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Carte blanche

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«Revival of Space», 2021

CARTE BLANCHE VON THERESE WEBER

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JEDEN MONAT GESTALTEN KUNSTSCHAFFENDE EINE SEITE IN DER PROGRAMMZEITUNG.

Dagmar Brunner Zwei Museen zeigen das reiche Œuvre von Meret Oppenheim.

Es ist erfreulich, dass Museen zunehmend Kunst von Frauen präsentieren, wo sie freilich noch immer untervertreten sind. Gleich zwei Ausstellungen widmen sich nun dem vielseitigen Œuvre von Meret Oppenheim (1913–1985), die zwar schon in jungen Jahren berühmt wurde, aber weit mehr war als eine «Muse der Surrealisten». Ohnehin lehnte sie jede Vereinnahmung ab.

Heute gehört die Künstlerin, die mit Basel eng verbunden war, zu den wichtigsten Schweizer Kunstschaffenden des 20. Jahrhunderts. Doch trotz des frühen Erfolgs musste sie lange auf die breite Anerkennung ihres Werks warten: Erst 1974 gab es hierzulande erstmals eine grosse Einzelschau in Solothurn. Im grafischen Kabinett des dortigen Kunstmuseums sind nun rund 100 Arbeiten auf Papier aus über 50 Jahren ausgestellt. Selbstbestimmt und innovativ.

Zeichnungen, Aquarelle, Gouachen und Collagen, teilweise aus dem Museumsbestand sowie zahlreiche Leihgaben, veranschaulichen die Vielfalt von Techniken und Stilen, aber auch Oppenheims vielschichtige Grundmotive und Lebensthemen. Träume und Visionen, Naturskizzen und Selbstporträts hat sie festgehalten – mal zart oder kraftvoll, mal skurril oder poetisch – und sich auch intensiv mit verschiedenen Kulturen und Kunstrichtungen, mit Philosophie, Literatur, Zeit- und Geschlechterfragen auseinandergesetzt. 1975 bekam sie den Basler Kunstpreis und hielt eine flammende Rede für den eigenen Weg als Frau und Künstlerin.

Die Schau in Solothurn ergänzt als Satellit die parallel stattfindende grosse Retrospektive im Kunstmuseum Bern, die in Kooperation mit zwei Museen aus den USA entstand. Etwa 200 Werke aus allen Lebensphasen sind zu sehen: Gemälde, Objekte, Skulpturen und Zeichnungen, wobei insbesondere das subtile Spätwerk noch wenig bekannt ist. Beide Ausstellungen werden von Veranstaltungen und neuen Publikationen ergänzt. Sie zeigen eine beeindruckend kreative Persönlichkeit, deren Œuvre überraschend aktuell ist.

Meret Oppenheim, Arbeiten auf Papier: bis So 27.2.22, Kunstmuseum Solothurn, www.kunstmuseum-so.ch. Katalog bei Scheidegger & Spiess, 184 S., Abb., gb., CHF 46 Meret Oppenheim. Mon exposition: bis So 13.2.22, Kunstmuseum Bern, www.kunstmuseumbern.ch. Katalog bei Hirmer, 188 S., Abb., gb., CHF 49

Ein vielschichtiges Lebenswerk

Iris Kretzschmar

Hans Remond, «Handbemalungen», 1983–1992, Polaroid

Das Rappaz Museum ehrt den bald 90-jährigen Hans Remond und zeigt sein beeindruckendes Schaffen mit Bildern, Objekten und Plastiken.

Weisse Handflächen, mit einem schwarzen Kreuz und Dreieck bemalt, schmücken die Einladungskarte. Da ist einerseits Haut, verletzlich und persönlich, andrerseits die anonyme geometrische Form. Die Gegensätze erzeugen ein Spannungsfeld und öffnen einen ganzen Fächer an bildnerischen Assoziationen. Fast wie Wundmale wirken die dunklen Zeichen auf der hellen Haut, scheinen intim und distanziert zugleich. Für Hans Remond (geboren 1932), der katholisch aufgewachsen ist, sind der Schmerz und das Kreuz wichtige Elemente, die konkret oder verschlüsselt seine Bildsprache bestimmen. Nicht nur sakrale Symbolik auch rituelle Bemalungen von Stammeskulturen klingen an oder konstruktive Strömungen aus Russland und den Niederlanden. Zeichen und Zahlen erscheinen auch auf komplexen Holzobjekten, die beweglich und in einer reduzierten Farbigkeit gehalten sind. Sie erinnern an überdimensionierte Architekturmodelle oder Spielzeuge und beeindrucken mit ihrer Wandelbarkeit der Erscheinung. Reduktion auf das Wesentliche, Komplexität und Vielschichtigkeit sind bezeichnend für das gesamte Kunstschaffen von Remond.

