Servus in Stadt & Land 04/2012

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04/2012 &

in Stadt & Land

Kärntner Kasnudl Der Tag der Palmesel

P. b. b., GZ12Z039142P , Verlagspostamt 1140 Wien

Obstbaumblüte  &  Veilchen  &  Duftpflanzen  &  Ostermenü  & Suppenfrühling  & Schnittlauch  & Tierleben: Der Bär

Zwischen Packalpe & Tauern

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E i nfac h

.

Gut .

Leben

Lebendiges Brauchtum

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April

04/2012 EUR 3,90 chf 6,50

ein Fest der Freude Steirische Kochkiste

&

Kübler im Laternsertal

&

Ausseer Trachten

&

Altösterreichische Keramik >


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Inhalt 2012 April

Natur & Garten 12 Obst in Blüte

Apfel, Birne, Marille oder Pfirsich: ein lehrreicher Spaziergang unter Blütenkronen.

22 In aller Bescheidenheit

Veilchen in ihrer zarten Vielfalt.

30 Frühlingsgefühle

Ein Gartenbesuch bei Richard Köstler in Traismauer.

38 Immer der Nase nach

Duftpflanzen: aromatische Plätze für jede Tageszeit.

140 Zwischen Himmel & Höhle Der Bär erwacht aus seiner Winterruhe.

6  Servus

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Küche 52 Würzige Augenweide

Was der Schnittlauch alles kann.

56 Festtagsschmaus

Rezepte mit Tradition: österliche Köstlichkeiten für die ganze Familie.

66 Süßes Körberl

Ein Eierkorb zum Nachbacken.

68 Lenz am Löffel

Leichte Suppen, die wir zwischen dem Ländle und Niederösterreich entdeckt haben.

130 Köstliches aus der Kiste

Agnes Lemmerer lässt auf dem steirischen Sölkpass eine längst vergessene Kochkunst wieder aufleben.

Wohnen 78 Paradies in Schachteln

Zu Besuch in Schwanberg: Maria und Andreas Brunner wohnen im revita­ lisierten Rickerhof mit allen Sinnen.

86 Hängender Kleingarten

Fundstück: wie aus alten Suppenschöpfern Pflanzentöpfchen werden.

90 Ein Fest der Freude

Deko-Ideen rund um den Ostertisch.

94 Basteln mit Kindern

Ein Osterkranz aus frischem Buchs mit liebevoll bemalten Eiern.

100 Keramik mit Geschichte

Sigrid Hreniuk-Rabl erweckt die Kunst der Hafnerkeramik zu neuem Leben.

fotos inhalt: flora press, juniors tierbild, katharina gossow, christof wagner, bildagentur huber, eisenhut & Mayer, marco rossi

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Standards 106

Land & Leute 120 Der Kübler vom Laternsertal

zusatzfotos cover: eisenhut & Mayer, marco rossi

Josef Matt bindet aus Fichte, Esche und Nuss die schönsten Gefäße.

124 Der Meister und sein Gwand

Franz Greul schneidert einzigartige Ausseer Tracht.

134 Messer mit Poesie

Martin Blank schmiedet heißes Eisen in seiner kleinen Werkstatt in der Wiener Leopoldstadt.

146 Frühling in Meran

Servus zu Gast in einer Stadt, in der Palmen neben bäuerlichen Traditionen gedeihen.

Brauchtum 20 Ach, du grüne Neune

Die Gründonnerstagssuppe und ihre magische Bedeutung.

106 Susi, die graue Eminenz

Der Palmesel von Pölling und sein Leben im Kärntner Lavanttal.

170 Die Holzfischer vom Inn Von Karnern, Zagglern und Holz­ pfladerern: Wie die Landbevölkerung seinerzeit Brennmaterial aus dem Fluss holte.

5 Vorwort 10 Servus daheim 28 Schönes für draußen 36 Der Garten-Philosoph 44 Natur-Apotheke: Basilikum 46 Selbst gemacht: Klapperstelzen 48 Gartenpflege, Mondkalender 64 Aus Omas Kochbuch:

Kärntner Kasnudl

74 Schönes für die Küche 96 Schönes für daheim 116 Michael Köhlmeier: Die arme Hemma

158 Gutes vom Bauern 160 Ernst Molden:

Die Geschichte vom Werner

164 ServusTV:

Sehenswertes im April

168 Feste, Märkte, Veranstaltungen 178 Impressum, Ausblick Coverfoto: Katharina Gossow, Floristik: Markus Jagersberger

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Natur & Garten

Obst in Blüte Ausnahmsweise vermischen wir Äpfel und Birnen und geben Pfirsich, Zwetschke, Kirsche und Marille gleich dazu. Weil sie jetzt alle so bezaubernd blühen und betörend duften – und weil es gar nicht so leicht ist, sie voneinander zu unterscheiden. Ein lehrreicher Spaziergang unter Blütenkronen. redaktion: Brigitte Vallazza, Veronika Schubert

Ein Apfelbaum bei Kürnberg im Mostviertel.

