Der spiegel geschichte persien

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DER SPIEGEL -�-

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REZA TAMADDONI 20140501

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BEWEGENDE

BILDER

H AU S M I TT EILU N G

Uralte Kulturschätze, Grundideen religiösen und politischen Denkens, das

erste Weltreich der Geschichte, Perlen islamischer Dichtung und Wissenschaft: Auf all das und mehr sind die Perser stolz - mit Recht. Politisch aber gilt Iran heute weltweit als Risikofaktor. Zu Tausenden hat das Mullah-Regime seit 1979 Intellektuelle drangsaliert und ins Exil getrieben; Teherans Beharren aufseinem Nuklearprogramm löst international weiterhin Kopfschütteln und Argwohn aus. Wie kann man ein solches Land verstehen? Im Gespräch mit dem Nestor der deutschsprachigen Iranisten, Bert Fragner, versuchten die Redakteure Dieter Bednarz und Johannes Saltzwedel, der dieses Heft konzipiert hat, etwas mehr vom rätselhaften Wesen Persiens zu begreifen. Fragner, seit fast 50 Jahren mit iranischer Weisheit vertraut, wirbt eindringlich dafür, man dürfe das faszinie­ rende Land und seine Menschen "weder verteufeln noch verklären" (Seite 20).

DER ZEIT­ GESCHICHTE

Er war der langerwartete Thronerbe: Kyros Resa Pahlewi, 1960 als erster

Sohn von Schah Mohammed Resa und Königin Farah geboren. Obwohl die Mon­ archie 1979 gestürzt und Iran in eine islamische Republik umgewandelt wurde, sieht sich der Kronprinz als legitimer Nachfolger seines Vaters. Die Re­ dakteure Dieter Bednarz und Norbert F. Pötzl tra­ fen den ausgebildeten Kampfpiloten und stu­ dierten politikwissen­ schaftler, der als König ohne Land bei Washing­ ton lebt, in Paris zum SPIEGEL-Gespräch. Da­ Pötzl, Bednarz, Resa Pahlewi bei bekundete Pahlewi seine Absicht, nach dem Ende des Gottesstaats, das er nahe glaubt, in seine Heimat zurückzukehren - ob als Staatsoberhaupt oder einfacher Bürger, darüber müssten "die Menschen selbst entscheiden, wenn sie in Freiheit leben" (Seite 122).

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Mit einem ausländischen Journalisten zu sprechen war ungewöhnlich für Großajatollah Montaseri, der jahrelang unter Hausarrest stand. Doch als ein Freund ihm ein Treffen mit SPIEGEL-Autor Erich Follath vermittelte, sagte er im Sommer 2003 spontan zu. Es wurde für den Reporter ein denkwürdiges Inter­ view: Der Mann, der als Vize und designierter Nachfolger Chomeinis gegolten hatte, nannte den Gottesstaat "gescheitert" und sparte nicht mit melancholischen Selbstvorwürfen. Bis zu seinem Tod im Dezember 2009 war Montaseri das gütige Gesicht der islamischen Geistlichkeit in Iran - noch heute verehrt die "grüne" Protestbewegung ihn als Vorbild. Follath beschreibt in diesem Heft die Intrigen der einstigen Weggefährten Cho­ meinis und die Herrschaft des jetzigen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad (Seite 114).

S P I E G E L G ESCH I C H T E

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Hitlers Leibwächter

- die Männer, die den Diktator schützten

Der Blitzkrieg - Das

www.polyband.de

Prinzip der Überraschung

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IN DIESEM HEFT 6

Bildseiten Unbekannte Foto-Dokumente aus

dem Iran des späten

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19. Jahrhunderts

Größe und Wahn

Antike Weltmacht, verkannter Stolz: Iran trägt schwer am Erbe seiner Geschichte

20

"Pioniere der Zivilisation" SPIEGEL-Gespräch mit dem Iranisten Bert Fragner über Persiens Ruhm und seine Rätsel

Im Glanz des Glücks Das antike Persien war Knotenpunkt der Kulturen - und die erste Weltmacht der Geschichte

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Chronik 5000 vor bis 642 nach Christus Gen-Pool des Glaubens Grundtöne der Weltreligionen stammen aus Iran

40 42

Dokument Aus den "Gathas" des Zarathustra Seitenblick Der Siegeszug des Schachs begann

in Persien

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Zäh hielt der Kastenstaat der Sasaniden allen Gegnern ringsum stand

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Chronik 642 bis 1508

Mörder aus dem Paradies

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Einst waren sie Meuchelmörder - heute gelten die Assassinen als besonders weltoffen

66

Hintergrund Persische Kalligrafie ist Kunst und Gottesdienst

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Im Garten der Sprache

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Über Jahrhunderte hat Persiens klassische Dichtung ihren Zauber bewahrt

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Seitenblick Ferdausis "Schahname" 100

Doktor Allwissend Pfeilhagel aus der Ferne

102

Die Mongolen waren mehr als böse Eroberer

104

Hintergrund Juden und Perser verbindet eine

alte Hassliebe

Die heilige Stadt Ghom, eine Hochburg der Schiiten

Paradies der Knoten

Persische Teppiche sind ein eigener künstlerischer Kosmos

Die Franzosen Asiens

Europas Persienbild pendelt seit Jahrhunderten zwischen Argwohn und Sympathie

"Zertretet die Schlange!"

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110 Titelbild

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S P I E G E L G E SC H I C H T E

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Hausmitteilung I

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Schauplätze I

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SPIEGEL-Gespräch mit dem Schah-Sohn Kyros Resa Pahlewi über die Politik seines Vaters und die Zukunft seiner Heimat

Weiblich, islamisch, stolz

Irans selbstbewusste Frauen kämpfen weiter um ihre Rechte

Hunger nach Demokratie

Persiens Intellektuelle suchen zeitgemäße politische Modelle für ihr Land

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Plastikschlüssel zum Paradies

Treibstoff der Feindschaft

Vom Reformer zum Unterdrücker: Wie Schah Mohammed Resa die Realität entglitt

Fotos: Bettman / Corbis, Ulistein, Interfoto, Reuters, AKG

"Eine attraktive Trophäe"

Laila unter der Lupe

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Luxuriös in den Untergang

Chronik 1979 bis 2010

132

Putschist und Reformer

Mossadegh - um ihre Öl-Interessen zu wahren

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Buße in Schwarz

Gottes Staat Mit Ajatollah Chomeinis Ankunft begann ein heikles politisches Experiment, das viele inzwischen für gescheitert halten

1953 stürzten die Westmächte Irans Premier

Eine fabelhafte Autopsie Herodot sah das Tragische im Weltgeschehen

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Die halbe Welt

In der farbenfrohen Metropole Isfahan setzte sich Schah Abbas sein schönstes Denkmal

Resa Schah katapultierte sein Land in die Moderne, oft mit Gewalt

Der unbekannte Despot

Stimmen die Anekdoten über Großkönig Xerxes?

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Chronik 1501 bis 1979

Irans Kurden haben noch bei keinem Regime Verständnis gefunden

Avicenna - philosoph und Patriarch der Medizin

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das Land nie

Allahs Ankunft

Der Siegeszug des Islam verwandelte Persien ohne dass das Land seinen Charakter einbüßte

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Souverän im Chaos

So viele Mächte Iran sah, so rasch die Dynastien wechselten - aufgeteilt und kolonialisiert wurde

ALLAH UND DIE POESIE

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DAS MULLAH-REGIME

SPIELFELD DER MÄCHTE

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FEUER DES KÖNIGTUMS

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Ein Speer für zwei

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Die iranische Minüiturmalerei - eine lebendige Tradition

Der Irak-Krieg bleibt für Millionen Perser eine Wunde in ihrem Leben

9 mal 13 Zentimeter Heimat

Folter und Drangsal: Viele Exil-Iraner sind von den Gräueln gezeichnet, die zwei Diktaturen ihnen angetan haben

"willkommen im Imperium"

Eine Reise in den heutigen Iran zeigt ein bizarres Land voller Widersprüche - mit klugen, stolzen Einwohnern

Buchempfehlungen

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Vorschau I

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Impressum

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Persien, wie es war: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hielt der Deutsche Ernst Höltzer Trachten, Feste, Gebäude und Charaktere in ein­ drucksvollen Bil­ dern fest - eine bald darauf von Moder­ nisierungswellen ausgelöschte Welt .

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ERNST HÖLTZER (1835 BIS 1911)

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war ein deutscher Telegrafie-Inge­ nieur, der von 1863 an ü ber 30 Jahre i n Persien lebte, Von Isfahans armenisch geprägtem Vorort Dschulfa aus bereiste er schon von Berufs wegen weite Teile des Lan­ des; ab 1873 begann er Menschen, Al ltagsszenen, Handwerk, Bräuche und Bauten zu fotografieren, wofür er sogar eigene Expeditionen unter­ nahm. Die etwa tausend Glas­ negative werden seit einigen Jahren in Zusammenarbeit mit den Staatli­ chen Kunstsammlungen Dresden wissenschaftlich erschlossen . SOLDATEN-DARSTELLER für das

Trauerfest Muharram, in dem der Märtyrertod des Schia-Helden Hos­ sein szenisch nachgespielt wird

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Das Isfahan des Ernst Höltzer bot seit Jahrhunderten ein vorwiegend islamisch geprägtes Bild. Dennoch waren neben Kulturtraditionen wie der armenischen auch schon europäische Einflüsse zu spüren. PERSER MIT SEINEM SOHN

Gegen die tradi­ tione l l e Kleidung des Vaters hebt sich das europäi­ sierende Frack:­ mäntelchen des Jungen ab.

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ISLAMISCHE BAUTRADITION Die Madar-e-Schah-Hochschule (0.), erbaut 1706 bis 1714

u nter Schah Sultan Hossein, l iegt an der Isfahaner Prachtstraße Tschahar Bagh . Das Hospital von Dr. Carr (u.) enthielt neben dem I nnenhof Unterkunftsbereiche wie eine Karawansere i .

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Neugierig und doch gelassen posieren die Frauen mit riesigen Bündeln von Naturalien für die Kamera des Fotografen - es muss ihnen kurios vorkommen dass jemand diesen Moment festhalten will. 10

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LOR-FRAUEN AUF DEM WEG ZUM MARKT Die Loren

oder Bachtiari leben im Südwesten I rans, verstreut in den Provinzen Fars und Chusestan. Bis heute haben sie als Nomaden, Halbnomaden und sesshafte Bauern i h re Eigenständigkeit bewahrt - so pflegen sie eine eigene Teppich-Tradition. H ier tragen Frauen des Stammes trockene Blätter zum Isfahaner Basar.

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A.

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Höltzers Fotos zeigen Menschen voller Stolz auf die Normalität ihres Lebens - und doch oft mit nachdenklichem oder fragendem Blick: Die ersten Anzeichen der Moderne waren schon klar zu erkennen. ALLTAG IN ISFAHAN Von der Koran­ schule (0. 1.) bis zur Basar-Bäckerei (u. r.) dokumentierte Ernst Höltzer im Lauf der Jahre das Leben i n seiner Umgebung. Dabei entstanden auch immer wieder Porträts wie das einer Armenierin-aus der Nachbarschaft (0. r.). Die Athleten der rituellen Pahlawan-Gymnastik, die mit Keu len und Stützbrettern arbeitet (u. 1.), sangen während des Sports Verse aus Ferdausis Nationaldichtung "Schahname".

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Großmacht zwischen Euphrat und Indus Dynastien und Reiche auf persischem Boden Achaimeniden-Reich 558 bis 330 v. (hr.

• Kernländer • Perser-Reich, größte Ausdehnung halbautonome Gebiete

Von DIETER BEDNARZ

Osmanisches Reich 1914

Aralse/I

• Ausgangsgebiet • Eroberungen bis 1055 Eroberungen bis 1078

• Sasaniden-Reich, größte Ausdehnung um 270 n, (hr. o Parther-Reich im 1. und 2, Jahrhundert n. (hr.

Berichte über die konkurrierende Groß­ er Weg in die Vergangenheit ist macht aus Zentralasien auch sind: Die gut ausgebaut. Er führt von Schi­ "reichste Stadt unter der Sonne", so der ras, der Hauptstadt der Provinz Historiker Diodor, faszinierte sie alle. Fars im Südwesten Irans, über eine Die "Metropolis des Königtums der Per­ mehrspurige Straße. Wie moderne Ka­ ser" war die zentrale Residenz eines Imrawanen ziehen auf ihr Touristenbusse und Kleinwagen mit iranischen Familien durch das hügelige Gelände der Hoch­ ebene Maiw-e Dascht. Gut 50 Kilometer verläuft die schnurgerade Strecke durch eine Art Halbwüste. Nur ab und zu sor­ gen Felder und größere Siedlungen für Abwechslung. Nach knapp einer Stunde erreichen die Reisenden ihr Ziel. Am Fuße des Kuh-e Rahmat, des "Berges der Barm­ herzigkeit", erhebt sich vor ihnen eine der bedeutendsten historischen Stätten der Weltgeschichte: Parsa, bekannter un­ ter ihrem griechischen Namen Persepo­ lis, "Stadt der Perser". Die monumentale Freitreppe, die den Besucher empfängt, lässt die einstige Herrlichkeit erahnen. 111 Kalksteinstu­ fen, geschlagen aus dem nahen Berg, füh­ ren hinauf zu einer gewaltigen Terrasse Kyros der Große von 130 000 Quadratmetern, so groß wie Phantasiestich des 19, Jahrhunderts 18 Fußballfelder. Die Stufen sind so flach und tief, dass sie zum Schreiten zwingen. periums, das Dareios I. etwa 500 v. Chr. "Wie ein Schiff, das in die Weite des Mee­ errichtet hatte. Als mächtigster Mann res entlassen wird, schiebt sich die große der Welt herrschte der Perser-Führer Terrasse in die Ebene, die Säulen ragen über mehr als zwei Dutzend Völker in wie kahle Masten in die Luft", schwärm­ Asien, Afrika und Europa. te die britische Schriftstellerin und Iran­ In den Palästen von Persepolis, so die Reisende Vita Sackville-West Anfang des iranische Überzeugung, empfing der vergangenen Jahrhunderts von dem An­ "König der Könige, König der Länder, blick. König auf dieser großen Erde", wie sich Wie grandios die Stadt zu ihrer Blü­ Dareios aufInschriften nennen ließ, sei­ tezeit vor 2500 Jahren gewesen sein ne Statthalter und Verbündeten aus den muss, belegen die Schilderungen grie­ Provinzen zu Nowrus, dem Neujahrs­ chischer Geschichtsschreiber, die Eu­ und Frühlingsfest. In den Opferstätten ropas Bild von den Persern entscheidend am Fuße des Berges der Barmherzigkeit prägten. So parteiisch die hellenischen huldigte Dareios seinem obersten Gott:

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Seldschuken-Reich 1040 bis 1195

Sasaniden-Reich 224 bis 651 n. (hr.

Ahura Mazda, der nach der Lehre des persischen Religionsstifters Zarathustra "den Himmel, die Erde und den Men­ schen schuf". Bis heute wird Nowrus am 21. März in ganz Iran begangen. Und bis heute ist auch Persepolis noch immer ein ideelles Zentrum des Landes, das sich seit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhun­ derts Iran nennt. Schätzungsweise zehn Millionen Iraner bestaunen jedes Jahr das "achte Weltwunder", so der iranisch­ deutsche Archäologe Mahmoud Rashad. Nach Persepolis strömen - trotz aller Krisen und Konflikte Irans - aber eben­ so Zehntausende Besucher aus dem Aus­ land. Im Februar hat der Iran-Reisegrup­ penleiter und Autor Rashad seine 250. Reisegruppe aus Deutschland durch die grandiosen Trümmer geleitet. An die historische Stätte zieht es auch international renommierte Forscher wie den Direktor des Instituts für Iranistik an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Bert Fragner. Seit fast 50 Jahren ist der Wissenschaftler den Ursprüngen der Perser und ihrer Kultur auf der Spur (siehe Gespräch Seite 20). Und noch immer berührt den Wiener Gelehrten die "außergewöhnlich würdi­ ge Atmosphäre dieses Ortes", der so wichtig ist für das Verständnis des Landes, seiner Geschichte und seiner Menschen. Reiseleiter Rashad sagt es bei seinen Führungen etwas plakativer: "Persepolis, das ist Persien." Zumindest ist Persepolis der gemein­ same Nenner für die etwa 75 Millionen Einwohner der Islamischen Republik Iran, die der Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini nach dem Sturz des Schahs im Februar 1979 ausgerufen hat. Auf die Ruinen sind die letzten Royalis­ ten so stolz wie die größten Islamisten.

• Osmanisches Reich 1914 Osmanisches Reich, unter britischer Verwaltung

Hier stellte sich 1971 auf einer pompösen Mega-Party Mohammed Resa Schah in eine Ahnenreihe mit Dareios. Heute zieht es hierhin selbst Banner­ träger der Revolution wie Präsident Mahmud Ahmadinedschad. Im März 2007 lud der Staatschef - demonstrativ bescheiden in dunkler Windjacke - "die Mächte der Welt" dazu ein, "auf unsere Kosten nach Persepolis zu kommen, da­ mit sie die Macht und die Fähigkeiten unseres Volkes sehen". Als wären sein umstrittenes Regime und die Macht ei­ nes Dareios auch nur annähernd ver­ gleichbar, beschwor er die Größe und Herrlichkeit der alten Perser: "Sie haben Mächte in die Knie gezwungen, vor de­ nen die heutigen Mächte ein Nichts sind." Deutlicher hätte er den "großen Satan" USA nicht schmähen können.

fünfmal größer ist als Deutsch land. Schon vor über 10 000 Jahren sollen in diesem unwirtlichen Gebiet Menschen gelebt haben. Doch erst mit der indo­ germanischen Einwandererwelle be­ gann die eigentliche Besiedlung: Im Nor-

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So ist Persepolis für viele Perser nicht nur ein kostbarer Kulturschatz und Synonym für den Stolz auf eine Zi­ vilisationsgeschichte, deren Anfänge so weit zurückgehen in die Vergangenheit wie bei kaum einer anderen Nation. Per­ sepolis ist auch die Stein gewordene Ma­ nifestation eines Machtanspruchs, der sich über die Jahrtausende ins kollektive Gedächtnis des Volkes eingebrannt hat, dessen Selbstwertgefühl prägt und das Handeln seiner Herrscher bestimmt und mitunter die Grenzen zwischen Größe, Wahn und Sinn verwischt. Der Blick zurück auf die Anfänge die­ ser Supermacht der Antike führt in ein karges Hochland, das etwa den Grenzen des heutigen Iran entspricht und etwa

Präsident Ahmadinedschad posiert in Persepolis 2007.

den und Nordosten setzten sich die Sky­ then fest, im Nordwesten ließen sich die Meder nieder. In den Süden zogen die Parsa ein, die als Ur-Perser gelten. Farsi, die Bezeichnung der heutigen Landes­ sprache Persisch, ist ebenso eine Ablei­ tung von Parsa wie der Name der Pro­ vinz, in der Persepolis liegt. Der Aufstieg zur ersten Weltmacht der Geschichte begann mit dem Nieder-

gang der Elamer, deren Reich mit der Hauptstadt Susa am westlichen Rand des Hochlands lag. Erst nachdem die As­ syrer, die über das fruchtbare Mesopo­ tamien und weite Teile des Nahen Os­ tens regierten, die Elamer besiegt hatten, konnten sich die Perser auf deren Herr­ schaftsgebiet ausdehnen. Der Drang zur Größe, der Persiens Geschichte bestim­ men sollte, war geweckt. Endgültig aus der Enge des Hoch­ lands führte die Perser Mitte des 6. Jahr­ hunderts v. Chr. dann Kyros H., genannt der Große, der bis heute verklärt wird wie kein anderer ihrer Herrscher. Schon um seine Abstammung ranken sich die Mythen. Für den Geschichtsschreiber Herodot war der Vater ein persischer Vasall, die Mutter die Tochter des Me­ derkönigs Astyages. Der griechische Au­ tor Ktesias hingegen sieht in Kyros den Sohn eines persischen Freischärlers und einer Schafhirtin. Der Persepolis-Erbau­ er Dareios jedoch reiht Kyros ein in den eigenen Stammbaum, den der Achaime­ niden. Als Urvater dieses Fürstenge­ schlechts gilt der Stammesführer Hacha­ manisch, auf griechisch Achaimenes, der zum Begründer der Dynastie stilisiert wurde. Der Aufstieg des Kyros hatte wahrlich biblische Dimensionen. Wahrend Rom noch ein Kleinstaat in Mittelitalien ist und die Germanen weder Städte noch Schrift kennen, gebietet der Perser über das erste Weltreich der Geschichte. Weil er bei der Eroberung Babyions - wie ne­ benbei - die dort lebenden Juden aus ih­ rer Gefangenschaft befreit, wird Kyros

Während Rom noch ein Kleinstaat ist, gebietet Kyros bereits über das erste Weltreich der Geschichte. S P I E G E L G E S C H I C HTE

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in der Heiligen Schrift der "Gesalbte" ge­ nannt, den Gott "an der rechten Hand gefasst hat, um ihm die Völker zu unter­ werfen, um die Könige zu entwaffnen" (Jesaja Kapitel 45, Vers 1). Selbst die ers­ te Menschenrechtsdeklaration schrei­ ben viele Perser ihrem Kyros zu. Das allerdings ist eine Legende, auch wenn es eine Tonrolle gibt, auf der dem Herr­ scher in Keilschrift die Förderung von Frieden und Kultpflege zugeschrieben wird. Unbestritten ist, dass Kyros ein um­ sichtiger und erfolgreicher Groß könig war. Die besiegten Reiche behielten weit­ gehend ihre Autonomie und ihre eigene Verwaltung - und damit ihre Würde. Sich auch nur in die Nähe dieses Über-Herrschers zu rücken sollte in den folgenden Jahrtausenden für manche Regenten geradezu zur Obsession wer­ den. "Kyros, großer König, König der Kö­ nige, unsterblicher Sohn der Geschichte, ruhe in Frieden, denn wir wachen und werden weiter wachen", gelobte Schah Mohammed Resa 1971 in Persepolis. Acht Jahre später stieß Ajatollah Cho­ meini ihn vom Pfauenthron. Perfektioniert wurde die persisch-ele­ gante Art der Staatsführung von Dareios. Der Sohn eines Statthalters unter Kyros erweiterte nicht nur das Reich noch ein­ mal. Er stieß bis ins heutige Bulgarien vor. Mit der Errichtung von Persepolis begründeten er und sein Sohn Xerxes den Mythos von der alles überragenden persischen Zivilisation. Doch Persepolis steht zugleich für tie­ fe Schmach. Wie ein Tsunami ist Alexan­ der der Große 330 v. Chr. über die Stadt hinweggefegt und ließ die Paläste des Xerxes - als Vergeltung für dessen An­ griffe auf Athen und die Zerstörung der Akropolis - niederbrennen. Dass der Mann aus Makedonien die Perser um ihre Vormachtstellung brachte, wurde zum Trauma eines ganzen Volkes. Zu jäh kam der Sturz vom Weltmacht­ Thron, zu groß war die Demütigung. Was blieb, war der Wille, wieder ein Glo­ bal Player zu werden. Irgendwann. Ir­ gendwie. Gleichsam das Sammelbuch zur Ver­ klärung der Vergangenheit liefert 1300 Jahre später ein Mann, mit dem die zweite Glanzzeit Persiens beginnt: Abu al-Ghasem Mansur Ferdausi, Verfasser des berühmten "Schahname", des Buchs der Könige. In über 50 000 Versen er­ zählt er die Sagen und zum Teil wohl auch tatsächlichen Geschehnisse von

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REZA TAMADDONI 20140501 den Anfängen Persiens bis zur Erobe­ rung durch die Araber und der damit ab dem siebten Jahrhundert verbundenen Islamisierung. Ferdausis "Schahname" wird zum Stammbuch der Nation. Nur der Koran, die Offenbarungen Allahs an den Propheten Mohammed, hat Iran tie­ fer geprägt. Mit Ferdausi und den Dichtern, die ihm folgen, vor allem Hafis und Saadi, erlebt Persien ein Comeback als Groß­ macht, diesmal als geistige. Das Land steht nun für kulturelle Größe, für Dich­ tung, Malerei und die hohe Schule des Teppichknüpfens, während in Europa die Fußböden noch kalt und kahl blie­ ben. Die Mausoleen von Hafis und Saadi die beide in der südwestlichen Stad� Schiras liegen, sind bis heute das Mekka für jeden auch nur halbwegs gebildeten Iraner. Saadis Gedichte stehen in jedem Schulbuch, und Verse aus seinem Ge-

dichtband "Golestan" (Rosengarten) zie­ ren die Eingangshalle der Vereinten Na­ tionen in New York: "Die Menschenkin­ der sind ja alle Brüder, aus einem Stoff wie eines Leibes Glieder, hat Krankheit nur ein einzig Glied erfasst, so bleibt an­ deren weder Ruh noch Rast." inspirie­ ren ließ, gilt als Meister des "Ghasel", ei­ ner Liedreimform, die von Liebe, Tren­ nung und Sehnsucht handelt, von Schön­ heit, Anbetung und der Vergänglichkeit des Lebens. Sie preist den Lebensgenuss und tadelt liebevoll-böse die religiöse Scheinheiligkeit des muslimischen Kle­ rus. Berühmt wurde Hafis durch sein posthum erstelltes Sammelwerk aus 489 Ghaselen, "Diwan" genannt. Es ist die Feinsinnigkeit der Dichter, die - wenngleich mit erheblicher Ver­ zögerung - den Westen verzückt. Erst Hafis, der sich von Saadi

in der Reflexion auf Persien, das zum Inbegriff des ebenso wundersamen wie faszinie renden Morgenlands wird, er­ kennt sich das Europa des 18. und be­ ginnenden 19. Jahrhunderts, Zeit der Aufklärung und Romantik, als Abend­ land. In Königsberg begeistert sich der Philosoph Immanuel Kant für die "Fran­ zosen Asiens". In Weimar schreibt Jo­ hann Wolfgang von Goethe seinen "West-ö stlichen Divan", eine Gedicht­ hommage an den Seelenverwandten Ha­ fis in Schiras. Geprägt ist das persische Selbstbild aber auch durch die Zugehörigkeit zur Schia, jener islamischen Glaubensrich­ tung, die vom Herrschergeschlecht der

Safawiden im 16. Jahrhundert zur Staats­ religion erklärt wurde. Das Bekenntnis zur Schia war ein stra­ tegischer Schachzug, um das Reich zu einen im Abwehrkampf gegen die sunni­ tischen Osmanen. Damit jedoch wurde Persien zum Zentrum einer Glaubens­ richtung, die sich nach der Ermordung des Propheten-Vetters Ali und später auch seines Sohnes Hossein im 7. Jahr­ hundert abgespalten hatte und bestimmt ist von der Bereitschaft zum Marty-rium, dem Gefühl des Auserwähltseins. Sich ständig wehren zu müssen gegen Verrat und Hinterhalt, gegen böse Mächte und die große Mehrheit bestimmt die per­ sische Seele nicht weniger als Groß-

machtstreben und der so ausgeprägte Kulturstolz. Die traditionelle Schia hielt sich mit politischen Ansprüchen eher zurück, verharrte weitgehend still in der Erwar­ tung des Mahdi, des verborgenen Imam, jenes Messias der Schiiten, der zum Ende aller Zeiten die Herrschaft über­ nehmen wird. Bis Chomeini den An­ spruch der Geistlichkeit auf politische Führung - als Mahdi-Ersatz - erhob. So wurde Iran zum Exporteur der islami­ schen Revolutionsidee. Da ist er wieder, der Drang nach Ein­ fluss und Größe. Der religiöse Fanatismus, der allzu schnell die Revolution vergiftete, erfasste zwar nur eine kleine Schicht der Bevöl­ kerung. Doch er wird zur dunklen Seite Persiens, das sich auf die "Achse des Bö­ sen" gesetzt sieht; dem im Nuklearkon­ flikt mit dem Westen sein verbrieftes Recht auf Urananreicherung verwehrt wird - obwohl sie laut dem Regime aus­ schließlich zivilen Zwecken dient. Da ist es wieder, das Gefühl, ausge­ grenzt zu sein. und Provoka­ teure in Teheran das Bild von Persien noch trüben, vermag niemand zu sagen. Die Massenproteste gegen die allzu offensichtlieh manipulierte Wiederwahl Ahmadi­ nedschads im Juni 2009 scheinen den An­ fang vom Ende der Welajate Fakih, der Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten, zu markieren. Könnte ein Militärregime gestützt auf die Revolutionswächter und die Bassidsch, die Volksmilizen - die Zu­ kunft des Landes bestimmen? Was wird bleiben vom Gottesstaat? Die gewaltige Grabstätte des Ajatollah Chomeini im Süden Teherans? Als Erin­ nerung an Sendungsbewusstsein und Macht der Schia - und den Missbrauch des Glaubens durch die Politik? Für die meisten Iraner hat das Mau­ soleum des Revolutionsführers mit der goldenen Kuppel bereits im Jahre 31 nach der Revolution seine Strahlkraft verloren. Von zeitloser Magie für eine ganze Nation scheint hingegen Persepo­ lis, "das Juwel von Allem", was er je ge­ sehen habe, wie der deutsche Geograf und große Weltreisende des 18. Jahr­ hunderts, Carsten Niebuhr, schwärmte. Da ist es wieder, das großartige Persien.

Wie lange die Eiferer

iens, Der religiöse Fanatismus wird zur dunklen Seite Pers das sich auf die "Achse des Bösen" gesetzt sieht. 19

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SPIEGEL- GE SPRÄCH

Der Iranist Bert Fragner über persische Id entität, d ie Macht d er Poesie un d d ie Erfin dung d es Teufels ---------------------- --------------------------------------------------------------------- ----------------------------.---------------._-----

"Pioniere der Zivilisation" S P I EGEL: Professor Fragner, seit fast einem halben Fragner: Das kann man sagen. Zwar stammen die Jahrhundert erforschen Sie Kultur und Geschichte ältesten Mythen deutlich aus dem indogermani­ Persiens. Jetzt wird Iran vielfach als Schurkenstaat schen Hintergrund, aber der klare Gegensatz von gesehen, der den weltfrieden bedroht und die ei­ Gut und Böse als religiösem Grundmotiv scheint gene Bevölkerung unterdrückt. Was empfinden Sie persischen Ursprungs zu sein und taucht dort im­ mer wieder auf. Leichtfüßig formuliert: Die Perser bei solchen Vorwürfen? haben den Teufel erfunden - das ist welthistorisch Fragner: Ich bin verstört und besorgt, denn ich sehe im Gegensatz zur Politik das Land selbst ganz etwas ganz Besonderes und sehr Einflussreiches. S P I EGEL: Aber die Völker im anders. Es hat im Vorderen Umkreis, Ägypter oder Grie­ Orient wohl die größten chen, haben die strikte Lehre Möglichkeiten zur Moderni­ von Gut und Böse doch nicht sierung: Zivilgesellschaft, Bil­ einfach übernommen? dungsniveau, Öffentlichkeits­ Fragner: Tiefenwirkung bewusstsein, für all das gibt es weit mehr als nur An­ braucht Zeit. Hätten zum sätze. Einen demokratischen Beispiel die Soldaten des römischen Kaiserreichs, die Aufbruch, eine Verfassungs­ meist an den judäischen Er­ reform hat Persien schon vor über hundert Jahren erlebt, lösergott und seinen Sohn Jesus Christus oder an den das ist in dieser Region persisch geprägten Erlöser unerhört. In allen Schichten Mithras glaubten, nur etwas existiert dort freiheitliches Denken, mit älterer Tradition mehr zum Zweiten geneigt, dann wäre Europa vielleicht als überall im Umkreis. SPI EGEL: Woher kommt diese mithräisch geworden. Bizarre Einzigartigkeit? Aus dem Be­ Vorstellung, aber ein wenig wusstsein einer jahrtausende­ davon ist sogar eingetreten: ; Schon aus geistlichem Wettalten Kultur? Fragner: Historischen Paral­ bewerb hat das Christentum � lelen über so lange Zeiträume Denkmotive wie etwa die Endzeitlehre aus dem irani­ traue ich nicht. Wenn man ge­ BERT FRAGNER nau hinsieht, passen die nie. schen Fundus übernommen. Der gebürtige Wiener, der als Doyen S P I EGEL: Aber die Perser wa­ SPI EGEL: Seit wann kann man ren doch schon in ihrer Früh­ der deutschsprachigen Iranisten gilt , denn überhaupt von Persien sprechen? zeit geistig-religiös verblüf­ war von 1989 bis 2003 Professor an der Universität Bamberg. Bis Ende Fragner: Die Frage nach der fend originell? 2009 leitete Fragner, 70, das von iranischen Identität ist eigent­ ihm aufgebaute Institut für Iranistik lich eine junge Frage. Die Groß­ Das Gespräch führten die Redakteure an der Österreichischen Akademie könige Kyros oder Dareios Dieter Bednarz und Johannes Saltz­ der Wissenschaften in Wien. waren einfach sie selbst, wedel in Wien.

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L A N D D E R A N FÄ N G E

"König der Könige". Als Reichsbezeich­ nung kommt der Name Iran unter den Sasaniden auf, etwa 260 nach Christus. Es ist ein Kunstwort, das Identität schaf­ fen sollte. Auch nach dem Ende der Sa­ saniden-Dynastie lebte die Bezeichnung fort, so ähnlich wie man heute noch von der Donaumonarchie redet. SPI EGEL: Und wo lassen Sie die Antike? Waren die Großkönige keine Perser? Fragner: Es gibt von den Achaimeniden wie Dareios 1. und Xerxes 1., die gegen Griechenland kämpften, keine Kontinui­ tät zu Späterem. Sie gehen unter, ihr Reich, ihr Recht, alles. Im großen Hel­ denbuch des Dichters Ferdausi, dem "Schahname", däs. um 1000 entstand, kommen sie praktisch nicht vor. S P I EG EL: Unser von Griechen wie Ais­ chylos und Herodot bestimmtes Bild, in dem der Achaimeniden-Staat Persien heißt, führt also ziemlich in die Irre? Fragner: Von Iran aus gesehen ja. Dort wiederum ist kaum bekannt, dass in eu­ ropäischen Köpfen seit den alten Grie­ chen der Gegensatz von freien, tapferen Hellenen zum dumpfen despotischen Block namens Persien herumspukt. S P I E G E L: Ist es nicht ebenso überzogen, wenn heute viele Iraner die Großkönige verklären - zum Beispiel Kyros 11. als Erfinder der Menschenrechte? Fragner: Das sind moderne Konstruktio­ nen. Mit solchen Leuten habe ich schon oft diskutiert. Es macht eben stolz, uralte Ahnen zu haben. Aber sollen wir auf Ger­ manen stolz sein, die Italiener auf die Rö­ mer, die Franzosen auf die Gallier? S P I E G E L: Wann entsteht dann eine per­ sische Identität, die bis heute fortwirkt?

S P I EGEL: Mongolen begründen die per­ sische Identität? Fragner: Politisch verwendet jeder Be­ zeichnungen, wie sie ihm nützen, und Ariernachweise gab es damals nicht. Als Perser galt zunächst nicht so sehr, wer aus den alten Kernregionen Fars und Medien stammte, sondern wer haupt­ sächlich und gewandt persisch redete. Es war eine enorm wichtige Verkehrs­ sprache: Immerhin konnte man sich von Anatolien bis weit in den Kaukasus, Zen­ tralasien, ja in ganz Indien damit ver­ ständigen. S P I EGEL: Aber für Europäer blieb Per­ sien fremd. Alles die Schuld der Grie­ chen?

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Über viele Jahrhunderte galt alles Persische einfach als chic. Erst im 19. Jahrhundert, als der Natio­ nengedanke erwacht? Fragner: Nein, schon im Mittelalter. Über 600 Jahre nach der Sasaniden-Dy­ nastie regieren in Täbris die mongoli­ schen Ilchane. Parallel zu ihren Vettern, die in Peking sitzen und sich zum Kaiser von China proklamieren lassen, wärmen sie den alten Begriff ganz offiziell wieder auf: Das südliche Teilreich in ihrem rie­ sigen Herrschaftsgebiet nennen sie Iran und erklären sich nach sasanidischem Muster zu iranischen Königen. Die Mon­ golen erkannten die territoriale Einheit; ein Steuerbeamter hat das Land damals recht genau beschrieben. 22

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Fragner: An der Peripherie war man ein­ ander gar nicht so fremd. Schauen Sie den Hellenismus an: Alexander - den viele Iraner weiterhin "den Makedonen" nennen, weil er nicht "der Große" für sie sein darf - war nicht bloß persönlich von Persien fasziniert. Sein Eroberungs­ zug hinterließ Reiche, die im Gewand der griechischen Sprache die persische Kultur weit nach Westen durchsickern ließen. S P I EGEL: Was war so attraktiv an dieser Kultur? Fragner: Persisches galt irgendwie als chic. Über Jahrhunderte fand man es fein, ästhetisch, luxuriös, elegant, raffi-

niert - einfach chic. Auch wenn injeder Epoche natürlich etwas anderes die Nachbarn faszinierte. Hinzu kamen ganz praktische Vorsprünge, zum Bei­ spiel die persische Zeitrechnung. Sie ist wohl die einzige, die das Jahr mit dem Frühling beginnen lässt, anders als die Mondkulturen drum herum. Sonnenjah­ re sind perfekt für Ackerbauern: Man kann die Ernte vorplanen und entspre­ chend die Steuertermine - ein klarer KulturvorteiL So etwas freut Iraner, sie sehen sich gern als Pioniere der Zivili­ sation. Haben die Perser nicht vielleicht sogar das Kochen erfunden? S P I E G E L: Solchen Kultur-Ehrgeiz kön­ nen Deutsche gut verstehen. Fragner: Vielleicht entstand deshalb nach der Entzifferung der Inschriften an den Königsgräbern im 19. Jahrhun­ dert diese erstaunliche Persien-Eupho­ rie in Deutschland. Sprachforscher, die das Indogermanische rekonstruieren wollten, sahen in den altiranischen Quellen wichtige Beweisstücke für ari­ sche Urkultur. Aber auch die Iraner selbst basteln gern an solchen Ge­ schichtstheorien. Da hatten zum Bei­ spiel mehrere persische Exil-Intellek­ tuelle 1916 im wilhelminischen Berlin die Zeitschrift "Kaweh" gegründet. So heißt der berühmteste Rebell der per­ sischen Sage: ein zäher Schmied, der seine Lederschürze zum Banner der Freiheit macht. Als nun in Russland die Oktoberrevolution losbrach, erschien in "Kaweh" sehr rasch ein Text, der einen antiken Sektierer namens Mazdak zum "ersten Kommunisten" erklärte - was 23


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natürlich hieß: Diesen Gedanken hat­ ten wir Perser schon lange. S P I E G E L : In einer Hauptsache waren Perser ja nun nicht die Ersten: beim Islam, der von Arabien aus das Land erober­ te. Das muss doch ein Kultur­ schock gewesen sein? Fragner: Es war eine Revo­ lution, vor allem sprach­ lich-sozial. Unter den Sa­ saniden gab es eine strenge Kastengesellschaft mit großer Ungleichheit. Das damalige persische Schrift­ system trug dazu bei, es war ungeheuer kompliziert: Aramäische Wörter und Buchstaben, aber persisch gesprochen und mit persi­ schen Wortendungen - ein hochexklusives, esoterisches Gebilde, zur Verständigung un­ tauglich. Die hierarchisch organi� sierte Staatsreligion wirkte in die glei­ che Richtung. Und nun kommt ein neu­ er Glaube, der grundsätzlich alle Men­ schen gleich sein lässt. Eine gewaltige Herausforderung! S P I E G E L: Und die Iraner nahmen sie widerstandslos an? Fragner: Die Bekehrung dauerte lange, über drei Jahrhunderte - aber nicht, weil Widerstand aufkam. Keiner war gezwungen, zum neuen Glauben über­ zutreten. Sprachlich passierte wohl das Verblüffendste. Fast überall sonst zog mit dem Islam das Arabische ein, aber nicht in Iran. Dort beharrte man aufdem Persischen, ja man nutzte den Umbruch, die eigene Sprache mit arabischen Buch-

Persische Goldmünze (Stater) aus dem 5. Jahrhundert vor Christus

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tralasien lernten den Islam auf Persisch kennen. Die muslimischen Uiguren im heute chinesischen Xinjiang benennen ihre Gebetszeiten noch immer mit per­ sischen Wörtern. Geradezu Weltsprache ist Persisch zur Zeit der Mongolen: Als der Großchan Güyük 1246 an Papst In­ nozenz IV. schreibt, schickt er den Brief auf Mongolisch und auf Persisch. S P I EGEL: Aber erst die Poesie hat doch der Sprache ihren wahren Glanz verlie­ hen?

Mystiker deuten die Dinge so lange um, bis sie bei Gott angelangt sind. staben zu schreiben - was im Verhältnis zum früheren System sehr simpel war. Erstaunlich rasch entstand so eine Schriftsprache, in der sich auch arabi­ sche Fremdwörter für die Verwaltung in die Texte einfügten. S P I EGEL: Ein weiterer persischer Genie­ streich ... Fragner: Diesmal ganz im Ernst: ja. Ge­ rade weil das Neupersische, das um Bu­ chara und Samarkand, im heutigen Us­ bekistan, entstanden war, als islamisch wahrgenommen wurde, entwickelte es sich rasch zur Lingua franca der Seiden­ straßen-Kaufleute. Viele Völker in Zen24 S P I E G EL G E SCHICHTE

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Ferdausi schreibt kein Werk gegen die Araber. Er ist viel raffinierter, er stützt sich ja sogar auf einen arabisch schrei­ benden Historiker. Das meiste, wovon er erzählt, ist aber Sasaniden-Ge­ schichte. Und weil er so spannend schreibt, sind seine Hörer unterhalten und sagen zugleich: Ja, das sind unsere Könige, unsere Helden, unsere Ah­ nen. Jeder, der seither in Persien geherrscht hat, fand im "Schahname" seine Vor­ bilder. Das Werk hat ungeheu­ re Wirkung gehabt. S P I E G E L: Ist es die wichtigste Gründungsurkunde der iranischen Identität? Fragner: Sicher eine der bedeutendsten - zusarrunen mit der Sprache, der Poesie und einem weiteren Phänomen: der Mystik. S P I EG E L: Und der schiitische Islam? Fragner: Heute gehört er natürlich dazu. Aber er wurde erst nach 1500 importiert, das war ein langer Prozess - und die Mystik hat dabei eine wichtige Rolle ge­ spielt. S P I EG E L: Was meinen Sie mit Mystik? Fragner: Mystiker deuten die Dinge der Welt so lange um, bis sie bei Gott ange­ kommen sind. Theologen und Dichter machten nun etwas Ähnliches: Schon bevor die Schia in Persien Fuß fasste, er­ fanden sie über Hunderte von Jahren einen wahren Bildercode, ganze Geflech­ te von Metaphern, die ein Eigenleben entwickelten. Im sogenannten indischen Stil meinte zum Beispiel der Satz "Ein Schiff mit fünf Masten fährt durch die Sundastraße in den Hafen von Surat in Indien" etwas zart Erotisches: Eine Hand fährt über die Stirnfalten und strei­ chelt das lächelnde Gesicht der oder des Geliebten bis zur Wange. Man spielte virtuos mit Lautanklängen und Bedeu­ tungsnuancen, geistlich oder weltlich. Das versetzte die Leute in Ekstase ... S P I EG E L: ... und begeistert sie bis heute? Fragner: Und wie! Darin liegt für Iraner die große kulturelle Kontinuität: "Das können nur wir", sagen sie, mit Recht. Diese alte poetische Tradition ist ihr Ei­ genstes. Fragner:

Fragner: Das geschah zwischen 1000 und 1400, in der Epoche der großen klas­ sischen Dichter. Einer der ersten ist Fer­ dausi, der Mythen-Geschichte in Versen schreibt. Sein "Schahname", das "Buch der Könige", erzählt in weit über 50 000 Versen einem muslimischen publikum anhand alter Geschichten, wie die Vor­ fahren sich die Vergangenheit gedacht haben. Islamisches kommt nicht vor, aber alles ist Islam-verträglich. Und da er von vorislamischen Zeiten erzählt, streicht er die arabischen Worter, so dass eine wunderbare Kunstsprache entsteht. S P I EGEL: Wurde da Poesie zur Politik?

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LAND DER ANFÄNGE S P I EGEL:

Und was hat das mit der Schia

zu tun? Fragner: In der nachmongolischen Zeit wurden die mystischen Theologen zu Mittlern zwischen Herrscher und volk. Es entstanden unter diesen Sufis sogar Massenbewegungen. Nach 1500 waren sie die neue politische Macht. Sie rich­ tete sich gegen die arabische Dominanz, anfangs sogar extrem. Als die Perser dann gegen die benachbarten Osmanen verloren, musste rasch ein eigener Staat organisiert werden. Das Glück wollte es, dass ein schiitischer Rechtsgelehrter aus dem Libanon den neuen Herrschern ein fertiges Gesetzeswerk anbot. Damit hat­ ten die Safawiden ihre eigene Glaubens­ und Lebensordnung und konnten sich von den sunnitischen Arabern und Os­ manen abgrenzen. S P I E G E L: Mystik und Staatsgeschäfte, schließt sich das nicht gegenseitig aus? Fragner: In der Schia kommt es darauf an, den göttlichen Willen, speziell den Rechtswillen, möglichst gut zu erken­ nen. Das aber kann letztlich nur der Herr der Zeiten, der verborgene, seit vielen Jahrhunderten entrückte letzte Imam. Schiitische Juristen versuchen also wie in einem Glasperlenspiel den

Persiens Hautevolee lernte in Georgien das Wodkatrinken. Willen des letzten Imam zu ergründen, um dann den Ungelehrten zu erklären, wo es langgeht. S P I E G E L : Uns Europäern, die Klerus, Recht und Politik seit langem trennen, ist dieses Ineinander schwer verständ­ lich. Wann entwickelten sich die Welt­ erklärer denn zu politischen Gegenspie­ lern der Staatsrnacht? Fragner: Seit Anfang des 19. Jahrhun­ derts wurden die geistlichen Oberhäup­ ter nicht mehr offiziell finanziert, wa­ ren also auf Zahlungen der Gläubigen angewiesen. Gerade das ließ viele zu volksführern mit aktuell-politischem Interesse werden. Mystisch argumen­ tierten sie weiterhin; noch bei den heu­ tigen Mullahs ist dieses Denken, die sogenannte Gnosis, gang und gäbe. Aja­ tollah Chomeini etwa wurde als Mysti­ ker berühmt, bei seinen Lehrvorträgen sollen Hörern die Tränen gekommen sein.

