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„Mein Antrieb war immer, etwas Neues zu lernen und zu schaffen“
Wenn Wörter wie „Brain Gain“ und „Brain Drain“ fallen, sind Menschen wie sie gemeint: Bis 2017 arbeitete die Wissenschaftlerin Angelika Peer in Deutschland und Großbritannien, vor sechs Jahren ist die gebürtige Olangerin nach Südtirol zurückgekehrt. Die 42-Jährige ist Prodekanin für Forschung der Fakultät für Ingenieurwesen an der Freien Universität Bozen, Professorin im Bereich Automation und Robotik und leitet das Labor für Mensch-zentrierte Technologien und Maschinenintelligenz. Im Gespräch erzählt sie, was auf ihrem Weg besonders wichtig war, wie attraktiv Südtirol für hochqualifizierte Menschen ist und warum Nachhaltigkeit auch in der Wissenschaft das Wort der Stunde ist.
PZ: Wie oft müssen Sie die Frage beantworten, wie eine Frau zum Fach Elektro- und Informationstechnik kommt und sich schließlich in Robotik spezialisiert?
Angelika Peer: Das hängt ganz vom Kontext ab. Wenn es um das Thema MINT-Fächer, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik geht, dann sehr oft. Ansonsten ist es im wissenschaftlichen Alltag kein Thema. Aber ja: Wie bin ich dazu gekommen? Mein Vater ist Elektroinstallateur. Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem ich schon früh durch alle möglichen technischen Geräte geprägt wurde. Wir hatten einen kleinen Schrottplatz, auf dem wir zusammen mit Kindern aus der Nachbarschaft alte Geräte auseinander- und dann wieder zusammengebaut haben. Wie sie funktionieren, habe ich damals noch nicht verstanden. Aber ich hatte auf alle Fälle keine Berührungsängste.
Sie haben die Gewerbeoberschule besucht, wie die Technische Fachoberschule damals hieß. Für mich war es wichtig, viel im Bereich Mathematik und Physik zu lernen, da mich diese beiden Fächer besonders angesprochen haben. Ich habe das Biennium in Bruneck besucht und die letzten drei Schuljahre dann in Bozen. Da hatte ich zwei Lehrpersonen, die mein Interesse noch mehr geweckt und mir ihre Begeisterung fürs Fach mitgegeben haben. Das hat mich geprägt. Wir haben dort auch am Nachmittag Projekte abgewickelt, unter anderem eine Magnetschwebebahn zum Laufen gebracht. Sie müsste heute in der Schule noch in einer Glasvitrine stehen.
Die Mädchen in der Schule… … konnte man an einer Hand abzählen. Im letzten Schuljahr sagte der Präsident bei der Abschlussprüfung: Liebe Frau Peer, meine Herren – ich war im Maturajahrgang also das einzige Mädchen, das die Prüfung geschrieben hat. Das hat mich aber nie richtig gestört. Irgendwann gehört man zu den Jungs dazu, sie verhalten sich nicht mehr anders, nur weil du neben ihnen stehst.
Gab es einen Schlüsselmoment, der Sie zum Forschen gebracht hat? Neues zu lernen und zu schaffen war und ist immer noch mein Antrieb. Ich wollte immer über den Tellerrand hinausschauen. Bereits in der Oberschule war ich sehr wissbegierig. Damals habe ich den Bereich der Regelungstechnik und Automation kennengelernt, der mich von Anfang an fasziniert hat. Die erlernten Methoden lassen sich sehr vielfältig einsetzen. Ob es jetzt Biologie ist, ein gesellschaftliches Problem oder eines, das die Fertigung betrifft: Man abstrahiert Systeme in einer mathematischen Beschreibung und sobald diese abgeleitet ist, kann man mit den gleichen Methoden unterschiedliche Felder bearbeiten. Mit diesen Abstrak- tionen habe ich mich früh und intensiv beschäftigt. Es war eine gute Möglichkeit, mir ein breites Spektrum an Möglichkeiten offenzuhalten, in welche Richtung ich einmal gehen möchte, aber auch einen Rucksack mit Werkzeugen zu haben, aus dem man sich bedienen kann.
