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MUSIKALISCHE FRÜHERZIEHUNG 2.0 MUSIK
Kein Bock auf Schni-Schna-Schnap pi und Bob der Baumeister? Inzwi schen gibt es Kindermusik, die so gut gemacht ist, dass sie sogar für Erwachsene klargeht.
von Nadine Wenzlick
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Wie könnte man es jemals vergessen, das erste Konzert? Bei Laurent Aeberli, eine Hälfte des Zürcher Duos Laurent & Max, war es eine Show von Green Day in Basel. «Ich muss da ungefähr elf Jahre alt gewesen sein und war mit Schulfreunden aus dem Gymnasium da», erzählt er. «Ich weiss noch, dass die Band zu diesem Triumphmarsch eingelau fen kam. Danach spielten sie gleich ‹American Idiot› und die Leute sind reihenweise um gefallen, weil es eine riesige Welle nach hinten gab.» Für die meisten kommt das erste «richtige» Konzerterlebnis im Teen ageralter – doch wenn man mal ehrlich ist, geht die musikalische Sozialisation schon viel früher los, und zwar im Kinderalter.
Kindermusik gab es schon immer. In Deutschland ist Rolf Zuckowski so etwas wie der Vater aller Kinderlieder, in der Schweiz standen Schtärneföifi rund 20 Jahre lang für eine Mischung aus Rock, Pop, Jazz und Salsa-Klängen. Doch mittlerweile gibt es massenweise gu tes neues Zeug. Also nicht traditionelle Kindermusik mit Blockflöte und nervtötenden Refrains. Auch nicht «Schni-Schna-Schnappi» oder der Titelsong von «Bob der Baumeister», von denen man Ohrenblu ten kriegt, wenn die lieben Kleinen sie in Dauerschleife hören, son dern richtig coole Sachen. Echte Musik, nur eben auf Kinderohren zugeschnitten.
Genau solcher Musik haben sich Laurent & Max verschrieben. Ange fangen hat alles vor neun Jahren.»„Max und ich organisieren in Zü rich jedes Jahr das Lauterfestival», erzählt Aeberli. «Bei der dritten Ausgabe stellten wir fest, dass alle unsere Kollegen spielen, nur wir nicht. Also haben wir beschlossen, selbst auch aufzutreten. Es gab aber nur noch einen Slot nachmittags draussen. Und weil zu der Zeit vor allem Eltern mit ihren Kindern kommen, haben wir drei Kinderlie der geschrieben und aufgeführt.» Dafür texteten Laurent Aeberli (Gesang und Cajon) und Max Kämmerling (Gesang und Gitarre) kurzerhand bekannte Hits um: «Let It Be» von den Beatles wurde zu «S'Znünibrot», «Born To Be Wild» von Steppenwolf zu «S'Mami häts gseit» und «Sweet Home Alabama» von Ly nyrd Skynyrd zu «D'Zweierreihe» – allesamt versehen mit frechen Mund arttexten. «Wir wollten, dass die Musik nicht nur den Kindern gefällt, und wir dachten, wenn wir die Erwachsenen mit den Melodien abholen, die sie kennen und früher vielleicht mochten, dann haben wir sie auch im Sack», so Aeberli. «Gleichzeitig werden die Jüngeren an die Hits von frü her herangeführt. Weil es unsere Songs ja damals noch nicht zu kaufen gab, war unsere Hoffnung, dass die Eltern den Kindern Zuhause dann die Originale zeigen und so eine Art Dynamik entsteht.»
Greatest Hits, generationenübergreifend
Tatsächlich kam der Auftritt von Laurent und Max so gut an, dass sie be schlossen, weiterzumachen. Sie spielten auf Sommerfesten, in Schulen, auf Partys, bei Freunden oder auch richtigen Musiklokalen. 2018 erschien schliesslich ihr erstes Album «Greatest Hits». Ihrem Konzept, grosse Hits kindgerecht neu zu interpretieren, sind sie darauf treu geblieben, aller dings gesellen sich zu alten Klassikern von Queen, ABBA und den Rolling Stones auch aktuelle Songs von Miley Cyrus, Lady Gaga, Faber und Birdy. Die Zielgruppe von Laurent und Max ist im Grundschulalter – irgendwo zwischen der vierten und sechsten Klasse. «Neulich haben wir aber auch als Support von Faber gespielt und da waren gar keine Kinder im Publikum», erzählt Aeberli. Ihre Show kam trotzdem an. «Unser Anspruch ist eben, nicht nur Dödelmusik zu machen. Wir sagen auch immer, wir spielen ganz normale Konzerte. Es gab schon Momente, wo uns der Ver anstalter dafür kritisiert hat, dass wir zu wenig Animation gemacht ha ben, also Sachen wie Tanzen oder Mitklatschen. Aber wir machen keinen Zirkus, wir machen Musik.»
Laurent & Max sind damit keineswegs alleine. Unter dem Namen D!E GÄNG macht Ohrbooten-Sänger Ben Pavlidis zusammen mit seiner Toch ter und ihren Freunden sowie Gästen wie Johnny Strange (Culcha Cande la) und Robert Gwisdek (Käptn Peng) eingängige Reggae-Musik fürs Kin derzimmer. Für moderne Kinderlieder – von ruhig bis rockig, von albern bis anspruchsvoll – steht auch die Compilation-Reihe «Unter meinem Bett». Mittlerweile gibt es fünf Teile, zu den bisher vertretenen Musikern gehören Ärzte-Drummer Bela B, Dokter Renz von Fettes Brot, Das Bo, Clueso, Pohlmann, Andreas Dorau, Olli Schulz, Gisbert zu Knyphausen, Enno Bunger und Deniz Jaspersen von Herrenmagazin. Und dann sind da noch Deine Freunde aus Hamburg – die Überflieger in Sachen coole Kindermusik. Seit 2012 schreiben sie Kinderlieder mit feinsten Beats und einer grossen Portion Wortwitz.