S P I EGEL: Hat die jahrhun­ dertelange Verquickung Einzug eies persischen Botschafters von Glaubenslehre und Po­ litik mit dazu geführt, dass , in St. Peteriburg , Persien keinen Aufbruch in 'r LithD:g'rafie,.nci,d l einem G�mälde von die Moderne erlebte wie : ' " , Prini, Ä:lexej Saltykow: um 1850 " ; Europa? Fragner: Die Perser wuss­ ten schon, was in Europa vorging. Sie merkten so­ fort, als vor ihrer Küste Schiffe aufkreuzten mit Portugiesen, die sich an der Straße von Hormus festsetzten und dann den Indischen Ozean erkunde­ ten. Sie wurden miss­ trauisch und warfen die Kolonisten wieder hinaus. Auch Iran erlebte damals einen Aufbruch, dank ver­ stärkten Austauschs mit China. Bloß ist bei uns von diesen Vorgängen nur we­ nig bekannt. S P I E G EL: War das Persien der Safawiden nicht eher von Stagnation gekenn­ zeichnet? Fragner: Die Safawiden blie­ ben immerhin seit 1501 für über zwei Jahrhunderte an der Macht. Als ihr Regime zusammenbrach, flammte die Rivalität unter den alten Volksstämmen wieder auf. Die Kadscharen behielten schließlich die Oberhand. Sie haben dann Anfang des 19. Jahrhunderts versucht, Iran ein völlig neues Ge­ sicht zu geben: Zum Beispiel machten sie auf blutige Art mit dem alten Stammeswesen für unter anderem das Wodkatrinken. Als immer Schluss. dann in Russland 1905 die Revolution be­ S P I E G E L: Um Persien zu einem Volks­ ginnt, bricht Ende des Jahres auch in staat nach europäischem Muster zu ma­ Iran eine Verfassungsrevolution aus ... chen? Was herauskam, gilt bei Histori­ S P I EG EL: aber auch das Chaos. Wenig kern eher als Karikatur. später, 1921, kommt der starke Mann, der Fragner: Aus europäischer Sicht mag das nun wirklich ein brutaler Modernisierer so erscheinen. Aber die Kadscharen ist: Resa Schah. Er verordnet westliche schauten gar nicht so sehr nach Europa. Kleidung, säkulares Recht, Verkehrswe­ Sie orientierten sich weit eher am Nach­ ge, staatliche Schulen und einen neuen barn Russland - das beachten sogar ira­ Beamtenapparat, ähnlich wie der Refor­ nische Historiker zu wenig. Persische mer der Türkei, Mustafa Kemal Atatürk. Händler zogen während des 19. Jahrhun­ Fragner: Bei dem Vergleich habe ich derts in Scharen zu den Messen nach Zweifel. Iran war - entgegen vielen heu­ Astrachan und Nischni Nowgorod, Zig­ tigen Klagen - das einzige Land der Re­ tausende persischer Gastarbeiter ström­ gion, das nicht kolonial geknebelt oder ten ins boomende Erdölzentrum Baku, nach dem Ersten Weltkrieg neu vermes­ Persiens Hautevolee pilgerte alljährlich sen wurde. Schon deswegen konnte Resa nach Tiflis in Georgien und lernte dort Schah kein Nachahmer Atatürks werden. ..

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Er kam als kleine r Oberst aus dem Nichts an die Macht, Um vor der Bevöl­ kerung als König zu glänzen, hat er zwei kadscharische Prinzessinnen geheiratet. Er wurde ein dem Zeitgeist entsprechen­ der autoritärer Herrscher, so wie Franco in Spanien oder Chiang Kai-shek in Chi­ na: ein Caudillo. SPI EGEL: Ein kleiner Hitler? Fragner: Eher ein kleine r Musso lini. Natür lich sagte ihm manches an NS­ Deutschland zu, Effizie nz und straffe Organisation zum Beispi el. Aber auch modernes Leben und Geisteskultur der dreißiger Jahre sind durch ihn nach Persien gekommen, S P I E G E L: Weshalb muss sich so einer noch mit altpersischen Herrschafts zei­ chen schmücken?

Viele versuchten damals, alte Symb ole neu zu beleben und so an ver­ meintlich glanzvolle Zeiten anzuknüp­ fen. Mit dem Kyros -Kult allerdings ha­ ben erst die Berater des zweiten Schahs, Mohammed Resa Pahlewi, angefangen, aus Propaganda-Kalkül. Genützt hat es ihm freilich nichts. An­ S P I EG E L: So viele Epoch en, so viele ir � haben ungen sprüche und Mein eme aupt überh tlich eigen Europ äer Chance, die Perser zu verstehen? Fragner: Wir dürfen sie weder verteu­ feln noch verklären. Es ist schon viel ge­ wonnen, wenn wir uns klarmachen, dass wir es mit einem Land wie andere Län­ der zu tun haben, mit Menschen wie wir. Fremd und faszinierend wird Persien trotzdem bleib en. Ich kenne Iran seit Fragner:

1962 und kann nicht leugnen, dass da über Hunderte und Tausende von Jah­ ren kulturelle Kontinuität zu spüren ist - keine politisch inszen ierte, sonde rn eine ganz natürliche. Iran S P I E G EL: Ist dieses uralte Erbe für rn? Anspo ein oder hek eine Hypot . Fragner: Natürlich verführt der TradI­ tionsstolz auch zur Abschottung, wo ei­ gentlich Offenheit herrschen sollte, Die Irane r wisse n das aber und machen es sich gerade deshalb mit ihrer �ul��r nicht leicht. Sie sagen sich oft: WIr kon­ nen mehr als der Rest der Welt - und bleib en denn och heitere, entspannte Pragmatiker. Das finde ich ungeheuer imponierend. wir danken S P I EGE L: Professor Fragner, . räch Gesp es dies für Ihnen 27

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FEUER DES KÖNIGT U M S

Von JOSEF WIESEHÖFER

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ls im Jahr 1971 der letzte Schah Mohammed Resa Pahlewi eine ,,2500-Jahr­ Feier des Kaiserreiches Iran" veranstalten ließ, wählte er dafür das alte Persepolis, die Residenz der Achaimeniden. Diese demonstrative Berufung auf die Vergangenheit wirkt seither fort. Antike Gedächtnisorte, Vorstellungen von un­ veränderlicher kollektiver Identität und die Verehrung his­ torischer Gestal­ ten als Herrschafts­ vorbilder gehören im heutigen Iran und unter Exil­ Iranern zum po­ litischen Alltag. Mythos wird Ge­ schichte und Argu­ ment. Aber war­ um? Weshalb wird die Frühgeschich­ te Irans so heiß diskutiert und so gern genutzt? Was kennzeichnete das große, vielgestalti­ ge Land in vorisla­ mischer Zeit? Die Bewohner der Großregion Iran, die damals vom Zagrosgebir­ ge bis nach Zen­ tralasien reichte, haben in der Anti­ ke auf vielerlei Art historische Bedeu­ tung erlangt. In der frühen Bronze­ zeit, während des dritten Jahrtau­ sends vor Christus, waren sie Handels­ partner der Staaten im Zweistromland. Im ersten Jahrtausend vor und nach Christus gaben von hier aus Groß- oder gar Weltreiche im Nahen Osten, zuwei­ len auch im östlichen Mittelmeerraum politisch und militärisch den Ton an. Zugleich blühte auf den Verbindungs­ wegen zwischen der Mittelmeerwelt, Zentralasien, Indien und China der Kul­ turaustausch. Vom 7. Jahrhundert n. Chr. an waren die Iraner dann Brückenbauer zwischen den antiken Regionen des Na­ hen Ostens und einer immer stärker isla­ misch geprägten Welt zwischen Mittel30

meer, Arabien und Zentralasien - poli­ tisch, kulturell und religiös. Noch immer gibt es Archäologen und Historiker, die die Geschichte der Antike nur als Vorgeschichte Europas sehen. Doch die Mehrheit der Wissenschaftler ist bemüht, die iranischen Anteile an der Geschichte einer vielfach vernetzten an­ tiken Welt gerecht zu würdigen. Dennoch erscheint den meisten Eu­ ropäern die Geschichte der Beziehun­ gen zwischen der Mittelmeerwelt und Iran weiterhin als lange Folge militäri-

begeben, und von den Antipoden, die sie sich zu ihrer Selbstbestimmung aus­ wählen". Bis über das 18. Jahrhundert hinaus ist europäisches Geschichtsdenken durch die Lehre von der Abfolge großer Weltreiche geprägt worden, als deren letztes meist das Römische Reich auf­ tritt. Die iranischen Meder und Perser spielen in diesem Schema zwar eine wichtige Rolle, aber sie bestreiten mit anderen nahöstlichen Kulturen und Reichen nur das Kindheitsstadium der Weltgeschich­ te. Welche Verbin­ dungen diese Kul­ turen nach Osten und in Richtung auf den späteren islamischen Vorde­ ren Orient pflegten, bleibt ausgeblendet. Dabei waren die antiken iranischen Großreiche weit mehr als bloße Gegenspieler oder auch wirtschaftli­ che Partner der Griechen und Rö­ mer: Die politische Einigung des Na­ hen Ostens unter ihrer Führung hat kulturell, religiös und weltanschau­ lich eine Fülle eigen­ ständiger Errun­ genschaften her­ vorgebracht. Iran verblüffte die Nachbarn mit Bewässerungsanla­ gen, Straßensyste­ men und Nachrich­ tentechnik, aber auch mit exquisiter Park- und Garten­ kultur. Niemand kannte sich besser aus im Handel mit kostbaren Waren wie Sei­ de, Lapislazuli oder Gewürzen - wofür eigene Fernverbindungen, etwa die Sei­ den- und die berühmten "Königsstraßen", existierten -, aber auch mit bis dahin als exotisch geltenden Tieren, etwa Pfau und Huhn, und Pflanzen wie Reis oder Pfir­ sich. Im parthisch und sasanidisch be­ herrschten Zweistromland und in Iran waren religiöse Ideen von welthistori­ scher Bedeutung beheimatet, die weithin ausstrahlten, beispielsweise Zoroastris­ mus und Manichäismus.

GEORGIEN

ARABIEN

REZA TAMADDONI 20140501 scher und ideologischer Auseinander­ setzungen. Zu der uns angeblich vertrau­ ten westlichen Sphäre bildet die irani­ sche so oft, auch nach antikem Vorbild, eine regelrechte Gegenwelt. Griechische Freiheit hier, orienta­ lischer Despotismus dort; die See­ schlacht von Salamis als Geburtsstunde Europas: Nach solchen und ähnlichen Mustern wird dann sortiert. Was Europa war oder sein wollte und will, ist offen­ bar, mit den Worten der Historikerin Ute Frevert, vielfach abhängig "von den Konfrontationen, in die sich Europäer

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ÄGYPTEN

dRegionen u�d Hauptstädte

.zwi$chen, Mittelmeer und Indus )

All dies wird in Europa noch immer auf Altpersisch "Parsa" (griechisch: "Per­ kaum gewürdigt. Aber auch im heutigen sis") zurück, was zunächst nur eine süd­ Nationalstaat Iran verzerren manche Vor­ westiranische Region bezeichnet. "Iran" urteile das Geschichtsbild: Da spielen die dagegen kommt vom mittelpersischen Großkönige der Teispiden und Achaime­ "Eran", dem Vorderteil des Ausdrucks ni den eine Rolle, die ihnen historisch "Eranschahr" (" Land oder Reich der nicht zukommt. Die Sasaniden wiederum Arier"). Das altpersische Stammwort gelten gemeinsam mit den mythischen "ariya" war schon unter den Achaimeni­ Königen und Helden Irans, etwa dem her­ den ein Herkunftsbegriff. Gleichermaßen ethnisch, religiös und kuleshaften Rostam, als große Gegenspie­ ler der Turanier im Osten - die oft genug politisch besetzt wurde das Wort "Iran" mit den Türken gleichgesetzt werden -, aber erst unter den frühen Sasaniden. Mit dem Untergang dieser aber auch der Griechen Dynastie blieb es als Be­ und Römer (und somit zeichnung ihres früheren der Europäer), ja sogar Staates zurück. Erst im der Araber im Süden. Reich der mongolischen Und die Parther sind, Ilchane und besonders aufs Ganze gesehen, in unter der Pahlewi-Dynas­ Ost wie in West gleicher­ tie wurde der Name Iran maßen unbekannt. dann als politisches Kon­ Wie kommt man ge­ J OSEF WIESEHÖFER zept wiederbelebt. gen all diese Verzeichnun­ In einem Punkt hat­ gen zu einem sachgerech­ Der i nternational aner­ die alten Griechen ten ten Blick auf die Ge­ kannte Fac h m a n n fü r d ie recht: Kyros und seine schichte? Es hilft schon, Geschichte des A lten Nachfolger stammten genauer zu wissen, woher Orients, spez i e l l des anti­ aus der Persis, der heuti­ Land und Bewohner ihre ken Persien, hat d a rüber Provinz Fars. Über gen Namen haben. Der in Eu­ m e h rere Sta nda rd werke Jahrhunderte ha­ zwei Wiesehöfer, geschrieben. ropa gebräuchliche Name ben diese Herrscher Er"Persien" geht letztlich 59, l e h rt in K i e l . SPIEGEL GESCHICHTE

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folgsgeschichte geschrieben: Seit dem Sieg gegen den Mederführer Astyages um 550 v. Chr. wuchs und gedieh das Reich; unter Dareios 1. und seinem Sohn Xerxes erreichte es seinen Höhepunkt die Niederlagen gegen die Griechen fern im Westen änderten daran nichts. Mit kluger königlicher Politik, die hier Autonomie gewährte und dort strenge Aufsicht walten ließ, mit geschickter Ideologie und Selbstdarstellung erzeug­ ten die Achaimenidenkönige das Bild einer Schicksalsgemeinschaft von Herr­ scher und Untertanen; wirtschaftlich wie politisch hatten Perser die Schaltstellen der Macht inne und waren Hauptprofi­ teure ökonomischen Erfolgs, aber offi­ ziell galt die kulturelle Vielfalt im Reich als sinnvoll, ja fördernswert. Sogar Opfer für nichtiranische Götter im Kerngebiet der Persis bekamen Unterstützung. Der künstlerische Stil am Hof misch­ te viele kulturell disparate Elemente, die gemeinsam ewig gültige wahrheiten ver­ mitteln sollten. Das offizielle Erschei­ nungsbild der Großkönige passte sich ohne Mühe regionalen Mustern und Be­ dürfnissen an, zum Beispiel am Nil. In Babylonien traten Kyros II. und Dareios 1. sogar als Verehrer des dortigen Haupt31


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wesen, sie treiben den ortsüblichen Tri­ but ein, von dem sie einen Teil ins Zen­ trum abführen; sie schützen die Außen­ grenzen und sorgen - zusammen mit königlichen Garnisonen - für Ruhe im Innern. Den Machthunger der Satrapen zügelt der Großkönig durch Überwa­ chung, durch die Förderung von Konkur­ renz und notfalls militärischen Druck. Dank vorbildlicher Boten- und Wege­ technik gelangen Nachrichten, Men­ schen und Tiere rasch dahin, wo man sie braucht. Ganze Netze von Qanaten - un­ terirdischen Bewässerungskanälen, vom

gig und ohne Missionierungsdrang. Sie selbst, so sagen es die Inschriften, vereh­ ren vor allem - wie die Anhänger Zara­ thustras - Ahura Mazda, von dessen Gna­ den sie ihr Amt herleiten; später kom­ men noch die Gottheiten Mithra und Anahita hinzu. Aber es bleibt offenkun­ dig ein politisch zweckhaftel' Glaube: So werden etwa "Wahrheit" (altpersisch: "arta") und "Lüge" (" drauga"), wichtige Kernwörter der zoroastrischen Ethik, zu Ersatzbegriffen für Loyalität oder Wider­ spenstigkeit der Untertanen. Als Alexander der Große 331 v. Chr. bei Gaugamela das Heer Dareios' III. endgültig besiegte, kam das für praktisch In Garten-"Paradiesen" fanden die alle Zeitgenossen völlig überraschend. In Windeseile war das blühende Achai­ Könige standesgemäße Zerstreuung. menidenreich Geschichte. Alexander und seine Erben, die makedonischen Se­ zeigt sich schon daran, dass die Eliten in König angeregt und mitfinanziert - er­ leukiden, bemühten sich zwar um ein den einzelnen Reichsteilen vielfach dem weitern die Anbauflächen und lassen Verständnis der Region, aber in der ira­ vom Großkönig gesetzten Maßstab folg­ auch die "Paradiese" (altpersisch: "pari­ nischen Tradition galten und gelten sie ten. Ein geschmeidiges Regiment, das daida") aufblühen. Solche Parks, die mit als Eindringlinge. Erst in Gestalt der Ar­ dennoch durch konsequente zentrale Pflanzen und Tieren das Reich im Klei­ sakiden, die seit 250 v. Chr. Iran den Se­ Aufsicht Ruhe und Ordnung garantierte, nen abbilden, gelten als standesgemäße leukiden streitig machten, bestieg wieder überzeugte viele Reichsbewohner. Den Zerstreuung für den König und seine eine iranische Dynastie den Thron. "König der Könige" - ursprünglich eine Würdenträger. Die neuen Herrscher sind Parther, Titelformel aus Mesopotamien oder Ein zentrales Reichsgesetz gibt es ihre Vorfahren lebten als Halbnomaden Urartu - war nach eigener Vorstellung nicht. Recht sprechen der König und sei­ in den Steppengebieten östlich des Kas­ mit herrscherlichem Charisma, "Glücks­ ne Vertreter nach Präzedenzfällen und pischen Meeres. Systematisch bringen glanz", begnadet. Nur sehr selten flamm­ örtlichem Herkommen. Arsakes I. und seine ten Unruhen auf, und in den allermeisten Berg- und Steppenvölker Nachfolger erst die ehe­ Fällen stand dahinter dann der politische vom Zagros- und Elbors­ mals achaimenidischen Ehrgeiz einzelner hoher Würdenträger. gebirge beziehungsweise Provinzen Parthien und In mehrsprachigen Monumental­ den nordöstlichen tro­ Hyrkanien (im heutigen inschriften stellen sich die Achaimeni­ ckenen Graslandschaf­ Turkmenistan) unter denherrscher selbst als "Perser, eines ten, die militärisch kaum ihre Kontrolle, später Persers Sohn, Arier, von arischer Ab­ zu kontrollieren wären, den ganzen iranischen stammung" vor. Von den Göttern abzu­ machen die Großkönige Raum und das Zwei­ stammen behaupten sie nicht. Dass alle sich durch Zahlungen ge­ stromland. Untertanen ihrem Gesetz (" data") gehor­ fügig. Aufrührer dagegen Schon 150 Jahre be­ chen sollen, begründen sie mit göttlicher lässt man in der Regel steht der Partherstaat, als Härte spüren, selbst ihre Gunst und eigener Fähigkeit. die Arsakiden dem expan­ "Magier", Fachleute in Theologie und Heiligtümer werden zer­ dierenden Römischen Historie, weisen den künftigen Regenten stört. Trotzdem kann ein Reich in die Quere kom­ in Herrscherkunst und Landestraditio­ alter Feind manchmal men. Es ist die bitterste nen ein: Nach dem Tode des Vorgängers auch Verzeihung erlan­ Stunde Roms, als 53 v. wird er rituell ins Amt eingesetzt und gen, wenn es politisch et­ Chr. der vertragsbrüchige kann daraufhin die Privilegien, Würden was nützt: Ausgerechnet römische Prokonsul Mar­ und Vorrechte von früher bestätigen Themistokles, der vor Sa­ cus Licinius Crassus in oder verwerfen. Wohltaten vergelten die lamis die persische Flot­ der Schlacht von Karrhai Großkönige überreichlich, und Unterta­ te besiegt hatte, fand - nahe der heutigen süd­ nen müssen damit rechnen, ihrem Herr­ nach seiner Verbannung osttürkischen Stadt Urfa scher zu begegnen, der regelmäßig sein aus der Heimatstadt - den Panzerreitern und Reich bereist. Solche zeremoniell gestal­ Athen in Persien Asyl. Bogenschützen des Par­ teten, ständisch hierarchisierten Auftrit­ Besonders attraktiv -therkönigs Orodes II. un­ am Regime der Achaime­ te sind aber natürlich nicht der Alltag. terliegt. Etliche römische An der Spitze von Provinzen stehen niden ist seine Weltlich­ Kaiser werden noch ge­ in der Regel Gouverneure, die sogenann­ keit: In religiös-kulti­ Parthisehe Knochengen die östliche Macht ten Satrapen. Sie organisieren Verwal­ schen Fragen handeln Statuette VorderasiatiKrieg führen; überwältigt tung, Rechtspflege, Steuern und Militär- die Großkönige großzüsches M useum, Ber l i n hat sie keiner. gottes Marduk-Bel auf - vor allem, um ihr Regiment über das ehemals unabhän­ gige Südmesopotamien nicht als Fremd­ herrschaft erscheinen zu lassen. Zum Teil haben die Bemühungen von einst bis heute Erfolg: Kyros, den die Griechen und das Alte Testament als idealen König darstellen, hat weiterhin viele Verehrer - auch wenn hinter der Verklärung fast immer eine Absicht zu erkennen ist. Die Achaimeniden hatten aus dem Scheitern großer Vorbilder, besonders der Assyrer und Babyionier, gelernt. Das

Silb ers cha le, in de r Mitt e die Göt tin A nahita Bibl ioth eq ue Nati on a le, Pari s

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Fast 500 Jahre lang hatte das Par­ therreich Bestand, dazu gibt es mehr Vermutungen als Belege: Erhalten sind fast nur Berichte der Nachbarn Rom und China. Festzustehen scheint, dass die Parther ihr multikulturelles Herrschaftsgebilde mindestens so geschickt wie die Achai­ meniden zusammenhielten und die Ver­ mittlungsrolle zwischen Ost und West planvoll nutzten. Die Arsakidenkönige beanspruchten göttliche Würde; zuweilen begünstigten Streitigkeiten zwischen Königshaus und Hochadel römische Störmanöver. Doch insgesamt war die parthische Herrschaft ungemein stabil, nicht nur dank ihres anerkannt kampfkräftigen Heeres. Das Reich hielt sich auch, weil � etliche Vasallen-Königreiche begrenz­ tes Eigenleben entfalten durften, � die arsakidischen Herrscher Stadtent­ wicldung, Landwirtschaft und Handel förderten, � die Einwohner keinen religionspoliti­ schen Druck fürchten mussten und

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die Kultur ihrer einflussreichen grie­ chischen Untertanen von den Re­ genten wohlwollend, ja mit Vorliebe gepflegt wurde. Das System brach erst zusammen, als ehrgeizige und militärisch fähige Regio­ nalherrscher aus der Persis den alten Zwist der Parther mit Rom dazu nutzten, selbst die Gesamtmacht zu übernehmen. Diese langlebige Dynastie der Sasaniden prägt bis heute maßgeblich das iranische Bild vom Königtum. In den ersten sieben Jahrzehnten ih­ rer Herrschaft blieb im Innern vieles beim Alten; die Nachbarn allerdings spürten deutlich die Angriffslust der neu­ en Regenten. Es war ein Fanal, als Scha­ pur 1. im Jahr 260 Roms Kaiser Valerian bei Edessa vernichtend schlug, ihn ge­ fangen nahm und bis zu seinem Tod �

eingekerkert hielt. Lange blieb die Nach­ barschaft heikel; erst nach und nach suchten die Gegen­ spieler wieder den Dialog. Auffällig ist, dass die Sasaniden von etwa 380 an nicht mehr die Christen ver­ folgten - die sie in Kriegszeiten als Roms Fünfte Kolonne angesehen hatten -, son­ dern sie zu dulden begannen, bis endlich sogar ein eigenes Bekenntnis "persischer" Christen (" Nestorianer") entstand. Unge­ fähr zeitgleich formte sich nach dem Vor­ bild der staatlichen Ämterhierarchie eine zoroastrische Priesterschaft, die dann im 6. Jahrhundert als Antwort auf Mani­ chäer und Christen endlich das Avesta, die heilige Überlieferung der Zarathus­ tra-Gläubigen, aufzeichnen ließ. Um diese Zeit befand sich die Dynastie auf ihrem Höhepunkt. Mehr als alle Kö­ nigshäuser zuvor setzten die Sasaniden wohl auch, weil häufig Rivalitäten am Hof die Kräfte lähmten - nach außen auf die iranische Identität. Der Herrschertitel "schahanschah Eran ud Aneran" (" König der Könige von Iran und Nicht-Iran") 33


C H R O N I K 5 0 0 0 V. C H R . B I S 6 4 2 N. C H R .

DYNASTIEN DER ANTIKE um

5000 v.

C h r.

In der Region wird, wie ein Gefäßfund belegt, Wein angebaut. um

3900

Tepe S i a l k, ä lteste bekann­ te Siedlung der i ra nischen Hochebene (heutige Pro­ · vinz Isfahan) ,gegründet. um

sollte gemeinsam mit den göttlichen Qua­ litäten des Regenten Respekt verbreiten. Eifrig gerierten sich die Sasaniden in Wort und Bild als Förderer des Zoro­ astrismus, obgleich sie ihre Politik nie der Religion oder gar einzelnen Klerikern un­ terordneten. Während im Römischen Reich das Christentum Staatsreligion wurde, sind in Iran sogar unterschied­ liche Kultströmungen zu erkennen, ab­ seits des offiziellen Bildes vom Zoro­ astrismus, wie Priestertexte es zeichnen. Selten wurden religiöse Minderhei­ ten verfolgt, oft gab es eher ein enges Miteinander: So tauchen Christen als königliche Berater und Gesandte, als Kunsthandwerker, Gelehrte und Ver­ mittler griechischen Wissens auf, wäh­ rend Juden in Handelsangelegenheiten Rat geben und im "Babylonischen Tal­ mud" das bedeutendste Schriftwerk des Judentums nach der Bibel schaffen. Weiterhin florierte der intellektuelle Austausch. In Architektur, Metallbearbei­ tung und Textilkunst gaben sasanidische Meister wichtige Anstöße für den Westen, später ebenso für die muslimische Welt. Vor seiner späten Blütezeit hatte der Staat allerdings noch seine wohl schwerste Krise überstehen müssen. Ka­ tastrophale Niederlagen gegen die von Osten eindringenden Hephthaliten ("Weiße Hunnen") hatten das Reich durch Hunger und Revolten an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Erst Chosrau I. (53 1 bis 579) konnte durch umfassende Reformen Steuer­ system, Verwaltung, Heerwesen und kul­ turelles Leben wieder ins Lot bringen. Weit über die Grenzen Irans hinweg war Chosrau als "weiser König" bekannt, 34

der die religiöse und historisch-mythi­ sche Überlieferung Irans sammeln ließ und überhaupt großzügig das Geistes­ leben förderte. Als die platonische Aka­ demie in Athen 529 schließen musste, flohen die Philosophen ostwärts an sei­ nen Hof. Umgekehrt gelangten in Chos­ raus Zeit das Schachspiel und die Fabel­ sammlung "Panchatantra" von Indien aus über Iran nach Westen. Stattliche Tribute aus Ostrom und Sie­ ge in Südarabien schienen Chosraus Herr­ schaft für die Zukunft zu sichern. Doch seine Nachfolger muteten Truppen und Volk zu viel zu. Zwar gelangen dem Enkel

und Zeugnisse des alten Iran in die west­ liche Erinnerung zurückgerufen haben, ist die mythisch-historische Tradition des Landes wissenschaftlich neu unter­ sucht und bewertet worden. Iranisten und Historiker, auch aus Iran selbst, ha­ ben die Eigenarten der iranischen Kul­ turen zu kennzeichnen versucht. Durch den Orientalisten Abraham Hyacinthe Anquetil-Duperron (1731 bis 1805) erfuhr Europa vom Zarathustris­ mus. Daraus haben Mozart mit dem Sa­ rastro in der Oper "Die Zauberflöte", Goethe mit seinem "Buch des Parsen" und Nietzsche mit seiner Gedankendich-

1500-653

D a s R e i c h v o n Elam be­ herrscht das Gebiet nord­ östlich des Persischen Golfs; es kon kurriert mit den Reichen von Babyion und Assu r.

522-486

N achfolgestaaten; in I ra n regieren ü b e r 50 Jahre d i e Seleukiden.

Unter Dareios I . ist das Achaimeniden-Reich eine Weltmacht: Er herrscht von der Donau über Klein­ asien bis nach O berägyp­ ten und bis zum I ndusta l . um

um

500-479

I n den Perserkriegen ge­ lingt es den Griechen, die

53 v. C h r.

Ang riffe von Dareios und seinem Sohn Xerxes I . a b­ zuwehren.

333

Bei Issos siegt Alexander der Große über Dareios 1 1 1 . Nach einer weiteren N ie-

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Mozarts und Nietzsches Figuren haben mit Iran fast nichts zu tun. Chosrau H. noch erstaunliche Kraftakte: 614 erbeutete er in Jerusalem das Kreuz Christi, 619 eroberte er Ägypten, und 626 rückten seine Truppen bis Konstantino­ pel vor. Aber es folgten schwere, durchaus überraschende Niederlagen gegen die Oströmer. Die Heere des Propheten Mo­ hammed und der Kalifen machten dann dem geschwächten Sasanidenreich end­ gültig militärisch den Garaus. Geistig allerdings leben seine Könige fort: Ihr Traditionsbewusstsein hat die Überlieferung maßgeblich geformt. Dank der perso-arabischen Geschichts­ schreibung und der neupersischen Epik - vor allem dem Sagenbuch des Dichters Ferdausi - gelten die Sasaniden weithin als die iranischen Könige par excellence. Seit neuzeitliche Reisende, Schriften­ entzifferer und Archäologen die Stätten

tung "Also sprach Zarathustra" ihre ganz eigenen Figuren erschaffen. Mit dem alten Iran jedoch haben diese Ge­ stalten fast nichts zu tun. So leicht das zu beweisen ist, so schwer lassen sich selbst in der heutigen vernetzten Welt die lange gepflegten simplifizierenden Fremdbilder beider Seiten überwinden: "Orientalische Des­ potie" hier - dort Iran als von Feinden umstellter Nabel der Welt, dessen Herr­ scher die reinen Menschheitsbeglücker gewesen sein sollen. Erst wer sich von solchen Denkmus­ tern löst, kann erkennen, was die vor­ islamischen und islamischen Kulturen Irans auf den Feldern von Dichtung, Wissenschaft und Kulturvermittlung tatsächlich für die Menschheit geleistet haben.

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1500-800

250

D i e h a lbnomadischen Par­ ther erobern den Thron. Seit etwa 188 v. Chr. erwei­ tern s i e systematisch das Vielvölkerreich.

Roms Feld herr M a rcus Li­ ci nius Crassus fä l l t gegen die Parther - eine der b it­ tersten N iederlagen des I mperiums. Fast 300 Jahre lang widersteht Parthien dem Druck Roms.

Perser und Meder, ur­ sprü nglich nomadische Arier, besiedeln von Zen­ tralasien aus das i ranische Plateau; u m 720 existiert

um

558-530

ders die Meder im Norden, d u rch (550). Die Erobe­ rung des neubabyloni­ schen Reichs ermöglicht später die Rückkehr der J uden nach Palästina.

530-522

Kambyses 1 1 . verleibt Ägypten seiner M acht­ sphäre ein.

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um

216 -

um

276

Der Religionsstifter Mani gewi nnt Anhänger i m Sa­ saniden-Reich; anfänglich toleriert, stirbt er i m Ge­ fä ngnis a n Folterfolgen.

484

Peroz I . fä llt im Kampf gegen die von N o rden eindringenden "weißen H u nnen" - schwere Krise des Sasan iden-Reichs. um

500 -

um

530

für die Entmachtung des Adels und für Volks­ eigentum ein.

1000

Kyros der Große, i m I n nern ein Reformer, setzt sich gegen Nachbarn, beson­

Roms Kaiser Gordian 1 1 1 . verliert eine Sch lacht ge­ gen Schapurs Heer und stirbt im Osten; 260 n i m mt Schapur sogar Kaiser Vale­ rian gefangen.

D e r zoroastrische Reli­ g ionsrebel l Mazdak tritt

in der Persis ( Fars) ein eigenes Königreich.

D e r Religionsstifter Zara­ thustra (Zoroaster) refor­ m iert den bisherigen, dem a ltindischen ä h n l i chen Götterglauben d u rch strik­ ten Dualismus von Gut und Böse, Licht und Fi nsternis, Rein und U n rein.

244

531-579

U nter Chosrau I . erlebt das Sasa n i den-Reich seine letzte Ku ltu rblüte.

Tod des Crassus, 53. v. ehr. Phantasiestich des 18. Jahrhunderts derlage 331 wird Dareios von seinem Satrapen Bes­ sos ermordet.

330

Alexander besetzt Perse­ pol is. Um 327 heiratet er die baktrische Pri nzessi n Roxane. In wenigen J a h ren dehnt er das M a kedonen­ Reich bis an den I ndus aus.

323

Tod Alexanders des G ro­ ßen. Sein Reich zerfä l lt in

224

n.

ehr.

Ardaschir I. begrü ndet d i e . Dynastie der Sasaniden, die einen straffen Staat m i t offizieller Förderung d e r Zara�hustra-Religion auf­ bauen. Zah l reiche Feuer­ hei ligtümer entstehen.

240-270

Schapur I . dehnt das Sasa­ niden-Reich weit aus. Der Kultu rmonarch gründet unter a nderem das Gelehr­ tenzentrum G undischapur.

622

H idschra ( Flucht) des Pro­ . pheten M o hammed -von Mekka nach Medina.

632

Mohammed stirbt. Der Is­ l a m beg i n nt von der a ra b i ­ schen H a l binsel aus seinen ideologischen und m i l itä­ rischen S i egeszug.

642

Nach mehreren N iederla­ gen des letzten Sasaniden­ Kön igs Jasdegerd 1 1 1 . ge­ gen die Araber w i rd aus I ra n eine Provinz der Kalifen.

35


REZA TAMADDONI 20140501


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Seit Urzeiten hat das religiöse Denken Persiens die Nachbarn inspiriert. Die epochale Wirkung des Kultstifters Zarathustra ist bis heute zu spüren - nicht nur bei denen, die ihn weiterhin verehren.

Gen-Pool des Glaubens Von JOHANNES SALTZWEDEL

A

m Anfang war der Ur­ Atem, der lebendige Geist, aus dem das All geboren wurde wie ein Mensch mit seinen Gliedmaßen. Am Ende der Geschichte wird das himmli­ sche Feuer alles reinigend verschlingen. Dazwischen kämpfen die Mächte von Licht und Finsternis um die Herrschaft, lange und verbissen, mit allen Tricks. In diesem kosmischen Drama sollte der Mensch beizeiten seine Rolle finden. Denn nach dem Tod, wenn die Seele gen Himmel reist, wird abgerechnet: Schon die Brücke ins Jenseits kann schmal sein wie das scharf geschliffene Schwert der himmlischen Gerechtigkeit. 38

Ungefähr so könnten sich die Bewoh­ ner Persiens im zweiten Jahrtausend vor der Zeitenwende die ewigen Sinnfragen erklärt haben. Wie in Indien, dessen re­ ligiöse Vorstellungen denen in Iran sehr ähnlich waren, mischten überall Götter mit: Eine ganze Sippschaft segensrei­ cher oder dräuender Mächte mit klin­ genden Namen wie Vohu Manah, Saras­ vati oder Haurvatat griff in das Leben der Erdbewohner ein. Spezialtrupps von Fravaschis, persön­ lichen Schutzengeln, standen guten Menschen bis zur letzten Prüfung bei. Vor ausgestreutem Reisig verehrte man die obersten Naturgewalten, darunter das heilige Feuer. Anregen ließen sich

die Gläubigen von einem aus Pflanzen gepressten, berauschenden Kult-Trunk namens Haoma oder Soma. Woraus er gebraut wurde, darüber gibt es leider nur Vermutungen, und für die meisten anderen Details gilt dasselbe. Denn nach den Spuren von Persiens frü­ hester Religion fahnden Kulturhistori­ ker ungefähr so, als versuchten sie an ei­ nem oft und leidenschaftlich übermalten Gemälde mit Durchleuchtungstechnik, Mustervergleichen und viel Ratefleiß den ursprünglichen Zustand abzulesen. Besonders schwer ist das für die Kul­ te der Frühgeschichte: Man muss sie aus dem erahnen, was sich vom Religions­ stifter Zarathustra (griechisch: Zoroas-

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ter) oder über ihn an Aussagen erhalten hat - etwa dass er regelmäßig über das Soma-Trinken schimpfte. Anderes wie den Götterkreis um den Schöpfer Ahura Mazda (" Der weise Herr") ordnete er of­ fenbar rigoros seiner Lehre von der Rein­ heit unter. Dabei kamen die alten Großmächte des Himmels sogar noch glimpflich da­ von: Sie durften als Assistenten des gu­ ten Prinzips fortleben. Viele kleinere Gottheiten erklärte Zarathustra hinge­ gen zu "Daeva", ein Wort, das noch im englischen "devil" und dem deutschen "Teufel" nachklingt. Solche Mächte und erst recht die für sie veranstalteten Tier­ opfer bewirkten nach seiner Lehre üble "Druj", "Trug" und Lüge. Überhaupt wurde die Scheidung von Gut und Böse zum Leitmotiv. Zarathus­ tra (was etwa "Kameltreiber" bedeuten könnte) sah das Leben als Bühne zwi­ schen Verdammnis und Erlösung. Ahura Mazda kämpfte gegen den üblen Angra Mainyu (später: Ahriman), falls die Welt­ prinzipien überhaupt Namen brauchten. Weltgeschichte als Weltgericht und der Mensch vor der Entscheidung für das Heil seiner Seele: Diese moralische Kernspaltung sollte Epoche machen. Allerdings mahnte der Prophet auch, beim kosmischen Kräftemessen nicht SPIEGEL GESCH ICHTE

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zaghaft zuzuschauen oder gar völlig zu resignieren. Totenklagen verbot Zara­ thustra ausdrücklich als "teuflische Ein­ richtung" - für den Religionshistoriker Geo Widengren "einer der auffallends­ ten Züge" des neuen Glaubens. Während seines kurzen Lebens sollte der Mensch fröhlich beherzt ans Werk gehen; der Diesseits-Elan machte die neue Lehre zusätzlich attraktiv. Ihren Verkünder jedoch umhüllt fast völlig das Dunkel der Frühzeit. Natür­ lich gibt es Legenden: Als wandernder Priester-Poet und stolzer Bettler sei Za-

jedoch erst lange nach ihrer Entstehung, zur Zeit der Sasaniden (3. bis 7. Jahrhun­ dert n. Chr.), als längst ein weitverästel­ ter heiliger Code daraus geworden war. Speisegesetze, Reinheitsvorschriften und rituelle Regeln für die bizarrsten Fälle hatten sich entwickelt, nach dem Urteil des Altertumsforschers Eduard Meyer fast durchweg "kraft- und leblose Formeln" einer "grübelnden Syste­ matik", die mit Zarathustras ethischer Verve nicht mehr allzu viel zu tun hatte. Doch zwischen den langen, spröden Ge­ boten und Litaneien leuchten bis heute

Vom Mantra bis zum Heiland - der Zarathustra- Glauben bot fast alles. rathustra zu König Vischtaspa geflohen, habe Asyl erlangt und den Monarchen zur neuen Lehre bekehrt. Aber selbst wer der Herrscher gewesen sein könnte, ist umstritten - ein Grund mehr, dass so­ gar bei Zarathustras Lebensdaten die Schätzungen der Experten Hunderte von Jahren auseinander liegen. Spätestens um 500 vor Christus muss die Lehre des großen Reformators im westlichen Persien heimisch gewesen sein. Schriftlich festgehalten wurde sie

eine Reihe psalmartiger Dichtungen von archaischer Schönheit hervor. Über die raunenden Worte dieser sogenannten Gathas, die angeblich von Zarathustra selbst stammen (siehe Seite 40), rätseln auch europäische Fachleute seit Gene­ rationen. Mit tiefsinnigen Sentenzen allein hät­ te man freilich keinen religiösen Alltag bestreiten können, schon gar nicht in dieser Gegend, die von alten Mythen, Stammesbräuchen und Sektierertum 39


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Auszüge aus den "Gathas" des Zarathustra

DAS GUTE DENKEN die Hände ausbreitend bitte ich dich, 0 Weiser, und euch alle als Erstes um die Werke des unterstützenden Geistes, des Verständigen, damit ich den Willen des Guten Denkens zufriedenstelle ... Der ich den Sinn darauf gesetzt habe, dass die Seele singe zusammen mit dem Guten Denken, will ich, die Vergeltungen des Weisen Herrn für die Taten kennend, solange ich kann und vermag, lehren, nach dem Wahrsein zu streben. Werde ich durch Wahrsein dich erschauen und das Gute Denken als ein Wissender und den Thron des Herrn und den Gehorsam des sehr mächtigen Weisen? - Durch die­ sen Spruch wollen wir die Ungeschöpfe gänzlich abweh­ ren mit der Zunge. Komm mit dem Guten Denken, gib durch Wahrsein die langwährende Gabe, gib mit hohen Worten, 0 Weiser, dem Zarathustra kraftvolle Unterstützung und uns allen, 0 Herr, damit wir des Feindes Anfeindungen überwinden ... Höret mit euren Ohren das Bes­ te, betrachtet mit klarem Denken die beiden Wahlmöglichkeiten der Ent­ scheidung Mann für Mann, jeder dar­ aufbedacht, uns vor der großen Wen­ de zu gefallen. Und diese beiden ersten Geister, wel­ che als Zwillinge durch einen Traum vernommen wurden, sind ja im Den­ ken, Reden und Handeln das Bessere und das Schlechte ... Und als diese beiden Geister zuerst zu­ sammenkamen, schufen sie Leben und Nichtleben, und dass zuletzt schlechtes­ tes Dasein der Lügenhaften sei, aber für den Wahrhaftigen das Beste Denken. Von diesen beiden Geistern wählte sich der Lügenhafte, das Schlechteste zu tun; das Wahrsein aber erwählte sich der sehr verständige Geist, der in den sehr festen Himmel gekleidet ist ...

40

Das frage ich dich, sage mir's

recht, 0 Herr: Wer ist durch Erzeugung der Vater des Wahrseins? Wer hat den Weg der Sonne und der Sterne geschaffen? Wer ist's, durch den der Mond wächst und abnimmt, außer dir? Das gerade, 0 Weiser, und anderes will ich wissen. Das frage ich dich, sage mir's recht, 0 Herr: Wer festigte die Erde unten und den Wolkenhimmel, dass er nicht herabfalle? Wer schuf die Wasser und die Pflanzen? Wer schirrte dem Wind und den Wolken die bei den Renner? Welcher Mann ist, 0 Weiser, der Schöpfer des Guten Denkens? Das frage ich dich, sage mir's recht, 0 Herr: Welcher Werk­ meister hat Licht und Finsternis erschaffen? Welcher hat den Schlaf geschaffen und das Wachen? Wer ist's, durch den Morgen, Mittag und Nacht geschaffen sind, welche den Verständigen an sein Tagewerk mahnen? ... Das frage ich dich, sage mir's recht, 0 Herr: Wer ist ein Wahrhaftiger unter denen, mit welchen ich mich bespre­ che, und wer ein Lügner? Bin entwe­ der ich böse, oder ist jener böse, wel­ cher als ein Lügner mich von deinem Heil abhalten will? Wie kommt es, dass man von jenem nicht meint: Der ist der Böse? ...

..