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Apfel

fotos: mauritius, corbis

Wenn die Apfelbäume blühen, ist der Frühling da. Selbst wenn die Berge schneebedeckt sind und sich der Frost noch nicht endgültig verabschiedet hat. Eine Besonderheit der Apfelblüte ist die Farbkombination: Solange sie geschlossen ist, leuchtet sie rot bis rosafarben. Erst wenn sie sich öffnet, wird sie schneeweiß. Unter den Blütenblättern liegen die grünen Kelchblätter. Sie haben die Knospe umschlossen und vor Kälte geschützt und sind auch noch in der reifen Frucht erhalten. Das sieht man schön, wenn man einen Apfel quer aufschneidet. Apfelblüten wachsen in Dolden und stehen dicht an dicht. Die mittlere Blüte ist meist die ehrgeizigste und öffnet sich zuerst. Wer im Garten besonders schöne Apfelblüten haben will, sollte Zieräpfel setzen. Wildapfelfrüchte sind roh hart und sauer, ergeben aber gekocht und gesüßt ein herrliches Apfelmus. Der lateinische Name von Baum und Frucht lautet übrigens Malus (der Böse). Nicht weiter verwunderlich, wenn man an die Geschichte von Adam und Eva denkt. Familie: Rosengewächse (Rosaceae) – Kernobst. Knospen: Rotbraun; ei- bis kegelförmig. Blütezeit: Mitte April bis Mai. Bestäubung: Es gibt sowohl selbstunfruchtbare als auch selbstfruchtbare Sorten.


Marille

fotos: getty images, mauritius, corbis

Verlockend für jede Biene leuchten aus den blassrosa bis weißen Blüten 20 bis 30 gelbe Staubbeutel. Der Stiel der meist einzeln stehenden Blüten ist kaum länger als fünf Millimeter, flaumig behaart und oft ein wenig rötlich. Der Duft der Marillenblüten ist – wie bei allen Obstblüten – sehr zart und fein. In so manchem Parfum wird das Marillenblütenaroma als Kopfnote eingesetzt, wo es den Duft der eigentlichen Komposition eröffnet. Schon Alexander der Große war vom Geschmack der Früchte und der Pracht des blühenden Baumes angetan und brachte Prunus armeniaca einst von Asien zu uns. Familie: Rosengewächse (Rosaceae) – Steinobst. Knospen: Braun, oft schwarz gefleckt; eiförmig. Blütezeit: März bis April. Bestäubung: Selbstfruchtbar.

Marillenbäume bei Weißenkirchen in der Wachau.


Ein Zwetschkenbaum im unteren Weinviertel.

Zwetschke Auf den ersten Blick sind Zwetschkenblüten jenen der Kirsche nicht unähnlich. Die Staubbeutel sind hier aber orange bis braun und nicht gelb. Außerdem haben die weißen Blütenblätter bei Prunus domestica oft einen rosafarbenen oder grünlichen Ton. An zwei bis drei flaumigen Blütenstielen, die jeweils zusammen wachsen, entwickeln sich die Blüten. Ungünstiges Wetter kann übrigens einen ganzen Jahrgang ausfallen lassen. Dabei sind zu viel Feuchtigkeit und Nebel in den kritischen Wochen entscheidend, weil dann weniger Insekten fliegen. Familie: Rosengewächse (Rosaceae) – Steinobst. Knospen: Braun, oft behaart; kegelförmig und spitz zulaufend. Blütezeit: März bis Mai. Bestäubung: Selbstfruchtbare und selbstunfruchtbare Sorten.

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Pfirsich In der Blütezeit ist der Pfirsichbaum konkurrenzlos schön. Da können selbst langersehnte Frühlingsblumen kaum mithalten. Voll mit zarten rosaroten Blüten, leuchten die Bäume im Garten und erfüllen die Luft mit einem deli­ katen Aroma. Der Pfirsich ist naturgemäß sehr früh dran, die Blüten entfalten sich schon ab Ende März, noch vor den Blättern. Macht die Kälte den Pfirsichblüten zu stark zu schaffen, kräuseln sie sich und werden bald abgeworfen. Es bilden sich aber neue nach. Wegen seiner frühen Blüte gilt der wärme­ liebende Pfirsichbaum (Prunus persica) in seiner ursprünglichen Heimat China, wo er vor mehr als 4.000 Jahren erstmals kultiviert wurde, noch heute als Symbol des Frühlings und der Unsterblichkeit. Familie: Rosengewächse (Rosaceae) – Steinobst. Knospen: Grauweiße Härchen; eiförmig. Blütezeit: Ende März bis Mai. Bestäubung: Selbstfruchtbar.


fotos: getty images, mauritius, corbis

PfirsichblĂźte unweit des Donauufers in der Wachau.

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fotos: getty images, mauritius, your photo today, cathrine stukhard

Eine Birnbaumallee in der Buckligen Welt.

Birne Markant an den schneeweißen Blüten der Birne (Pyrus), die sich zu traubigen Blütenständen drängen, sind ihre tiefroten Staubbeutel. Wer im Frühling seine Nase in eine Birnenblüte hält, verspürt einen besonderen Geruch, der die Menschen in zwei Lager teilen kann: Die einen empfinden ihn als betörend, die anderen eher als unangenehm. Ursache dieses speziellen Aromas ist die gasförmige Verbindung Trime­thylamin, die als Reinsubstanz nach verdorbe­nem Fischeiweiß riecht. Viele Menschen können diesen Geruch genetisch bedingt nicht wahrnehmen. Er lockt aber Käfer, Wildbienen und vor allem Schwebefliegen an. Auf die Arbeit der Honigbiene legt die langlebige Birne, die bis zu 200 Jahre­ alt werden kann, offenbar eher wenig Wert. Familie: Rosengewächse (Rosaceae) – Kernobst. Knospen: Dunkelbraun bis schwarz; breit pyramidenförmig. Blütezeit: April. Bestäubung: Selbstunfruchtbar.