Raum, Fläche, Licht.

Remonds Interesse an hell und dunkel, an Fläche und Raum beginnt mit den «Handbemalungen». In dieser Werkgruppe lotet der Künstler den Spielraum zwischen Malerei und Skulptur mit Polaroids aus. Hände mit schwarzen Linien werden spielerisch durch Drehung und Überlagerung so verschränkt, dass Plastisches und Malerisches zu neuen Bildgefügen finden.

Für die Ausstellung im Rappaz Museum in Basel ist ein weisses Zimmer geplant, wo Bild, Objekt und Raum eine Symbiose in Weiss feiern. Ein Ort, wo Licht, Architektur und Farbe zu einem Kontinuum verschmelzen. Weiss als Zusammenzug von Buntheit zu einem einzigen lichthaften Ganzen, Weiss als Nullpunkt, als Neubeginn, als Farbe des Absoluten und Blick in die Unendlichkeit. Auch in Remonds Holzplastiken, Bildobjekten und Figurenkasten herrscht Weiss vor. Ebenso in den asketischen «Schnurbildern», Leinwänden, die rhythmisch mit einem orthogonalen Netz aus Schnüren überspannt sind. Weiss übermalt treten die Fäden als feines Relief nach vorne, spielen mit Licht und Schatten. Wie Saiten eines Instruments deuten sie minimale Klänge an, lassen die Imagination in die Welt der Töne wandern. Remond ist auch Musiker, bekannt für seine performativen Auftritte, seine Erkundungen des Raumes mit dem Saxofon. Wer das gerne erleben möchte, hat an der Museumsnacht im Januar die Gelegenheit, einem Konzert des Künstlers in der Ausstellung beizuwohnen – und das kurz vor seinem runden Geburtstag!

Hans Remond 90 Jahre: Fr 17.12.21 (Vernissage 14–18 h) bis So 13.2.22, Mi/Do/Fr 14–18 h, Sa/So 13–17 h, Museumsnacht: Fr 21.1.22, 18–2 h, www.rappazmuseum.ch Ausserdem: Trinationale Kunstausstellung «Regionale 22»: bis 9.1.22, diverse Institutionen im Dreiland, www.regionale.org

Nana Badenberg Vier Basler Museen beleuchten unterschiedliche Aspekte unseres Umgangs mit der Kreatur.

Zärtlich, ja liebevoll umfangen archaisch anmutende Menschengestalten ein ihnen anheim gegebenes Opfertier. Dass dieses gleich geschlachtet wird, blendet der dargestellte Augenblick aus. Und doch verdeutlichen die kleinen Statuetten im Antikenmuseum schon im ersten Raum der Sonderausstellung die Ambivalenz der Mensch-Tier-Beziehung und auch ihre Brisanz. Fragen der Tierethik sind hochaktuell und zugleich so alt wie die menschlichen Kulturen, die immer schon ihrem tierischen Gegenüber begegneten: mit Ehrfurcht und Angst, Fürsorge und Tötung. Wir haben von Tieren gelernt: das Weben, den Hausbau, den Gesang, so bereits Demokrit, und haben sie für unsere Zwecke «gehalten» und genutzt. Vier Basler Museen beschäftigen sich derzeit in klug konzipierten Ausstellungen mit einem je eigenständigen Aspekt dieses Verhältnisses.

Domestikation, Mythologie und Einsatz im Alltag.

Im Antikenmuseum beginnt es mit der Domestikation. Aus gefürchteten Wildtieren wurden Haustiere, für die der Mensch Verantwortung übernahm. Ein ungebändigter Teil allerdings kehrt in der Vorstellung von Mischwesen wieder – den Sirenen, Sphingen und Satyrn der klassischen Antike – und wird von mythologischen Helden bekämpft und gebannt.

