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Ein Bürgerhaushaltgeht das überhaupt?

Als Bürgerin bzw. Bürger bei den Gemeindefinanzen mitbestimmen – kann das klappen? Sehr wohl, wenn das Ganze gut vorbereitet und gut umgesetzt wird, so die Überzeugung von Politik-Experten. Den Beweis liefern auch Gemeinden, die sich auf so ein Instrument der Bürgerbeteiligung eingelassen haben. Doch was ist ein Bürgerhaushalt überhaupt, welchen Zweck hat er und wie funktioniert er? Unlängst haben die Brunecker Grünen zu einer entsprechenden Informationsveranstaltung mit dem Titel „Bürgerhaushalt – Ein Instrument auch für Bruneck?“ eingeladen.

Die öffentlichen Finanzen, Steuern und Abgaben sind in Italien der direkten Mitbestimmung der Bürgerschaft in Form von Volksabstimmungen entzogen. Doch kommen alternative Formen der Mitwirkung der Bürger an den öffentlichen Ausgaben, vor allem in der eigenen Gemeinde, in Frage, wie etwa der Bürgerhaushalt. Dieser ist ein Instrument der Bürgerbeteiligung bei Fragen rund um die Verwendung von öffentlichen Geldern. Bürgerhaushalt bedeutet Mitsprache, Teilhabe, Transparenz und die Erweiterung des Bewusstseins von Entscheidungen. In über 300 Gemeinden Europas wird er mit Erfolg angewandt, und auch zwei Südtiroler Gemeinden haben ihn bisher eingeführt beziehungsweise ausprobiert. Eine davon ist die Gemeinde Mals, die im Jahr 2016 das entsprechende Pilotprojekt gestartet hat. Aber auch die Gemeinde Eppan hat als zweite Südtiroler Gemeinde mittlerweile einen Bürgerhaushalt durchgeführt. So wurden dort im Haushalt für das Jahr 2023 50.000 Euro bereitgestellt, über deren Verwendung die Bürgerinnen und Bürger in einem partizipativen Prozess direkt entscheiden konnten. Der damalige Malser Bürgermeister, Ulrich Veith, referierte dann auch bei der Veranstaltung in Bruneck über die Erfahrungen in seiner Gemeinde.

Beispiel Mals

In der Vinschger Gemeinde wurde unter Bürgermeister Veith ein Gesamtkonzept der Bürgerbeteiligung erstellt, dessen wichtigster

Baustein der sogenannte Bürgerhaushalt war. Will heißen ein Teil des Haushalts, nämlich 200.000 Euro, wurden für den Bürgerhaushalt reserviert. Mit dem vorgesehenen Budget sollten einige Projekte realisiert werden, die den vorgegebenen Kriterien entsprachen und für die abgestimmt wurde. 47 Projektvorschläge wurden zunächst vorgelegt, wobei nach einer rechtlich-technischen Machbarkeitsprüfung, kontrolliert durch Bürgervertreter und im Einvernehmen mit den Einbringern, 33 für die Endbewertung übrigblieben. Diese wurden den Bürgerinnen und Bürgern (ab 16 Jahren) zur Abstimmung vorgelegt. Die zehn bestbewerteten Projekte wurden dann offiziell dem Gemeinderat überreicht, um im Haushaltsvoranschlag 2017 berücksichtigt zu werden. Vor allem die ökologische und kulturelle Aufwertung lag den Malsern dabei am Herzen, aber auch sozialpolitische Vorschläge wurden vorgelegt. Die bunte Palette reichte von ganz bescheidenen Projekten, wie einem ganzjährig geöffneten WC bei der Kirche und natürlichen Bienenbehausungen über die Gesamtsanierung des Flora-Parks bis zur Errichtung eines Naturbadeteichs am Malser Sonnenhang. Die mit einer Kostenschätzung verbundenen Vorschläge lieferten der Gemeinde zudem wertvolle Hinwei- se, wo die Politik in den nächsten Jahren ansetzen kann. Der gesamte Prozess der Erstellung des Bürgerhaushaltes wurde professionell begleitet und moderiert, von POLITiS, in Zusammenarbeit mit der Fakultät für Design der Universität Bozen. Das Fazit am Beispiel Mals: Ein wesentlicher Bestandteil des Bürgerhaushalts ist jener der Transparenz. Die Bürgerinnen und Bürger wurden umfassend informiert, wie der Haushalt ihrer Gemeinde funktioniert. Dass diese Art der Entscheidungsfindung im ersten Moment als langsam und aufwändig empfunden wird, wurde durch die hohe Qualität der Projekte bei weitem wettgemacht. Das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gemeinde wurde gestärkt, und die Einbringerinnen und Einbringer der Projekte beließen es nicht nur bei der Ideengebung, sondern beteiligten sich (freiwillig) aktiv an der Umsetzung.

