Standortmagazin 179: Themenheft 2017 #Wandel

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179 Das Standortmagazin der Region Stuttgart Themenheft 2017

#Wandel Die Wirtschaft in der Region Stuttgart stellt sich der Veränderung

Wenn die Kehrmaschine „Hilfe“ ruft Kollege Roboter auf der Überholspur Anleitung zum Schweben


Mannschaftsspieler

Im Coworking Herrenberg arbeiten Menschen aus verschiedenen Unternehmen und Organisationen gemeinsam unter einem Dach. Dieses Arbeitsmodell erobert nicht nur zunehmend die Metropolen, sondern etabliert sich auch in den Städten mittlerer Größe. Coworking vernetzt Menschen und Unternehmen, spart Zeit und vermeidet lange Pendlerwege. Es ist somit ein Konzept für Arbeiten 4.0 wie auch für Mobilität 4.0.

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Das Standortmagazin der Region Stuttgart – Themenheft 2017: Wandel


Matthias Hangst

Stichwort: Wandel Die Region Stuttgart gehört zu den industriellen Kraftzentren Europas. Bei den Innovationsstatistiken stehen wir ganz vorne, seit Jahrzehnten haben wir eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten Deutschlands. Kurzum: Wir leben und arbeiten an einem der besten Standorte Europas. Der Erfolg ist allerdings nicht in Stein gemeißelt. Wir erleben derzeit nicht weniger als eine Zeitenwende. Die Digitalisierung und die damit verbundenen neuen Geschäftsmodelle, aber auch neue Antriebe im Automobilbau rütteln an den Grundfesten unseres wirtschaftlichen Erfolgs.

Wie erleben die Menschen die Veränderungen ganz persönlich an ihrem Arbeitsplatz? Das fragte die Fotografin und Journalistin Lena Reiner Menschen aus der ganzen Region für die Mini-Porträtserie „#Wandel“, die Sie über das ganze Heft verteilt finden.

Wie stellen sich die Unternehmen dem Wandel? Wo liegen die Herausforderungen, vor allem aber: Welche neuen Chancen tun sich auf? Einige beispielhafte Antworten lesen Sie in dieser Themenausgabe des Standortmagazins 179.

Ja: Als erfolgsverwöhnter Standort haben wir durch den rasanten Wandel mehr zu verlieren als andere. Dank unserer Wirtschaftskraft, unserer Technologiestärke und unserer regionalen Strukturen sind wir aber auch besser aufgestellt. Wenn wir diese Stärken nutzen, werden wir den Wandel meistern.

Der Maschinenbau etwa setzt auf Vernetzung der Produkte und Vernetzung der Produktion. Im Fahrzeugbau steht die Elektromobilität weit oben, auch die Zulieferer stellen sich auf die neuen Technologien ein. Autonomes Fahren eröffnet Chancen für Digital-Startups, wie unser Gründerporträt zeigt. Die Digitalisierung revolutioniert auch viele Bereiche der Kreativwirtschaft – von den Verlagen über Journalismus und Architektur bis zur Filmproduktion.

Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen

Durch den Wandel entstehen zudem neue Formen der Zusammenarbeit und darauf zugeschnittene Raumkonzepte und Geschäftsmodelle. Organisationsformen wie agiles Management finden sich mittlerweile auch in klassischen Branchen wie dem Maschinenbau.

HASSFOTO | Christian Hass

Inhalt Auftakt Interview: „Nicht auf den Erfolgen ausruhen“

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Neu in der Region Menschmaschinen und mehr

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Kompakt

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Branchenfokus: Maschinenbau Wenn die Kehrmaschine „Hilfe“ ruft / Cloud für Zerspaner / Die DigitalPioniere aus Ditzingen / Kollege Roboter auf der Überholspur

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Der unerwartete Helfer Michael Ohnewald porträtiert den Unternehmer Heiner Scholz

willkommen

Editorial

Dr. Walter Rogg Geschäftsführer Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS)

Branchenfokus: Kreativwirtschaft Interview: „Das Leserverhalten wird sich weiter ändern” / Digitales Tiefsee-Erlebnis / Massentexte aus Datenmassen / Filme schneiden ohne Cutter / Alle unter einem Dach

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Branchenfokus: Handwerk + Bau Schluss mit Opas Baustelle / Das Beste aus zwei Welten

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Fachkräfte Interview: „Raum ist der beste Katalysator“ / Die agilen Maschinenbauer

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Wissenschaft Zauberfarben aus der Nanowelt / Erdbeeraroma aus Biogas / Künstliche Kraftstoffe aus Klimakillern / Baugeschichte digital

Wirtschaftsförderung Region Stuttgart Aktuell Anleitung zum Schweben / Meldungen

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Innovation Vom T-Shirt auf das Smartphone

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Branchenfokus: Handel Das Hotel als Kaufhaus / Lease a Bike!

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Branchenfokus: Fahrzeugbau Interview: „Elektromobilität steht ganz oben“ / Ungefilterte Wahrheiten / Forschen für den Wandel

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Existenzgründung Interview: „Der Mittelstand von morgen“ / Autofahrt 4.0

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Auftakt

„Nicht auf den Erfolgen ausruhen“

179: Die Region Stuttgart im Jahr 2027: Was sehen Sie vor Ihrem geistigen Auge? Koch: Einen anhaltend wirtschaftlich und technologisch führenden Standort. Die Region ist gewachsen, im Vergleich zu heute ist sie bunter, internationaler und weltoffener, aber gesellschaftlich älter und reifer. Ein S-Bahn-ähnlicher Takt von Hochgeschwindigkeitszügen verbindet Stuttgarter Hauptbahnhof und Flughafen mit anderen Ballungszentren. 2027 wird die Internationale Bauausstellung die Region zum Labor für Städte der Zukunft gemacht haben. Nicht aus dem Blick geraten darf allerdings der Trend der Digitalisierung. Gerade Letzteres bringt ja große Umbrüche. Muss uns das nicht auch Sorgen machen? Die Region sollte auf die Entwicklungen vorbereitet sein, aber sich nicht dauernd Sorgen machen. Was sollen andere Regionen in Deutschland und Europa auf einem deutlich schlechteren Niveau sagen, wenn sich die Region Stuttgart schon Sorgen macht? Ich habe den Eindruck, dass in starken industriell geprägten Regionen oftmals zu sehr die Risiken der Veränderungen diskutiert und zu wenig die Potenziale erkannt werden. Entscheidend ist aber sicher, frühzeitig Entwicklungen zu antizipieren. Wo gibt es Defizite in der Region Stuttgart? Die Region Stuttgart erlebt in vielen Feldern Engpässe, die sich teilweise

verstärken, etwa die Flächenknappheit. Ansässige Unternehmen können bei größeren Investitionen oft keine passenden Erweiterungsflächen finden. Gleichzeitig fehlt es an bezahlbarem Wohnraum für Fachkräfte von außen. Die Verkehrsbelastung liegt in den Stoßzeiten weit über den Kapazitätsgrenzen – ein Hindernis für Berufspendler sowie den Güterverkehr. Diese Infrastrukturprobleme könnten sich auf die Entwicklung auswirken. Deshalb müssen sie jetzt gezielt angegangen werden. Wie gut sind die hiesigen Unternehmen auf den Wandel vorbereitet? Über die großen Unternehmen müssen wir uns eigentlich wenig Gedanken machen. Sie haben eigene Stäbe, ZukunftsLabs und eine Vielzahl an Beratern. Im Mittelstand sieht es in der Breite jedoch anders aus. Hier werden die Veränderungen gerade in Zeiten voller Auftragsbücher leider eher geschoben. Die Schere der Veränderungsbereitschaft bei Themen wie Digitalisierung, Innovation sowie neue Arbeitskonzepte öffnet sich zwischen großen und kleineren Unternehmen. Was können die kleineren Firmen tun? Netzwerke und Allianzen sind der entscheidende Hebel für viele Herausforderungen. Warum sich als Einzelkämpfer verdingen, wenn man mit Verbündeten Synergien gemeinsam heben kann? Nicht jeder muss das Rad neu erfinden. Zudem müssen sich die Unternehmen aktiv mit dem Wandel und möglichen Konsequenzen für ihren Betrieb und

Prognos/Koroll

interview

Der Regionalökonom Tobias Koch, Leiter des Stuttgarter Büros der Prognos AG, über den Wandel in der Region Stuttgart

das jeweilige Geschäftsmodell beschäftigen. Da kommen auch die vielen Unterstützungsangebote der regionalen Partner ins Spiel. Wo steht die Region Stuttgart im Vergleich mit anderen? Die Region ist stark, groß und technologieorientiert und wird von den beeindruckenden F&E-Kapazitäten der ansässigen Großunternehmen geprägt. Sie ist Teil der Technologieachse Süd von Karlsruhe über Stuttgart, Ulm, Augsburg bis München. In ihrem Erfolg gleicht die Region Stuttgart aber einem großen Tanker. Die Veränderungsdynamik geht dagegen oft von Schnellbooten aus – kleineren, aber starken Technologiestandorten. Daher darf sich die Region Stuttgart nicht zu selbstbewusst auf den Erfolgen ausruhen, sondern muss führende Regionen in Europa sowie kleine Standorte im Umfeld beobachten. Der regelmäßige Blick über den Tellerrand lohnt sich. Die Fragen stellte Tobias Schiller

#Wandel

» Ohne Computer geht nichts mehr. Bei vielen Autos schaut man im Motor raum nur auf eine blanke Platte. Das Lesegerät spuckt aber nicht direkt aus, was defekt ist, es liefert eine Richtung. Für das Reparieren, den Kundenservice und die kundenfreundlichste Diagnose ist der Mensch unabdingbar.« Tanja Brändle, Mitinhaberin der Mehrmarkenwerkstatt B+L AutoService + PflegeCenter GmbH in Stuttgart

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Neu in der Region

Menschmaschinen und mehr Das Stuttgarter Future Work Lab macht den digitalen Wandel der Arbeit erlebbar

Auf den 1.000 Quadratmetern, die das FWL einnimmt, sind bisher 30 industrielle Anwendungen installiert; in einigen Monaten sollen es 50 Systeme sein. „Da wir die komplette Wertschöpfungskette abdecken wollen, berücksichtigen wir alle Aspekte des Arbeitsplatzes eines Industrial Engineers der Zukunft, also auch indirekte Bereiche wie die produktionsnahe Verwaltung“, erklärt Simon Schumacher, Projektleiter seitens des IPA, der sich die Verantwortung mit Dr. Moritz Hämmerle vom IAO teilt. „Viel Beachtung finden fahrerlose Transportsysteme, die nur noch Stationen ansteuern, die wirklich notwendig sind und Fließbänder ersetzen sollen, Assistenzsysteme in der manuellen Montage bis hin zu Virtual Reality und Augmented Reality, die ebenfalls großes Interesse wecken“, sagt Schumacher.

Das FWL ist ein besonderer Ort, um die Begriffe Digitalisierung und Industrie 4.0 mit Leben zu füllen und ihre Bedeutung für die Produktionsarbeit anschaulich zu machen. „Insofern eröffnet es auch neue Möglichkeiten für den öffentlichen Dialog zwischen Bürgern, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft bezüglich der digitalen Transformation, die Arbeit und Produktionswelt nachhaltig verändern wird. Wir machen hier Zukunft erlebbar.“ Zu den spektakulärsten Highlights gehört das erwähnte „Maschinenwesen“, das in Wirklichkeit weder Cyborg noch Roboter ist, sondern lediglich ein Mensch im Exoskelett, das beim Heben schwerer Lasten Rücken und Gelenke des Anwenders massiv entlastet. „Bei unseren Besuchern, die überwiegend Planer und Facharbeiter mit gutem Vorwissen sind oder aus den Personalabteilungen kommen, ist das Exoskelett sehr gefragt“, sagt Simon Schumacher.

praktisch

Das FWL ist ein eigenständiger Teil des Forschungscampus Arena 2036 der Universität Stuttgart und versteht sich als Zukunftsfabrik des Automobilbaus. In der Arena arbeiten auf 7.000 Quadratmetern Fläche unterschiedlichste Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft unter einem Dach an Innovationen aus den Bereichen Material und Produktionsverfahren im Automobilbau, etwa an der Auflösung des klassischen Fließbands in modulare Strukturen, die sich an das jeweilige Produkt anpassen.

Ludmilla Parsyak / Fraunhofer IPA

Selbst ein erfahrener Industriemeister hält den Atem an, wenn er sich in dieser Sammlung von Produktionsanlagen wiederfindet. Mit der Ausstattung einer herkömmlichen Fabrik hat das nur noch wenig zu tun. Wer wissen und erleben will, wie sich Arbeit in der Ära von Industrie 4.0 anfühlt und keine Scheu vor einem „Wesen“ hat, bei dem man sich erst einmal fragt, ob es sich um einen Menschen oder um eine Maschine handelt, ist hier genau richtig: In ihrem Future Work Lab (FWL) zeigen die beiden Stuttgarter FraunhoferInstitute IAO und IPA sowie zwei Institute der Universität Stuttgart, was Industriearbeit der Zukunft wirklich bedeutet. Mit Demonstratoren von Produktionsanlagen, darunter zahlreichen Robotern, Angeboten zur Kompetenzentwicklung und Weiterbildung sowie einer Plattform für den wissenschaftlichen Austausch richtet sich das FWL an Industrie, Sozialpartner, Politik und Wissenschaft – und ganz konkret an die Produktionsmitarbeiter der Zukunft.

Die Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ zählt das Future Work Lab zu den 100 innovativen Preisträgern des Wettbewerbs „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen 2017“. Wer selbst erleben will, wie sich die Industriearbeit der Zukunft anfühlt, kann sich zu einem der Open Lab Days anmelden. Hartmut Zeeb futureworklab.de

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Digital Champions Award für Takkt Für ihre digitale Transformationsstrategie hat die Stuttgarter Takkt AG den Digital Champions Award 2017 erhalten. Der Spezialversandhändler für Geschäftsausstattung überzeugte die Jury mit seinem ganzheitlichen Ansatz und belegte den ersten Platz in der Kategorie „Digitale Prozesse und Organisation“. Die TakktGruppe beschäftigt in mehreren Tochtergesellschaften weltweit über 2.000 Mitarbeiter und hat knapp drei Millionen Kunden. Das Sortiment umfasst über eine halbe Million Produkte – etwa Büromöbel, Computerschränke, Transportverpackungen, Hubwagen oder Gastronomiebedarf. (hel)

Lego für Maschinenbauer Das Stuttgarter Startup Meshparts hat eine Simulationssoftware für den Maschinenbau entwickelt, die den Bau von Prototypen überflüssig machen soll. Maschinenbauer und Zulieferer von Komponenten können damit komplexe Maschinen und Baugruppen simulieren. In die Software ist eine Bibliothek mit zahlreichen in der Praxis häufig verwendeten Einzelteilen und deren Eigenschaften integriert. Diese werden als fertige Komponenten in den simulierten Prototypen exportiert und anschließend wie beim Legospiel zusammengesetzt. Das ermöglicht einen schnellen virtuellen Aufbau der Modelle sowie eine rasche Änderung durch einfaches Ersetzen der Einzelkomponenten, ohne das Gesamtmodell verändern zu müssen.

