Broschüre Deutsche Täterschaft in der Ukraine

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“Deutsche Täterschaft in der Ukraine 1941-1945” Dokumentation einer geschichtspolitischen Forschungsreise


Einleitung Der Umgang mit aktuellen Ereignissen in der Ukraine ist schwierig, denn die gesellschaftlichen Entwicklungen im postsowjetischen Raum und deren poltische Konstellationen sind für in Westeuropa sozialisierte Menschen häufig schwer einzuschätzen. Begleitet werden die jüngsten militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine von einer regelrechten medialen Propagandaschlacht. „Faschismus“ spielt als Bezugspunkt auf beiden Seiten eine wichtige Rolle – sei es als polemische Spitze gegen Putins Großmachtstreben, sei es als Vorwurf Russlands gegen die aktuelle Regierung der Ukraine. Und tatsächlich spielte der positive Bezug auf den offen mit den Nazis kollaborierende Stepan Bandera in der Maidan-Bewegung eine wichtige Rolle. Genauso treten allerdings russische Nazis als Unterstützer der Außenpolitik des Kremls auf oder beteiligen sich aktiv an den Kämpfen auf Seiten der Seperatisten. Die Vergangenheit, das ist unschwer zu erkennen, reicht also weit bis in die Gegenwart.

Inhalt

Einleitung

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Alexei Ponamarev - Persönliche Erinnerungen 3 von Olga Ponomarova

platz auf dem sockel Geschichte, Narrative und historische Symbole im Ukrainekonflikt 4 von Johannes Spohr

Die folgende Broschüre ist im Zuge einer Reise in die Ukraine im Mai 2014 entstanden. Die Teilnehmenden sind Studierende, Journalist_innen, Historiker_innen und politisch aktive Menschen., die sich mit der Geschichte, aber auch der politischen Lage und dem gesellschaftlichen Klima vor Ort auseinandersetzen und sich mit den Menschen vor Ort über die Ereignisse austauschen wollten.

„Putler“ grüSSt vom Maidan 6 von darius schapur Ukrainische Nationalisten als historische Vorbilder von „Svoboda“ und „Pravyj Sektor“ 7 von Franziska Bruder

von der upa zu asow von darius schapur

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Fotostrecke Zhytomyr:

V e r ö f f e n t l i c h u n g e n & V e r a n s t a l t u n g e n

von sandra Rokahr

an Sinti und Roma auseinander. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Auseinandersetzung mit der aktuellen Erinnerungskultur in der Ukraine. Wie wichtig dieser Aspekt ist, haben wir als Reisegruppe gerade im Zuge der aktuellen politischen Entwicklungen erfahren können. Die Vorbereitungen der Reise begannen vor ca. eineinhalb Jahren, als das Interesse der Weltöffentlichkeit noch nicht auf die Ukraine gerichtet war. Die Entwicklungen haben auch uns als Gruppe überrascht, trotzdem haben wir uns entschieden die Konferenz durchzuführen und die aktuellen Entwicklungen miteinbeziehen. So konnten wir uns mit politisch engagierten Menschen treffen und ihre Perspektive der Ereignisse rund um den Maidan kennenlernen. Die Texte der Broschüre spiegeln diese Verbindung aus Erinnerungsarbeit und aktuellen politischen Bezügen wider. Sie sind zum Teil im Zuge des Reiseaufenthalts eigens für die Broschüre verfasst oder bereits in anderen Medien veröffentlich worden. Bei anderen Texten handelt es sich um wissenschaftliche Arbeiten der Referent_innen, mit deren freundlicher Genehmigung wir die Texte hier abdrucken können. Die Historikerin Franziska Bruder geht in ihrem Text auf die Geschichte der nationalistischen Bewegung in der Ukraine ein, die sich vor allem in der „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ (OUN) und ihres militanten Arms, der UPA organisiert hatte. Diese suchten in den 40er Jahren den Schulterschluß mit den deutschen Nazis und waren für etliche Massaker an der jüdischen und polnischen Bevölkerung verantwortlich. Johannes Spohr geht in seinem Beitrag „Platz auf dem Sockel“ wiederum auf die aktuellen historischen Bezüge innerhalb der ukrainischen Gesellschaft ein. Darius Ossami stellt in seinem Text schließlich die gewonnen Eindrücke vom Maidan und unseres Aufenthalts in Kiew dar.

Im Zentrum der Reise stand unter dem Titel „Gestern, heute Morgen. Spuren nationalsozialistischer Besatzung in der Ukraine“ eine Konferenz in Kiew. Organisiert und durchgeführt wurde diese gemeinsam mit unseren Wir hoffen mit diesen Beiträgen zum besseren VerKooperationspartnern vor Ort, dem Center for Holo- ständnis der Ereignisse der Ukraine beitragen zu köncaust Studies und dem Institut für Geschichte. nen und insbesondere einen kritischen und empathischen Umgang mit der Geschichte zu finden. An drei Tagen setzten wir uns unter anderem intensiv mit der Verschleppung von Zwangsarbeiter_innen und deren „Einsatz“in Nazideutschland, der Ermordung ukrainischer Jüdinnen und Juden sowie dem Mord

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Alexei Ponamarev Persönliche Erinnerungen Everything what I know and remember about my grandfather is impossible to outline in a small article. He had a wonderful life. I can honestly say that 90 percent of my memories and family stories are connected with him. My grandfather gave me much more knowledge than even my parents, so I know about him quite a lot. Maybe I know more than other members of my family. But these memories - it could be enough to write a book! And of course I can’t tell you all the facts and memories of my grandfather about his life in Germany during the war and about concentration camp. There’re so many facts! To get just a half of them you’ll need to watch his interview on the video, and it lasts more than 5 hours. The only wrong fact is that he was taken to a concentration camp for “active participation in anti-fascist resistance”. Well, by the standards of that time, a glass of milk stolen from the can which belong to wounded soldier of the Wehrmacht of course was regarded as a resistance. But this story is much more prosaic - hunger, lack of proper nutrition and exhausting work are forcing people to any actions for survival. Maybe it doesn’t sound as beautiful as the “anti-fascist resistance” but it’s true. And my grandfather told about it many times. I think that whole my life, my desire to study History at the University, my work - all this things somehow related with my education, were attended by my grandfather. When I decided to study at the Faculty of History, my family accepted this decision without enthusiasm, but they never dictated me what and how I should learn and do, how I need to build my life etc. I think that this position gave me independence in many ways and helped me to form my perception of the world.