Kirsche Die Süßkirsche (Prunus avium) kannte man noch vor ihrer sauren Schwester. Sauerkirschen (Prunus cerasus) blühen in der Regel etwa ein bis zwei Wochen später, jedoch mit vergleichbarer Anmut. Mehrere der rosa-weißlichen, süß duftenden Blüten stehen zu Dolden zusammen. Wenn die Süßkirsche – als Kulturform der Vogelkirsche – zu blühen beginnt, be­ steht noch die Gefahr, dass die Blüten durch späten Frost Schaden nehmen. Aber wenn alles gutgeht, kann ein Baum mehr als eine Million Blüten hervorbringen. Noch vor gut einer Generation galt es unter Gärtnern als Herausforderung, Kirschen im Garten zu kultivieren. Die Bäume wurden riesig, die Bestäubung war Glückssache: Man musste ausgewählte Bäume nah beieinander pflanzen und hoffen, dass sich die Blüten gleichzeitig öffnen. Heute gibt es selbstfruchtbare, kleinere Sorten. Das vereinfacht das Naschen ungemein. Familie: Rosengewächse (Rosaceae) – Steinobst. Knospen: Rotbraun glänzend; stumpf bis spitz eiförmig. Blütezeit: April bis Mai. Bestäubung: Selbstunfruchtbare und selbstfruchtbare Varianten.

Kirschblüte inmitten von Weingärten in Donnerskirchen am Leithagebirge.

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naturwissen

Ach, du

grüne Neune

Neun Frühlingskräuter gehören in eine ordentliche Gründonnerstagssuppe. Warum es nicht acht oder zehn sein dürfen und welche magische Bedeutung das frische Grün dabei hat, weiß unsere Kräuter-Expertin Miriam Wiegele. Illustration: Andreas Posselt

D

as satte Grün sprießt und gedeiht in diesen Wochen im Wald und auf der Flur. In allen Schattierungen zeigt es die Erneu­ erung der Natur an. Schon bei unseren Ah­ nen steckte die Farbe Grün voll bedeuten­ der, vielfach zauberischer Symbolik. Bei den alten Ägyptern war Grün die Hautfarbe des Fruchtbarkeitsgottes Osiris. Und das Schriftzeichen für Grün war auch jenes für die immer wiederkehrende Papyruspflanze. Lange vor den kirchlichen Osterbräu­ chen spielte die Farbe bei uns in Bezug auf Erneuerung, Vitalität und Wiedergeburt eine wichtige Rolle. Es ist Gras darüber gewachsen, sagt der Volksmund, wenn ein Leid vergessen ist und neue Freude kommt. Das Gras sah man als Tanzplatz der Elfen und Feen. Die kreisrun­ den, graslosen Flächen in der sonst grünen Wiese galten hingegen als Ort, wo sich die Hexen aufhalten (Hexenringe). Kein Gras­ halm wächst auch, wo immer der Teufel ­seine Fußspuren hinterlassen hat. Grün ist zudem die Farbe der Waldfräu­ lein und bemoosten Wurzelmänner, die be­

sondere Menschen im Gebrauch der Heilund Zauberkräuter unterwiesen. Mit grünenden „Lebensruten“ schlägt man bis heute mancherorts symbolisch Mensch und Vieh, um Fruchtbarkeit und Gesundheit zu fördern. Man nahm dazu Zweige von Birke, Haselstrauch und Weide, aber auch von der Esche. Mit frischen Zwei­ gen an der Stalltür wurde das Vieh gegen Hexen geschützt, oder man ließ Ziege, Schaf und Rind beim Austrieb über einen grünen Holunderzweig treten. Fruchtbare Bräuche & magische zahlen

Die Fruchtbarkeit des kommenden Jahres findet man natürlich auch im österlichen Palmbuschen wieder: immergrüner Buchs und die Thuje, die besser Lebensbaum ge­ nannt wird, als Symbol des vergangenen Winters und frische Weidenzweige mit Palmkatzerln für den Frühling. Fest verwoben mit dem Zauber der Früh­ lingsfarbe ist auch die Zahlenmagie: Eigent­ lich sind ja aller guten Dinge drei. Drei Wünsche hat man bei der Märchenfee frei. Und drei Fragen werden in den Sagen ge­

stellt. Seit alten Zeiten ist die Dreizahl vor allem den indogermanischen Völkern heilig. Und so waren es ursprünglich auch die ers­ ten drei Frühlingsblumen im Jahr, die man verschlucken sollte, um gesund zu bleiben. Aber wollte man den magischen Effekt noch vervielfachen, nahm man neun Früh­ lingskräuter statt der drei. Denn die Neun ist eine dreifach verstärkte Drei und lässt eine entsprechende Wirkung erhoffen. Neun Pflanzen wurden im Neunkräuter­ segen genannt, der im 11. Jahrhundert in Europa als Vermischung von germanischkeltischer und christlicher Tradition ent­ stand. Und die neun Pflanzen kommen auch in Beschwörungsbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts vor. Darin heißt es: Nun haben diese neun Kräuter Macht gegen neun böse Geister, gegen neun Gifte und gegen neun ansteckende Krankheiten. So hat sich bis heute die besonders ge­ sunde Neunkräutersuppe erhalten, die am Gründonnerstag als traditionelle Kultspeise gilt. Der Ausruf „Ach, du grüne Neune“ er­ innert an diese magische Kombination aus Zahl und Farbe. 3

Die Zutaten für die Neunkräutersuppe Auch der Bär holt sich nach seinem langen, tiefen Winterschlaf seine sprichwörtlichen Kräfte zurück, indem er viel Bärlauch (Allium ursinum) frisst. Er schmeckt nicht nur großartig, er wirkt auch entgiftend und putzt sowohl den Darm als auch die Gefäße durch. Die zweitwichtigste Pflanze für die Neunkräutersuppe ist die Brennnessel (Urtica dioica). Sie ist in der Signaturenlehre dem Kriegsgott Mars zugeordnet und verleiht tatsächlich martialische Kräfte. Als Kraut in der Suppe liefert sie viel Eisen und bringt nicht nur rosige Wangen, sondern auch den Stoffwechsel in Schwung. Das Gänseblümchen (Bellis perennis) oder Tau-

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sendschönchen kann bei unreiner Haut helfen. Und es ist nach einem langen, nasskalten Winter Balsam für verschleimte Atemwege. Mit seinem ständig treibenden Wurzelstock kann der Giersch (Aegopodium podagraria) im Garten zum Problem werden. Dafür ist er sehr gesund und regt den Stoffwechsel an. In der traditio­nellen Gründonnerstagssuppe ist er ­jedenfalls Pflicht, da seine dreizähligen Blätter an ein heiliges Kreuz erinnern. Viel zu wenig ist über die Knoblauchsrauke ­(Alliaria petiolata) bekannt. Als Heilpflanze sucht man sie in Fachbüchern vergeblich, ihr ­Geschmack ist allerdings köstlich.