Gress

takkt.de

Meshparts

kompakt

Aktuell

Augmented Reality im Friseursalon Seit vielen Jahren setzt Gress Friseure in Esslingen auf digitale Anwendungen – speziell in der Kundenkommunikation. Im aktuellen Kundenmagazin können die Leser nun eine Augmented-RealityAnwendung (AR) ausprobieren: Auf einer Seite sind zahlreiche Fotos von Mitarbeitern abgebildet. Hält ein Benutzer sein Smartphone auf ein Bild, stellt sich die betreffende Person mit einem kurzen Video vor.

„Ob ergänzende Produktinformation, ein Tutorial oder Wissenswertes über Aktionen und Veranstaltungen: Wir nutzen die neuen digitalen Möglichkeiten und halten die Menschen so gerne auf dem Laufenden“, erklärt Peter Gress. Augmented Reality hat sich in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen durchgesetzt, etwa bei Museen und Ausstellungen oder auch als virtuelle Bande in der Fernsehwerbung. Bei Gress ist ihr Einsatz Bestandteil einer umfassenden betrieblichen Digitalstrategie. (hel) gress.de

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„Unsere Simulationssoftware soll zur Standardsoftware im Maschinenbau werden“, erläutert Alexandru Dadalau, Gründer der Meshparts GmbH, seine Vision. Sein Baukastensystem betrachtet er als Alleinstellungsmerkmal unter den Simulationsprogrammen. Als Investor hat er die Stuttgarter Gips-Schüle-Stiftung gewonnen. Die Software hat Dadalau während seiner Forschungstätigkeit am Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen (ISW) an der Universität Stuttgart entwickelt und im Jahr 2013 sein Unternehmen gegründet. (hel) meshparts.de

Parken leicht gemacht Der neue Wohnturm Cloud No. 7 in der Stuttgarter Innenstadt erhält eine vollautomatische Tiefgarage. Die Autofahrer müssen das Fahrzeug lediglich oberirdisch in einen Übergaberaum hineinfahren, den Rest erledigt die Technik. Per Knopfdruck verschwindet das Auto im Boden auf einer Palette, die von einem Schienensystem zum endgültigen Stellplatz befördert wird. Beim Abholen wird der Vorgang in umgekehrter Reihenfolge in Gang gesetzt sowie das Fahrzeug in Fahrtrichtung gedreht. In der Tiefgarage stehen 129 Parkplätze auf engstem Raum zur Verfügung, davon 20 mit Ladestationen für E-Autos. (hel) cloudno7.de


Branchenfokus

Wenn die Kehrmaschine „Hilfe“ ruft

Montagmorgen in einem großen Supermarkt: Wo sonst eine Scheuersaugmaschine für saubere Fußböden sorgt, herrscht heute kurz vor Ladenöffnung Chaos. Ein Mitarbeiter des Gebäudereinigungsunternehmens ist krank geworden und der Ersatzmann weiß nicht, wo er die Reinigungsmaschine findet. „Auf diese oder andere Art gehen Reinigungsunternehmen jedes Jahr sieben Prozent ihrer teuren Maschinen kurzfristig oder dauerhaft verloren. Und da sind Umsatzeinbußen, Mehrarbeit und zusätzliche Kosten noch nicht mitgerechnet“, berichtet Dr. Friedrich Völker, Manager Digital Products bei Alfred Kärcher, dem Weltmarktführer für Reinigungsmaschinen aus Winnenden. „Das muss nicht sein, denn mit unserem neuen Flottenmanagement Kärcher Fleet behält der Unternehmer immer und überall den Überblick über die Maschinenflotte und ihren Zustand.“ Er könne in jeder Situation schnell reagieren und seine Geräteeinsätze effizient organisieren. Wie das geht? Eine in die Reinigungsgeräte integrierte Telematik-Box – das digitale Herzstück des Systems – erfasst alle wichtigen Maschinendaten und Informationen und übermittelt diese via Mobilfunk in die sichere Cloud. Dort werden die Daten analysiert und aufbereitet. Betreiber können so Betriebs- und Wartungszustände, Ladezyklen und Einsatzorte jederzeit und von jedem beliebigen Ort auf der Welt aus einsehen – lediglich eine Internetverbindung ist nötig. Die Box übermittelt Zahlen in Echtzeit sowie die Einsatzhistorie, kann Kosten den richtigen Maschinen und dem richtigen Objekt zuordnen, weiß also, wann und wo welche Maschine benutzt wird oder wurde und welche Probleme es bei einem speziellen Gerät gibt. So kann der Betreiber bequem auf Probleme reagieren, bevor der Kunde sie überhaupt bemerkt. Darüber hinaus kann sich ein Servicetechniker über eine Remote-Verbindung auf die Maschine schalten, Fehler analysieren

und bei Bedarf online beheben. Das spart Kosten, gewährleistet reibungslose Arbeitsabläufe und setzt noch nicht einmal die Installation einer Software voraus. Kärcher Fleet benachrichtigt den Gebäudereinigungsunternehmer aktiv bei Nichteinhaltung von Reinigungsintervallen, bei Ausfall oder bei Diebstahl einer Maschine. „Wir haben diese einzigartige Technologie aber nicht zum Einsatz gebracht weil das ‚Internet of Things’ aktuell ein Modethema ist, sondern, weil wir unseren Kunden damit einen Mehrwert bieten wollen, den sie bei anderen Reinigungsmaschinenherstellern nicht bekommen“, erklärt Friedrich Völker. „Unsere neuen Scheuersaug- und Kehrmaschinen, Hochdruckanlagen an SB-Autowaschplätzen und Trinkwasserspender können inzwischen mit der neuen Telematik ausgestattet werden. Für neun Länder, darunter Deutschland, bauen wir die Hardware sogar serienmäßig in unsere Scheuersaugmaschinen ein. Auf Wunsch kann die Box auch in ältere Baureihen oder in Geräte anderer Anbieter nachgerüstet werden. Bei uns ist Vernetzung eben Standard.“ Sonja Madeja kaercher.com

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Kärcher

Mit Kärcher Fleet hat die Zukunft des digitalen Putzens begonnen

#Wandel

» Hema hat vor gut drei Jahren die hierarchische Struktur verändert. Wir arbeiten jetzt in kleinen Teams und mit viel Eigenverantwortung. Früher gab es einen Meister, der den Einkauf regelte und uns sagte, was wir zu tun haben. Heute organisieren wir das alles selbst. Das spart oft Zeit, weil jeder in seinem Fachbereich den besten Überblick hat.« René Losert, Mitarbeiter in der Fertigung bei der Hema Maschinenbau GmbH in Frickenhausen

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Branchenfokus

Cloud für Zerspaner Zerspanung ist die Kernkompetenz der Komet Group aus Besigheim: Hochpräzise Werkzeuge für Bohren, Fräsen und Reiben bilden das Gerüst der Produktpalette. In fast 100 Jahren Firmengeschichte hat die Firma mehr als 900 Patente angemeldet, Material und Bearbeitungsverfahren ständig verbessert. Seit 2012 stehen nun auch die Prozesse der Kunden im Fokus. Komet hat dafür ein digitales Überwachungswerkzeug

entwickelt, das jederzeit Auskunft über den Zustand der Werkzeuge gibt und rechtzeitig vor Bruch oder kritischem Verschleiß warnt, um die Werkzeuge zum optimalen Zeitpunkt auszuwechseln. „Mit dem Assistenzsystem Tool-Scope haben wir uns als erstes Unternehmen der Werkzeugbranche klar für die Digitalisierung in der Zerspanungswelt positioniert“, erklärt Geschäftsführer Dr. Christof Bönsch.

kometgroup.com

Die Digital-Pioniere aus Ditzingen Der Weltmarktführer für Blechbearbeitungsmaschinen Trumpf unterstützt Unternehmen auf dem Weg zur Smart Factory

Kaum ein Maschinenbauer in Deutschland geht beim Thema Digitalisierung so sehr in die Offensive wie Trumpf. Das Familienunternehmen aus Ditzingen, mit seinen Werkzeugmaschinen für die Blechbearbeitung und mit seiner Lasertechnik weltweit führend, hat sich in den letzten Jahren immer stärker auch zu einem Anbieter von digitalen Technologien entwickelt.

Trumpf

Aufbauend auf seiner Erfahrung im Maschinenbau entwickelt Trumpf ein eigenes Beratungs- und IT-Geschäftsfeld für Blechbearbeiter, die ihren Betrieb zur „Smart Factory“, zur intelligenten Fabrik ausbauen möchten. So bietet Trumpf seinen Kunden heute Dienstleistungen und Technologien für eine durchgängige Erhebung, Verarbeitung und Speicherung von Daten innerhalb ihrer Produktion. „Unser Ziel ist es, dass Maschinen in Zukunft nicht mehr stillstehen, dass immer genügend Material vorhanden ist, dass alle Anlagen optimal ausgelastet sind und auch aus der Ferne bedient werden können“, erklärt Trumpf-Geschäftsführer Dr. Mathias Kammüller. Mit der Gründung der Axoom GmbH im Jahr 2015 geht Trumpf noch einen Schritt weiter. Industrie-4.0-Lösungen werden nun nicht mehr nur den eigenen Kunden

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Verschiedene Apps unterstützen die Kunden, etwa mit einem automatischen Schichtenbuch, einer Werkzeugwechselhistorie und weiteren kleinen Helfern für die Metallbearbeitung. Daten aus den Maschinen werden sicher in der KometCloud gespeichert und dort analysiert. Hierfür benötigen Kunden nicht einmal mehr eine IT-Hardware, sondern können ihre Maschinen direkt mit der Cloud verbinden. (or)

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zur Verfügung gestellt, sondern auch anderen Maschinenherstellern und Fertigungsbetrieben. Axoom fungiert wie ein Betriebssystem mit verschiedenen Apps für eine vernetzte Produktion. Es bietet digitale Werkzeuge etwa zur Auftragsbearbeitung, zur Ressourcenbeschaffung oder zur Produktionsplanung. Zudem können Maschinenhersteller über die Software Daten aus den Maschinen ihrer Kunden erheben. Wie eine Smart Factory funktioniert, zeigt ein neues Technologiezentrum, das Trumpf im Herbst 2017 in Chicago eröffnet hat. Alle Elemente der intelligenten Fabrik, von der digitalen Beauftragung über die Fertigungsplanung und -steuerung bis hin zur Auslieferung können hier live besichtigt und getestet werden. „Das Zusammenspiel von Menschen, Maschinen, Lagertechnik, Automatisierung und Software möchten wir für unsere Kunden auf diese Weise erlebbar machen“, erläutert Mathias Kammüller. Und mehr noch: Die Kunden können die Smart Factory auch für eigene Aufträge nutzen. So kann Trumpf noch mehr Alltagserfahrungen sammeln und die Technologien kontinuierlich weiterentwickeln. Oliver Reichert trumpf.com


Branchenfokus

Kollege Roboter auf der Überholspur Intelligente Technik-Unterstützung eröffnet neue Dimension der Teilhabe für Menschen mit Behinderungen

Im Rahmen des vom Bund geförderten Forschungsprojekts AQUIAS hat das Inklusionsunternehmen ISAK aus Sachsenheim gemeinsam mit dem Fraunhofer IAO und der Firma Bosch einen MRK-Arbeitsplatz für Schwerbehinderte auf der Basis des mobilen Bosch-Produktionsassistenten APAS vorgestellt.

Bei ISAK arbeiten Menschen mit unterschiedlichen Leistungseinschränkungen in der Montage. „Die Robotik unterstützt Schwerbehinderte und Nichtbehinderte beim Heben und Tragen“, sagt ISAK-Geschäftsführer Thomas Wenzler – und spannt den Bogen weiter: „Im Hinblick auf eine alternde Belegschaft infolge längerer Lebensarbeitszeiten ist das für alle interessant.“

Spielkonsolen als Kostensenker

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Heute begegnen wir ihnen in der Fabrik, im Garten, in der Pflege. Wir haben uns daran gewöhnt, kugelige Automaten den Rasen mähen zu lassen, und wenn sie demnächst unsere gebrechlichen Großeltern ins Badezimmer begleiten, werden wir wohl auch daran keinen Anstoß nehmen. In der Industrie ermöglicht die Digitalisierung eine Zusammenarbeit von Mensch und Maschine, die bisher aus Sicherheitsgründen so nicht genehmigungsfähig war. Eine neue Generation von Sensoren hat der Mensch-RoboterKollaboration (MRK) Wege eröffnet, die nicht nur neue Dimensionen der Produktivität, sondern auch neue Chancen für die Teilhabe von behinderten Menschen eröffnen.

Ludmilla Parsyak / Fraunhofer IAO

Ob der polnische Schriftsteller Stanislaw Lem geahnt hat, wie nah er der Wirklichkeit war, als er 1964 seine „Robotermärchen“ veröffentlichte? Für Nicht-Utopisten kann es im vordigitalen Zeitalter kaum vorstellbar gewesen sein, was Automaten heute leisten. Mit den Blechkameraden aus Science-Fiction-Filmen haben sie wenig gemein.