Das Museum der Kulturen beschreitet den umgekehrten Weg. Hier beginnt der Rundgang in der Gegenwart mit Kuscheltieren und Katzenkitsch. Auf diese artifizielle Nähe folgt die Auseinandersetzung mit dem «Nutzen» der Vierbeiner: als Arbeits- und Transporttier vor den Karren gespannt, als Nahrungslieferant gezüchtet und gemolken, aber auch geschlachtet und gejagt. Die Jagd mit ihrem ungleichen Kampf ist gar in einem Käfig exponiert: Speere, Pfeile, Netze und Fallen rücken so bedrohlich nahe, während aussen Videos zeigen, wie Tiere Menschen austricksen. Nach dieser Passage geht es um rituelle Kämpfe und Handlungen: Tiermasken und Haiflüsterer, Amulette, Votivgaben und Heilmittel, die das Gleichgewicht der Natur und ihrer Wesen wiederherstellen sollen.

Einblick in die Geschichtenecke im Historisches Museum Basel, © Historisches Museum Basel, Foto: Natascha Jansen Geflügelte Löwen kommen in Bali häufig vor. Sie gelten als Reittiere von Gottheiten, © Museum der Kulturen Basel

Nutzung für Arzneien und Musik.

Tatsächlich wurden tierische Substanzen seit jeher als Heilmittel verwendet. Das zeigt das Pharmaziemuseum: Eselsmilch, Moschusbalsam oder Bibergeil, aber auch spanische Fliegen und Bienen. Magensteinen, vornehmlich von Ziegen, schrieb man bis ins 18. Jahrhundert hinein magische Kräfte zu, und Theriak war seit der Spätantike als Allheilmittel so beliebt wie geheimnisvoll in seiner Zubereitung, zu der es Myrrhe, Opium, Vipern bedurfte und vieles mehr.

Nicht nur Arznei ist voll von animalischen Substanzen, auch in Musikinstrumenten klingt so manches Tierleben nach. Bereits 1650 schrieb Athanasius Kircher: «Ein ieglichs Thier hab nur eine Stim wans lebe/wann es aber todt sei/hab es unterschiedliche … weil die Thier schier in allen Gliedern Music-Instrumenta abbilden: Aus den Hörnern werden Blashörner/aus den Schienbeinen Pfeifen und Flöthen …» Basler Trommeln sind mit Kalbsfellen bespannt, Tasten aus Elfenbein absorbieren den Schweiss des Pianisten. Die Violinistin wiederum streicht mit Pferdeschweifhaaren – 120 bis 170 Stück, am besten von sibirischen oder mongolischen Tieren – über Darmsaiten, die optimalerweise von gesunden jungen Schafen stammen. Totes Tier für himmlische Klänge. Doch auch die Töne der lebendigen Tiere erklingen im Museum. Wer vom Walgesang begrüsst eintritt, kann Vogelstimmen lauschen, die der Mensch nachzuahmen oder eingesperrten Tieren zu entlocken sucht, oder zusehen, wie Kakadu Snowball zu rockigen Rhythmen tanzt.

Überflüssig zu sagen, dass alle vier Schauen sich für die ganze Familie eignen. Im Musikmuseum gibt es eine eigene «Kinderspur», auf der Lieder erraten werden können, und im Antikenmuseum einen Kinderparcours: Vier Vitrinen sind eigens für die Jüngsten eingerichtet, die in einer wie ein Schattenspiel anmutenden Landschaft Tierminiaturen bestaunen und suchen dürfen. Und am Ende gibts eine Geschichtenecke. Viel Stoff zum Erzählen und Diskutieren.

«Tierisch! Ein Thema – vier Ausstellungen»: www.tierischbasel.ch. Der gleichnamige Ausstellungskatalog ist erschienen bei Hatje Cantz, 192 S., br., CHF 39 «Tierisch! Tiere und Mischwesen in der Antike»: bis So 19.6.22, Di–So 11–17 h, Do/Fr. 11–22 h, Antikenmuseum Basel, www.antikenmuseumbasel.ch «Tierisch! Keine Kultur ohne Tiere»: bis So 20.11.22, Di–So 10–17 h, Museum der Kulturen Basel, www.mkb.ch → S. 45 «Tierisch! Der Klang der Tiere»: bis So 25.6.23, Historisches Museum Basel – Musikmuseum, Mi–So 11–17 h, www.hmb.ch «Tierisch! Vom Tier zum Wirkstoff»: Fr 3.12.21 bis So 5.6.22, Di–So 10–17 h, Pharmaziemuseum Basel, www.pharmaziemuseum.ch → S. 46

Michael Baas Das Freiburger Augustinermuseum widmet sich dem Schwarzwälder Maler Johann Baptist Kirner.

