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Bis zum Schluss
Wenn Menschen an einer lebensbedrohlichen Krankheit leiden, kommt oft die Palliativmedizin ins Spiel. Seit vergangenem Jahr stehen auch am Krankenhaus Bruneck fünf Betten auf einer eigens geschaffenen Station zur Verfügung. Etwa 130 Betroffene wurden bisher dort betreut. Die ärztliche Leiterin Monika Hilber kennt die Geschichten hinter den Zahlen. Im Gespräch erzählt sie, warum es den geschützten Rahmen der Palliativmedizin braucht und worauf es in der Betreuung schwerkranker Menschen ankommt.
PZ: Frau Hilber, seit fast einem Jahr gibt es am Krankenhaus Bruneck eine eigene Palliativstation, die gerade feierlich eingeweiht wurde. Ein wichtiger Schritt in der wohnortnahen Betreuung?
Monika Hilber: Die Bemühungen um die Palliativmedizin gibt es in Bruneck schon sehr lange. Bereits vor zwei Jahrzehnten fing man in den unterschiedlichen Akutabteilungen des Krankenhauses an, die Palliativmedizin in der Behandlung einzuführen. Man hat damals in erster Linie onkologische Patienten betreut. Das ist auf einer Akutstation eine Herausforderung, sei es für die Betroffenen und ihre Angehörigen, aber auch für jene, die sich um sie kümmern. Mit der eigenen Palliativstation konnte die Betreuung jetzt noch verbessert werden.

Weil sie einen eigenen Rahmen braucht?
Palliativmedizin leitet sich vom Lateinischen Pallium ab, das heißt Mantel. Sie hat zum Ziel, mit Fürsorge und Aufmerksamkeit zu umhüllen – und zwar nicht nur die Patientinnen und Patienten, sondern auch die Nahestehenden und Angehörigen. Am Ende des Lebens gibt es besondere Herausforderungen, und wir sind der Ansicht, dass man in diesem Punkt ganzheitlich begleitet werden sollte. Und genau das können wir tun.
An wen richtet sich die Palliativmedizin?
Eigentlich ist sie für alle da, die lebensbegrenzend oder schwer chronisch erkrankt sind. Im Fokus stehen die Linderung der Beschwerden und Symptome – aber nicht nur auf körperlicher Ebene.
Welche Ebenen spielen noch hinein? Die körperliche, die spirituelle, die soziale, die psychologische – all das muss betrachtet werden, wenn wir von ganzheitlich sprechen nach dem Konzept von Cicely Saunders. Die Engländerin war Sozialarbeiterin, Kranken- pflegerin und Ärztin und gilt als Mutter der Palliativmedizin. Sie hat gesehen, dass es in ihrer Arbeit mit einer Linderung der Schmerzen alleine oft nicht getan ist. Eben weil da unterschiedliche Dimensionen sind, die man sehen und auf die man achten kann.
Was kann Betroffene stark beschäftigen?
Es kann zum Beispiel die Sorge um die Familie sein. Wie geht es finanziell weiter, wenn ich nicht mehr bin? Wie kommt die Familie zurecht? Solche Fragen können viel größere Sorgen bereiten als eventuelle Schmerzen, vor denen man sich fürchtet. Seelische Sorgen belasten viele Patienten.
Wir brauchen einen neuen Umgang mit dem Tod, sagt der bekannte Palliativmediziner Matthias Gockel. Das Sterben ist an den Rand unserer Gesellschaft gesetzt worden – tun wir uns deshalb so schwer, uns damit auseinanderzusetzen?
Das Lebensende ist aus unserem Alltag in den vergangenen Jahrzehnten komplett verschwunden und an Institutionen übergeben worden. In unserer Arbeit möchten wir das Thema in den Mittelpunkt stellen. Das geht nicht von einem auf den anderen Tag, es ist ein gesellschaftlicher Prozess, der stattfinden muss. Unsere Aufgabe auf der Palliativabteilung ist nicht nur End-of-Life-Care. Bestenfalls fängt die Betreuung bei einer schweren lebensbegrenzenden Erkrankung möglichst früh und auch als Ergänzung zu anderen Therapien an. Die palliative Behandlung hilft, das Leben im Rahmen der Erkrankung bestmöglich zu leben – und das nach eigenen Wünschen und Vorstellungen.