#Wandel

Die Schnaithmann Maschinenbau GmbH aus Remshalden hat eine Idee entwickelt, die sich spektakulärer anhört, als sie aus technischer Sicht sein mag. „Wir haben gemeinsam mit der Hochschule Esslingen und der Beschützenden Werkstätte Heilbronn ein Assistenzsystem zur manuellen Montage von Baugruppen entwickelt und sind dabei auf die Idee gekommen, preiswerte Elemente aus Massenprodukten, nämlich Spielkonsolen zu verwenden“, erklärt Entwicklungsleiter Volker Sieber. Die Kostenargumente sind unschlagbar: Mit den Konsolen kostet Bewegungserkennung 200 Euro, wo für hochauflösende Industriesensoren bis zu 10.000 Euro fällig gewesen wären. Bei der Schnaithmann-Lösung arbeitet ein Einarmroboter mit dem Menschen Hand in Hand. Dank der „SpielzeugSensoren“ hält er inne, sobald er den menschlichen Kollegen auch nur sanft berührt. „Wir sind in die Werkstätte gekommen, um ein Lean-Projekt zu machen, eine normale Arbeitsplatzplanung, denn auch solche Industriebetriebe müssen just-in-sequence auf Fließbänder liefern“, so Sieber. Auch dieser Arbeitsplatz hat sich bewährt und kommt in regulären Unternehmen zum Einsatz – vor allem für die Herstellung von Produkten mit großer Variantenvielfalt. Sonja Madeja

» Früher hatte ich in meinem Büro Aktenschränke bis unter die Decke. Heute funktioniert das alles papierfrei. Auch auf Reisen gehe ich nur mit iPad, Handy und Ladegeräten. Beim Umzug meines Büros habe ich gesagt, dass ich nur zwei Umzugs kartons brauche. Am Ende war es bloß einer – plus meine Tasche mit Waldarbeitskleidung und Schutzausrüstung.« Dr. Bertram Kandziora, Vorstandsvorsitzender der Stihl AG aus Waiblingen

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Der unerwartete Helfer Heiner Scholz ist gesegnet mit dem Gespür für gute Ideen. Mit acht hat er Tintenfische vermarktet, jetzt ist er 40 und revolutioniert das Arbeiten. „Wer andere voranbringen will“, sagt er, „der muss sich selbst voll entfalten dürfen.“ Von Michael Ohnewald Ein paar Schönwetterwolken verlieren sich über dem Flugfeld in Böblingen. Ein guter Ort, um Ideen fliegen zu lassen. „Hier lebst du deine Arbeit“, heißt es auf einem kleinen Schild neben einer langen Theke, auf der frisches Obst auf die Belegschaft der Dexina GmbH wartet. Es gibt eine Kaffeemaschine, die keine Wünsche übrig lässt, und daneben ein Schneidebrett mit frischem Ingwer, dazu Zitronen für den Tee, einen Elefanten, in dem man ungestört ein Nickerchen machen kann, und ein Kinderbüro, in dem Erwachsene die Wände vollkritzeln. Und als wäre das alles nicht schon genug, steht da auch noch dieser Typ in verwaschenen Jeans und blauen Turnschuhen, lugt vertrauensvoll durch seine Randlosbrille und erklärt einem die Welt, jedenfalls die von morgen. Es gibt Menschen, die sich Sorgen machen, wenn sie an den Wandel denken, an veränderte Mobilität, an das Wohnen und Arbeiten der Zukunft. Scholz ist da ein bisschen anders. Wenn die Lust aufs Neue ein Gesicht hat, dann gehört es ihm. Früher hat er sich steife Krawatten um den Hals geschnürt. Damals hat er gerne in Umsätzen gedacht, heute sind ihm die Grundsätze näher, zu denen er Smart Casual trägt. Das passt besser zur neuen Kultur des Arbeitens, die er jetzt vermarktet, wobei das so eigentlich gar nicht geplant war. Bei Nonkonformisten passieren eben öfter mal unvorhergesehene Dinge. Vielleicht lehnt er deshalb so locker an der Theke mit dem Behagen eines Mannes, der sich verwöhnt weiß von der Gunst der Stunde, die sich manchem offenbart, aber nicht von jedem erkannt wird. „Ich habe das nie gemacht, um einen Porsche zu fahren, sondern um etwas zu schaffen und um Freude zu haben“ Das Gespür für gute Ideen und kommende Märkte hat er schon länger. Das erste Mal wurde ihm dies bewusst, als er mit seinen Eltern in Spanien urlaubte. Er war acht, sie hatten nicht viel, und er saß auf einem schmalen Handtuch und beobachtete kleine Iberer, die ins Meer tauchten, um zum Spaß Tintenfische zu jagen und sie danach wieder ins Wasser zu werfen. Da regte sich der Jungunternehmer in ihm und also lief er mit den Burschen zum nächsten Restaurant und brachte dem Koch den noch an der Harpune zappelnden Tintenfisch, woraufhin dieser seine halbwüchsigen Lieferanten mit Eis entlohnte. Es waren noch zwei Wochen Urlaub und

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irgendwann gab es Pesetas für die Fische und am Ende konnte er sich selbst eine Harpune samt Maske und Flossen kaufen. Das hat man in den Genen oder man hat es nicht. Ansonsten hatte der Heiner schulisch betrachtet eher durchschnittliche Gene. Er quälte sich durch die ersten zehn Klassen, ging für ein Jahr nach Amerika, wo man ihm in Mathematik eine besondere Begabung attestierte, die für Harvard gereicht hätte. Er kehrte gestärkt zurück, machte das Abitur und verlegte sich alsbald auf das, was er am besten konnte: Geschäftsideen fliegen lassen. Scholz schenkte sich das Studium und gründete lieber erste Firmen. Eher zufällig landete er bei einem britischen Headhunter, der Führungspersonal für IT-Firmen rekrutierte. Mit diesem Know-how gründete er 2006 gemeinsam mit einem Partner im heimischen Warmbronn die Dexina. „Das steht für Deus ex Machina“, erzählt Scholz, „für die im richtigen Moment auftauchenden, unerwarteten Helfer.“ „Wir haben für uns das Richtige getan und plötzlich gemerkt, dass auch andere so etwas wollen“ Zumindest den richtigen Moment hatten die Firmengründer erwischt. Als Projektmanager und IT-Spezialisten erzielten sie im ersten Jahr einen Umsatz von 350.000 Euro, im dritten Jahr waren es bereits 5,2 Millionen. Das Unternehmen wuchs, hatte zeitweise mehr als 100 feste und freie Mitarbeiter, Aufträge von Firmen wie Daimler, Audi, Würth oder Lidl. „Wir gehörten zu den Top Ten der deutschen Projektmanagement-Beratungsfirmen“, sagt Scholz, der sich dabei stets die innere Freiheit zu bewahren suchte. „Ich habe das nie gemacht, um einen Porsche zu fahren, sondern um etwas zu schaffen und um Freude zu haben.“ Weil sie in Warmbronn aus allen Nähten platzte, mietete sich die Dexina GmbH auf dem Flugfeld in Böblingen ein. Scholz wollte einen Platz schaffen, der auch Raum bieten sollte für das, „was anderswo zu Hause bleiben muss“. Er richtete viele individuelle Ecken ein: Plätze zum Denken, um Neues erschaffen zu können und Nischen, um auszuruhen und aufzutanken. Auch ein Kinderbüro wurde geschaffen, damit die Eltern nicht unter Stress kommen, wenn in der Kita mal wieder pädagogischer Tag ist. Das Team stellte fest, dass man auch zwischen

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porträt Andreas Reeg

Arbeiten verschmelzen. Firmen wie Daimler haben sich bei ihm eingemietet, um die Mobilität der Zukunft an einem Platz zu erkunden, in dem das Arbeiten der Zukunft wohnt. Scholz vermietet pro Mitarbeiter und Monat und stellt alles zur Verfügung, was der Kunde braucht: von der Ananas bis zum Kopierpapier, vom offenen Gruppenraum bis zur abgeschlossenen Denkerzelle.

spielenden Kindern denken kann und dass dies manchmal sogar inspirierend ist. Sie merkten, dass die Haptik aufgebürsteter Eichentische weit mehr die Kreativität beflügelt als die austauschbare Glätte des Furniertischs. Sie beschleunigten ihre Prozesse, indem sie alles verbannten, was Kommunikation erschwert. Flipcharts bekamen Hausverbot. Alle Wände können direkt beschriftet und gewischt werden. „Wir haben für uns das Richtige getan und plötzlich gemerkt, dass auch andere so etwas wollen“, sagt Scholz. Er hatte zwei Unternehmern, für die er zuvor als Projektmanager tätig war, die neuen Räume gezeigt. Zwei Stunden nach der Führung klingelte das Telefon. „Wir haben gerade unseren Firmenneubau gestoppt“, sagten die Chefs. Wie aus dem Nichts hatte Scholz den ersten Auftrag, sein neues Konzept auch außerhalb der eigenen Wände zu verwirklichen. Wie einst bei den Tintenfischen griff er zu. Das Projektmanagement der Dexina, das ohnehin nicht mehr so gefragt war, wurde zurückgefahren, der ITGeschäftsbereich verkauft. Mit einem kleinen Team fing Scholz neu an. Seitdem berät er Firmen, die sich in ihren Arbeitswelten neu einrichten wollen und bietet „shared space“ an, gemeinschaftlich nutzbare Büroräume, in denen sich Kreativität entfalten kann, weil Leben und

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„Wir reden nicht von einem Wandel, wir reden lieber von Weiterentwicklung“, sagt der Selfmade-Unternehmer. Sich neu zu erfinden sei spannend, findet er, auch wenn die Revolution manchmal über Nacht komme wie bei den Digitalkameras, welche das analoge Fotografieren ersetzt und eine ganze Branche begraben haben. Damals hätten die Manager zu sehr in kurzfristiger Rendite gedacht und zu wenig in langfristiger Entwicklung, meint Scholz, der dazu rät, mutiger zu sein auf den Pfaden, die in keiner Landkarte verzeichnet sind. Er selbst geht mit gutem Beispiel voran. Wohin seine Reise führt, kann er nicht mit Gewissheit sagen. Er weiß nur, dass er überzeugt ist und Lust darauf hat. Weil das so ist, denkt er längst wieder größer. In Stuttgart-Feuerbach plant er mit Investoren ein Coworking-Areal namens „Live at Stuttgart“. Auf 36.000 Quadratmetern sollen bis zu 2.000 Menschen zusammen arbeiten können. Es soll ein gutes Restaurant geben, ein Hotel, ein hübsches Kaminzimmer, Platz für Kunst, ein Fitness-Studio und auch ein Schwimmbad. „Ein Ort, der für immer ändert, wie wir arbeiten“, sagt Scholz. In Böblingen auf dem Flugfeld ist derweil alles noch eine Spur kleiner. Während neben der Theke in der Küche die Lasagne im Ofen bruzzelt und im Kinderbüro die Stifte an der Wand tanzen, malt der Hausherr dicke Linien auf ein kleines Papier und philosophiert über die Zunft der Seiltänzer. Er mag das. Wenn er von den Artisten redet, redet er irgendwie auch von sich. Heiner Scholz ist eine Art Seiltanzunternehmer im Zirkus des Alltags. Stets in Bewegung, um in der Balance zu sein.

Für seine Reportagen und Porträts ist Michael Ohnewald mit den renommiertesten Preisen ausgezeichnet worden, die im deutschen Journalismus vergeben werden. Für 179 porträtiert der Ludwigsburger Autor herausragende Persönlichkeiten aus der Region.

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Branchenfokus

Das Hotel als Kaufhaus Hotels verdienen immer weniger an den Übernachtungen und suchen deshalb nach neuen Einnahmequellen – ähnlich den Fluglinien, die in der Luft Uhren, Schmuck und Parfum verkaufen. Die Software des Stuttgarter Startups Hotelshop.one bringt das Angebot aufs Zimmer: Über einen QR-Code oder die Startseite beim Einwählen ins Hotel-WLAN landet der Gast direkt im Shop, der für jedes Hotel individuell gestaltet werden kann. Das Sortiment ist genau auf die Bedürfnisse von Reisenden abgestimmt: Vom vergessenen Ladekabel über Souvenirs bis hin zum Weltstecker ist alles zu haben. Dem Standardsortiment kann jedes Hotel eigene Produkte hinzufügen, seien es Bademäntel, Handtücher oder Teile der Zimmerausstattung. „Die Stehlampe oder den Sessel, die mir im Hotel gut gefallen haben, kann ich jetzt ganz bequem nach Hause bestellen“, erläutert Patrick Deseyve, einer der drei Hotelshop-Gründer.

Hotelshop.one

handel

Das Stuttgarter Startup Hotelshop.one bringt Onlineshopping ins Hotelzimmer

Die gängigsten kleinformatigen Produkte kann der Hotelgast gleich an der Rezeption abholen oder sich ins Zimmer bringen lassen – Ersatz kommt über Nacht aus dem Lager. Größere Einkäufe werden nach Hause geliefert, meist direkt vom Hersteller. „Wenn der Hotelgast bisher an die Rezeption kam und sagte: ‚Ich habe super geschlafen, ich möchte die Matratze‘, konnte das Hotel bisher nicht weiterhelfen. Mit dem Hotelshop können nun aber auch diese Wünsche bedient werden.“

In zahlreichen Häusern ist der Hotelshop schon präsent, fünf große Ketten testen das System derzeit. Ideen und Pläne gibt es viele: rascher Ersatz für kaffeebefleckte Hemden, ortstypische Souvenirs, Eintrittskarten. „Der Gast kann sich auf seinem Smartphone über touristische Orte informieren, in unserem Shop bekommt er künftig gleich die Tickets dafür – alles auf einer Plattform. Und der Hotelier verdient an jedem Verkauf mit.“ (tos) hotelshop.one

Lease a Bike! Nachhaltig Steuern sparen mit dem Dienstrad von Fahrrad.de

fahrrad.de

des Neuwerts wird als geldwerter Vorteil versteuert. Vorausgesetzt, der Arbeitgeber wird zum Leasingnehmer.

Nicht nur Führungskräfte und Außendienstmitarbeiter haben heutzutage die Möglichkeit, in den Genuss eines privat nutzbaren Firmenfahrzeugs zu kommen. Seit etwa fünf Jahren gelten für Diensträder in Deutschland ganz ähnliche Regeln wie für Dienstwagen: Ein Prozent

Von der Neuregelung profitieren nicht nur Leasinganbieter, sondern nicht zuletzt auch Fahrradhändler, die auf das Modell aufgesprungen sind. Denn das Geschäft brummt: Jährlich kommen rund 200.000 Diensträder neu dazu, schätzt der Fahrradclub ADFC. Für viele Händler ist Leasing zu einem wichtigen Geschäftsmodell geworden, nicht zuletzt deshalb, weil der Kunde so schneller zum hochwertigen Fahrrad greift. Der Stuttgarter Onlinehändler Internetstores bietet unter der Webadresse fahrrad.de ein Komplettpaket aus einer Hand: Beratung bei der Radauswahl, Vollkaskoversicherung, Lieferung der Räder bis an die Haustür und Betreuung durch Servicepartner während der gesamten

Vertragslaufzeit. Auf Wunsch können die Fahrräder auch in Unternehmensfarben und mit Logoaufdrucken gestaltet werden. Ob Mountainbike, Rennrad, Trekkingrad oder E-Bike, mit seinem umfangreichen Sortiment kann Fahrrad.de das favorisierte Modell in gewünschter Farbe und Größe liefern. „Für den Arbeitgeber ist Bikeleasing eine tolle Möglichkeit, die Mitarbeitermotivation zu stärken und sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren“, sagt InternetstoresGeschäftsführer Markus Winter. Das Geschäft lohnt sich für beide Seiten: Der Arbeitnehmer kommt spürbar preisgünstiger zu seinem Wunschfahrrad, zwischen 15 und 40 Prozent unter dem Kaufpreis, rechnet die Branche vor – je teurer das Fahrrad, desto höher die Ersparnis. Für den Arbeitgeber geht es durch die Gehaltsumwandlung in der Regel null auf null aus. (hel) fahrrad.de

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Branchenfokus

„Elektromobilität steht ganz oben“ Porsche-Produktionsvorstand Albrecht Reimold über neue Mobilität und die Digitalisierung im Fahrzeugbau

Gibt es neben der E-Mobilität noch weitere Entwicklungen für die Zukunft? Das Thema E-Mobilität steht ganz oben auf der Agenda, weil wir intensiv überlegen müssen, welche Baureihen künftig noch elektrifiziert werden müssen. Ein weiteres Zukunftsthema ist die Entwick-

Welche Rolle wird bei diesen und weiteren Entwicklungen die digitale Produktion spielen? Die Digitalisierung hat längst Einzug gehalten in unseren Fertigungsstätten, die sich in den letzten Jahrzehnten enorm gewandelt haben. Für die Zukunft wollen wir uns unter dem Leitbegriff Porsche Produktion 4.0 kontinuierlich weiterentwickeln. Beispielsweise sind wir gerade dabei, eine App entwickeln zu lassen, über die unsere Mitarbeiter zum nächsten freien Parkplatz geleitet werden, damit die Wohnstraßen in der Umgebung nicht unnötig belastet werden. Und in unserer neuen Mission-E-Montagehalle werden wir erstmals fahrerlose Transportsysteme einsetzen, die frei programmierbar sind und auch ein komplettes Fahrzeug befördern können. Die Vernetzung in den Fabriken wird zunehmend voranschreiten.