Vergessen werden: Dieses Schicksal ist auch im Kunstbetrieb verbreitet. Ein Beispiel ist Johann Baptist Kirner. 1806 in Furtwangen geboren und 1866 dort gestorben war er seit den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts ein populärer, auf dem Kunstmarkt etablierter deutscher Genre-Maler. Obwohl sein Realismus und die detaillierten Impressionen aus dem Alltag einfacher Leute im Rückblick einen Paradigmenwechsel, die Emanzipation von der feudal geprägten Historienmalerei, andeuten, ist er heute völlig ins Abseits geraten. Das Augustinermuseum rückt diesen «Künstler des aufkommenden Bürgertums», wie ihn Felix Reusse vom Kuratorenteam nennt, mit einer Doppelausstellung zum malerischen und zeichnerischen Werk nun wieder ins (regionale) Bewusstsein.

Kirner stammte aus einer Schuhmacherfamilie und machte eine Lehre als Kutschenmaler und Lackierer; gleichwohl schaffte er 1822 den Sprung an die Kunstschule Augsburg und 1824 an die Kunstakademie München. Die Grossstadt blieb unterbrochen von einem Italienaufenthalt zwischen 1832 und 1837 auch sein Lebensmittelpunkt – selbst als badischer Hofmaler nach 1839. Im Grunde ist Kirner ein früher Vertreter des sozialen Aufstiegs durch Bildung und antizipiert mit dem Italienaufenthalt auch bildungsbürgerliche Ideale des 19. Jahrhunderts. Italien war denn auch ein zentraler Pol des Werkes. Gleichwohl blättert das von einer Schenkung inspirierte Ausstellungsprojekt nun das gesamte Œuvre auf.

Gemälde – von dokumentarisch bis romantisch verklärt.

So spannt das unter dem Titel «Erzähltes Leben» mit rund 30 Gemälden sowie 120 Studien und Zeichnungen in der Ausstellungshalle präsentierte malerische Werk einen weiten Bogen: Da findet sich zum Einstieg in den Rundgang der Hofmaler, dessen Wirken ein Repräsentationsbild spiegelt, eine grossformatige Jagdpartie. Da wird der Heimat- und Schwarzwaldmaler gezeigt, der im Stil eines Dokumentaristen vom «gemeinen Leben» (Diderot) erzählt, mitsamt Interieur wie Stuben und Trachten. Da findet sich im Kapitel «Revolutionäre und Halunken» der Zeitgenosse, der politische Ereignisse wie die Badische Revolution aufgreift. Da gibt es den Karikaturisten, der an den französischen Zeitgenossen Honoré Daumier erinnert. Den breitesten Raum nimmt gleichwohl Italien ein. Diverse Motive zeichnen ein romantisch verklärtes Bild des italienischen Landlebens und kultivieren dieses als Projektionsfläche deutscher Sehnsüchte.

Kirner rückt anders als der 60 Jahre ältere Spanier Goya nicht Not und Elend in den Fokus, sondern bleibt eine Art malender Ethnologe. Dass seine Werke auch als Quelle der Forschung genutzt wurden, weiss Adila Garbanzo León als Kuratorin dieses Teils. Vor allem aber bereitet er Gemälde akribisch vor, konstruiert diese in einem Baukastensystem aus Skizzen und Studien. Diese aufwendigen Prozesse der Bildentstehung verdeutlicht die Ausstellung an mehreren Stationen und zeigt, dass Kirners Kunst – wie meist – weniger auf Genialität denn auf Arbeit und Handwerk basiert.

Zeichnungen – von tagebuchartig bis konzeptionell.

