"talking about bodies and places"
Essay „talking about bodies and places“ Rasso Auberger, 2016 Seite 1 von 14
"talking about bodies and places" Im folgenden Text möchte ich, ausgehend von dem unter dem Thema Normierung und Gewalt in die 1 Diskussion eingebrachten Filmausschnitt aus Five Thousend Feet Is The Best von Omer Fast , einige direkte und assoziierende Kommentare halbwegs zusammenhängend abgeben. Der Titel stammt aus einem Dialog innerhalb des Films und gefällt mir abgesehen von seinem Klang auch wegen der vielen möglichen Assoziationen. Five Thousand Feet Is The Best besteht aus einer scheinbaren Endlosschleife. Die Schlusseinstellung der letzten Sequenz ist die gleiche wie die erste des Anfangs. Das heisst, man könnte die rund 30 Minuten für den Teil einer Endlosschleife, eines Loops halten. Ist aber nicht wirklich so, da dann eben die erste und die letzte Einstellung als Doppelung gesehen würden. Die Endlosschleife entsteht erst in der Erinnerung – da, wo der Film als eine um sich selbst rotierende Folge von Bildern und Texten bleibt. Der Film ist aus zwei Komponenten aufgebaut. Eine ist rhythmisierend, die Einzelteile einander jeweils ähnlich: Ort ist immer das sehr diskret ausgeleuchtete Hotel mit dem Schauspieler, der den dem Interview nur widerwillig folgenden Drohnenpiloten spielt. Zum widerwilligen Folgen gehört, dass er das Interview unterbricht und den Raum verlässt, um mal auf dem Gang des Hotels zu rauchen, mal aus dem Fenster zu sehen, mal an der Tür des falschen Zimmers zu klopfen etc. In einer dieser Szenen spricht er mit einer Hotelangestellten – sie gibt ihm geheimnisvollerweise und unaufgefordert Tabletten, mit denen er einen durch einen schrillen Ton signalisierten Schmerz bekämpft. Da der Film keine wirklich lineare Zeitspur hat, kommt es vor, dass er diese Pillen nimmt, bevor er sie bekommen hat. Die Interviewsequenz startet immer wieder mit dem gleichen Dialog, im Laufe dessen unter anderem auch die Filmrealität durchbrochen wird mit der Feststellung, beide Gesprächspartner seien 2 nicht wirklich das, was sie vorgäben zu sein.
Five Thousend Feet Is The Best, Screenshot min. 07:40
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Five Thousend Feet Is The Best, 2011, 30 min / Omer Fast, 1972 Jerusalem
2 Der Interviewer wirft ein: „You are not a real pilot." Der gespielte Drohnenpilot antwortet: "So what, you are not a real journalist“ Das kann ich nur als Anspielung auf das Artifizielle der Szene verstehen.
Essay „talking about bodies and places“ Rasso Auberger, 2016 Seite 2 von 14
Bestimmte Gesten des Schauspielers sind Auslöser für die andere Komponente. Hier werden 3 Geschichten, Bilder und die unscharfe Aufnahme sowie Originalton des echten Sensor Operators (man nimmt zumindest an, dies sei der echte) gezeigt. Es gibt diese suggestiven Kamerafahrten, die aus dem Flug aufgenommene Landschaft zeigen: eine Suburb mit radelndem Kind, die Kirche einer Kleinstadt sowie Las Vegas bei Nacht. Während dieser Kamerafahrten hört man den Sensor Operator erzählen von seiner Tätigkeit. Dazwischen sind drei Geschichten angesiedelt, die vom Schauspieler erzählt werden, ansonsten aber komplett inszeniert sind.