Trafo: Transformationsbeirat Automobilwirtschaft Die Automobilwirtschaft ist mit Abstand der bedeutendste Industriezweig in der Region Stuttgart: Rund 200.000 Menschen arbeiten bei den Autoherstellern und ihren Zulieferern. Die Branche steht jedoch vor großen Veränderungen. Neben der Elektrifizierung sorgen Digitalisierung, Globalisierung, Wertewandel und wachsende Anforderungen an Ressourceneffizienz für einen Umbruch, der zur Bedrohung von Arbeitsplätzen und des Wohlstands werden kann. Der Wandel birgt aber auch Chancen für neue Ideen, Geschäftsmodelle und Jobs. Die Automobilindustrie auf ihrem Weg in die Zukunft nachhaltiger und intelligenter Mobilität begleiten: Das ist das Ziel des Transformationsbeirats Automobilwirtschaft (Trafo). Unter Federführung der regionalen Wirtschaftsförderung und auf

Initiative der IG Metall Region Stuttgart beraten dort Vertreter des Automobilclusters, aus der Politik, von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften, der Arbeitsverwaltung und der Zivilgesellschaft über die spezifischen Fragen, die mit dem Wandel auf regionaler Ebene einhergehen. In enger Abstimmung mit dem von der Landesregierung angestoßenen „Strategiedialog Automobilwirtschaft BW“ möchte der Beirat Ideen und Konzepte für einen präventiven Strukturwandel entwickeln, verbunden mit konkreten Maßnahmen, die den Menschen in den Betrieben vor Ort Orientierung geben und die Chancen des Wandels zeigen. Ziel ist es, die bestmöglichen regionalen Rahmenbedingungen für eine aktive Gestaltung der Transformation zu schaffen.

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Detroit hat exemplarisch vorgeführt, was passieren kann, wenn eine Entwicklung verschlafen wird. Kann etwas Vergleichbares auch in der Region Stuttgart passieren? Diese Sorge habe ich überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Wir merken überall, dass sich die etablierte Zulieferindustrie bereits massiv auf den technologischen Wandel einstellt und inzwischen auch Teile produziert, die bei der Elektromobilität benötigt werden. Ich selbst bin in verschiedenen Firmen Aufsichtsratsmitglied und positiv überrascht, wie konsequent das Thema überall umgesetzt wird.

fahrzeugbau

Reimold: Diese Technologie nimmt einen gewichtigen Anteil in unserer strategischen Ausrichtung ein. Daher haben wir auch frühzeitig damit begonnen, die Konzeptstudie Mission E zu entwickeln und vorzustellen. Und wir werden in Zukunft noch weitere E-Fahrzeuge nachschieben. Sich auf den Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen, wäre fatal. Der Wandel ist nicht aufzuhalten, und das ist schon aus ökologischen Gesichtspunkten richtig. Zeitgleich wird es weiterhin Menschen geben, die fasziniert sind von einem herkömmlichen Verbrennungsmotor oder vergleichsweise puristisch ausgestatteten Fahrzeugen. Die Kunst für uns als Hersteller von Sportwagen wird sein, den Spagat hinzubekommen.

lung von Assistenzsystemen aller Art. Warum soll ein Porsche nicht auch automatisch einparken können? Und wir wollen auch das automatisierte und teilautonome Fahren vorantreiben. Mit dem Panamera sind wir ja bereits voll in diese Technologie eingestiegen.

Reiner Pfisterer

179: Wie wichtig ist das Thema E-Mobilität für die künftigen Erfolge von Porsche?

Wie sieht die Mobilität im Ballungsraum um die baden-württembergische Landeshauptstadt wohl im Jahr 2040 aus? Die öffentlichen Nahverkehrssysteme werden deutlich ausgebaut sein, was ich auch gut finde. Es wird mehr Carsharing geben, in den Innenstädten sind Cityflitzer unterwegs und die E-Mobilität wird einen breiten Raum einnehmen. Das ist auch dringend notwendig, beispielsweise im Lieferverkehr. Es muss ein Umdenken stattfinden, um die Ballungsräume von Emissionen zu entlasten und die Städte lebenswerter zu machen. Das hier in Auszügen veröffentlichte Interview führte Markus Heffner für das Magazin „nemo – Neue Mobilität in der Region Stuttgart“. Den vollständigen Text gibt es unter region-stuttgart.de/interview-reimold

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Branchenfokus

Ungefilterte Wahrheiten

Zwischen 85 und 90 Prozent des Umsatzes (2016: rund 3,5 Milliarden Euro) macht Mann+Hummel in der Automobilbranche. Der überwiegende Teil davon entfällt auf Produkte, die mit dem Verbrennungsmotor zusammenhängen, etwa Kraftstoff- und Ölfiltersysteme. Produkte, die es bei E-Autos nicht gibt. Zwar liegt Deutschland bislang in Sachen alternative Antriebe noch im Mittelfeld, die großen Hersteller arbeiten aber mit Hochdruck an neuen Produkten. Daimler beispielsweise will nach eigenen Angaben bis 2025 mehr als zehn Elektro-PkwModelle auf den Markt bringen. Angepeilt wird ein Anteil am Absatz von 15 bis 25 Prozent. Für die Zulieferer bedeutet das, sich auf den Wandel einzustellen, wenn das „window of opportunity“, das Fenster der Veränderungsmöglichkeit sich öffnet. Das herkömmliche Geschäftsmodell könnte alsbald zum Auslaufmodell werden. Wer erinnert sich noch an die guten alten Kameras mit analoger Technik und an das Fotopapier von Kodak? Fast über Nacht veränderte sich der

Markt. So mancher Platzhirsch starb plötzlich und unerwartet. „Jetzt bilden sich die Lieferketten, jetzt lernen Lieferanten und Kunden, wie die Komponenten in der Elektromobilität funktionieren, jetzt wird in Feldtests ermittelt, welche Produkte zum Unternehmen passen, jetzt werden wichtige Patente eingereicht.“ Mit diesen Worten schwor Dr. Michael Harenbrock bereits 2014 die Mann+Hummel-Belegschaft auf die Zeitenwende ein. Harenbrock verantwortet in der Vorentwicklung Innovationsprojekte zum Thema E-Mobility. Seine Aufgaben: den Markt beobachten, analysieren und auf dieser Basis Ideen für neue Produkte entwickeln. Mann+Hummel hat sich schon vor Jahren in mehrere Richtungen positioniert. Generell verfolgt man in Ludwigsburg den Ansatz, bestehende Kompetenzen in veränderten Produkten einzusetzen. Ein Beispiel sind Batterierahmen für sogenannte Pouch-Zellen, die Stabilität und Schutz für flüssigkeitsgekühlte Hochvolt-Batterien bieten. Sie sind bereits in der zweiten Generation bei einem nordamerikanischen Automobilhersteller verbaut. „Das war für uns ein völlig neues Produkt. Für diese Innovation konnten wir unsere jahrzehntelange Expertise in der Kunststofftechnologie einsetzen“, sagt Harenbrock. Ein weiteres Beispiel: Filtration und Separation bei einer auswechselbaren Trocknerkartusche, die Feuchtigkeit im Batteriesystem bindet. Ein System, das Mann+Hummel so ähnlich bereits in Trockenmittelboxen für pneumatische Bremssysteme etabliert hat. Auch hier funktionierte also der Wissenstransfer in eine neue Anwendung. Ohnehin können viele Komponenten eins zu eins vom Verbrenner ins E-Auto umgesetzt werden. Kabinenluftfilter bleiben Kabinenluftfilter. Der Passagier will auch im Elektromobil vor Pollen, Gerüchen, schädlichen Partikeln oder Gasen

» Das Fahrgefühl im Elektrobus ist genial. Besonders für ältere Fahrgäste ist das ruckel freie Fahren toll. Das Anfahren ist sanft, es gibt kein Schalten mehr, auch keine Automatik. Dabei habe ich hier vorn immer noch genau dieselben Bedienelemente. Ich musste mich also nicht umgewöhnen.« Dragan Ambrozi, Fahrer eines Elektro-Hybrid-Busses der Städtischen Verkehrsbetriebe Esslingen. Die Busse können mit Oberleitung und im reinen Batteriebetrieb fahren

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#Wandel

Was die Gründerväter wohl dazu sagen würden? Als Adolf Mann und Erich Hummel ihr Unternehmen, das ihre beiden Nachnamen tragen sollte, 1941 aus der Taufe hoben, war das erste moderne Auto mit Verbrennungsmotor gerade einmal 55 Jahre alt. Die Filtrationstechnik steckte in den Kinderschuhen. Die Herren Mann und Hummel bauten eine Entwicklungs- und Versuchsabteilung mit Motorprüfständen auf – und ein Unternehmen von weltweitem Renommee. Und jetzt, nachdem die 20.000 Mitarbeiter an 60 internationalen Standorten gerade erst das 75-Jahr-Firmenjubiläum feierten, steht ein neuer Wendepunkt an. Elektro-, Hybrid- und Brennstoffzellen-Mobile nehmen Fahrt auf. Kommt das Filtergeschäft unter die Räder?

fahrzeugbau

Die Autoindustrie steckt im Wandel – Zulieferer wie der Filterspezialist Mann+Hummel in Ludwigsburg stellen sich auf neue Technologien ein


Reiner Pfisterer

Reiner Pfisterer

Branchenfokus

Wann genau die neue Zeitrechnung beginnen wird? Vorausschauende Befunde sind schwierig. Auf jeden Fall könnte es ein schleichender Prozess werden, denn neben boomenden Leitmärkten gibt es auch die Flächenregionen, in denen eine E-Struktur mit Ladesäulen überhaupt erst aufgebaut werden muss. Bei Mann+Hummel geht man deshalb davon aus, noch lange Zeit von Produkten für Verbrennungsmotoren leben zu können. Auch wenn ab morgen keine Verbrenner mehr gefragt wären, würden trotzdem noch jahrelang Wechselprodukte gebraucht. Entwicklungen wirken sich mit Verzögerung aus. Was Michael Harenbrock indes nicht verschweigt: Der grundsätzliche Trend weg vom Verbrennungsmotor ist eingeläutet. „Wie stark und wie schnell sich das auf unseren Umsatz auswirken wird, hängt maßgeblich davon ab, wie rasch sich der Markt entwickelt – da halte ich mich mit Prognosen zurück.“ Caroline Holowiecki

geschützt werden. Auch auf aktuelle Entwicklungen reagiert man in Ludwigsburg – Stichwort Feinstaubalarm. So hat Mann+Hummel einen Filter entwickelt, der den Abrieb von Autobremsen auffängt. Denn dieser macht laut dem Unternehmen rund ein Fünftel der verkehrsbedingten Feinstaubemission aus. Aber freilich muss man auch über den Tellerrand hinausschauen. Das Auto reicht vielen Firmen schon lange nicht mehr aus. Eine weitere Branche, in die etwa Mann+Hummel bereits seit Jahren stößt, ist die Gebäudefiltration. So sind ein Terminal am Londoner Flughafen Heathrow oder zahlreiche Operationssäle mit Produkten des Ludwigsburger Spezialisten ausgestattet. Zudem engagiert sich das Unternehmen in der Industrieund Wasserfiltration. Auf mehreren Standbeinen steht sich’s besser. In Aktionismus oder gar Panik will bei Mann+Hummel ohnehin niemand verfallen. „Eine Million mehr E-Autos heißt nicht, dass es deswegen eine Million weniger Autos mit Verbrennungsmotoren gibt“, sagt Harenbrock.

mann-hummel.com Der Artikel ist dem Magazin „nemo – Neue Mobilität in der Region Stuttgart“ entnommen. Den vollständigen Text gibt es unter region-stuttgart.de/mann+hummel

Forschen für den Wandel Industrie und Wissenschaft kooperieren eng, um den technologischen Wandel im Fahrzeugbau voranzutreiben. Gerade in der Region Stuttgart gibt es einige große Initiativen, in denen sich Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammengetan haben, um neue Technologien zu erforschen und zu entwickeln. Die Forschungskooperation Cyber Valley etwa vernetzt in der Region Stuttgart und Tübingen Wissenschaft und Industrie aus dem Bereich künstliche Intelligenz. Ziel des Clusters ist es, die Entwicklung intelligenter Systeme zu befördern. Dazu werden neue Forschungseinrichtungen auf den Gebieten Maschinelles Lernen, Robotik und

Computer Vision geschaffen. Es handelt sich dabei um Technologien, die auch für die Zukunft des Fahrzeugbaus, der nachhaltigen Mobilität und des autonomen Fahrens entscheidend sind. Partner im Cyber Valley sind unter anderem die Universitäten Stuttgart und Tübingen, das Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme sowie Daimler, Porsche und Bosch. cyber-valley.de Der Forschungscampus Arena 2036 ist die größte und führende Forschungsplattform für Mobilität in Deutschland und versteht sich als Zukunftsfabrik des Automobilbaus. Wissenschaft und Wirtschaft arbeiten hier zusammen an der

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Entwicklung von umweltschonenden und ressourcensparenden Automobilen. Damit das gelingt, wird zu neuartigen Materialien, Produktionstechnologien und der Arbeitswelt von morgen (siehe S. 5) geforscht. Die Arena 2036 ist auch an der Innovationsplattform Start-up Autobahn beteiligt, die Startups aus dem Bereich Mobilität fördert (siehe S. 16). Ihren Sitz hat die Arena 2036 in einer 28,5 Millionen teuren Forschungsfabrik, die im Frühjahr 2017 auf dem Campus der Universität Stuttgart fertiggestellt wurde. Partner in der Arena 2036 sind unter anderem die Universität Stuttgart, Bosch, Daimler und HP. (jh) arena2036.de

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Existenzgründung

„Der Mittelstand von morgen“

Welche Rolle haben Startups im Wandel?

gründen

Jedes Startup hat erstmal sein eigenes Interesse daran, zu überleben und nicht so zu enden wie neun von zehn Startups, die nach fünf Jahren nicht mehr existieren. Aber in ihrer Gesamtheit könnten sie der Mittelstand von morgen sein. Deshalb sollte eine Startup-freundliche Politik betrieben werden. Je mehr erfolgreiche Startups es gibt, desto mehr entstehen auf ganz natürliche Weise Leuchttürme und Verbindungen zwischen Startups und Mittelstand.