Angelika Peer, Jahrgang 1980, wächst in Olang auf. Sie besucht die Gewerbeoberschule in Bruneck und Bozen und studiert im Anschluss Elektro- und Informationstechnik an der Technischen Universität München, wo sie mit Auszeichnung im Fachgebiet der Regelungstechnik promoviert. Sie forscht und lehrt Regelungstechnik und Robotik an der TU München, dann folgt der Wechsel nach Bristol (Großbritannien), wo sie von 2014 bis 2017 an einem der größten Forschungszentren des Landes mit 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Spezialgebiet Robotik forscht. Seit mittlerweile sechs Jahren ist sie wieder zurück in Südtirol. Peer ist Prodekanin für Forschung der Fakultät für Ingenieurwesen der Freien Universität Bozen und leitet als Professorin das Labor für Mensch-zentrierte Technologien und Maschinenintelligenz.
Was waren wichtige Schritte auf dem Weg bis heute?
Wenn ich zurückblicke, dann teile ich diesbezüglich eine Erfahrung mit vielen anderen Frauen, die in MINT-Fächern gelandet sind. Entscheidend war, dass ich auf dem Weg immer wieder Mentoren hatte, die mich begleitet und bestärkt haben. Es ist ganz wichtig, solche Menschen zu finden. Es braucht Personen, die an einen glauben und aufzeigen, welche Möglichkeiten man hat. Mein Rat an Frauen ist deshalb auch: Wenn man irgendwo ist, wo es solche Menschen nicht gibt, dann ist es besser, weiterzuziehen.
War die universitäre Laufbahn schon immer ein Ziel?
Ich hatte das nicht so auf dem Plan. Bei mir ist alles eher Schritt für Schritt gelaufen. Als Werkstudentin an verschiedenen Lehrstühlen, z.B. am Lehrstuhl für Steuerungs- und Regelungstechnik der Technischen Universität München, habe ich schon während des Studiums einen ersten Einblick bekommen. Als ich das Angebot bekam, als wissenschaftliche Mitarbeiterin eine Promotion anzustreben, habe ich gerne zugesagt. Die eigentliche Frage, ob man in dem Bereich weitermacht oder in die Industrie wechselt, stellt sich erst am Ende der Promotion. Ich habe mir dann ein Jahr gegeben. Dann ging es herum, und ich war immer noch voller Energie für die Forschung. So habe ich mich entschieden, diesen Weg zu gehen.
Hat sich die Lehre im Vergleich zu Ihrer Studienzeit verändert?
Es gibt Personen, die unterrichten wie eh und je, mit Kreide und Tafel. Ich nutze diese Vorgehensweise auch immer noch gerne. Aus einem einfachen Grund: Dadurch wird das Tempo reduziert. Viele arbeiten mit Powerpoint-Präsentationen, aber da ist das Tempo meines Erachtens manchmal zu schnell, insbesondere wenn der Stoff sehr formellastig ist. Anwendungsnahe Aspekte durch Projekte, Gruppenarbeiten oder Probleme, die konkret betrachtet werden, stehen heute mehr im Fokus. Dadurch kann die Theorie in kleinere Brocken heruntergebrochen werden. Das italienische System ist sehr theorielastig. Da stechen wir in Bozen mit unseren Laboratorien, die gut ausgestattet sind und die Anwendung auf konkrete Beispiele ermöglichen, im Vergleich schon etwas hervor.
Welche Herausforderungen gibt es noch in der Lehre?
Man muss Platz für neue Lerninhalte schaffen. Aspekte wie Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Datenerhebung und -analyse oder rechtliche As- pekte wie Privacy sind neben vielen anderen Themen dazugekommen. Dem müssen wir natürlich gerecht werden. Auf der anderen Seite muss man sich fragen, was gibt man stattdessen auf? Was muss jemand bis ins Detail verstehen und wo kann man annehmen, dass es reicht, ein Tool anwenden zu können? Das Abwägen von verschiedenen Punkten ist die Herausforderung im Design von neuen Studiengängen.
