüber hinaus durch das Kronthal, stellt man einen Wechsel von Topografie und Vegetation fest: Am Fusse des Col des Pandours prägen nicht mehr die typisch elsässischen Rebhänge das Landschaftsbild, sondern ausgedehnte Wälder, die bis zum Parc Natural Régional der Nordvogesen reichen. In dieser Gegend befindet sich das unscheinbare Cosswiller, ein Dorf, in dem um die 500 Menschen leben. Einer von ihnen ist Eric Wasser, gelernter Schreiner und seit Jahrzehnten als Möbeldesigner und Architekt tätig. In Cosswiller steht seit 2008 sein Opus magnum, der Prototyp seiner Erfindung: der Heliodome – die Sonnenkuppel.

Der Entwurf für das einem extraterrestrischem Flugobjekt ähnelnde Bauwerk stammt von Wasser selbst, doch im Grunde hat das Universum ihm den Zeichenstift geführt. Denn in der Form des Heliodome manifestiert sich exakt der Jahres- und Tageslauf der Sonne, im Grunde ist es eine dreidimensionale Sonnenuhr. Mit der gen Süden gerichteten Glasfassade sowie Holzfassaden im Norden macht sich der – energetisch als Passivhaus angelegte – Atelierbau die Natur zunutze und ist zugleich ihr geometrisches Abbild. Während an heissen Sommertagen die hochstehende Sonne nicht direkt ins Haus scheinen kann, wärmen die Strahlen der tiefstehenden Wintersonne das Innere.

Orientiert am Oloid.

Der Heliodome erinnert an ein Oloid, jenen eigenwilligen und faszinierenden Körper, den der Erfinder, Künstler und Forscher Paul Schatz im Jahr 1930 in Dornach entdeckt hat. Durch die Umstülpung des Würfels stiess er auf diese aus zwei räumlich verschränkten Kreisflächen zusammengesetzte Form (für deren geometrische Herleitung hier der Platz fehlt). In jahrzehntelanger Beschäftigung gelangte Schatz zu innovativen Anwendungen in der Industrie. So nutzen produzierende Basler Pharmaunternehmen bis heute Schatz’ «Turbula», ein Gerät zum effizienten Mischen von flüssigen Substanzen und Pulvern. Anwendungen des Oloids sicherte sich Paul Schatz 1970 mit dem Schweizer Patent Nr. 500 000.

Zukunftsfähige Ideen.

Wie Schatz’ Oloid ist auch Wassers Heliodome eine Form der Zukunft. Dank der idealtypischen Anordnung von lichtdurchlässigen und geschlossenen Fassaden wird der Energieverbrauch des Hauses minimiert und der Lebensraum im Inneren benutzerfreundlich belichtet und klimatisiert. Erst nach der Fertigstellung seines Traumhauses stellte Wasser fest, dass die konvex gewölbte Glas-Holz-Fassade einen akustisch einzigartigen FreiluftBühnenraum bildet. Konzerte, Dîner-Spectacle und Sonnenwendefeste am und im Heliodome zählen zu den kulturellen Höhepunkten der Region und machen das kleine Cosswiller zum Pilgerort für jene, die am Aussergewöhnlichen interessiert sind.

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