Sind alle Menschen für palliativmedizinische Betreuung offen?
Wir merken in unserer täglichen Arbeit, dass es sehr individuell ist. Man muss auch hinreichend bereit sein, den Schritt zu gehen. Ohne Druck, es soll ein Angebot sein.
In den Ohren mancher klingt schon das Wort Palliativmedizin bedrohlich. Niemand von uns kennt seine geschenkte Lebenszeit, das steht nicht in unserer Macht. Manchmal kommt die Palliativmedizin erst ein paar Tage vor dem Tod zur Anwendung, manchmal schon Jahre vorher. Wenn etwas unbekannt ist, sind Ängste oft größer. Deswegen ist es uns auch so wichtig, zu erklären, was Palliativmedizin bedeutet.
In Bruneck gibt es fünf Betten. Reicht das aus?
Seit wir die Station eröffnet haben, sind wir fast durchgehend zu 100 Prozent ausgelastet. Die Patienten kommen aus dem gesamten Einzugsgebiet des Pustertals. Es gibt neue Berechnungen, die die demografische Entwicklung mit einbeziehen und klar sagen, dass der Bedarf größer ist. Mehr Betten bedeuten aber mehr Personal. Aktuell sind wir ein Team aus Krankenpflegern und Pflegehelferinnen. Die Koordination der Pflege hat Barbara Nöckler inne. Am Nachmittag werden wir auch vom Caritas-Hospizdienst unterstützt. Wir arbeiten in einem multiprofessionellen Team: Unterstützung kommt von Seelsorgern, Psychologen, Ernährungstherapeuten, Palliativkrankenpflegern oder aus anderen Bereichen. Bedanken möchte ich mich auch beim Kollegium der Inneren Medizin, das uns in der Arbeit sehr unterstützt, besonders Primar Christoph Leitner und die Oberärztinnen Marlene Notdurfter und Ulrike Felder sowie Internistin Sabine Summerer, die mich vertritt, wenn ich in Urlaub bin.
Sind jene, die auf der Palliativstation arbeiten, mit einer besonderen Empathie ausgestattet?
Wer diesen Schritt macht, bringt eine gewisse Einstellung und Haltung zu dem ganzen Thema mit. Das ist meiner Meinung nach auch eine Voraussetzung, um diese Arbeit gut machen zu können.
Wie war es bei Ihnen: War die Palliativmedizin ein Ziel?
Sie ist auf der Reise zu einem geworden. Während des Studiums gab es nur sehr wenig Informationen dazu, wir wurden in dem Bereich quasi gar nicht ausgebildet. Ich habe mich persönlich schon damals dafür interessiert. Mit der studentischen Anamnesegruppe haben wir versucht, auch Gesprächsführung und weitere Aspekte der Patienten mit in den Blick zu nehmen. Am Ende des Studium machte ich mir Sorgen, wie ich es schaffen kann, mit diesen Themen umzugehen. Denn schließlich war ich jetzt ja Ärztin und wusste, dass ich mit dem Thema in Kontakt kommen würde. Ich habe mich dann selbst mit Büchern eingedeckt und viel dazu gelesen.
Wie schaffen Sie es, das Erlebte nach einem langen Tag nicht mit nach Hause zu nehmen?
Es gelingt mir dann gut, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Wenn ich das Gefühl habe, dass wir zwar an der Situation, also an der Krankheit nichts ändern können, aber es geschafft haben, eine gute Begleitung zu ermöglichen. In einem Bereich, wo Ruhe und Privatsphäre möglich sind und der Patient individuell betreut werden kann, genau wie er es braucht. Es ist ja nicht so, dass ich das alleine trage. Wir sind ein Team, wir besprechen uns und tragen das gemeinsam. Das Mitgefühl ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit. Aber wir können nicht komplett mit der Situation verschmelzen, sonst können wir nicht mehr aktiv helfen.