// Erinnerung heute: Die Statue in einem Park Kiews erinnert an die Zeit des Nationalsozialismus in Europa. Eine russische Fernsehsendung hatte zwei ehemalige Zwangsarbeiter wieder zusammengeführt. Luigi Pedutto aus Italien und Mokrina Jursuk aus der Ukraine lernten sich 1943 in einem östereichischen Arbeitslager in Sankt Pölen kennen und verloren sich dann fast 60 Jahre aus den Augen.

the imperial ambitions of Russia to capture Crimea and separatist movement in Donbas. He has never been the member of Communist Party (despite the fact, that it could be very helpful for his career). He knew Ukrainian language very well, made literary translations of poetry for newspapers from Russian into Ukrainian, traveled to Western Ukraine and sincerely supported Ukrainian Independency in 1991. What’s happening now in Ukraine? It’s undermining the link between generations, crumbling family ties. Children and parents are no longer understanding each other. They live in completely different realities, in different information space. Those who supported the idea of an independent development of Ukraine were called today “fascists”, “nazis”, “Bandera” and “Ukrs”. It’s almost impossible to explain to those people who believe in the idea of “Novorossia”, that we simply don’t want to live like Russians, to be a part of Russia, to think like Soviet Union people, etc. We are another generation. We don’t have any “USSR sweet memories”. But we remember two economic crises and 23 years old path to prosperity of independent Ukraine. We are Ukrainians. So why do we have to give up our national identity, our characters, our symbols and our homeland? I can’t understand it. But our parents just don’t want even to hear us. Older generations still believe the idea of reviving the USSR 2.0. The question is – for what? For me, as a historian, the link between generations, shared memory and lessons of history always were very important. Today, I more and more often see that mankind repeating the same mistakes. Some parallels are so obvious that I don’t understand how ignorant must be modern society to be not able to learn from the past. Therefore, the few days of the project let me take another look at the history of World War II, not in terms of politics, economics, etc., and to see it as a story of individuals and of the whole society. I think that the impact of events of World War II has left a definite mark on the every next genearation. And it’s incredibly interesting to learn the stories of other people, to see the other side of the coin, not judge, but just accept the past.

Now I’m thinking mostly about what will be with new I perceive today’s events in Ukraine as very painful. I generations of youth in Ukraine after 2014. There are so know that my grandfather should have never supported many questions. I often think about how to grow up my

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platz auf dem sockel

younger brother, who lives in Lugansk. And all the other children in Donbas. After all, they will never forget the sounds of shelling, explosions, gunfire. What ideas and ideals they will learn in the modern space of informational propaganda? And who will be as an example for them to follow?

Geschichte, Narrative und historische Symbole im Ukrainekonflikt

Olga Ponomarova

Feierabend für Lenin: Am 21. Februar 2014 fällt die 1971 errichtete Statue im Zentrum der Stadt Schytomyr, 120 Kilometer westlich von Kiew. Mithilfe eines Lastkraftwagens wird sie unter dem Jubel von etwa 500 Menschen vom Sockel gerissen. Zu den begleitenden Parolen, die durch die Nacht hallen, gehört nicht nur »Ruhm der Ukraine«, sondern auch »Revolution«. Einige Anwesende stecken sich Bruchstücke des gefallenen Revolutionsführers als Andenken ein. Doch es bleibt nicht bei der Zerstörung. Wie in vielen Städten, in denen Lenin wahlweise abgebaut oder auch »geschlachtet« wird, hängt an dem verbliebene Sockel wenig später ein Plakat mit Bildern der in diesen Tagen im Zentrum Kiews ermordeten Menschen, der »Helden des Maidan«. Häufig kommen Menschen an diesen zentralen Platz und legen Blumen nieder. Diese Zeremonie ist Teil eines umfassenden Abschieds vom Sowjeterbe in der Ukraine, wie auch ein anschaulicher Versuch der Etablierung eines neues Gedenkens. Seit den Ereignissen, die hier meist kurz als »Maidan« bezeichnet werden, hat sich in der Ukraine die Tendenz durchgesetzt, die in den 1990er Jahren erfolgte ökonomische Entsowjetisierung nun auch kulturell durchzusetzen und gleichzeitig die entstehenden Leerstellen zu füllen. Molotowcocktails des Maidan sind schon heute im Nationalmuseum der Geschichte der Ukraine in Vitrinen zu betrachten.

Alexei Ponamarev (50’s) ^ Olga & Alexei Ponamarev (50’s) >

Konkurrierende Narrative

// Aleksej Ponomarjow *30.11.1924 (Lugansk/Ukraine) Oktober 1942 Deportation nach Deutschland in ein Lager für „Ostarbeiter“ in Bremen; Zwangsarbeit im Hüttenwerk „Norddeutsche Hütte“; 13.1.1944 Verhaftung durch die Gestapo wegen Widerstandsaktivitäten; 6 Tage später Überstellung ins KZ Neuengamme; Einsatz in den Kommandos Klinkerwerk und Metallwerke, dort Kontakt zur Untergrundorganisation der Häftlinge; Ende April 1945 Transport mit über 9000 Häftlingen nach Lübeck. Aleksej Ponomarjow gehört zu den nur 50 Häftlingen, die sich am 3. Mai 1945 von der „Thielbek“ retten konnten.

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Die Bewegung verhandelt die auf die Zukunft gerichtete Gegenwart unmittelbar im Bezug auf die Geschichte und stellt zahlreiche Bezüge her. Damit ist sie nicht allein: Auch für GegnerInnen des Maidan spielen historische Bezüge eine immense Rolle. Zen-