nbcnews.com/technology/virtual-cockpit-what-it-takes-fly-drone-1C9319684
Wie in den Hotelszenen spielt Omer Fast auch in diesen kurzen Episoden mit den verschiedenen Ebenen von Realität oder mit einer Vorstellung von filmisch dokumentierter Wirklichkeit. Kaum merkliche Verfremdungen wechseln sich ab mit offen ausgesprochenen Verschiebungen; die Erwartung an die innere Konsistenz einer gefilmten Begebenheit wird gebrochen. Eine der Geschichten ist die, die wir im Kontext der Frage, wie sich Normierung und Gewalt in Design abbilden oder gesteuert werden, gemeinsam angesehen haben. Es ist aber auch die, auf die man als Betrachter der Arbeit eines Künstlers mit einer vermutlich kritischen Haltung zum Thema Drohneneinsätze in einem nicht erklärten, im Falle der Einsätze in Pakistan auch geheim gehaltenen Krieg, unwillkürlich wartet. Die Geschichte einer Familie, die in einer gewalttätigen Katastrophe ausgelöscht wird, die aus der Konstellation von den Möglichkeiten der Drohne und den Gegebenheiten unten auf der Erde entsteht. Natürlich ein erstklassiger Anlass, sich zum Thema Gewalt durch Institutionen zu äussern. Meiner Meinung nach aber auch eine der vielen Fallen, die der Film stellt. Man wartet auf die Action, auf den furchtbaren Fehler und auf das, was man schon meint, zu wissen. Wenn man das bekommt, ist der Film – und innerhalb des Films gilt das auch für das Interview – ein Erfolg, ein Punkt auf der Karmaliste, man ist in seinen Erwartungen bestätigt und hat seinen Gefühlsapparat mit einer weiteren Bewegung versorgt.
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Die Drohne wird mit zwei Soldaten extern bemannt. Einer ist der das Gerät steuernde Pilot, der andere der Sensor Operator, der Waffenoffizier. Er bedient die diversen Kameras. Eine Hauptaufgabe der Drohnen scheint die Beobachtung zu sein. Die dazu vorhandene Ausrüstung ermöglicht es, weit über den normal sichtbaren Bereich hinaus visuelle Informationen zu erhalten und zu verarbeiten. In der Beschreibung seiner Arbeit habe ich den Soldaten übrigens so verstanden, dass er, falls lohnend, das Ziel markiert, dann der Pilot feuert. Die Drohne ist also auch bewaffnet mit sogenannten Hellfire Missiles, laser- oder radargesteuerten Lenkraketen mit genügend Zerstörungskraft, um einen Panzer zu zerstören. Essay „talking about bodies and places“ Rasso Auberger, 2016 Seite 3 von 14
Dabei kann man aber das Spiel mit der Wirklichkeitsvermittlung in den benutzen Medien leicht verpassen. Denn was Omer Fast eigentlich macht, ist eine Collage aus Teilen, die wider Erwarten tatsächlich formschlüssig aneinander passen und mit der er die Anziehungskraft der Katastrophe ausnutzt für eine verunsichernde Demonstration unserer Verführbarkeit. Zu wissen, dass das Ausgangsmaterial ein Interview mit einem Drohnenpiloten war, also von tatsächlich Geschehenem handelt – was natürlich auch dem entspricht, was wir aus sicherer Entfernung aus jeder x-beliebigen Nachrichtensendung extrahieren können – verstärkt die Verführung 4 ebenso wie die perfekt gefilmten Szenen und die überzeugenden Schauspieler, die ich kaum noch als solche wahrnehmen kann.
Google Earth Startbild
Die Welt von oben "Seeing the world from above doesn’t just flatten things, it sharpens them. It makes relationships 5 clearer." 6
Die Software Google Earth macht seit rund zehn Jahren jedem vernetzten Computerbenutzer die Welt von oben zugänglich. Neben Google Earth gab und gibt es natürlich diverse weitere Software, die Karten und Bildmaterial von der Oberfläche der Erde verwenden. Die Verbreitung von Google, der einfache Zugang und das komplexe Angebot machen aber sicher einen signifikanten Unterschied 7 aus, weshalb ich nur Google Earth namentlich erwähne. 4
perfekt heisst hier: genau so erwarte/kenne ich qualitativ hochstehende Filmunterhaltung.