Partizipation

Das verstehen auch wir Grüne unter Partizipation! So der Wortlaut des Resümees der Veranstaltung von Seiten der Brunecker Grünen. „Wir haben solche Instrumente der Partizipation, wie eben den Bürgerhaushalt, ja auch in unserem Programm“, unterstreicht Hans Peter Niederkofler, Brunecker Gemein- derat der Grünen, „und aus diesem Grund war es uns wichtig, das Thema aufzugreifen.“ Im Grunde gehe es um zwei Ziele, adressiert an interessierte Bürgerinnen und Bürger: Zum einen, den Bürgerinnen und Bürgern zum Zwecke eines besseren Verständnisses ganz allgemein alles Wissenswerte und Wesentliche rund um den Haushalt näher zu bringen, wie etwa: Was sind die Ausgaben, was die Einnahmen der Gemeinde? Und dann gehe es darum, eine gewisse Summe für Anliegen seitens der Bevölkerung zu reservieren, wobei das Ganze, Vorschläge und Abstimmung, mittels eines partizipativen Prozesses erfolgen muss, das sei grundlegend. „Eigentlich ist es ein demokratisches Training für alle Involvierten, man lernt die Zusammenarbeit und auf andere Rücksicht zu nehmen“, so Niederkofler. Nicht-Partizipation fördere eine Anspruchshaltung von Seiten der Bürgerinnen und Bürger, Partizipation bedeute hingegen echtes Mitwirken und Mitdenken. Das bedinge allerdings auch die Bereitschaft der öffentlichen Verwaltung, gegebenenfalls Entscheidungen zu überdenken. „Partizipation bedeutet also auch Arbeit und sie kann mühsam sein, aber gerade bei umstrittenen Fragen kann dadurch auch ein breiter Konsens erreicht werden. Für eine Gemeindeverwaltung würden sich durch eine Einbindung der Bürgerinnen und Bürger und die damit verbundene Tatsache, sie in die Verantwortung zu nehmen, durchaus

Im Gespr Ch Mit Thomas Benedikter

Thomas Benedikter hat zusammen mit 8 Mitbegründern vor 10 Jahren den Verein für politische Bildung und Studien POLITiS gegründet, den er bis heute leitet. Er ist Mitarbeiter des Heimatpflegeverbands Südtirol und auch als Lehrbeauftragter der Universität Bozen tätig.

PZ: Eine direkte Bürgerbeteiligung wenn‘s um Finanzen geht – macht das Sinn?

Thomas Benedikter: Die meisten Bürger betrachten die öffentlichen Finanzen und speziell die Haushaltsvoranschläge als trockene, schwierige Angelegenheit. Sogar viele Gemeinderäte befassen sich nicht näher mit dem Papier, delegieren das lieber an die Spezialisten. Aber der Haushalt einer Gemeinde ist nichts anderes als das in Zahlen geronnene Jahresprogramm einer Gemeindeverwaltung. Da sollten wir als Bürgerschaft besser hinschauen, und die politisch Verantwortlichen sollten es verständlicher darstellen und den Bürgern besser erklären. Verständnis und Interesse für diese Seite der Gemeindepolitik sind die Voraussetzungen für mehr direkte Beteiligung.

Was wären die Vorteile eines Bürgerhaushalts für eine Gemeindeverwaltung, was für die Bürgerinnen/Bürger selbst?

Ein Bürgerhaushalt soll beides sein: mehr kritisches Verständnis der Gemeindefinanzen schaffen und den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit bieten, für einen kleineren Teil des Haushaltsvoranschlags eigene Projekte und Vorschläge einzubringen. Jene Vorschläge mit dem größten Konsens werden im Folgejahr auch umgesetzt. Somit fördert der Bürgerhaushalt im besten Fall das kreative Mitdenken der Bürger, die offene Debatte über Vorschläge von unten und auch das Verantwortungsbewusstsein der Menschen. Auch die politisch Verantwortli- chen profitieren davon, wenn Bürgerwissen zum Tragen kommt und sich mehr Bürgerinnen und Bürger für die Gemeindepolitik interessieren.