Also will ich verkünden das Bes­

sollen. M it ihren vielen formel­ haften Wiederholungen halten sie die M itte zwischen Gebet, Prophezeiung, Schöpfungs­ weisheit und Exorzismus.

te dieses Daseins; dem Wahrsein ge­ mäß kenne ich den, 0 Weiser, der es (das Dasein) erschuf, den Vater des wirksamen Guten Denkens; aber sei­ ne Tochter ist die Fügsamkeit, die gute Taten vollbringt. Nicht zu betrügen ist der Herr, der alles wahrnimmt ... Wer darum künftig sich den falschen Göttern und den Menschen wider­ setzt, die ihm, dem Weisen Herrn, Trotz bieten, den anderen als einem, der ihm ergeben gesinnt ist, dem wird die verständige Geist-Persönlichkeit des künftigen Heilandes, des Haus­ herrn, ein Freund, Bruder oder Vater sein, 0 Weiser Herr. Text nach der Übersetzung von Herman Lommel, 1971

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.u.tl

M ithras-Kultstätte unter der Kirche San elemente in Rom, Manuskript in Avesta-Schrift

überquoll. Wie selbstverständlich wurde Zarathustras kühn abstrahierende Groß­ formel darum recht bald mit konkreten Bildern angereichert, ohne den zentra­ len Gedanken preiszugeben. So bot die Reinheitslehre nach und nach plausiblen Anschluss zu fast allem, was der Markt der Religionen über Jahrhunderte bot. Die Auswahl war reichhaltig: von un­ ablässig gemurmelten Segenssprüchen wie dem Mantra "Ascha (die rechte Ord­ nung) ist das beste Gut; nach Wunsch wird es, nach Wunsch uns zuteil" bis zur Erzählungvom Jüngsten Gericht bei Strafe glutflüssigen Metalls, von der Auf­ erstehungslehre bis zu einem gott­ menschlichen, vielleicht von einer Jung­ frau geborenen Erlöser am Ende aller Zeiten (gewissermaßen dem wiederge­ kehrten Zarathustra), von der Anrufung eines Erzengelkollegiums bis zur puris­ tischen Feuerverehrung reichten die Denkmotive. Klar, dass sich andere Reli­ gionen des Vorderen Orients gern in die­ sem religiösen Gen-Pool bedienten, häu­ fig gar schlicht das Gleiche predigten. Umso schwieriger ist es heute, im Wust der weit über ein Jahrtausend lang immer wieder neu arrangierten Kulte, Namen und Lehrsätze den Überblick zu behalten. Da meldeten sich zum Beispiel � Gnostiker, die dem Dualismus sozusagen umgekehrte Vorzeichen ver­ passten: Aus einer fehlerhaft-sündi­ gen, von niederen Mächten erschaf­ fenen Welt sucht der Gläubige hier über eine Erlöserfigur den Weg zum Guten, das allerdings meist erst nach dem Tod beginnt; � Mithras-Anhänger, die ähnlich nach Rettung lechzten, aber als ihre Licht­ gestalt wohl eine Spätversion des ur­ alten Gerechtigkeits- und späteren Sonnengottes Mithra verehrten; die Zeremonien um diesen geheimnisvol­ len Stiertöter-Heros fanden in eigens

angelegten Kultgrotten unter der Erde statt; � Manichäer, die dem gelehrten Pro­ pheten Mani (216 bis 277 n. Chr.) folg­ ten: Bei ihm verzweigte sich, viel­ leicht unter dem Eindruck griechi­ scher Philosophie, die Polarität von Gut und Böse in ein Mobile vieler Kraftbalancen, aus deren Wirrwarr man zu den Licht- und Heilsmächten vordringen sollte - unter anderem durch penible Reinheitsregeln, Fas­ ten, Buße, Andacht und edle Spenden. In allen drei Rezepten vom üppigen Buffet religiöser Möglichkeiten in der Spätantike ist das persische Aroma her­ auszuschmecken. Manchmal reichen die Parallelen noch erheblich weiter. So stammt das Wort Paradies und dessen Bild als Garten aus Persien. Und die Hei­ ligen Drei Könige, die auf das Sternen­ signal hin nach Betlehem eilen, um das Jesuskind zu verehren, heißen ursprüng­ lich "Magier" aus dem Osten. Im Klar­ text: Es sind Priester der iranischen Maz­ da-Religion. Die sollte gerade im Wettstreit mit dem erstarkenden Christentum ihre letz­ te große Blütezeit erleben: Während des 3. Jahrhunderts machte das Herrscher­ haus der Sasaniden die zoroastrische Re­ ligion zur kulturellen Basis seiner Macht. Schon der Dynastiegründer Ardaschir ließ Feuertempel bauen und bedrohte Andersgläubige mit Strafen. Jede Pro­ vinz bekam neben ihrem Gouverneur ein geistliches Oberhaupt. Vor allem aber wurden endlich die Gesänge von und über Zarathustra aufgezeichnet, die bislang nur mündlich überliefert wor­ den waren. Den Kern des Heiligsten bündelten die Theologen im sogenannte12 Avesta. Diese zoroastrische Bibel, festgehalten in einem speziellen Alphabet, vereinigt Liturgien und Opfergebete, Rechtsvor-

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Dunkel und geheimnisvoll klin­ gen die u ralten poetischen Worte, die vom Religionsstifter Zarathustra selbst stammen

"'.0

an Verehrung? Verkündige, 0 Weiser, dass man es höre, was die Vergeltung an Gebührendem verteilen wird. Lehre uns durch Wahrsein die Pfade, die zu gehen gut sind.

Dir, 0 Herr, und dem wahrsein

geben wir mit Verneigung die Opfer­ spende ... Erlangt ist ja stets bei eures­ gleichen, 0 Weiser, das Heil des Gut­ handelnden. Und wir wünschen, dass dein Feuer, o Herr, durch Wahrsein kraftvoll sei, sehr schnell und machtvoll ... Was ist das dir Gebührende? Was wünschst du, was an Lobpreisung, was

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DOKUMENT

Unter Verneigung

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schriften und Legenden, dazu Weishei­ ten über Anfang und Ende der Welt, ei­ nen Katechismus und Berichte über Himmels- und Höllenreisen. Als buchstabengläubig wollten die ge­ dächtnisstarken Iraner indessen weiter­ hin nicht gelten - bis im 7. Jahrhundert die Muslime Persien eroberten. Nun war es plötzlich von Nutzen, heilige Texte zu besitzen: Der Koran hatte ausdrück­ lich verfügt, Schriftreligionen schonend zu behandeln. Dennoch ging im Lauf der Islamisie­ rung etliches aus dem reichen Fundus der zoroastrischen Manuskripte verlo­ ren. Nur noch etwa ein Viertel des Aves­ ta ist in der alten Schrift erhalten; für den Rest müssen Übersetzungen in spä­ teres Persisch eintreten. Heutige Anhänger Zarathustras stört das nicht. Überwiegend sind es soge­ nannte Parsen, deren Ahnen während der Islamisierung nach Indien ausge­ wandert waren und dort oft wohlhaben­ de Geschäftsleute wurden. Heute woh­ nen von den weltweit etwa 120 000 Maz­ da-Verehrern die meisten in Mumbai, dem früheren Bombay. Viele von ihnen nehmen ausgeklügel­ te Glaubenslehren "gar nicht primär wichtig", erläutert der Religionswissen­ schaftleI' Michael Stausberg. Die je nach Gemeinde recht verschiedenen Bräuche finden sich in einem weltfrohen Mono­ theismus zusammen: Gegenüber dem Schöpfer Ahura Mazda und seinem licht­ vollen Prinzip Ascha (Recht, Wahrheit, Ordnung) gilt der "übelriechende Geist" nur als Störenfried. Mit ihm wird die allgemein geachtete Minderheit auch weiterhin fertig wer­ den. Inzwischen plagt die Zoroastrier eher eine sehr weltliche Sorge: Da Mischehen streng verpönt sind, könnte die Flamme ihrer alten Feuer-Religion bald endgültig erloschen sein. 41


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Von Persien aus verbreiteten arabische Eroberer den Denksport Schach.

FIGUREN IM WELT- SPIEL seines persischen Kollegen Chosrau 1. testen. Dessen Fachleute entschlüsselten zwar das Regelwerk (es unter­ schied sich noch erheblich vom heutigen), Chosrau aber blieb vom Schach-Virus offenbar verschont - er war kein königlicher Förderer, nichts deutet darauf hin. Und als die Araber im 7. Jahrhundert das Perserreich der Sasani­ den eroberten, da fehlte der angegriffenen Armee nicht zuletzt eine ausreichende taktische wie strategische Schu­ lung, wie sie das Schach ermöglicht hätte. "Tschaturanga" hieß das Spiel ur­ sprünglich in Indien, die Perser nann­ ten es "Tschatrang" und seine beiden Könige "Schah". Als heldenhaft, fast königlich galten bald auch jene Kön­ ner, die sich in seiner Kunst bewiesen. Schach war ein Oberschichten-Zeit­ vertreib. Die Stadt Gundischapur soll sogar von einem Sasaniden-Herr­ scher nach dem Schachbrettmuster angelegt worden sein - einem arabi­ schen Geschichtsschreiber zufolge bereits im 3. nachchristlichen Jahr­ hundert, was ein Licht wirft auf die vage historische Quellenlage. Ähnlich ungewiss ist, ob Omar Chaj­ Persische Schachspieler (Zeichnung aus dem 16. Jahrhundert) jam (Omar der Zeltmacher), ein be­ deutender persischer Dichter, Mathe­ geneinander marschieren zu lassen, in Indien ersonnen matiker und Astronom, wirklich als Erster die philoso­ wurde, als strategisches Sandkastenspiel, als Kriegssimu­ phische Symbolik des Schachs erkannt hat. Zumindest lation - wobei eine Experten-Minderheit wiederum hat er sie, wohl im 11. Jahrhundert, ansatzweise formuliert: glaubt, ein 2700 Jahre altes chinesisches Spiel namens "Welt ist ein Schachbrett, Tag und Nacht geschrägt / wo Liubo, die frühe Form des China-Schachs Xiangqi, könnte Schicksal Menschen hin und her bewegt / sie durch­ die wahre Wurzel des Denksports sein. einanderschiebt, Schach bietet, schlägt / und nacheinan­ Unbestritten ist hingegen, dass Persien eine zentrale Mitt­ der in die Schachtel legt." lerrolle bei der Verbreitung des Schachs zukommt. Hier Das Schach internationalisierte sich; große Spieler brach­ lernten die arabischen Eroberer das Spiel kennen, und te Persien nicht hervor. Und erst sehr viel später, auf dem ihre Armeen trugen es bis nach Europa. Von hier aus wur­ Höhepunkt der Revolution des Ajatollah Chomeini, wur­ de es dank seiner faszinierenden Tiefe und Komplexität de es noch einmal zum Thema, als die religiösen Führer zum globalen Brettspiel. in Teheran den Denksport als gottlos, weil im Westen Der Dichter Ferdausi hat in seinem Nationalepos "Schah­ kommerzialisiert, verboten. Wer sich erwischen ließ, name" überliefert, wie es nach Persien gelangt sein soll, musste sogar mit Prügeln rechnen. nämlich in Gestalt eines Rätsels, das zu lösen eine hohe, Glücklicherweise dauerte diese Episode nur wenige Jahre. eben schachtypische Abstraktionsleistung erforderte. Chomeini selbst machte eine Kehrtwende und verkünde­ Ein im nordindischen Kannauj herrschender König hat te, Schach sei zu tolerieren. Nicht nur Schachnarren wa­ der Legende zufolge eine Karawane von 1000 Kamelen ren da erleichtert - bald schoben in Iran dreimal mehr und 90 Elefanten gen Persien geschickt, beladen mit Menschen in Vereinen die Holzfiguren als zur Zeit des Schwertern, Gold, Seide und anderen Kostbarkeiten und letzten Schahs Mohammed Resa Pahlewi. einem Exemplar jenes den Persern unbekannten Brett­ In jedem Land der Welt spielen Menschen "chess" (Eng­ spiels. Die Hälfte der Figuren war aus rotem Rubin gefer­ lisch), "echecs" (Französisch) oder "schachmaty" (Rus­ tigt, ihre Gegnerschaft aus grünem Smaragd. Eine Anlei­ sisch) - eine Reverenz an Persien wie auch der deutsche tung fehlte allerdings; der Inder wollte die Intelligenz Name "Schach". Rüdiger Falksohn Nur allzu gern hätte das stolze Persien sich damit

geschmückt, das Ursprungsland des königlichen Spiels zu sein, des Schachs. Es gibt Hinweise, die eine solche Annahme stützen: Aus dem persischen Sprachraum stam­ men die ältesten archäologischen Fundstücke, die als Schachfiguren gelten. In der persischen Literatur finden sich zudem die frühesten Hinweise auf dieses Spiel. Die meisten Historiker sind jedoch überzeugt, dass die Idee, schwarze und weiße Regimenter auf 64 Feldern ge-

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ine gigantische Sänfte, ge­ tragen von Menschen, die im Dunkel bleiben. Silberne Löwen am Fuße einer Trep­ pe. An deren Ende: ein gro­ tesk gepiercter Riese. Es ist der persi­ sche Großkönig Xerxes, ein Feldherr, der als antike Drag-Queen posiert, mit tuntigem Hüftschwung zum Spartaner­ König Leonidas hinabsteigt und ihn auf­ fordert, sich zu unterwerfen oder mit­ samt seinem Volk unterzugehen. ,,300" heißt der Film, dem diese Szene entstammt; benannt nach jenen 300 spartanischen Kämpfern, die sich 480

Ein Sieg des Xerxes gegen die Griechen hätte wohl den Laufder europäischen Geschichte verändert. Die Person des Königs ist von Hollywood-reifen Legenden umwoben.

Der unbekannte Despot Von GUNTHER LATSCH

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teshaltung und peinlich pubertärer Äs­ thetik". Der Film beschäftigte sogar die Ver­ einten Nationen. Die iranische Regie­ rung beklagte dort, er spiele auf die ak­ tuelle Situation im Nahen Osten an und stelle die Perser als einfältige und grau­ Kaum in den Kinos, sorgte das same Barbaren dar. Das iranische Fern­ Schlachtengemälde, das 2007 zu den sehen sekundierte: Mit ,,300" hätten die kommerziell erfolgreichsten Filmen des USA "eine neue Front im Krieg gegen Jahres zählte, für erbitterte Kontrover­ Iran" eröffnet. Der Kritiker der "Frankfurter Allge­ sen. Aufgebrachte Kritiker monierten "Männlichkeitsirrsinn um Blut, Boden meinen Sonntagszeitung" gehörte zu und Kriegerehre" und beklagten "eine den wenigen, die das Historienspektakel unheilige Allianz aus faschistoider Geis- verteidigten - mit einem denkwürdigen vor Christus an den. Thermopylen - ei­ nem Engpass zwischen Mittelmeer und Kallidromos-Gebirge - im Kampf gegen eine gewaltige persische Übermacht opferten, um den Rückzug des grie­ chischen Hauptheeres zu decken.

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Argument: Sein Verdienst sei, dass es "sein Publikum, mit der ganzen Wucht seiner Inszenierung, dazu zwingt, sich endlich bewusst zu machen, wie viel Fik­ tion in jenen Erzählungen steckt, welche wir für Geschichtsschreibung halten". Ob es dazu wirklich in Zeitlupe zer­ fetzter Leiber bedarf und jener Phanta­ sie-Monster, die auf Seiten der persi­ schen Armee in die Schlacht ziehen, steht dahin. Sicher ist: Sieht man von Action-Übertreibungen und Fantasy­ Schnickschnack ab, dann unterscheidet sich der Xerxes des Films ,,300" nicht sonderlich von dem, der in der abend­ ländischen Geschichtsschreibung seit zweieinhalbtausend Jahren als maß­ loser orientalischer Despot geschildert wird - jähzornig, grausam und zum Scheitern verurteilt. Dies liegt vor allem daran, dass nahe­ zu alles, was über Xerxes geschrieben wurde, auf antiken griechischen Quellen basiert. Und deren Autoren waren dem Zerstörer Athens, der mit dem - bis zur Landung der Alliierten in der Norman­ die 1944 - größten Invasionsheer der Welt in Europa eingefallen war, alles an­ dere als wohlgesinnt. Von persischer Seite gibt es so gut wie nichts, das Rückschlüsse auf die Person des Großkönigs erlaubt. Tontafeln mit Aufzeichnungen der Bürokraten, die das von Indien bis ans Mittelmeer und nach 46

Krieger bin ich erprobt'?", fragte der Iranist Walther Hinz noch Ende der siebziger Jahre. "Es hätte sich eigentlich verbo­ ten", sagt dagegen der Althistoriker Josef Wiesehöfer, Herodot und ande­ re antike Quellen "für eine moderne historiografische Studie des Prota­ gonisten zu nut­ zen." Doch genau dies sei geschehen: "Herodots Histo­ rien wurden wie Gerichtsprotokol­ le behandelt." Ver­ haltensweisen des Königs wie sein "vermeintlich man­ gelndes Engage­ ment bei Salamis wurden wie Au­ genzeugenberichte interpretiert". Nie sei gefragt worden, welche Bedeutung solchen Schilderungen im persischen Zusammenhang zukomme. "Dass Xer­ xes in Salamis auf einem Thron abseits des Geschehens" Platz nahm, habe

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Äthiopien reichende Riesenreich verwal­ ihrer Erben umso heller erstrahlen zu teten, sagen so wenig über Xerxes' cha­ lassen. rakter aus wie Münzen, Bauwerke oder Das differenzierteste Urteil über Xer­ Reliefs mit formelhaften Inschriften. xes liefert Herodot. Doch auch der grie­ chische Geschichtsschreiber ist geprägt Zusätzlich erschwert wird die An­ von jenem Charakterbild, das der Dra­ näherung an den historischen Xerxes matiker Aischylos 472 vor Christus dem durch den Umstand, dass die Perserkrie­ Athener Publikum nahegebracht hatte: ge zu den Gründungsmythen der euro­ In seiner Tragödie "Die Perser" ist Xer­ päischen Zivilisation gehören: "Bei den xes der unfähige Sohn eines übermäch­ Versuchen der Perser, sich das grie­ tigen Vaters, der mit seiner Hybris das chische Kernland untertan zu machen", Heer in die Katastrophe führt und so das so der britische Journalist und Histori­ Ende eines Weltreichs einläutet. ker Tom Holland, "stand sehr viel mehr Manch eine Episode, mit der Herodot auf dem Spiel als die Unabhängigkeit je­ Xerxes' Charakterbild verdüstert, klingt ner griechischen Städte, die Xerxes zu­ wie für das Drehbuch von ,,300" ge­ nächst für ein Sammelsurium von Schur­ schrieben. Etwa jene Szene, die sich in kenstaaten hielt. Als Untertanen eines Sardeis abgespielt haben soll, der Haupt­ fremden Königs hätten die Athener nie stadt von Persiens kleinasiatischer die Möglichkeit gehabt, ihre einzigartige Provinz Lydien, wo Xerxes mit seinen demokratische Kultur zu entwickeln." Truppen auf dem Weg Richtung Grie­ Das griechische Erbe in der Form, die chenland überwinterte. das neuzeitliche Europa bis heute prägt, Der König war Gast des Pythios, der hätte sich unter persischer Herrschaft als reichster Mann der Welt galt. Der wohl nie entwickeln können. Deshalb übernahm auch die Verpflegung des ge­ steht für Holland fest: "Im Fall einer Nie­ waltigen Heeres; ein Dienst, für den sich derlage der Griechen gegen Xerxes und Xerxes bedankte, indem er pythios' Söh­ seine Angriffe ist unwahrscheinlich, nen hohe militärische Positionen anbot. dass es überhaupt je so etwas wie ,den Doch als die Streitmacht im Frühjahr Westen' gegeben hätte." weiterziehen wollte, sorgte eine totale Aus all diesen Gründen war Xerxes Sonnenfinsternis für Angst, Verwirrung über Jahrhunderte hinweg der barbari­ und dunkle Ahnungen. sche Schatten, dessen Beschreibung Von der "Erscheinung am Himmel in dazu diente, das Licht der Griechen und Schrecken versetzt", so Herodot, bat Py-

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vor allem das Resultat griechisch-abend­ ländischen Wunschdenkens. Den von Aischylos beschriebenen Xerxes, der in Lumpen nach Hause hinkt, wo er von heulenden Höflingen empfangen wird, gab es wohl nur im Theater. Sicher: Nach Kyros, Kambyses und Dareios war Xerxes der erste Herrscher, der anerkennen musste, dass die Gren­ zen des persischen Reichs nicht belie­ big erweiterbar waren. Dennoch wankte das Weltreich nach den Niederlagen an seiner westlichen Peripherie in keiner Weise. Xerxes' schneller Rückzug ins per­

sische Kernland dürfte, so neuere For­ schungen, auf einem rationalen Kalkül beruhen, das Zweifel weckt an der Mär vom aufbrausenden König, den sein Jähzorn in den Untergang trieb. Denn in Babyion war 479 vor Christus eine Revolte ausgebrochen, die für die Stabi­ lität und den Bestand des Imperiums weitaus gefährlicher war als der Streit mit den Griechen. Diesen Aufstand niederzuschlagen, das gelang dem gegen die Griechen so erfolglosen Heerführer offenbar schnell und umfassend. Ob er dort tatsächlich "den babylonischen Götzenstall Esangi­ la" sofort "gründlich schleifen" und "die sechs Meter hohe Marduk-Sitzstatue aus massivem Gold wegschleppen und

thios den Großkönig, seinem ältesten Sohn den Feldzug gegen die Griechen zu ersparen. Ein Ansinnen, das Xerxes, der selbst mit all seinen "Söhnen und Brüdern, Verwandten und Freunden" in den Krieg zog, so in Rage brachte, dass er beschloss, an Ort und Stelle ein Exem­ pel zu statuieren. Vermutlich war Xerxes umsichtiger, Pythios' ältester Sohn wurde getötet und in zwei Hälften gehauen. Als das Heer Sardeis verließ, wurden die Kör­ als die Griechen weismachen wollten. perhälften zu beiden Seiten des Weges, der aus der Stadt hinausführte, aufge­ "nichts mit der Unentschlossenheit oder einschmelzen ließ", wie Hinz in seiner stellt. Zwischen den beiden Hälften der gar Feigheit des Königs zu tun" gehabt. "Kulturgeschichte der Achämeniden" Anders als bei den Griechen sei "die noch schrieb, wird von der jüngeren For­ Leiche des jungen Mannes musste dann persönliche Bewährung in vorderster schung bezweifelt. "das ganze Heer hindurchziehen". Nicht nur war Xerxes, wie seine Vor­ Front nicht eine legitimatorische Voraus­ Auch in der Darstellung des setzung des persischen Herrschertums" fahren, aus politisch-taktischen Grün­ Schlachtenlenkers Xerxes unterschei­ gewesen. "Im Gegenteil: Der Tod eines den in religiösen Dingen durchaus tole­ den sich Hollywood und Herodot nur Königs im Kampfe hätte eine gefährliche rant, solange dies das Band zwischen unwesentlich. Hier wie dort sitzt der und gesetzlose Zeit heraufbeschworen, Herrscher und Untertanen festigte. Ge­ Herrscher auf seinem Thron, weitab in der das Reich und die Herrschaft sichert ist auch, dass "Esangila und der vom Kampfgetümmel, führt Buch über leicht in Unordnung hätten geraten Kult des Marduk bis zum Ende der seine Kämpfer, die er im Falle einer Nie­ können. Unter den Augen des aufmerk­ Achaimeniden-Zeit kontinuierlich wei­ derlage grausam und unerbittlich be­ samen Königs tapfer zu kämpfen und da­ terbestanden" (Wiesehöfer). Solche Indizien legen den Schluss straft - wie die Phöniker, denen Xerxes für gegebenenfalls königliche Anerken­ nach dem Verlust ihrer Schiffe in der nung zu finden genügte einem persi­ nahe, dass Xerxes weitaus umsichtiger Seeschlacht bei Salamis "sehr traurig" schen Untertan; kein Perser hätte an herrschte, als die Griechen dem Rest der dem thronenden Xerxes in Salamis An­ Welt weismachen wollten. Schließlich die Köpfe abschlagen ließ. blieb die Achaimeniden-Dynastie, der "Durfte Xerxes, der nie kämpfend an stoß genommen." Auch die oft vertretene Ansicht, die Xerxes und seine Vorgänger entstamm­ einer Schlacht teilnahm, sondern ihr, auf erhöhtem Standort unter einem Balda­ Niederlagen von Salamis und Plataiai ten, nach dem Scheitern des Griechen­ chin thronend, lediglich zuschaute, in (479 v. Chr.) seien der Anfang vom Ende land-Feldzugs noch weitere 150 Jahre der Inschrift wie Dareios sprechen: ,Als des persischen Weltreichs gewesen, ist an der Macht.

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In einem Sitten- und Schlachtengemälde im Geist der antiken Tragödien schilderte Herodot, der Begründer und erste Klassiker der Geschichtsschreibung, das epochale Ringen zwischen Griechen und Persern.

Herodot-Statue (vor dem Parla ment in Wien)

Eine fabelhafte Autopsie Von RAINER TRAUB nsere Vorstellungen vom Aufstieg und Niedergang des altpersischen Welt­ reichs stützen sich vor al­ lem auf eine berühmte griechische Quelle: auf die "Historien" des Herodot von Halikarnass. Die Hei­ mat dieses "Vaters der Geschichtsschrei­ bung" (Cicero) lag zu dessen Lebzeiten (circa 490 bis circa 425 v. Chr.) an der Ostgrenze des griechischen Siedlungs­ gebietes; heute befindet sich dort die tür­ kische Hafenstadt Bodrum. Geprägt von der griechischen Kultur, war Herodot als Spross des nichthellenischen Vaters Lyxes zugleich ein Produkt des uralten Völkergemischs am Rand der kleinasia­ tischen Küste. Auch wenn die favorisierte persische Weltmacht im Ringen mit den Griechen bei den militärischen Debakeln von Ma­ rathon (490 v. Chr.), Salamis (480) und Plataiai (479) an ihre Grenzen gestoßen war, gab es weiterhin Scharmützel zwi­ schen Persern und Griechen - mit per­ sönlichen Folgen für Herodot. So wurde er als junger Mann von Gefolgsleuten der Perser aus seiner Heimat vertrieben und kehrte erst wieder, nachdem die Grie­ chen die Perser zurückgeschlagen hatten. Eine Zeitlang hielt er sich in Athen auf und soll dort, im Zentrum der grie­ chischen Kultur, unter anderen mit dem Tragödiendichter Sophokles befreundet gewesen sein. Herodot war durch seinen Onkel Panyasis, einen Dichter, mit Ho­ mer und der ganzen poetischen Tradi­ tion ebenso vertraut wie mit dem über­ lieferten Orakel- und Seherwesen und den Traumdeutungsmythen. Mit diesem Erbe verschmolz er in den "Historien" die Ergebnisse der zahl­ losen Erkundungsreisen und Gespräche, die er häufig mit Dolmetscherhilfe be­ wältigte - und wohl mit kaufmänni­ schen Tätigkeiten finanzierte. Auch die

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Einnahmen aus öffentlichen Lesungen von einzelnen, in sich geschlossenen Ab­ schnitten (" logoi") der "Historien" er­ möglichten Herodot die aufwendigen Recherchen für sein Lebenswerk. Elemente nüchterner Historiografie mischen sich darin wundersam mit my­ thisch-poetischen Erzählungen, die der Autor, nicht selten augenzwinkernd, ver­ schiedenen Gewährsleuten zuschreibt. So etwa die Kunde von den unglaublichs-

Autor. Seine persischen Quellen stim­ men in den Hauptzügen mit den über­ lieferten Berichten der Keilschriften überein. Darüber hinaus hatte Herodot, der nicht Persisch sprach, über grie­ chische Beamte im persischen Staats­ dienst Zugang zu amtlichen Quellen. Natürlich ist seine Gesamtsicht von Aufstieg und Niedergang des persischen Reiches und vom epochalen Ringen zwi­ schen Ost und West geprägt von grie­ chischer Weltsicht und vom Geist der Tragödiendichter - das Aischylos-Dra­ ma "Die Perser" hatte 472 v. Chr., in He­ rodots Jugend, seine Premiere erlebt. Wir müssen es hinnehmen, dass die Perser keine eigene Historiografie ent­ wickelt haben, an der wir Herodots Ge­ schichtsschreibung überprüfen und messen könnten. Doch als Historiker zollt er der anderen Kultur, bei all ihrer Fremdheit, Respekt. Er ist weit davon entfernt, die großen Gegner gezielt als "Barbaren" herabzusetzen. Wenn er über Sitten und Anschauungen der Per­ ser schreibt, dann berichtet er vorur­ teilsfrei und nüchtern. Er registriert nicht nur die beträchtlichen Unterschie­ de der Kulturen - er nimmt auch für Griechen wenig schmeichelhafte Paral­ lelen wahr. So hält er die fremde Mentalität der eigenen wie ein Spiegelbild vor, wenn er über die Perser sagt: ,,von den Menschen achten sie am meisten die, die ihnen zu­ nächst wohnen - nach ihnen selbst, ver­ steht sich -, dann die darauf folgen, und so geht es der Reihe nach weiter mit ih­ rer Achtung. Am wenigsten halten sie von denen, die ganz weit weg von ihnen wohnen, alles in dem Glauben, dass sie selbst in allen Stücken bei weitem die besten sind." Genauso sahen sich die Griechen selbst. Die Schilderung der persischen Reli­ gion wirkt unparteiisch: "Es ist bei ihnen

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A I S C H Y LOS U N D " D I E P E R S E R"

Drama der Hybris

Die 472 v. C h r. u raufgefü h rte Ais­ chylos-Tra g ö d i e "Die Perser" g i l t als ä ltestes erhaltenes D rama d e r Welt. Thema i s t d i e epochale N ie­ derlage des persischen G r o ß kö­ nigs Xerxes i n d e r Seesch lacht von Salamis, a n d e r A ischylos auf g riechischer Seite tei l n a h m . Dar­ geste l l t aus der fi ktiven S i c h t des persischen Königshofes, der d u rc h Chor und Chorfü h rer ver­ t reten w i rd, erschei n t das Gesche­ hen als Strafe h öherer M ä c hte für d ie Selbstüberhebung des Xerxes und fü r den Frevel gegen e i n e Weltordn u ng, der Perser genauso wie G riechen u n terworfen s i n d .

ten Fabelwesen, die die wilden Ränder der Welt bevölkern. Herodot wusste, was er seinem unterhaltungsbedürftigen publikum schuldete. Doch ein Karl May der Antike war er keineswegs. Die Schauplätze der großen Schlachten und zahlreiche andere his­ torische Orte hatte er genau inspiziert. Er habe sich vor allem auf den Augen­ schein (" autopsIa") gestützt, betont der

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nicht üblich, Götterbilder, Tempel und Altäre zu errichten. Sie behaupten sogar, wer das tue, sei ein Tor. Sie glauben näm­ lich nicht, wie mir scheint, dass die Göt­ ter wie bei den Griechen menschenähn­ liche Wesen sind. Dem Zeus pflegen sie auf den Gipfeln der Berge zu opfern und bezeichnen das ganze Firmament als Zeus. Sie opfern auch der Sonne, dem Mond, der Erde, dem Feuer, dem Wasser, den Winden." Herodots Perser sind den Griechen, wie der Historiker JosefWiesehöfer fest­ hält, nicht etwa von Natur aus "physisch oder charakterlich unterlegen; sie sind vielmehr gerade dank ihrer einfachen Lebensweise, der naturhaften Formen ihres religiösen Lebens und ihrer spezi­ fischen Sitten und Gebräuche zur Be­ gründung dieser Weltherrschaft in der Lage gewesen". Denkwürdig erscheinen die Trinksit­ ten der Perser. Dem Wein zugetan, pfle­ gen sie im Rausch "die ernstesten Dinge zu verhandeln. Den Beschluss, den man so gefasst hat, trägt der Hausherr, bei dem die Beratung stattfindet, am nächs­ ten Tag noch einmal vor, wenn alle nüchtern sind. Gefällt ihnen diese Ent­ scheidung auch in der Nüchternheit, führt man sie aus; wenn nicht, dann lässt man es sein." Sicherheitshalber wird die Bewährungsprobe auch in um­ gekehrter Reihenfolge durchgeführt: ' Was sie nüchtern vorberaten, bespre­ �hen sie noch einmal, wenn sie trunken sind." Die persische Haupttugend sei die Tapferkeit. Es gelte aber auch "als hohes Verdienst, viele Kinder zu haben. Wer die meisten aufweisen kann, dem schickt der König jedes Jahr Geschenke. Die gro­ ße zahl halten sie für ihre Stärke. Sie un­ terweisen die Knaben vom fünften bis zum zwanzigsten Jahr besonders in drei Dingen: im Reiten, im Bogenschießen und in der Wahrhaftigkeit". Ausdrücklich befürwortet der Grie­ che den persischen Brauch, dass Vater Kleinkinder, die bis zum fünften Lebens­ jahr in der Obhut der Mütter bleiben, erst danach zu sehen bekommen: "Das geschieht deshalb, damit der Vater sich nicht grämt, wenn das kleine Kind stirbt." Herodots erklärte Zustimmung finden auch andere persische Sitten wie die, dass nicht einmal der König einen Menschen wegen eines einzigen Verge­ hens töten und dass kein Perser seinen Knecht "aus einem einzigen Anlass" zu hart strafen dürfe, sondern nur bei er­ wiesener Vielzahl von Vergehen. 49


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Natürlich weiß er auch von Sitten zu berichten, die aus der Sicht seiner Leser abstoßend sind: Der Leichnam eines Per­ sers werde erst begraben, "nachdem ihn ein Vogel oder ein Hund umhergezerrt hat". Man kann sich den Schauder des kultivierten Griechen an dieser Stelle vorstellen, auch wenn er nicht ausdrück­ lich von Barbarei spricht. Für Bestattun­ gen sind die "Magier" zuständig, die laut Herodot eigentümliche Vorlieben pfle­ gen: "Sie vertilgen Ameisen, Schlangen und andere Kriechtiere und Vögel in ei­ nem förmlichen Wetteifer." Ehrfurcht hegen Herodots Perser vor Flüssen. Es ist verpönt, in sie zu spucken oder gar zu urinieren. Nicht einmal die Hände darf man in ihnen waschen. Dieses Element im moralischen Kos­ mos der Perser wird besonders interes­ sant vor dem Hintergrund der "Histo­ rien"-Gesamtanlage. Denn in mehreren Schlüsselszenen lassen sich persische Herrscher zu Racheakten gegen die Na­ turgewalten von Fluss und Meer hinrei­ ßen, weil diese sich ihrer Befehlsgewalt entziehen. Die größenwahnsinnige Wei­ gerung, die Grenzen menschlicher Macht und die Gebote von Religion und göttlicher Weltordnung zu respektieren, 50

H I NTERGRUN D

Daraufhin verliert der Großkönig bei der Entscheidungs­ gegen schlacht das Massageten­ heer auf der euro­ päischen Seite des Flusses den größ­ ten Teil seiner Truppen - und sein Leben. So en­ det eine 29-jährige Herrschaft; und ausgerechnet eine Frau, die Massage­ tenkönigin Tomy­ ris, lässt die De­ mütigung in einer Schändung gipfeln: Sie tunkt den Kopf der Leiche in einen mit Menschenblut gefüllten Beutel. Zwei Herrscher­ generationen spä­ ter zieht Großkö­ nig Xerxes gegen die Griechen, um seine Weltherr­ schaft zu vollen­ den. Vergebens warnt ihn sein Onkel Artabanos, dass "Gottes Blitz die höchsten Geschöpfe trifft und nicht duldet, dass sie sich in ih­ rem Hochmut erheben". Xerxes lässt gi_ gantische Brücken über den Hellespont errichten, um das größte Heer, das bis da­ hin ein menschliches Auge erblickt hat, von Asien nach Europa überzusetzen.

Juden und Perser - ein kompliziertes Verhältnis von Nähe und Verachtung

GLÜCK IM EXIL

blieb zumeist in Persien. Wegen der Toleranz, die Ky­ wird er im Alten legen die ultraorthodoxen Juden im Jerusalemer Stadtteil ros 11. gegenüber den Juden walten ließ, n. vergliche Messias Mea Scheat'im ihre schwarzen Kaftane ab und verkleiden Testatnent mit einem zwischen Ju­ sich. Sie setzen sich Pappnasen oder blonde Perücken auf, In den folgenden Jahrhunderten entstand Iran-Histo­ dem laut die , Symbiose eine Persern und den betrinken und tragen Piratenhüte oder Polizeiuniformen Aviv ver­ Tel ät sich hemmungslos, ganz so, als wollten sie den Kölner riker D avid Jeruschalmi von der Universit n kulturelle der , Zeitalter" "goldenen Kat'nevalisten nacheifern. Doch das Spektakel hat einen gleichbat· ist mit dem im Araber der ft Herrscha der unter s Judentum des Blüte religiösen Ursprung. Purim heißt das Fest, das meist in den Monat Februar des mittelalterlichen Spanien. Judentum und gregorianischen Kalenders fällt. Es erinnert an das Schick­ So finden sich Parallelen zwischen dem allen voran smus, Zoroastri des sal der biblischen Königin Ester, das sich vor rund 2400 der iranischen Religion und sein Himmel" im "Gott einen den an Glaube Jahren in Persien zugetragen haben soll. Der damalige der die he­ en bereichert Wörter Persische Erden". auf "Reich den unter Ester persische Herrscher Xerxes I. hatte sich Religion für Wort das Beispiel zum so Sprache, bräische zu ohne gewählt, Königin zur Reichs Jungfrauen seines den Parthern wissen, dass sie Jüdin war. Als ihr Cousin Mordechai sich - Persisch "Data", Hebräisch "Dat". Unter Ge­ jüdischen die florierten Chr.) n. 224 bis Chr. v. (250 nicht vor Haman, dem höchsten Beamten des Reichs, ver­ anschlieder Während lich. wirtschaft allem vor meinden Erlaubnis die beugen wollte, holte Haman beim König ßenden Herrschaft der Sasa­ ein, alle Juden Persiens an eientstand in Persien die niden nem einzigen Tag umzubrin­ der Tora wichtigste nach gen. Den Tag bestimmte Ha­ des Judentums: der ba­ Schrift man durch das Los (Hebräisch e Talmud. bylonisch als sich "Pur"). Doch Ester gab des Islam en­ Aufstieg dem Mit Vol­ _ jüdischen des ge Angehöri Trotzdem Blütezeit. diese dete kes zu erkennen und konnte nach Jahre 30 heute, selbst ist den König umstimmen. Ha­ Re­ Islamischen der Gründung man wurde gehängt. Gemeinde jüdische die publik, Auch wenn die historische in Iran die größte eines islami­ Existenz der Königin Ester Landes. schen nicht bewiesen ist: Ihre Ge­ Stadt Hamadan, 335 Ki­ der In schichte steht bis heute für das westlich von Teheran, lometer komplizi erte Verhältnis zwi­ die Juden das Grab­ verehren schen Juden und Iranern, das Ester und ih­ Königin der mal von Nähe, aber auch Verach­ i. Ende Mordecha Cousins res tung geprägt ist. na­ zum sogat· es wurde 2008 Rund 10 000 Juden wat'en im erklärt. e Kulturerb ti011alen Jahre 598 v. Chr. vom babylo­ Ester und Mordecha i hätten nischen König Nebukadnezar ein Massaker an den Juden als Gefangene aus Jerusalem verhindert, steht auf einer Ta­ ins Zweistromland geführt fel in dem Mausoleum. worden. 539 wurden die Baby­ liberale Politik der antiken Die Ionier vom persischen König Herrscher ist für persischen Kyros H. geschlagen. Den Ju­ iranischen Präsi­ heutigen den i­ Achaimen der den gewährte Ahmadine­ Mahmud denten de größere Freiheiten. Er er­ Vorbild. kein hingegen dschad laubte ihnen die Rückkehr Droh­ wüste er stößt Lieber nach Jerusalem und sogat· den Isra­ Staat den gegen ungen Tempels. Wiederaufbau des in sehen Juden Viele aus. el Das Angebot nahmen jedoch nger Wiedergä den daher ihm hauptsächlich die ärmeren Ju­ des biblische n Judenfein des den wahr; wer sich im Exil er­ Christoph Schult Haman. Hamadan n i Ester n i g Köni der Grabmal hatte, folgreich eingerichtet Einmal im Jahr, am 14. Tag des jüdischen Monats Adar,

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beschwört den Untergang der vermeint­ lich Unbesiegbaren herauf. So will Kyros, der Gründer des persi­ schen Großreichs, BabyIon erobern in der verblendeten Überzeugung, kein Volk könne ihm widerstehen. Da er­ scheint ihm ein böses Zeichen: Eines sei­ ner heiligen weißen Rosse kommt in den

"Sie vertilgen Ameisen, Schlangen und Vögel in iörmlichem Wetteifer." reißenden Fluten des Flusses Gyndes um. Rasend vor Wut über diese Unbot­ mäßigkeit der Natur, befiehlt Kyros seinem Fußvolk, den Fluss auf beiden Ufern in je 180 Gräben abzuleiten und zu zerstückeln, was einen ganzen Som­ mer in Anspruch nimmt. Das Element soll entehrt und so seicht werden, dass zu seiner Schande sogar Frauen es ohne Mühe durchwaten können. "Als Kyros am Gyndes Rache genom­ men" hat, so Herodot trocken, rückt er in einem späteren Feldzug vor zum Fluss Araxes, der die Grenze zwischen seinem asiatischen Stammland und Europa mar­ kiert. Alle Warnungen vor einer Grenz­ überschreitung schlägt er in den Wind.