Für den Geschmack wichtig ist auch der Sauerampfer (Rumex acetosa). Immerhin macht sauer lustig, auch dank des hohen Vitamin-C-Gehalts. Die sagenumwobene Schafgarbe (Achillea millefolium) soll bereits Achill zur Wundheilung verwendet haben. Ihre zarten Bitterstoffe wirken in dieser Suppe anregend. Ein wenig mit Vorsicht zu genießen ist das Scharbockskraut (Ficaria verna). Die Blätter sollte man nur verwenden, bevor die Pflanze blüht, da sie sonst leicht giftig sind. Einen angenehm scharfen Geschmack in der Gründonnerstagssuppe bringt zuallerletzt das Wiesenschaumkraut (Cardamine pratensis). Es gilt zudem als blutreinigend.


fotos: xxxxxxx


Suppenrezepte

Lenz am Löffel

Wenn der Frühling ins Land zieht, bekommen wir Gusto auf leichte Kost, die munter macht. Mit Zutaten, die uns die erwachende Natur schenkt. Servus serviert fünf Suppen, deren Rezepturen wir zwischen dem Ländle und Niederösterreich entdeckt haben. Redaktion: Uschi Korda, Alexander Rieder  Fotos: Eisenhut & Mayer

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Vorarlberg

KräuterSuppe Zutaten für 4 Personen 80 g Spinatblätter 100 g Kräuter (Schnittlauch, Sauerampfer, junge Löwenzahnblätter, Kerbel, Petersilie, Brennnessel, Dill) 1 Zwiebel 80 g geschälte Erdäpfel 20 g Butter 1 l klare Gemüsesuppe* 125 ml Obers Salz, Muskatnuss 4 EL Topfen Saft und Schale von K Zitrone Pfeffer frische Kräuter für die Garnitur** Zeitaufwand: 45 Minuten

Zubereitung 1. Spinatblätter waschen, in kochendem Wasser zusammenfallen lassen und abschrecken. ­Kräuter waschen, trockenschütteln und mit dem ­Spinat grob hacken. 2. Zwiebel schälen, fein hacken und mit den ge­ würfelten Erdäpfeln in Butter hell anschwitzen. Mit Suppe aufgießen, 25 Minuten köcheln lassen. 3. Obers und die gehackten Kräuter einrühren, 30 Sekunden aufkochen und sofort mit einem Stabmixer pürieren. Mit Salz und Muskatnuss abschmecken. 4. Topfen mit Zitronenschale und Zitronensaft glattrühren und mit Salz und Pfeffer würzen. 5. Die Suppe nochmals aufschäumen und in Teller gießen. In die Mitte je ein Topfennockerl setzen und mit frischen Kräutern garnieren.

* Basis für alle unsere Suppen ist eine selbstgemachte klare Gemüsesuppe aus Wurzelgemüse, Zwiebeln, Paradeisern, Pfeffer, Lorbeer und Zitronenschale. ** Als zusätzliche Garnitur haben wir frische Veilchenblüten und getrocknete Blüten verwendet.

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Steiermark

Bunte Gemüsesuppe Zutaten für 4 Personen 100 g Karotten 100 g Gelbe Rüben 100 g Pastinaken 1 Fenchelknolle 80 g Rote Rüben, vorgekocht 800 ml klare Gemüsesuppe 4 große Champignons 1 Zweig Liebstöckl 1 Lorbeerblatt 2 Jungzwiebeln, gehackt 2 EL Sonnenblumenöl 60 g Käferbohnen (aus der Dose) Salz, Pfeffer, Muskatnuss 4 sehr dünne Scheiben Schwarzbrot 1 halbierte Knoblauchzehe 1 EL Butter Zeitaufwand: 40 Minuten

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Zubereitung 1. Karotten, Gelbe Rüben und Pasti­ naken schälen, der Länge nach ­halbieren und in dünne Scheiben schneiden. Fenchelknolle in Streifen, Rote Rüben in Stifterln schneiden. 2. Gemüsesuppe erhitzen, Karotten, ­Gelbe Rüben, Pastinaken, Fenchel, ­Champignons, Liebstöckl und Lor­ beerblatt zufügen. 15 Minuten kochen. 3. Jungzwiebeln in Öl scharf anbraten, mit den Käferbohnen in die Suppe geben und abschmecken. 4. Schwarzbrotscheiben mit Knoblauch in Butter kräftig anrösten. 5. Liebstöckl und Lorbeerblatt entfer­ nen und die Suppe in vorgewärmte Teller schöpfen. Mit dem Knoblauch­ brot servieren.


Tirol

Radieschensuppe Zutaten für 4 Personen 300 g Radieschen 1 Zwiebel 60 g Schinkenspeckscheiben 2 EL Butter 1 TL Honig 800 ml klare Gemüsesuppe 200 ml Buttermilch Salz Radieschenspalten und gehackte Radieschenblätter Zeitaufwand: 35 Minuten

Zubereitung 1. Radieschen von den grünen Blättern befreien, waschen und in Scheiben schneiden. Zwiebel schälen und hacken, Schinkenspeckscheiben klein würfeln. 2. Zwiebel und Speck in Butter anschwitzen. Honig einrühren, Suppe zugießen und 20 Minuten köcheln lassen. 3. Radieschen und Buttermilch zugeben, erhitzen, aber nicht mehr aufkochen. Mit ­einem Stabmixer pürieren, abschmecken und in Tellern verteilen. Mit Radieschenspalten und Radieschengrün garnieren. Dazu schmeckt kräftiges Bauernbrot.