Das im Haus der Graphischen Sammlung von Felix Reusse als eigenständige Kabinettausstellung mit gut 140 Exponaten präsentierte zeichnerische Werk gewährt unter dem Titel «Der Blick des Zeichners» noch mehr Einblicke in den Schaffensprozess. Stand in der akademischen Ausbildung da noch das klassische Erbe und das Nachahmen alter Meister wie Michelangelo und Raffael im Zentrum, entwickelt Kirner in einer fast rauschhaften Produktivität einen eigenen Stil. Das beginnt mit tagebuchartigen, ungefiltert aufs Papier geworfenen Skizzen. Das setzt sich fort im konzeptionellen Zeichnen von Landschaften, Orten, Bauwerken, fragmentarischen Objektstudien, Szenarien und Typen wie dem Italiener mit Zipfelmütze: All das taucht teils im Copy-Paste-Verfahren später in Gemälden auf. Dazu kommen kolorierte Entwürfe und Milieustudien, die schon Bildcharakter zeigen. Diese thematisieren unter anderem das Vordringen der Maschinen – etwa der Eisenbahn. Sie blenden wie die Gemälde zwar die teilweise prekären Verhältnisse der Protagonisten aus, stecken aber voll hintersinniger Anspielungen auf die Moderne und ihre Zumutungen – wie eine von der Eisenbahn unterbrochene Prozession oder der salutierende Bahnwärter. Kirner zeigt sich so einerseits als früher Vertreter bürgerlicher Kunst, stösst andererseits seinen fürstlichen Mäzen nie vor den Kopf. Eine Strategie, die ihm zumindest wirtschaftlich entgegenkam: So wurde ein Gemälde des Schweizer Genre-Malers Jacques Alfred van Muyden, das Don Quijote zeigt, bis 2016 als Kirner-Werk ausgestellt, vermutlich weil es als solches besser zu verkaufen war. Vor dem Vergessen aber bewahrte auch das Kirner nicht.

Johann Baptist Kirner, «Italienische Hirtenfamilie», 1835, Privatbesitz, Foto: Axel Killian

Doppelausstellung «Johann Baptist Kirner»: «Der Blick des Zeichners» bis So 30.1.22, Haus der Graphischen Sammlung. «Erzähltes Leben» bis So 27.3.22, Ausstellungshalle. Di–So 10–17 h, Fr bis 19 h, Augustinermuseum, Freiburg, www.freiburg.de/museen. Zu den Ausstellungen erscheint ein Katalog.

Dagmar Brunner Ein prächtiger Band dokumentiert die Geschichte des Hotels Kurhaus Bergün.

Unübersehbar thront der imposante Jugendstilbau in der Landschaft. Erbaut von einem Zürcher Architekten, wurde er 1906 als Grand Hotel und Kurhaus Bergün eröffnet und war luxuriös ausgestattet, sogar ein Kino wurde eingerichtet. Wohlhabende Gäste sollten sich hier auf ihrem Weg nach St. Moritz an die Höhenluft gewöhnen können. Doch die 1903 eröffnete AlbulaBahnlinie machte keinen Zwischenhalt mehr nötig, die Reichen blieben weitgehend aus.

Fortan bangte das Grand Hotel wiederholt um seine Existenz, nur vor und im Zweiten Weltkrieg (unter anderem als Soldatenunterkunft) gab es einen Aufschwung, aber 1949 verursachte ein Dachstuhlbrand grosse Schäden. Bald darauf wurde das Haus an die Gemeinde Bergün verkauft und stand drei Jahre lang leer, bis die christlich orientierte Genossenschaft für Familienherbergen sich einmietete und die Liegenschaft 1955 kaufte. Aus den Hotelzimmern entstanden 40 einfache und günstige Ferienwohnungen für Familien, wobei die Umnutzung die originale Bausubstanz glücklicherweise kaum zerstörte.

Nachhaltige Erneuerung.

Über 40 Jahre lang diente der Bau unter dem Namen Chesa Grusaida (Haus Alpenrose) als beliebte Familienherberge, wurde aber aus Geldmangel immer maroder. 2002 gründeten langjährige Stammgäste die Kurhaus Bergün AG, erwarben das Gebäude samt Umschwung und sanierten es in mehreren Etappen von Grund auf. Die sorgfältigen Renovationen und Modernisierungen erhielten prominente Anerkennung und Auszeichnungen. Heute zieht das Kurhaus wieder unter seinem alten Namen und mit eigenwilligem Betriebsmodell viele Gäste aus nah und fern an und ist für die Gemeinde ein Glücksfall.