tral ist der Bezug auf das Verhältnis zur Sowjetunion, aus dem sich vor allem zwei konkurrierende Narrative speisen: Ein an Bedeutung gewinnendes Narrativ sieht die Ukraine vor allem als Opfer der Okkupationsmacht Sowjetunion. Bedeutender Bezugspunkt ist hier die Hungersnot Anfang der 1930er Jahre, gemeinhin »Holodomor« (etwa »Tötung durch Hunger«) genannt. Sowohl in der Historiografie als auch in der breiten öffentlichen Wahrnehmung hat sich die Ansicht durchgesetzt, diese sei von der Politik Stalins zielgerichtet gegen die ukrainischen Bäuerinnen und Bauern eingesetzt worden. In Konkurrenz zu dieser Sichtweise steht ein prosowjetisches Narrativ, das sich vor allem auf den Sieg im Zweiten Weltkrieg bezieht, der ohne Stalin nicht hätte gewonnen werden können. Die Verbrechen Stalins verblassen hier neben dem Stolz auf den Sieg im »Großen Vaterländischen Krieg«. Der positive Bezug auf einen starken, zentralisierten Großstaat meint häufig auch das heutige Russland. Dieses geteilte Gedächtnis ist in groben Zügen auch übertragbar auf das geteilte Land Ukraine: antisowjetische Bezüge im Westen, prosowjetische im Osten und Südosten. Einen sehr kompakten und anschaulichen Eindruck dieser Narrative und ihrer Überlagerungen bekommt, wer sich in Kiew in die Parkanlagen rund um die 102 Meter hohe »Mutter Heimat« begibt. Die am 9.Mai 1981, dem 36. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland, eingeweihte, 102 Meter hohe Statue ist bis heute eine Art Wahrzeichen der Stadt– trotz Hammer und Sichel auf dem Schutzschild. Der sie umgebende Gedenkpark, in dem sich unter anderem das Museum des Großen Vaterländischen Krieges befindet, ist ein Ort der Superlative, der Emotionalisierung und des Heroismus. Zwischen Figuren bewaffneter Soldaten erklingt das sowjetische Lied »Den’ Pobedy« (»Tag des Sieges«) aus den Boxen. Zwischen der Touristenattraktion Höhlenkloster und einer weiteren während der Sowjetherrschaft erbauten Anlage für die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten der Roten Armee, einem Obelisken, wurde 2009 in unmittelbarer Nachbarschaft eine Gedenkstätte für die Opfer der Hungerkatastrophe der frühen 1930er Jahre fertiggestellt.


Gegen die »Besatzer« Ein zentraler historischer Bezugspunkt in der Maidan-Bewegung wurde und wird durch schwarzrote Fahnen sowie Konterfeis tausendfach kenntlich gemacht: die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) bzw. ihr militärischer Flügel ab 1943 (UPA) und ihr Führer Stepan Bandera. Zentral für das Selbstverständnis und das Handeln der OUN war, sich gegen jede Form von »Besatzern« zu wehren. Ihr Hauptfeind war dabei stets die Sowjetunion und ihre Herrschaft in der Ukraine. An diese Traditionslinie knüpfen viele Menschen heute an, wenn sie die Fahne der OUN tragen. Der als russlandfreundlich wahrgenommene Kurs des gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowytsch und seiner Partei der Regionen wird in die Tradition russischer Dominanz in der Ukraine eingeordnet, sich selbst sieht man dabei als Teil nationaler Befreiung. Die OUN war Teil der Genese faschistischer Massenbewegungen der 1920er Jahre. Ihre Milizen ermordeten während des Zweiten Weltkrieges in der westlichen Ukraine Zehntausende Polen und Juden. Mehrfach kollaborierten sie in dieser Zeit mit den deutschen Truppen. Momentan scheint es zwar kaum wahrnehmbare positive Bezüge auf diesen Teil der Geschichte der OUN/UPA zu geben, er wird aber verschwiegen, teilweise auch geleugnet. Mit Zunahme der Auseinandersetzungen im Osten des Landes gewinnt der Bandera-Bezug als Symbol nationaler Einheit weiter an Bedeutung. Bereits vor den Umbrüchen der letzten Monate wurde Bandera besonders im Westen des Landes geradezu verehrt, und es wurden ihm einige Statuen gewidmet. Verwirrend erscheint zunächst, dass auf Bücherständen längs des Maidan heutzutage Bücher des Anarchistenführers Machno angeboten werden. Doch diese Erscheinung ist keine neue: Im Geburtsort Machnos Guljaj Polje wurde ihm bereits 2009 ein staatlich finanziertes Denkmal errichtet. Auch ihn eignet man sich als Nationalheld und Kämpfer nationaler Unabhängigkeit an, seiner antistaatlichen Haltung zum Trotz.

en dieses Bild: In Kiew seien seit der Übergangsregierung Faschisten an der Macht, und dies gelte es zu bekämpfen. Auch wenn es eine tatsächlich besorgniserregende Beteiligung von AnhängerInnen der Rechten Sektors und der Swoboda-Partei im Parlament und auf der Straße gibt, ist diese Rhetorik vor allem als Strategie der Delegitimierung anzusehen, die wiederum mit historischen Erfahrungen spielt. Zum bedeutenden Symbol ist das orange-schwarz gestreifte Sankt-Georgs-Band geworden, dessen Entstehung in die Zeit des Russischen Kaiserreichs zurückreicht. Erinnert werden soll heute vor allem an den Sieg im »Großen Vaterländischen Krieg«, in dem es verschiedene mit dem Sankt-Georgs-Band geschmückte Auszeichnungen gab. 1998 wurde das Band als militärische Auszeichnung in der Russischen Föderation wieder eingeführt. Olga Ponomarowa aus Donezk, deren Großvater Zwangsarbeit und KZ-Haft in Deutschland überlebte, spricht von Schwierigkeiten, die mit diesen Bezügen auch innerhalb der Familien auftauchen: »Seitdem der Konflikt eskaliert ist, heißt es immer öfter, man solle die Erinnerung an den Ruhm der Großväter aufrecht erhalten. Da ich Englisch spreche und FreundInnen in Westeuropa habe, werde ich teilweise angefeindet und mir wird vorgeworfen, diesen Ruhm zu vergessen.« Die Geschichte der meisten Familien nicht nur im Osten der Ukraine ist auf irgendeine Weise mit dem Zweiten Weltkrieg verbunden. Gerade deswegen, so Ponomarowa, sei es absurd, aktuell derlei Vergleiche ins Feld zu führen.