Ein Sturm zerstört eine der Brücken und Xerxes wütet gegen das Meer wie einst Kyros gegen den Fluss: Er befiehlt 300 Geißelhiebe für den Hellespont und lässt ein Paar Fußschellen in ihm versen­ ken. "Ich habe sogar gehört, dass er zu­ gleich Henker mitschickte, um dem Hel­ lespont Brandmale aufzudrücken", fügt Herodot hinzu. Der Frevel gegen das hei1ige Wasser ist Ausdruck der Selbstüber­ hebung gegen jene höheren Mächte, de­ nen die Perser genauso unterworfen sind wie die Griechen. So muss das Sakrileg unausweichlich die verheerenden Niederlagen von Sala­ mis und Plataiai heraufbeschwören und das Ende der persischen Weltmacht. _

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m das Jahr 235 stellte Ju­ die schweren Panzerreiter, die schon Überhöht wurde die Königsherr­ lius Africanus, Bibliothe­ von den Parthern aufgeboten worden schaft von der Berufung auf alte Traditio­ kar des römischen Kaisers waren, entwickelten sich zum Angstgeg­ nen und göttliche Mächte. Besonders Severus Alexander, ein ge­ ner. Diese mit Lanzen ausgestatteten Schapur 1. (240 bis 270/72) legte We-rt lehrtes Werk zusammen, "Clibanarii" oder "Cataphractarii" er­ darauf, propagandistisch den eigenen Za­ das von Medizin über Landwirtschaft bis schienen in solchen Massen, dass Roms rathustra-Glauben mit der Tradition der zur Militärtaktik aktuelles Wissen bün­ Verbände ihnen nichts mehr entgegen­ achaimenidischen Großkönige von einst deln wollte. Auf vieles wusste der bele­ zustellen wussten. Mit brutaler Konse­ zu verknüpfen: Er ließ seinen Taten­ sene Autor zu antworten - doch eine Fra­ quenz fielen die Kavallerie-Einheiten bericht in Persisch, Parthisch und Grie­ ge stürzte ihn immer wieder in Zweifel: der Sasaniden über römische Stellungen chisch auf einem achaimenidischen Bau, Wie sollte man mit der Bedrohung aus her; es war sprichwörtlich, dass die rit­ der Kaaba Zarathustras, einmeißeln. dem Osten fertig werden? Was konnte terartigen Cataphractarii mit ihrem Die Inschrift, in der Siege, aber auch Rom gegen die fortwährenden Angriffe Speer zwei Infanteristen auf einmal die Stiftungen des Herrschers zugunsten im Zweistromland tun? durchbohren konnten. des zoroastrischen Kultes genau aufge­ Für den Wissenschaftler schien die Effizienz schien überhaupt für die Sa­ zählt sind, offenbart grenzenlosen Herr­ Lage paradox: Regelmäßig hatten die Le­ saniden obenan zu stehen. Reiterei und schaftsanspruch: Schapur nennt sich gionen des Imperiums den griechischen Armee besaßen je eigene Kommandeure. "König von Iran und Nicht-Iran". ParalWiderstand gebrochen, und die lel zum Hof war die hierarchische Griechen waren doch als Sieger Organisation der Priesterschaft tä­ über die Perser bekannt. Weshalb tig: Geleitet von einem Priester alMit Panzerrittern und ler Priester, vollzogen die "mobeds" also behielt Rom, wo es nun gegen Perser zog, nicht spielend die Ober­ Bogenschützen schreckten die den Feuerkult für Ahura Mazda hand? Julius Africanus war ratlos. und die Seelen der Stifter. Sasaniden selbst Rom. Gründlich machte er sich Ge­ Religiösen Druck setzten die Sa­ danken über die wichtigste Waffe saniden aber vorwiegend aus politi­ Jahrhunderte hielt sich die der Angreifer, den Bogen. Er ver­ schem Kalkül ein: Christen lebten suchte auszutüfteln, wie die Legiolange weitgehend unbehelligt; erst Dynastie, bis Reitervälker, näre in der Ferne, wo Wein und Oli­ als das Christentum zur Staatsreli­ venöl fehlten, mit Ersatzstoffen ver­ Byzantiner, innerer Zwist und gion Roms geworden war, setzten sorgt werden könnten. So rätselhaft Verfolgungen ein. Auch der Relischließlich die Muslime und übermächtig erschien ihm der gionsstifter Mani, dessen Glaube sie zermürbt hatten. Gegner, dass er als Mittel zum Erden zoroastrischen Dualismus mit folg neben einer gnadenlosen Takder frühchristlichen Gnosis ver­ tik von Terror und Vernichtung band, wurde vom Herrscherhaus re­ auch Gifte, Amulette und Zauberei gelrecht gefördert und fand bis in zum Einsatz bringen wollte. die höchsten Zirkel der Dynastie sei­ Tatsächlich schien Rom mit den ne Anhänger. Das änderte sich, als bisherigen Mitteln gegen die neuen, um 275 die mächtige zoroastrische aggressiven Herrscher Irans, die Sa­ Priesterelite Argwohn fasste; Mani saniden, kaum etwas auszurichten. starb im Gefängnis. Was seit einigen Jahren an BlamaBekenntnisse blieben ein Haupt­ gen und echten Verlusten aufgelaufaktor im politischen Kampf: Je Von BURKHARD MEISSNER fen war, summierte sich für die auf deutlicher der Pufferstaat Arme­ Sieg programmierte Ideologie der nien und das Römische Reich selbst Römer fast ins Undenkbare. Seit der Neben der Elitetruppe der Reiter (Asa­ sich christlich gaben, desto schärfer setz­ erste Sasanide, Ardaschir, sich 224 zum varan) gab es vielerlei Abteilungen von te sich die sasanidische Herrschaft da­ "König der Könige Irans" hatte krönen Söldnern, daneben Vasallen-Kontingen­ von ab und gab ihre Toleranz gegenüber lassen, war es mit der Ruhe in Vorder­ te, dienstpflichtige Grundbesitzer, aber den Christen des Zweistromlandes auf. asien vorbei. auch von diesen gestellte Privat- und Lo­ Das geschah oft wohl eher notgedrun­ Zwar unternahm Kaiser Severus kalarmeen. Der König selbst und seine gen: Bahram V. (421 bis 439) etwa konnte Alexander, nachdem ein Heer Arda­ Gardetruppen überwachten die Ausbil­ sich nur mühsam und mit der Hilfe des schirs Mesopotamien angegriffen hatte, dung im Reiten und Bogenschießen. arabischen Scheichs Mundhir als Thron­ noch einen Entlastungsangriff gegen die Auch abseits des Schlachtfeldes galt folger behaupten, so sehr hatte sein Va­ alte Residenzstadt Ktesiphon am Tigris das kriegerische Können des Einzelnen ter Jasdegerd 1. durch christenfreund­ (231/232) - wenig erfolgreich, aber da­ viel im straffen Bau der sasanidischen liche Haltung Adel und Priesterschaft heim konnte das Unternehmen als Sieg Gesellschaft. Den König stützte eine erzürnt. Unter Jasdegerd II. wiederum hingestellt werden. In Zukunft aller­ quasifeudale Hierarchie samt wohl­ versuchten die Eliten des Sasaniden-Rei­ dings musste Rom umdenken, das merk­ geordnetem, zentralisiertem Beamten­ ches' das christliche Armenien zoroas­ ten alle Kenner der Lage. apparat und seinen Truppen, deren Or­ trisch zu beeinflussen, um es politisch Mit ihren Bogenschützen zu Fuß und ganisation und Aufgaben detailliert in zu kontrollieren. zu pferd operierten die sasanidischen einem eigenen Regelwerk, dem Ain­ Große Anstrengungen unternahmen Truppen rascher und wendiger; auch name, niedergelegt waren. die Könige, um an bedeutsamen Orten

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symbolisch prä­ sent zu sein zum Beispiel durch Reliefdar­ stellungen und mehrsprachige Inschriften. Schapurs Taten­ bericht, der in Naksch-e Rostam und anderswo einge­ meißelt zu lesen ist, be­ M ünze des ruft sich auf das Erbe der Sasaniden-Herrschers Achaimeniden; ein Relief bei Jasdegerd I. (frühes 5. Jh.) Darabgerd zeigt ihn als Sieger über die Römerkaiser Gordian III., Philippus Arabs und Valerian. Dynastiegründer Ar­ gen Listen naher und fernerer Funktio­ daschir 1. stellt seinen Sieg über den letz­ näre, Freunde und Verwandter als Emp­ ten Parther Artabanos IV. und seine Ein­ fänger wohlmeinender Opferstiftungen. setzung als Herrscher auf Reliefs in Fi­ Die Aufzählung der Namen und Funktio­ rusabad in der Provinz Fars dar. Bahram nen, die den Zusammenhalt der herr­ 11. zeigt sich in Sar Maschhad als Löwen­ schende Elite dokumentiert, bedeutet of­ bezwinger. fenbar noch mehr als Kriegserfolg. Natürlich mehrten die Herrscher ih­ ren Ruhm auch durch Gründung von All das sind Resultate eines zähen, Städten, Residenzen und Palästen. Noch beschwerlichen Weges zur Macht. an der Wende vom 6. zum 7. Jahrhundert Schrittweise hatte Ardaschir von der Re­ ließ Chosrau 11. im legendären Ktesiphon gion Fars aus die umliegenden Gebiete ein Schloss bauen. Architektonisch über­ und schließlich die Herrschaft in seine nahmen sie dabei, was ihnen gut und Hand gebracht; erst um das Jahr 230 war prächtig erschien: Schapurs 1. Stadt Bi­ er bis zur heutigen Grenze zwischen Af­ schapur folgte dem rechtwinkligen Ideal ghanistan und Pakistan als Regent aner­ griechischer Neugründungen; in Ktesi­ kannt. Vorausschauend machte der von phon ähnelten die gebrannten Ziegel des Krankheit gezeichnete König schon zehn Palasts den römischen. Bogen und Kup­ Jahre später seinen Sohn Schapur zum pel beherrschten die Großarchitektur bis Mitherrscher, und die Thronfolge gelang. über das Ende der Dynastie hinaus. Schapur, anfangs von Rom attackiert, Worauf es letztlich ankam, sagt Scha­ schaffte es, den Spieß umzudrehen. 244 purs Tatenbericht unmissverständlich: verlor Kaiser Gordian III. Herrschaft und Leben; der Nachfolger Gottesnachfolge und terri­ toriale Größe. Der Herr­ Philippus Arabs musste teuer dafür zahlen, dass scher verehrt Ahura Maz­ da und stammt von den die Reste des Römerheeres Göttern ab, sein Reich er­ abziehen durften. Dann streckt sich bis zum Kauka­ ging Schapur zur Offensive gegen Roms Besitzungen sus, bis Oman, nach Indien, Peschawar und Taschkent, in Syrien über. Als er Kar­ heißt es gleich zu Beginn. rhai und Edessa belagern Ein Drittel seiner Rechen­ ließ, kommandierte Kaiser schaft widmet Schapur den Valerian eine Entsatzunter­ Kriegen mit Rom. Seine nehmung dagegen und ge­ BURKHARD Siege sollen den Nachfah­ riet zusammen mit seinem MEISSNER Stab und Kommandeuren ren Mut machen; die von ihm gestifteten Feueraltäre, D e r H i stori ker, 50, in die Gefangenschaft der PriestersteIlen und Opfer- ist Experte f ü r d i e Sasaniden - Schapurs Tri­ kulte werden Sinnbilder Gesch i c hte d es umph war perfekt. Immerhin konnten die für die Ewigkeit seiner See- H e l l e n i s m u s u n d d a s le und seines Namens, aber a n t i ke K r i e g swesen. gedemütigten Römer den auch für das Fortleben sei- Er l e h rt s e i t 2004 Druck der Sasaniden auf ner Familie. Mesopotamien und das a n d e r H e l m utDiese Großfamilie er­ S c h m i d t - U n iversität dauernd umstrittene Ar­ scheint zusammen mit lan- H a m b urg, menien später noch ein-

mal bändigen. Sie schlossen einen Frieden, der an die vier Jahr­ ;1 zehnte hielt. In Armenien, das unter römischem Protektorat stand, wurde das Chris­ tentum erstmals Staatsreligion; seit der Zeit Konstantins des Großen (306 bis 337) fand es auch im Römischen Reich immer mehr offizielle Anerken­ nung. Kein Wunder, dass nach Konstantins Tod ein neuer Krieg mit den Sasaniden ausbrach. Bei seiner Offensive gegen die Residenzstadt Ktesiphon am Tigris hatte Rom Glück im Unglück: Zwar starb Kai­ ser Julian Apostata im Feldlager, aber das Perser-Reich holte nicht zum großen Gegenschlag aus, weil es sich gegen star­ ke Reiter- und Steppenvölker aus dem Osten zur Wehr setzen musste. Für ei­ nen neuen Frieden auf 40 Jahre verzich­ teten die Römer auf die Gebiete jenseits des Tigris und auch auf das Protektorat über Armenien. So geschickt die Sasaniden sich in den folgenden Jahrzehnten gegen Reiterkrie­ ger aus dem Osten und byzantinische Heere im Westen behaupteten, auch ihre Herrschaft konnte ins Wanken kom­ men - von innen. Nach dem Tod Jasde­ gerds II. brach 457 zwischen den Söh­ nen ein Bürgerkrieg aus. Nur indem er seinen eigenen Bruder Hormizd tötete, gewann schließlich Peroz (459 bis 484) die Oberhand; in den folgenden Jahren versuchte er durch gemäßigtere Politik gegenüber den Christen die militärische Kraft zu bündeln. Das war dringend nötig: Nomaden­ stämme bedrohten von nördlich des Kaukasus sowohl Byzanz wie Iran. Doch weder sie noch die wachsenden Versor­ gungsnöte im Innern seines Landes konnte der Monarch beseitigen. Als Pe­ roz im Kampf gegen die Hephthaliten ("weiße Hunnen") fiel, befand sich das Sasaniden-Reich am Rand des Zusam­ menbruchs. Erst unter König Kawad, der bei den Hephthaliten Geisel gewesen war und dabei nützliche Kontakte geknüpft hatte, beruhigte sich die Lage im Osten. Dafür brach nun, vielleicht als Folge des anhal­ ten Mangels, eine jahrelange Revolte los. Ihr Führer Mazdak verband religiöse Überzeugungen mit geradezu kommu-

nistischen Forderungen nach Beschnei­ dung der Adelsrechte und Volksbesitz worauf sich der in die Enge getriebene, zeitweise gar von Aristokraten abgesetz­ te Herrscher in den ersten Jahren auch einließ. Als Kawad dann 506 mit einem ein­ träglichen Siegfrieden gegen Byzanz und herbem Einschreiten gegen den Adel seine Stellung gefestigt hatte, be­ gann er die Mazdakiten zu verfolgen.

Erfolg; als Beute oder Tribut strömten Geld und Gold ins Land. Auch ein kluger Frieden für 50 Jahre mit dem westgeor­ gischen Lazika brachte stattliche Geld­ mittel ein. Als dann jedoch um 575 im Osten die Türken angriffen - bisweilen sogar als Verbündete des Byzantiner-Reichs im Westen -, geriet die Dynastie wieder in schwere Bedrängnis. Chosraus Sohn hat­ te sich zu allem äußeren Druck auch

men die Truppen sogar bis Ägypten. Doch die Erfolge waren kurzlebig. Von Ostroms Kaiser Herakleios in Aserbai­ dschan attackiert, wurde Chosrau 628 von Umstürzlern aus dem eigenen Adel ermordet. Ohnehin waren die Tage des sasani­ dischen Reiches nun gezählt: Wie ein Sturm verbreitete sich von der arabi­ schen Halbinsel aus der neue Glaube des Islam; den Heeren der Muslime hatte

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Der Tod des charismatischen Religions­ führers nahm der Volksbewegung ihre Kraft. Doch zu ruhigem Regieren kamen weder Kawad noch sein Sohn Chosrau 1.: Nun hatten sie es im Westen mit Beli­ sar, dem General Justinians, als Gegner zu tun. Immerhin konnte Chosrau die Steuer- und Verwaltungsreformen sei­ nes Vaters zu Ende führen, die auch das Militär durch neue, zentralere Organi­ sation schlagkräftiger machten. Mehr­ fach hatten die schwerbewaffneten Rei­ ter des Sasaniden-Reiches gegen Byzanz

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noch gegen den Widerstand der zoro­ astrischen Priester-Opposition zu weh­ ren. Nach seinem Tod durch einen Auf­ stand brach fast völliges Chaos aus - was sich etwa daran erwies, dass der byzanti­ nische Kaiser Maurikios plötzlich mäch­ tig genug war, einen Sasaniden als Herr­ scher einzusetzen. Diesem Chosrau II. gelang es für we­ nige Jahre, die kriegerische Macht der alten Dynastie noch einmal strahlen zu lassen. Nachdem Maurikios einem Mordanschlag zum Opfer gefallen war, zog Chosrau mit seinem Heer durch Kleinasien, Syrien und Palästina, 619 ka-

das labile Regime nichts mehr entgegen­ zusetzen. Als letzter Sasanide versuchte Jasdegerd III. das zerfallende Reich zu verteidigen. Umsonst: Mehrfach wurden seine Truppen geschlagen, immer weiter musste er sein Herrschaftsgebiet ver­ kleinern. Weit im Osten Irans, bei Merw, wurde der glücklose Monarch 651 auf der Flucht ermordet. Sein Name allerdings - und mit ihm der Ruhm des Sasaniden­ Reiches - lebt fort: Noch heute zählt der offizielle Kalender der Zarathustra­ Gläubigen die Jahre seit Jasdegerds Krö­ nung im Jahr 632. 55


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Nun gab es für die arabischen Heer­ führer kein Halten mehr. Kleine Grup­ m Ende seiner gewaltigen pen stießen schnell bis weit nach Cho­ Dichtung über das irani­ rassan vor. Bei Merw, im heutigen Turk­ sche Königtum klagt der menistan, wurde Jasdegerd 651 schmäh­ Dichter Ferdausi schwer­ lich ermordet. mütig: "Wenn Thron und Kanzel gleichgestellt sind und die Namen Abu Bakrs und Omars erschal..-.= len, dann werden all unsere An­ strengungen zunichte sein; dem steilen Aufstieg wird ein langer Fall folgen. Weder Thron noch Kro­ ne wirst du sehn und kein Reich; nur den Arabern sind die Sterne günstig." Kein gutes Omen - doch als Ferdausi die Verse verfasste, lag die arabische Er­ oberung Persiens schon mehr als 300 Jahre zurück. Auch der Dichter des Schah­ name, des "Buchs der Könige", war ein Mus­ lim. Mochten vielleicht einige die vorislamische Ge­ schichte Persiens mit Nostalgie sehen; als Gegenentwurf zur neuen Heilsordnung verstand das Epos niemand. Längst hatte sich ja der Islam in Per­ sien verbreitet, und das nahezu völlig Abbasidische Münze (781 n. C h r.) ohne Feuer und Schwert. Zwar erreichte die neue Religion mit den arabischen Heeren das iranische Hochland. Denen Ihren Erfolg verdankten die Araber aber ging es um weltliche Macht, nicht weniger der militärischen Übermacht nur um Verbreitung ihres Glaubens oder als einer hervorragenden Verhandlungs­ gar gewaltsame Bekehrungen. So stellt strategie. Die Nachfahren mekkanischer Kaufherren wussten, dass ein die arabische Eroberung guter Vertrag oft mehr wert zunächst keinen schweren Bruch in der persi­ ist als ein Sieg im Felde. So bo­ ten sie den iranischen Erober­ schen Geschichte dar. ten attraktive Kapitulations­ Wie im Dominoeffekt verträge an, die ihnen Sicher­ war das Regime der Sa­ heit und Frieden zu klaren saniden zusammenge­ Bedingungen garantierten. brochen; einige schwere Abarwes-e Rostam, sasani­ Niederlagen reichten discher Markgraf von Sistan, zur Demoralisierung CHRISTOPH scheint die Lage richtig ein­ aus. Die Schlacht von WERNER geschätzt zu haben. Der Kadisija um 637 mar­ Überlieferung nach rief er kierte den Wendepunkt; D e r I ra n i st, 42, ist der letzte Sasanide, Jas­ E x p e rte für p e r s i s c h e den Edlen der Stadt und dem degerd IH., floh in den H istori o g rafie. E r obersten Priester zu: "Dies ist kein Ereignis, das nach einem Osten. Noch einmal l e h rt seit 2 0 07 a m Tag, einem Jahr oder auch stellte sich eine irani- C e n t r u m für N a h ­ nach 1000 Jahren zu Ende sche Armee bei Niha- u n d M itteIost­ sein wird. In unseren Schrif­ wand den Arabern ent- S t u d ien d e r U n i ver­ ten ist verzeichnet, dass die gegen, doch ohne Erfolg. s ität M a r b u r g . Von CHRISTOPH WERNER

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Religion der Araber und ihre Herrschaft bis zum Ende der Zeit andauern werden. Durch Tod und Zerstörung ist nichts zu gewinnen, denn niemand kann den Willen des Himmels ändern. So lasst uns mit den Arabern Frieden schließen." Gesagt, getan: Die örtliche Verwaltung durfte bleiben, der persische Adel und etablierte Grundherren, die Dehkane, behielten ihre Macht. Die Araber er­ richteten separate Militärlager und Siedlungen, möglichst ab­ seits bestehender Städte. Erst nach und nach wanderten Angehörige arabischer Stämme ein, zuerst über die Garnisonsstädte Kufa und Basra. Sie er­ warben Land und wur­ den auf dem irani­ schen Plateau, vor al­ lem im östlichen Cho­ rassan, sesshaft. Arabisiert wurde Iran von diesen Zuwan­ derern aber kaum, weder kulturell noch sprachlich - es waren einfach zu we­ nige. Niemals sollte das Per­ sische seinen Rang als Ver­ kehrssprache einbüßen. Wie wurde Iran also zu einem islamischen Land? Überraschenderweise zeigten die Eroberer an­ fangs kein besonderes Interesse, ihren Glauben zu verbreiten. Perser wie Araber betrachteten die muslimische Lehre zu­ erst als arabische Religion, nicht als uni­ verselle Glaubensrichtung, die allen Menschen offenstehen sollte. Massen­ hafte Konversionen wären bei den neuen Machthabern sogar finanziell uner­ wünscht gewesen, denn Nichtmuslime mussten zusätzlich zu den bestehenden Abgaben auch Kopfsteuer zahlen.

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zählte nicht nur der bislang vorherrschende Zoroastris­ mus. Es gab etliche Minderheiten wie die von Christen, Juden und Manichä­ ern, denen es unter der arabischen Herr­ schaft sogar vielfach besser ging. So ver­ breitete sich der Islam in Persien recht langsam. Hundert Jahre nach dem Sieg der Araber wohnten in Städten schät­ zungsweise gerade einmal acht Prozent Muslime. Zarathustras Religion lebte fort; bedeutende zoroastrische Schriften entstanden oft erst in islamischer Zeit, gefördert durch theologische Dispute und die aktive Auseinandersetzung mit dem neuen Glauben. Zu dieser Gruppe

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Wie der Islam dann allmählich an Bo­ den gewann, belegen Geldstücke. In den ersten Jahrzehnten nach der arabischen Eroberung trugen sie weiterhin das Bild des sasanidischen Herrschers auf der ei­ nen und einen stilisierten Feueraltar auf der anderen Seite. Die ersten eindeutig islamischen Münzen stammen aus dem ausgehenden 7. Jahrhundert. Geprägt von einem arabischen Gouverneur in der östlichen Provinz Sistan, verzeichnen sie auf Persisch und obendrein in mittel­ persischer Schrift die "Schahada", das islamische Glaubensbekenntnis - auch kunstgeschichtlich eine Premiere. Erst als sich abzeichnete, dass die ara­ bische Herrschaft von Dauer sein würde und der Religionsübertritt sich auszahlte, wuchs die zahl persischer Muslime. Auf­ stiegsmöglichkeiten in der Verwaltung, Befreiung von der Kopfsteuer oder ande­ re wirtschaftliche Vorteile gaben den Aus­ schlag. Frühe Konvertiten mussten sich in der Regel einem arabischen Stamm an­ schließen, sie wurden quasi adoptiert und eingemeindet. Diese sogenannten Mawa­ li, die sich einem Stammesoberhaupt oder Herrn (Maula) anschließen muss­ ten, sorgten besonders eifrig für die Ver­ breitung und Popularisierung der neuen persisch-islamischen Kultur.

Die nächste große politische Wende vollzogen arabische Siedler und persi­ sche Neumuslime dann schon gemein­ sam: Im Osten des neuen Reiches schlos­ sen sie sich zu einer breiten Protest­ bewegung gegen religiöse, soziale und wirtschaftliche Missstände zusammen, der Haschimija. Der Zorn auf die Omaj­ jaden im fernen Damaskus war groß. Abu Muslim, Wortführer der Unzu­ friedenen, entrollte 747 in Chorassan im Namen eines noch nicht genannten Prä­ tendenten aus der Familie des Prophe­ ten die schwarzen Banner der Revolte. Gut zwei Jahre später übernahm die neue Dynastie der Abbasiden das Kalifat und ein gewaltiges islamisches Reich. Dass es von der neuen Hauptstadt Bag­ dad - unweit des sasanidischen Ktesi­ phon - aus regiert wurde, gab den persi­ schen Muslimen ein Signal, auch ideo­ logisch. Zugleich formierte sich die kul­ turelle Bewegung derSchuubija, die per­ sische Elemente in die neu entstehende islamische Kultur Persiens einbrachte. Die Zeit der Abbasiden ist legendär: Kalif Harun al-Raschid, sein Wesir Dschaafar al-Barmaki und sein Henker Masrur wurden durch die "Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht" zu Helden der Weltliteratur. Historie, Märchen und

Legenden sind schon bei persischen Ge­ schichtsschreibern kaum voneinander zu trennen. Allerdings gab es 803 ein Fanal: In

der Nacht aufSamstag, den ersten Tag des Monats Safar im Jahr 187 islamischer Zeit­ rechnung, wurde Dschaafar al-Barmaki geköpft. Jäh endete so die steile Karriere einer iranischstämmigen Wesirfamilie, in der die Verbindung des arabischen Kali­ fats mit persischen Verwaltungstraditio­ nen geradezu verkörpert schien. Kalif Harun al-Raschid habe mit die­ ser Hinrichtung einen großen Fehler be­ gangen, urteilt der persische Chronist Balaami . Tatsächlich folgten Revolten und Aufstände; die großen Tage des ab­ basidischen Kalifats, das ein Weltreich in mesopotamischer Tradition zwischen Ost und West, also auch die Verbindung zwischen arabischer Eroberung und per­ sischer Hofkultur und Gelehrsamkeit be­ gründet hatte, waren dahin. Balaami erzählt, wie es so weit kom­ men konnte. Harun al-Raschid seien etwa die Barmakiden schlicht zu mäch­ tig und zu unabhängig geworden - ein einleuchtender Grund. Hinzu kamen De­ nunziationen, die Barmakiden seien Ket­ zer oder schlechte Muslime. Die Wesir-

en sind bei p ersi schen Historie, Märchen und Legend . . Geschichtsschreibern kaum voneinander zu trennen S P I E G E L G ESCH ICHTE

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dschuken-Sultanen oder mongolischen Herrschern dienen sollten. Bei allen Ri­ siken, die ihr hohes Amt mit sich brach­ te, wurden die "Männer der Feder" zur zentralen Stütze weltlicher Herrschaft. Sie entwickelten einen neuen Briefstil, eine eigene Berufsethik und eine beson­ dere literarische Kultur. Der Einsatz von Papier - eine aus China übernommene Neuerung - schuf ganz neue Möglich­ keiten des Schreibens. Neben den persi­ schen Sekretären ent­ stand zur Zeit der Ab­ basiden ein weiterer Be­ rufsstand: die "Männer des Schwerts". ' .Heer­ führer und Söldner nichtarabischer Abstam­ mung erwiesen sich als unentbehrlich, wenn es darum ging, die Gren­ zen zu sichern, interne Macht zu zeigen oder Rebellionen niederzu­ schlagen. Oft aber ver­ folgteJ;l diese Gewalt­ haber unterschiedlicher ethnischer Herkunft ei­ gene Ziele, auch gegen ihre Auftraggeber. Im Lauf des 9. und 10. Jahrhunderts wird aus der Vielfalt regiona­ ler Herrschaften und Dynastien ein kaum noch überschaubares Mosaik. Schon früh machten sich in Choras­ san die Taheriden selb­ ständig, nachdem sie ei­ nem Sohn Harun al-Ra­ schids geholfen hatten, den Thron in Bagdad zu gewinnen. An den Unterläufen von Euphrat und Tigris herrschten die Bujiden, die aus den Berg­ regionen am Kaspischen Meer stamm­ ten. Sie respektierten die Kalifen nur noch im Lippenbekenntnis, führten erst­ mals wieder den iranischen Königstitel "Schahanschah" und bastelten sich sogar eine sasanidische Abstammung. In Sistan wiederum war eine "Gras­ wurzelbewegung" an der Macht, deren Führer sich aus Bürgermilizen rekrutier­ ten: die Saffariden. Im Nordosten gab es

die kunstsinnigen Samaniden mit ihrer Hauptstadt Buchara; deren Nachfolger, die Ghasnawiden - ursprünglich turk­ stämmige Söldner - operierten sogar vom heutigen Afghanistan aus. Auch in­ folge ihrer Raubzüge nach Indien drang der Islam auf den Subkontinent vor; ihr bedeutendster Herrscher, Mahmud von Ghasna, gewann so enorme Reichtümer. All diese Unter-Reiche förderten eif­ rig die erwachende persisch-islamische

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sippe, so hieß es, gehöre zu den Sandaka, ne Geheimnisse an; gern trank er in ihrer lasse dich Abbasa heiraten, solange du den Häretikern. Damit stand sie plötz­ Gesellschaft und lebte eng mit ihr zusam­ mir versprichst, sie nur in meiner Gegen­ lich in einer Reihe mit muslimischen men. Auch seinen Wesir Dschaafar lud wart zu sehen, und auf eheliche Vertraut­ Randgruppen oder Sekten, die Elemente er zu diesen Gelagen ein. Doch dieser zö­ heit verzichtest. So können wir ohne manichäischer oder zoroastrischer Leh­ gerte - zu groß schien ihm die Gefahr, Scheu zusammen trinken und feiern." ren übernommen hatten. durch Worte oder Taten der Schwester Die Hochzeit fand statt, aber, wie fast zu Solche Nachrichten mussten einen des Kalifen zu nahe zu treten. erwarten: Abbasa wurde schwanger. Kalifen misstrauisch machen. Bewe­ Harun verstand Dschaafars Sorgen Anfangs versteckte sie ihren Sohn vor gungen wie die von Babak Chorramdin und machte ihm einen Vorschlag: "Ich Harun al-Raschid, doch dann entdeckte in Aserbaidschan der Kalif das Ge­ oder des verschleiheimnis der bei­ erten Propheten I S LAM den. Prompt befahl Mukanna in Cho­ er seinem Henker Sunniten und Schiiten rassan bewies en, Masrur, den Wesir dass die Islamisie­ zu töten: "Nicht rung Irans noch F ü r b e i d e große Richtunge n im I s l a m ist der Koran d i e G r u n d l a g e i h res G l a u ­ will ich, Dschaafar keineswegs abge­ b e n s ; b e i d e k e n n e n kei n e o b erste rel i g iöse I nstanz w i e e i n e n Papst. D e n noch seinen sondern schlossen war und l iegt der wesentl iche U nters c h ied zwischen S u n n iten und S c h i iten in der Kopf", herrschte er es vor allem im Os­ Antwort a u f d i e Frage, w e m d i e höchste Autorität zusteht. ihn an. Mit unver­ ten des Reiches Schi iten bezeichne n den Propheten M oh a m med, seine Tochter Fati ma und die kennbarem Ver­ heftig gärte. zwölf I m a m e (siehe Seite 93) a l s d i e "vierzehn Unfe h l b a ren". A u f d i e von i h nen gnügen erzählt der ü be r l i eferten Aussprüch e oder schrift l i chen Verlautbar ungen, die im 10. und 1 1 . persische Chronist Balaami Für J a h rh u ndert entstanden , kann sich jeder G l ä u b i g e rückhaltlos verlassen. die Geschichte wiegt allerdings Die S u n n iten dagegen b i l l igen nur den Ä ußerungen des Propheten Moham­ dabei muss auch eine üble Hof-Affä­ med eine solche Autorität z u . A l l e i n d iese i m 9. Jahrhunde rt schriftlich festge­ ihm schon klar ge­ re am schwersten. haltenen Ü berl ieferungen betrachte n sie als die für a l l e M u s l i m e verb i nd l iche wesen sein, dass sie Harun al-Raschid "Praxis" ("s unna"). höchstwahrschein­ hatte eine Schwes­ Wä h re n d die Sunna von d e r M eh rza h l i h rer Anhänger m ö g l ichst buchstab en­ lich erfunden ist. ter namens Abbasa. getreu a u s g e l eg t wird, sind die B ü c h e r der S c h i iten eher als eine Verfa h rens­ Die Barmaki­ Sie hatte ihn vor a n l e i t u n g g e d a c h t, mit deren H i l fe man a kt u e l l e Entsc h e i d u n g e n t reffen sol l . den verkörperten seinem Bruder be­ N u r b e i d e n Schi iten g i bt e s d e n Titel Ajatol l a h ("Zeichen Gottes") für d i e ho­ einen neuen Typ is­ schützt, und als er hen Würdenträ ger. Er wurde erstmals i m 13. Jahrhun dert vergeben, ist aber lamischer Macht­ selbst den Thron erst seit etwa 100 J a h ren a l l gemein ü bl ich. Ein Ajatollah zeichnet s i c h d a d u rch eliten: Persische bestieg, war er ihr aus, dass e r d i e Anwendun g der selbstä n d igen Rechtsfind ung ("Idschtiha d") Wesire unterstütz­ in tiefer Zunei­ beherrscht . E i n Ajatol lah, der a l s "Vo r b i l d der Nachahmu ng" wi rken kann, w i rd ten die arabischen gung verpflichtet. Großajato l l a h genan nt. M u l l a h ist der Oberbeg riff für schi itische Theologen . Kalifen, wie sie Er vertraute ihr seispäter auch Sel60

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Literatur. An ihren Höfen sammelten sich Dichter, die mit neuen Formen und Inhalten experimentierten. Auch wenn Mahmud von Ghasna Ferdausis monu­ mentales Epos verschmäht haben soll an der Wiedergeburt der persischen Sprache hat er seinen Anteil. Per­ sisch nur noch gesprochen worden, jetzt machte die arabische Schrift es wieder allgegenwärtig. Inzwischen war der Is-

Zwei Jahrhunderte lang war

lam die Mehrheitsreligion Irans. Persi­ sche Muslime gaben nicht nur in der hö­ fischen Kultur den Ton an, auch auf theologischem Gebiet bestimmten meist Gelehrte persischen Ursprungs die Dis­ kussion. Auch wenn Arabisch die Wis­ senschaftssprache blieb: Die ersten Grammatiken für das Arabische und vie­ le Übersetzungen verfassten Iraner. Bei der Sammlung der Aussprüche und Handlungsweisen des Propheten taten sich iranische Gelehrte besonders hervor. Diese "Hadithe" bilden eine wichtige Grundlage des islamischen Rechts, von moralischen Aussagen und auch theologischen Lehrsätzen. Sechs aner­ kannte Hadith-Samm­ lungen existieren; alle stammen aus persisch­ sprachigen Regionen. Die Namen der Urheber beweisen es: "al-Bucha­ ri" und "al-Tirmidhi" deuten aufdie Städte Bu­ chara und Termes. Als erste Nichtarabel' haben die Iraner den Is­ lam als ihre eigene Religion verstanden, unab­ hängig von ihrer Ab­ stammung. Hier begann der Islam zur Weltreli­ gion zu werden, die sich nicht über Sprache und Herkunft definierte. Arabisch war zwar die Sprache des Korans, doch auch in anderen Sprachen, vorwiegend auf Persisch, konnte man nun über Fragen der Religion schreiben. Einige Herrscherhäuser im Osten des abbasidischen Reichs zählten damals schon zu einer Volksgruppe, die in der persisch-islamischen Geschichte noch eine große Rolle spielen sollte: die Tür­ ken. Anfangs gelegentlich als Söldner oder Militärsklaven angeworben, hatten sie allmählich unabhängige Herrschaften begründet. Und immer mehr türkische Stämme wanderten aus Zentralasien ein. Bald nach 1000 machten sich zwei Brüder namens Toghril und Tschagri

In Persien begann der Islam zur Weltreligion zu werden, die sich nicht über Sp rache und Herkunft definierte. S P I E G E L G ESCH I C H T E

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ALLAH

UND DIE POESIE C H R O N I K 6 4 2 -1 5 0 8

Form von Abweichung, besonders die is­ mailitische Schia. Nisam al-Mulk will Staat und Reli­ gion nicht trennen, er demonstriert eher ihre Abhängigkeit voneinander: "Das Wichtigste, was ein König braucht, ist ein fester Glaube. Denn Königtum und Religion sind wie zwei Brüder. Wenn ir­ gendwo im Reich Unruhen ausbrechen, leidet die Religion, und wo immer reli­ giöse Angelegenheiten in Unordnung sind, entsteht Verwirrung." Sein Zeitgenosse Omar Chajjam gibt sich weniger strenggläubig; stets ist ein leicht ironischer Unterton herauszuhö­ ren. Seine aphoristischen Vierzeiler klin­ gen satirisch, aber auch nachdenklich: Es heißt, es werde ein Paradies und Huris geben, dort werde es Wein, Milch und Honig geben;

642

deihen D ichtung, P h i l oso­

( u m 1100) gedeihen unter

D i e a ra b ischen M u s l i me

phie und Wissenschaft

den Seldsch u ken.

festigen nach dem S i eg

(Glanzl ichter setzt etwa

ü be r den Sasa n i d e n - König

der Mathematike r a l ­

Jasdegerd i h re Herrschaft

Chwa rismi i n Bagdad).

in I ra n .

um

661

1071

Schlacht v o n M a ntzikert: M i t dem S i eg der Sel­

1015

dschuken ü ber das ost­

Der D i chter Ferda u s i vo l l ­

rö m i sche Reich w i rd auch

D i e Ermordung des vierten

endet n a c h d rei J a hrzehn­

Anato l i e n i s l a m isch.

Kal ifen Ali führt zur Ent­

ten seine gewa ltige Sagen­

stehung der "Schia" (..Par­

S a m m l u n g "Schahna me",

tei") als M i nderheits­

deren poetische Kön igsge­

konfession i n nerh a l b des

schichten, etwa u m den

aber zu oft mit Edlen, Gouverneuren oder Emiren, dann verletzt dies die königliche In einigen der kurzen Gedichte Chaj­ Autorität: Sie werden zu familiär und ge­ jams sind schon Töne herauszuhören, horchen Anweisungen nicht mehr." die später die mystische Dichtung Per­ siens prägen sollten: "Dem Töpfer sah Solche Sätze beweisen, dass ge­ einst im Basar ich zu, wie er den Lehm meinsames Trinken und Feiern von mus­ zerstampfte ohne Ruh; / da hört ich, wie limischen Herrschern nicht nur gedul­ der Lehm ihn leise bat: ,Nur sachte, Bru­ det wurde, sondern die höfische Kultur der, einst war ich wie du.'" Wichtiger als geradezu prägte. Allerdings gab es auch solche Gedanken aber war für die Mit­ Grenzen, wie Nisam al-Mulk erklärte: welt die enorme Gelehrsamkeit Chaj­ "Nur mit eigens ausgewählten Zechkum­ jams. Als Mathematiker und Philosoph panen kann sich der König entspannen. brachte er eine Kalenderreform in Gang, Wenn er sich durch Sport und Spiel, mit die nicht nur die gregorianischen Refor­ Geschichten und Scherzen unterhalten men vorwegnahm, sondern sie in Details will, so tut er das am besten mit seinen sogar übertraf. Gefährten ohne Schaden für Würde und Fast genau 500 Jahre, nachdem bei Autorität, denn er unterhält sie nur für Merw der letzte sasanidische Herrscher diesen Zweck." ums Leben gekommen war, starb dort Im Dienst von seldschukischen Sul­ 1157 der letzte seldschukische Sultan. tanen hatte Nisam al-Mulk genug Erfah­ Nur für kurze Zeit sollten neue Herr­ rungen sammeln können. Er empfahl die scher im fernen Osten Chorassans, die Einrichtung von offenen Petitionsgerich­ Schahs von Choresmien, die Oberhand ten, aber auch die strenge Kontrolle von behalten, dann erlag ihr Regime dem Steuerlehen und die Entsendung von brutalen Ansturm der Mongolen. Spionen in der Verkleidung von Kauf­ Das Erbe des goldenen Zeitalters in leuten oder Bettlern, um aus allen Teilen Persien aber hat kein späteres Regime des Reiches unverfälschte Berichte zu mehr auslöschen können, und auch künf­ hören. Solche Informationen waren nö­ tig werden die Kulturleistungen der ein­ tig: Die Seldschuken pochten auf Ortho­ zigartigen persisch-islamischen Symbio­ doxie; konsequent verfolgten sie jede se alle politischen Wandel überdauern.

Omar Chajjams Kalenderreform nahm die gregorianische

chen später das Land z u m Te i l reich i h res gewa ltigen Herrschaftsgebietes.

1256-1335

Mongolische I l chane regie­

ren - im Bund mit Vettern bis C h i na - meist von Tä­ bris aus. S i e toleri eren a n ­ dere Religionen und nen­

D i e rad i ka l - i s m a i l itische

nen das Land erst m a l s seit

Sektiererg ruppe der As-

den Sasaniden w i eder

Islam.

" I ra n " .

661-749

1258

D e r I l chan H ü legü erobert

D i e O m ajjaden-Kal ifen

was macht das schon, am Ende wird es doch dasselbe geben!

Verwüstungen und ma­

1090

REZA TAMADDONI 20140501

Belagerung Bagdads d u rch den Mongolen-Chan H ülegü (Buch m i n iatur)

daran, Chorassan und Afghanistan zu er­ obern. Sie entstammten der losen Stam­ mesgruppe der Oghusen; nach dem Pa­ triarchen ihres Clans wurden sie als Seldschuken bekannt. Im Jahr 1055 er­ oberte Toghril sogar Bagdad, die Haupt­ stadt des abbasidischen Kalifats, und er­ setzte dort den letzten bujidischen Emir. Mit der Annahme des neuen Titels eines "Sultans" (Herrscher) erklärten sie die politische Handlungsfreiheit der Abba­ siden für beendet. Die islamische Kultur aber blühte auch unter den neuen Herren. Sowohl der bekannteste Wesir der persisch-is­ lamischen Geschichte, Nisam al-Mulk, als auch Omar Chajjam, der Wissen­ schaftler und Dichter, lebten im Sel­ dschukenreich. Der Legende nach kann­ ten sich beide Intellektuelle sogar und sollen einander - gemeinsam mit Has­ san-e Sabbah, dem ismailitischen Füh­ rere von Alamut (siehe Seite 64) - ge­ genseitigen Beistand versprochen haben. "Passende Gefährten sind unabdingbar für den König", heißt es in Nisam al­ Mulks Schlüsselwerk zur islamischen Staatslehre, dem Sijasatname. "Wenn er zu viel Zeit mit Sklaven und Dienern ver­ bringt, dann werden sie arrogant, und die Würde des Herrschers leidet. Trinkt er

wenn wir bereits den Geliebten und den Wein gewählt haben,

EROBERER AUS ASIEN

herrschen von D a m askus

Bagdad, er stürzt das dor­

aus.

tige Kalifat der Abbasiden.

1295

680

D e r I l chan Ghasan konver­

A l i s Sohn Hossein, Anfü h­ rer der Schi iten, beg i n nt

tiert zum I s l a m . D a m i t lö­

einen Aufstand, w i rd aber

sen sich d i e i ran ischen

i n der Sch lacht bei Kerbela

Mongolen weitgehend von

von den herrschenden

i h rem asiatischen Stam­

O m ajjaden getötet. E r g i l t

mesverband.

fortan für seine Anhänger

13./14. J h .

a l s M ä rtyrer (Asc h u ra - Fest

Das g o l dene Zeitalter der

in der heute i ra kischen

persischen Literatur, m a r­

Stadt Kerbela).

kiert von den D i chtern

749-1258

Saadi (um 1200-1290) und Hafis (um 1 320-1389).

D i e l a n g l ebige Kalifen­ dynastie der Abbasiden regiert das isla m i sche Reich vorwiegend vom

Der Eroberer Timur Lenk (Tamerlan) Phantasiedarstel lung, um 1850

1370-1405

Der t ü rkisch -mongo l i sche

'Heerführer Timur Lenk

762 neu gegründeten Bag­

("Ta merlan", gestorben

dad aus. Allerdings be­

kämpferischen Helden

sass i n e n beg i n nt v o n der

hau pten sich et l i che Pro­

Rostam, z u m National epos

Festung A l a mut i m E l bors­

1405) unterwi rft Persien

vi nz-Machtha ber und loka­

Persiens werden.

g e b i rg e aus i h ren p o l i t i -

und versucht, ein Welt­

le Herrscherfa m i l i e n wie d i e G ro ß e m i r-Dynastie der Bujiden (945-1055).

800

1040-1195

.

s c h e n Kampf gegen das

reich zu erri chten. Er

Kalifat. I m m e r wieder ver­

herrscht s c h l i e ß l i c h von

D i e tü rkischen Seldschu­

ü ben d i e U mstürzl er, d i e

Da maskus bis D e l h i . Seine

ken erobern weite Tei l e

sich selbst "Fedaj i n" (..O p­

N achfolger regieren I ra n gut e i n J a h r h u ndert l a n g .

I rans; H a u ptstädte werden

ferbereite") nennen, Atten­

U nter der Wes i r-Dyn astie

Merw im Osten, I sfa h a n i m

tate auf Vertreter der

der persischstä m m i g e n

Westen. 1 0 5 5 w i rd sog a r

Amtsgewalt.

B a r m a k i d e n beg i n n t i n

Bagdad erobert. R e l i g iös

um

Arabien und I ra n e i n e lan­

und organi satorisch ä n ­

g e G l a n zzeit i s l a m i scher

d e r n d i e n e u e n M achtha­

Kultur: Gefördert vo m Kali­ fen Harun a l - Raschid, ge-

1219-1224

1380-1508

Tu rkmenische Stam mes­ fürsten beherrschen g roße

M o n g o l ische Reiterheere

Te i l e von N o rd - und Zen­

ber wenig; Dichter u n d Ge­

u nter D s c h i n g i s Khan er­

tra l i ra n ; i h re Macht reicht

leh rte w i e Omar Chajj a m

obern I ra n unter g roßen

b i s nach Ostanatolien.

vorweg - in manchen Details übertraf sie diese sogar. 62

SPIEGEL GESCH ICHTE

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Der sagenhafte "Alte vom Berge" lässt seine Assassinen in einem Liebesgarten die Wonnen des Paradieses erleben. Buchmalerei i n einer französ ischen M a rco-Polo- Hand­ schrift u m 1412

Mit bedingungslosem Gehorsam und kaltblütigen Anschlägen verbreiteten Ismailiten einst weithin Furcht. Heute gilt die schiitische Gruppierung als besonders liberal. -- - ---- - - - - -

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Von ANNE-SOPHIE FRÖHLICH

I

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chelten die dortigen Assassinen neben muslimischer Prominenz auch christli­ che Potentaten. 1192 erstachen sie den Markgrafen Konrad von Montferrat, Kö­ nig von Jerusalem. Die Mörder hatten sich als christliche Mönche getarnt und so das Vertrauen des Königs und des Bi­ schofs erschlichen. Erst die Invasion der Mongolen im 13. Obwohl die ismailitische Lehre Jahrhundert machte den Assassinen ein eine esoterische Auslegung der "inneren Ende. Ihr Oberhaupt ergab sich den neu­ Bedeutung" des Koran fordert, galten en Herrschern, die meisten Bergfesten auch in der Ismailija die üblichen Regeln wurden kampflos übergeben. Alamut al­ einer islamischen Gemeinschaft. Doch lerdings fiel erst 1256. Heute erinnern nur 1164 trat Hassan II., der vierte Herr von wenige Steine an die mächtige Festung. Alamut, feierlich vor seine Anhänger. Er Doch ausgestorben ist dieser Zweig wandte sich an "die Bewohner der drei der ismailitischen Glaubensgemein­ Welten, Dschinn, Menschen und Engel", schaft nicht: Auf einen Sohn des letzten und erklärte: "Der Imam unserer Zeit hat Herrn von Alarnut gründet sich eine euch seinen Segen und sein Erbarmen neue Reihe von Imamen. Die Lehre ver­ gesandt. Er hat euch von der Bürde des lor ihre militanten Anteile; heute gelten Heiligen Gesetzes befreit und euch zur Ismailiten sogar als besonders liberale Auferstehung geführt." Wer jetzt noch Gruppierung innerhalb des Islam. Die im Ramadan fastete oder zum Ritualge­ Ergebenheit gegenüber ihrem Ober­ bet in eine Moschee ging, musste mit har­ haupt steht freilich weiterhin im Zen­ ten Strafen rechnen. Erst unter Hassans trum des Glaubens. Enkel kehrten die Assassinen zum isla­ 1818 bekam ihr Imam Hassan Ali mischen Recht, der Scharia, zurück. Auch nach Syrien drang die Lehre vom persischen König den Titel Aga von der Gesetzlosigkeit. Vielleicht wur­ Khan verliehen - führte allerdings bald den Marco Polos Paradiesgarten-Legen­ darauf eine Revolte gegen den Monar­ den von den Ausschweifungen dortiger chen an und floh nach Indien. Dort hat­ Ekstatiker angeregt. Das Oberhaupt der ten Missionare aus Alamut einst gute Er­ Sekte in Syrien, Sinan Bin Salman; in folge erzielt, so dass eine größere ismai­ Europa als "der Alte vom Berge" be­ litische Gemeinde bestand. Knapp 20 Millionen Menschen in al­ kannt, schlug die Extremisten in den ei­ ler Welt bekennen sich heute als Anhän­ genen Reihen jedoch blutig nieder. Der Kampf der Assassinen richtete ger der Ismailija. Ihr religiöses Ober­ sich fast ausschließlich gegen das sun­ haupt, Karim Aga Khan IV., gilt als di­ nitische Establishment. Der syrische rekter Nachfahre der Assassinen von Zweig allerdings hatte die christlichen Alamut - und ist bekannt für Wohltätig­ Kreuzfahrer zu Nachbarn, und so meu- keit und Entwicklungshilfe. in unverbrüchlicher Treue", rühmte sich ein provenzalischer Troubadour. Entgegen ihrem späteren Ruf waren die Assassinen des Mittelalters nicht ein­ fach eine isolierte Mörderbande, son­ dern anerkannte regionale Herrscher, die Allianzen eingingen, Kriege führten, Tribut forderten oder auch zahlten.