Seine wechselvolle Geschichte, die auch massgeblich von vielen Kulturschaffenden und Aktiven aus der Region Basel geprägt ist, ist in einem schön und aufwendig gestalteten Buch mit wunderbaren Fotos und lebendigen Texten festgehalten. Gleichzeitig wird in den neun Kapiteln, Interviews, Porträts und Streiflichtern kenntnisreich von der wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und touristischen Entwicklung des Landes erzählt.

«Kurhaus Bergün. Der Traum vom Grand Hotel», Giaco Schiesser (Hg.), Roland Flückiger-Seiler, Corina Lanfranchi, Ralph Feiner (Fotos): Verlag Hier und Jetzt, Zürich, 2021. 280 S., Abb., kt., CHF 49

Tilo Richter Seit 100 Jahren gibt es die Wasserhaus-Siedlung in Münchenstein.

Die Siedlung Wasserhaus hat einen prominenten Vorläufer in der gleichen Gemeinde: die Gartenstadt, ebenfalls in Münchenstein, aus dem Jahr 1913, bei der von den Plänen des Architekten Emil Dettwiler nur ein Bruchteil verwirklicht werden konnte. Die 1921 fertig gestellte Siedlung beim Wasserhaus galt als «liberaler Gegenentwurf» zum sozialistisch geprägten Freidorf in Muttenz, das vom Verband Schweizerischer Konsumvereine gegründet, vom späteren Bauhaus-Direktor Hannes Meyer gestaltet und bis 1919 erbaut wurde. Wie bei der Gartenstadt waren auch beim Wasserhaus die Ambitionen deutlich grösser. Fehlende Mittel führten aber hier wie dort zu einer Reduktion. Initiantin des Wasserhaus-Projekts war die Basler Vereinigung für industrielle Landwirtschaft und Innenkolonisation, die dafür 3,4 Millionen Franken beschaffen wollte. Damals beteiligte sich der Stadtkanton nicht an den Baukosten, weil die Wohnhäuser auf landschaftlichem Boden liegen sollten. Und der Landkanton steuerte nichts bei, weil die Bewohnenden ihr Geld in der Stadt verdienten. So blieb es bei einem Beitrag des Bundes von 425 000 Franken. Den grossen Rest der für das von 100 auf 60 Reihenhäuser redimensionierte Projekt benötigten 2 Millionen stemmten die Basler Chemiefirmen Geigy und Sandoz.

Sonne und Luft statt Kino und Wirtshaus.

Erbaut wurde die «Kolonie Wasserhaus» nach einem Entwurf von Wilhelm Eduard Brodtbeck in nur 15 Monaten. Die Pläne basierten auf einem von Hans Bernoulli 1919 entwickelten Projekt. In die fertigen Häuser zogen Vorarbeiter und Angestellte der finanziell beteiligten Unternehmen ein. Südlich der Baufelder zwischen Birswuhr und Hammerschmiede kaufte man Pflanzland für die Selbstversorgung der Neumünchensteiner. Dies geschah ganz im Sinne der Vereinigung, über die 1923 zu lesen war: «Sie war von Anfang an der Meinung, dass es vor allem gelte, die Angestellten und Industriearbeiter und ihre Familien aus den hygienisch und moralisch ungesunden Mietskasernen der Städte hinaus aufs Land, an Sonne und Luft zu verpflanzen, und ihnen für ihre freie Zeit an Stelle von Vereinsmeierei, Kino und Wirtshaus eine gesunde und befriedigende Beschäftigung im Freien und die Freude an der Natur wieder zu verschaffen.»

Fortschreiben der Architekturgeschichte.

Inzwischen gibt es die Genossenschaft nicht mehr, die Häuser wurden in Privatbesitz überführt. So ging der alte Gedanke der wirtschaftlichen Gemeinschaft zwar verloren, doch die Siedlung als Ganzes hat sich erhalten. 1998 kamen sogar neue Bauten hinzu: Michael Alder und Hans-Peter Müller entwarfen vier Zeilen mit 20 Einfamilienhäusern, die das städtebauliche Gesamtbild der historischen Häusergruppe harmonisch ergänzen. Prominentester Bewohner der Siedlung Wasserhaus war übrigens Roger Federer, der hier seine Jugendjahre verbrachte, bevor er zum Tennis-Champion avancierte.

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