Schwierigkeiten hatten auf dem Maidan von Anfang an Menschen, die linke Symbole mit sich trugen. Nicht nur rote Fahnen und kommunistische Symbole, die pauschal als prosowjetisch gewertet werden, auch feministische Äußerungen wurden nicht geduldet und ihre TrägerInnen teilweise angegriffen und vertrieben. Faschismusvorwürfe und -vergleiche sind dieser Tage in aller Munde. Seitens der prowestlichen Kräfte ist es häufig Putin, teilweise auch Russland, dem Faschismus vorgeworfen wird. So zum Beispiel auf Aufklebern mit der Aufschrift »RuSSia«, das S ist dabei jeweils als Rune dargestellt. Große Plakate am Straßenrand knüpfen an den Sieg im Zweiten Weltkrieg an: »Wir haben Hitler besiegt, wir werden auch Putin besiegen.« Die Absage an das Sowjeterbe geht nicht so weit, den Ruhm des Sieges mit zu begraben. So bleiben auch sowjetische Denkmäler für die »Helden« im Gegensatz zu den Lenin-Statuen in der Regel unangetastet. Unter denjenigen, die den Krieg und die deutsche Besatzung noch selbst miterlebt haben, fühlen sich einige von der aktuellen Politik Russlands bedroht. So etwa die 92-jährige Oleksandra, die sich noch gut an die Brutalität der Deutschen erinnert: »Es war furchtbar, und heute ist es Putin, der so etwas macht.« Die Feierlichkeiten zum 9. Mai jedoch wurden in diesem Jahr abgesagt. Der neue Kulturminister Jewgeni Nischtschuk gab bekannt, dass zukünftig auch die Ukraine des Endes des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai gedenken wolle, nicht wie Russland am 9: »Damit können wir an den Feierlichkeiten anderer Länder der Anti-Hitler-Koalition teilnehmen«. Roter Mohn soll das neue Symbol der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg werden, dessen Beginn in dazugehörigen Logos nicht mehr wie in der Sowjetunion auf 1941, sondern auf 1939, das Jahr des Molotow-Ribbentrop-Paktes, datiert wird.

Die Erinnerungspolitik in der Ukraine hat in den letzten Jahren auch einige Symbole hervorgebracht, die sich der Polarisierung ein Stück weit entziehen. Dazu, so die Historikerin Kateryna Kobchenko, gehöre ein Denkmal für ZwangsarbeiterInnen im Zentrum Kiews, das ein älteres Liebespaar darstellt. Es basiert auf der realen Geschichte eines italienischen Kriegsgefangenen und einer in Österreich eingesetzten Zwangsarbeiterin aus der Ukraine, die sich nach Jahrzehnten der Trennung wiedertrafen und ihre Liebesbeziehung wieder aufnahmen. »Hier werden endlich auch die menschlichen Dimension des Krieges gezeigt, die viel zu lange ausgeklammert wurden«, sagt die Historikerin. Johannes Spohr

»Faschistischer Putsch« Viele GegnerInnen der Maidan-Bewegung und pro-russische AkteurInnen bezeichnen ihr Handeln als »Antifaschismus«. Die Umwälzungen der letzten Monate interpretieren sie als »faschistischen Putsch«. Auch die staatstreuen russischen Medien transportier-

// Die Lenin Statue am Tarasa Shevchenko Blvd vor und nach den Protesten des Maidan

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„Putler“ grüSSt vom Maidan Wer in Kiew in diesen Tagen vom noch immer besetzten Ukrainischen Haus auf den Maidan kommt, erspäht als Erstes zwischen den aufgetürmten Reifenstapeln ein aufgesprühtes Keltenkreuz, zusammen mit dem Nazi-Code 1488. Auch sonst ist rechte Symbolik im Kiewer Zentrum allgegenwärtig - sei es in Form von aufgesprühten Keltenkreuzen und Wolfsangeln oder in Form von schwarz-roten Fahnen der blutrünstigen, ultranationalistischen Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) der 1940er Jahre. Auch Aufkleber mit dem Konterfei von Stepan Bandera, dem Nazi-Kollaborateur und Anführer der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), werden zum Verkauf feilgeboten, zusammen mit allerlei nationalistischem Kitsch und originellen Janukowitsch-Fußabtretern. Den Euromaidan gibt es immer noch, aber er ist jetzt eine Mischung aus angestaubtem Dauer-Protestcamp und Open-Air-Museum. In die meterhohen Barrikaden sind Schneisen geschlagen worden, dekoriert mit selbstgebastelten Schutzschilden, Gasmasken und sogar Molotow-Cocktails, die nun nicht mehr gebraucht werden. Zahllose Fotos und Blumen erinnern an die knapp hundert getöteten Maidan-Aktivisten. Vor den zahlreichen olivgrünen Zelten sitzen müde wirkende Männer und auch einige Frauen in der warmen Frühlingssonne und warten darauf, dass der Tag vorüber geht. Sie kamen aus dem Nichts und wurden zu vielfach bewunderten oder gefürchteten Aktivisten; nun klammern sie sich an diese Erinnerung, um nicht wieder in die Bedeutungslosigkeit zurück zu fallen. Dennoch ist die Stimmung nicht aggressiv. Pärchen flanieren zwischen den Barrikaden und Zelten umher und fotografieren sich vor gekaperten Wasserwerfern. Ein Mann spielt Klavier, junge Frauen verteilen Werbeflyer und zwei Hippies machen eine Feuershow. Niemand wird unfreundlich angesprochen oder auch nur schief angeguckt. Selbst die Männer vom Rechten Sektor lehnen schweigsam und träge auf den Sandsäcken, die sie vor ihrem besetzten Postgebäude aufgesta-

Kampf gegen die Korruption und die Unmöglichkeit gewesen, sich zu verwirklichen. „Ich glaube nicht, dass hier extrem rechtsradikale Stimmungen verbreitet sind“ doch sieht die Historikerin „eine gewisse Gefahr“ in dem positiven Bezug vieler Protestierender auf die OUN und UPA. Dennoch sei die Maidan-Bewegung sehr vielschichtig gewesen und nicht von Anhängern der UPA angeführt worden. Die rechte Symbolik sei ein Modetrend geworden, viele Menschen wüssten gar nicht, was sie da tragen. Ljuba hat sich aber vorgenommen, in Zukunft mehr Aufklärungsarbeit zu leisten.