Startups sind Mittel zum Zweck, um an Innovationen ranzukommen, die möglicherweise in den internen Forschungslabors so nicht entstehen. Das reine Verordnen von Startup-Kultur durch den CEO reicht allerdings nicht. Was Unternehmen machen können, ist, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass im Unternehmen eine Startup-Kultur von unten entstehen kann. Man könnte beispielsweise Mitarbeitern einen Teil ihres Zeitbudgets geben, um sich mit verrückten Ideen zu befassen. So schafft man Freiräume und bietet die nötige Freiheit, um sich auszuprobieren. Können auch mittelständische Unternehmen von Startups lernen? Sehr viel! Und dennoch habe ich leider schon oft beobachtet, dass dort nicht immer gute Erfahrungen gemacht wurden. Beide Seiten beäugen sich oft skeptisch. Es reicht auch nicht, sich an einem Startup zu beteiligen und dann zu hoffen, dass der Strukturwandel gelöst sei. Ich muss mich als Unternehmer wirklich auf das Thema und die Szene einlassen, viel mit Startups in Kontakt treten und eigene Ressourcen bereitstellen. Wie könnte man Gründern den Schritt zur Selbstständigkeit erleichtern? Ich glaube, wir haben viel Nachholbedarf beim Thema Entrepreneurship Education, also das Vermitteln unternehmerischen Denkens und vor allem Handelns in

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Erfolgreicher Gründer, Business Angel und Vorstandsmitglied des Bundesverbands Deutsche Startups e.V.

1983 in Heilbronn geboren, studierte Adrian Thoma an der Hochschule für Medien. 2008 gründete er in Stuttgart sein erstes Startup Simpleshow, das mit leicht verständlichen Erklärvideos weltweit Erfolg hat. 2013 verkaufte er Simpleshow und gründete die Pioniergeist GmbH, die Startups in Partnerschaft mit etablierten Firmen aufbaut. Als Mitglied im Bundesvorstand des Bundesverbands Deutsche Startups e.V. gibt Thoma zudem Startups eine politische Stimme. den Universitäten und Hochschulen. Was meiner Meinung nach auch fehlt, ist das ‚Gründerstipendium für alle‘. Wir vom Bundesverband Deutsche Startups e. V. wünschen uns, dass es analog zur Elternzeit eine Gründerzeit gibt, bei der man beispielsweise zwölf Monate lang aus dem Job rausgehen kann, der Arbeitsplatz so lange warmgehalten wird, und man sich Zeit nehmen kann, um Gründungsideen zu verwirklichen. Die Fragen stellte Katharina Tomaszewski

Startup-Aktivitäten etablierter Unternehmen Viele größere Firmen fördern Startups. Sie erhoffen sich frischen Wind und neue Ideen für das eigene Unternehmen. Beispiele aus der Region Stuttgart: Auf dem Innovationscampus Code_N bietet das Stuttgarter IT-Unternehmen GFT Startups günstige Räume, Begleitung durch erfahrene Unternehmer und Zusammenarbeit in Teams. Besonders gefragt sind Firmen aus den Bereichen Mobilität, Industrie 4.0 und Finanztechnologien. Mit der Startup-Autobahn möchte Daimler in Zusammenarbeit mit dem USKapitalgeber Plug and Play und der Uni

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Adrian Thoma

im gespräch

Thoma: Die Region Stuttgart ist ein hervorragender Ort zum Gründen, weil es viele Fördermöglichkeiten, Anlaufstellen und eine Szene gibt. Als ich 2008 meine erste Firma gegründet habe, dachte ich, wir seien die einzigen Verrückten, die hier gründen wollen. Mittlerweile ist eine tolle Szene entstanden, in der sich die Akteure kennen und es gute Anlaufstellen gibt wie Code_N, Accelerate Stuttgart, das Wizemann- oder das Leitz-Areal. Auch ein Netzwerk unter den Startups ist entstanden, unter anderem durch das Gründergrillen, die städtische und die regionale Wirtschaftsförderung sowie die Business Angels.

Inwiefern lässt sich Startup-Kultur in etablierten Unternehmen einsetzen?

privat

179: Herr Thoma, das Startup-Umfeld in der Region Stuttgart wurde in einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung PwC als hervorragend bewertet. Wie schätzen Sie das ein?

Stuttgart Gründer aus aller Welt nach Stuttgart locken, die sich mit Mobilität befassen.

aus den Feldern Photonik, digitalisierte Fertigung, neue Fertigungsverfahren und Hightech-Materialien.

Die Bosch Startup-Plattform in Ludwigsburg bietet Bosch-internen und externen Startups die Möglichkeit, ihre Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln und sich zu vernetzen. Bosch-Mitarbeiter können zeitlich begrenzt den StartupAlltag erfahren.

Auch der Stuttgarter Automobilzulieferer Vector fördert durch seine Vector Venture Capital GmbH Startups, gesucht sind Ideen für Technologien für die Mobilität von morgen.

Mit Trumpf Venture Capital unterstützt der Ditzinger Maschinenbauer Gründer mit Risikokapital, insbesondere

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Gleich mehrere Unternehmenspartner hat das Programm Activatr, das Corporate Startups in Stuttgart Räume bietet, um gemeinsam innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln. (kt)


Existenzgründung

Autofahrt 4.0 Das Startup Blickshift analysiert Augenbewegungen für Software zum autonomen Fahren

Eine der spannendsten Möglichkeiten des jungen Unternehmens war ein Pitch im Silicon Valley Ende 2016 während einer von Baden-Württemberg International organisierten Reise. In der gleichen Zeit nahm Blickshift auch am Startup-Autobahn-Programm (Kasten S. 16) teil – 13 Startups haben das Rennen gemacht, darunter Blickshift als einzige Firma aus Baden-Württemberg.

Wer durch das Foyer des Innovationscampus Code_N am Stuttgarter Fasanenhof streift, fühlt sich wie in einer modernen Kunstgalerie: Designermöbel, stylische Lampen, Gemälde zieren die Wände. Im vierten Stock schwingt die Kunstrichtung in Pop Art um: quietschbunte Farben, Büroräume mit Kartonwänden, ein Tischfußball und eine Sofaecke mit Kühlschrank springen ins Auge. Dieser Stock beheimatet mehrere Startups. Eines davon ist die Blickshift GmbH, eine Ausgründung des Instituts für Visualisierung und Interaktive Systeme (VIS) der Universität Stuttgart. Auf Eye-Tracking-Technologie hat sich das Gründer-Trio Michael Raschke, Bernhard Schmitz und Michael Wörner spezialisiert. Ihr erstes Produkt „Blickshift Analytics“ wertet Augenbewegungen zusammen mit Fahrzeugdaten aus und analysiert mithilfe der gewonnenen Daten die visuelle Wahrnehmung im Straßenverkehr. Interesse an diesen Daten haben vor allem Firmen aus der Automobilbranche, Zulieferer, aber auch in Marktforschung und Wissenschaft liegen vielseitige Anwendungsgebiete. Die Gründer lernten sich an der Universität Stuttgart als Doktoranden kennen. „Ich wollte mich schon immer selbstständig machen“, erinnert sich Michael Raschke.

Blickshift GmbH

» Mir macht Wandel keine Angst. Das liegt daran, dass ich ihn peu à peu miterleben kann. Mir wird nicht einfach irgendwas Neues hingestellt und dann soll ich damit umgehen, vielmehr gestalte ich selbst den Wandel aktiv mit. Allerdings erlebe ich bei manchen Mitarbeitern dieses Gefühl – daher ist es wichtig, Verände rungen Schritt für Schritt weiterzugeben.« Thomas Haumann, Ideenmanager der Landesbank Baden-Württemberg

Gründungsjahr: 2016 Sitz: Stuttgart Mitarbeiter: 3 blickshift.com

#Wandel

Blickshift

Heute zählt das junge Unternehmen über 400 Vertriebskontakte und zahlreiche Aufträge sind in Aussicht. Raschke ist zuversichtlich, dass das Produkt dauerhaft Platz am Markt findet: „Die Analyse des Autofahrerverhaltens wird in Zukunft eine immer größere Rolle spielen. Wir sind sehr optimistisch, dass wir in den kommenden Jahren einen steigenden Absatz unserer Produkte sehen werden.“ Katharina Tomaszewski

gründen

Seit 2014 arbeiten die drei Unternehmer nun gemeinsam. „Gerade für Ausgründungen aus der Universität ist es wichtig, irgendwann den Campus zu verlassen. Wir konnten uns durch den räumlichen Wechsel zu Code_N weiterentwickeln und zu einem richtigen Unternehmen wachsen.“

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Wissenschaft

Baugeschichte digital

Zauberfarben aus der Nanowelt

erforschen

© MPI für Intelligente Systeme

Magnesiums änderte sich, je nachdem, wie viel Wasserstoff sie hinzufügten.

Metall, das normalerweise silbrig, kupfern oder golden glänzt, strahlt in ganz anderen Farben, wenn man es auf Nanogröße zerkleinert. Die jeweilige Größe der Nanopartikel bestimmt dabei, welche Farbe genau entsteht. Wissenschaftler des MaxPlanck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart haben jetzt herausgefunden, dass sich die entstehenden Farben beim Metall Magnesium auch ändern lassen, ohne die Größe der Partikel zu variieren. Dazu ließen die Forscher um Prof. Dr. Laura Na Liu nanogroße Magnesiumpartikel mit Wasserstoff reagieren. Die Farbe des

Wie effektvoll dieser Vorgang in der Praxis ist, haben die Wissenschaftler anhand eines winzigen Bildes der Göttin Minerva – dem Logo der Max-PlanckGesellschaft – gezeigt. Haar, Gesicht und Helm der Minerva aus nanokleinen Magnesiumpartikeln verschiedener Größe leuchteten in verschiedenen Farben. Mit Zugabe des Wasserstoffs änderten sich die Farben. Beispielsweise wurden die zuerst roten Haare der Minerva blau. Mit Hinzufügen von Sauerstoff ließ sich dieser Prozess wieder rückgängig machen. Mögliche Anwendungen sieht Laura Na Liu unter anderem in neuen Verschlüsselungsmethoden – ähnlich dem alten Prinzip der Zaubertinte – oder auch beim Schutz vor Fälschungen von Banknoten oder Medikamentenverpackungen. (jh) is.mpg.de

Erdbeeraroma aus Biogas

Architekturhistoriker der Universität Stuttgart digitalisieren und vernetzen in einem groß angelegten Projekt historische Quellen zur Baugeschichte Stuttgarts. Die Zeichnungen und Pläne liegen in der ganzen Region verstreut in verschiedenen Sammlungen und Archiven. Sie konnten deshalb bisher nicht zusammenhängend ausgewertet werden, obwohl die Dokumente inhaltlich eng miteinander verknüpft sind. Die Entwicklung der Landeshauptstadt von einer herzoglichen Residenzstadt um 1750 bis zur modernen Großstadt ab 1914 steht dabei im Fokus. Die digitalen Archivalien sollen die Entstehung der technischen Infrastruktur aufzeigen und es ermöglichen, Stadtbaugeschichte nachzuvollziehen. Mit der Digitalisierung der Pläne, Karten und Texte geht auch deren Kategorisierung einher. Mit Fertigstellung des digitalen Archivs können die Quellen nach unterschiedlichen Parametern befragt werden, beispielsweise nach Topografie, beteiligten Personen, Darstellungstechnik oder Material. Die digitalen Bestände sollen langfristig online frei zugänglich gemacht werden. Damit soll auch die hohe Beanspruchung der empfindlichen Originale minimiert werden. (jh) ifag.uni-stuttgart.de

Feine Düfte von Apfel, Ananas oder Erdbeere: Diese Aromen lassen sich aus Buttersäure herstellen. Buttersäure wiederum kann man bisher industriell nur durch aufwändige Verfahren mit fossilen Rohstoffen gewinnen. Forscher der Universität Hohenheim möchten die Säure jetzt umweltfreundlich in modernen Biogasanlagen erzeugen. Neben dem Biogas selbst entsteht dort während der Vergärung unter anderem auch ein Buttersäure-Gemisch. Die Wissenschaftler erforschen deshalb, wie sie

mit gezielter Steuerung der Abläufe, beispielsweise der Veränderung von pHWert oder Temperatur, reine Buttersäure gewinnen können. Diese soll dann über spezielle Membranen herausgefiltert werden. Aus Buttersäure lassen sich fruchtige Duft- und Aromastoffe für die Lebensmittel-, Kosmetik- und Futtermittelindustrie herstellen. Das Projekt an der Universität Hohenheim ist ein vergleichsweise einfaches biochemisches Verfahren und benötigt lediglich nachwachsende

Rohstoffe. Herkömmliche aufwändigere Verfahren könnten dadurch langfristig ersetzt werden. (jh) uni-hohenheim.de

Aus Klimakillern künstliche Kraftstoffe gewinnen Synthetische Kraftstoffe sind eine umweltschonende Alternative zu Benzin, Diesel und Co. Wissenschaftler der Universität Stuttgart erforschen zurzeit Methoden für ihre industrielle Herstellung. Kohlenstoffdioxid könnte als Ausgangsmaterial dienen. Um aus dem Klimakiller CO2 klimaschonenden Kraftstoff herzustellen, braucht es die Elektrolyse. Damit diese bei der Umwandlung Erfolg hat, sind besonders leistungsfähige Elektroden

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erforderlich – und an denen hat es bisher gefehlt. Dieses Problem haben die Forscher der Universität Stuttgart jetzt gelöst. Mittels der sogenannten MikrowellenPyrolyse haben sie große Mengen bestimmter Kohlenstoffmaterialien hergestellt, die, als Elektroden eingesetzt, CO2 in Kraftstoff umwandeln können. Die Vorteile von synthetischem Kraftstoff sind bestechend. Alle herkömmlichen Autos ließen sich damit betanken, für die

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Verbraucher würde sich nichts ändern. Auch Tankzeiten und die Reichweiten der Wagen blieben beim Alten. Das bestehende Tankstellennetz könnte weiter genutzt werden. Damit die Herstellung von synthetischem Treibstoff vollkommen klimaneutral ist, muss der dafür benötigte Strom aus regenerativen Quellen stammen. (jh) itc.uni-stuttgart.de


Innovation

Vom T-Shirt auf das Smartphone Die Peptech GmbH aus Kernen entwickelt elektronisch leitende Drucktinten für unterschiedlichste Materialien

Das Besondere an seiner Tinte: Sie ist extrem flexibel und bis zu 700 Prozent dehnbar, dabei gleichzeitig leitfähig und sehr sparsam in der Anwendung. „Mit einer kleinen 100-ml-Dose kann ich kilometerweit drucken“, erklärt Mechau.