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Stimme aus dem Off, Five Thousand Feet is the Best (min 25:00)
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Windows seit 2005, Linux und OSX ab 2006, de.wikipedia.org/wiki/Google_Earth?oldid=153709471
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Google Earth Eigenwerbung: „Google Earth ermöglicht Nutzern auf der ganzen Welt, über verkabelte und kabellose Netzwerke nahezu jeden Fleck der Erde zu "besuchen" und Orte genauestens zu erkunden. Es handelt es sich dabei nicht um eine gewöhnliche Landkarte, sondern um ein wirklichkeitsgetreues 3D-Modell der Welt, bestehend aus echten Satellitenbildern in Kombination mit Karten, Restaurant-, Hotel-, Unterhaltungs- und Branchenverzeichnissen und mehr. Zoomen Sie in Sekundenschnelle vom Weltraum auf Strassenebene herunter, schwenken Sie Ihren Blick in jede Richtung oder fliegen Sie von Ort zu Ort, Stadt zu Stadt oder Land zu Land. Holen Sie sich Google Earth. Sehen Sie die Welt aus einer anderen Perspektive.“ Essay „talking about bodies and places“ Rasso Auberger, 2016 Seite 4 von 14
Die Welt von oben war vorher eine Vorstellung innerhalb von Atlanten, Landkarten und Stadtplänen. Gut, eine Reise zu planen, Distanzen und Richtungen abzuschätzen oder – zB im Schulunterricht – bestimmte Daten zu korrelieren. Alles weitere war weitgehend der Vorstellungskraft überlassen, deshalb auf sie angewiesen und konnte dann auch nur selber vor Ort und in Wirklichkeit oder anhand der Berichte anderer überprüft werden. Wirklichkeitsgetreu Dank der Software (und natürlich des dahinter stehenden Bildmaterials) ist nun eine wesentlich detailliertere Darstellung der Oberfläche unseres Planeten oder Nachbars Garten möglich und auch üblich. Wir sind jetzt daran gewöhnt, in eine Karte hinein zu zoomen, solange die Auflösung noch mitspielt. Vor allem aber sehen wir statt den farbigen Flächen einer Karte richtige Fotos – Fotografien haben immer noch diese Wirkung einer unbezweifelten Realität – von Häusern und Strassen, Wäldern und Bergen, Autos und Menschen. Sie werfen Schatten und sind in irgendeiner alltäglichen Sekunde fotografiert worden. Der Eindruck des Realen ist so stark, dass es Klagen über fehlende Privatsphäre in normalerweise nicht öffentlich einsehbare Räume ebenso gegeben hat wie die Zensurierung des verwendeten Bildmaterials durch diverse Instanzen.
Google Earth Image Diese Auflösung entspricht etwa 5000 ft, der Ausschnitt zeigt unter anderem den Garten meiner Nachbarin.
Essay „talking about bodies and places“ Rasso Auberger, 2016 Seite 5 von 14
Zoomen 8 Bei der Schweizer Künstlerin Hannah Villiger konnte ich vor ca 25 Jahren beobachten, welche Faszination, Irritation und Scheitern im Zoomen liegen kann. Ihre Arbeiten mit Polaroid und Blow-ups waren meiner Meinung nach sehr bestimmt von dem Versuch einer immer grösseren Annäherung an die Oberfläche bis zum Eindringen in den Körper (und in die Wirklichkeit).
Hannah–Villiger_Block–XXXVI,–1994
Zoomen hat anscheinend und wohl traditionellerweise immer eine Grenze. Überschreiten wir diese, sehen wir nur noch verschwommen oder – im Fall von Google Earth – nichtssagende Pixel. Vor dieser Grenze sind wir in einem objektiven Bereich; dahinter erhofft man sich in einem subjektiven. Googles Software geht nämlich weiter als die Auflösung. Sie kommuniziert nach dem Überschreiten der Grenze Daten, die der Kamera bzw meinem Auge nicht ohne weiteres sichtbar sind – Landesgrenzen oder Strassennamen etc – und bietet popup–Fenster an, in denen noch allerlei weitere Informationen enthalten sein können. Sie ist auch in der Lage, von uns bereitgestellte Daten zu integrieren, wenn wir uns einer von Google definierten spezifischen Gemeinschaft zugehörig erklären. Natürlich werden die Bilddaten laufend aktualisiert und erweitert, dh die Auflösung erhöht, das Zoomen noch näher möglich. Das Datenvolumen der die Oberflächen der Welt repräsentierenden Karten betrug 2006 150 TB. Heute, zehn Jahre später kann man sicher von einem Vielfachen 9 ausgehen.