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Mörder aus dem Paradies hre Waffe war stets der Dolch, ihre Opfer wählten sie sorgfältig aus - immer waren es Männer mit Macht. Fast zwei Jahrhun­ derte lang verbreiteten die Assas­ sinen Angst und Schrecken unter den Herrschenden im Nahen Osten. Sie mor­ deten religiöse Würdenträger und welt­ liche Herrscher, Wesire, Feldherren, so­ gar Kalifen. Ihr Zentrum war die Berg­ festung Alarnut im Norden Irans, erbaut auf dem schmalen Grat eines 2000 Meter hohen Felsens im Elbors-Gebirge. Die kleine Sekte, die ihre Lehre und religiösen Schriften geheim hielt, regte die Phantasie ihrer Gegner und auch der Europäer an. Mit Drogen, so wurde kol­ portiert, machten die Assassinen-Führer junge Männer willenlos und gefügig, ver­ sprachen ihnen das Paradies und schick­ ten sie dann zum Morden aus. Marco Polo beschreibt in seinem Rei­ sebericht den damals schon zerstörten "größten und schönsten Garten der Welt", in den die berauschten Jünglinge an­ geblich gebracht wurden: "In den Brun­ nen floss Wasser, Honig und Wein. Die

Sabbah war nicht nur ein scharfsinniger Denker, sondern auch ein Mann der Tat. Seine Strategie, von Burgen in schwer zugänglichen Bergregionen aus zu ope­ rieren, machte seine Gemeinschaft der Assassinen fast unverwundbar. Als Hauptquartier brachte er 1090 die Fes­ tung Alarnut in seinen Besitz - und ver­ ließ sie bis zu seinem Tod im Jahr 1124 nicht mehr. Von Alamut sandte Hassan Missiona­ re und Agenten aus, weitere Anhänger und Burgen zu gewinnen. Oft konnten seine Männer auf die Unterstützung der Bevölkerung zählen. "Für die kriegeri­ schen und rebellischen Bergbewohner war sein militantes Credo überaus attrak­ tiv", erklärt Bernard Lewis. Bald verfügte die Gemeinschaft über Dutzende Festun­ gen in Persien und auch im syrisch-liba­ nesischen Bergland. Im Oktober 1092 verübten die Assas­ sinen den ersten jener Morde, für die sie weit über die Grenzen ihres Landes hin­ aus berühmt und gefürchtet werden soll­ ten. Als Sufi verkleidet, näherte sich ein Mann der Sänfte Nisam al-Mulks und erstach den mächtigen Wesir auf dem Weg zum Zelt seiner Frauen. Der von Hassan-e Sabbah entsandte Killer wurde noch während der Tat selbst getötet. Bald hatte sich die Angst vor ent­ schlossenen Fanatikern, die mit List und Verkleidung in die höchsten Kreise ge­ langten und den eigenen Tod nicht fürchteten, bis nach Europa herumge­ sprochen. Eingang in die europäische Li­ teratur fand jedoch zunächst die unbe­ dingte Loyalität der Verschwörer zu ih­ rem Anführer - als Ideal der Liebenden: "Wie die Assassinen ihrem Meister stand­ haft dienen, so habe ich Amor gedient

schönsten Jungfrauen und Edelknaben sangen, musizierten und tanzten dort." Auch wenn solche Legenden nach dem Urteil des Orientalisten Bernard Le­ wis "fast mit Sicherheit unwahr" sind, ging die Geheimgesellschaft doch als ,,Assassinen" e" Haschischkonsumenten") in die Geschichte ein. Die mörderischen Eiferer nannten sich selbst Fedajin, die "Geweihten"; sie gehörten der islami­ schen Minderheit der Ismailiten an. Entstanden war die Ismailija oder Sie­ bener-Schia nach dem Tod des sechsten Imam Dschaafar al-Sadik im Jahr 765. Die Mehrheit der Schiiten hielt damals daran fest, dass sich die Reihe der Nach­ folger über Mussa al-Kasim bis zum zwölften Imam fortsetzt; eine kleine Gruppe aber hielt sich an Ismail, einen anderen Sohn Dschaafars. Im Zentrum des Glaubens steht der Imam; ihm und seinen Stellvertretern schulden die Anhänger absolute Loyali­ tät. Die Ismailija brachte hervorragende Theologen hervor und entwickelte ein dogmatisches System auf hohem philo­ sophischem Niveau.

Gleichzeitig wuchs sie zur gutorgani­ sierten, mächtigen Oppositionsbewe­ gung heran. Sie rief zum Widerstand bis zur Selbstopferung auf und berief sich dabei auf das Vorbild der leidenden Ima­ me. Die als ungerecht empfundene sun­ nitische Herrschaft sollte beendet wer­ den; mit partisanischem Eifer verfolgten die Ismailiten ihr Fernziel, die Einset­ zung des wahren Imam.

konkurrierende Lehren innerhalb des Islam rangen die Ismailiten auch politisch um Vormacht. In Gestalt der Fatimiden, die von Kairo aus einen Gegenpol zum Kalifat in Bag­ dad bildeten, und der Karmaten, die von Bahrain aus Mekka bedrohten, stellte die Siebener-Schia über geraume Zeit mächtige Dynastien. Mit einer "neuen Verkündigung", die Kritik an der Orthodoxie mit militantem revolutionärem Anspruch verband, tat sich im 11. Jahrhundert der ismailitische Prediger Hassan-e Sabbah hervor. Selbst Gegner beschrieben ihn als klug und bescheiden. Doch Hassan-e Wie viele andere

SPIEGEL GESCHICHTE

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H I NTERG R U N D

schriftgestaltung ist fii r gläubige Muslime eine göttlich inspirierte Kunst.

HEI LIG ER SCHWU NG

Lächelnd nimmt derjunge Mann ein Blatt Papier in

die Hand, rückt ein knirschendes Holzstühlchen im Innen­ hof der alten Medrese von Samarkand zurecht und taucht seine Feder ins Tintenfass. Es ist ein Herbsttag zu Beginn des dritten Jahrtausends. "Look. Follow" - schau hin, folge dem Strich. Ein kurzer Blick aufs leere Blatt, dann setzt die Feder an und fährt in sicheren, gleichmäßigen Bewegungen von rechts nach links, malt geschwungene Linien und feine Punkte, lässt aufbeiden Seiten exakt gleich viel Platz. "Bismillah al-rahman al-rahim" - im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Gnädigen. Erneutes Eintauchen der Fe­ der, abstreifen, ansetzen: Keine Bewegung scheint überflüs­ sig. Erneutes Gleiten über das Papier in einem einzigen Schwung. "Bismillah al-rahman al-rahim." Wirklich, das auch? Die Reisende staunt. Es sieht ganz anders aus. Natür­ lich, sagt der junge Mann. "In the name of Allah. Hier nur zwei Stile. Viel mehr Stile. Language of God." Die Sprache Gottes? In der ältesten Koran-Offenbarung heißt es: "Lies, denn dein Herr ist allgütig, der den Gebrauch der Schreibfeder gelehrt hat." Das geschriebene Wort kommt von Gott selbst, und mit seiner Niederschrift tritt der Mensch in Dialog mit der Heiligkeit, versucht einen Teil von ihr im Diesseits festzuhalten. Schließlich knüpft sich der Koran untrennbar an eine ganz bestimmte Sprache: Gott offenbarte sich Mohammed in "klarem Arabisch". Auch den, der sie nicht entziffern kann, lädt die arabische Schrift in ihrer kunstvollen Form zum Verweilen ein: Sie ist Schmuck und Meditation, sie füllt Flächen als Ornament, sie ist heilig, mystisch, göttlich - und höchste Kunst. Die mathematische Präzision, auf der das Geheimnis der Kalligrafie, des schönen Schreibens, beruht, muss man sich injahrelangem akribischem Studium bei einem Meister an­ eignen: 28 konsonantische Zeichen mit unterschiedlicher Schreibweis e für Anfang, Mitte und Ende eines Wortes, dia­ kritische Punkte und Häkchen zur Unterscheidung von drei

Vokalen. Drei Ebenen einer Zeile sind in ästhetischem Gleichgewicht auszufüllen; Satzzeichen soll es nicht geben, ein Wort nicht über die Länge einer Zeile hinausgehen. Der wirklich Kundige liest das Arabische in beinahe rein kon­ sonantischer Schreibweise, er weiß den Wortsinn auch ohne die kurzen Vokale zu erschließen - aus dem Zusammen­ hang, durch Erfahrung und Studium. Die Kalligrafen, deren Kunst sich seit dem 8. Jahrhundert nach Christus unter der Herrschaft der Abbasiden von Fes bis nach Isfahan verbreitete, waren als Künstler namentlich bekannt und häufig nicht nur Schriftführer, sondern auch Politiker. Einige von ihnen werden bis heute verehrt, ihre Kunst lebt fort. Mir Emad etwa, einer der bedeutendsten persischen Kalli­ grafen, bereiste in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts große Teile des Safawidenreichs, bevor er schließlich an den Hof von Schah Abbas in Isfahan gerufen wurde. Eine Legende erzählt, der Schah habe ihn eines Nachts ermorden lassen, weil Emad dem sunnitischen Glauben anhing. Tage­ lang wagte niemand, die Leiche zu bestatten, bis es schließ­ lich ein Schüler des großen Gelehrten tat. Je nach Schaffensregion und Verwendungszweck ihrer Schriften entwickelten die Kalligrafen wohl aus ursprüng­ lich zwei Schrifttype n - einer groben, eckigen und einer feinen, runden - unterschiedliche Stile. Die früheste eta­ blierte Koran-Schrift ist das geometrisch anmutende, stark an der Vertikalen orientierte Kufi. Es wird oft als "wuchtig" und "feierlich" bezeichnet und eignet sich wegen der stark reduzierten Rundungen gut für harte, raue Oberflächen wie Pergament oder Stein. Kufi findet sich auf Grabsteinen eben­ so wie an den Außenfassaden religiöser Bauten, es ist die Schrift der Mosaike und schmückt Vasen, Friese und die Bordüren von Gewändern. Für den Laien oft gar nicht als Schrift zu erkennen, scheint das Kufi zuweilen geometrisc he Irrgärten zu bilden. Da in

dieser Schrift das obere Zeilendrittel zur "Leere" neigt, ent­ fektion gebrach. Viele kostbare persische Koran-Manuskrip­ standen bald florale Formen. Blütenartige Wucherungen te stammen aus dieser Zeit. Mir Emad, der vom schiitischen füllen hier die Fläche an den Enden der vertikalen Linien. Glauben Abgefallene, wird als großer Meister des Nastalik Auch für offizielle Dokumente wurde die erhabene Schrift verehrt. Doch nicht nur heilige Bücher, auch die islamische Archi­ verwendet. Mit der Verbreitung des Papiers gelangten im 11. und 12. tektur zeugt von der expressiven Kraft der Schrift. Schon Jahrhundert feinere, kleinteilige Schriften mit runderen das Portal eines Gebetshauses, etwa bei der Blauen Moschee Formen und fließendem Duktus zur Blüte. Der Über­ von Täbris, wird rhythmisch gegliedert nicht nur durch bau­ lieferung nach legte der große Kalligraf Ibn Mukla zu liche Bestandteile, sondern auch durch die Worte Gottes, Beginn des 10. Jahrhunderts die sechs Stile fest, deren Be­ die Vertikale und Horizontale des Bauwerks schmücken. herrschung seither vom wahren Können jedes Kalligrafen Keine Fläche bleibt unausgefüllt, in schier endloser Wie­ derholung und Fortführung zeugt: Naschi, Muhakkak, bedeckt das heilige Wort Raihani, Tauki, Rika und Inneres und Äußeres eines Thuluth. Bauwerks und wächst weiter, Ibn Mukla, 886 in Bagdad ge­ bis es sich in Blumenranken boren, gilt manchen als Er­ und geometrische Muster finder des modernen kursi­ verliert - ein natürlicher ven Schreibstils. Von ihm ist Ausweg aus der Bilderfeind­ kein einziges Schriftstück er­ lichkeit des Islam. halten; die Legenden um Zwar sind Bilder im Koran sein Leben wuchern desto nicht kategorisch verboten. reicher. Das geschriebene Aber Mohammed soll gesagt Wort tropfe aus seinen Hän­ haben: "Wer ein Bild her­ den, hieß es. Dem Schrift­ stellt, von dem wird am Tag gelehrten und Wesir am der Auferstehung verlangt, abbasidischen Hofe wurde dass er ihm Lebensodem ein­ Kunstvo l l e Koran-Handschrift (British Li brary, London) nach politischen Intrigen die haucht." Der Mensch darf rechte Hand abgeschlagen. Angeblich befestigte er die Feder am Handgelenk und also nicht in schöpferische Konkurrenz zu Gott treten. Schmückende Linien hingegen sind Allahs Ruhm dienlich, schrieb weiter. Mit der Verbreitung des Islam eroberte auch die arabische und etwas Bildlichkeit fließt so doch ein. Auf den Schmuck­ Schrift weitere Sprachen: Persisch, Türkisch, Urdu - alle blättern privater Handschriften sind immer wieder Tier­ bekamen trotz teilweise erheblicher lautlicher Unterschiede formen wie Vogel, pferd oder Raubkatze zu erkennen, stark ein arabisches Schriftgewand. Allerdings stellte sich bei der typisiert natürlich. Islamisierung des Perserreichs im 7. Jahrhundert heraus, Dass ihnen selbst Leben genug innewohnt, bezeugen die dass für das Persische mehrere zusätzliche Buchstaben vielen Geschichten von der Entstehung der arabischen nötig waren. Es sollte freilich noch einige Jahrhunderte Schrift. So heißt es in einer Überlieferung: Als Gott die Let­ dauern, bis der große Mir Ali von Täbris im späten 14. Jahr­ tern schuf, damit sie ihn in unendlicher Rezitation des Ko­ hundert das Nastalik erfand, die Kursivschrift, die fort­ ran verherrlichten, war der erste Buchstabe, der vor ihm an den schrägen Duktus persischer Handschriften prägen zu Boden fiel, das Alif. Gott sprach zu ihm: "Du hast dich sollte. Nastalik wurde wohl aus zwei älteren kursiven niedergeworfen, um meine Majestät zu verherrlichen. Ich schrifttypen, Naschi und Talik, kombiniert und im safawi­ ernenne dich zum ersten Buchstaben meines Namens und Nina Ulrich dischen Perserreich des 15. und 16. Jahrhunderts zur Per- des Alphabets."

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A LLAH

ätten Gedichte einen ei­ genen Geruch, dann würden Hafis ' Zeilen nach schwerem Jasmin duften, nach Rosen und den vollreifen Früchten der Orangen­ bäume. Wie die Gärten von Schiras. Wie der Garten, in dem Hafis heute bestattet liegt, zwischen Zypressen und violetten Blumenrabatten. In den heißen Sommermonaten spen­ det der Säulenpavillon den Pilgern Schat­ ten, die andächtig ihre Hände über den Alabaster des Grabs streichen lassen und mit ihren Fingerspitzen die gemei­ ßelte Inschrift ertasten:

H

Wenn du zu meinem Grabe deine Schritte lenkst, bring Wein und Laute mit, damit ich zu der Spielmannsweise tanzend mich erhebe.

Aus Lautsprechern entlang den Säu­ lengängen erfüllt eine dunkle, ruhi­ ge Stimme den ganzen Garten. Sie rezitiert Gedichte aus Hafis ' "Di­ wan", den die meisten Besucher bei sich tragen. Immer wieder halten sie inne, schlagen das Buch auf ei­ ner beliebigen Seite auf und neh­ men die erste Zeile, an der ihr Blick haften bleibt, als eine orakelhafte Antwort auf ihre innersten Fragen. Manche zitieren laut aus den mit­ gebrachten Bänden, andere mur­ meln Hafis' Gedichte mit sanfter Stimme, wie in einer Art Selbst­ hypnose. Die ganz eigene Melodie der Farsi-Verse wirkt wie eine Bot­ schaft aus ferner Zeit. "Garten des Iran" nennen die Per­ ser die Provinzhauptstadt Schiras im Süden des Landes, und der Garten rund um das Hafis-Grabmal gehört zu den schönsten der ganzen Stadt. Doch in Schiras blühen nicht nur Rosen und Jasmin. Im Mittelalter entfaltete sich hier die persische Dichtkunst zu voller Pracht. Die Geburtsstadt von Saadi und Hafis; zweien der bedeutendsten Dichter der persischen Kultur, bildete jahrhunderte­ lang das literarische Zentrum Irans. "Der Morgenwind und die Erde von Schiras ist Feuer; wen dieses ergreift, der hat kei­ ne Ruhe mehr", schrieb Saadi. Die Perser sind stolz auf ihre Dichter, deren Verse Teil der nationalen Identität sind. Lange Zeit gab es in vielen armen Haushalten neben dem Koran nur ein einziges weiteres Buch: einen Band mit Gedichten von Hafis.

Ein großer Teil der klassischen per­ sischen Literatur, vor allem der im Mit­ telalter entstandenen, ist in Reimform verfasst. Die persische Dichtung des Mit­ telalters wird oft zusammenfassend als "Dari"-Dichtung bezeichnet - nach der Schriftsprache "Dari". Überall im Gebiet des heutigen Irak, Afghanistan, Tadschi­ kistan, Usbekistan sowie in Teilen In­ diens war das "Farsi-e Darbari" oder "Persisch des königlichen Hofes" als schriftsprache geläufig. "Diese Literatur wird nicht allein von den Persern geliebt und anerkannt", erklärt der Iranist Man-

Liebessehnsucht, Lebensfreude und zeitlose poetische Bilder verdanken die Perser ihren großen Dichtern. Noch immer weckt die Verskunst der Klassiker Begeisterung, nicht nur unter Experten.

U N D D I E POES I E

erreichte die neupersische Dichtung in den Werken von Rudaki (um 858 bis 941) und Ferdausi (940 bis um 1025) ihre ers­ ten Höhepunkte. Rudaki, der eine beliebte Fabelsamm­ lung indischen Ursprungs in Vers­ form übertrug, gilt als erster "Dari"­ Dichter und Vater der neupersischen Lyrik. Ferdausi schuf mit dem "Schah­ name", dem "Buch der Könige", das über 50 000 Verse umfassende National­ epos der persischsprachigen Welt (siehe Seite 70). Des Lebens Karawane zieht mit Macht dahin, und jeder Tag, den du verbracht, ohne Genuss, ist ewiger Verlust. Schenk ein, Saghi! Es schwindet schon die Nacht.

Niemand vermag heute wirklich mehr nachzuweisen, ob diese oder die anderen der rund 2000 überlie­ ferten klangvollen "Robaljat" C,;Vier­ zeiler") des Omal' Chajjam (um 1045 bis um 1125) tatsächlich aus der Feder des Meisters selbst stammen. zahl­ reiche der sogenannten Wandervier­ zeiler Chajjams tauchen nämlich auch in Werken früherer Autoren auf. "Für mich ist er der einzige Mann", schrieb der britische Literaturnobel­ preisträger und Mathematiker Beltrand Russell, "der wirklich beides war: Dichter und Mathematiker." Ir­ rationale Zahlen und Astronomie be­ schäftigten Chajjam ebenso wie is­ lamkritische Themen; er Wal' ein Frei­ denker, und seine Dichtung ist stets mehrstimmig zu lesen. Auch aus die­ sem Grund wurde ein Großteil seiner Verse erst nach seinem Tod veröffent­ licht. Dallk der Übersetzungen von Edward FitzGerald zählt das romantische Werk Chajjams zu den in Europa bekann­ testen persischen Dichtungen. Die Iraner selbst schätzen Omar "den Zeltmacher" weniger für seine eingängi­ gen Reime als für die Reformation des persischen Kalenders. Daher zählt er auch nicht zum sogenannten Siebenge­ stirn der klassischen persischen Dich­ tung. Die Helden der erlauchten Poeten­ runde, die ihren Namen von den sieben am besten sichtbaren Sterne der Plejaden herleitet, heißen: Ferdausi, Anweri, Ni­ zami, Rumi, Saadi, Hafis und Dschami. Nizami, um 1141 im heutigen Aser­ baidschan geboren und auch in der Me­ dizin und der Musik bewandert, hinter-

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Sprache Von SIMONE KAISER

fred Lorenz. "Die Völker vom Euphrat bis zur chinesisch-tadschikischen Gren­ ze waren in früheren Zeiten durch diese Zeilen miteinander verbunden." Die Sprache der alten Dichter steht dem heute gesprochenen Farsi so nahe, dass jeder gebildete Iraner es ohne gro­ ße Mühe zu lesen vermag. Die damalige Schriftform ist quasi das grafische Ske­ lett des modernen Neupersisch. Dabei war sie bereits zu einer Zeit gebräuch­ lich, als man in Deutschland gerade einmal zaghaft alt- oder mittelhoch­ deutsch schrieb. Zunächst war die persische Literatur­ sprache noch mit vielen arabischen Wör­ tern durchsetzt. Aber im 10. Jahrhundert

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ALLAH

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ließ den Persern eine der berühmtesten Varianten des klassischen Liebesdranias. Die Geschichte von "Laila und Madsch­ nun" ist das orientalische Pendant zu Shakespeares "Romeo und Julia". Die Liebestragödie hat viele Künstler inspi­ riert - so soll der Sänger und Gitarrist Eric Clapton in seinem welthit "Layla" Teile der uralten Erzählung aufgegriffen haben. Wenn die Verliebtheit zweier Menschen anderen unbegreiflich bleibt, zitieren Iraner weiterhin gern das Sprichwort: "Man muss die Laila mit den Augen des Madschnun sehen." Liebe ist auch in anderen Werken Ni­ zamis das Leit- und Leidmotiv. Zum Bei­ spiel in den "Sieben Geschichten der sie. ben Prinzessinnen":

eng, dass der Wissenschaftler in dem Derwisch einen "vollkommenen Men­ schen" erblickte. Von Neidern unter Druck gesetzt, ver­ schwand der Derwisch plötzlich aus Rumis Leben - heute glaubt man, dass Schams von eifersüchtigen Widersa­ chern ermordet wurde. über den Tod seines geistigen Gefährten war Rumi so verzweifelt, dass er sich ganz der Poesie, dem Tanz und der Musik zuwandte. Der verlorene Freund wurde das wichtigste Motiv seiner Dichtung, die ganz aus per­ sönlichem Erleben gespeist ist:

Lasst mich durch meines Liedes Klagen Gruß allen Liebeskranken sagen! Wer liebt in dieser Welt, muss leiden; wer Qualen scheut, soll Liebe meiden.

Die Lebensgeschichte von Dschalalod­ din Rumi (1207 bis 1273) veranschau­ licht, welch große Bedeutung die isla­ mische Mystik - Sufismus genannt - für die persische Dichtung des Mittelalters hatte. "Sufismus ist Freude finden im Herzen, wenn die Zeit des Kummers kommt", schrieb Rumi. Nach dem Vor­ bild seines Vaters hatte er als Gelehrter angefangen, der sich mit den "äuße­ ren" Wissenschaften (dazu gehören etwa islamische Rechtsgelehrsamkeit und arabische Grammatik) beschäftig­ te. So war er Dozent an der theologi-

Als einen umfassenden Spiegel der Ewigkeit begreife ich dich, ich sehe in deinem Auge mein eigenes Bild und sage mir: nun hab ' ich endlich mich gefunden, in deinem Augenpaar fand ich einen hellen Weg, mein Bild ruft mir zu aus deinem Auge, dass ich du bin, du ich, vereinigt immerdar.

"Die verbale Verletzung der Regeln von Anstand, Moral und religiösem Ge­ setz ist wesentlicher Teil seiner Lyrik", schreibt der Übersetzer Kurt Scharf. Ein großer Teil von Rumis Werk ist in sogenannten Ghaselen verfasst. Diese lyrische Form geht auf eine arabische Tradition zurück, die von den persischen Dichtern kaum verändert übernommen wurde: "ghazal", "Gespinst", ist auf Ara­ bisch zur Metapher für das erotische Sprechen in der Lyrik geworden. Jeder zweite Vers eines Ghasels endet mit demselben Reim; dazwischen einge­ bettet sind regelmäßig angeordnete Bin­ nenverse, die den Gedichten ihren typi­ schen rhythmischen Schwung und gro­ ße Musikalität verleihen. Neben Rumi haben Saadi und Hafis, die beiden wohl berühmtesten persi­ schen Dichter, das System der Ghaselen­ Dichtung zu einer hochkomplexen Form weiterentwickelt - ein Grund mehr, ihre Wirkungszeit, das 13. und 14. Jahrhun­ dert, als das goldene Zeitalter der persi­ schen Literatur zu sehen. Saadi, um 1200 in Schiras geboren, gilt als der volkstümlichste unter den großen persischen Dichtern. Etliche seiner Verse sind als feststehende Redewendungen und Sprichwörter in die Alltagssprache der Iraner und der farsisprachigen Län­ der übergegangen. "Oft sind diese Zeilen so tief im gesellschaftlichen Sprachge­ dächtnis verwurzelt, dass die Perser selbst die ursprüngliche literarische Quelle gar nicht mehr kennen", sagt Manfred Lorenz. Selbst in Tadschikistan

mit dem Tiger Mitleid fühlen kann, ist für die armen Schafe ein Tyrann" haben ihm auch den Beinamen "der Weise" ein­ gebracht. Sein Gedicht "Alle Völker sind Glieder eines Körpers" aus dem Zyklus "Golestan" ziert das Portal der Vereinten Nationen in New York: Die Menschenkinder sind ja alle Brüder Aus einem Stoffwie eines Leibes Glieder; hat Krankheit nur einzig Glied erfasst, so bleibt anderen weder Ruh und Rast. Wenn anderer Schmerz dich nicht im Herzen brennt, verdienst du nicht, dass man noch Mensch dich nennt.

Saadis Grabmal zählt ebenso wie das sei­ nes Nachfolgers Hafis heute zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten von Schiras. In dem immergrünen Gar­ ten, zwischen Palmen und blühenden Sträuchern, steht das prächtige Mauso­ leum mit einer türkisfarbenen Kuppel und dem hohen Säulenvorbau. Andächtig blättern hier Pilger in Saa­ dis wichtigsten Werken wie beispiels­ Liebesbegeg nung aus dem weise dem "Bostan" (Obstgarten) und "Schah name" (Buchmalerei, 18. Jh.) dem "Golestan" (Rosengarten). Die klu­ treffen Reisende etwa auf Kleinbusse, an gen Wortspiele dieser Dichtungen, zu deren Heckscheibe der Aufkleber prangt: denen sich Saadi bei seinen Reisen auf "Ei Karawanenführer, fahr langsam" - die arabische Halbinsel, nach Syrien, Ägypten und Indien inspirieren ließ, ein Zitat aus Saadis beliebten Liedern. Seine vielzitierten Sinnsprüche wie könnten in kaum einer Umgebung bes­ "Decke die verborgenen Fehler der Leu­ ser ihre Wirkung entfalten. Anders als der weitgereiste Saadi ver­ te nicht auf, denn du raubst ihnen die Ehre und dir das Vertrauen" oder "Wer brachte der um 1320 geborene Hafis die

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Der Dichter Dschalaloddin Rumi

Persische Buchmalerei

schen Hochschule von Konya in der heutigen Türkei. Dann aber traf Rumi eines Tages den bereits betagten Derwisch Schams-e Tabrisi auf einem Basar - und änderte sein Leben von Grund auf. Er vernach­ lässigte seine Arbeit an der Universität, mied die Mitwelt und widmete sich ganz dem Gespräch mit dem außergewöhnli­ chen Mann. Rumis spirituelle Bindung zu seinem mystischen Führer wurde so

Liebe ist für Rumi, wie für viele Sufis, die Hauptkraft des Universums; der Mensch bildet einen Teil dieses harmo­ nischen Ganzen, in dessen Mittelpunkt wiederum Gott steht. Den Schöpfer be­ zeichnet Rumi als den "Geliebten"; die menschliche Seele auf der Suche nach Gbtt wird als der "Liebende" tituliert.

SEITENBLICK

Ferdausis "Schahname" - Geschichtsschreibung als Poe$ie

HELDEN UND HERRSC HER Nicht eines Blickes soll Mahmud von Ghasna, An­

fang des 11. Jahrhunderts mächtigster Herrscher der isla­ mischen Welt, das Lebenswerk des Dichters Ferdausi ge­ würdigt haben. Anders als vereinbart, so die Legende weitel� bekam Ferdausi für jeden der über 50 000 Verse des "Schah­ name" (" Buch der Könige") keine Gold-, sondern nur eine Silbermünze. Am Ende hatte das "Königsbuch" den Dichter ruiniert; wegen der angeblich islamkritischen Elemente des Buchs soll ihm nach seinem Tod sogar die Beisetzung auf einem islamischen Friedhof verweigert worden sein.

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Dennoch: In kurzer Zeit entwickelte sich Ferdausis "Schah­ name" zu dem persischen Nationalepos schlechthin. Keine politische oder geistige Wendung konnte fortan seinen Ruhm als Klassiker mindern. Das "Königsbuch" wurde zum literarischen Denkmal der iranischen Nationalisten - auch weil Ferdausi, der durchaus des Arabischen mächtig war, konsequent auf Neupersisch dichtete. über die Herkunft von Abu al-Ghasem Mansur - sein Bei­ name "Ferdausi" bedeutet "der Paradiesische" - ist wenig bekannt und noch weniger geschichtlich gesichert. Die Ex-

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perten stimmen darin überein, dass er aus einem Dorf in bücher, verfasst auch von zoroastrischen Priestern im Auf­ der Nähe von Tus stammte und seine Familie recht wohl­ trag des Sasanidenkönigs Chosrau 1. Schon darin waren habend war. 1934 ehrte ihn seine Heimatstadt mit einem über Generationen mündlich tradierte Überlieferungen ge­ bündelt. großen Mausoleum. Etwa um das Jahr 980 begann Ferdausi mit der Arbeit am Im 20. Jahrhundert ist der Ruhm des "Schahname" keines­ "Königsbuch". Es wurde etwa doppelt so lang wie Homers wegs verblasst. Unter den Pahlewi-Herrschern erlebte das Epen. Allerdings reicht die poetische Geschichtserzählung Werk eine wahre Renaissance. 1975 wurde sogar zu Ferdau­ auch von der Erschaffung der Welt bis zur arabischen Er­ sis Ehren das Tus-Festival ins Leben gerufen, bei dem man oberung des persischen Reichs mit Exkursen in Ferdausis den Einfluss des Werkes auf die weltkultur diskutierte und Gegenwart - ohne feste Chronologie, nach Herrschern in persische Literatur, Musik und Malerei pflegte. 50 Abschnitte gegliedert. Viele Helden, die Schahs, ziehen Auch nach der iranischen Revolution wird weiterhin re­ gelmäßig mit Vorträgen und Ausstellungen an den Schöpfer vorbei; das einzig Bleibende ist Persien selbst. Als Quelle konnte Ferdausi neben vielen anderen eine des Nationalepos erinnert. Denn selbst den Mächtigen in unvollendete und gerade mal 1000 Verse lange Geschich­ Teheran ist bewusst, wie der Orientalist Jan Rypka es ein­ te Persiens in Gedichtform nutzen, die der Lyriker Mo­ mal formuliert hat, dass es neben den Persern kein Volk hammed Bin Ahmed Daghighi am Hof der Samaniden hin­ gibt, "das ein ähnliches großartiges Epos besäße, das seine terlassen hatte. Darüber hinaus verschmolz er in seinem gesamte historische Tradition vom mythischen Nebelschlei­ Werk fremdländische Heldensagen sowie andere Königs- er bis in die Mitte des 7. Jahrhunderts umfasst".

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meiste Zeit seines Lebens in seiner Hei­ matstadt. Schon im frühen Kindesalter soll Schamsoddin Mohammed den ge­ samten Koran auswendig gelernt haben was ihm den Ehren- und späteren Künst� lernamen Hafis (" Der den Koran aus­ wendig kann") einbrachte. Ishak, der Schiras von 1343 bis 1353 regierte, ernannte Hafis, der aus einer nach dem frühen Tod seines Vaters ver­ armten Familie stammte, zum Hofdich­ ter. Als der nächste Gouverneur, Moba­ res Mosaffar, rigoros die Scharia durch­ setzte, beklagte Hafis in seiner Poesie das strikte Weinverbot. Schon zu seinen Lebzeiten waren Ha­ fis' kunstvolle Gedichte, in denen er die Liebe, die Schönheit der Natur und den � erüh �ten Wein der Region besang, uber dIe Landesgrenzen hinaus bekannt. Da gibt es Meditationen über religiöse 72

Scheinheiligkeit, aber auch die Unent­ rinnbarkeit des schicksals. Pfiffig jong­ lierte Hafis mit der Symbolkraft seiner Verse: Wein und Liebe, Rausch und Ero­ tik werden als Glückserlebnisse des Mys­ tikers geschildert.

deinen Teil erfahren.

Saghi, schenk ein den Wein

Was wissen denn die Leichtbebürdeten am Strand von uns,

Färb den Gebetsteppich mit Wein' wie es der Weise sagt, dann wirst du, Pilger, auch vom Sinn des Weges

und lass den Becher kreisen!

die Nacht und Wogensturm umgibt ...

Im Anfang schien die Liebe leicht,

Durch meinen Eigensinn erwarb ich mir

die dann zum Rätsel ward.

den schlechten Namen.

Wann bringt der Wind den Moschushauch von deinem Haar?

Wie kann Geheimnis auch verborgen bleiben,

Von deinen Locken wurden alle Herzen wund.

das bei Zusammenkünften verhandelt wird!

Wie fänd ich Frieden doch in deinem Bau,

Hafts, erhalt dir des Geliebten Gegenwart,

da ruft die Karawanenglocke schon zum Weiterzug!

entsage dieser Welt, wenn du gefunden' den du liebst!

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Die oft bewusst schockierenden Bilder sind in der Regel nicht nur doppel-, sondern vieldeutig. So schrieb der Dich­ ter und Übersetzer Friedrich Rückert, einer der Begründer der Orientalistik in Deutschland, über die Wortmusik des Persers: "Hafis, wo er scheint Über­ sinnliches / Nur zu reden, redet über Sinnliches; / Oder redet er, wo über ' Sinnliches / Er zu reden scheint, nur Übersinnliches? / Sein Geheimnis ist unübersinnlich, / Denn sein Sinnliches ist übersinnlich." So gern sich Poeten in aller Welt - ira­ nische Popsänger ebenso wie US-Lyri­ ker - von diesen Ghaselen, in denen Lebensgenuss, Leidenschaft und Religio­ sität miteinander verschmelzen, inspi­ rieren lassen: Wohl kaum einen anderen Dichter hat Hafis so sehr beeindruckt wie Goethe. Der Deutsche gründet seiS P I E G E L G E SC H I C H T E

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nen "West-östlichen Divan" geradezu auf das Schaffen des Wortmeisters aus Schiras. Und mag die ganze Welt versinken! Hafts, mit dir, mit dir allein Will ich wetteifern! Lust und Pein Sei uns, den Zwillingen, gemein!

Die Formensprache der Dari-Dichtung, die Goethe so begeisterte, blieb viele Ge­ nerationen lang der poetische Maßstab für alle persischen Dichter. Erst im Lau­ fe des vorigen Jahrhunderts entwickelte sich unter der politischen Zensur in Iran eine neue Art von Symboldichtung. Als einer der Ersten brach Nima Juschidsch mit der tausendjährigen Tradition. Er schuf die Stilrichtung des "sozialen Sym­ bolismus" und gilt seither als ,,vater der modernen Lyrik".

Poesie ersetze in Iran "sowohl die freie Presse als auch die Malerei", schreibt der deutsch-persische Exil­ Schriftsteller Said, der in München lebt. "Das Erste wegen der Diktatur, das Letz­ te wegen der Religion. Diese Gratwande­ rung verhilft ihr zu Eleganz und Popu­ larität." Die Klassiker haben in Iran dennoch wenig an Bedeutung eingebüßt. Weiter­ hin spenden sie ihren Lesern Rat und Trost, ob in den Gärten von Schiras oder bei den aktuellen Demonstrationen in Teheran. "Heute ist die iranische Lyrik auf der Suche nach einer neuen Sprache", schreibt Said. Aber solange sie die nicht gefunden hat, greifen junge Perser selbst für ihre Twitter- und YouTube-Botschaf­ ten auf die unsterblichen Verse von Ha­ fis und Saadi zurück. 73


ALLAH U N D D I E POESI E

Von FRANK THADEUSZ

nen Sohn früh in die Obhut ausgewähl­ Konstitution auswirkte", notierte ein Avicenna gegen Koliken, aber auch ge­ ter Gelehrter. Nicht selten überflügelte Schüler. gen Depressionen und Liebeskummer. der Hochbegabte seine Lehrer bereits Etliche Jahrhunderte vor der Erfin­ Öfter saß der Sinnenfrohe mit seinen nach kurzer Zeit. Der Musterschüler ge­ Studenten nach Einbruch der Dunkelheit dung des Mikroskops identifizierte der dieh zu einem sogenannten Fakih - ei­ am Lagerfeuer, bei heiterem Lautenspiel turbantragende Medicus "kleine Organis­ nem Gelehrten, der Theologie und und kreisender Weinamphore. Doch Zeit­ men, die durch Luft und Wasser wandern Rechtswissenschaft miteinander ver­ genossen kannten Avicenna auch als be­ und Krankheiten verursachen". Hygiene band. Avicenna war zwar Muslim, sessenen Arbeiter. Er schrieb häufig bis und Sauberkeit empfahl er als oberste Tu­ stemmte sich allerdings gegen eine allzu tief in die Nacht und war schon im Mor­ genden. Immer wieder legte der Meister orthodoxe Auslegung des Koran. Abwe­ gengrauen wieder zum Frühgebet auf selbst Hand an und operierte Kranke, wo­ gig schien ihm etwa die Vorstellung, den Beinen. Selbst zu pferde sah man ihn bei er bereits einen grünen Arztkittel trug. Die Anatomie des menschlichen Kör­ Gott habe die Welt aus dem Nichts her­ Notizen kritzeln. Anflüge von Müdigkeit aus in sechs Tagen erschaffen. Stattdes­ bekämpfte er mit großen Mengen Kaffee. pers gab Avicenna gleichwohl häufiger Rätsel auf. Dem Muslim war sen verfocht er die Ansicht, " " das Sezieren von Leichen die Welt sei immer schon da nicht gestattet. Erkenntnisse gewesen. über Beschaffenheit und Fundamentalisten erkannLage der Organe erlangte er ten in dieser Argumentation über das Studium der anato­ reine Blasphemie. Stellte der mischen Werke seines Vor­ dreiste Denker nicht die Sou­ bildes Galen. Gelegentlich veränität des Schöpfers in scheint die Urteilskraft des Frage? Nicht minder ketze­ Gelehrten erheblich getrübt. risch erschien konservativen Im Gehirn etwa sah er vor­ Exegeten des Koran, dass wiegend eine Einrichtung, Avicenna nicht an die leibli­ die das Herz vor der Über­ che Auferstehung am Jüngs- " hitzung schützen sollte. ten Tag glauben mochte - er Sein eigenes Ende war hielt das Dogma für eine Art nicht ohne Dramatik. Ge­ Metapher. plagt von Koliken, ließ sich Avicennas Philosophie Avicenna von einem anderen wurzelte in der griechischen Arzt Petersiliensamen mit ei­ Tradition. Die Logik des nem Klistier einführen. Der Aristoteles war sein geistiges Kollege erwies sich jedoch Fundament - bis hin zur als Pfuscher und überdosier­ Überzeugung, er könne die te die Öko-Injektionen. Avi­ Existenz Gottes mit den Mit­ cenna fiel mehrfach in Ohn­ teln der Wissenschaft bewei­ macht, berappelte sich dann sen. Auf diese Weise stieg jedoch noch einmal mühsam. Avicenna posthum zum Kaum bei Kräften, stürzte "obersten Scheich unter mus­ sich der Workaholic wieder limischen Intellektuellen" in die Arbeit, Prompt erlitt auf, wie der Arabist und Me­ er einen heftigen Rückfall. dizinhistoriker Gotthard Eine anschließende Opium­ Strohmaier konstatiert. behandlung mündete im er­ Einst empfahl gar Ajatolneuten Kollaps. Zermürbt lah Chomeini Studenten die von den andauernden Zu­ Seite aus Avicennas " Kanon der Medizin" Lektüre der Schriften Avi­ sammenbrüchen ließ Avi­ Pergamentma nuskri pt, 14. J h . , Nationalmuseum Damaskus cennas. Doch im rigiden cenna die Behandlung abbre­ Staat des Mahmud Ahmadi­ nedschad säße der Freigeist vermutlich Der Vielschreiber mochte von einer chen - und starb wenig später mit nur längst hinter Gittern. Denn Avicenna, großen Karriere als Philosoph träumen, 57 Jahren. Als Vermächtnis hinterließ er seinen der jahrelang an Irans Fürstenhöfen, zu­ Prominent wurde er vor allem als Arzt letzt in Isfahan, lehrte, war laut den Be­ und Mediziner, der am laufenden Band "Kanon der Medizin", der zum Zeitpunkt schreibungen von Zeitgenossen auch äu­ Pioniertaten vollbrachte. In der mus li­ von Avicennas Tod im Jahre 1037 das me­ ßerlich wohlgeraten und verfehlte seine mischen Welt waren im achten Jahrhun­ dizinische Wissen der Menschheit in bei­ Wirkungen auf Frauen nicht. dert die ersten Apotheken entstanden. spielloser Weise zusammenfasste. Für "Bei dem Meister waren alle Kräfte Avicenna experimentierte mit den be­ lange sollte kaum noch etwas hinzukom­ stark entwickelt, wobei unter den Kräf­ kannten Kräutern und Gewächsen und men. Etwa 100 Jahre nach Avicennas ten des begehrenden Seelenteils die erweiterte das Arsenal der Arzneien Tod war der "Kanon" auch auf Latein in sexuelle am stärksten und übermäch­ deutlich. In seinem Hauptwerk, dem Europa greifbar. Rund 600 Jahre lang tigsten war. Er war oft davon in An­ "Kanon der Medizin", listet er 750 Heil­ richteten sich Ärzte nach den Erkennt­ spruch genommen, was sich auf seine mittel auf. Die Medikamente verschrieb nissen ihres vielbegabten Vorgängers.