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Wien

Karottensuppe mit Bärlauch Zutaten für 4 Personen 300 g Karotten 2 Zwiebeln 1 Apfel ½ TL Zucker 2 EL Rapsöl 1 TL Tomatenmark 1 l klare Gemüsesuppe 150 ml Obers 2 EL Bärlauchpesto Salz, Pfeffer evt. frischer Bärlauch zum Garnieren Zeitaufwand: 35 Minuten

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Zubereitung 1. Karotten, Zwiebeln und den Apfel schälen und grob würfeln. Mit dem Zucker in Rapsöl hellbraun anschwitzen. Tomatenmark kurz mitrösten und Suppe zugießen. 20 Minuten köcheln lassen, mit einem Stabmixer fein pürieren und abschmecken. 2. Obers cremig schlagen und locker mit Bärlauchpesto verrühren. 3. Die Karottensuppe nochmals aufmixen und in Tellern verteilen. Mit Obers-Pesto und – falls man schon fündig war – mit frischen Bärlauchblättern garnieren.


Niederösterreich

Spargelsuppe Zutaten für 4 Personen 300 g weißer Spargel 1 l klare Gemüsesuppe 100 g geschälte Erdäpfel 200 ml Obers Salz, weißer Pfeffer 4 Stangen grüner Spargel 1 EL Rapsöl 1 TL Zitronenzesten Zeitaufwand: 1 Stunde

Zubereitung 1. Spargel schälen und die Schale in der Suppe 20 Minuten bei kleiner Hitze köcheln. Die Schale mit ­einem Siebschöpfer aus der Suppe heben und leicht ausdrücken. 2. Spargel und Erdäpfel in 2 cm große Stücke schneiden. Beides mit dem Obers zur Suppe geben und 20 Min. kochen. Die Spargelsuppe pürieren und danach durch ein mittelfeines

Sieb in einen Topf passieren. Mit Salz und weißem Pfeffer abschmecken. 3. Vom grünen Spargel das untere Drittel dünn abschälen und die Stangen schräg in Scheibchen schneiden. In Öl hellbraun anrösten, mit Zitronenzesten und 1 Prise Salz würzen. 4. Die Spargelsuppe aufmixen, in ­vorgewärmte Teller verteilen und mit geröstetem grünen Spargel bestreuen.

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Hausbesuch

Ein Innenhof wie im Märchenland. Hier wachsen Laternen auf den Bäumen, und aus dem Rasen sprießen steinerne Badewannen, in denen im Sommer vergnügt die Schwalben planschen.


Paradies in Schuhschachteln Im Rickerhof im weststeirischen Schwanberg schützen Biberschwänze vor Wind und Wetter, bringen Schwalben Glück – und die Musik kommt nicht aus dem Radio. Maria und Andreas Brunner haben hier über die Jahre Hand angelegt und leben vor, wie man mit allen Sinnen wohnen kann. Text: achim schneyder  Fotos: erich reismann

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E

s duftet. Und wie es duftet. Nach Wald und Wiese, nach Birnbaum und Bach, die draußen vor dem Fenster mit der Sonne um die Wette lachen, und nach saftigem Braten vom Schwein. Denn während Maria im Esszimmer neben der Küche den Tisch mit wunderschönen, uralten Porzellantellern deckt, feiert in der Küche der noch ältere Kachelofen seine Premiere als Herd. „Das gute Stück stammt aus der Zeit um 1860, vor fast acht Jahren habe ich es gekauft“, erzählt Andreas Brunner, Marias Mann, und legt zwei Scheiter Holz nach. Bis vor kurzem fristete dieser Ofen, zerlegt in Ziegel und in Kacheln, verpackt in Schachteln aus Karton, auf dem Dachboden ein tristes Dasein. Dann aber hat es ihn plötzlich gejuckt, den Andreas, einen Antiquitätenhändler aus dem weststeirischen Schwanberg, „und in fünf Wochen Bauzeit haben wir ihm hier sein neues Zuhause gegeben. Und der Schweinsbraten, den wir gleich essen werden, ist quasi der Jungfernschweinsbraten.“ Eine Stunde später helfe ich – satt und mit der Welt zufrieden – beim Abwasch, denn Geschirrspüler gibt es in dieser Küche aus längst vergangenen Zeiten keinen. Von einer Mikrowelle ganz zu schweigen, auch der E-Herd ist fast schon museumsreif. Nur die Espressomaschine, die ist ziemlich modern. Im Stile Erzherzog Johanns

Bald 22 Jahre ist es inzwischen her, dass sie sich gefunden haben. Die Brunners und der Rickerhof. „Wir waren wohl füreinander bestimmt“, sagt Andreas. „Denn eigentlich wollten wir uns ja ein anderes Anwesen anschauen, aber dann hab ich mich in der Adresse geirrt, und wir sind durch Zufall hier gelandet. Hier, vor diesem damals leer stehenden Vierkanthof, der, wie ich bald erfahren habe, leider nicht zum Verkauf stand. Aber da war es längst um mich geschehen.“ Sechs Monate und zahlreiche, ziemlich zähe Verhandlungen später wechselte der Rickerhof, erbaut im Jahre 1851 im Erzherzog-Johann-Stil, seinen Besitzer dann doch. „Ich war eben hartnäckig“, lacht Brunner und zwirbelt seinen Schnauzbart. „Und wieso Rickerhof?“, frage ich. „Das ist nicht ganz klar“, sagt Brunner. „Ricke ist jedenfalls die ­waidmännische ➻

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Bis der Garten wieder frische Früchte hergibt, verwerten die Brunners Lagerobst – wie die Äpfel und die am Dachboden getrockneten Nüsse.