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Hannah Villiger, * 9. Dezember 1951 in Cham/CH – 12. August 1997 in Auw/CH ... aus einer anderen Ausstellung von ihr: "I am my closest partner and my most obvious subject. With my Polaroid camera I listen to my naked, bare body, the outside of it.“
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Auf die gleiche Weise (wenn wohl auch nicht immer so detailliert) können wir ausserdem mit Google Ocean, Google Sky, Google Moon, Google Mars und mit sogenannten History-Filtern auch noch an wesentlich schwieriger zu erreichende Orte gelangen. Essay „talking about bodies and places“ Rasso Auberger, 2016 Seite 6 von 14
Blick in die Tiefe Die Welt von oben zu sehen, sollte eine wunderbare Übersichtlichkeit erzeugen und die grosse Menge der Benutzer hat tatsächlich die Entdeckung vieler Strukturen ermöglicht, die anscheinend nur 10 so sichtbar werden konnten. Man könnte also meinen, die Software hilft dabei, die Welt nicht als Black Box zu erleben, als ein System, von dem nur das äussere Verhalten beobachtet werden kann und dessen innere Vorgänge nicht nachvollziehbar sind. Die Black Box kann aber auch so definiert werden, dass sie enthält, was nicht länger beachtet werden muss, dass Inputs erwartungsgemäss zu 11 Outputs werden Damit ist die Black Box eigentlich ein erstrebenswertes Ziel, es kann ein grosser Vorteil sein, so viel wie möglich nicht mehr immer wieder neu verhandeln zu müssen. Die Software Google Earth erreicht möglicherweise dieses Ziel: Die Welt aus dieser Perspektive hat eindeutige Proportionen und es bleiben weniger Fragen offen. Der Satz aus dem Film von Omer Fast, den ich weiter oben zitiere ("Seeing the world from above...“), scheint auch davon zu sprechen. Für ein fühlendes Subjekt kann es aber ein Problem sein, dass in der Aufsicht der eigene Standort nicht mehr enthalten ist. Da helfen dann die kleinen Markierungen für Restaurants oder Museen auch nicht weiter. In der Regel schweben wir nicht frei herum und so faszinierend und bereichernd Google Earth sein kann, fehlt der eigene Körper in dem Bild. Am interessantesten sind am Ende einer "Google Earth Entdeckungsreise" dann meist die Plätze, die man durch eigene Anschauung schon kennt. "Hier war ich schon mal, lass mich mal sehen, wie das im Internet ausschaut." Dann steckt man eine virtuelle Markierung ein und speichert den Ort unter "Meine Orte" in seinem Google–Konto ab. Was dann wirkt, ist die Simulation der eigenen Identität innerhalb von dem Bild der Welt, das bekanntlich mit Milliarden anderer Nutzern geteilt wird.
Google Earth Image Gleicher Blick wie oben, aber nur noch aus 300 m Höhe
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“Mit Google Earth gefundene Objekte ...“, de.wikipedia.org/wiki/Google_Earth?oldid=153709471
11 A.Belliger, D.J.Krieger (Hg) ANThology, transscript Verlag 2006, Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, S. 43, 44
Essay „talking about bodies and places“ Rasso Auberger, 2016 Seite 7 von 14
Von Ort zu Ort Google Earth zeigt uns die Welt, wie sie ist – nämlich einfach von oben fotografiert und mit einigen zusätzlichen Daten aufgemotzt, vorurteilsfrei, sachlich, objektiv – so hätten wir das natürlich gerne, und Google bietet uns das auch mit dem Wort "wirklichkeitsgetreu" an (s.o.). Und es stellt sich 12 tatsächlich heraus, dass dieses Bild der Welt auch einem Videospiel ähnelt. Und weil das Internet global ist, erreicht dieses (als objektiv versprochene) Bild – diese Simulation – der Welt jeden, der einen Computer mit Internetanbindung zur Verfügung hat. Niemand steht mehr zwischen der Welt und ihrem Bild, nicht ein Einzelner und auch kein Kollektiv. Die von uns installierte Maschine hat die Erzählung übernommen, die Welt und das Internet als ihr Abbild verhalten sich wie diese Urschlange, die sich selbst in den Schwanz beisst. Entkörperung 13 Eine weitere Interpretation des Blicks von oben kann in Gaspar Noés Film Enter The Void beobachtet werden. Der Zuschauer sieht den Film zu grossen Teilen aus der Perspektive des 14 Protagonisten . Der wiederum wird durch seinen Tod, seine Entkörperung, zu einer über den Handlungen schwebenden Instanz, ständig angezogen von den Vorgängen, die sehr mit ihm zusammenhängen, gleichzeitig aber vollständig ausserstande, in irgendeiner Form in Beziehung zu treten zu ihnen. Der Blick von oben auf die Welt erzählt hier von einem Verlust des Subjekts, des Ichs. Und die von uns im alltäglichen Sprachgebrauch so begehrte objektive Sicht stellt sich durch diesen Verlust leider auch nicht ein. Der Film ist für den Zuschauer oft quälend, obwohl die Sehnsucht, derart intensiv die Sicht eines anderen einnehmen zu können, sicher ein sehr wichtiges Motiv sowohl für Macher wie Konsumenten des Mediums Film ist.