L

eidend wälzte sich der Emir von Buchara in den Kissen. Linderung war nicht in Sicht. Am Hofe Nuh Bin Mansurs rätselten die Ärzte vergebens, welche Krankheit den Herr­ scher befallen haben mochte. In ihrer Not riefen die unkundigen Gelehrten ei­ nen kaum 17-jährigen Kollegen hinzu, der bereits seit zwei Jahren praktizierte. Der jugendliche Medicus hatte die Krise recht bald im Griff und befreite den Monarchen von seiner Pein. Derlei Heldentaten begründeten den Mythos von Abu Ali Hossein Bin Abdul­ lah Bin -Sina, der Nachwelt besser be­ kannt unter seinem latinisierten Namen: Avicenna. Der Heiler hatte angeblich so viele Patienten zu versorgen, dass er Hausbe­ suche drastisch reduzieren musste. Um dennoch auf dem Laufenden zu bleiben, knotete Avicenna den Leidenden Zwirnsfäden ums Handgelenk, damit er auch von fern deren Puls fühlen konnte. Überlieferungen dieser Art sind zwar mit großer Sicherheit nur heitere Legen­ den, künden aber von der HeIdenvereh­ rung, die Avicenna bereits zu Lebzeiten zuteilwurde. Der Gepriesene selbst hielt die Medizin für "keine besonders schwierige Wissenschaft, und natürlich habe ich sie in kürzester Zeit herausra­ gend beherrscht". Diese selbstbewusste Einschätzung des eigenen Wirkens konnte sich ein Wunderknabe erlauben, der bereits im Alter von zehn Jahren den Koran auswendig gelernt hatte und we­ nig später auch die "Metaphysik" von Aristoteles aus dem Gedächtnis be­ herrschte. Avicenna sah sich selbst denn auch eher als Denker und Philosoph, nicht als Handwerker einer von ihm eher gering­ geschätzten Heilkunst. Von Kindesbei­ nen an bis beinahe zu seinem letzten Le­ benstag häufte er Wissen an. Geboren wurde er im Jahre 980 im mittelasiatischen Buchara. Die Klein­ stadt im heutigen Usbekistan gehörte zur muslimischen Welt, deren Zentrum Bagdad war. Avicenna wuchs in einer wissbegierigen Umgebung auf, die sich auch für Einflüsse anderer Kulturen of­ fen zeigte. Über Avicennas frühe Jahre gibt ein autobiografischer Abriss Aufschluss, den der Meister einem seiner Schüler dik­ tiert hatte. Sein Vater, ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung Bucharas, gab sei74

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Mongolis che Reiter (aus dem Film "Genghis Khan", 2004) , I

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REZA TAMADDONI 20140501 Von MANFRED ERTEL

N

och im Rückblick konnte der persische Historiker sein Entsetzen kaum bändigen. "Ihre zahl war größer als die der Sandkörner in der Wüste oder die der Trop­ fen eines Regens", notierte Ata Malek Dschuwaini im l3. Jahrhundert schau­ dernd. Wie aus dem Nichts seien im Jahr 1220 Zehntausende von Kriegern vor Samarkand erschienen. Fast über Nacht war die reiche Metropole an der Seidenstraße, die zu den schönsten Städten Zentralasiens zählte, ein Trüm­ merfeld. 76

Kleine Männer mit krummen Beinen, gelber Haut, schwarzem Bart und lan­ gen Haaren, mandeläugig und mit ho­ hen Wangenknochen - so sieht der Feind aus. Aufkurzbeinigen, struppigen Pferden und mit unbekannten, tödlich treffsicheren Schießwerkzeugen gerüs­ tet, überrennen diese menschlichen Ungeheuer, angstvoll und pauschal Ta­ taren genannt, Festungen und Grenz­ wälle. Schon 1221 sind große Teile Persiens besetzt und Moscheen entweiht, Nischa­ pur, eine der größten Städte der mittel­ alterlichen Welt, ist dem Erdboden gleichgemacht. Im selben Jahr trifft die erste Schockwelle auch Osteuropa. Fort-

an werden die Mongolen-Armeen zur permanenten Bedrohung. 1240 wird Kiew erobert und zerstört. Ende März 1241 steht Krakau in Flam­ men. Beim schlesischen Liegnitz ver­ sucht ein großes deutsch-polnisches Rit­ terheer, die Horden aufzuhalten. Doch die Elite-Streitmacht wird am 9. April 1241 vernichtend geschlagen. Den Kopf des obersten Ritters tragen die Aggres­ soren triumphierend auf einer langen Holzstange aufgespießt vor sich her. Auf dem Höhepunkt ihres Erobe­ rungszugs, Mitte des l3. Jahrhunderts, beherrschen sie ein Viertel der Welt: Polen, Ungarn und den Balkan, riesige Steppengebiete Russlands, den Kauka-

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sus, die Türkei, den Orient und große Teile Persiens. Aber auch weite Land­ striche Indiens und Chinas kontrollieren die Mongolen, dazu Tibet, Vietnam, Kambodscha und selbst die Insel Java. Umso erstaunlicher ist, dass diese erste und neben dem britischen Empire bis heute flächengrößte Weltmacht der Geschichte von einem einzigen Mann begründet wurde. Der Name ist ein Mythos - auch in Persien, dessen Ge­ schichte er und seine Nachfolger in eine neue Richtung gelenkt haben: Dschingis Khan. Der sagenhafte Mongolenführer hat viele Gesichter. Für Gegner und Opfer ist er ein blutrünstiger Unhold, der alle S P I E G E L GESCHICHTE

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niedermetzeln lässt, die sich ihm in den Weg stellen. Frühe Geschichtsschreiber wie der Perser Raschid al-Din schildern ihn als perversen Tyrannen. "Das größte Glück eines Menschen ist, seinen Feind zu jagen und zu besiegen, seinen Wal­ lach zu reiten und die Körper seiner Frauen zu nutzen", zitiert der muslimi­ sche Chronist den barbarischsten aller Barbaren. Seine Landsleute dagegen verehren ihn bis heute als weitsichtigen Staaten­ lenker und Reformer: Dschingis Khan einte die Mongolen, er schuf ein straff­ organisiertes Staatssystem mit funktio­ nierender Verwaltung und verhalf sei­ nem Volk zu Recht und Ordnung, Schrift

und Kultur. Selbst die Unterworfenen sollten davon letztlich profitieren. Denn der grausame Globalisierer bahnte ne­ benbei dem Wissen die Wege und wurde so auch zum Erneuerer. Reis und Tee, Spielkarten, aber auch der Kompass oder Feuerwaffen gelang­ ten aus Fernost in den Orient und weiter nach Europa. Persische Ärzte lernten chinesische Medizin kennen. Im Gegen­ zug fanden europäische Bau- und Gold­ schmiedetechnik, orientalische Web­ und Schneiderkünste, Kenntnisse in Wasserwirtschaft und Kriegswesen ih­ ren Weg bis nach Zentral asien. Kein Wunder, dass der Mann, der all dies auslöste, von den Mongolen noch

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Der Mongolensturm

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heute verehrt wird. Alle zwei Jahre rückt die oberste mongolische Heeres­ leitung zu einem besonderen Zeremo­ niell aus. Der Präsident und Oberbefehls­ haber, der Generalstab, Offiziere, der Verteidigungsminister und die politi­ sche Nomenklatura - aber bitte keine Frauen - treffen sich an einem geheimen Ort. In einer Mischung aus großem Zap­ fenstreich und schamanischem Ritual wird dann, mit Opfergaben, Räucher­ stäbchen und frischgeschlachtetem Hammel, das militärische Wahrzeichen des Landes geehrt: die sogenannte Schwarze Standarte. Der Haarschopf an der Spitze einer langen Lanze, der Sage nach aus den Mähnen von tausend schwarzen Hengsten gefertigt, gilt als Heiligtum. Dschingis Khan soll sie bei seinen Feldzügen mitgeführt haben, "Die Standarte ist mehr als ein militä­ risches Symbol", sagt Generalmajor Mikhlai Borbaatar, Staatssekretär im Verteidigungsministerium der heutigen Mongolei: "Die Legende sagt, mit ihr sind mongolische Krieger unbesiegbar." Historiker wissen es genauer: Eine wichtige Basis für die Blitzerfolge war Dschingis Khans Militärreform. Nach seiner Machtübernahme 1206 und der Vereinigung aller "Völker in Filzzelten", wie die Nomaden im fernen Osten ge­ nannt wurden, stellt der frischgekürte Herrscher als Erstes seine Streitmacht neu auf. Statt nach Stämmen gliedert er 78

ihnen Gold, Elfenbein und eine Bot­ Als Erstes erreichen Dschingis Khan schaft mit auf den Rückweg. "Ich erken­ und seine Truppen Buchara in Usbeki­ ne deine Macht und die große Ausdeh­ stan mit seinen lieblichen Moscheen und nung deines Reiches an", lässt er dem Minaretten. Die Verteidiger schätzen die Schah mitteilen. Er suche Frieden "mit Übermacht der Angreifer auf 40 000, dir, den ich als meinen bevorzugten vielleicht 50 000 entschlossene Kämpfer. Sohn ansehe". Wie von ungefähr gibt er Kriegsgefangene rennen als lebende ihm dann, ganz diplomatisch, den Hin­ Schutzschilde für die mongolischen Hor­ weis mit: "Du sollst wissen, dass mein den gegen die Stadttore und Schutzwälle Land von Kriegern überquillt." an, bis sich die Angreifer - wieder mal Schon das Wort "Lieblingssohn" kann scheinbar zurückziehen und die Vertei­ der Schah allerdings als Affront ver­ diger aus der Festung locken. stehen. Immerhin gebietet Mohammed Chronisten sprechen später von über das bedeutendste islamische 30 000 toten Zivilisten und Tausenden Reich des 13. Jahrhunderts, vom Persi­ versklavter junger Frauen und Kinder. schen Golf bis Afghanistan, vom Indus Er sei "die Geißel Allahs", ruft Dschin­ bis zum Kaspischen Meer. Er kon­ gis Khan nach Aufzeichnungen des trolliert die wichtigste Verbindung persischen Gelehrten Dschuwaini den Überlebenden zu; Allah höchst­ zwischen China und dem Vorderen Orient, die Seidenstraße, und resi­ selbst habe ihn auf deren "Häupter her­ diert in Kulturabgeschleudert". zentren, die den Hoflagern der Schah Moham­ med sitzt noch in Barbaren in ih­ seiner Kulturme­ ren Filzzelten weit tropole Balkh an überlegen sind. der Seidenstraße, als Jedenfalls wird 1218 ihn die unheilvollen eine reich beladene Kara­ Nachrichten erreichen. wane mit über 400 Kaufleu­ ten, angeführt von einem be­ Als er 1220 erfährt, dass deutenden Würdenträger am auch Samarkand gefallen ist und seine Truppen ver­ Hofe des Khans, auf dem Weg nichtet sind, flieht er Hals ins choresmische Reich von über Kopf gen Westen. Sei­ Schah-Truppen überfallen ne Verfolger jagen ihn und und geplündert. Fast alle Be­ verwüsten dabei, was ihnen gleiter werden getötet. in den Weg kommt, etwa Dschingis Khan verlangt Wie­ dergutmachung und eine Damghan und Semnan im Erklärung. Er schickt persischen drei Gesandte zu Schah Mohammed. Norden. Im April Der lässt einen hinrich­ ten, zwei mit kahlrasier­ 1221 überrennt ten Schädeln zurück­ Dschingis Khans Sohn Tolui das persi­ schicken; andere Quellen sprechen sogar von sche Nischapur. Der Ort mit seiner Sei­ drei Toten. Wie auch Mongolisches Kettenhemd und den-, Brokat- und immer: Das Signal goldene G ü rtelke l l e Samtkunst wird da­ kommt an. "Du hast (13. bis 15. Jahrhundert) den 'Krieg gewählt, mals gern "kleines es möge nun geschehen, was geschehen Damaskus" genannt. Die Mongolen sind muss", zürnt der Mongole. "Da es am davon unbeeindruckt: Als die Eroberer Himmel nicht zwei Sonnen geben kann, abziehen, stapeln sich die Köpfe der Lei­ kann es auf Erden auch keine zwei Kai­ chen zu Pyramiden. ser geben." Schah Mohammed erlebt die schlech­ Im Herbst 1219 marschiert Dschingis ten Nachrichten nicht mehr. Er hatte in Khan mit Zehntausenden von Kriegern Astara am Kaspischen Meer seine könig­ gegen das choresmische Reich, seine lichen Gewänder abgelegt und sich von vier Söhne an der Seite. Ein Teil zieht Fischern auf eine Insel übersetzen las­ Richtung Aralsee in Zentralasien, der sen. Damit vergibt er die wohl letzte Anführer selbst wendet sich mehr zum Chance, den Gegner vielleicht noch zu stoppen. Statt 30 000 ausgeruhte SoldaKaspischen Meer und nach Persien.

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die größte Kavallerie der Welt dezimal: Die kleinste Einheit besteht aus 10 Krie­ gern, eine Kompanie aus 100, die größte Abteilung aus 10 000. Kleinere Kampfverbände garantieren dem Anführer höhere Kampfmoral und größere Loyalität. In der Zehnerschar ist jeder für alle anderen mitverantwort­ lich. Feigheit oder Versagen bedeutet den Tod - für den ganzen Trupp. Natürlich trägt auch die taktische Raf­ finesse des Herrschers zum Erfolg bei. Wenn Dschingis Khans wilde Reiter auf ihre oft übermächtigen Gegner treffen, ziehen sie sich häufig nach ersten At­ tacken schnell und scheinbar geschlagen wieder zurück. Tatsächlich aber locken die Mongolen den siegestrunkenen Geg­ ner so in den Hinterhalt, wo sie die Ver­ folger mit einem Pfeilhagel aus der Di­ stanz niederstrecken. "Feige und heimtückisch" nannte die­ se Art der Kriegführung, wer das Glück hatte, über sie noch berichten zu können. Europäische Ritter waren gewohnt, dem Gegner in geschlossener Formation ent­ gegenzutreten, Mann gegen Mann. Aber auch die zähen turkstämmigen Krieger und muslimischen Truppen, die Dschingis Khan oft in Überzahl begeg­ nen, fallen auf seine Tricks herein. Mal gaukelt er mit verkleideten Puppen auf pferderücken eine gewaltige Übermacht vor, mal belagert er erst tagelang die Städte, lockt die Gegner dann aus den Festen und fällt plötzlich über sie her.

Hinzu kommt sein Interesse an neuer Kriegstechnik. Baupläne für Katapulte und Rammen schaut Dschingis Khan bei Chinesen und Arabern ab. Die Mongolen lernen, Tunnel zu bauen, mit denen sie Festungswälle untergraben. Von Musli­ men übernehmen sie die Taktik, Fluss­ läufe umzuleiten, um Stadtfestungen vom Trinkwasser abzuschneiden oder sie einfach zu überfluten. Vor allem aber die neuartigen Bogen machen die Reiternomaden zum Schre­ cken der Welt. Ein kurzer Spezialrahmen aus Horn, Knochen und Holz macht die sogenannten Reflexbogen, von denen jeder Mongole im Kampf mehrere dabei hat, biegsam und stark. Aus 300 Meter Distanz können die wendigen Reiter angreifen, im vollen Galopp und mit tödlicher Treffsi­ cherheit - Nahkämpfe können sie so lange meiden. Dschingis Khans Strategie: "Erst wenn die Menschen und Pferde schon durch Pfeile geschwächt sind, kommt es zum Handgemenge." Aber vor dem Kampf steht, so über­ raschend das für das Image des Barbaren klingen mag, die Diplomatie. Eigens lässt der oberste Mongole diesen Grundsatz in seine Gesetzessammlung, die Große Yasa, schreiben. Zuwiderhandlungen gelten als Sakrileg. Das erfährt der persische Schah von Choresmien, Ala ad-Din Mohammed, als er seine Botschafter 1215 zu Dschingis Khan schickt. Der Mongole behandelt die Gesandten zuvorkommend, er gibt

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ten, die einer der Schah-Söhne im Hin­ terland in Reserve hielt, gegen die 20 000 von Gewaltritten erschöpften mongolischen Krieger zu schicken, denkt der Schah nur an seine eigene Ret­ tung. Mohammed stirbt am Jahreswech­ seI 1220/21, wahrscheinlich geschwächt von der langen Flucht, an einer Brust­ fellentzündung. Dschingis Khan wendet sich wieder ostwärts nach Afghanistan, wo er, Ende April 1222, nahe Kabul den daoistischen Mönch Changchun trifft. Auch der Mon­ gole fühlt sich schwach, der Gelehrte soll ihm - fünf Jahre vor seinem Tod ein "Heilmittel der Unsterblichkeit" ver­ schreiben. Erst der Enkel Dschingis Khans, Hü­ legii, festigt ab 1256 die Herrschaft der Mongolen in Persien, er entthront sogar den Kalifen und erobert Bagdad. Hülegii nennt sich Ilchan, was so viel wie "fried­ licher Herrscher" bedeutet. An die 80 Jahre wird das Reich fortan als "Ilcha­ nat" bestehen. Zu ihm zählen neben Per­ sien noch Afghanistan, Irak, Teile Sy­ riens und des Kaukasus. Damit behauptet sich Hülegii vor al­ lem gegenüber seinem Bruder Khubilai, der sich 1260 zum Großkhan und prak­ tisch zum eigentlichen Nachfolger Dschingis Khans ausruft: Khubilai ge­ bietet über nichts Geringeres als China, Tibet und Teile der Mongolei. Die Ilchane nennen ihr Territorium fortan "Iran" - wie zuvor die Sasaniden (224 bis 651). Über die Gründe rätseln Historiker bis heute: Ist es ein Symbol für die Zusammenfassung des Persi­ schen Reiches und den Sturz des Kali­ fats? Unstreitig immerhin ist, dass die Stadt Täbris im Norden von nun an eine zentrale Rolle spielt. Die "Stätte der Herrschaft", so ihr Bei­ name, wird zur Residenz der Mongolen. Die Herrscher akzeptieren, obschon sel­ ber Anhänger des Schamanismus, den Islam als Staatsreligion. Täbris blüht auf: Prachtbauten entste­ hen, Architektur und Buchmalerei ge­ deihen. Auch die Wissenschaft wird ge­ fördert, etwa durch eine Akademie, an der bis zu 7000 Studenten lernen. Sechs Ilchane beherrschen von Tä­ bris aus das mongolische Teilreich Iran. Als Abu Said 1335 ohne männlichen Thronfolger stirbt, geht das Ilchanat für Dschingis Khans Erben wieder unter. Das persische Reich der Mongolen ver­ kommt erneut zur Arena rivalisierender Führer samt ihren Clans - wie so oft am Ende großer Dynastien.

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"Die Karawane des Schahs von Persien"

Phantasie-H istoriengem채lde von Al berto Pasi n i, 1867

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SPI ELFELD D E R MÄCHTE

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errscher hat es auf ira­ und starb 1524. Folgen seines Regim ents Im safawidischen Iran gab es aber zu . nischem Boden viele ge­ smd denno ch bis heute erkennbar: Is­ wenig schiitische Recht sgelehrte - also geben, aber die Anfänge mail besiegte Anhänger in Anato lien ga­ luden die neuen Herrscher Geistliche � des Staates, wie er noch ben Ihren Glauben nie auf; ihre Nach­ aus dem damaligen Kerngebiet der zwöl­ heute fortbesteht lassen fahren nennen sich heute Aleviten. fersc�iitischen Gelehrsamkeit, dem Sü­ sich auf den Beginn des 16. Jahrh�nderts Der Konflikt war mehr als nur ein mi- den LIbanons, nach Iran ein. Da das neue zurückführen, genauer: auf Schah Ismail 1itärisches Kräftemessen. Die Osmanen­ Bekenntnis den Gläubigen geradezu auf­ aus dem Sufi-Geschlecht der Safawiden Herrscher beanspruchten für sich das gezwungen wurde, wanderten viele ira?ie in den Wirren der Nachmongolenzei; Amt des Kalifen, also nische Sunniten beson­ m der nordwestiranischen Stadt Ardabil des religiösen Ober­ ders' Künstler �nd Ge­ die Macht an sich gerissen hatten. Im haupts der sunnitischen lehrte, aus und traten in za:ten Alter von zwölf Jahren begann er Muslime. Da die meis­ den Dienst der indi­ seme Eroberungszüge; 1501 krönte sich ten Bewohner des irani­ schen Großmogule. der junge Draufgänger zum Schah. schen Hochlands Sunni­ An weiterer Expan­ Die Hausmacht der Safawiden be­ ten waren, gefährdete sion gen Westen gehin­ stand aus Turkmenen-Stämmen, die wie ein Kalifat von außen Is­ dert, wandten sich die der Sufi-Orden einem den Schiiten ver­ mails Machtbasis. Um Safawiden fortan dem wandten abweichlerischen Zweig des Is­ seine Untertanen gegen iranischen Hochland zu. lam m;tgehörte . Mit diesen Kriegertrup­ den osmanischen Riva­ HOUCHANG CHEHABI � Mit der alten Metropole pen sIcherte sIch der neue Regent ein len zu einen, machte Is­ Isfahan als neuer Haupt­ stattli ches Reich. Als er dann seine n mail die Zwölferschia ist e i n weltwei t a ner­ stadt (1598) begann ei­ Machtbereich noch weiter bis nach Ana­ (siehe Seite 93), deren kan nter Experte für die ne kulturelle Blütezeit. tolien hin ausdehnen wollte, stieß er auf Recht und Gebote sich G es c h i c h te d es N a h e n Politische Stabilität för­ den Widerstand der Osmanen. 1514 be­ nur unwesentlich von Ostens u n d I ra n s i n der derten Landwirtschaft siegten diese die Iraner bei Tschaldiran. denen der Sunniten un­ M odern e . C h e h a bi, g e b o ­ und Handel; Kunsthand­ Ismail verkraftete den schweren Rück­ terscheiden, zur Staats­ ren i n Te heran, l e h rt s e i t 1 9 98 P o l i t i kw i ssenschaft werk, Malerei und Archi­ schlag nie. Er verfiel der Drogensucht religion. a n der B oston U n i versi ty. tektur florierten. Auch 84

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europäische Mäch­ Bedingungen, die te interessierten sich mit aus dem sich für ein Reich, früheren Macht­ in dem man einen chaos ergeben hat­ potentiellen Ver­ ten. bündeten gegen Unter den Safa­ widen war Isfahan die Osmanen sah. Kaufleute, Missio­ das Zentrum der schiitischen Ge­ nare und Diploma­ ten kamen ins lehrsamkeit gewe­ sen; angesichts des Land. Ihre Reisebe­ Verfalls der Stadt schreibungen be­ aber waren die flügelten die euro­ meisten Kleriker in päische Phantasie. den osmanischen In Iran herrsch­ Irak ausgewichen. te unterdessen kei­ Die Stadt Nadschaf neswegs Harmo­ avancierte zum nie. Die ersten Sa­ geistigen Zentrum fawiden-Herrscher der Schia - dieser hatten als Ober­ Rufist ihr bis heute häupter des Sufi­ geblieben. Ordens mit ihrem So befanden religiösen Charis­ sich, als die Ein­ ma dem schiiti­ heit des iranischen schen Klerus noch Staates hergestellt Grenzen setzen war, die höchsten können. Als dann schiitischen Rechts­ aber schwächere Zwei Eroberer: Schah Ismail (1501 bis 1524) und Nader Schah (1736 bis 1 747) gelehrten außer­ E u ropäische I l lustrationen des 16. und 19. Jahrhunderts Figuren folgten, ge­ halb seines Macht­ wannen die Geist­ lichen immer mehr Einfluss auf die in besonderer Schatz, den bereichs. Das verlieh ihnen beträchtli­ Nader Schah von seinen che Handlungsfreiheit gegenüber den Staatsgeschäfte. Das bekamen die religiösen Minder­ Feldzügen heimbrachte, ist weltlichen Herrschern in Iran. Zudem heiten zu spüren: Juden und Zarathu­ noch heute im Kellergewöl­ konnten sich die Kadscharen-Könige, an­ stra-Anhänger sahen sich Demütigungen be der Teheraner Zentral­ ders als früher die Safawiden, nicht auf ausgesetzt; Christen hatten es etwas bes­ bank zu besichtigen: die ehemaligen ein religiöses Eigencharisma berufen; sie ser, weil armenische Kaufleute für die Kronjuwelen. Milder stimmte solche waren somit auf Bestätigung durch den Geschäfte mit Europa gebraucht wurden. Kriegsbeute den Eroberer allerdings Klerus angewiesen. Zum Glück stellte 1719 revoltierten afghanische Sunniten nicht. Sein Führungsstil wurde immer sich zwischen Staat und religiöser aus dem Stamm der Ghilzai im Osten des grausamer, bis er 1747 in seinem Heer­ Macht ein Gleichgewicht ein, das bis in Reichs, besiegten die zu ihrer Niederwer­ lager ermordet wurde. Der Komman­ die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts fung entsandten Heere und drangen deur seiner Leibgarde - ein Afghane, fortbestand. Waren die Safawiden den Europäern dann bis Isfahan vor. 1722 setzten sie der dessen Stammesbund der Abdali mit den Safawiden-Herrschaft ein Ende. Ghilzai verfeindet war - setzte sich mit noch auf Augenhöhe begegnet, so mach­ Klaglos akzeptiert wurden die neuen seinen Truppen nach Osten ab. Er nutzte ten sich nun die Begleiterscheinungen Herren indes nicht: Außerhalb der die Schwäche der Perser wie der Inder, des europäischen Imperialismus be­ Hauptstadt organisierte sich bewaffne­ um als Ahmed Schah Durrani sein eige­ merkbar. Iran hatte unter den Kadscha­ ter Widerstand gegen die Afghanen, und nes Reich zu gründen, aus dem das spä­ ren relatives Glück: Als eines von sehr wenigen nichteuropäischen Ländern sein Anführer Nader ließ sich 1736 zum tere Afghanistan hervorgehen sollte. In Iran waren Wirren und Bürgerkrie­ blieb das Land ein souveräner Staat - al­ Schah krönen. Einmal an der Macht, führte er Truppen bis nach Zentralasien ge erst beendet, als ein Eunuche aus dem lerdings weniger dank der diplomati­ und Indien, mit beachtlichem Erfolg. Turkmenen-Stamm der Kadscharen na­ schen Fähigkeiten seiner Staatsmänner Die Eroberung Delhis 1739 etwa mens Agha Mohammed Chan sich gegen als seiner geografischen Lage wegen. schwächte das Reich der Großmogule Ende des 18. Jahrhunderts durchsetzte, Den russischen Druck von Norden so, dass es bald zerfiel - und Indiens Er­ Teheran zur Hauptstadt machte und das bremsten die Briten ab, die Indien und oberung durch die Briten entscheidend Land einte. Die von ihm gegründete Dy­ später die Südküste des Persischen Golfs erleichterte. nastie sollte bis 1925 herrschen - unter beherrschten. So konnte Iran als Puffer-

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Noch heute liegen die Kronjuwelen, die Nader Schah einst erbeutete, im Kellergewölbe der Teheraner Staatsbank. SPIEGEL GESCHICHTE

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SP I E L F E L D D E R M Ä C H T E

staat zwischen den Machtbereichen sei­ Zwar blieb Iran während des Ersten war Befeh lshaber der Kosakenbrigade, ne Unabhängigkeit bewahren. Weltkriegs offizi ell neutral aber auf d r besta usg Iraner, die nun zunehmend nach seinem � �rüsteten Militärtruppe. Boden kämpften o ;manische Em Putsch mIt der Unterstützung Lon­ Europa reisten, erkannten im Vergleich b itisch e und russische Truppen gegen� dons brachte ihn . � 1921 an die Macht; den­ dIe Rückständigkeit ihres Landes. Heim­ eman der und fügten der Zivilbevölke­ noch wurde er nicht, wie es viele Iraner gekehrt, warben sie dafür, einzelne Er­ rung große s Leid zu. Als die Oktober­ weiterhin glauben, zum bloßen Hand­ rungenschaften der westlichen Zivilisa­ revolution 1917 Irans nördlichen Nach­ langer britischer Politik. Er betrieb tion zu übernehmen. Auch die Kadscha­ barn für eine Weile vom internationalen Machtpolitik und Zentralismus nach ei­ r�n waren an Modernisierung interes­ genem Plan; 1925 krönte er sich als Resa SIert - aber fast nur an der militäri­ Schah Pahlewi zum König. schen: Stärke nach außen war er­ Mehr als ein Jahrzehnt lang moderni­ wünscht, polit isch jedo ch . SIerte Resa Schah durchgreifend das sollte alles beim Alten blei­ Land; neben vielem anderen schuf er die ben. Gegen Ende des 19. Grundlagen für moderne Industrie und Jahrhunderts wurden Infrastruktur. In den dreißiger Jahren dann unter Intellektueljedoc h wandelte sich das Regime. len, Kaufleuten und Der Monarch entledigte sich Klerus der Protest ge­ nicht nur seiner Gegenspieler, gen königliche Will­ sondern trennte sich auch von kürherrschaft und seinen fähigsten Mitstreitern' Misswirtschaft einige ließ er ermorden. Di: und der Ruf nach Geistlichkeit sah sich einem einem Rechtsstaat regelrechten Kulturkampf immer lauter. Be­ ausgesetzt. günstigt von Japans Da der iranischen Reli­ Sieg über das Zaren­ giosität oft etwas Antikle­ reich 1905 und angerikales anhaftet, fand Resa regt durch die revolu­ Schahs herbe Wendung tionären Unruhen in anfangs noch gewisses Russland, entlud sich Verständnis unter den Ira­ 1906 die allgemeine nern. Aber bald hatte sich Unzufriedenheit in einer Revolution. das Regime durch immer striktere Vorschriften Unter Druck gesetzt, beim Durchschnittsbür­ erlaubte das Herrscher­ ger unbeliebt gemacht. haus Wahlen, und das Besondere Wut lösten neue Parlament ging so­ die Kleidungsregeln aus: fort daran, die Verfassung Scho n 1929 war iranischen einer konstitutionellen Mo­ Männern per Gesetz verordnarchie nach belgischem net worden, sich von Kopfbis Muster auszuarbeiten - zuFuß westlich zu kleiden. Im vor hatten die schiitischen Januar 1936 sollten sich dann Rechtsgelehrten in Nadschaf �raue� von heute auf morgen erklärt, ein Verfassungsstaat m der Offentlichkeit ohne den sei mit dem Islam vereinbar. gewohnten Schle ier zeigen. Bis 1979 sollte das neue Grund­ Poliz isten rissen vielen, die gesetz gültig bleiben, wenn versc hleiert erschienen, ihre auch nur auf dem Papier. Kopfbedeckung weg. Diese Der erhoffte Fortschritt und staatliche Einmischung in die In­ politische Stabilität stellten sich timsphäre der Bürger weckte dennoch nicht ein. Viele muslimi­ D i e "Kiani-Krone" der Kadscharen-Dynastie Groll und Hass. Kein Wunder sche Geistliche fürchteten dass Staatsbank Tehera n d�ss 1941 Resa Schahs Abdankun� ein Rechtsstaat nach eu�opäi­ - ms Werk gesetzt von den Alliierschen: Muster die Macht der Religion be­ Kräft espiel fernhielt, blieb Großbritan­ ten - bei den meisten Iranern ein Auf­ schneIden würde, und wandten sich da­ nien das Feld über lasse n. Nach dem atmen auslö ste. her vom Konstitutionalismus ab. Die Kle­ Krieg suchten die Briten in Iran den Auf­ Zwölf Jahre lang erfreute sich Iran ei­ riker fühlten sich von ihren liberalen Bun­ bau einer stabilen Staatsrnacht zu be­ nes relativ offen en Systems. Der Sohn desgenossen hintergangen. Es kam zu Un­ günst igen, um jedem möglichen bolsche­ des Gewaltref ormers, Mohammed Resa ruhen. Zwar siegten die Anhänger der wisti schen Expansionsdrang Einhalt zu Schah, herrs chte, ohne zu regieren und Verfassung, aber Stabilität blieb aus: Kurz­ gebie ten. ar n icht unbe liebt. Erst als Anfan der lebige Kabinette folgten einander; das � . Auf iranischer Seite fand sich bald ein funfz Iger Jahre die "Nationale Front" Land stürzte immer mehr in Anarchie. idealer Partner: Er hieß Resa Chan und stärkste politische Kraft und ihr Führer

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Mohammed Mossadegh Premierminis­ ter wurde, verschärfte sich die Lage wie­ der. Nachdem Mossadegh die Erdölvor­ kommen verstaatlicht hatte, inszenierten britische und amerikanische Geheim­ dienste gemeinsam mit konservativen Kräften in Iran einen Staatsstreich, der dem Schah diktatorische Macht eintrug. Dadurch rückten die politischen Kräf­ te wieder auseinander: Was konnte De­ mokratie nützen, wenn ihre westlichen Exponenten das Zwangsregime stütz­ ten? Für die politisch engagierte Jugend Irans wurden Kuba, Algerien und Viet­ nam zu Vorbildern. Im politischen Un­ tergrund bildeten sich marxistische Zir­ kel, die das Schahregime gewaltsam stür­ zen wollten. Auch auf religiöser Seite änderte sich einiges. Nach Resa Schahs Abdankung hatte der Staat seine antiklerikale Politik aufgegeben; im Gegenzug war der Kle­ rus mehrheitlich den politischen Proble­ men ferngeblieben. Im Jahr 1961 starb

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der geistige Führer der Schiiten, Ajatol­ lah Borudscherdi, der als Verfechter die­ ses unpolitischen Kurses gegolten hatte. Ihm folgten eine Reihe von Rechtsge­ lehrten, unter denen sich einer bald grö­ ßerer Bekanntheit erfreuen sollte: Aja­ tollah Ruhallah Chomeini.

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m Juni 1963 hielt Chomeini seine erste Predigt gegen die Willkürherrschaft des Schah. Geschickt unterließ er es, für ein konservatives Religionsver­ ständnis zu werben, und griff stattdessen sozioökonomische und politische Themen auf, die auch in nichtreligiösen Oppositionskreisen auf Resonanz stie­ ßen. Als Chomeini daraufhin verhaftet wurde, kam es zu Demonstrationen, die Dutzende, vielleicht Hunderte das Le­ ben kosteten. Ende 1964 ging der Reli­ gionsführer ins Exil. Die Haltung der iranischen Intelli­ genz zum Westen wurde immer kriti-

scher. Eine Mehrheit der gebildeten Ira­ ner, ob es sich um Liberale, Nationalisten oder Marxisten handelte, war bis dahin westlichen Modellen treu gewesen. Ihre Nachahmung hatte aber nicht den er­ wünschten Fortschritt gebracht. So setz­ te nun die Reaktion ein; viele Iraner be­ gannen sich wieder mehr ihrer eigenen Kultur bewusst zu werden. Den Anstoß zur Rückbesinnung gab der Schriftsteller Dschalal Al-e Ahmed 1962 mit seinem Pamphlet "Gharbsade­ gilt - übersetzt heißt das ungefähr: "vom Westen verdorben". Das Buch macht die blinde Nachahmung des Westens für die Rückständigkeit Irans verant­ wortlich. Nach Al-e Ahmeds Tod 1969 trat der islamistische Ideologe Ali Scha­ riati sein Erbe an. In unzähligen Vor­ trägen entwarf er sein Modell eines kämpferischen Islam, der als "revolu­ tionäre Ideologie" im Gegensatz zum tradierten Glauben der Rechtsgelehr­ ten stehen sollte.

Paradoxerweise p rofitierten die Befürworter eines kämp ferischen Islam vom Erfolg des Schah-Regimes.

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SPI ELFELD DER MÄCHTE C H R O N I K 1 5 01 B I S 1 97 9

rer für einen klerikalen Staat plä­ dierte.

Gebet a m I mam-A I i ­ Schrein i m irakisch en Nadsch af, dem geistige n

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Zentrum der Schiite n

uletzt hatte der Schah die Sympathie fast all seiner Unter­ tanen verspielt. Das Regime in Teheran hatte sich in einen doppe lten Widerspruch verwickelt: Um seine persönliche Machtentfaltung zu rechtfertigen, berief es sich auf uralte monarchische Traditionen aber mit seiner Politik stieß de : Schah das Volks empfinden eben­ jener Iraner vor den Kopf, die am meisten den alten Traditionen verbunden waren . Gleich zeitig empfand sich der Herrscher als Wegb ereite r des Fortschritts' aber die Unterstützung fort� schrittlicher Iraner fehlte ihm denno ch, weil diese einen Fort­ schritt ohne demokratische Frei­ heiten nie hätten akzeptieren mö­ gen. Zudem sahen die meist en Iraner im Schah ohnehin ein Symbol der Fremdherrschaft von angloa merik anisch en Gnaden die Rolle dieser Mächte bei seiner Machtergreifung 1953 blieb ihnen suspekt. Als der Schah 1977 sein Regime zu lockern begann, meinte die ge­ mäßigte Opposition keine andere Wahl zu haben, als mit den Radi­ kalen gemeinsame Sache zu ma­ chen. Chom eini erleichterte ih­ nen das noch, indem er in Reden und Predigten den islami schen Staat unerwähnt ließ und stattdes­ sen demokratische Freiheiten ver­ sprach. Der geei!lten Oppos ition ge­ lang es seit 1978, Millionen Bürger gegen das Regime zu mobilisieren. Wieder waren Iraner im Kampf gegen Willkürherrschaft vereint und wieder machten sie sich von der Al� ternative zur bestehenden Diktatur sehr unterschiedliche Vorstellungen. Dies­ mal aber waren Klerus und Islamisten �uf der Hut: Anders als 1906 gelang es Ihnen 1979, Gemäßigte, Linke und Libe­ rale auszuschalten und eine "Islamische Republik" zu gründen - die erste auf ira­ nischem Boden überhaupt.

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VERSPATETE NATION 1501

entwickelt er sich zum

Schah I s m a i l I. begründet

Zwangsherrscher und w i rd

d i e Dynastie der Safawi­

ermordet.

den, d i e d i e Schia zur Staatsre l i g i o n machen. Er nennt s i c h Schahan­

1 751-1779

Kari m Chan Zand herrscht

i m Süden ( H a u ptstadt

schah.

S c h i ras). Nach seinem Tod

16.-17. J h .

d rä ngen Machthaber aus

Kriege m i t den Osmanen

i m Westen und den Us be­ ken i m Osten.

Safawiden-Reich d u rc h

der Westen kein unanfechtbares Modell mehr war, bildete sich so eine Gegen­ elite, die ihr kulturelles Selbstverständ­ nis bewahrte und den herrsch enden verwestlichten Iranern mit Misstrauen gegenübertrat. Ein Leitbild fanden die­ se neuen Iraner in Ajatollah Chomeini der seit etwa 1970 der Monarchie jeg� liche Legitimität absprach und statt ih-

Da der Westen kein Modell mehr abgab, nahm sich die iranische Gegenelite Chomeini zum Lei tbild. 88

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G ro ß b ritannien stärkt

gekrönt.

Sch ritt für Sch ritt i h re H a n d e l s i nteressen i n Persien.

1891/92

1934

R e s a S c h a h fordert a l l e ausländ ischen Mächte a u f, statt von Persien n u r noch

dem Stamm der Kadscha­

muss Nasred d i n Schah sei­

hegt Sympathien für die

ren b i s 1794 l a ngsam die

ne Ta bakkonzession an d i e

D i ktatoren M ussol i n i ,

Z a n d - Dynastie zurück. Sie

Brite n zurücknehmen.

Franco und H i t l e r.

1906

1941

sung srevolution e r l a u bt

Resa Schah z u r Abdan­

1 779-1 925

I m Zuge einer Verfas­

D i e A l l i ierten zwingen

Die Dynastie der Kadscha­

der Schah Parlamentswah­

kung; sein Sohn Moham­

Osmanen zu einem Höhe­

ren ist von schwachen Re­

len und erklärt sich zur

med Resa Pahlew i fo lgt

p u nkt. Er fördert Verke h r,

genten gekennzeich net.

konstitutionellen M o n a r-

i h m auf dem Thron.

Fri edensschluss m i t den

REZA TAMADDONI 20140501 Paradoxerweise verdankten die Ide­ en Al-e Ahmeds und Schariatis ihren großen Widerhall bei der iranischen Jugend in gewissem Sinne auch den Erfolgen des Schah-Regimes. Die enor­ me Ausweitung des Unterrichtswesens brachte Hunderttausende junge Iraner aus einfachen Verhältnissen in den Ge­ nuss einer modernen Ausbildung. Da

Premier, 1925 m i t d e m Bei­ namen Pahlew i zum Schah

von I ra n zu s p rechen. Er

H a u ptstadt.

Schah A b b a s f ü h r t das

Jh.

D i e Hegem o n i a l macht

Nach schweren Protesten

machen 1788 Tehera n zur

1588-1629

19.

Ha ndel u n d Ku ltur. I sfa h a n

1951-1953

w i rd zur prächt igen R e s i ­

Der Nationa l i st Moham­

denzstadt ausgebaut.

med Mossadegh will d i e Ö lgewinnung d e facto ver­

1624

Schah Abbas erobert

staatlic hen, w i rd aber i m

den I ra k mit Kerbela u n d

August 1 9 5 3 d u rch einen

Na dschaf.

Putsch beseitigt; der be­

1638

kehrt zurück.

I ra k zurück; i n Bagdad

1962/63

reits gefl ohene Schah

D i e Osmanen erobern d e n

In der "we i ßen Revo lution"

kommt es zum Massaker a n S c h i i ten. Die fol g enden

bringt der Schah Landre­

Safawiden-He rrscher ste­

formen, Arbeiter- und Fra u e n rechte auf den

hen zuneh mend unter der Kuratel der Schia-Geist­ l i c hkeit.

Nasreddin Schah besucht den Berliner Zoo 1873 Zeitgenössische Darste l lung

1722

1813/1828

Afg h a n i sche I nvasoren

Aj ato l l a h R u h o l l a h Cho­ meini protestiert öffent­

Zwei demütigende Frie­

kommt jedoch u nter Schah

l ich, w i rd verhaftet u n d

M oham med A l i (1907 b i s 1 909) zum E r l iegen.

m u s s das Land verlassen.

u nter M i r M a h m u d Hotak

densverträge m i t Russland zwingen I ran zum Verzicht

e i n I nterregnum, i n dem

auf den größten Tei l seiner

Osmanen, Russen u n d lo­

Kaukasus-Gebiete, etwa

kale Stä m me Persien auf­

Georg i e n .

1 729-1747

schaltet er gewaltsam aus.

chie bereit. D i e Reform

erobern Isfa h a n . Es folgt

zute i l en versuchen.

Weg. D i e O p position

1907

Die i m mer g rößere Rea l i ­

G roß brita n n i e n u n d Russ­

tätsferne d e s Schahs führt

l a n d vere i n baren E i nfluss­

zu U n ruhen, Streiks u n d

1857

sphären i n nerh a l b I rans.

1 921

Der Frieden von Paris be­

1 978

Massendemonstrationen; das Kriegsrecht w i rd in Kraft gesetzt.

Der Turkmene Nader

endet den pers i sch-briti­

Schah, u nter den Safawi­

schen Krieg um den

den Offi zier, e i n i g t das

Grenzverlauf i n Afg h a n i s­

zier, putscht und beginnt

Land. Nach anfangs er­

tan. Herat fä l l t 1863 end­

e i n autoritär- reformeri­

J a n u a r : Der S c h a h und sei­

fo l g reichem Reg iment

g ü l t i g an Afg h a n istan.

sches Reg i me. 1923 w i rd e r

ne F a m i l i e gehen i n s Exi l .

S P I E G E L G E S C H I CH T E

2 I 2010

Resa Chan, ein Armeeoffi­

1979

89


SPI ELF ELD DER MÄCHTE

D

er Schah liebte es, durch doch mehr als nur eine orientalische 1900 in die Stadt reiste. Die Prachtstraße seine Stadt zu spazieren. Phantasie: Isfahan war eine der ersten Tschahar Bagh vergleicht er mit den Zu Fuß, in Hemd und Un­ modernen Großstädte der Welt, mit öf­ Pariser Champs-Elysees: eine vierfache terhose, ging er zu den Ge­ fentlichen Gärten, Alleen und prächti­ Platanenreihe, die drei Alleen bildet, müsehändlern, den Obst­ gen Brücken. die mittlere für Reiter und Karawanen, verkäufern, zu den Ständen, an denen "Zu einer Zeit, wo wir selbst im Wes­ die seitwärts gelegenen für Spazier­ Konfekt und Eingemachtes angeboten ten an enge Plätze, an winkelige, schma- gänger, alles eingerahmt von Springwurden. Er nahm sich brunnen und Rosen­ hier etwas und da et­ hecken. was, probierte eine Imill rr'i - Platz �frü'her N aksch-e Dschahan) mit �q�igsmoschee Der gepriesene Frucht oder eine Sü­ Bauherr ist Schah Ab­ ßigkeit. Beim Schuh­ bas 1. (1571 bis 1629), macher griff er sich der erfolgreichste Schuhe, zog sie über Safawiden-Herrscher, und schritt weiter. der Isfahan zur Manchmal setzte er Hauptstadt machte. sich in den Schatten Der Schah war ein pa­ eines Teehauses und ranoider Feldherr, hielt Audienz. Isfa­ der im Alter von 16 han, die Stadt, die er Jahren seinen Vater geschaffen hatte, war stürzte und später sein Wohnzimmer. den einen Sohn er­ Polizisten patrouil­ morden, die anderen lierten durch die Stra­ beiden blenden ließ ßen, so dass kaum je doch zugleich ein etwas gestohlen wur­ feinsinniger Kunst­ de. So sicher war Isfa­ liebhaber mit gezwir­ han' dass es nicht ein­ beltem Bart, der mal ein Gefängnis Orangenwasser des­ gab. Auch Steuern tillierte, Stoffe webte wurden nicht erho­ und den Sattel sei­ ben, und die Bürger nes Lieblingspferdes waren freier und rei­ selbst nähte. cher als in Europa, Er liebte die schwärmten die aus­ Schönheit, und er ländischen Besucher. liebte die Macht, und "Sogar die ärmsten er erkannte bald, dass Frauen tragen silber­ sich beides in einer ne Schmuckstücke an prächtigen Stadt zu­ den Armen, Füßen sammentut. So plante Schah Abbas 1. war Feldherr und feinsinniger er und am Hals und ei­ eine Metropole, in nige auch Goldmün­ der Mitte des Reiches Kunstliebhaber, und so entwarf er eine zen", schrieb der fran­ gelegen, ebenbürtig zösische Reisende Stadt groß wie London und prächtig wie Paris, mit Konstantinopel Jean Chardin, der im die noch immer die Perle Persiens ist: Isfahan. urid Kairo, wo der Jahr 1666 nach Isfa­ Traum von einer "un­ han kam. Sein Einendlich währenden druck: "Das ist das flo­ jenseitigen Garten­ rierendste und zufrie­ wonne im kühlenden denste Reich der Schatten des Paradie­ Welt." ses" schon im DiesKeine Stadt hat seits Gestalt annahm, Von JULIANE VON MITTELSTAEDT das Bild vom magi­ wie der Reisende AI­ schen Orient so gefred Renz schrieb. prägt wie Isfahan, die einstige Oase in le Gassen gewohnt waren, ein ganzes Eine Stadt, die Persien vereinen und in der Salzwüste, umrahmt vom Zagros­ Jahrhundert, bevor man die stolzen Per­ der Welt bekannt machen würde - und Gebirge. Hier wuchsen die Rosenstöcke spektiven von Versailles entwarf, hat die­ mit ihr Schah Abbas. hoch wie Bäume, hatten die Paläste De­ ser Mann des Orients das großartige Als Abbas Isfahan im Jahr 1598 zur ckengewölbe aus Spiegeln und unter­ Ebenmaß, die Entfaltung der Allee ent­ Hauptstadt erkOl� gab es dort nicht mehr irdische Säle aus Marmor, in denen an sonnen und geschaffen, die niemand als eine verödete Siedlung. Er ließ die Sommertagen Wasser die Wände hinab­ nachzuahmen verstanden hat", schrieb besten persischen Kalligrafen, Architek­ floss. Eine Zauberstadt voller Luxus und der Franzose Pienoe Loti, als er im Mai ten, Handwerker und Wissenschaftler

kommen, dazu warb er in der ganzen baren Steinen." So verklärt beschrieb Welt um Künstler. Aus Indien und China Pierre Loti später das Isfahan des brachten sie Kobalt- und Indigofarben Schahs Abbas, wie viele Reisende vor mit, die sie nach einem geheimen Ver­ und nach ihm. Aber auch zeitgenössi­ fahren brannten, um das Blau der Fayen­ sche Autoren schwärmten von der Stadt cen und Mosaike zu erschaffen. An die als Paradies auf Erden, und so strömten Palastwände malten die Italiener Frauen Tausende von Europäern nach Persien, der Renaissance mit Medici-Kragen, die Missionare wie Geschäftsleute, For­ Chinesen anmutige Tänzerinnen mit scher und Abenteurer. Dazu Gesandt­ schaften vom russischen Zarenhof, von schrägen Augen. "All das flimmert, glitzert in so kräfti­ indischen Mogulen - sogar aus China gen, wunderbar blauen Tönen, dass man kamen Karawanen. Das lag nicht nur an der Schönheit unwillkürlich an Edelsteine, an Paläste aus Saphiren, an einen überirdischen der Stadt, sondern auch daran, dass der feenhaften Glanz denkt", schrieb Pierre Schah sie zu einer der reichsten Han­ Loti in seinem Reisetagebuch. "Lapisla­ delsstädte des Orients ausgebaut hatte zuli und Türkis in ewiger Abwechslung, - auch mit Gewalt. Er ließ 30 000 arme­ eine Apotheose des Blaus. Die Ströme nische Kaufleute aus Dschulfa deportie­ kleiner blauer Eiszapfen, die Ströme klei­ ren, damit sie in Isfahan ihre Netzwerke ner blauer Prismen fließen von der Kup­ von China bis Europa spannten. So wur­ pel herab und überfluten an einzelnen de die Stadt für einige Jahrzehnte zum Stellen die vielen blauen Muster der Zentrum des Welthandels. Aus dem Os, ten kamen Gewürze, Seide, Porzell an Wände." Vor allem aber schuf der Schah ein und Stoffe, aus dem Westen Silber und neues Stadtzentrum und in dessen Mit­ Gold. Die Basare schwollen an auf eine telpunkt einen Platz, der noch immer ei­ Fläche von 17 Quadratkilometern. Sogar ner der größten der Welt ist: 500 Meter der weitgereiste Entdecker Marco Polo lang, 150 Meter breit, vollständig um­ rühmte die Qualität der Stoffe aus Gold rahmt von Arkaden, größer als der Rote und Seide. Er notierte in seinem Reise­ Platz in Moskau, prächtiger als der Pe­ bericht: "An jeder Sorte Getreide, an tersplatz in Rom. Naksch-e Dschahan, Wein und Früchten herrscht Überfluss." Aber die Glanzzeit endete so jäh, wie "Entwurf der Welt", taufte Abbas den sie begonnen hatte. Als der Schah nach Platz. Um ihn herum ließ er Arkaden er­ über 30 Jahren Regentschaft im Jahr richten, die in den Basar führten, außer­ dem seine Residenz, den Ali-Kapu-Pa­ 1629 starb, begann der Niedergang Isfa­ last, sowie die Königsmoschee und die hans, dahingerafft von Dekadenz und Unfähigkeit seiner Nachfolger. Am Ende filigrane Lotfallah-Moschee. Der Platz sollte Weltliches und Geist­ übergab Schah Hossein 1. die Stadt den liches verbinden, Macht und Kultur, Re­ einfallenden Afghanen, und als sein ligion und Handel; er war Marktplatz, Nachfolger Nadir die Stadt ein Jahrhun­ Hinrichtungsstätte, Festplatz, Parade­ dert nach dem Tod von Schah Abbas zu­ feld, nicht zuletzt Austragungsort der rückeroberte, war Isfahan nur noch ein Polospiele, die der Schah so liebte. Tags Schatten seiner selbst. Ende des 19. Jahrhunderts lebten we­ standen hier Buchbinder, Schmiede, Ge­ niger als 50 000 Menschen in der Stadt. würzhändler, nachts bevölkerten ihn Der Boulevard Tschahar Bagh "ist von Märchenerzähler, Akrobaten und Pros­ tituierte. So war Naksch-e Dschahan ein unbeschreiblicher Melancholie, ein fast Spiegel der Gesellschaft und Politik, ein verödeter Verbindungsweg zwischen zwei Trümmerfeldern", schrieb Pienoe Persien in Miniatur. Hatte 1598 noch kaum jemand außer­ Loti. "Jeder, der Lust hat, kann die weni­ halb Persiens von Isfahan gehört, so war gen, noch aufrecht stehenden Paläste be­ die Stadt bald so groß wie London und treten, wo die empfindlichen Wände zu ebenso berühmt. "Esfahan nesf-e Dscha­ Staub zerfallen und wo die Afghanen aus han" so lautet seither ein iranisches Fanatismus bei ihrer Ankunft die Gesich­ ter der auf den Fayencetafeln gemalten spridhwort: Isfahan ist die halbe Welt. Zu seiner Zeit floss alles Gold Asiens schönen Damen zerstört haben." Am na�h Isfahan; die Glasurpaläste schos­ meisten bedauerte Loti aber den Verlust sen so schnell wie Maiengras aus der der Farbe: ,:vor allem gibt es das Blau Erde hervor; und Kleider aus Brokat, nicht mehr, das leuchtende, tiefe, fast Kleider aus gold- und silbergewirkten übernatürliche Blau, das die Kuppeln der Stoffen wurden tagtäglich auf den Stra­ alten Moscheen in der Ferne wie Haufen ßen getragen, ebenso Broschen aus kost- kostbarer Steine erscheinen lässt."