Maria Brunner, Köchin aus Leidenschaft, in einer Küche, deren Geräte zum Teil museumsreif sind. Nur die Espressomaschine ist (fast) auf dem neuesten Stand. Im ganzen Haus findet sich hübscher Krimskrams, den Andreas sein Leben lang gesammelt hat.


Der Kachelofen aus der Zeit um 1860 lag über Jahre in seine Ein­ zelteile zerlegt auf dem Dach­ boden, ehe ihn Andreas Brunner aufgebaut hat. Heute dient er nicht nur als Wärmespender, sondern auch als Herd. Und im sonnendurchfluteten Vorzimmer erzählen alte Fotos Geschichten aus längst vergangener Zeit.


Bezeichnung für das weibliche Reh, und Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Hof von der Jägerschaft genutzt. Geweihe beispielsweise wurden hier gelagert. Eine andere Erklärung für die Herkunft des ­Namens gibt es jedenfalls nicht.“ Als sich die Jäger wieder verabschiedet hatten, zog für kurze Zeit ein Gasthaus ein, ehe der Hof 1870 zu einem Großfuhrwerksunternehmen mit einer Gesamtfläche von rund 1.400 Quadratmetern ausgebaut wurde. 370 davon dienen den Brunners heute­ als Wohnfläche, 250 im Erdgeschoß, die drei Kinderzimmer und das elterliche Schlafgemach auf 120 im ersten Stock unter dem neu gedeckten Dach. Dem neu gedeckten und doch so alten. „Das Eternitdach war mir vom ersten Tag an ein Dorn im Auge“, sagt Brunner. Und so machte sich der findige Sammler auf die Suche nach alten Ziegeln, nach handgeschlagenen Biberschwänzen, wie sie in der Fachsprache genannt werden. Fündig wurde er in Bad Radkersburg, wo er vier Monate lang Wochenende für Wochenende gemeinsam mit einem Freund das Dach eines dem Verfall preisgegebenen Gehöfts eigenhändig abtrug und nicht weniger als 24.000 Biberschwänze zum Preis von je einem Schilling nach Schwanberg übersiedelte. „Und dieses Dach ist dicht, da haben Wind und Wetter keine Chance.“ Melodie des Lebens

„Wir haben dieses Haus ausschließlich mit alten Materialien renoviert und revitalisiert. Zum Glück war die Substanz absolut in Ordnung, Fenster und Türen nahezu nicht verzogen und außerdem dicht“, sagt Brunner und setzt sich auf seinen momentanen Lieblingsplatz, auf den Hocker in der Küche neben dem Kachelofen, wo er die Zeitung liest oder einfach nur schaut. An der Wand tickt beruhigend die Küchenuhr in ihrem ewig gleichen Rhythmus – klack … klack … klack … –, und das Feuer­ knistert und knirscht. „Und wenn das Fenster offen ist, mischt sich auch noch das ­Rauschen des Weiherbachs dazu. Brauch ich da sonst irgendeine Musik? Nein, da brauch ich sonst keine.“ Er lauscht der ­Melodie des Lebens und genießt den Blick auf den Josefiberg und auf das Schloss oben auf dem Hügel. Schließlich macht mich Brunner auf den Küchenboden aufmerksam. „Lauter alte Ziegel, die ich wie eine Semmel der Länge nach in der Mitte halbiert habe, damit sie nur ➻

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Andreas Brunner an der Kassa. Jahrelang hat er Produkte von kleinen Kaufmannsläden aus der Gegend, die im Begriff waren zu schließen, aufgekauft und ein Greißlermuseum eingerichtet – mit Kinderspielzeug, hölzernen Zahnbürsten, alten Mühlsteinen, einem Teeservice aus altem Porzellan. Rechts unten der Hintereingang, eingerahmt von wunderschönen Heiligenbildern. Und der Setter schnarcht derweil zufrieden in der Sonne.


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Es ist ein ort der Entschleunigung. Hier lärmt kein lärm, hier lauscht man den Katzen, wie sie selig schnurren.

Der alte Waschtisch, die alte Badewanne. All ­diese Dinge hat Andreas Brunner im Lauf der J­ ahre zusammengetragen, restauriert und ihnen neues Leben geschenkt.

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zwei Zentimeter hoch sind. Und dann hab ich sie verlegt. Fällt dir was auf?“ – „Nichts“, sage ich, „außer dass sie schön sind und der Boden Gemütlichkeit ausstrahlt.“ „Ich habe sie nicht verfugt, ich habe sie einfach nebeneinander eingebettet. Ich mag das Ursprüngliche, auch wenn das ­manchem vielleicht schlampig erscheinen mag.“ Viel Kleinzeug steht und hängt, wenn man so schaut, herum, aber der Kitsch hat hier nie Einzug gehalten. Und da sich im Nebentrakt, in den nicht bewohnten 1.000 Quadratmetern, nicht nur Brunners einzigartiges Greißlermuseum befindet, sondern auch seine Antiquitäten lagern, liegt der Schluss nahe, dass seine Frau und er im Wohnbereich hin und wieder ein neues (altes) Stück gegen ein anderes tauschen. Dieser Schluss ist aber falsch. „Wenn uns der Sinn nach Veränderung steht, malen wir einfach einen Sessel anders an und ­stellen ihn woandershin. Von der Küche ins Bad zum Beispiel. Oder umgekehrt.“ Die Brunners – sie Jahrgang 1965 und praktizierende Masseurin, er Jahrgang 1962 und gelernter Installateur – verstehen­es, mit allen Sinnen zu wohnen. Ein Lebens­gefühl, das sie auch ihren Kindern Johannes,­16, Anna, 14, und Sebastian, 12,