Enter The Void, Screenshot min. 30:14
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Eigentlich sollen natürlich Videospiele der Welt ähneln; deshalb wird für die Simulation der Welt das gleiche Medium benutzt. Flugsimulationen zB basieren oft und sinnvollerweise auf dem gleichen Kartenmaterial.
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Gaspar Noé, Enter The Void, 2009 – Der Film folgt der Beschreibung des Todes bzw der Zeit im Zustand zwischen Tod und Wiedergeburt im Tibetanischen Totenbuch.
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Um es emotional zu sagen: es fühlt sich oft an wie eine Verbannung in diese Perspektive! Essay „talking about bodies and places“ Rasso Auberger, 2016 Seite 8 von 14
Simulation Der Sensor Operator einer Predator-Drohne – also nicht der Pilot, sondern derjenige, der Kameras und andere Sensoren bedient sowie auch die Lasermarkierungen setzt für die mitgeführten Waffen – stellt bis zu einem bestimmten Punkt sehr grosse Übereinstimmungen fest zwischen Videospielen (er nennt ausdrücklich Flugsimulationen, mit denen er sich in seiner Freizeit entspannt) und seiner Arbeit. Die Ähnlichkeit beschreibt er auch durch seine Aussage, dass er jahrelang täglich auf dem immer gleichen Level spiele – er bezieht sich dabei auf seine Tätigkeit als Soldat. Der Mann ist nicht dumm, er weiss genau, dass er mit seinen Geräten in die Wirklichkeit schaut, er redet von den sehr grossen Möglichkeiten der Technik, aber die unmittelbare Wahrnehmung verführt ihn trotzdem zuweilen in seinem Bericht dazu, von "the game" zu sprechen. Ein abschliessender Unterschied, den er feststellt im Vergleich zwischen seiner Arbeit an der Drohne und seiner Freizeitbeschäftigung mit Videospielen, besteht darin, dass er das eine abschalten kann, das andere nicht. Er meint in diesem Zusammenhang, dass ihm völlig klar ist, dass sein Handeln als Drohnenpilot reale, fortdauernde Konsequenzen für andere Menschen ebenso wie für ihn selber hat, im Gegensatz zur Simulation des 15 Videospiels. Ich habe aber den Verdacht, dass auch ihm dieser Unterschied in den intensiven Momenten seines Handelns, ob Spiel oder Arbeit, nicht immer bewusst ist. Wenn die Simulation intensiv genug ist, vergisst man gerne mal, dass man sich in einer befindet. Das ist öfter mal der Sinn einer Simulation; 16 und so werden die Spiele auch beworben. Möglicherweise wird die Immersion auch intensiviert, wenn das Game am Backend mit der Wirklichkeit gefüttert wird?
Real scenery Oahu for X–Plane – http://simhq.com/forum/
Wirklichkeit Abhängig von der jeweiligen Definition kann ein grosser Teil unserer Information über den Zustand der Welt, ob um die Ecke oder auf der anderen Erdhalbkugel, als Simulation interpretiert werden. Wir können – zwar nicht im wörtlichen Sinn hautnah, doch kann es sich durchaus auch so anfühlen – Ereignisse miterleben, von deren wirklicher Existenz wir nur durch den Kontext (zB einer Nachrichtensendung) wissen.
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Five Thousend Feet Is The Best, Ausschnitt min. 14:50 - 17:50
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zB "Practice in the world’s most realistic flight simulator. Shoot VFR and IFR approaches. Prepare for emergencies. Improve your navigation skills. Fly your airplane from your home airport." (http://www.xplane.com/desktop/home/) Essay „talking about bodies and places“ Rasso Auberger, 2016 Seite 9 von 14
Parallel dazu konsumieren wir täglich Erzählungen von Ereignissen, ähnlich denen der Nachrichtensendung, von denen wir wissen, dass sie nur zum Zweck unserer Unterhaltung existieren, mit denen wir aber trotzdem unsere Vorstellungen von der Welt ebenso füttern wie mit den erwähnten Nachrichtensendungen. Da ein beliebiges Ereignis nur in einer irgendwie vorstellbaren Art erzählbar sein kann, sind in diesem Sinn auch alle Erzählungen wahr. Sie erzählen von der Wirklichkeit. Natürlich werden oft Erzählungen und Bilder erzeugt, die unübersetzt enorm unwahrscheinlich wirken, aber in sich den gleichen Realitätsanspruch tragen. Godzilla ist ein Bild in vielen Köpfen und als solches real vorhanden und Teil unserer Welt.