Gerade wurde in Bruneck der NOI Techpark eröffnet. Wie ist es um den Wissenschaftsstandort Südtirol bestellt? Wir als Hochschule haben die Aufgabe, auch die dritte Dimension zu bedienen. Darunter versteht man auch den Wissenstransfer der Anwendungen, die von uns kommen, unter anderem in die Industrie. Man darf dabei aber eines nicht vergessen: Es gibt Forschung, die zehn Jahre oder noch viel weiter von der potentiellen Anwendung entfernt ist oder solche, die vielleicht bereits in zwei Jahren in der Industrie Anwendung findet. Wenn wir nur jene Schiene bedienen, die unmittelbar zur Anwendung führt, dann hätten wir in wenigen Jahren nichts mehr zum Transferieren, da sich die Wissenschaftswelt in der Zwischenzeit sehr stark weiterentwickelt hat. Deshalb müssen wir beide Forschungsschienen als Universität gleichzeitig bedienen.
Frauen für die Wissenschaft zu begeistern und zu ermutigen – darauf zielt die Kampagne „Women in Science“ der Freien Universität Bozen ab. Das Bild zeigt Angelika Peer (4. v.r.) mit Präsidentin Ulrike Tappeiner (2.v.r.), Rektor Paolo Lugli und anderen Professorinnen.
Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Uni und NOI Techpark geplant?
In Bruneck wird der Stiftungsprofessor Erwin Rauch gezielt Forschung im Bereich Sustainable Manufacturing leisten und mit wissenschaftlichen Mitarbeitern am Standort zusammen mit den Unternehmen tätig sein. Wir planen auch Summer- und Winterschools einzurichten. Was neue Studiengänge betrifft, ist es im Moment ein rechtliches Akkreditierungsproblem, das für den Standort Bruneck zuerst gelöst werden muss.
Was beschäftigt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Moment besonders?
Ob Ingenieurwissenschaften oder Geisteswissenschaften: Momentan dreht sich auch in der Wissenschaft sehr viel um Nachhaltigkeit, zumal viele Ausschreibungen für Wissenschaftsgelder einen speziellen Schwerpunkt darauf legen. In Italien stellen die durch den PNRR bereitgestellten Gelder eine besondere Chance dar – das heißt, es stehen weitaus mehr Mittel für die Forschung bereit als normalerweise.
Nach vielen Jahren im Ausland sind Sie mit Ihrem Mann nach Südtirol zurückgekehrt, weil sie beide ein Jobangebot erhalten haben. Hat Südtirol sich weiterentwickelt, wenn es um Jobs für hochqualifizierte Menschen geht? Die Arbeitsmöglichkeiten für Akademiker sind noch beschränkt. Das Ziel ist deshalb, mehr Hochtechnologieunternehmen nach Südtirol zu bringen, die nicht nur reine Zulieferer von Produkten sind und eine größere Anzahl von Arbeitsplätzen schaffen können, die ein Universitätsstudium oder gar Doktorat voraussetzen und eine angemessene Entlohnung, auch im Vergleich zu bezahlten Löhnen im umliegenden Ausland, in diesen Positionen bieten. Auch im Bereich der sogenannten Benefits inklusive Kinderbetreuung gibt es starken Aufholbedarf, um Südtirol als Arbeitsort attraktiv zu machen.
Apropos Kinderbetreuung. Südtirols Gesellschaft ist…
Faszination Schweben: In ihrer Zeit an der Gewerbeoberschule in Bozen bringt Angelika Peer mit Kollegen eine Magnetschwebebahn zum Laufen.
Auch in der Bachelorarbeit beschäftigte sich Angelika Peer mit einem Schwebeversuch, der im Zuge des Projektes Learnet entwickelt wurde. Es handelte sich um einen Lehrversuch über Distanz, sozusagen Tele-Schweben.
... patriarchalisch geprägt. Gewisse Berufsbilder scheinen eher noch für Männer vorgesehen zu sein und normalerweise ist es die Frau, die sich daheim um die Kinder kümmert. Ich sage immer, dass Frauen sich trauen und nicht auf das hören sollen, was die Gesellschaft für einen geplant hat. Wenn da draußen Mädchen sitzen, die ein Gefühl für die Materie kriegen möchten oder sich die Frage stellen, ob ein technisches Fach für sie geeignet ist: Ich nehme mir gerne Zeit für ein Gespräch.
// Interview: Verena Duregger
ELKI BRUNECK