zu vermitteln versuchen. „Was nicht immer einfach ist“, sagt Maria. „Aber sie ­haben sich inzwischen an Dinge gewöhnt, wie etwa an die Tatsache, dass es bei uns kein Satellitenfernsehen gibt. Und auch die wenigen Sender, die wir empfangen, dürfen sie nur am Wochenende und nur zu gewissen Zeiten sehen.“ Als Sebastian wenig später aus der Schule kommt, den Rest vom Schweinsbraten verputzt und sich rasch wieder aufs Fahrrad und nicht vor den Computer schwingt, weil’s raus geht auf die grüne Wiese zum Fußballspielen mit den Freunden, muss ich lächeln. So einfach und so schön kann das Leben sein. Die Gunst der Götter

Er ist eben ein Ort der Entschleunigung, der Rickerhof. Hier lärmt kein Lärm, hier gibt es auch keine hysterisch bimmelnde Glocke an der Haustür, hier gibt es nur einen Klopfer – Messing auf Messing, tock, tock. Hier bestimmen Geräusche das Leben. Hier lauscht man im Herbst den Mostbirnen, die erst sehr spät im Jahr mit dumpfem Knall im Innenhof zu Boden fallen; man lauscht den fetten Regentropfen, die jetzt im April fast aus heiterem Himmel ans Fenster

trommeln, dem Kies, wie er unter den Schritten knirscht, wenn man von draußen das Brennholz holt, den Katzen, wie sie selig schnurren, dem eleganten Setter, wie er federnd leicht durch das Haus trappelt. Und oberhalb der Eingangstür, im Freien freilich, bringen im Frühling die Schwalben Glück. „Das Nest gibt es seit Jahren“, erzählt Maria, „und es wird immer wieder zum Brüten heimgesucht. Solange das geschieht, so sagt man, meinen es die Götter gut mit einem.“ „Wir haben uns in Handarbeit ein Paradies geschaffen“, schwärmt Andreas Brunner. „Ein unverkäufliches Paradies, denn viele wollten es schon haben, aber kein Fremder wird es je bekommen, dieses, wie ich es gerne nenne, Paradies in Schuhschachteln.“ „In Schuhschachteln?“ Andreas Brunner grinst. „Als kleiner Bub schon habe ich viel gesammelt und in Schuhschachteln unterm Bett gehortet. Jetzt, wo ich mich mit alten Dingen umgebe, ist jedes einzelne Zimmer, in dem die Antiquitäten gelagert sind, im übertragenen Sinne nichts anderes als eine Schuhschachtel.“ 3

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Fast vergessen

Der vom laternsertal

Sein einziges Werkzeug sind Messer. Ruhig und mit traumwandlerischer S ­ icherheit schneidet und verziert Josef Matt damit Fichte, Esche und Nuss. Das Holz, das er braucht, um daraus die schönsten Gefäße zu binden. Text: andreas oberndorfer  Fotos: rita bertolini


Wenn Josef Matt in seiner Werkstatt an einem Kübel arbeitet, dann liegt der Geruch von feiner Fichte in der Luft.

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er Eingang zur Werkstatt liegt im ersten Geschoß des Stadels. Im Erdgeschoß befinden sich die Garage und ein paar Nebenräume. Man könnte das Wirtschaftsgebäude, das an einem Hügel lehnt, auch von hier aus betreten. Josef Matt, der gerade vom alten Hof vis-à-vis herüberkommt, geht aber lieber von oben rein. Wir folgen ihm und stehen auf einem ehemaligen Heuboden, in dem jede Menge Holz lagert. Bretter, Latten, Dauben, halbfertige und fertige Tröge, Kübel und Fässer in allen Größen säumen die Wände. Roh- und Halbrohmaterial für Josef, den „Kübler“ (in Ostösterreich würde man „Fasslbinder“ sagen), der ruhig daran vorbei zu einem Kontor schreitet, das am Ende des etwa 100 Quadratmeter großen Lagerraums liegt. Der kleine, in die Halle hineingebaute Raum hat Fenster nach außen und in den Heuboden hinein. Er ist Josef Matts Arbeitsplatz – allerdings nur, wenn er gerade Lust auf Arbeit hat. Josef Matt ist ja schon 71 Jahre alt und bereits im Ruhestand. Er war zeitlebens ­Nebenerwerbsbauer. Und wenn ihm heute langweilig wird, macht er etwas, was ihm sein Vater in seiner Jugend beigebracht hat: Er baut Kübel. Also, Kübel ist eigentlich zu simpel gesagt. Er baut hölzerne Gebinde (das heißt hier „Gebsen“) für verschiedenste Zwecke: Vom Schöpfer bis zur Badewanne, von der Obstschale bis zum ➻

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Auf der alten Werkbank, unter anderem auch Schnitzbock genannt, schneidet Matt eine exakt bemessene Kerbe als Führung in die Dauben. Der Kübelboden (rechts) passt da auf den Millimeter genau hinein.

Butterfass, vom Nussknacker bis zum Schnapsfässchen – all das machen die Innerlaternser Kübler, eine Genossenschaft, der Matt angehört. Wir befinden uns hier nämlich im Laternsertal, das, bei Rankweil beginnend, parallel zum Großen Walsertal verläuft. Laterns ist bis heute von Walsern besiedelt, die ursprünglich aus dem schweizerischen Wallis stammen. Im Spätmittelalter waren zahlreiche Walliser gezwungen, ihr Land zu verlassen, weil sie dort zu verhungern drohten. Und so kamen sie nach Vorarlberg, nach Graubünden und in den Westen Tirols, wo ihnen abgelegene, unerschlossene Täler zur Verfügung gestellt wurden, die sie urbar machten und besiedelten. Das Große Walsertal und das Kleinwalsertal legen namentlich Zeugnis von dieser Landnahme ab. Aber auch das Laternsertal, das kaum wer kennt, obwohl es die angesehensten Kübler Vorarlbergs beheimatet.