http://www.telegraph.co.uk/culture/film/10788996/Godzilla–why–the–Japanese–original–is–no–joke.html
Off / Standby Der Soldat ist froh um den Ausschaltknopf an seinem Videospiel. Mittlerweile ist er auch kein Soldat mehr, was aber seine Vergangenheit nicht mehr ändern wird. Google Earth aber hat so wie auch der Rest des Internets schon mal keinen Ausschaltknopf, es wird uns auf einige Zeit weiter begleiten und nicht nur unser Bild von der Welt, sondern auch sie selbst dauerhaft und eindrücklich beeinflussen. Was in dem globalen Informations- und Wissenssystem auftaucht, taucht nicht so schnell wieder ab. Da hat die Blockchain, abgesehen von der präziseren Dokumentierbarkeit, ein ähnliches Verhalten wie peinliche Facebook–Posts. Solange noch ein FB– user eine Kopie auf seinem Rechner haben könnte, ist niemand mehr vor seinem oder ihrem eigenen Beitrag sicher. Allerdings ist das Weglassen des Ausschaltknopfes oder zumindest die Verlagerung in ein dauerhaftes Standby auch erwünscht in Konzepten zeitgenössischer IT–Produkte. Anders könnte man sich zB das Internet Of Things wohl auch nicht vorstellen. Was nützt ein mit der Umwelt digital vernetztes Transportsystem, wenn es das nicht immer ist? Das gilt in zunehmender Weise auch für die persönlichen Schnittstellen zur digitalen Welt. Ein permanent am Körper getragenes Kommunikationsgerät, ein Smartphone oder eine Smartwatch (oder beides oder eine mit entsprechenden Funktionen versehene Brille, oder oder oder) erzeugt einen grossen Teil seines Sinns dadurch, dass es sowenig wie möglich abgeschaltet wird. Es muss natürlich immer wissen, wen oder was wir liken, wo wir sind und was wir brauchen, um die Versprechungen der digitalen Welt 17 an die analoge einhalten zu können.
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Samsung: "Never miss the moment. Be ready in an instant, whenever the perfect moment happens..." Huawei: "Building a better connected world. Growing together through digitalization." – etc, etc Essay „talking about bodies and places“ Rasso Auberger, 2016 Seite 10 von 14
Screenshot apple.com/chde/watch/
Mensch-Maschine-System Technik ist dazu da, das zu tun, was man ihr aufgetragen hat. Das scheitert aber nicht nur an der Ausführung, sondern oft schon an der Eingabe, der Formulierung der Aufgaben. Technische Systeme sollten also in dem Sinn intelligent werden, dass sie wissen, was der oder die Nutzende will, dass die Antizipation zum Bestandteil ihres Designs wird. Das System – zB ein Fahrassistenzsystem – soll die Umwelt selbstständig erkennen, ebenso aber auch den Zustand des zu assistierenden Menschen, um dessen Eingaben in korrekter Weise zu interpretieren und angemessen zu handeln. Es muss also eine bidirektionale Mensch–Maschinen Schnittstelle etabliert werden. Nicht nur wir teilen der Maschine mit, was sie tun soll, die Maschine muss auch uns mitteilen können, was sie tut, tun wird und – ganz wichtig – was sie verstanden hat, dass sie tun soll. Ausschalten ist da keine Option mehr. 18 Das gilt nicht nur für den eventuell noch leicht überschaubaren Bereich eines Fahrassistenzsystems für den Besitzer eines teuren Autos – obwohl es, gemessen an Verbreitung und Bedeutung des Individualverkehrs, wenig vergleichbar einflussreiche Technik im Alltag gibt – sondern auch für Systeme, die mit vielen Beteiligten in schlecht vorhersehbaren Situationen umgehen sollen (zB Katastrophenmanagement oder Flugleitsysteme). Die Ansprüche und Erwartungen an diese Mensch– Maschinen–Systeme sind hoch, sollen sie doch relevante Verbesserungen erzeugen und allerlei Schwierigkeiten, vor allem auch nicht voraussehbare, meistern helfen. Sie müssen lernfähig sein, auf aktuelle Zustände flexibel reagieren, lang– und kurzfristig Entwicklungen antizipieren und 19 Entscheidungen auch ohne vollständig gesicherte Datenlage fällen können . Da der neue Anteil an den Systemen die Maschine ist (die Feuerwehr gab es auch vor 2000 Jahren schon), erwartet man eben auch von ihr bzw der Verbindung mit ihr diese nahezu wundersamen Fähigkeiten.