Und am Ende bleiben die Eltern
Auch bei Deine Freunde fing alles ganz zufällig an. Florian Sump, früher Mitglied der Gruppe Echt, arbeitete damals als Erzieher und wollte ei nen Song für die Kinder in seiner Kita aufnehmen. Dafür besuchte er das Studio des Musikproduzenten Markus Pauli, seines Zeichens Live-DJ von Fettes Brot. Gemeinsam mit dem späteren Tigerenten-Club-Moderator Lukas Nimscheck spielten sie das Lied «Schokolade» ein. Mit dem Ergeb nis waren sie so zufrieden, dass sie beschlossen eine Band zu gründen. «Wir haben schon gedacht, dass das vielleicht ein paar Leute ganz lustig finden würden, aber es gab nie das Konzept Weltherrschaft – und da sind wir ja jetzt kurz davor», lacht Lukas Nimscheck.
In der Tat füllen Deine Freunde in Deutschland inzwischen die grössten Hallen und wurden gerade auch als Juroren für die neue Staffel von «The Voice Kids» bestätigt. Der Grund für ihren Erfolg: Deine Freunde heben in ihren Songs nicht den Zeigefinger, sondern verbünden sich mit den Kids. Es geht nicht darum, die Kinder zu erziehen, sondern ihre Gefühle und ihren Alltag mit viel Wortwitz abzubilden. Das gilt auch für ihr fünftes Album «Helikopter», das gerade erschienen ist. Irgendwo zwischen lässi gem Hip-Hop, eingängigem Pop, Elektro-Sounds á la Deichkind, Autotu ne-Effekten wie bei Rapper RIN und Falko-Sprechgesang rappen die drei von nervigen Eltern, die ständig Fotos machen wollen («Cheese»), von schlechten Aprilscherzen («April, April») und angsteinflössenden Haus meistern («Wenn der Hausmeister kommt»). Wie schaffen sie es, die Kin der in ihrer Lebenswelt abzuholen? „Das meiste sind echt Erinnerungen. Viele Eltern- oder Schulhofsprüche sind einfach geblieben“, so Nimscheck. «Und auch das Gefühl, ein Kind zu sein, ist das gleiche wie vor 30 Jahren.»
Doch nicht nur Kinder, sondern auch deren Eltern finden sich auf «Helikop ter» wieder – zum Beispiel, wenn es um «Elternvertreterwahl in der Kita» oder das «Kater vs. Vollrausch»-Gefühl frisch gebackener Eltern geht. «Die Eltern waren schon immer da, es ist inzwischen fast 50/50 auf unseren Shows», erklärt Nimscheck. «Warum sollten wir die Hälfte unseres Publi kums ausschliessen? Deswegen gibt es auch immer ein paar Elternsongs.» Im Zweifel, das haben Deine Freunde inzwischen gemerkt, sind die Eltern vielleicht sogar die treueren Fans. Denn so cool die Musik von Deine Freun de auch ist – spätestens mit der Pubertät entwachsen die Kinder ihr und finden neue Vorbilder. «Tatsächlich trifft das die Eltern am härtesten», grinst Nimscheck. «Für uns ist es gar nicht so schlimm, denn es kommen ja neue Fans nach. Wir lesen aber immer wieder von Fan-Mamas, die auf Facebook übrigbleiben, alleine und abgeschlagen, weil ihre Kinder inzwi schen weitergezogen sind zu RIN. Aber statt darüber traurig zu sein, freu en wir uns eher, dass wir Teil ihrer Kindheit sein durften.»
Ob man zwangsläufig mehr Kind bleibt, wenn man sich permanent mit Kindermusik und -themen beschäftigt, wissen Deine Freunde selbst nicht so genau. «Ich kann aber sagen, dass es unheimlich viel Spass macht und für mich persönlich viel erfüllender ist, als wenn wir zum 30’000 Mal über unerfüllte Liebe singen würden“, sagt Sump. «Wir sind ja ständig auf der Suche nach neuen Themen. Das ist wahnsinnig erfrischend und künstlerisch auch herausfordernd.» Was sind denn die kindlichsten Züge, die Deine Freunde sich bewahrt haben? «Flos kindlichster Zug ist auf jeden Fall seine Krüschheit was Essen betrifft und Pauli wird super wü tend, wenn er Hunger hat. Mein kindlichster Zug ist, dass ich innerhalb von einer Minute schlagartig müde werde und dann auch sofort ins Bett muss», verrät Nimscheck. «Eine Sache, die Kinder machen, haben wir uns aber auch antrainiert: Sachen, die uns stören, sprechen wir sofort an. Das gilt sowohl beruflich als auch persönlich. Weil es sonst nämlich zu Missverständnissen kommt. Wir können das nur empfehlen, es stärkt auf Dauer das Vertrauen.» Ein bisschen Kind bleiben ist also gar nicht so schlecht.