Genau genommen ist die Technologie eine Art elektronische Weiterentwicklung des QR-Codes. Konkret bedeutet das für den Nutzer, dass die Berührung eines Buttons auf Papier oder Folie eine Verbindung via Bluetooth zu einem Smartphone oder Tablet auslöst. Über dieses Medium können dann die entsprechenden Zusatzinformationen abgerufen werden. Das ist aber nur eine von vielen Optionen: Da die Tinte mechanisch flexibel und dehnbar ist, sind den Anwendungen kaum Grenzen gesetzt, zumal die Digitalisierung, auch von Textilien, schnell voranschreitet. „Das können einfache, sehr dünne Schalter auf T-Shirts oder Rucksäcken sein, die auf ein kurzes Antippen verschiedene Daten über Köperfunktionen oder Bewegung generieren“, erklärt der Jungunternehmer und zeigt Optimismus: „Dazu möchte ich die Prozesstechnik verbessern und weniger händisch als halbautomatisch arbeiten.“ Wenn die Produktund Kundenentwicklung weitergehen wie bisher, müsse er sich schon bald neue Räume suchen, sagt Mechau. Sonja Madeja

entwickeln

Ihr Erfinder, der Ingenieur Dr. Norman Mechau, beschäftigt sich seit über anderthalb Jahrzehnten mit der Technologie der Printed Electronics und gründete im vergangenen Jahr die Peptech GmbH. 2017 erhielt er bereits den mit 4.000 Euro dotierten Gründerpreis Rems-Murr der Kreissparkasse Waiblingen. „Die Welt wird immer digitaler, das Internet der Dinge ist keine Mär von ein paar Nerds oder ambitionierten Querdenkern, sondern Realität“, erklärt Dr. Mechau. „Ich habe nur die klassische Elektronikfertigung in Verbindung mit der Drucktechnologie einfach weitergedacht.“ Ihm geht es vor allem darum, Dinge zu bedrucken, die mit der klassischen Elektronik nicht funktionieren, weil Papier, Textilien oder Folien flexibel, Elektronik und Leiterplatten jedoch starr sind.

peptech

Viele Menschen lesen ihre Morgenzeitung auf dem Tablet, dem Smartphone oder dem PC. Die Haptik und der Geruch von Papier und Druckerschwärze gehen dabei verloren. Doch auch die klassischen Zeitungsleser sind nicht immer glücklich mit der Wahl ihres Mediums, denn all die Zusatzinformationen, wie Bilder oder Links, die den Lesern einer Onlinezeitung vorbehalten bleiben, stehen ihnen nicht zur Verfügung. Was tun? Eine Zeitung aus Papier, mit der man auch ins Internet gehen kann, wäre die Lösung. Dies ist bereits Wirklichkeit: Mit der elektronisch leitenden Drucktinte der Peptech GmbH aus Kernen im Remstal lässt sich eine Verbindung vom gedruckten zum elektronischen Medium herstellen.

#Wandel

peptech.de

» Die Menschen bestellen heute vieles online. Großpackungen vieler Medikamente bleiben bei uns inzwischen im Regal liegen. Wir sind eigentlich nur noch die Akutversorger oder man kommt zu uns, wenn man beraten werden will. Das ist auch okay – aber die Frage ist, ob sich Apotheken so überhaupt halten können.« Ingrid Hecht-Hatzis, Apotheke am Torturm in Winnenden

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Branchenfokus

„Das Leserverhalten wird sich weiter ändern” Die Verlegerin Dr. Stephanie Mair-Huydts über den Wandel bei MairDumont in Ostfildern, Deutschlands größtem Reisebuchverlag 179: Frau Dr. Mair-Huydts, wie informieren sich Reisende heute über ihre Ziele? Dr. Mair-Huydts: Man mag es kaum glauben, aber offensichtlich informieren sich Reisende auch in Zeiten der Digitalisierung gerne über Reiseführer, sonst hätten wir nicht so viel Erfolg mit unseren Marken wie Marco Polo, Baedeker, Stefan Loose und den DuMont-Reiseführern. Das Leserverhalten hat sich mit fortschreitender Digitalisierung jedoch geändert und wird sich weiterhin ändern.

Der Reiseführer dient heute nicht mehr der klassischen Grundinformation, das erledigen wir über das Internet. Er hat heute neben genereller Information zu einem Ort, als Tipp-Geber und Leitfaden zur Orientierung eine erweiterte, andere Funktion. Im Netz finden wir jede Information, die wir brauchen – die Frage ist nur: Mit welchem Zeitaufwand und welcher Trefferquote findet ein Reisender genau das, was zu ihm passt, was seinen Bedürfnissen und Erwartungen entspricht? Wie reagiert MairDumont darauf? Genau über die Frage ‚Welche Bedürfnisse und Erwartungen habe ich, wenn ich auf Reisen gehe?‘ machen wir uns im Kontext mit unseren Reiseführern seit einiger Zeit Gedanken und setzen die Ergebnisse in einem MarkenstrategieProzess für unsere Reiseführer nach und nach um. Eine Reise beginnt schließlich nicht erst mit ihrem Antritt, sondern bereits weit vorher, mit der Vorfreude darauf! Wir wollen mit unseren Reiseführern in alle Richtungen Inspirationsgeber sein und die Möglichkeit bieten, eine Reise nicht nur zu einem Erlebnis, sondern zu einer anhaltenden Erfahrung werden zu lassen. Welche Chancen sehen Sie durch den Wandel für MairDumont? MairDumont ist Marktführer in einem Luxussegment, das bedeutet, in einem Bereich, dessen Thema eines der schönsten und am positivsten besetzten überhaupt ist: der Reise. Das ist, wenn man so will, ein Geschenk – umso mehr, wenn man die aktuelle Situation in der Buchbranche gesamt betrachtet. Nichtsdestotrotz haben wir uns für den Wandel aufgestellt, nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch international mit unseren Töchtern in Großbritannien, Peking und Prag.

MairDumont

Welchen Stellenwert haben die digitalen Produkte in Ihrem Haus heute?

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Hier muss man unterscheiden: Zwischen digitalen Produkten, die wir als Verlag im Kontext der Print-Reiseführer als Services anbieten, und MairDumont als größtem

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digitalem Mediavermarkter in Deutschland für das Thema Reise. Für unterschiedliche Player im Reisemarkt, wie beispielsweise Reiseveranstalter, sind wir ein wesentlicher Content-Geber. Wir haben digitale Töchter im Bereich Tourismussoftware, Reise-App-Entwicklung, Content-Entwicklung und im Feld der Hotelpreisvergleichsportale. Mit MairDumont Ventures beteiligen wir uns an Startups aus dem Reiseumfeld, beispielsweise bei Beach-Inspector, im YachtChartering bei Zizoo oder an Portalen, die Exklusivreisen vermitteln. Mit unserem Engagement loten wir unterschiedliche Geschäftsmodelle in diesem Bereich aus. Darüber hinaus hat MairDumont große Portale und Communities zu allen relevanten Eigenmarken. Was bedeutet dabei für Sie der Standort Region Stuttgart? Wir fühlen uns in der Stuttgarter Region zu Hause, der Verlag wurde hier gegründet. Stuttgart ist mit unterschiedlichen Medienunternehmen, seinen Hochschulen, wie der Hochschule der Medien, eine Medienstadt. Trotzdem ist es immer wieder eine Herausforderung, gute Mitarbeiter zu bekommen. Auch deshalb ist der Standort einiger unserer digitalen Töchter und Startups Berlin. Wozu braucht es im Jahr 2017 eigentlich überhaupt noch einen Verlag? Inhalte publizieren kann heute ja jeder vom eigenen Computer oder Smartphone aus … Ja, Inhalte generieren und publizieren kann jeder. Aber wie viel inspirierender, schöner und bequemer ist es, genau die Inhalte und vor allem Ideen, die mir ganz persönlich entsprechen, über ein Printprodukt, einen Reiseführer, ganz unkompliziert und ohne Zeitverlust zu bekommen? Außerdem: Ein Reiseführer ist für die meisten Menschen auch ein Stück Erinnerung, fast ein kleines Tagebuch, das Notizen, Gedanken, Anmerkungen enthält. Kann man da widerstehen? Die Fragen stellte Tobias Schiller


Branchenfokus

Tiefsee-Erlebnis für Times-Square-Touristen Das Stuttgarter Animationsstudio von Pixomondo hat für National Geographic ein virtuelles Aquarium erschaffen

kreativwirtschaft

Von National Geographic beauftragt, hat das Animationsstudio aus Stuttgart mit hochauflösenden Projektionen und Bildschirmen auf 5.500 Quadratmetern einen Ozean erschaffen, der auf seine Besucher reagiert. Zahlreiche Sensoren erfassen die Bewegungen der Touristen, woraufhin vom seichten Küstengewässer über das Korallenriff bis in die Tiefen des Pazifiks die verschiedenen Lebewesen erwachen und mit dem Publikum interagieren.

Erleben können Besucher die „National Geographic Encounter: Ocean Odyssey“ seit Anfang Oktober 2017 mitten in New York City. „Da die Räumlichkeiten und die Animationen nahezu gleichzeitig entstanden sind, haben wir virtuelle Modelle entworfen und in Stuttgart mit VR-Brillen geplant und angepasst“, erzählt Jan Fiedler, Senior VFX Produzent bei Pixomondo, von den Herausforderungen bei der Planung. „Dazu kam die Schwierigkeit, das Aussehen und Verhalten der animierten Tiere so natürlich wie möglich zu gestalten.“ So führte das ungewöhnliche Projekt auch zu neuen Kooperationen zwischen den Animationsspezialisten und Verhaltensbiologen, wie Fiedler berichtet: „Der intensive Austausch mit den Wissenschaftlern führte zu verblüffend realistischen Ergebnissen.“ (ciz)

National Geographic Encounter

Weiße Haie bei der Jagd beobachten, in einen Kampf zwischen Riesenkalmare geraten oder mit verspielten Seelöwen herumalbern – und das direkt am Times Square in New York City. Möglich macht dieses Erlebnis ein interdisziplinäres Team aus Biologen, Forschern, Hardwarespezialisten und den Experten für visuelle Effekte von Pixomondo.

pixomondo.de natgeoencounter.com

Massentexte aus Datenmassen Die Stuttgarter AX Semantics GmbH bringt Maschinen das Schreiben bei Texte zu verfassen gilt als durch und durch menschliche Fähigkeit. Die Stuttgarter AX Semantics GmbH aber bringt Maschinen das Schreiben bei. Die gleichnamige Software spricht derzeit 24 Sprachen und kann zahlreiche Wettermeldungen, Produkttexte, Pressemitteilungen oder Polizeiberichte automatisch produzieren. Das bereitet jedoch so manchem Sorge. Unbegründet, meinen die rund 50 Redakteure, Programmierer und Sprachwissenschaftler von AX Semantics, da es hauptsächlich Routineaufgaben betrifft. Wer geistreiche Kolumnen, tiefgründige Kommentare oder spitzfindige Rezensionen erwartet, wird enttäuscht oder kann beruhigt werden. „AX Semantics schafft natürlich keinen einzigartigen, persönlichen Text, sondern konfiguriert und variiert nach Nutzerwünschen Massentexte“, sagt Saim Alkan, Geschäftsführer bei AX Semantics. Dennoch hat die maschinelle Texterstellung das Potenzial, Arbeitsabläufe in Redaktionen grundlegend zu verändern.

Basis für jede dieser Texterstellungen ist ein gut sortierter und klassifizierbarer Datensatz. Je umfangreicher und gepflegter die Daten, desto besser das Ergebnis. Zeitungshäuser oder Nachrichtenorganisationen können mit Hilfe der maschinellen Produktion von standardisierten Texten oder sich wiederholenden Redewendungen eine größere Menge an Themen bedienen und mit der Geschwindigkeit der aktuellen Berichterstattung Schritt halten. Wo bisher keine Ressourcen vorhanden waren, wird es laut AX Semantics-Sprecher Philipp Renger möglich, dass durch die Automatisierung auch kleine lokale Sportereignisse, Stadtfeste oder Flohmärkte eine ausführliche Berichterstattung erhalten. So könnte in Zukunft jedem Leser anhand persönlicher Nutzerdaten ein individuelles Angebot an Nachrichten präsentiert werden. Eine individualisierte Massenproduktion nicht nur von Inhalten, sondern auch die vom Leser bevorzugte Darstellungsform könnte analysiert und entsprechend geliefert werden.

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Der Onlinehandel profitiert ebenfalls von individualisierten, auf die einzelnen Nutzer zugeschnittenen Texten. So ist eine Softwareerweiterung für AX Semantics seit Kurzem in der Lage, das Verhalten der Nutzer von Onlineshops auszuwerten und die Inhalte in Echtzeit anzupassen. Dies gilt sowohl für die verschiedenen Textformen als auch für die Verwendung bestimmter Schlüsselwörter. An weiteren Einsatzmöglichkeiten, wie zum Beispiel der Mensch-MaschineKommunikation in Fahrerassistenzsystemen, arbeitet AX Semantics aktuell. Die Softwareschmiede, die ursprünglich als Redaktionsdienstleister gestartet ist, hat ihr Domizil in direkter Nachbarschaft zum Institut für Maschinelle Sprachverarbeitung der Universität Stuttgart in der Stuttgarter Innenstadt – ein Vorteil auch bei der Gewinnung neuer Mitarbeiter oder studentischer Hilfskräfte. (ciz) ax-semantics.com

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Filme schneiden ohne Cutter

#Wandel

kreativwirtschaft

Branchenfokus

Die Stuttgarter Videoproduktionsfirma Die Ligen hat eine Software entwickelt, die eigenständig Filmmaterial schneidet und aufbereitet. Hervorhebungen, Einblendungen, Effekte, Schnitt – das alles läuft mit „Derby Express“ automatisch: Die Software ersetzt den Cutter. Die Ligen filmt Fußballspiele regionaler Klubs und unterer Ligen. Die Kunden sind vor allem Fußballverbände und -vereine. Sie nutzen das Filmmaterial für Schiedsrichterbeobachtung, Spielanalyse oder ihren eigenen Onlineauftritt. Mit Derby Express ist der Arbeitsprozess bei Die Ligen preiswerter und deutlich schneller geworden. Die Kunden haben ihren fertigen Videofilm bereits zwei bis drei Stunden nach einem Spiel. 2015 erhielt Die Ligen für Derby Express den CyberOne Award der Wirtschaftsinitiative Baden-Württemberg Connected. (jh) die-ligen.net

» Ich kann mich nicht einfach zurücklehnen, nur weil ich seit 30 Jahren in diesem Beruf tätig bin. Ich muss – genau wie alle anderen – immer schauen, dass ich Schritt halte. Zum Beispiel muss ich jede neue Social-Media-Plattform kennen und verstehen. Früher konnte man vor allem aus Erfah- rungen schöpfen. Das reicht heute nicht mehr.« Stefanie Schneider, Landessenderdirektorin Baden-Württemberg beim Südwestrundfunk

Alle unter einem Dach Transparente Gebäudehülle verpackt kleinteilige Gewerbebauten Die wenigsten Gewerbegebiete werden als architektonische Augenweide empfunden. Graue und zersiedelte Betonklötze, häufig am Stadtrand gelegen und viel Raum verschlingend, dienen Produktion, Logistik und Dienstleistung derzeit als Heimat.