pelt haben. Wenn man die vor den Zelten sitzenden Männer in Tarnklamotten anspricht, wird man auf einen Kaffee eingeladen und erfährt, dass viele der Maidan-Aktivisten als Teil der Nationalgarde in den Osten gereist sind. Überhaupt der Osten: Die einzigen Hakenkreuze, die zu sehen sind, stellen einen Zusammenhang mit Russland her. Für viele hier ist Putin der neue Hitler, der in zahlreichen Sprühereien dann auch als „Putler“ bezeichnet wird. „Die demokratischen Forderungen und Initiativen des Maidan sind durch die Gefahr einer russischen Intervention ruiniert worden“, beklagt Lesik. Er ist Anhänger der studentischen Gewerkschaft Pryama Diya (Direkte Aktion)und war wie einige hundert andere Linke auch auf dem Maidan dabei. Sie unterstützten die Forderungen nach mehr demokratischen Strukturen und direkten Partizipationsmöglichkeiten. Dabei liefen sie Gefahr, entweder von Rechtsradikalen oder der Polizei angegriffen zu werden; Lesik selbst wurde von Swoboda-Aktivisten attackiert. Die Beteiligung linker Gruppen auf dem Maidan sei kontrovers diskutiert worden. „Einerseits“, so erzählt er, „wollten wir natürlich nicht auf einer Seite mit den Rechten stehen. Aber wir waren auch gegen die Janukowitsch-Regierung und haben uns entschieden, mitzumachen und zu versuchen, die Proteste mit linken Inhalten zu prägen“. Das sei nicht gelungen, räumt Lesik selbstkritisch ein, aber es habe einzelne Erfolge gegeben, wie studentische Vollversammlungen im Ukrainischen Haus mit Kino und Diskussionen und die einwöchige Besetzung des Bildungsministeriums. Lesik bezeichnet den Protest auf dem Maidan als nationalistisch geprägt, doch die meisten Protestierenden dort seien nicht rechtsextrem. Sie hätten einfach gegen Korruption, kriminelle Behörden und Polizeigewalt protestiert.

Die Trägheit wird nur einmal unterbrochen: Plötzlich versammeln sich in der Metrostation unterhalb des Maidan 40 Aktivisten in Tarnklamotten und mit Fahnen und brüllen: „Ruhm der Ukraine!“ Dann verschwinden sie in der Metro und der Spuk ist vorüber. Noch vor zehn Jahren, sagt Andrej, sei dieser Spruch selbst in der rechten Szene nur von wenigen gerufen worden; „und jetzt begrüßen sich tausende von Ukrainern mit diesem Spruch.“ Er muss es wissen, denn er hat seine politische Laufbahn bei der rechtsradikalen UNA-UNSO begonnen, die jetzt Teil des Rechten Sektors ist. Doch sein kritisches Bewusstsein habe ihn zum Nachdenken gebracht und er sei Link-

Auch Ljuba Sotschka war auf dem Maidan dabei. Sie arbeitet für die NGO „Verständigung und Toleranz“ im Institut für Geschichte, das direkt am Dynamo-Stadion liegt, wo es die ersten Todesopfer der Revolte gegeben hat. An der Fassade sind noch die Einschusslöcher zu sehen. „Unsere Aufgabe ist es, Jugendlichen demokratische Werte zu vermitteln und plötzlich standen wir selbst vor dieser Wahl. Und natürlich konnten wir nicht nur da sitzen, sondern haben die Maidan-Proteste unterstützt.“ Die Proteste seien ein

er geworden. Andrej ist Journalist und bezeichnet sich als revolutionären Marxisten. Er ist einer der Wenigen in Kiew, die den Maidan ablehnen: Eine kleine bourgeoise Schicht sei das anfangs gewesen, die zwar gute Forderungen gehabt habe, aber sich nicht von den Rechtsradikalen abgrenzen konnte. Die Frage nach wirtschaftlicher Umstrukturierung und gesellschaftlichem Umbruch werde nicht gestellt, die Veränderungen stellten eher eine nationalistische Wende dar, von der die Oligarchen einerseits, und die Rechtsradikalen andererseits profitierten. Als Beispiel nennt Andrej den Oligarchen Ihor Kolomojskyj, den neuen Gouverneur der Provinz Dnepropetrowsk. Als einer der reichsten Männer der Ukraine finanziere dieser den Rechten Sektor und baue sich eine Privatarmee auf. Am Abend ist Konzert; einige hundert Leute sind in den Pub Diwan gekommen, um eine Folkrock-Band rund um einen angesagten ukrainischen Lyriker zu sehen. Mittendrin ist der Pressesprecher des Rechten Sektors, begleitet von einem Bodyguard. Doch niemand schert sich darum. Am Ende des eher sozialkritischen Konzerts ruft einer: „Ruhm der Ukraine!“ Zehn Leute antworten: „Ruhm den Helden!“

// Der Platz vor dem Eingang zum Dynamo-Kiew-Stadion im Mai 2014

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Darius Schapur


Ukrainische Nationalisten

ber 1941 Massenverhaftungen und auch Hinrichtungen. Die nunmehr illegale OUN-B baute die Ukrainische Aufstandsarmee (UPA) auf, die ab Herbst 1942 Anschläge auf die deutsche Zivilverwaltung verübte und gegen sowjetische Partisanen kämpfte, aber vor allem zwischen 1943 und 1946 zehntausende polnische Zivilisten massakrierte. als historische Vorbilder von „Svoboda“ Mit dem Vormarsch der Roten Armee 1944 wurde die Zusammenarbeit mit den Deutschen erneuert. Kämpfe und „Pravyj Sektor“ der OUN-UPA mit sowjetischen Spezialtruppen und polnischen Sicherheitskräften flauten erst ca. 1947 ab. Ab da Auf Bilder vom sogenannten Euro-Maidan sieht man war ihr Widerstand u. a. aufgrund der brutalen Deporhäufig rot-schwarze Fahnen Bilder von Stepan Ban- tationen vieler Familienangehöriger in sibirische Gulags dera. Was für historische Vorbilder und Praxis sind gebrochen. damit gemeint? Unter dem Staatspräsidenten der „Orangenen Revolution“ Die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) Viktor Juščenko wurde die OUN-UPA als Vorkämpfer entstand 1929 in der Westukraine als Zusammen- eines „anti-totalitären“ ukrainischen Staates dargestellt schluss extrem nationalistischer bis offen faschis- und popularisiert. Diese Geschichtspolitik setzte austischer Organisationen. Die Westukraine war zu gerechnet der Inlands-Geheimdienst (SBU) um. Er erhielt dem Zeitpunkt Teil des polnischen Staates, der den Auftrag, ein eigenes Archiv aufzubauen, in dem die gegenüber sog. Nationalen Minderheiten, so auch vor allem aus den Beständen des sowjetischen Geheimdigegen Ukrainer eine diskriminierende Politik ver- enstes stammenden Dokumente über die OUN-UPA neu folgte. Das politische Ziel der OUN lautete: Die gesichtet werden sollen. Auftragsgemäß schrieb der SBU Ukraine den Ukrainern – sie wollten einen eigen- im Frühjahr 2008, „entgegen sowjetischer Propaganda“ ständigen ukrainischen Staat, in dem ausschließlich habe sich das „Bataillon Nachtigall“ nicht an Pogromen für Ukrainer Platz sein sollte. Der Anführer Anfang gegen Juden beteiligt. Im November 2008 erklärte der SBU der 30er Jahre und verantwortlich unter anderem für auf einer Veranstaltung, nun sei auch klar, dass die OUNMorde an polnischen Politikern war Stepan Bandera, UPA nicht mit den NS-Faschisten zusammengearbeitet der bis zum Kriegsbeginn 1939 in Haft saß. In den habe, sondern vielmehr einer ihrer schärfsten Gegner 1930er Jahren ging die OUN militant gegen Polen – gewesen sei. Diese Ausrichtung änderte sich unter Viktor in ihren Augen Kolonisten – Juden und anders den- Janukowitsch, der die OUN-UPA, wie in der Ostukraine kende Ukrainer vor. Ihre Vorläuferorganisation hatte üblich, als Faschisten betrachtete. bereits mit der Reichswehr und dem Auswärtigen Amt zusammengearbeitet, diese Kontakte wurden Nationalistische Jahrestage wie den Gründungstag der Mitte der 1930er Jahre intensiviert – insbesondere OUN-UPA oder den von der OUN etablierten „Tag der zur deutschen Abwehr. Am Einmarsch im Juni 1941 Helden“ nutzen nationalistische bis faschistische Parteien in die (seit 1939 sowjetisch besetzte) Westukraine und Organisationen bis heute für paramilitärische Aufwar die OUN-B (das „B“ bedeutet unter Führung märsche. von Bandera) mit zwei in Deutschland formierten Bataillonen ukrainischer Freiwilliger beteiligt. Das Franziska Bruder Bataillon „Nachtigall“ marschierte mit Wehrmachtseinheiten am 30. Juni 1941 in Lemberg ein. Einzelne Soldaten Nachtigalls waren dort nachweislich an Pogromen und späteren Erschießungen von Juden beteiligt. Nachdem die OUN-B gegen den Willen der Nationalsozialisten am selben Abend in Lemberg einen ukrainischen Staat ausrief, folgten ab Septem-