Von einer schweren Erkrankung ist das ganze Umfeld betroffen. Was brauchen die Angehörigen?
Die Bedürfnisse sind oft ganz ähnlich und manchmal konträr. Es ist wichtig, herauszuarbeiten, was gerade gebraucht wird. Da- für sind Raum und Zeit nötig. Und das kann die Palliativmedizin bieten. Auf die Angehörigen kommt zum Beispiel oft ganz plötzlich viel organisatorische Verantwortung zu. Manche beschreiben es wie eine Lawine, die sie überrollt. Und das eben in einer Situation, wo sonst schon alles ins Wanken kommt… Auch hier versuchen wir zu unterstützen und Wege aufzuzeigen.
Gibt der Glaube den Betroffenen in dieser Situation Halt?
Wir merken, dass das für manche eine Sicherheit darstellt. Wir sehen auch Patienten, die sagen, dass sie gerne auf die andere Seite gehen, weil sie spüren, dass die Zeit gekommen ist. Im Vordergrund steht oft die Angst, wie der Sterbeprozess sein wird, nicht das Sterben an sich.
Geht es auf einer Palliativstation ums Sterben oder ums Leben?
Natürlich ist das Ende ein Teil unserer Arbeit. Mir ist es wichtig zu sagen, dass unsere Abteilung vielmehr ein Ort ist, wo Beschwerden und Symptome gelindert werden und das Ziel verfolgt wird, Patienten so schnell wie möglich in ihr gewohntes Umfeld nach Hause zu entlassen. Unser Auftrag ist der einer zeitlich begrenzten, vorübergehenden Betreuung. Manchmal braucht es vielleicht noch etwas, das für zu Hause organisiert werden muss. Und auch dafür sind wir da, das mit den Sprengelkrankenpflegerinnen und allen, die uns in der Betreuung der Patienten unterstützen, zu ermöglichen. Besonders wichtig ist hier natürlich die Rolle der Hausärzte. Sie sind die wichtigste Säule.
Nun gibt es die Station in Bruneck seit fast einem Jahr. Fragen Angehörige nun auch selbst nach dem Angebot?
Wenn etwas Neues gestartet wird, ist es nie ein gemachtes Bett, sondern man muss sich zusammenfinden. Wir haben knapp 130 Patienten hier betreut und konnten die Zeit nutzen, das zu etablieren. Mittlerweile wird oft auch aktiv nachgefragt und der Wunsch nach palliativmedizinischer Betreuung geäußert. Auch interdisziplinär hat es sich etabliert, indem uns die Kollegen dazuholen. Und darum geht es ja: Dass wir zusammen versuchen, die bestmögliche Betreuung anzubieten. // Interview: Verena Duregger
Palliative Betreuung In S Dtirol
Die Palliativmedizin ist in Südtirol ein territorialer Dienst. Chef des Netzwerkes ist Primar Massimo Bernardo vom Krankenhaus Bozen. Dort gibt es elf Betten zur palliativmedizinischen Betreuung, in Martinsbrunn in Meran deren zwölf und seit Juni 2022 auch fünf Betten in Bruneck. Alleine das zeigt, wie wichtig dieser Dienst für das Pustertal ist, um eine wohnortnahe Behandlung zu ermöglichen. Die Schaffung des stationären Angebots ist kein Projekt, das von einem auf den anderen Tag gestartet werden konnte: Die Leiter verschiedener Abteilungen und Walter Amhof, ehemaliger Direktor des Gesundheitsbezirkes Bruneck, haben sich lange dafür eingesetzt. Zunächst wurde palliativmedizinische Betreuung auf den verschiedenen Akutstationen eingeführt.
Mit der eigenen Station kann die Betreuung nun noch zielgerichteter stattfinden. Die Patienten werden von einem interdisziplinären Team betreut. Physio- und Ergotherapeuten, Diätassistenten, Psychologinnen und Psychologen, das Personal der Seelsorge und freiwillige Helfer unterstützen das ärztliche und pflegerische Personal. //