REZA TAMADDONI 20140501

Die halbe Welt

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SPIEGEL GESCHI CHTE

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SPIEGEL GESCHICHTE

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wörtliche Übersetzung von "Schiat Ali", aus einer politischen zur religiösen Be­ wegung. Als Sieger aus dem Kampf ging Kalif Jasid hervor; seine Anhänger, die Sunniten, dominieren seitdem die isla­ mische Welt (siehe Kasten Seite 60). Nur gut zehn Prozent aller heutigen Musli­ me sind Schiiten. Die historische Niederlage von Ker­ bela empfinden die Schiiten noch heute als kollektive Schuld, allerdings nicht im Sinne einer Erbsünde wie im Christen­ tum, sondern als Versagen der ganzen "Partei". Diese Schuld kann aus Sicht der Schiiten nur mit dem eigenen Blut, durch ein Selbstopfer, abgestreift wer­ den. Und so leben die Rituale der soge­ nannten Büßer aus der Gründerzeit der Schia noch heute in den Aschura-Bräu­ chen und im Passionsspiel fort. Alljährlich am zehnten (" Aschura") Tag des Monats Muharram, des ersten Monats im islamischen Kalender, erin­ nern die Schiiten an den Tod Hosseins mit Selbstkasteiungen auf offener Straße. Tausende von jungen Männern ziehen dann in Trauer-Prozessionen durch die Städte, schlagen sich fest mit der Faust auf die Brust oder verletzen sich mit Messern das Gesicht, bis Blut fließt. Die Schia ist ursprünglich eine arabi­ sche Entwicklung, ihre Wurzeln liegen im heutigen Irak. Dort haben sich die entscheidenden Ereignisse der schiiti­ schen Passionsgeschichte ereignet, dort liegen die Grabheiligtümer von sechs der zwölf Imame, und dort ist im Mit­ telalter die Theologie der Schia entwi­ ckelt worden. Durch die Gründung der arabischen Kolonie Ghom im 8. Jahrhun­ dert fassten die Anhänger der Schia je­ doch auch in Iran Fuß. Den Aufstieg zur Volksreligion in Iran . verdankt die Schia der Dynastie der Sa­ fawiden. 1501 wird der erst 15-jährige Is­ mail, geistliches Oberhaupt eines aser­ baidschanischen Derwisch-Ordens, zum König der Könige ausgerufen. Der junge Schah unterwirft innerhalb weniger Jah­ re ganz Iran und Irak seiner Herrschaft, nachdem er sich selbst zum Nachfahren des sechsten Imams und das schiitische Bekenntnis zur Staatsreligion erklärt hat. Die Bekehrung der bis dato überwie­ gend sunnitischen Iraner dauert lange. "In Iran gab es, von den wenigen Schia­ Gelehrten in Ghom, Maschhad und Rai abgesehen, nur wenige Theologen", schreibt der Islamwissenschaftler Wil­ fried Buchta. "Daher waren die Safawi­ den-Schahs gezwungen, arabische Schia-Gelehrte aus dem Südlibanon,

dem Irak und von der Golfküste nach Iran zu rufen, um dem Land eine schii­ tische Infrastruktur zu geben und die Schia im Volk zu verbreiten", schildert Buchta den Vorgang, der sich über meh­ rere Generationen hinzog. "Durch die konsequente staatliche Förderung der Schiiten wurden andere religiöse Strömungen mit der Zeit ver­ drängt", ergänzt der Schia-Experte Heinz Halm. "Bis zum Ende des 17. Jahr­ hunderts hatten so der Klerus und die Monarchie Hand in Hand Iran in ein überwiegend schiitisches Land verwan­ delt." Bis heute hat der iranische Staat mit rund 85 Prozent den höchsten Be­ völkerungsanteil an Schiiten aller isla­ mischen Länder. Die Herrscher der Safawiden begüns­ tigten die Theologen der Schia jedoch nicht nur, indem sie ihnen Macht und

Hoheit bescherten. Sie übertrugen ihren heiligen Stätten und theologischen Zen­ tren auch umfangreichen Stiftungsbesitz. Bis heute mehren Gaben von EinzeI­ personen, Zuflüsse aus Testamenten, aber auch Spenden hoher Politiker die Bedeutung der unzähligen schiitischen Stiftungen in Iran. Das Geld kann auch vom Staat nicht konfisziert werden - die Übertragung in eine Stiftung widmet es bis zum Jüngsten Tag dem religiösen Zweck. Im Laufe der Zeit ist so ganz ohne eine institutionalisierte Abgabe wie etwa die Kirchensteuer ein stattli­ ches Vermögen gewachsen, das von den Ajatollahs selbst verwaltet wird und ih­ nen seit Jahrhunderten finanzielle Un­ abhängigkeit von den jeweiligen Regie­ rungen garantiert. "Moscheen, Pilgerstätten, Schulen alle nur denkbaren schiitischen Institu­ tionen im heutigen Iran wer­ den dadurch finanziert", er­ S C H I ITEN läutert Halm. "Die Dominanz von theologischen Hochbur­ Die zwölf Imame gen der Schia wie etwa Ghom sind ohne das Stiftungswesen Wenn ganz a l lgemein von Schi iten d i e Rede nicht denkbar." ist, sind in der Regel die sogenannten Zwöl­ Die goldene Kuppel des fer-Schi iten oder " I ma miten" gemei nt. Sie Schreins der "unfehlbaren" erkennen folgende Imame an: Fatima, die mit filigranen Fliesen verzierte Freitagsmo­ 1. A l i I b n Abi Tal i b (AIi) (gest. 661) schee und die daran anschlie­ 2. Hassan Ibn Ali (gest. zw. 670 u. 680) ßende juristisch-theologische 3. Hossein I b n A l i (gest. 680) Hochschule, die Faisija, mit 4. Ali Sain a l-Abidin (gest. um 713) ihren heute Zehntausenden 5. Mohammed al-Ba kir (gest. um 733) von Studenten - all diese 6. Dschaafar al-Sadik (gest. 765) Wahrzeichen von Ghom ver­ danken ihr Dasein Stiftungen 7. Mussa al-Kasim (gest. 799) der Kadscharen-Dynastie 8. Ali al-Rida (gest. 818) (1796 bis 1925). 9. Mohammed al-Taki (gest. 835) Diese Herrscher waren es 10. Ali al-Hadi (gest. 865) auch, die Ghom zur bevorzug­ 11. Hassan al-Askari (gest. 873) ten Grabstätte auserkoren. Unzählige taten es ihnen bis Der zwölfte I mam, Mohammed al-Mahdi, heute gleich. soll, von Gott entrückt, bis heute leben. Von Als im vergangenen Dezem­ seiner Wiederkehr erwarten die Zwölfer­ ber der iranische Regimekriti­ Schiiten die i rd ische Erlösung; er ist für sie ker und Großajatollah Hossein das einzig legitime weltliche O berh a u pt. Ali Montaseri in der Schiiten­ Darüber hinaus g i bt es zwei Abspaltungen Hochburg beigesetzt wurde, innerh a l b der Schia. Für die Ismail iten, auch zeigte die Stadt wieder einmal S iebener-Schi iten genannt, endet die Linie ihr trauriges Gesicht. Hundert­ der Imame nach dem Tod von Ismail, dem tausende von schwarzgewan­ Sohn und Nachfolger des sechsten I mams deten Anhängern begleiteten zu d i eser Gruppe gehören beispielsweise d i e den Sarg des Verstorbenen. Ismailiten d e s Aga K h a n o d e r Assassinen Und ihre wütenden Parolen (siehe Seite 64). Die Said iten oder Fü nfer­ gegen die Regierung in Tehe­ Schi iten wiederum führen i h re Konfession ran wehten durch die staubi­ auf den Sohn des vierten I mams, Said, zu­ gen Straßen wie ein lautes kol­ rück. Sie leben heute ü berwiegend i m Nord­ lektives Schluchzen des irani­ jemen und stehen den S u n n iten relativ nahe. schen Volkes.

REZA TAMADDONI 20140501 D

ie staubige Wüste um­ schlie ßt die Stadt Ghom fest wie eine Halskrause. Mehr als eine Million Schiiten pilgern jedes Jahr in die heilige Stadt, gut 130 Kilome­ ter südlich von Teheran gelegen. Ihre klapprigen Kleinbusse, die dem Kampf gegen Hitze und Trockenheit erlegen sind, reihen sich auf dem Standstreifen der Autobahn wie Perlen auf einer Ge­ betskette. Aus den Fahrzeugen klettern Frauen, ganz in Schwarz gehüllt, selbst viele Männer sind dunkel gekleidet. Ghom trägt Trauer - das ganze Jahr über. Tränen und Tschadors prägen das Stadtbild ebenso sehr wie die prächtige vergoldete Kuppel des Fatima-Schreins. Der moderne Lyriker Nader Naderpur

beschrieb die Schiiten-Hochburg in ei­ bühren können daran nichts ändern. Seit nem Gedicht: Jahrhunderten wünschen sich gläubige So viele tausend Frauen,! So viele tausend Schiiten, in der Nähe der Fatima Maa­ Männer, / Die Frauen, ein Tuch auf dem sume, der Schwester des achten Imams Kopf, / Die Männ er, den Aba auf den Ali al-Ri da, begraben zu werden. Schultern,/ Eine goldene Kuppel! Mit al­ Neben Maschhad im Nordosten des te� Stör�hen, / Ein freudloser Garten / Landes ist Ghom die wichtigste Pilger­ MIt vereznzelten Bäumen. / Kein Lachen stätte der schiitischen Muslime auf ira­ erklingt dort,/Kein Gespräch ist zu hören. nischem Bode n. Leide n und Schmerz / Ein halbleeres Becken/ Mit grünlichem die am Grab der Fatima für westliche Au� Wasser, / So viele alte Krähen / Aufzahl­ gen oft auf übertrieben dramatische Wei­ losen Steinen. / Die Menge der Bettler / se zur Schau getragen werden, sind Be­ Auf Schritt und Tritt, / Helle Turbane / standteil einer jahrhundertealten schii­ Finstere Mienen. tischen Tradition, die ihre Wurzeln in In Ghom sind die rund eine Million der Entstehungsgesch ichte der Schia hat. Lebenden in der Minderheit - die Stadt Nach der Niederlage und dem Mär­ gehört den Toten. Jeden Tag treffen sie tyrertod des dritte n Imams Hossein in hier ein, Leich name aus allen Teilen der Schlacht von Kerbela im Jahr 680 Irans, auch die steigenden Friedhofsge- entwickelte sich die "Partei Alis", so die

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SPIEGEL GESCH ICHTE

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Was -u:äre P�rsien..ohne Tepp�che? Unter den Safawiden errezchte dze Knupfkunst sezt 1500 einen Höhepunkt.

PARADIES DER KNOTEN Von THORSTEN OLTMER

C �lOn � eit Jahrta� senden sind Tep­ gleichmäßigen Faden, all diese Vorarbeiten ge­ pIche 1m nomadIschen und bäuer­ hören schon zur Teppichherstellung. Aber lichen Alltag Persiens geläufig dann kommen die Farben: Verwendet werden als Gebetsunterlage oder Boden ­ natürliche Stoffe, für Schwarz und Dunkel­ bedeckung im Noma denze lt, als Wandbehang oder Kissen bezug bei Hofe. braun etwa Walnussschalen und Tabak. Safran Edle Stücke waren aufbewahrenswert. Aller­ oder Granatapfelschalen geben schönste Gelb­ dings versch leißen Gewebe nun einmal ir­ töne, das tiefe Blau liefern die Blüten des Indi­ gendwann. Daher haben kaum Teppiche über­ gostrauchs, sattes Rot gewinnt man aus Kirsch­ dauert, die älter als 400 Jahre sind. Aus der saft oder ausgekochten Schildläusen. Ihre ge­ nauen Rezepturen halten die Färberneister Zeit vor 1600 sind nur Fragmente bekannt. streng geheim. Wie in Persien zahlreiche Sprachen und Hochwertige Teppiche müssen auf einem Dialekte gesprochen werden, gibt es auch in Webstuhl hergestellt werden. Nur seine me­ Stil und Motivik, bei Formen und Farben gro­ chanische Konstruktion erlaubt es, die Kett­ ße regionale Unterschiede. Lange bevor es fäden des Grundgewebes unter Spannung höfische Manufakturen gab, wurden auf dem und in genau gleichem Abstand voneinander Land bei Bauern und Nomaden in Tausenden Dörfern Teppiche geknüpft. Man stellt ein­ zu halten. Die Breite des Knüpfstuhls be­ fache Ware her, aber mono ton ist sie deshalb stimmt die Breite des Teppichs; dagegen kann er fast beliebig lang werden, weil man die nicht. Der traditionelle Gabbeh etwa ist ein Kettfäden auf dem Kettbaum aufrollt. Das grober, ungeschorener Wollteppich mit ho­ eigentliche Knüpfen, eine monotone und hem, zottigem Flor. Hier lassen die Nomaden­ anstrengende Handarbeit, verrichten traditio­ frauen ihrer Phantasie freien Lauf; die schnel­ le Herstellung mit wenigen Knoten lässt nur nell Frauen oder Mädchen; nur in den Hof­ manufakturen sind Männer beschäftigt. Von einfache geometrische Muster zu. unten nach oben knüpfen die Weberinnen, in­ Je höher die Zahl der Knoten pro Fläche, desto feinere Motive werden möglich. Das dem sie je zwei Kettfäden umschlingen: Bei Grundgewebe besteht aus robuster Baumwolle komplexen Motiven muss oft für jeden Kno­ für den Flor kommt überwiegend Schafwolle: ten eine andere Wollfarbe verwendet werden. seltener Kamelhaar zum Einsatz. Das Scheren Der fertigen Knotenreihe folgen zwei Reihen der Tiere, das Waschen und Kämmen der Wol­ Schussfaden zur Stabilisierung. Nun wird mit le, das Verspinnen oder Zwirnen zu einem einem groben Kamm die neue Lage nach un­ ten "geschlagen", um das Gewebe dichter und

S

fester zu machen. In Persien arbeitet man überwiegend mit dem Senneh-Knoten, be­ nannt nach dem heutigen Sanandadsch nahe der irakischen Grenze. Die Webmuster haben die Knüpferinnen im Kopfoder als Vorlagen aufPapier. Zum Schluss entstehen an den Schmalseiten die Fransen aus kunstvoll verflochtenen Kettfäden. Es folgt eine stundenlange harte Arbeit: die Schur. Sie bringt den Flor auf einheitliche Höhe. Schließ­ lich wird ein guter Teppich noch in einem mehrstufigen verfahren gewaschen und in der Sonne getrocknet. Die gesamte Herstellung kann Monate, sogar Jahre in Anspruch neh­ men. Oft wird berichtet, dass an den besten Teppichen nur eine einzige Person geknüpft habe; arbeiten mehrere an einem stück, seien die Unterschiede in der "Handschrift" deutlich zu erkennen, die Qualität geringer. Anfangs regiert bei den Mustern die Geo­ metrie. Mit der Einigung des Landes unter den Safawiden seit 1500 und der Durchset­ zung des schiitischen Islam erschienen dann immer mehr Blumen, Tiere und Menschen auf den Teppichen: Ob Fabelwesen im Kampf, brütende Vögel, Jagden zu pferde oder höfi­ sche Szenen, fast alle Bereiche des Lebens sind naturalistisch wiedergegeben. Eine besondere Gruppe bilden die Gartenteppiche. Ihre blü­ henden Bäume und Sträucher, die Bäche, Seen und Wasserbecken symbolisieren die Sehn­ sucht nach dem Paradies. Im Vergleich etwa zu anatolischen Webereien glänzen persische Teppiche durch ihre Figurenfülle. Sehr häufig prangt in der Mitte eine beson­ dere Zone, das Medaillon. Es entstand parallel zum Aufstieg und zur höfischen Anerken­ nung von Kalligrafie und Miniaturmalerei die Bereiche befruchteten sich gegenseitig. Schah Abbas I., ab 1587 an der Macht, erhob als Förderer der Kultur auch die Teppich­ knüpferei zur Hofkunst; in der neuen Haupt­ stadt Isfahan und anderen wichtigen Städten ließ er Manufakturen einrichten. Miniatur-

maler aus Zentren der Kunst wie Herat und Täbris bildeten die Mustergestalter aus. Noch heute werden so Plan und Feldauf­ teilung der oft vier bis fünf Meter l angen Kunstwerke auf fein gerastertem Papier ent­ worfen. Dünne, verschlungene Arabesken und stilisierte Ornamente werden mit Lotus­ blüten und Palmetten kombiniert. Die Schmuckelemente umfließen in scheinbar un­ endlicher Wiederkehr die Figuren; den Mit­ telraum durchwuchern sie in symmetrischer Regelmäßigkeit, nur im Zaum gehalten von der Borte, die sie von der Hauptbordüre trennt. Im Randbereich setzt sich die Farb­ und Formenorgie fort: Vieleckige Medaillons, Rosetten und Blätter an gegabelten Weinran­ ken sind zu sehen, häufig taucht das soge­ nannte Herati-Motiv mit seinem komplexen Zusammenspiel floraler Elemente auf. Dem Erfindungsreichturn sind kaum Gren­ zen gesetzt; der Ehrgeiz der Knüpfer liegt auch darin, die Farben immer wieder zu vari­ ieren. Sogar Gold- und Silberfäden verarbei­ ten sie. Kleine und kleinste Farbgebiete ste­ hen beieinander; je mehr Details man wollte, desto mehr Knoten waren nötig. Über eine Million Knüpfungen pro Quadratmeter wur­ den schon zu Zeiten von Schah Abbas er­ reicht. Das konnten die Weber nur mit den teuren, feinen Seidengarnen schaffen. Folgerichtig brachte Abbas den Seidenhan­ del unter staatliches Monopol. Mit dem Ende der Dynastie 1722 setzte der allmähliche Niedergang ein. Seit den späten sechziger Jah­ ren des 19. Jahrhunderts importierte Persien große Mengen der neuen Anilinfarben aus Europa. Doch die Farbstoffe waren weder lichtecht noch wasserfest, sie schädigten so­ gar die Wollfasern. 1903 wurde ihre Verwen­ dung in Persien bei Strafe untersagt. Noch heute leben in Iran nach Schätzun­ gen über eine Million Menschen von der Tep­ pichweberei für den heimischen Bedarf und den Export - eine blühende Tradition.

REZA TAMADDONI 20140501


S P I E L F E L D D E R MÄC H T E

D

ieser Auftritt blieb den Ber­ Luxus und Dekadenz. Die Reise wurde en von Natur aus Sklaven und Sklaven­ linern der Gründerzeit un­ zur Begegnung zwischen Morgenland seelen. Unter den Persern sei nur einer vergesslich: Persiens Herr­ und Abendland verkürzt. frei, der Großkönig selbst. scher Nasreddin Schah er­ Wie im Brennglas vereinigt die große Nach diesem Muster blieb Persien im wies der Hauptstadt des Schah-Manie von 1873 im Fanal der Mas­ Gründungsmythos Europas die ewige neuen Deutschen Reiches die Ehre sei­ senkultur das tiefverwurzelte Bild vom Antithese - sogar für die klügsten Köpfe. nes Besuchs. Am 31. Mai 1873 begrüßten Orient, das der Literaturwissenschaftier Der Sieg von Marathon sei selbst für die Kaiser Wilhelm 1. und Kanzler Otto von Edward Said 1978 in seinem einflussrei­ englische Geschichte wichtiger gewesen Bismarck den Regenten und sein Gefolge chen Buch "Orientalism" und dem Nach­ als die Schlacht von Hastings, verkünde­ am Potsdamer Bahnhof, dann zogen folgeband "Culture and Imperialism" te der britische Philosoph John Stuart Schah und Kaiser gemeinsam im offenen durchleuchtet hat. Die Exotisierung des Mill 1846. "Wäre das Ergebnis anders Wagen in Berlin ein. Orients und das Bild eines polaren Ge­ ausgefallen, dann liefen Briten und Sach­ Fahnen und Banner schmückten die gensatzes zwischen West und Ost, so sen möglicherweise noch heute in den Straßen, Schaulustige drängten sich; vie­ Said, dienten Europäern vor allem zur Wäldern herum." Aus ähnlicher Überle stiegen auf Busse, Bierwagen zeugung schlug der französische und Bäume, nur um einen kurzen Altphilologe Michel Breal vor, den Blick auf den Potentaten zu erha­ Marathonlauf zur olympischen Finstere Despoten oder schen. Händler mit Bauchläden Disziplin zu machen; 1896 hatte boten Schah-Biografien, Schah­ er Erfolg. feinsinnige Schwelger - aus Gedichte und -Bilder an. Eine ei­ der Sicht Europas waren gene "Schah-Fest-Zeitung" erklärAuch die großen Historiker te das Geschehen. Gazetten druckdes 19. Jahrhunderts bedienten die Perser immer etwas ten Wortspiele, Karikaturen und sich des alten Schemas. So be­ Besonderes. Noch die Furcht schrieb Johann Gusta� Droysen in Schah-Witze, Restaurants grillten "Koteletts a la Schah", Barbiere seiner lange maßgeblichen "Ge­ vor dem Teheraner Mullahwarben für den "Schah-Scheitel", schichte des Hellenismus" 1836 und Blumenläden erfanden die "zweihundertjährigen Kämpfe Regime wird von uralten "Schah-Bouquets". Tabakhändler der Hellenen mit den Persern" Feindbildern gespeist. versuchten, die relativ teure als "das erste große Ringen des "Schah-Zigarre", zuvor bekannt Abendlandes mit dem Morgenlan­ als "Märker" oder "Pfälzer", an de, von dem die Geschichte weiß". den Mann zu bringen. Hatte doch schon sein ge­ Deutschland nur Nicht schichtsphilosophischer Vorbote schwelgte. Es war das erste Mal, Georg Wilhelm Friedrich Hegel dass ein persischer Herrscher gelehrt: Im Kampf gegen die Per­ Europa bereiste; Szenen wie in ser habe das "Interesse der Welt­ Berlin gab es, wo immer der Mo­ geschichte" auf "der Waagschale narch erschien, in St. Petersburg, gelegen", zum Glück hätten "weltWien, Paris. Mark Twain meldete historische Siege" der Hellenen sich für den "New York Herald" "dem asiatischen Prinzipe alle in einer ganzen Artikelserie aus Kraft entzogen". London zu Wort: "Die Straßen Die Unterschiede zwischen Von DAVID MOTADEL sind meilenweit vollgestopft mit dem alten Persen·eich, dem Per­ Menschen, die stundenlang auf sien der Neuzeit und dem Orient eine Gelegenheit warten, einen überhaupt vei·schwammen. Dass Blick auf den Schah zu werfen. Ich habe Selbstvergewisserung. Häufig fühlten der "orientalische Despotismus" die na­ noch nie einen Mann gesehen, der so sie sich dabei dem angeblich rückschritt­ türliche Form asiatischer Herrschaft sei, eine Anziehungskraft ausübt wie die­ lichen, despotischen Orient zivilisato­ galt spätestens seit Charles-Louis de ser." risch überlegen. Montesquieu im 18. Jahrhundert als aus­ Als Nachhall des Spektakels entstan­ Die Ursprünge dieser Polarität rei­ gemacht. Zwar hatte der große Staats­ den Groschenromane mit Namen wie chen weit in die Geschichte zurück. Der theoretiker noch 1721 in seinen "Lettres "Nasr-ed-Din Schah von Persien oder Althistoriker Hans-Joachim Gehrke Persanes" zwei imaginäre persische der Verbannte zu Täbris und die Rose sieht sie in der Antike verankert: Im klas­ Aristokraten scharfsinnig die europäi­ von Schiras" und Theaterstücke wie die sischen Athen wurde der Sieg der Grie­ schen Zustände kritisieren lassen. Doch Komödie "Nassr-ed-Dhin der Perser­ chen in den Perserkriegen zur Entschei­ im Hauptwerk ,,vom Geist der Gesetze" Schah: Genrebild in 2 Akten". Einige dung zwischen Prinzipien überhöht. (1748) nutzte er die alte Polarität als Pfei­ Monate nach dem Besuch hatte in Mün­ Hellenische Freiheit stand gegen ein an­ ler seiner Theorie. Aus blanker Furcht chen die romantische Oper "Der Schah gebliches Zwangsregime; westliche Zi­ terrorisiere der orientalische, ja über­ von Persien" Premiere. Die Unterhal­ vilisation, Freiheit und Ordnung muss­ haupt asiatische Tyrann seine Unterta­ tungswerke lockten mit schwülstigen ten sich gegen Tyrannei, Willkür, Un­ nen; Montesquieu schilderte ihn als de­ Haremsphantasien, Geschichten von recht und Maßlosigkeit behaupten. Aris­ kadent, entartet und wollüstig und grausamen Despoten, orientalischem toteies behauptete gar, die Barbaren sei- machte für die angeblichen Verirrungen

REZA TAMADDONI Die 20140501 Franzosen Asie ns

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SPIELFELD DER MÄCHTE

schließlich das heiße Kli­ ma verantwortlich. Aber es gab auch ande­ re Sichtweisen, abseits der Stereotypen, oft er­ staunlich detailbewusst und bisweilen sogar posi­ tiv. Schon einige antike Autoren wie Herodot, Platon und Xenophon hatten sich respektvoll ge­ äußert. Erheblich wichti­ ger wurde dann die Bibel. Die alttestamentliche Ge­ schichte vom Großkönig Kyros, der den Juden die Rückkehr aus der babylo­ nischen Gefangenschaft erlaubt, führte dem Mit­ telalter und folgenden Ge­ nerationen einen weisen Orientalenherrscher vor. Als in der späteren Re­ naissance immer mehr europäische Händler und Reisende das Land be­ suchten, entdeckten sie begeistert seine komplexe Kultur, feinsinnige Litera­ tur und Philosophie. Le­ ser ihrer Reisebeschrei­ bungen lernten ein fernes Reich geistvoller Eleganz kennen. Besonders im elisabe­ thanischen England frisch­ ten die Berichte das Per­ sienbild nachhaltig auf. Sir Anthony Sherley, der sich 1598 am Hof des legendä­ ren Schahs Abbas aufge­ halten hatte, wetterte nach der Rückkehr gegen die Vorurteile gegenüber dem Schah, "den wir barba­ risch nennen, obwohl wir von seinem Beispiel viele große und gute Dinge ler­ nen können". Der entstehende Buch­ markt verbreitete solche Urteile zügig. Selbst Shake­ speare, ein Zeitgenosse Sherleys, ließ sich von ih­ nen inspirieren: In seiner "Komödie der Irrungen" werden kommerzielle Per­ sienreisen erwähnt; im "König Lear" wird über persische Mode diskutiert. Immer mehr, immer genauere Berichte verfei98

nerten im 17. Jahrhundert das Urteil. Reisende ka­ men mit der britischen und der niederländischen Ostindienkompanie nach Persien, schließlich auch als Missionare. Aus dem deutschen Lemgo stamm­ te Engelbert Kaempfer, der seit 1683 als Arzt und Sekretär einer Gesandt­ schaft der schwedischen Krone das Safawiden­ Reich bereiste. Kein ande­ rer jedoch hat damals Europas Wissen über Per­ sien so entscheidend ge­ prägt wie der hugenotti­ sche Edelsteinhändler Sir John Chardin. Zwischen 1665 und 1677 verbrachte Chardin insgesamt acht Jahre in der Region. Er sprach flie­ ßend persisch, las persi­ sche Poesie und pflegte Kontakte bis hinauf zum Schah, der ihm die Ehren­ titel "Königlicher Kauf­ mann" und "Hofgold­ schmied des Schah" ver­ lieh. Sein auch heute noch beeindruckender zehn­ bändiger Reisebericht, erst 1711 gedruckt, ist die um­ fangreichste Persien-Dar­ stellung des 18. Jahrhun­ derts; sie erschien gleich in mehreren europäischen Sprachen. Über die Geselligkeit der Perser hatte Chardins Zeitgenosse John Fryer einiges zu berichten. "Es ist nicht zu fassen, welche Mengen (an Wein) sie bei einem heiteren Treffen trinken und wie unbe­ kümmert sie am nächsten Tag erscheinen", notierte er 1698. "Sie werden so mit dir zusammen eine ganze Woche saufen." Dergleichen Nachrich­ ten beeindruckten noch Immanuel Kant, der die Perser 1764 respektvoll zu den "Franzosen von Asien" erklärte: "Sie sind gute Dichter, höflich und von ziemlich feinem Ge­ schmacke." Der philo-

soph wusste sogar: "Der Schiraswein soll der köstlichste in der Welt sein"; aller­ dings fügte er rasch hinzu: "Man trinkt ihn nur heimlich, aber man berauscht sich öffentlich an Opium." Schwang darin noch ein Rest von Arg­ wohn mit, so glaubte die nächste Gene­ ration deutscher Intellektueller in der Ferne enge Geistesnachbarn zu entde­ cken. In seinem "West-östlichen Divan" (1819) ließ sich Goethe vom persischen Lyriker Hafis anregen und feierte das Vorbild. "Wer sich selbst und andre kennt / wird auch hier erkennen: / Ori­ ent und Occident / sind nicht mehr zu trennen." Sogar an persischer Schrift ver­ suchte sich der begeisterte Geheimrat. Kein Wunder, dass Irans Präsident Mo­ hammed Chatami bei seinem Deutsch­ land-Besuch im Jahr 2000 eigens nach Weimar fuhr. In hochfliegenden "Ideen zur philo­ sophie der Geschichte der Menschheit" hatte Goethes Ortsnachbar Johann Gott­ fried Herder schon 1787 geschrieben: "Hat Xenophon von den Sitten der alten Perser, unter denen Kyros erzogen ward, wahr geredet, so mag der Deutsche sich freuen, dass er mit diesem Volk wahr­ scheinlich eines verwandten Stammes ist." Das spielte auf die damals aufkom­ mende Theorie an, Sprache und Denken der Europäer wie der Iraner fußten auf der Urkultur der alten Arier. Archäologen hatten die ersten Indi­ zien zusammengetragen, etwa dass sich Großkönig Dareios 1. in der Felsen­ inschrift von Naksch-e Rostam als "ein Arier, von arischem Samen" vorstellte. Bald folgten Sprachkundler nach. 1786 wies Sir William Jones, ein englischer Richter am Obersten Gerichtshof in Kal­ kutta, erstmals auf die enge grammatika­ lische Nähe des Sanskrit zu etlichen eu­ ropäischen Sprachen hin. Dreißig Jahre später lieferte dann der deutsche Lin­ guist Franz Bopp endgültig den Beweis für die Verwandtschaft der "indoeuropäi­ schen" Sprachfamilie, zu der auch Per­ sisch zählt. Zur Zeit des aufkeimenden Nationa­ lismus konnten sprachliche Verbindun­ gen schnell als Zeichen völkisch-kultu­ reller Verwandtschaft dienen. Bald be­ gannen europäische Gelehrte einen ge­ meinsamen Ursprung der Völker anzu­ nehmen und sich folglich selbst als Nach­ fahren der altpersischen "Arier" zu fühlen. Schon 1808 erklärte der berühmte Kritiker Friedrich Schlegel nach intensi­ ven Sprachstudien, "dass es für mich

Zur Zeit des Na­ schon seit längerer tionalsozialismus Zeit zur histori­ beschäftigte sich schen Vermutung eine ganze Reihe geworden ist, für von Althistorikern die ich vielfältige und Orientalisten Bestätigung gefun­ mit dem "arischen den habe, unsre Mythos". Ihr Zen­ germanischen Vor­ trum war Walther fahren, während Wüsts "Seminar sie noch in Asien für Arische Kultur­ waren, dort vor­ und Sprachwissen­ züglich unter dem schaft" in Mün­ Namen der Arier ... chen. zu suchen". nach Auch Bisweilen nahm dem Ende des Na­ die Herkunftssu­ tionalsozialismus che skurrile For­ setzte sich die men an. So hielt Begeisterung für 1827 ein gewisser Persien fort. In L. C. Beaufort eine ganz Europa überRede vor der Royal wog wäh.rend d�r D i ba in der M ü nchne r Oper 1967 Schah Moha mmed Resa u n d Gema hlin Farah Irish Academy, in Nac h k negszel t der er die These den Glanz des für g sterun Begei die ings das Arierturn allerd vertrat, die keltische Kultur gehe auf "per­ Vermischung sei Resa Pahle­ mmed die letzten "reinen" Arier junge n Schah s Moha sische Ursprünge" zurück und die irische degeneriert; vardmaga­ Boule der ings wi, des Liebl nen. Spiritualität wurzele im Zoroastrismus. seien die Germa chlan d Deuts in he Besuc Seine Die Folgen diese s geistigen Kurz ­ zine. Regen­ So einfach man derlei Phantastereien ab­ der von 1967 und 1955 en wurd im­ chteten sich zu einem wie tun konnte, so hartnäckig und fatal setzte schlusses verdi iert zelebr o Gebräu. In "Mei n Kampf" bogenpresse fast ebens Jahr­ sich die fixe Idee vom Ur-Arier in den Köp­ mer giftigeren 19. späten im nger Vorgä beschrieb Adolf Hitler die "Arier" als al­ die seiner fen fest. ert. hund , rvolk Kultu s ernde wand sches Anfänglich wurde das Verwandt- tes nordi e Reiche wie das der Per­ kter schaftskonzept vor allem kulturell defi­ das in der Antik dann durch Vermi­ Für den diktatorischen Chara und ete gründ ser ts under sich niert. Währ end des 19. Jahrh ssierte intere des Pahlewi-Regimes nde ging. kriti­ aber erweiterte es sich bis ins Biologi­ schung zUgI·u erheit Mind eine nur n Auch für Hitlers Chefi deologen AI­ im Weste sche. Immer häufiger wurde aus der kul­ Die Perser waren Rosenberg waren die alten Perser scher Studenten. fred turell-völkischen Verwandtschaft eine Kommunismus, den gegen ndete Verbü ne­ Dege piel "rassischer Rassegemeinschaft. Den entsc heide � ­ ein Paradebeis ns. Dass der Weste des 1930 veröffentlichten sie waren Teil den Beitrag hierzu leistete der norwegi­ ration". In seinem konom ische isch-ö techn die zwanzigsten Jahrhund�rt� " Schah sche Indologe Christian Lassen, der an "Mythus des es voran­ Land s seine rung rnisie Mode g t ließ ein Perserkom der Universität Bonn lehrte. 1847 ver­ schrieb er: "Eins wohlfeile Sym­ and von Behistun folgende trieb, untermauerte die kündete er: "Die Inder und die altpersi­ in die Felsw eln: ,Ich, Darius, der Groß­ pathie. schen Völker nannten sich mit demsel­ Worte meiß Umso bestü rzend er wirkte es, als der Könige, aus ari­ König der ben Namen, dem der Arier, der auch bei könig die Ausrufung der Islamischen Re­ 1979 ­ me .. ."', um warnend hinzu den kriegerischen Deutschen seiner eh­ sche� Stam eine abrupte Kehrtwende signa­ publik sche persi te zieht der . rende n Bede utung nicht unwürdig er- zufügen: "Heu lah Chomeini verschleier­ Maultiertreiber seele nlos an dIese r lisierte. Ajatol scheint." westliche Beobachter un­ für Land Wand vorüber: ein Zeichen für Tausen­ te das en Tschador. Plötzlich dunkl einem ter dass Persönlichkeit mit einer Rasse Solche Kombinationen kamen man­ de' Geiselnahme in der die für Iran stand ge­ ihr mit en wird und chem Ursprungssucher gerade rech.t. zusammen gebor aft, den Aufruf otsch Teheraner US-B ." Zwar wurden die "Arier" bald eher mIt meinsam stirbt tsteller Salman Schrif dem an zum Mord Assoz iationen wie "nordisch" oder gar ie und Chomeinis Kampfansage Rushd "deutsch" belegt, während die Iran-Be­ DAVID MOTADEL gegen den "dekadenten Westen" . . ziehung oft nur noch am Rande eine Rol­ Seither dominiert in Europa WIeder Der H istoriker voll­ le spielt e. Einige der prominentesten das alte Bild des Gegensatzes. Für hiesi­ Rassentheoretiker des 19. Jahrhunderts endet m omentan ein ge Beobachter ist Iran in der Regel aber befassten sich eingehend mit den Buch über d i e E u ropa­ fremd und unheimlich, seine Herrscher Persern. In seinem berühmt-berüchtig­ reisen persischer verhalten sich irrational und beängsti­ ten "Essa i sur l'inegalite des races hu­ Schahs i m späten 19. gend. In den Augen vieler bedrohen Te­ maines" erklärte Joseph Arthur de Go­ J a h rhu ndert. M otadel, heran und das iranische Nuklearpro­ bineau die alten Arier zum Ursprung der 28, arbeitet an den gramm heute den "Westen" oder, pau­ weißen Rasse, die der gelben und U n iversitäten Ya l e und schaler, die "freie Welt". schwarzen Rasse überlegen sei. Durch C a m b ridge.

REZA TAMADDONI 20140501

Sie prägten Europas Persienbild: Sir John Chardin, Charles-Louis d e Montesquieu, I mmanuel Kant, Arthur Graf Gobineau

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an ebenjener Stelle gehenkt, wo er die te mit einem Sieg des Sultans, dem es ge­ Unabhängigkeit erklärt hatte. lang, die kurdischen Herren Ostanato­ Für die Kurden in aller Welt bleibt liens auf seine Seite zu ziehen. Die mehr­ die Republik von Mahabad fortan ein heitlich sunnitischen Kurden des Lan­ Symbol ihres Unabhängigkeitswillens. des erhielten dafür weitgehende Auto­ Irans Zentralregierung aber nimmt den nomIe. Spuk als Warnung und stellt d.�e Stadt Kurden auf persisch kontrolliertem unter strenge militärische Uberwa­ Gebiet dagegen wurden von der Zentral­ chung. Teherans Machthaber wissen, macht in Isfahan regiert. Nur ein kleines welches Risiko die Minderheiten für ih­ Fürstentum südlich des Urmia-Sees, das ren verletzlichen Vielvölkerstaat bedeu­ Reich der Ardalan, durfte sich auch un­ ten, in dem die Perser selbst nur die Hälf­ ter den Safawiden selbst verwalten. te der Bevölkerung stellen. Nicht Kämpfe gegen die Perser, sondern Zwar machen die vier Millionen Kur­ gegen ein benachbartes Fürstentum auf den im Land heute gerade einmal sieben osmanischer Seite, das Reich der Baban, Prozent der Bevölkerung aus; doch re­ prägten ihren Alltag. bellisch waren sie schon immer. Bis ins 20. Jahrhundert fehlte den Ihre Geschichte in Iran ist eng mit Kurden ein nationales Bewusstsein. dem Schicksal der Region verknüpft. Ein­ Nach dem Ende des Osmanischen Reigekeilt zwischen Machtri­ ches aber fanden sie sich plötzlich in den Grenzen valen, in zahllose Stämme Der Sturz von vier Staaten wieder: geteilt, die sich über Jahr­ der Türkei, Irans, Iraks hunderte Fehden geliefert des Schahs und Syriens. Freilich bot hatten, teilten die Kurden der Schwebezustand zwi­ zwischen Anatolien, dem half nicht. schen den Weltkriegen Kaukasus und Mesopo­ auch Chancen: In Iran tamien kaum mehr als ihre Lebensart. Bis in die Neuzeit, sagt nutzte sie der legendäre Stammeschef der Kurdenforscher David McDowall, Ismail Aga Schikak, genannt "Simko". sei "Kurde" oft nur gleich "Nomade" ge­ Wahllos ging Simko Bündnisse mit wesen. Türken, Briten und Russen ein und Im Mittelalter waren es vor allem Os­ konnte so bereits 1920 einen Großteil manen und Safawiden, die um die Gunst Iranisch-Kurdistans unter seine Kontrol­ der Bergstämme buhlten, sie blutig un­ le bringen. Dabei schreckte er auch nicht terdrückten oder für Machtspiele einzu­ vor dem Mord an einem assyrisch-christ­ setzen verstanden. lichen Patriarchen zurück. Schah Resa Die Schlacht von Tschaldiran 1514 erkannte in ihm einen seiner bittersten zwischen dem osmanischen Sultan Se­ Feinde; "zertretet die Schlange", soll er lim I. und Persiens Schah Ismail I. ende- gezürnt haben. Erst 1930 gelang es per-

REZA TAMADDONI "Z ertretet di e Schlange! " 20140501

Irans kurdische Min derh eit im Nordwesten ist der Zentralr egierung in Tehe ran noch nie geheuer gewesen. Seit Jahrhunderten vers uchen Schahs und Aja tollahs, die rebellischen Stämme unte r Kon trolle zu bringen. ---

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Von DANIEL STEINVORTH

A

m 22. Januar 1946 halten die Menschen in der kur­ disch-iranischen Bergstadt Mahabad den Atem an. Eine Versammlung aus ört­ lichen Honoratioren und Stammesfüh­ rern hat sich seit den frühen Morgen­ stunden auf dem zentralen "Platz der vier Lampen" eingefunden. Männer in traditionellen Gewändern, mit weißen und schwarzen Turbanen, stehen da, ne­ ben bärtigen Scheichs, Geschäftsleuten in dunklen Anzügen und drei Soldaten der Roten Armee. Aus den Häusern se­ hen Frauen und Kinder zu, wie sich ein hagerer, etwas ausgezehrt wirkender Mann durch die Menge bewegt und auf ein Podest steigt. Es ist Ghasi Mohammed, Politiker und muslimischer Geistlicher, 46 Jahre alt. Vor einigen Monaten erst hat er sich an der Gründung der "Demokratischen Partei Kurdistans Iran" beteiligt, jetzt will der begabte ParteichefPräsident des 1 00

ersten Nationalstaates in der Geschichte der Kurden werden, der "Republik von Mahab ad". Er hat eine Kabinettsliste, eine Armee und einen Dichter, der ihm eine Nationalhymne geschr ieben hat. Vor allem aber hat Ghasi Mohammed die Unterstützung der sowjetischen Be­ satzungsmacht, die noch immer weite Teile Nordirans okkupiert. Dass Moskau Interesse an diesem ent­ legenen Landstrich bekundet, hängt mit den geopolitischen Wirren des Zweiten Weltkriegs zusammen. Stalins Truppen waren 1941 zusammen mit britisc hen Soldat en in Iran einmarschiert, um Schah Resa Pahlewis neutrales, aber Hit­ ler-freundliches Regime unter Kontrolle zu bringen. Nun verzögern die Sowjet s ihren Rückzug, um von Teheran Erdöl­ Konze ssione n heraus zuschl agen. Und sie setzen auf den Aufbau moskautreuer Minde rheiten -Staate n. Auf ihrem 500 Kilometer langen Siedlungsgebiet ent­ lang der iranischen Grenzen zum Irak,

zur Türkei und zur Sowjetunion sollen die Kurden ihre Republik bekommen. "Wir haben einen mächtigen Freund", ruft Ghasi Mohammed, der an diesem Morgen einen weißen Turban und eine frisch geschneiderte sowjetische Offi­ ziersuniform trägt. bann ruft er stolz sei­ nen kleinen Staat aus, dessen Gründung mit 300 Salutschüssen besiegelt wird. Doch die Freude hält kein Jahr. Unter internationalem Druck ziehen sich die sowjetischen Truppen im Mai 1946 zurück. Sie verlieren ihr Interesse an den Kurden, die sich ohnehin nicht für den Kommunismus begeistern lie­ ßen. Die Kurden, nun ohne Schutz­ macht, versuchen mit Teheran zu ver­ handeln, doch der junge Schah Moham­ I?ed Resa will Rache. Mit gewaltiger Ubermacht erobert er im Dezember 1946 die abtrünnigen Gebiete zurück. Wegen "Aufruhr" und "Hochverrat" wird Ghasi Mohammed verhaftet und mit seinen Getreuen am 30. März 1947

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sischen Soldaten, Simko in einen Hin­ terhalt zu locken und töten. Obwohl es in Iran auch schiitische Kurden gibt, manche sogar altpersisch beeinflussten Religionen wie den Jesiden und den Ahl-e Haq angehören, so sind doch die meisten iranischen Kurden Sun­ niten - in einem Land, wo die Schia Staatsreligion ist. Immerhin hatten und haben Irans Kurden einen Vorteil: Das Kurdische ist eine iranische Sprache; an­ ders als in der Türkei wurden die Kurden Irans noch nie sprachlich und kulturell zu assimilieren versucht. Eine besondere Liebe schlug den Kurden von ihren per­ sischen Herren dennoch selten entgegen. Selbst der Sturz der Pahlewi-Dynastie half dem Volk der Berge nicht. Seite an Seite mit Persern hatten kurdische Re­ bellen im Herbst 1978 gegen den Schah gekämpft, nun erhofften sie sich von Aja­ tollah Chomeini mehr Selbständigkeit. Abdelrahman Ghassemlou, Generalse­ kretär der Demokratischen Partei Kur­ distans in Iran, war einer der Ersten, die den Sieg der islamischen Revolution be­ grüßten. Es nützte ihm wenig. Im August 1979 rief Chomeini einen "Heiligen Krieg" gegen die Kurden aus. Irans Luftwaffe bombardierte kurdische Dörfer und Städte in einem Einsatz, der 10 000 Zivilisten das Leben kostete. Ghassemlou flüchtete ins Ausland, wo ihn dasselbe Schicksal ereilte wie einst Simko und Ghasi Mohammed. Bei einem Versuch, mit Vertretern das Mul­ lah-Regimes zu verhandeln, wurde er im Juli 1989 in einem Wiener Hotelzim­ mer kaltblütig ermordet. 1 01


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SPI ELFELD DER MÄCHTE

Von KATRIN ELGER

E

s gab einmal eine Zeit in Iran, da trauten sich ver­ schleierte

Frauen

nicht

mehr auf die Straße. Wer sich verhüllte, riskierte Är­

ger mit der Gendarmerie, Schläge sogar. Wutschnaubende Polizisten rissen gläu­ bigen Frauen den Schal vom Kopf, viele Iranerinnen fühlten sich daheim einge­ kerkert. Um sich vor Fremden keine Blö­ ße zu geben, blieben sie hinter ver­ schlossenen Türen - und grollten dem Mann, dem sie ihr Schicksal zu verdan­ ken hatten: Resa Schah Pahlewi, König von Persien (1925 bis 1941). Das Kopftuchverbot hatte der Schah, inspiriert durch den türkischen Staats­ chef Mustafa Kemal Atatürk, im Jahr

1936 erlassen. Das ganze Land debat­ tierte über die umstrittene Verordnung. Es war j edoch nur eine von vielen tief­ greifenden Refor men, mit denen der persische König sein Volk in Aufregung versetzte.