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Mercedes Benz: "Das optionale Fahrassistenz-Paket kombiniert den COLLISION PREVENTION ASSIST, Totwinkel- und Spurhalte-Assistenten sowie das PRE-SAFE® System. Diese Assistenz-Systeme unterstützen Sie dabei [...] kann mithilfe zahlreicher Parameter typische Anzeichen von Ermüdung erkennen und den Fahrer warnen." 19
Resilience Engineering: Resiliente Organisationen bzw. Systeme müssen daher auf all ihren Ebenen in der Lage sein aus früheren positiven wie negativen Ereignissen zu lernen, auf aktuelle Zustände flexibel zu reagieren, kurzfristige, kritische Entwicklungen bzw. Elemente zu überwachen, langfristige Bedrohungen und Möglichkeiten zu antizipieren
M. Koch, A. Butz & J. Schlichter (Hrsg.): Mensch und Computer 2014 Workshopband, München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2014, S. 106. Mensch-Maschine-Systeme im resilienten Krisenmanagement Essay „talking about bodies and places“ Rasso Auberger, 2016 Seite 11 von 14
Kommunikation Wenn interaktive, unterstützende Technik mit uns kommunizieren soll, ebenso wie wir mit ihr, dann glauben wir uns etwas im Vorteil: Wir wissen, das technische Ding ist dafür so gemacht, es tut das was es soll. Darauf können wir uns, wenn wir es gelernt haben, einstellen. Umgekehrt muss unser Gegenüber, das System, von dem wir diese Leistung erwarten, eine spezifische Wahrnehmung von uns entwickeln; wie sollte es sonst die Assistenzaufgabe erfüllen können? Es muss also mit einem Ich umgehen, ohne selber eines zu sein (oder zu haben?). Und zu diesem Umgang gehört ein 20 adäquates Kommunizieren mit dem Gegenüber. Dass wir uns nicht nur als Individuen 21 unterscheiden, sondern auch innerhalb einer Person höchst verschiedene Zustände annehmen können, macht die Sache für den maschinellen Teil eines Mensch–Maschine–Systems da sicher nicht leichter. Es scheint aber weniger schwer zu sein, als man vermuten könnte. Erfolge in der maschinellen Stimmungserkennung (visuell&auditiv) sind dank lernfähiger Programmierung möglich 22 und anscheinend sogar weniger schwierig in der Umsetzung als die reine Spracherkennung .
Eddy Cue showing off Siri in 2013. Photo by AP
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In meinem Smartphone ist eine Software installiert, die zu diesem Zweck von sich selbst als "Ich" spricht. Es ist aber vermutlich nicht so gemeint, sondern dient nur der einfacheren Akzeptanz, ist also einfach ein einprogrammiertes Wort ohne bewusste Referenz dazu.