Arnold Paul / CC BY-SA 2.5

Die Ingenieure und Konstrukteure des Stuttgarter Planungsbüros Schlaich Bergermann Partner möchten das seit geraumer Zeit ändern und haben sich Gedanken zu platz- und ressourcenschonenden Lösungen gemacht. Seit den späten 1990er-Jahren tüfteln sie an sogenannten Klimahüllen. Die Idee: Ähnlich einer Markthalle sollen unterschiedliche Gewerbebetriebe in einem gemeinsam genutzten Baukörper mit transparenter Gebäudehülle untergebracht werden. Diese dient als Schutz vor Witterungseinflüssen und als Möglichkeit für die Nutzer, ihre individuellen Gebäude einfacher und damit kostengünstiger zu errichten. Allein durch passive Kühlung und Erdwärme, ohne zusätzliche

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Heizungs- und Kühlungssysteme, können gemäßigte Temperaturen erzeugt werden. Aus Fichtenholz und Glas entstand beispielsweise so in der Stadt Herne eine Klimahülle für die Fortbildungsakademie Mont-Cenis (Bild), die durch eine integrierte PhotovoltaikAnlage das Doppelte des eigenen Strombedarfs produziert. Ein weiterer Vorteil der Gebäudehülle ist das geordnete Erscheinungsbild. Dieses erlaubt auch eine Ansiedelung in ästhetisch empfindlichen Umfeldern wie Wohngebieten oder urbanen Zentren. Mit über 30 Jahren Erfahrung im fachübergreifenden Planen und Entwerfen arbeitet Schlaich Bergermann Partner neben der Klimahüllenforschung weltweit an aufsehenerregenden Projekten wie der Seilnetzfassade des One World Trade Centers in New York City oder dem Dach des brasilianischen Fußballstadions Maracanã. (ciz) sbp.de


Branchenfokus

Schluss mit Opas Baustelle „Building Information Modeling“ heißt die digitale Zukunft des Bauens

Beide Beispiele sind in einer Studie des Beratungsunternehmens Roland Berger zur Digitalisierung der Bauwirtschaft zu finden. Diese kommt zu dem niederschmetternden Ergebnis, dass die Branche in Deutschland noch arbeitet wie zu Opas Zeiten: Papierpläne, Zollstock und Faxgerät anstatt Laptop und Virtuelle Realität. Kaum eine Branche sei hierzulande digital so unterentwickelt wie der Bau.

„Die Bündelung von Planungsdaten in einem System hilft uns dabei, Bauvorhaben besser zu steuern und im Hinblick auf Kosten, Termine und Qualität den gesteckten Rahmen einzuhalten“, sagt Steffen Szeidl, Vorstand der Drees & Sommer SE. Das Stuttgarter Immobilienberatungs- und Projektmanagementunternehmen begleitet Bauvorhaben in aller Welt, darunter komplizierte Großbau-

stellen wie den Potsdamer Platz in Berlin, die Messe Stuttgart, mehrere Hochhäuser für Roche in Basel sowie diverse Krankenhausprojekte in Luxemburg. Drees & Sommer versteht sich als Innovationsführer und gehört zu den Firmen, die BIM bereits bei einer Vielzahl von Projekten in Deutschland und anderen Ländern einsetzen und vor allem auch vorantreiben. „Beim Thema Digitalisierung in der Bauwirtschaft hinken wir in Deutschland hinterher, etwa im Vergleich mit Großbritannien oder den skandinavischen Ländern“, so Szeidl. Um dies zu ändern, betreibt das Unternehmen einen BIMBlog und stellt dort unter anderem einen Praxisleitfaden bereit. (hel) dreso.com bim-blog.de

Meine Möbelmanufaktur

Building Information Modeling (BIM), eine Methode der optimierten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden mit Hilfe von Software, soll dies ändern. Bevor es auf die reale Baustelle geht, entwirft der Planer am Rechner ein dreidimensionales Modell, das alle relevanten Bauwerksdaten im Detail enthält und miteinander verknüpft. Alle am Bau Beteiligten haben darauf Zugriff, kennen den realen Baufortschritt und sehen, wer wann was zu erledigen hat. Die legendären Abstimmungsverluste auf dem Bau gehören der Vergangenheit an und die Kosten laufen nicht aus dem Ruder.

handwerk + bau

Hadrian X ist ein Bauarbeiter aus dem Land der Träume: Unfassbare 1.000 Ziegelsteine verlegt sein starker Arm pro Stunde, dank seiner Sensoren präziser, als jeder echte Mensch es könnte. Für den benötigten Nachschub vom Lkw sorgt er selbst und streicht nebenbei die Steine mit Kleber ein. Mit Hadrians Hilfe lässt sich ein Rohbau in zwei Tagen anstatt in sechs Wochen hochziehen. Entwickelt hat den Maurer-Roboter eine Firma in Australien. Ebenfalls nur zwei Tage braucht ein 3D-Drucker in China für ein dreistöckiges Gebäude. Gefüttert wird das Gerät mit Zement, Industrieabfällen, Bauschutt und Glas.

Das Beste aus zwei Welten „Meine Möbelmanufaktur“ aus Köngen vertreibt individuell gefertigte Möbel über das Internet Wer sich ein neues Möbel zulegen will, steht vor zwei Alternativen: Da ist zum einen der Gang zum Möbelhaus, in der Hoffnung, das Passende werde schon vorrätig sein. Falls kein Wohnzimmerschrank gefällt oder sich partout nicht mit den Maßen der Wohnung vertragen will, droht eine Sonderanfertigung für teures Geld. Birgit Gröger und Sebastian Schips haben mit Meine Möbelmanufaktur in Köngen eine dritte Tür geöffnet. Auf deren Website kann sich der Kunde seine Wunscheinrichtung zurechtklicken – entweder fast völlig frei, oder indem er einen Gestaltungsvorschlag nach seinen Wünschen anpasst. Schrägregale, Sideboards, Tische, Raumteiler lassen sich in Material, Form und Farbe frei wählen und mit Fachböden, Schubladen, Griffen und Kleiderstangen versehen. Selbst Sonderwünsche wie Syphondurchlässe bei Badmöbeln, Textilabdeckungen für eine bessere Akustik oder ungewöhnliche Farben sind umsetzbar.

Der Ingenieur für Holztechnik und die Betriebswirtin, die sich an der Hochschule in Rosenheim kennengelernt haben, beschlossen im Jahr 2012, den fast 100 Jahre alte Schreinerbetrieb der Familie Schips in das Internetzeitalter zu überführen. Mit dem intuitiv bedienbaren 3D-Konfigurator und der eigenen Fertigung produzieren sie „Maßmöbel in ausgezeichneter Schreinerqualität zum Möbelhaus-Preis“, wie die Website werbewirksam verspricht. „Wer bei uns kauft, kauft direkt beim Hersteller“, betont Schips. „Das sichert eine gleichbleibend zuverlässige Qualität und spart sämtliche Zwischenhändler.“ In der eigenen Werkstatt in Köngen sägen, schleifen und lackieren die Handwerker, bis das individuelle Möbel ausgeliefert oder montiert wird – je nach Wunsch des Kunden. Auch die gängigen handwerklichen Dienstleistungen wie Aufmaß-Service und Materialmuster sind zu erhalten.

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Bei aller Digitalisierung legt die Internetschreinerei Wert auf den persönlichen Kontakt. Im Showroom vor Ort in Köngen können sich Kunden Inspirationen und Beratung holen, und wer mit dem Konfigurator fremdelt, kann auch eine Skizze oder ein Foto des gewünschten Objektes abliefern – die Firma erledigt den Rest. So hat sich Meine Möbelmanufaktur als einer von einer Handvoll Möbel-Webshops in Deutschland beeindruckend entwickelt: „Zu Beginn hatten wir über das Internet etwa eine Bestellung pro Woche, heute sind es bis zu 20 am Tag“, erklärt Schips stolz. Um auch für die Zukunft gerüstet zu sein, haben die beiden Gründer passende Gesellschafter ins Boot geholt, etwa die Fischerwerke aus Waldachtal im Schwarzwald. (hel) meine-moebelmanufaktur.de

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Fachkräfte

„Raum ist der beste Katalysator, um die Kultur im Unternehmen zu verändern“

Dr. Stefan Rief

179: Herr Dr. Rief, Work Space Design ist zurzeit in aller Munde. Ganz offensichtlich scheint die Gestaltung von Arbeitsplätzen, Räumen und Gebäuden immer mehr an Bedeutung zu gewinnen?

arbeiten

Das Einzelbüro mit festem Schreibtisch und Familienfoto gehört in vielen Firmen der Vergangenheit an. Globale Märkte erfordern heute flexible und mobile Mitarbeiter – gleichzeitig machen digitale Technologien neue Formen der Selbstorganisation und Zusammenarbeit möglich.

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Beides hat Einfluss darauf, auf welche Weise die Unternehmen ihre Arbeitsräume gestalten. Nachhaltige Büro- und Arbeitskonzepte stehen im Mittelpunkt der Forschungs- und Beratungstätigkeit von Dr. Stefan Rief. Er ist Leiter des Competence Centers Workspace Innovation beim Stuttgarter FraunhoferInstitut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Ein Gespräch über Arbeitsräume der Zukunft und warum das Work Space Design von Google nicht immer ein geeignetes Vorbild für schwäbische Mittelständler ist – seine konsequente Umsetzung hingegen schon.

Rief: Die Art, wie und wo wir arbeiten, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten drastisch verändert. In unserer globalisierten und digitalisierten Welt sind die Firmen gefordert, sich immer wieder neu zu organisieren. Eine durchdachte und inspirierende Arbeitsumgebung spielt in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle. Wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen die Betriebe technologisch auf dem neuesten Stand sein, die besten Fachkräfte für sich gewinnen und möglichst optimale Rahmenbedingungen schaffen, die die Leistungsfähigkeit, Motivation und Kreativität ihrer Wissensarbeiter fördern. Bei räumlichen Veränderungen stehen heute die Bedürfnisse der Mitarbeiter im Fokus, während früher vor allem eine effiziente Flächennutzung angestrebt oder organisatorische Veränderungen abgebildet wurden. Sind unkonventionelle Büroräume, wie beispielsweise eine umgebaute Skigondel bei Google in Zürich, tatsächlich relevante Erfolgsfaktoren oder einfach nur Marketinggags, die ein besonders cooles Image vermitteln? Solche Maßnahmen müssen immer in ein Gesamtkonzept eingebettet sein und daraufhin überprüft werden, ob sie auch wirklich zur Kultur der jeweiligen Firma passen. Raumkonzepte sind kein Benchmarking-Thema, das man so einfach von den amerikanischen Unternehmen auf unsere Verhältnisse übertragen kann. Die Campus-Kultur mit Wohnzimmeratmosphäre von Airbnb beispielsweise ist vor allem für jüngere Mitarbeiter reizvoll. In Deutschland brauchen wir sehr viel flexiblere Konzepte, die auch für Ältere attraktiv sind und gleichzeitig berücksichtigen, dass wir künftig nicht nur im Büro oder Home-Office arbeiten werden,

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sondern in Verkehrsmitteln, in Coworking Spaces, in der Wohnung pflegebedürftiger Eltern oder im Stadtpark. Raum ist der beste Katalysator, um die Arbeitskultur nachhaltig zu verändern. Wer sich also beispielsweise mehr Transparenz und interdisziplinären Austausch zwischen den Abteilungen wünscht, kann dies durch räumliche Maßnahmen gezielt fördern. Wir arbeiten heute bereits sehr flexibel und mobil. Wie lässt sich die fortschreitende Digitalisierung in zukünftigen Raumkonzepten abbilden? Auch die modernste Büroinfrastruktur nützt nichts, wenn die Vorgesetzten erwarten, dass ihre Mitarbeiter acht Stunden am Schreibtisch sitzen. Führung und Belegschaft müssen sich also darauf verständigen, wie viel Anwesenheit und persönliche Kommunikation in der Zukunft notwendig sein werden, wo es Rückzugsmöglichkeiten braucht oder bei welchen Aufgabenstellungen man sich auch digital austauschen kann. Für die verschiedenen Arbeitssituationen können dann die passenden räumlichen und technischen Rahmenbedingungen geplant werden. Kleinere Unternehmen verfügen meist nur über begrenzte Budgets. Können diese trotzdem moderne Arbeitswelten schaffen, die für ihre Belegschaften auch in der Zukunft attraktiv sind? Nicht getan ist es damit, irgendwo einen Billardtisch aufzustellen oder die Firmendachterrasse mit einer Grillstelle auszurüsten. Eine räumliche Umgestaltung sollte wirklich relevante Verbesserungen bewirken. Wo können wir was am besten tun? Das ist die wichtigste Frage. Für eine erfolgreiche Umsetzung ist es entscheidend, konsequent vorzugehen und Maßnahmen zum Beispiel nicht nur für einzelne Firmenbereiche zu realisieren. Die Fragen stellte Monika Nill


Fachkräfte

Die agilen Maschinenbauer Die Mitarbeiter der Markgröninger Spinner Automation GmbH arbeiten in flexiblen selbstorganisierten Teams

Die Geschichte beginnt 2002 in Markgröningen: Damals entsteht aus dem zwei Mann starken Konstruktionsbüro von Dominik Jauch und seinem Vater Manfred die Firma Spinner Automation. Die beiden Automatisierungsexperten kooperieren dazu mit der Sauerlacher Werkzeugmaschinenfabrik Spinner. Mit ihrem technologischen Know-how werden schon kurze Zeit später die SpinnerStandardmaschinen nach spezifischen Kundenwünschen zu automatisierten Anlagen umgebaut. Das Unternehmen beginnt zu wachsen. Dominik Jauch hat bald den Eindruck, dass es mehr Strukturen braucht – er führt Abteilungen ein. Die Leitung überträgt er seinen besten Fachleuten. „Eine Entscheidung, die fast alle expandierenden Mittelständler so treffen“, kommentiert er den damaligen Schritt. Heute weiß er es besser: Hervorragende Techniker haben nicht automatisch Führungsqualitäten. Es kommt zu Missverständnissen. Man spricht jetzt über mehrere Stufen miteinander. Die Probleme werden auf einem Unternehmenstag mit der Belegschaft diskutiert. Man beschließt gemeinsam, zusätzliche Projektleiter zu schaffen, die sich gezielt um die einzelnen Aufträge kümmern. Doch auch diese Struktur ist nicht wirklich effizient. Daraufhin entscheidet sich der Firmenchef, die Abteilungsleiterebene abzuschaffen. Er bildet kleine flexible Teams aus den Projektleitern und jeweils einem Mitarbeiter aus Konstruktion, Elektrotechnik, Montage und Programmierung. Die Abstimmung untereinander wird deutlich besser.