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Sechzehn formelle Mitglieder hat die 1902 gegründete Laternser Kübler-Genossenschaft, vier davon sind noch aktiv, alle jenseits der 70. Ihre Produkte genießen einen besonderen Ruf. Und wenn man Josef Matt beim Arbeiten zusieht, weiß man, warum. am schneidesel schützt ein brett

Matt nimmt am Schneidesel Platz, einem ­alten bäuerlichen Arbeitsgerät, einer Art Werkbank, auch Schnitz- oder Schindelbock genannt. Dann hängt er sich ein kleines Holzbrett, in dem ein Pflock steckt, an einer Schnur um den Hals. Wir schauen verdutzt. Er merkt das zwar, sagt allerdings nichts. Er redet nicht gern, und schon gar nicht gern viel. Ohne Worte nimmt er also ein unbehandeltes Fichtenholzstück zur Hand, legt es auf den Schneid­ esel, fixiert es hinten am Esel und mit dem Pflock, der vor seiner Brust hängt. Ach so!

Zwölf verschiedene Hohlmesser liegen neben ihm. Josef greift sich eines und beginnt nun, damit das Holz abzuziehen und zuzuschneiden. Er zieht das Messer wie einen Hobel über das Holz, in Richtung seiner Brust, die, ach so!, durch das davorhängende Brett geschützt wird, falls er abrutscht. Nach einiger Zeit ist die Schindel zu einer kleinen Fassdaube geworden, glatt und ebenmäßig. Sieben solche Dauben schnitzt Josef Matt für einen kleinen Kübel – eine davon ist höher als die anderen, sie wird später den Griff bilden. Unglaublich! Die Dauben sind so gleichmäßig gearbeitet, was sowohl die Stärke als auch die Krümmung anlangt, dass man meinen könnte, sie kämen aus ­einer Präzisionsmaschine. Wie lange er dieses Handwerk schon betreibt? „Seit elf Jahren, seit ich in Pension bin.“ Matt nimmt jetzt einen kreisrunden Fassboden zur Hand und schaut ihn sich


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Leim und Nägel? „Das alles brauch ich nicht. Man muss nur genau ­a rbeiten.“

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Bevor die Dauben mit Reifen aus hartem Nuss- oder Eschenholz gebunden werden, glättet sie der 71-jäh­ rige Laternser mit unterschiedlichen Hohl­ messern (rechts). Matt und seine KüblerKollegen erzeugen auch Badewannen und Nussknacker-Gebsen (Foto unten).

von der Seite genau an. Dann schneidet er in die Dauben nahe dem unteren Rand eine Rinne. Das wird die Führung, in die der Boden später exakt hineinpasst. Die Dauben werden fest am Boden halten. Auch ohne Leim und Nagel. „Das alles brauche ich nicht. Man muss nur genau arbeiten.“ Weil der Kübel ohne weitere Befestigung bei Belastung trotzdem auseinanderfallen würde, ist ein vorletzter Arbeitsgang nötig: Von unten werden zwei Reifen auf den Kübel geschoben. Sie sind aus Nuss- oder Eschenholz, besonders harte Holzarten, und werden von Josef Matt zuvor einige Tage ins Wasser gelegt, damit sie biegsam werden. An ihren beiden Enden sind ineinanderpassende Verschlüsse eingeschnitten. Matt wickelt sie unten und oben um die Gebse, sodass sie gut am Fass anliegen – und verschließt sie. Durch die Trocknung werden sie dann noch ein wenig zusammengezogen und verleihen den Dauben festen Halt. Die Fichte muss zehn Jahre lagern

Die Dauben sind übrigens aus viel weicherem Fichtenholz, das frei von Astansätzen und sehr gleichmäßig gefasert sein muss, damit es etwas hermacht. Josef Matt besorgt es sich im Holzlager der Genossenschaft. „Das Holz muss zehn Jahre abliegen, bevor ich es verwenden kann“, sagt er. Das bedeutet natürlich einiges an Lagerkosten für den Freizeit-Kübler, aber das stört ihn nicht. „Denn nur so hat man die richtige Qualität.“ Der letzte Arbeitsschritt in der Kübel­ produktion ist eher kosmetischer Natur: Die Dauben werden am Rand gleichgeschnitten und abgerundet, der Griff wird verziert. Auch das erledigt der Kübler nur mit dem Messer – wie praktisch die gesamte Arbeit. Dafür stehen ihm Hohl- und Schneidemesser unterschiedlichster Art und Größe zur Verfügung. Er schneidet ruhig und mit traumwandlerischer Sicherheit, und am Ende steht da ein Kübel wie für eine Ausstellung – schön, fest und dicht. Josef Matt wird ihn später zur Genossenschaft bringen, denn mit dem Verkauf oder Vertrieb will er sich nicht abgeben. Mit uns übrigens auch nicht mehr. Zwei kleine Kübel hat er heute gemacht, das reicht. Er geht über den Hof zurück in sein Bauernhaus, da muss er nicht mehr so viel reden. 3

Die Kübler im Laternsertal wurden anlässlich des UNO-Jahres der Genossenschaften von der Fotografin und Autorin Rita Bertolini bei ihrer Arbeit begleitet. Ihr aktuelles Buchprojekt wird sie im Herbst 2012 vorstellen.

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Foto: Katharina Gossow

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