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zB die kulturunabhängig vermuteten/nachgewiesenen Grundemotionen: Freude, Wut, Ekel, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung 22
http://www.welt.de/wissenschaft/article138138577/Diese-Stimmanalyse-entlarvt-all-unsere-Geheimnisse.html Essay „talking about bodies and places“ Rasso Auberger, 2016 Seite 12 von 14
Screenshot from a MIT video explaining CRISPR, youtube.com
Symmetrie Technik repräsentiert aber nicht nur jeweils eine hinzugefügte Erfindung zu unserem Umgang mit der Welt, mittel– und langfristig ist jede neue Technik auch immer Bestandteil unserer Umwelt und wir als Benutzer passen uns dann sehr genau an die daraus entstehenden Möglichkeiten an. Wir ändern also durch das Etablieren einer Technologie nicht nur unsere Umgebung, sondern uns selber, sowohl als Individuen wie auch als Gesellschaft. Auf drastische Art bildlich interpretiert wurde das schon vor drei Jahrzehnten zB durch das Konzept des elektronischen Handrechners. Kleinste Sensoren, unter die Haut von Handflächen und Fingern implantiert und mit ihnen durch bestehende Nervenstränge verbundene Mikroprozessoren sollten ein 23 innerkörperliches Mensch–Maschine–System für Rechenaufgaben ergeben. Ähnliche, weitergehende Konzepte werden in der Humanmedizin seit einiger Zeit erdacht und erprobt. Eine erst kürzlich etablierte Technik, genannt CRISPR/Cas, vereinfacht die gezielte Manipulation genetischen Materials derart, dass DIY–Sets für Schüler diskutiert werden. Die ethischen Ansichten, wer was wann wozu machen darf, liegen je nach politischem System, ökonomischer Situation und kulturellem Hintergrund vermutlich weit auseinander. Alle sind sich zwar einig, in der Anwendung beim Menschen zu warten, bis zumindest die Bedeutung für die genetische Zukunft unserer Gattung absehbar ist – und ebenso herrscht einigermassen Einigkeit darüber, dass dieses kaum möglich sein 24 wird – aber natürlich will sich auch niemand die Möglichkeiten dieser Technik entgehen lassen. Und ganz sicher wird nicht nur über die therapeutische Anwendung von Technologie geforscht, die direkt auf unsere Keimbahn einwirkt, sondern langfristig auch im Sinne einer grundsätzlichen Verbesserung 25 unserer Körper.Themen wie Cyborgs und Posthumanismus finden sich nicht nur in Science Fiction. 23
Gruppe Kunstflug, elektronischer Handrechner, 1987 P. Eisele – Klassiker des Produktdesign, Reclam, S. 313
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zu CRISPR/Cas findet sich zurzeit derart viel Information sowohl in Tageszeitungen wie in spezielleren Medien, dass die Auswahl schwierig wird. DLF.de/13.03.2016: " CRISPR/Cas – Neue Technik, Neue Ethik?" spektrum.de/24.06.2015: "...Bei der Methode müssen die Forscher oftmals nur das entsprechende RNAFragment bestellen, ansonsten werden Standardreagenzien benötigt, und die Gesamtkosten liegen damit bei etwa 30 Dollar." aerztezeitung.de/18.03.2016: "...In den USA wird bereits ein Bausatz sogar für Heranwachsende angeboten..."
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zB Allen Buchanan: Better than Human: The Promise and Perils of Enhancing Ourselves, 2011 Essay „talking about bodies and places“ Rasso Auberger, 2016 Seite 13 von 14
Partnerschaft Im Vorwort von ANThology findet sich folgende Aussage: "Mensch und Technik sind [...] untrennbar geworden [...]." Die von der ANT-Theorie sicher nicht zu Unrecht geforderte Symmetrie menschlicher und nichtmenschlicher Akteure in der methodologischen Betrachtung bedeutet aber vermutlich nicht nur, dass wir der Maschine unsere Eigenschaften einschreiben, sondern auch, dass wir die Maschine 26 in uns einschreiben. Ungefähr zur gleichen Zeit wie das oben erwähnte Konzept des Handrechners begann der 27 Performancekünstler Stelarc mit Performances und anderen Arbeiten zu diesem Thema. Eine Zeichnung wie auch dieser Ausschnitt aus einem Interview mit dem Künstler fasst diese wie folgt zusammen: "The body is seen not as a site for the psyche nor for social inscription but rather as a 28 sculpture. Not as an object of desire but an object for possible redesign." Stelarc beschreibt (ob er will oder nicht) hier sicher nicht nur seine Arbeit sondern auch die sehr wahrscheinliche Zukunft unserer Körper in der Partnerschaft mit unserem Erfindungsreichtum. Vorstellungen wie Mutter Natur oder andere externe oder göttliche Instanzen können wir angesichts unserer Möglichkeiten genauso wie eine unkörperliche und ewige Seele für jeden einzelnen von uns nicht mehr als Rückendeckung benutzen: In dem Moment, in dem wir unsere Umwelt designen und unsere Körper gestalten, ob dekorativ, verbessernd oder therapeutisch, gestalten wir auf jeden Fall auch unseren Geist.
fractalflesh, econtact.ca/14_2/donnarumma_stelarc.html
26
A.Belliger, D.J.Krieger (Hg) ANThology, transscript Verlag 2006, Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie
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Stelarc (Stelios Arcadiou), * 1946 in Limassol CY, Medien- und Performance-Künstler
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Contact! 14.2 — Biotechnological Performance Practice, (July / 2012). Montréal, Canadian Electroacoustic Community. Essay „talking about bodies and places“ Rasso Auberger, 2016 Seite 14 von 14