Heute ist Spinner Automation eine überwiegend agile Organisation, in der es auch keine Projektleiter mehr gibt. Die mittlerweile 65 Mitarbeiter arbeiten in mehreren selbstorganisierten Teams, die jeweils die Fachkräfte eines Funktionsbereichs zusammenfassen – also zum Beispiel alle Konstrukteure oder alle Monteure. Sie werden jeweils von einem Moderator unterstützt, der auf die Einhaltung der agilen Regeln achtet, im Unterschied zu einem Projektleiter sich aber nicht mit Weisungen in das operative Geschäft einmischt. Ansonsten gibt es nur noch das Führungsteam, das sich vor allem als Unterstützer sieht. Die Runde kümmert sich um strategische Fragen und schafft den Rahmen, damit agiles Arbeiten bei Spinner Automation erfolgreich gelebt werden kann. „Ich bin sicher, unsere Projekte werden zukünftig noch sehr viel komplexer werden“, sagt Jauch. „Um auch weiterhin innovative und konkurrenzfähige Lösungen zu schaffen, gibt es für mich zu agilen Strukturen keine Alternative.“ Monika Nill

arbeiten

Spinner Automation

Dominik Jauch, Maschinenbauingenieur und Geschäftsführer der Spinner Automation GmbH, ist stets bereit, neue Wege zu gehen. Was nicht optimal läuft, wird verbessert. Seine Mitarbeiter können ein Lied davon singen. Es handelt von einem ganz normalen mittelständischen Maschinenbauer auf dem Weg zur agilen Organisation.

» Wandel gehört bei uns in der Ausbildung fest dazu. Wir haben beispielsweise Virtual Paint: Da kann man die Grund- lagen des Lackierens und die Handhabung der Lackierpistole üben, ohne Lack zu verschwenden. Es ist umweltfreundlicher und man sieht das Ergebnis sofort und nicht erst nach dem Trocknen. Das ist schon ziemlich cool.«

#Wandel

spinner-automation.com

Laura Arnold, Auszubildende zur Verfahrensmechanikerin für Beschichtungstechnik im Werk Sindelfingen der Daimler AG

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Wirtschaftsförderung Region Stuttgart Aktuell

Anleitung zum Schweben

service

Zuerst gibt es ein kleines Problem – das mit dem Anlassen will noch nicht so recht klappen. Bettina Eggstein schimpft leise. „Bei einem Verbrenner höre ich die Zündung. Irgendwie warte ich darauf, dass das hier auch passiert. Aber natürlich gibt das Auto keinen Mucks von sich, wenn ich den Schlüssel umdrehe.“ Der Wagen, in dem sie sitzt, ist eine Mercedes Benz B-Klasse – und er fährt mit Elektroantrieb. Das Auto steht auf dem Stuttgarter Karlsplatz, es ist der 8. Oktober 2017. Hier findet heute der „Aktionstag Elektromobilität“ statt, den die WRS zusammen mit der Stadt Stuttgart organisiert hat. Elektrofahrzeuge verschiedener Anbieter kann man hier ausprobieren. Nicht nur Daimler präsentiert seine Modelle, auch BMW, Renault, Ford, Volvo, Mitsubishi, Hyundai und VW sind vertreten. Wer mag, meldet sich am Check-in und darf dann mit fachlicher Begleitung eine Runde durch die Stadt drehen. Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn freut sich besonders über dieses Angebot: „So verlieren die Leute die Scheu vor der unbekannten Technik. Hier können sie alternative Antriebe selber ausprobieren. Elektromobilität ist keine Nischentechnologie. Hier sehen sie die Autos der Zukunft.“ Neben Fritz Kuhn steht WRS-Geschäftsführer Dr. Walter Rogg, der den Aktionstag zusammen mit dem Oberbürgermeister eröffnet: „Der Aktionstag Elektromobilität ist die begleitende Publikumsveranstaltung zum Weltkongress für Elektromobilität EVS30 auf dem Stuttgarter Messegelände. Während dort die Experten tagen, bringen wir das Thema in die Innenstadt zu den ganz normalen Bürgern.“ Weiter vorn, auf dem Marktplatz vor dem Rathaus, sind Infostände aufgebaut. Regionale Unternehmen stellen dort ihre Produkte aus dem Bereich Elektromobilität vor. Neben den großen Namen aus der Automobilindustrie finden sich auch Unternehmen, die man hier zuerst vielleicht nicht vermutet hätte. Eine Fahrschule, die sich auf elektrisches Fahren spezialisiert hat, ist ebenso vertreten wie der ADAC, der Besucher über die Besonderheiten bei der Pannenhilfe für E-Autos aufklärt.

Frank Nawrocki von der Firma Bemotec ist mit ungewöhnlichen Ausstellungsstücken angereist. Sein Unternehmen stellt elektrische Rollatoren her, die eigenständig Bodenbarrieren überwinden können und gleichzeitig den Nutzer fit machen: „Mit unseren Rollatoren muss man nicht mehr mühsam schieben. Durch ihren Elektroantrieb unterstützen sie das gleichmäßige Gehen und trainieren so den Bewegungsapparat“, erklärt Nawrocki. Seine Begeisterung ist ansteckend. So mancher bleibt stehen und probiert die Elektrorollatoren aus. Unter den Bäumen am Brunnen hat Gert Wiedemann seinen Stand aufgestellt. Er baut Elektroräder für Menschen, die sich auf herkömmlichen Fahrrädern nicht sicher fühlen oder sie nicht mehr fahren können. Es gibt Räder, die man mit den Händen antreibt, Dreiräder für zwei Personen oder auch den Streetstepper, den man genauso wie einen herkömmlichen Stepper bedient, um sich fortzubewegen. „Das Besondere an unseren Elektrorädern ist, dass sie nicht nur Spaß machen, sondern gleichzeitig auch Therapie sind. Sie können beispielsweise bei der Heilung beschädigter Nervenbahnen helfen.“ Deshalb bemüht sich Wiedemann auch darum, dass seine E-Räder von den Krankenkassen als Therapieinstrumente anerkannt werden. „Das ist ein langwieriger Prozess. Aber wir sind zuversichtlich“, sagt er stolz. Und Bettina Eggstein? Sie ist in der Zwischenzeit von ihrer ersten Fahrt mit einem E-Auto zurückgekehrt und ihre Augen leuchten: „Der Wagen ist so leise, man hört ihn kaum. Das ist ein überwältigendes Gefühl – als würde man schweben.“ Der Erfolg des Aktionstages Elektromobilität gibt ihr recht. Bis zum Abend wurden die E-Autos insgesamt 387 Mal von den Besuchern getestet. Die E-Bikes sind sogar über 1.000 Mal ausprobiert worden. Johanna Hellmann

WRS/Daniel Schmidt

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WRS/Daniel Schmidt

Der Aktionstag Elektromobilität eröffnet eine neue Welt

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Wirtschaftsförderung Region Stuttgart Aktuell

Innovationspreis Weiterbildung

innovationspreis-weiterbildung.de

Wege zu mehr Gewerbeflächen Nach einer Expertise der Universität St. Gallen in der Schweiz sind verschiedene Maßnahmen dazu geeignet, eine bessere Versorgung der Region Stuttgart mit Industrie- und Gewerbeflächen sicherzustellen. Dazu gehören laut Gutachten die Umsetzung eines regionalen Gewerbeflächenkonzeptes sowie Konzepte für die Teilräume, ebenso raumordnerische Verträge zwischen Region und Kommunen sowie die Förderung interkommunaler Organisationsformen. Auch Zuschüsse an Kommunen für die Entwicklung von Gewerbeflächen, interkommunale Lasten-Nutzen-Ausgleichsmodelle sowie die Gründung einer regionalen Entwicklungsgesellschaft für Gewerbeflächen sollten geprüft werden, empfehlen die Wissenschaftler. Die Handlungsempfehlungen ergänzen den WRS-Bericht „Gewerbe- und Industrieflächen Region Stuttgart 2017“, der eine ausgeprägte Flächenknappheit nachweist. Die sofort verfügbaren Flächen auf der grünen Wiese werden dort mit 97 Hektar beziffert. Um mittelfristig die Nachfrage aus Industrie und Gewerbe erfüllen zu können, müssten in den Kommunen der Region jährlich über 100 Hektar neu ausgewiesen werden, heißt es in dem Papier.

Neben dem organisatorischen Aufbau wird die neue Gesellschaft zunächst die inhaltliche Ausgestaltung der IBA 2027 vorantreiben und den verbindlichen Rahmen abstecken, in den sich IBA-Projekte einfügen. Dabei wird sie von einem mit internationalen Experten besetzten Kuratorium sowie von Fachbeiräten mit Vertretern aus der Region Stuttgart unterstützt. Zudem sollen die Kommunen über einen eigenen Arbeitskreis aktiv in die Gestaltung der IBA 2027 eingebunden werden. Ihren Sitz hat die neue GmbH im selben Gebäude wie die WRS, die als Gesellschafterin eng mit der IBA kooperieren wird. iba2027.de

IBA 2027 StadtRegion Stuttgart

industrieblick/Fotolia.com

Wie leben, wohnen und arbeiten wir im Zeitalter von Digitalisierung, Globalisierung und Klimawandel? In den kommenden zehn Jahren soll die Internationale Bauausstellung IBA 2027 StadtRegion Stuttgart jenseits der Alltagspraxis neue Antworten auf den Wandel entwickeln und erproben. Im Herbst ist dafür eine eigene Gesellschaft gegründet worden, die IBA 2027 GmbH. Sie übernimmt die bislang bei der WRS angesiedelten Organisationsaufgaben der IBA. Gründungsgeschäftsführer ist Holger Haas, der bereits die Vorbereitungen zur IBA verantwortet hat. Die kuratorische Leitung wird ein Intendant oder eine Intendantin übernehmen.

Neues Gründerzentrum in Stuttgart Für Gründer mit Bezug zur Mobilitätsbranche stehen im Stuttgarter WizemannAreal Flächen als Coworking-Spaces zur Verfügung, ebenso ein Unterstützungsprogramm mit Beratung und persönlichem Mentoring. Ein Förderprogramm der Kampagne „Start-up BW“ des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds sowie aus Landesmitteln stellt rund 700.000 Euro für das Projekt „M.Tech Accelerator“ bereit. Angesprochen sind Gründerfirmen, die sich durch innovative Technologien und Geschäftsmodelle auszeichnen.

service

Beim Baudienstleister Mörk sei die betriebliche Weiterbildung eng verzahnt mit der Unternehmensstrategie und der Unternehmenskultur, heißt es in der Begründung. So habe der Familienbetrieb die betriebliche Weiterbildung neu strukturiert und mit einem aufwändigen Feedbackverfahren verknüpft. Um das betriebsinterne Wissen zu sichern, setze Türenmann auf ein umfassendes, individuell angepasstes Weiterbildungsprogramm und greife in den wöchentlichen Trainings auch auf die eigenen Mitarbeiter als Dozenten zurück. Diese könnten so ihr Spezialwissen direkt weitergeben.

IBA-Gesellschaft nimmt Arbeit auf

Grundlegendes Ziel jedes Jungunternehmens sollte es sein, im Rahmen des Projekts einen marktfähigen Prototypen für ein Produkt oder eine Dienstleistung zu entwickeln. In den Räumen steht zudem eine vielseitige Infrastruktur zur Verfügung, die Labore, Software-Lizenzen sowie mit zahlreichen Maschinen ausgestattete Werkstätten umfasst. Begleitet und unterstützt werden die Start-ups von Projektpartnern, zu denen auch die WRS gehört, sowie von Branchenexperten renommierter Firmenpartner. Interessierte Gründer können sich über die Internetseite bewerben. mtechaccelerator.com

impressum

Die Mörk GmbH aus Leonberg und die Türenmann Stuttgart GmbH haben den Innovationspreis Weiterbildung Region Stuttgart 2017 erhalten. Die Auszeichnung wird alle zwei Jahre gemeinsam von der IHK, der Handwerkskammer und der WRS an kleine und mittlere Unternehmen vergeben, die wegweisende Konzepte zur betrieblichen Weiterbildung ihrer Mitarbeiter entwickelt und umgesetzt haben.

Herausgeber Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS) Friedrichstraße 10 70174 Stuttgart Telefon 0711 2 28 35-0 info@region-stuttgart.de wrs.region-stuttgart.de Geschäftsführer Dr. Walter Rogg

Autoren dieser Ausgabe Niclas Ciziroglou (ciz), Helmuth Haag (hel), Markus Heffner, Johanna Hellmann (jh), Caroline Holowiecki, Sonja Madeja (som), Monika Nill (nil), Michael Ohnewald, Oliver Reichert (or), Tobias Schiller (tos), Katharina Tomaszewski (kt), Hartmut Zeeb Fotos #Wandel Menschenfotografin Lena Reiner / menschenfotografin.de

Verantwortlich Helmuth Haag Redaktion Tobias Schiller tobias.schiller@ region-stuttgart.de

Die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH ist eine Tochter des Verband Region Stuttgart. Das Infomagazin „Region Stuttgart aktuell” können Sie auf der Website des Verbandes einsehen und bestellen: region-stuttgart.org region-stuttgart.de

Gestaltung Projektgruppe Visuelle Kommunikation, Ludwigsburg Zur besseren Lesbarkeit wird teilweise auf die weibliche Form verzichtet.

immo.region-stuttgart.de

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Titelfoto: Vera Kuttelvaserova/Fotolia.com

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Fotos: Dirk Wilhelmy

Entdecken Sie uns online: In der Online-Ausgabe von 179 gibt es noch mehr Geschichten aus der Region Stuttgart 179.region-stuttgart.de

Das Gutbrod Stuttgarts neue Location für Veranstaltungen

Mit der charakteristischen Glaskanzel bildet das Gutbrod einen Blickfang mitten in der Stuttgarter City. Die besondere Veranstaltungsfläche eröffnet viele Möglichkeiten: Von Workshops über Vorträge bis hin zu Empfängen bietet die hochwertige und moderne Gestaltung einen ansprechenden Rahmen. Regionale Einrichtungen, Firmen und Organisationen können die Etage im denkmalgeschützten Gebäude des Architekten Rolf Gutbrod mieten.

wrs.region-stuttgart.de/das-gutbrod

Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH Friedrichstraße 10, 70174 Stuttgart region-stuttgart.de, wrs.region-stuttgart.de


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