von der upa __zu asow

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Als die Massenproteste auf dem Kiewer Maidan Ende November 2013 begannen, waren neben den Fahnen der Ukraine und der rechten Swoboda-Partei auch zahlreiche schwarz-rote Fahnen zu sehen. Politisch links stehende Menschen freuten sich, verbanden sie doch mit der schwarz-roten Fahne das Symbol der anarchistischen spanischen Republik aus den 1930er Jahren oder die Fahne der linken Guerilla FSLN, die 1979 in Nicaragua die sandinistische Revolution anführte. Doch schnell wurde klar: Die schwarz-rote Fahne in der Ukraine steht nicht für linke oder progressive Inhalte, sondern im Gegenteil für einen rückwärtsgewandten, radikalen völkischen Nationalismus. Die schwarz-rote Fahne ist das Symbol der UPA, der ukrainischen Aufstandsarmee. Die UPA wurde zum bewaffneten Arm der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Diese hatte ihre Wurzeln in der Westukraine und wurde 1929 gegründet, um einen damals nicht existierenden ukrainischen Staat zu gründen. Der Einheit und Unabhängigkeit der Ukraine sollten alle übrigen politischen Ziele untergeordnet werden. Erreicht werden sollte dieses Ziel durch Bündnisse mit ausnahmslos jedem Gegner Großrusslands. „Behandle die Feinde Deiner Nation mit Hass und ohne Rücksicht“, heißt es in einem der „Zehn Gebote des ukrainischen Nationalisten“. Stand zunächst der Untergrundkampf gegen das als Besatzungsmacht empfundene Polen im Vordergrund, widmete sich der radikalere Flügel, die OUN-B (benannt nach deren Vorsitzenden Stepan Bandera, dazu später mehr), nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs und der Aufteilung Polens verstärkt der Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Deutschland. In dieser Zeit setzten sich unter den „Banderisten“ zur Abgrenzung gegenüber anderen nationalistischen Gruppen der ukrainische Dreizack, der nationalistische Gruß mit den begleitenden Worten „Ruhm der Ukraine“„Ruhm den Helden“, die rot-schwarze Fahne (rot für vergossenes Blut, schwarz für die Erde) als Symbole durch.

Vor dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 lebten in Lemberg schätzungsweise 160.000 Juden; sie stellten damit über ein Drittel der Lemberger Bevölkerung. Am 29. und 30. Juni nahmen die Nazis kampflos die galizische Stadt ein. Mit dabei waren zwei unter ihrem Kommando stehende ukrainische Freiwilligenbataillone. Diese ukrainischen Bataillone waren von dem militant-nationalistischen Flügel der Organisation Ukrainischer Nationalisten OUN-B aufgestellt worden und wurden später zum Grundstein der UPA. Für die OUN waren die Hauptfeinde Polen und die Sowjetunion; deren Anführer Stepan Bandera und sein Stellvertreter Jaroslaw Stezko kooperierten deshalb aktiv mit Nazideutschland und sahen in den Bataillonen den Kern einer unabhängigen ukrainischen Armee. Beim Einmarsch in Lemberg proklamierte die OUN-B sofort einen unabhängigen ukrainischen Staat, als Präsident wurde Stezko ausgerufen, der offen die Vernichtung der Juden befürwortete. Gleichzeitig tauchten überall schon zuvor rekrutierte ukrainische Milizionäre in der Stadt auf sowie Flugblätter, in denen den „bolschewistischen Juden“ die Schuld an der Ermordung von über 4.000 Menschen gegeben wurde, die nach einem Aufstand wenige Tage zuvor vom sowjetischen Geheimdienst NKWD festgenommen und dann erschlagen worden waren. Daraufhin wurden Juden zusammengetrieben, gedemütigt und zusammengeschlagen, hunderte wurden ermordet. Nicht den Nazis, sondern Banderas OUN-Milizionären wird eine führende Rolle bei diesem ersten Pogrom nach dem Einmarsch zugeschrieben; auch ukrainische Zivilisten mordeten mit. Bereits kurz nach dem Einmarsch wurde die Zusammenarbeit zwischen Nazideutschland und der OUN getrübt, was aber nicht an dem ersten Pogrom an den Lemberger Juden lag, sondern daran, dass Bandera und Jaroslav Stezko einen eigenen ukrainischen Staat ausgerufen hatten, was nicht den Plänen der NSFührung entsprach; Bandera und Stezko wurden von den Deutschen in Schutzhaft genommen. Auf lokaler Ebene jedoch funktionierte die Kollaboration zunächst noch weitgehend, erst mit der zunehmenden Repression seitens der Deutschen, Zwangsrekrutierung und massenhafter Verschleppung von UkrainerInnen als „OstarbeiterInnen“ nahmen Desertion und Widerstand zu. Die UPA gründete sich 1942/43 als Unter-