Gibt es auch Stolpersteine? Was wäre zu beachten?

Die gibt es. So müssen auch bei kleineren Investitionsvorhaben immer auch die Folgekosten bedacht werden. Der Umfang eines Bürgerhaushalts, also jener Betrag, der im Gemeindehaushalt für die Bürgerprojekte freigestellt wird, sollte nicht zu knapp bemessen sein. Beispielsweise sind die in Eppan bereitgestellten 50.000 Euro für eine 15.000-Einwohner-Gemeinde absolut zu wenig. Das ganze Verfahren sollte möglichst niederschwellig angelegt sein, damit auch politisch wenig präsente Gruppen der Gesellschaft zum Zug kommen. Schließlich müssen die Vorschläge immer das Gemeinwohl im Blick haben. Im Bürgerhaushalt sollen nicht die Vertreter der Verbände das Sagen haben, sondern die Bürger als solche. Zu beachten sind also klare Information, gute Moderation, eine faire Debatte und demokratische Abstimmungsverfahren.

Bis dato haben lediglich zwei Gemeinden in Südtirol das Modell angewandt, das Interesse scheint also nicht gerade rege zu sein – woran liegt das Ihres Erachtens nach?

Die mangelnde Anwendung dieses Beteiligungsverfahrens hat wohl zwei gewichtige Gründe. Zum einen wollen sich die Bürgermeister und Gemeindemehrheiten gerade bei den Finanzen nicht dreinreden lassen. Ein Missverständnis, weil es ja nur um einen recht bescheidenen Teil des Haushaltsvoranschlags geht. Zudem müssen auch die Siegerprojekte des Bürgerhaushalts durch den Gemeinderat. Zum anderen kennt die Bevölkerung dieses Verfahren zu wenig. Wenn die Bürger dann sehen, dass ihre Vorschlä- auch Vorteile ergeben,“ so die Überzeugung des Grünen Gemeinderates.

Als Bürgerin/Bürger bei der Gestaltung des Haushaltsvoranschlags der eigenen Gemeinde aktiv mitwirken, das geht also auch in Südtirol. Ob noch weitere Südtiroler Gemeinden dem Beispiel von Mals und Eppan folgen werden, bleibt spannend… // jst

Die Brosch Re

Eine Broschüre zum Bürgerhaushalt auf Deutsch und Italienisch findet sich zum freien Herunterladen auf: https://www.politis.it/157d563.html#. ZFfL5XZBy70 // ge ankommen und von der Gemeinde konkret umgesetzt werden, wächst das Interesse, die Motivation zum Mitmachen und die Zustimmung. Immerhin sind die Gemeindefinanzen ja unser aller Geld.

Stichwort „Direkte Demokratie“ ganz allgemein: Ein Bürgerhaushalt ist dabei nur ein Vorschlag… weitere entsprechende sinnvolle Zukunftsvisionen von Ihrer Seite?

Direkte Demokratie im engen Sinn betrifft die Volksabstimmungsrechte auf allen Ebenen. Da sind wir in Südtirol sowohl bei den Gemeinden wie auf Landesebene im Rückstand. Dieses Grundrecht ist immer noch schwer anwendbar und ist in den meisten Gemeinden zu wenig bürgerfreundlich geregelt. Kein Wunder, wenn kaum Volksabstimmungen abgehalten werden. Der Bürgerhaushalt gehört zu den Beteiligungsformen, die zu keiner verbindlichen Entscheidung führen, wie auch der Bürgerrat, das Leitbildverfahren, das Bürgergutachten. Auch bei diesen Verfahren gibt es in unseren Gemeinden zu wenig Innovationsbereitschaft. Meistens belässt man es bei den üblichen Bürgerversammlungen. Eine lebendige Demokratie benötigt natürlich alle drei Schienen: faires Wahlrecht, bürgerfreundlich geregelte direkte Demokratie und zeitgemäße Verfahren der sogenannten „deliberativen Partizipation“.

// Interview: Judith Steinmair

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