grundarmee, um für eine unabhängige Ukraine zu kämpfen und diese von Deutschen, Polen und Sowjets zu „befreien“. Der Hauptgegner blieben dabei jedoch die Sowjets und die polnische Untergrundarmee, sowie die polnische Zivilbevölkerung. Die Wehrmacht kam als Gegner erst an dritter Stelle, ab 1944 wurde sogar wieder zusammen gearbeitet. Die UPA mit ihrer schwarz-roten Fahne kämpfte noch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, bis 1956 gegen die Sowjetunion. Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 wurde die Ukraine unabhängig. Die Forschung begann, sich mit den Verbrechen des Stalinismus zu beschäftigen, die Geschichtsschreibung der Sowjetunion wurde in Frage gestellt. Gerade Stepan Bandera wurde zu einem möglichen Kandidaten der postsowjetischen Heldenverehrung. In der West- und Zentralukraine überwiegt die Wahrnehmung, dass Bandera ein Kämpfer für die ukrainische Unabhängigkeit war. In der Süd- und Ostukraine gilt er als „Nazikollaborateur“ und „Verräter im Kampf der Sowjetvölker gegen den deutschen Faschismus“. Neben der bereits 1990 gegründeten UNA und ihrem paramilitärischen Flügel UNSO war die 1991 gegründete Sozial-Nationale Partei der Ukraine SNPU die wichtigste rechtsradikale Organisation. „Die offizielle Bezeichnung der Partei-Ideologie – »Sozial-Nationalismus« – wird von vielen Interpreten als Anspielung auf den Nationalsozialismus, also die Ideologie der NSDAP, verstanden. Das offizielle Symbol der SNPU war eine modifizierte Wolfsangel, wie sie u. a. von der SS-Division »Das Reich« während des Zweiten Weltkriegs sowie von einer Reihe europäischer neofaschistischer Organisationen nach 1945 verwendet wurde bzw. wird. In den Leitlinien der SNPU wurde die spiegelbildliche Wolfsangel im damaligen Parteiwappen als Kombinationen der Buchstaben »I« und »N« gedeutet und zur Abkürzung der Phrase »Idee der Nation« erklärt. Einer der jüngeren Führer der SNPU-Nachfolgepartei »Freiheit« in Lwiw Jurij Michaltschyschyn verwendet den LiveJournal- und Email-Namen nachtigal88 (nur ein »L«). Diese Formel spielt nicht nur auf das sogenannte Bataillon Ukrainische Gruppe Nachtigall der Wehrmacht von 1941, sondern auch auf den rechtsextremen Geheimcode »88« an – also den achten Buchstaben des Alphabets, d. h.

»HH« für »Heil Hitler!« Das politische Programm der SNPU zeichnete sich durch seinen offenen Ultranationalismus aus. Es forderte eine Machtübernahme, falls nötig, mit Gewalt, und sah den russischen Staat als Grund für – so wörtlich im Parteiprogramm – »alle Leiden in der Ukraine«. Darüber hinaus war die SNPU eine Partei, die Neonazi-Skinheads und Hooligans für sich zu gewinnen begann“ (Bundeszentrale für politische Bildung).

der UNA-UNSO, weiteren rechten Gruppen sowie Fußball-Hooligans. Sie sehen sich in der Tradition der UPA, dementsprechend prangt der Schriftzug auf einem schwarz-roten Hintergrund. Anfang Dezember posierten bewaffnete Vermummte in Kiew mit Armbinden mit dem Wolfsangel-Logo. Dem Rechten Sektor wird eine Schlüsselrolle bei der Gewalteskalation auf dem Maidan zugeschrieben. Dessen Chef Dmytro Jarosch arbeitete eng mit Andrij Parubij zusammen. Parubij steht unter Verdacht, für die tödlichen Schüsse am 20. Februar 2014 zumindest mitverantwortlich zu sein.

Zu den Gründungsmitgliedern der SNPU gehörten der heutige Swoboda-Chef Oleh Tyahnybok sowie der heutige Andrij Parubij, der bis August 2014 Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine war. 2004 nannte sich die SNPU aus wahltaktischen Gründen in Swoboda, „Freiheit“, um, in Anlehnung an die österreichische FPÖ. Auf ihrer Webseite bezieht sich Swoboda ausdrücklich auf OUNGründer Jaroslaw Stezko und auf die SNPU. Eine der sieben aktuellen Kernforderungen des Swoboda-„Programms zum Schutz der Ukrainer“ ist die Würdigung der UPA. Der „Ukrainischen Aufständischen Armee“ (UPA) werden zahllose Morde an der jüdischen und polnischen Zivilbevölkerung sowie an sowjetischen Funktionären zur Last gelegt. Bei Swoboda-Parteichef Oleh Tyahnybok klingt das anders: „Dank unseren Vorfahren, den Soldaten der Ukrainischen Partisanenarmee, haben die Ukrainer ihre europäische Identität bewahrt!“, erklärte er am 14. Oktober 2012 auf einer Kundgebung in Kiew.

„Faschisten“ gegen „Faschisten“ Die Beteiligung von Swoboda, Rechtem Sektor uns anderer rechter Gruppen diente der russischen Führung als Beleg für die Behauptung, in Kiew würden „Faschisten“ regieren. Umgekehrt wird Putin in der Ukraine gerne mit Hitler verglichen. Einige seiner Berater wie Aleksandr Dugin hängen einer neurechten Ideologie an und stehen in enger Verbindung mit der europäischen Rechten wie etwa der Front National. Russische und internationale Neonazis und Querfrontler sollen sich den Separatisten angeschlossen haben. Dennoch soll es hier lediglich um die ukrainische Rechte gehen. Nach dem Sturz Janukowitschs und der militärischen Eskalation auf der Krim und in der Ostukraine wurden hunderte Mitglieder des Rechten Sektors und andere militante Maidan-Aktivisten in neu entstandene paramilitärische Verbände organisiert. Dazu gehören die Nationalgarde sowie mehrere Bataillone, die formell dem Innenministerium unterstellt sind, faktisch aber autonom agieren.

Seit Swoboda im Oktober 2012 ins Parlament eingezogen ist, fühlen sich rechtsextreme Gruppen in der Ukraine gesellschaftlich akzeptiert und weniger angreifbar. Speziell den Fußballfans von Karpaty Lwiw werden Verbindungen zur rechtsradikalen Szene nachgesagt. Berüchtigt sind vor allem die Banderstadt Ultras, die sich nach ihrem Idol Stepan Bandera benannt haben. Nach dem Zeigen nazistischer Grüße und Symbole im Stadion verhängte die Fifa am 27. September 2013 ein Länderspielverbot für die ukrainische Nationalmannschaft in der Arena Lviv bis 2018 sowie eine Geldstrafe. Seit Beginn der Proteste auf dem Maidan Ende November sind auch rechte Kräfte in der Ukraine im Aufwind. Einige Zeit nach Beginn der Proteste gründete sich der „Rechte Sektor“ aus Organisationen wie

Der Krieg im Osten der Ukraine wird von der Kiewer Führung noch immer als „Anti-Terror-Operation“ (ATO) bezeichnet. Einer der Hauptsponsoren der ATO ist der Oligarch Igor Kolomojski, der seit März zugleich auch Gouverneur der Region Dnipropetrowsk ist, die als Tor zur Ostukraine gilt. Darüber hinaus finanziert er seine eigene Armee, das im April 2014 gegründete Bataillon „Dnipro“, das ebenfalls dem Innenministerium unterstellt ist. Kolomojski unterstützt finanziell

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den Rechten Sektor und setzte ein Kopfgeld auf einen Anführer der Separatisten aus. Das im Mai gegründete Bataillon Donbass soll aus 800 Mann bestehen und wurde auf Initiative des Geschäftsmannes und Offiziers Semen Sementschenko gegründet. Das Bataillon Asow wird von mehreren Experten und Journalisten als rechtsradikal bezeichnet. Ukrainische, europäische und auch russische Rechtsradikale kämpfen in den Reihen von Asow mit. Das Bataillon wurde auf Vorschlag des nationalistischen Politikers Oleh Ljaschko gegründet, der bei den Präsidentschaftswahlen im Mai immerhin auf den dritten Platz gewählt wurde. Als Kommandeur der Einheit von ca. 600 Mann gilt Andrij Biletzki, der zuvor als Anführer der Sozial-Nationalen Versammlung SNA im Gefängnis gesessen hatte. Belegt ist, dass der schwedische Neonazi Mikael Skilt und Aktivisten aus dem italienischen Nazizentrum „Casa Pound“ bei Asow aktiv sind. Das Logo von Asow ist – die Wolfsangel.

Darius Schapur


Fotostrecke Zhytomyr:

// Fotostrecke Zhytomyr: Etwa 120 km südwestlich von Kyjiw passieren wir die Stadt Zhytomyr, die zwischen 1941 und 1944 von Deutschen besetzt war und dem deutschen Reichskommissariats Ukraine unterlag. In Saritschani einem Dorf, zwei Kilometer entfernt, liegt der seit 1998 existierende deutsche Soldatenfriedhof des Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge. Tafeln mit Namen gefallener Deutscher und ein großes Holzkreuz (im Herbst 2013 noch mit einem Eisernen Kreuz aus Blumen behangen) rufen zum Gedenken an die: „Opfer aller Kriege“ auf.

// Andriy wohnt wenige hundert Meter vom deutschen Soldatenfriedhof entfernt. Die Initative der Kriegsgräberführsorge kann er nicht wirklich nachvollziehen. Er zeigt uns ein altes in Deutschland fabriziertes Maßband, ein Überbelibsel der deutschen Besatzungszeit. // Der Sockel, auf dem Rathausvorplatz in Zhytomyr, der ehemals Lenin beheimatet, erinnert mit einem Fotoplakat der Maidan-Gefallenen.

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Veröffentlichungen “Der Maidan, die Präsidentschaftswahl und das Zusammenleben in einem zerrissenen Land - Stimmen aus der Ukraine”, Interview auf Radio Dreyeckland, veröffentlicht am 21.5.2014. [link: https://rdl.de/beitrag/der-maidan-die-pr-sidentschaftswahl-und-das-zusammenleben-einem-zerrissenen-land-stimmen-aus] „Und vom Maidan grüßt ‘Putler’“, über Gegenwart und Vergangenheitsbezug auf dem Maidan, in Neues Deutschland vom 27.5.2014. [Link zum nur für AbonnetInnen zugänglichen Artikel : https://www.neues-deutschland.de/artikel/934219.und-vom-euromaidan-gruesst-putler.html]

“Einfluss rechter Gruppierungen in der Ukraine”, erschienen auf Freie-Radios.Net, vom 6.6.2014. [link: https://www.freie-radios.net/64257] “Gedenkorte und die Fontäne von Winnyzja”, Neues Deutschland vom 13.6.2014. [Link zum kompletten Text : http://www.preposition.de/2014/06/17/gedenkorte-und-die-fontane-von-winnyzja/] „Die Forderungen des Majdan waren irrational“ - Interview mit einem Vertreter der Autonomen Arbeiterunion aus Kiev, Radio Dreyeckland, 16.6.2014 . [link: https://rdl.de/beitrag/die-forderungen-des-majdan-waren-irrational-interview-mit-einem-vertreter-der-autonomen]

“Platz auf dem Sockel. Geschichte, Narrative und historische Symbole im Ukrainekonflikt”, in Analyse und Kritik, Ausgabe #595, 17.6.2014, Seite 3. [Link zum kompletten Text: http://www.preposition.de/2014/06/22/platz-auf-dem-sockel/]

“Bewaffung und Gelassenheit”, über die Situation der jüdischen Bevölkerung in der Ukraine nach dem Maidan, Antifainfoblatt vom 30.7.2014. [link: https://www.antifainfoblatt.de/artikel/bewaffnung-und-gelassenheit]

“Kidnapping became common”, Interview über die Lage in im Osten der Ukraine, Read Magazin #21, Juli/ August 2014 [Link zum kompletten Text: http://www.preposition.de/2014/07/30/kidnapping-became-common/]

Veranstaltungen “Die Krise und Verwirrung: Ein Reisebericht aus der Ukraine” im Projekthaus Potsdam, 11.6.2014 „Ukraine – ein Reisebericht“, in den Räumen des Babylonia e.V., Berlin, 25.6.2014 [link: http://www.babylonia.de/veranstaltungen/ukraine-ein-reisebericht/]

“Die Krise und Verwirrung: Ein Reisebericht aus der Ukraine”, Universität Hannover, 6.8.2014 [link: http://www.fastforwardhannover.net/event/krise-umbruch-und-verwirrung-ein-reisebericht-aus-der-ukraine/]

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