Während der knapp zwei Jahrzehn­

te, in denen Resa Schah das Sagen hatte, strukturierte er nicht nur das Bildungs­ system neu und baute unzählige Schu­ len, er reformierte auch das Gesun d­ heitswesen, formte eine schlagkräftige

Armee und machte aus einem politisch zersplitterten Land einen Zentralstaat mit westlichen Zügen . In vielerlei Hin­ sicht entwickelte sich Iran während der ersten Hälfte des 20. Jahrh under ts in

eine ähnlic he Richtu ng wie Atatür ks Türkei.

Eine Lichtgestalt war der Herrscher aber nicht. Nicht grundlos rückt der His­ toriker Bert Fragner den Schah in die Nähe von Despoten wie "Franco in Spa­ nien oder Chiang Kai-shek in China" (siehe Seite 20) . Der Iran-Experte Ken­ neth Pollack sieht sogar Parallelen "zu den Methoden Hitlers und Stalins" . D enn häufig s etzte der Schah seine po­ litischen Neuerungen brutaler um als Atatürk, geradezu diktatorisch. Auch in der Türkei galt in B ehörden, Schulen und Universitäten ein Kopftuch­ verbot. Auf der Straße j edoch durften die Frauen ihren "Türban" auch weiter­ hin tragen, ohne gleich Ärger mit der Polizei zu bekommen. "Die Macht des Schahs wurde über die Zeit nicht nur absolut, sondern auch ty­ rannisch", schreibt Homa Katusian, ein

persischer Historiker. Der Iran-Forscher

der Junge in ärmlichen Verhältnissen

Die Gesichtszüge sind hart geworden

Michael Zirinsky spricht gar von einer

bei seinem Onkel in Teheran auf. Zur

durch die Entbehrungen an der Front,

"zügellosen Gewalt" , die den Herrscher

Schule geht er nicht, Lesen und Schrei­

die Haut durch Sonne und eisigen Wind

von Zeit zu Zeit übermannt habe. So

ben lernt er erst als Erwachsener.

stürzte er sich eines Tages auf einen nichts­

Um über die Runden zu kommen,

früh gealtert. Als die Situation günstig ist, im Fe­

ahnenden Jugendlichen am Straßenrand,

muss Chan schon mit 15 Jahren in die

bruar 1921, marschiert Resa Chan mit

nur weil der vergessen hatte zu salutieren.

Kosakenbrigade eintreten, eine Einheit

seiner Truppe in Teheran ein und stürzt

Überhaupt reagierte der Schah äu­

der persischen Streitkräfte. Von Anfang

den Premierminister. Unterstützung für

ßerst ungehalten, wenn ihm seine Un­

an fällt der Junge durch sein militäri­

seinen Putsch bekommt er von den Eng­

tertanen nicht genügend Respekt zoll­

sches Geschick auf - ein Talent, das im

ländern, die hoffen, durch ein briten­

ten. Vielleicht, weil auch seine eigene

Iran j ener Tage viel wert ist.

freundliches Regime ihre Rolle in der

Herkunft alles andere als königlich war.

Persien ist zersplittert; verfeindete

Region auszubauen. Chan jedoch nutzt

Stämme bekriegen sich im Hinterland.

seine neue Machtposition als Verteidi­

Im Jahr 1878 kommt er als Resa Chan

Dem kadscharischen Königshaus fehlt es

gungsminister in erster Linie, um das

in einem Dorf in der Region Sawad Kuh

an Macht, um durchzugreifen, geschwei­

Land nach seinen eigenen Vorstellungen

zur welt. Seine Familie hat kein adliges

ge denn, das Land zu modernisieren. Des­

zu formen. "Man gibt ihm ein biss ehen

Blut und keinen ehrwürdigen Stamm­

sen Infrastruktur ist desolat: Es gibt nur

b aum. Chans Vater stirbt bereits wenige

250 Kilometer Eisenbahn, 1280 Kilometer

Spielraum, und er reißt alles an sich" , beschreibt ihn der damalige britische

Monate nach der Geburt seines Sohnes.

befestigte Straße und lediglich einen nen­

B o tschafter. "Einer muss ihm sagen,

Die ersten Jahre seines Lebens wächst

nenswerten Hafen am Kaspischen Meer.

dass er nicht alles haben kann."

Die Methoden der Land­

Resa Schah Pahlewi war einer der größten Modernisierer seiner Zeit - viele im Volk hassten ihn jedoch wegen seines diktatorischen Regierungsstils.

wirtschaft sind im 1 8 .

Im November 1925 lässt sich Chan

Jahrhundert stehenge­

zum König krönen. Fortan ist er Resa

blieben; Industrie exis­

Schah Pahlewi, der große Schah. Den

tiert kaum.

vermeintlichen Makel seiner einfachen

REZA TAMADDONI Putschist und Reformer 20140501

"Iran war reif für ei­

nen starken und auto­

Herkunft behebt er, indem er zwei kad­ scharische Prinzessinnen heiratet.

kratischen Führer und

Anfangs stößt der neue Schah auf brei­

sehnte sich verzweifelt

te Unterstützung im Volk, das große Hoff­

nach einem Retter", be­

nung in seinen unbedingten Reformwillen

schreibt es der Iranist

setzt. Rigoros geht er gegen aufständische

Cyrus Ghani. Auch die

und räuberische Truppen vor. Er ordnet

anglorussische Invasion

den Aufbau eines Telefonnetzes an, lässt

Ersten

Straßen und Schienenwege bauen. Ende

Weltkriegs drückt die

der dreißiger Jahre sind alle iranischen

während

des

Stimmung im Land auf

Städte mit Strom versorgt. Auch das

einen Tiefpunkt. In Te­

Bildungssystem reformiert Resa Schah

heran wimmelt es von

grundlegend: Er lässt nicht nur Schulen

ausländischen Spionen;

bauen, sondern öffnet diese auch noch

viele Iraner haben das

für beide Geschlechter. Zwischen 1925

Gefühl, Persien werde

und 1941 steigt die Zahl der Schüler an

als Spielball der Groß­

den Elementarschulen auf das Sechsfache.

mächte missbraucht. Über die Jahre hin­

Erst durch seine zunehmend aufbrau­ sende, despotische Art verspielt der

weg arbeitet sich Resa

Schah das Vertrauen seines Volkes. Po­

Chan zum Brigadege­

litische Widersacher verschwinden spur­

neral der persischen

los, Journalisten und Intellektuelle wer­

Foto­

den mundtot gemacht. Selbst einfache

grafien aus dieser Zeit

Bauern beginnen unter dem Regime zu

zeigen einen ernsthaf­

leiden, weil der Machthaber ihre Was­

Kosaken hoch.

ten Offizier mit dich­

serkanäle umleiten lässt, um sein eige­

tem Schnauzbart, der

nes Land fruchtbarer zu machen. "Nach

streng

und nach verliert der Schah die Unter­

unter

seinem

Fellhut hervorschaut.

stützung in allen B evölkerungsschich­ ten" , sagt Historiker Katusian, "bei den

Resa Schah Pahlewi (linkes Bild M .) förder­ te die Eisenbahn. Rechts: Auf seinem Schoß sitzt Sohn Mohammed Resa, der spätere Schah (1922).

Reichen und den Armen, bei den Unge­ bildeten und den Intellektuellen." Zu einem Aufstand allerdings kommt es nie. Erst als die Alliierten 1941 in Iran einmarschieren, muss Resa Schah Pah­ lewi abdanken: Seine Sympathie für Adolf Hitler kostet ihn den Thron.

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Erdöl mac hte Iran zur Beute der Briten. Als Premier Mossadegh die Frem dherrschaft absc hütteln wollte, stürzte die CIA die demo kratisch gewählte Regierung des Landes . ein bis heute fortwähre ndes Trau ma. - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - - - - -

Treib stoff der Feinds chaft Von NORBERT F. PÖTZL

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ie Wurzel allen Übels in Iran sei die Einmischung durch Ausländer, klagte Ministerpräsident Mo­ hammed Mossadegh ge­ genüber Averell Harriman, dem außen­ politischen Sonderberater des US-Prä­ sidenten Harry S. Truman, als der ame­ rikanische Diplomat im Juli 1951 Tehe­ ran besuchte. Das ganze Unheil, so der Perser­ Premier, habe mit dem "Griechen Alex­ ander" angefangen, der vor 2300 Jah­ ren die stolze Hauptstadt Persepo­ lis zerstört hatte. Später waren es Araber, Mongolen und Turkmenen, ' die das Land für lange Zeit unter ihre Herrschaft brachten. Im 19. Jahrhundert ver­ lor Persien große Teile seines Lan­ des an das zaristi­ sche Russland und das britische Em­ pire. Das Kernland Eurasiens wurde in wirtschaftlich­ strategische Inter­ essensphären auf­ geteilt. Und nun, in der Mitte des 20. Jahr­ hunderts, drohte die britische Regie­ rung unverhohlen, durch eine Inva­ sion zu Wasser und aus der Luft die iranischen ÖI­ anlagen zu besetzen. 70 000 Soldaten, so sah es ein detailliert ausgearbeiteter Plan vor, sollten Bohrtürme und Raffi­ nerien "sichern". Im März 1951 hatte das iranische Par­ lament nämlich beschlossen, die ÖI­ industrie zu verstaatlichen und die Ang­ lo-Iranian Oil Company (AIOC), ein ziemlich einseitiges Joint Venture zu­ gunsten der Briten, entschädigungslos zu enteignen. In London herrsche seit­ her eine "kriegslüsterne Atmosphäre", meldete der dortige US-Botschafter Wal­ ter Gifford besorgt nach Hause. Die Amerikaner, die bis dahin keinen Machtanspruch in der Region erhoben hatten, galten den meisten Iranern als Freunde. Deshalb versuchte Präsident Truman in dem iranisch-britischen ÖI-

konflikt zu vermitteln und schickte sei­ nen Unterhändler Harriman. Vorausgegangen waren jahrelange er­ folglose Bemühungen der Iraner, die Bri­ ten zu einer gerechteren Verteilung der Gewinne aus der Ölförderung zu bewe­ gen - beispielsweise halbe-halbe, wie es amerikanische Gesellschaften gerade mit Saudi-Arabien und Venezuela ver­ einbart hatten. Ware Iran alleiniger Herr über seine Ölquellen gewesen, hätte das Land im Jahr 1950 rund 275 Millionen Pfund ein­ nehmen können. So aber flossen nur 37

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Arbeit er der Anglo -Persia n O i l Compa ny erricht en einen Bohrtu rm (um 1909).

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Millionen pfund aus den Ölverkäufen in den iranischen Staatshaushalt. Obendrein beutete die AIOC ihre ira­ nischen Arbeiter aus, bezahlte sie ex­ trem schlecht und ließ sie in armseligen Hütten ohne Wasser und Strom woh­ nen, während die britischen Manager im Luxus schwelgten. Harriman berich­ tete Truman nach einem Besuch der Raffinerie von Abadan, die dortigen Slums seien "schockierende Behausun­ gen für die Angestellten einer großen westlichen Ölgesellschaft", die Briten hätten "gegenüber Iran eine vollkom­ men koloniale Einstellung aus dem 19. Jahrhundert". Der Vorwurf traf ins Schwarze: Das Empire, tönte etwa der britische Erste Seelord Lord Fraser of North Cape, dür-

fe sich "nicht von persischen Grasaffen herumschubsen lassen". Die starrsinnige Haltung der Angel­ sachsen hatte da bereits das innere poli­ tische Gefüge Irans grundlegend verän­ dert. Im Oktober 1949 hatte sich die Na­ tionale Front formiert, eine breitgefä­ cherte Koalition aus liberalen Refor­ mern, Sozialisten, Nationalisten und ver­ schiedenen religiösen Gruppen. Das bunte Bündnis, einig in der Abwehr britischer Begierde, scharte sich um den charismatischen Politiker Mossadegh. Schah Mohammed Resa, der 1941 selbst mit britischer Unter­ stützung auf den Thron gekommen war und seither stets den Briten genehme Premiers berufen hatte, konnte im Mai 1951 nicht umhin, den nationallibera­ len Volkstribun zum Regierungs­ chef zu ernennen. Mossadegh, ge­ boren 1882, war der Sohn eines ver­ mögenden Finanz­ ministers und ei­ ner Schwägerin von Mosaffared­ din Schah aus der Dynastie der turk­ menisch -stämmi­ gen Kadscharen. Er hatte in der Schweiz Rechts­ w i s s e n s c h afte n studiert und war als erster Iraner an ei­ ner europäischen Universität, in Neu­ chatel, promoviert worden. Während der Konstitutionellen Revo­ lution 1906 hatte Mossadegh zunächst die Privilegien seiner gesellschaftlichen Klasse noch verteidigt. Doch schon bald wurde er zum Anhänger des Parlamen­ tarismus, scheiterte aber mit seinem Ver­ such, selbst Abgeordneter zu werden. Unter Resa Chan, dem Vater des späte­ ren Schahs Mohammed Resa, gelangte Mossadegh in erste politische Posten, wurde dann aber wegen dessen autori­ tärer Herrschaft zum erbitterten Gegner des Regenten und zum glühenden Ver­ fechter der parlamentarischen Demo­ kratie. Dafür nahm er Haft und Haus­ arrest in Kauf.

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Gesellschaft. Der heraufziehende Erste Weltkrieg, ahnte Churchill, würde nur mit Öl statt mit Kohle für die Kriegsschif­ fe zu gewinnen sein. Für Iran und den Westen wurde der begehrte Bodenschatz fortan zum Treib­ stoff einer erbittert ausgetragenen Feind­ schaft.

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Im Jahr 1932 kündigte Resa Schah die Konzession, die Briten setzten dennoch einen für sie günstigen Deal durch: Das Fördergebiet wurde zwar auf ein Viertel des ursprünglichen Terrains begrenzt, und Iran erhielt jährliche Garantiezah­ lungen von 750 000 Pfund - aber im Ge­ genzug verlängerte der Schah die Kon­ zession, die ursprünglich bis 1961 lief, um weitere 32 Jahre, also bis 1993. So war die Lage, bis Mohammed Resa Schah am 1. Mai 1951 das vom Parlament beschlossene Gesetz zur Verstaatlichung der Ölindustrie unterzeichnete. Der bri­ tische Labour-Premier Clement Attlee wandte sich hilfesuchend an die ameri­ kanische Regierung: Großbritannien könne auf das persische Öl aus wirt­ schaftlichen Gründen nicht verzichten

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Mit emotionsgeladenen Reden konn­ te Mossadegh seine Zuhörer in Verzü­ ckung versetzen oder zum Weinen brin­ gen - und dabei selbst in Tränen ausbre­ chen oder gar in Ohnmacht fallen. Im Ausland wurde er wegen dieser Thea­ tralik bespöttelt, in Iran aber dafür ge­ feiert. Der neue Premier ließ 1951 keinen Zweifel, dass sich der Wind gegen die blasierten Briten drehte. "Alles Elend in Iran, die Gesetzlosigkeit und Korruption der letzten 50 Jahre", kommentierte der staatliche Rundfunk gleich nach Mos­ sadeghs Amtsantritt, "geht auf das Öl und die erpresserische Ölgesellschaft zu­ rück." Verschuldet hatten die Abhängigkeit allerdings persische Herrscher selbst: Nasreddin Schah in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dessen Sohn Mosaffareddin, Mossadeghs angeheira­ teter Onkel, der von 1896 bis 1907 regier­ te. Die orientalischen Potentaten lebten stets über ihre Verhältnisse. Die ver­ schwenderische Hofhaltung und ihre 106

Wirtschaftssanktionen gegen Iran. Die AIOC zog ihre Fachleute ab - die Iraner indes hatten kaum Ingenieure und Tech­ niker um das fehlende Personal zu er­ ' setzen. Britische Kriegsschiffe errichteten zudem eine Seeblockade im Persischen Golf, um ausländische Tanker zu hin­ dern, iranisches Öl zu transportieren. Iran war bis dahin der viertgrößte ÖI­ exporteur der Welt gewesen. 90 Prozent des in Europa verbrauchten Öls kamen von dort. Doch das Land besaß keinen einzigen Tanker und konnte ohne frem­ de Hilfe keinen Tropfen exportieren. AIOC-Chef William Fraser ging fest davon aus, dass die Iraner klein beigeben würden. "Wenn sie Geld brauchen", er­ klärte er, "kommen sie auf allen Vieren wieder angekrochen." Da hatte er frei­ lich ihren Nationalstolz und ihre schii­ tische Leidensfähigkeit unterschätzt. Die Briten riefen den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an. Sie hofften auf eine Resolution, die Mossadegh die Verstaatlichung der AIOC untersagen würde. Warnungen der Amerikaner, sie sollten den Iranern kein solches Forum

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kostspieligen Reisen finanzierten sie un­ ter anderem dadurch, dass sie Konzes­ sionen an britische Geschäftsleute ver­ gaben, etwa zum Aufbau eines Telegra­ fennetzes, zur Vermarktung des heimi­ schen Tabaks, zum Eisenbahnbau oder zur Exploration von Erdölvorkommen. Dieser Bodenschatz, das zeichnete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ab, würde als Rohstoff bald große Bedeu­ tung gewinnen. Allerdings gab es damals nur die vage Vermutung, dass unter den Wüsten des Nahen Ostens das schwarze Gold verborgen sein könnte. Es war also eine Wette

auf die Zu­ kunft, die der Brite William Knox D'Arcy einging. 40 000 Pfund - die Hälfte in Ak­ tien - kostete ihn 1901 die Konzession, die 60 Jahre gültig sein sollte. Vom Net­ togewinn sollte D'Arcy 84 Prozent, der persische Staat 16 Prozent bekommen. In den folgenden vier Jahren steckte D'Arcy noch einmal rund 250 000 pfund in Bohrungen und fand doch keinen ein­ zigen Tropfen Öl. 1905 verkaufte er die

Konzession an die Burmah Oil Company. Weil die Suche weiterhin erfolglos blieb, wollte auch diese Gesellschaft aufgeben und befahl ihrem Chefingenieur George Reynolds, die Bohrungen einzustellen. Doch noch während die Nachricht unterwegs war, geschah - 14 Tage nach dem Entschluss der Burmah Oil - bei Masdschid-e Solaiinan G,Salomons Mo­ schee"), woran kaum noch jemand ge­ glaubt hatte: Am 26. Mai 1908 morgens um 4 Uhr schoss eine schwarze, übelrie­ chende Fontäne in den Himmel, Rey­ nolds Bohrtrupp war in der südwest­ lichen Provinz Chusestan auf ein gewal­ tiges Ölfeld gestoßen. Im Frühjahr 1909 wurde die Anglo­ Persian Oil Company gegründet, die die Konzession übernahm und später in Anglo-Iranian Oil Company umbenannt wurde, weil der Schah den Landesna­ men Persien aus allen offiziellen Be­ zeichnungen tilgte. Vier Jahre später er­ warb der britische Staat aufDrängen des damaligen Marineministers Winston Churchill einen 51-Prozent-Anteil an der SPIEGEL GESCHICHTE

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� Ölfelder

Weltweit wuchs der Respekt vor

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- Ölpipel ines - Gaspipelines

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Raffi nerien

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QUel; � �: BGR. Petroleum [conomist; aktueller Stand

und werde daher alles daransetzen, um Iran zur Erfüllung der vertraglichen Pflichten zu zwingen. So unnachgiebig die Briten auf ihrer Position beharrten, genauso hartnäckig widersetzte sich aber auch Mossadegh allen Vermittlungsvorschlägen, die Tru­ mans Emissär Harriman unterbreitete. Dessen Mission scheiterte, resigniert reiste der Amerikaner ab. Kurz darauf, im August 1951, verhäng­ te das britische Kabinett umfangreiche SPIEGEL GESCHICHTE

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kräftigen. "Der redegewandteste Mann, den Iran in den letzten Jahrhunderten hervorgebracht hatte", so der "New York Times"-Journalist und Buchautor Ste­ phen Kinzer G,Im Dienste des Schah"), "betrat die Weltbühne und kämpfte nicht nur für eine kleine Nation gegen einen Ölkonzern ... , sondern überhaupt für alle Notleidenden auf der Welt gegen die Rei­ chen und Mächtigen. Mossadegh sollte zum wichtigsten Fürsprecher der natio­ nalistischen Welle in den Koloniallän­ dern werden." Während Sir Gladwyn polemisierte und schmähte, konterte Mossadegh mit Leidenschaft und feiner Ironie: Die Bri­ ten versuchten, sagte er, die Welt davon zu überzeugen, dass das L amm den Wolf gerissen habe. Über die von Großbritan­ nien eingebrachte Resolution, von ande­ ren Ratsmitgliedern in den Sitzungen ohnehin verwässert, wurde am Ende nicht einmal mehr abgestimmt - ein di­ plomatisches Desaster. Auch vor dem Internationalen Ge­ richtshof in Den Haag, den die Briten im Sommer 1951 angerufen hatten, er­ zielte Iran einen durchschlagenden Er­ folg. Die dortigen Juristen folgten Mos­ sadeghs Rechtsauffassung, dass das Ge­ richt nur für zwischenstaatliche Streit­ fälle, aber nicht für die Causa zwischen Iran und einem privaten Unternehmen zuständig sei - eine Demütigung für die Briten. Zu Hause wurde Mossadegh als Held gefeiert. "Mossadegh", schreibt Buch­ autor Kinzer, "genoss so breite Unter­ stützung, dass er den Schah hätte abset­ zen, die Monarchie abschaffen und eine Republik mit sich selbst an der Spitze hätte ausrufen können."

bieten, um ihre Unterdrückung durch die Kolonialmacht zu beklagen, schlu­ gen die Briten in den Wind. Außenmi­ nister Herbert Morrison war fest davon überzeugt, dass der britische Uno-Bot­ schafter Sir Gladwyn Jebb, ein begnade­ ter Rhetoriker, jeden iranischen Redner in Grund und Boden diskutieren würde. Die Briten hatten jedoch nicht mit Mossadegh gerechnet. Der iranische Premier reiste selbst nach New York, um die iranische Position persönlich zu be-

dem asketischen, stets kränkelnden, aber auch exzentrischen Politiker, der öfter mal im Pyjama Staatsgäste an sei­ nem Bett empfing. Das amerikanische Nachrichtenmagazin "Time" wählte ihn, nicht überraschend, zum "Mann des Jahres". Ein Regierungswechsel in London lei­ tete jedoch einen Umschwung ein. Der konservative Weltkriegs-Veteran Chur­ chill, der im Oktober 1951 zum zweiten Mal Premierminister wurde, betrieb noch heftiger als sein Labour-Vorgänger Attlee die Beseitigung des widerspens­ tigen iranischen Ministerpräsidenten. Er hielt Mossadegh für einen "alten Ir­ ren, der sein Land ruinieren und den Kommunisten ausliefern will".

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Die Briten konspirierten mit dem ira­ nischen General Faslollah Sahedi, der zu einem Staatsstreich gegen Mossadegh bereit war, wenn er dessen Nachfolger würde. Mossadegh bekam jedoch Wind von geheimen Treffen des Generals mit britischen Geheimagenten, worauf er am 16. Oktober 1952 die diplomatischen Beziehungen mit London abbrach. Weil mit den Angehörigen der Botschaft auch die dort stationierten Agenten abziehen mussten, waren britische Hoffnungen auf einen Umsturz fürs Erste zerstört. Sahedi, von Verhaftung bedroht, tauchte ab in den Untergrund. Doch schon kurz darauf bekamen die britischen Möchtegernputschisten wie­ der Auftrieb: Im November 1952 wurde der für die Republikaner kandidierende Dwight D. Eisenhower zum amerikani­ schen Präsidenten gewählt, und anders als der Demokrat Truman war er be­ reit, Umsturzpläne der Briten zu unter­ stützen. Schon wenige Tage nach Eisenhowers Wahl kam Christopher Montague Wood1 08

Von der C I A bezah lte Schlägerbanden ziehen . am 19. A u g ust 1 953 maro­ d ierend durch Teheran.

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Eine Million Dollar ließ CIA-Chef Dulles zur Finanzierung der Verleum­ dungskampagne an seine Teheraner Fi­ liale überweisen. Sein Bruder, der Au­ ßenminister, freute sich: "So werden wir den Irren los."

Als der Schah hörte, dass die Abset­ zung Mossadeghs misslungen war, floh er von Ramsar mit seinem Privatjet nach Bagdad, von dort aus reiste er weiter nach Rom. Doch Roosevelt gab nicht auf. Bezahl­ te Schlägerbanden marodierten durch Nun musste nur noch der zaudern­ Teheran, schossen auf Moscheen, schlu­ de Schah für das Komplott gewonnen gen Schaufenster ein, brüllten: "Lang werden. Schließlich brauchte man, um lebe Mossadegh und der Kommunis­ der Aktion einen legalen Anstrich zu ge­ mus!" Einige Mullahs traten im Kampf ben, zwei königliche Dokumente: die gegen die angebliche rote Gefahr auf Entlassungsurkunde für Mossadegh und die Seite des Schahs. Tumult und Chaos die Ernennungsurkunde für dessen de­ herrschten in Teheran - und nur dar­ signierten Nachfolger Sahedi. aufkam es Drahtzieher Roosevelt letzt­ Putsch-Regisseur Roosevelt redete bei lich an. mehreren Treffen auf den Monarchen Am 19. August mobilisierte die CIA ein, der in "dumpfer Unentschlossen­ einen Demonstrationszug gegen Mossa­ heit" (Roosevelt) verharrte. Er sei kein degh. Polizei- und Militäreinheiten, de­ Abenteurer, erklärte ren Anführer wiederum der Schah. Gemeinsam bestochen waren, schlos­ sen sich dem Aufruhr an, wählten sie einen siche­ ren Ort, wo Moham­ stürmten Ministerien, be­ setzten den Rundfunk­ med Resa die turbulen­ ten Teheraner Tage ver­ sender. putsch-General bringen sollte: ein Jagd­ Sahedi rollte in einem schloss bei Ramsar am Panzer auf Mossadeghs Kaspischen Meer. Haus zu. Der konnte Der erste Versuch, zwar noch einmal flie­ hen, stellte sich aber an­ den gewählten Minis­ terpräsidenten am frü­ derntags. hen Morgen des 16. Der Schah kehrte nach seiner ängstlichen Flucht August 1953 zu stür­ zen, scheiterte jedoch. zurück und bekannte in Oberst Nematollah seltener Bescheidenheit: Nasseri, Kommandant "Es tut mir weh, dass ich bei dem Freiheitskampf der königlichen Leib­ garde, fuhr in einem ge­ keine große Rolle gespielt panzerten Wagen zum habe." Der gestürzte Premier Haus des Generalstabs­ chefs Taqi Riahi, um wurde vor Gericht ge­ stellt. "Mein einziges Ver­ ihn zu verhaften. Aber brechen", sagte Mossa­ der war, trotz der mit­ degh zu den Richtern, ternächtlichen Stunde, "besteht in der Verstaatli­ nicht daheim. Das hät­ chung der Ölindustrie te Nasseri stutzig ma­ chen müssen. Aber er Irans und dessen Befrei­ fuhr einfach weiter zu ung von Kolonialismus Mossadeghs Haus. und politischer und öko­ nomischer Einflussnah­ Bei sich hatte Nasse­ ri die vom Schah unter­ me durch das größte Em­ pire der Erde." Briten-Premier Church i l l, schriebene Entlassungs­ Doch das Urteil, drei urkunde - ein rechtlich US-Außenminister D ul les fragwürdiges Papier, Jahre Gefängnis, stand weil nach der iranischen Verfassung der von vornherein fest. Mossadegh saß die Premierminister nur mit Zustimmung des volle Strafe ab und wurde 1956 in seinen Parlaments entlassen werden konnte. Als Landsitz Ahmed Abad, etwa 180 Kilo­ Nasseri bei Mossadeghs Haus ankam, meter nordwestlich von Teheran, ge­ wurde er selbst festgenommen - der Re­ bracht, wo er bis zu seinem Tod 1967 un­ gierungschef hatte von dem geplanten ter Hausarrest stand. Der Schah verbot Putsch erfahren und loyale Offiziere, dar­ ein öffentliches Begräbnis und jegliche Trauerfeier. unter Taki Riahi, an seine Seite geholt.

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house, ehemaliger britischer Geheim­ dienstchef in Teheran, nach Washington, um mit Kollegen der CIA und der künf­ tigen Administration das Vorhaben zu erörtern. Woodhouse brüstete sich spä­ ter selbst damit, dass er bei seinem Vor­ trag "den Akzent auf die kommunistische Bedrohung" gelegt habe "statt auf die Notwendigkeit, die Ölproduktion zu kontrollieren". Denn mit der Warnung vor einem

angeblichen kommunistischen Umsturz in Iran, einem Grenzland zur Sowjetuni­ on, waren vor allem zwei Brüder zu ge­ winnen, die zu den Hardlinern des Kal­ ten Krieges gehörten: John Foster Dul­ les, der designierte Außenminister, und Allen Dulles, der designierte CIA-Chef. Kurz nach Eisenhowers Amtseinfüh­ rung am 20. Januar 1953 beschieden die Dulles-Brüder ihre britischen Kollegen, sie seien zum Schlag gegen Mossadegh bereit. Codename: "Operation Ajax", Mit der Leitung der Aktion beauftragten sie Kermit Roosevelt, Chef der Nahost-Ab-

teilung der CIA und Enkel des früheren US-Präsidenten Theodore Roosevelt. Im März 1953 stimmte Eisenhower im Nationalen Sicherheitsrat der "Ope­ ration Ajax" zu. Den Ausschlag gab das Argument seines Außenministers, bei ei­ nem Umschwenken Irans ins kommu­ nistische Lager "wäre die freie Welt des ungeheuren Kapitals beraubt, das die ira­ nische Erdölproduktion und Erdölvor­ räte in Iran darstellen". Die CIA nahm Verbindung zu Ex-Ge­ neral Sahedi auf, der die schahtreue Ar­ mee auf einen Putsch vorbereiten und Mossadegh im Amt des Premierminis­ ters ablösen sollte. Zugleich bestach das Teheraner CIA-Büro iranische Parlamen­ tarier, damit sie Mossadegh die Gefolg­ schaft aufkündigten. Gekauft wurden auch Kriminelle, die religiöse Führer an­ greifen und den Eindruck erwecken soll­ ten, Mossadegh und dessen Unterstütz er steckten dahinter. Zeitungen manipulier­ ten die öffentliche Meinung, indem sie Mossadegh als korrupt, prokommunis­ tisch und islamfeindlich darstellten. S P I EGEL GESCHICHTE

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Seit Mossadeghs Sturz regierte Mo­ hammed Resa mit eiserner Hand. Sein gefürchteter Geheimdienst Savak schal­ tete jedwede innenpolitische Opposition aus, die Armee rüstete er mit Waffen hoch, die er für zig Milliarden Dollar vor allem in Amerika einkaufte. Die USA sta­ tionierten mehr als 3000 Militärberater in Iran. So wurde der Schah zum Symbol da­ für, dass der Westen einen Tyrannen dul­ dete, solange dieser den Schutzmächten Zugang zum Öl verschaffte - schon 1954 hatte ein internationales Konsortium die Geschäfte der AIOC übernommen; die nun in BP umfirmierte Gesellschaft hielt nur noch 40 Prozent der Anteile, ebenso viel wie die großen fünf amerikanischen Ölkonzerne, das restliche Fünftel teilten sich die Royal Dutch Shell und die Com­ pagnie Franc;aise de Petroles. "Dieser Mann", rechnete Ajatollah Ru­ hollah Chomeini 1979 mit dem Monar­ chen ab, "verschleudert unser Erdöl an die Amerikaner seiner leeren Groß­ machtträume wegen ... Nicht unserer Be­ dürfnisse wegen werden unsere Boden­ schätze exportiert, sondern weil die Po­ litik dieses Mannes in der völligen Ab­ hängigkeit von den Amerikanern be­ steht." Der Revolutionsführer, der an­ fangs einige ehemalige Weggefährten Mossadeghs um sich scharte - dessen einstiger Vize Mahdi Basargan wurde der erste Regierungschef der Islami­ schen Republik -, baute auf das histori­ sche Trauma, das die amerikanische In­ tervention im iranischen Nationalbe­ wusstsein hinterlassen hat. "Die Iraner", sagt der ehemalige Cho­ meini-Anhänger und jetzige Regimekri­ tiker Akbar Gandschi, "werden nie den Putsch von 1953 und die Rolle der USA darin vergessen." Erst im März 2000 räumte die dama­ lige US-Außenministerin Madeleine Al­ bright eine Beteiligung der USA an dem Staatsstreich ein. "Der Coup war eindeu­ tig ein Rückschlag für die politische Ent­ wicklung Irans. Jetzt kann man gut ver­ stehen, warum viele Iraner die amerika­ nische Einmischung in ihre inneren An­ gelegenheiten bis heute übelnehmen." Mehr noch: Die amerikanische Ge­ heimdienstaktion geriet zum Eigentor des Jahrhunderts - sie beseitigte die ein­ zige demokratisch legitimierte Regie­ rung Irans, stabilisierte die Schah-Dik­ tatur und ebnete so den Weg in den isla­ mischen Gottesstaat.

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emütigender können die und die Sowjets ziehen unter dem Druck Aber der Modernisierungsplan stößt Umstände kaum sein, die der Vereinten Nationen bis Mai 1946 ab. auf massiven Widerstand bei Feudal­ den 21-jährigen Moham­ Das ist der Beginn einer langen herren und Geistlichen. Zu den reli­ med Resa Pahlewi am Freundschaft zwischen den USA und giösen Würdenträgern, die gegen den 16. September 1941 zum dem Autokraten mit Adlerprofil. Der Schah als "Tyrannen unserer Zeit" wet­ Schah Irans machen. Zusammengekauert antikommunistische, fließend englisch tern, gehört auch der noch weithin zwischen Vorder- und Rücksitz in einem sprechende ehemalige Schüler der unbekannte Ruhollah Chomeini. Im alten Chrysler lässt sich der Kronprinz Schweizer Eliteschule Le Rosey wird Juni 1963 mobilisieren die Mullahs heimlich zum Lieferanteneingang des zum bevorzugten Partner Washingtons Zehntausende Demonstranten - ein Parlaments chauffieren. Erst dort legt er im Nahen Osten. Dessen Geheimdienst Probelauf für die iranische Revolution Gala-Uniform, Schärpe und Degen an. CIA hilft dem Schah 1953, den nationa­ 15 Jahre später. Der Schah schickt Entschlossen tritt er vor die verblüfften listischen Regierungschef Mohammed Soldaten und Panzer los und verhängt Abgeordneten und leistet den Treueeid. Mossadegh zu stürzen (siehe Seite 104). das Kriegsrecht. Künftige Proteste soll vor alDer junge Schah muss seine lem der 1957 gegründete Ge­ Amtseinführung konspirativ or­ heimdienst Savak verhindern. ganisieren: Ende August sind Als junger Herrscher eines hilf­ Die Geheimpolizei, die schät­ Sowjets und Briten mit Truppen zungsweise 50 000 Mitarbeiter in sein Land eingefallen, angeb­ losen Landes wollte Mohammed zählt, spannt ein engmaschiges lich, um den Deutschen zuvor­ Spitzelnetz über ganz Iran. zukommen. Seinen Vater Resa Resa Iran gewaltsam in eine Sie verhaftet, verhört und fol­ Schah, der sehr freundschaftli­ tert viele tausend Schah-Gegner, che Beziehungen zum Deutsch­ moderne Großmacht verwandeln. Marxisten, Nationalisten und land AdolfHitlers pflegte, haben Aber sein repressives Regime konservative Muslime. Auch im die Briten gerade zur Abdan­ Ausland terrorisieren Savak-Mit­ kung gezwungen. scheiterte am Widerstand von arbeiter Landsleute. Mal bringen Injenen Tagen reift der Play­ Linken und Muslimen. sie einen flüchtigen Ex-Geheim­ boy-Prinz Mohammed Resa dienstchef um, mal dreschen sie zum Staatsmann. Die "Aggresmit Holzlatten auf Demonstran­ sion der Ausländer" verzeiht er • •• ten ein wie am 2. Juni 1967 beim Briten und Sowjets nie. Und Schah-Besuch in West-Berlin. wohl auch nicht, dass deren Bot­ Seit der Gründung kooperiert schafter ihm gönnerhaft den Rat die Savak eng mit der amerika­ geben, sich aufs Repräsentieren nischen CIA und dem israeli­ zu beschränken. schen Mossad. So geheim diese Der junge Herrscher zieht Zusammenarbeit ist, sie wird aus dem Desaster Schlüsse, die doch im Volk bekannt und trägt Persien lange prägen werden. Er dazu bei, den Schah als Mario­ will alles tun, sein zerrüttetes nette der Amerikaner und Israe­ und besetztes Land in einen lis erscheinen zu lassen - ein mächtigen, geachteten Staat zu Von UWE KLUSSMANN Propagandabild, an dem cho­ verwandeln. In wenigen Jahr­ meini und seine Anhänger im zehnten wird er Iran zum zweit­ Untergrund virtuos malen. größten Ölexporteur, zu einer Dabei unterhält der Schah mit seinen In der ölreichen Weltregion, in der starken Militärrnacht und zum wichti­ gen Partner der Supermacht USA ge­ arabische Nationalisten und rückstän­ Verbündeten in Jerusalem und Washing­ macht haben - bis das Volk ihn ins Exil dige Feudalfürsten den Ton angeben, ton keineswegs problemlose Beziehun­ treibt. Kein anderer persischer Herr­ gilt der iranische Monarch fortan aus gen. Der Alleinherrscher erweist sich scher hat einen solchen Weg vom Schat­ westlicher Sicht als verlässlicher Gen­ zunehmend als beratungsresistent. 1976 ten-Schah zum weltweit geschätzten darm und zudem als Schrittmacher räsoniert er in einem Interview mit dem Staatschef und schließlich zum verjag­ der Moderne. Schließlich will der jun­ US-Fernsehjournalisten Mike Wallace ge Schah sein rückständiges, von Ar­ über den vermeintlich "zu großen" Ein­ ten Despoten zurückgelegt. Geschickt nutzt der junge König zu­ mut und Analphabetismus gegeißeltes fluss der "jüdischen Lobby" in den USA: nächst den Kalten Krieg der früheren Land mit allen Mitteln zum Fortschritt "Sie kontrollieren viel: Zeitungen, Me­ dien, Banken, Finanzen." Alliierten für den Wiederaufstieg seines zwingen. Verschwörungen wittert der Mo­ Landes. "Weiße Revolution", auch "Revolution Stalins Sowjetunion hält nach Kriegs­ von Schah und Nation" heißt ein Pro­ narch auch im Innern. Je offenkundiger ende 1945 weiterhin Gebiete im Norden gramm des Herrschers vom Januar 1963, seine Reformen zum Fiasko geraten, Irans besetzt. In einer "Autonomen Re­ das Persien ein neues Gesicht geben soll: umso abhängiger wird er von seinem Ge­ publik Aserbaidschan" und einer "Repu­ Großgrundbesitzer-Land wird an Bau­ heimdienst. Frauen haben von ihrem blik Kurdistan" proben Moskaus Kost­ ern verteilt, soldatische Hilfslehrer brin­ Wahlrecht nicht viel, da nur handverle­ gänger "Volksdemokratie". Der Schah gen Dörflern Lesen und Schreiben bei, sene Schah-Gefolgsleute zur Wahl ste­ hen. Zwar marschieren bei Paraden in wendet sich an die Amerikaner um Hilfe, Frauen erhalten das Wahlrecht.

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Hochzeit mit Prinzessin Soraya 1951, Bauer küsst Füße des Schahs 1955, Prügel-Perser beim Schah-Besuch in West-Berlin 1967

Teheran Luftwaffenhelferinnen auf, "persische Blitzmädchen", wie der SPIE­ GEL 1967 spottet. Doch von beruflicher Gleichberechtigung sind die Perserin­ nen weit entfernt. Die Bodenreform scheitert, weil der Staat vorwiegend zu kleine Parzellen und wenig fruchtbares Land verteilt. Den Bauern fehlen Traktoren und Dün­ ger. Die Landreform endet in Landflucht. Millionen von Dörflern strömen in die Städte und verdingen sich als Hilfsarbei­ ter und Tagelöhner, verarmt und voller Hass auf den Schah. 1976 lebt fast die Hälfte der Iraner in den Städten. Die Zu­ wanderung treibt Wohnungsmieten in die Höhe. Das bringt auch die Mittel­ schicht gegen den Schah auf.

erfasst das Land, die noch gewaltig an­ schwillt, als sich der Ölpreis von 1969 bis 1977 beinahe verfünffacht. Die Schattenseiten seines Regimes, die Folterkammern und Armutsreviere, will der Herrscher, der sich auch das "Licht der Arier" nennt, durch Prunk ver­ gessen machen. Demonstrativer Luxus lautet die gelebte Devise von Mohammed

Forderung nach dem "Abzug der israeli­ Iran schätzungsweise 100 Millionen Dol­ schen Truppen von den 1967 besetzten lar. "Schmutzige Feiern" seien das, giftet Ajatollah Chomeini aus dem irakischen arabischen Gebieten". Exil, "kreiert von israelischen Experten". Dem Schah aber muss es Anfang der Von welch speziellem Bonus Deut­ sche bei Mohammed Resa zehren, dar­ siebziger Jahre scheinen, als erfülle sich über schweigen die DDR-Medien geflis­ sein lebenslanger Traum, Iran in eine mi­ sentlich. Der Monarch liebt es nämlich, litärische Großmacht zu verwandeln. Im deutschen Besuchern mit der Bemer­ Militärfachblatt "Jane's Defense Weekly" kung zu schmeicheln: "Wir sind Arier, blättert Mohammed Resa, als wäre es ein Warenhauskatalog. Allein von 1972 bis und ihr Deutschen seid Arier." Dahinter steckt mehr als persönlicher 1977 kauft er in den USA Kriegsgerät für Spleen. Der Schah beschwört die "ari­ mehr als 16 Milliarden US-Dollar. Er be­ sche", vorislamische Geschichte seines stellt Kampfflugzeuge, die erst noch ent­ Landes, um das Nationalgefühl seiner Un­ wickelt werden. 28 Prozent des ira­ tertanen zu stärken. Gerade weil er der nischen Staatshaushalts verpulvert der Sohn eines Parvenüs ist, möchte er umso Potentat 1974 für Militärausgaben. Immer weiter verwandelt sich der deutlicher als ebenbürtiger Nachfolger der antiken Großkönige erscheinen. Im vom Ölboom berauschte Monarch zum Zentrum seiner Geschichtspropaganda Traumtänzer: "In einer Generation", ver­ steht das Andenken an den legendären kündet er in einem SPIEGEL-Gespräch im Januar 1974, werde Iran eines der Achaimeniden-Herrscher Kyros II. Im Oktober 1971 lässt der Schah in fünf entwickeltsten und mächtigsten Persepolis, wo Kyros' Sohn Dareios I. Länder der Welt sein. Der König sieht einst einen prachtvollen Palast bauen sein Land auf der Zielgeraden zu einer ließ, ein imposantes Fest feiern. Er ordert "großen Zivilisation". Der Westen dage­ englischen Rasen für die Wüste und lässt gen, orakelt er ein Jahr später, sei wegen 165 Köche aus Paris einfliegen. Das Pos­ eines "Mangels an Disziplin" wohl "zum senspiel in historischen Kostümen kostet Niedergang verurteilt".

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Reich werden unter dem Schah

vor allem korrupte Staatsbeamte.

Resa, zum Vergnügen der Regenbogen­ presse. Im Oktober 1967 inszeniert er sei­ ne Krönung und die seiner Frau Farah Diba als weltweit bestauntes Spektakel. Nur bei offiziellen Begegnungen Wie ein Operetten-Kaiser besteigt er von Volk und Herrscher, sorgsam arran­ in Teheran den mit Goldplatten und giert von der Savak, küssen Perser ihm mehr als 26 000 Edelsteinen verzierten die Hände. Im Alltag wachsen am Rande Pfauenthron. Mohammed Resa setzt Teherans die Elendsquartiere ohne Ka­ sich selbst die Krone auf, zwei Kilo­ nalisation. Von den Häusern der Reichen gramm schwer, besetzt mit 3380 Diaan den Hängen des Elbors-Ge­ birges fließen die Abwässer in Der Schah läuft Wasserski in Florida 1955 die Viertel der Armen. Reich werden unter dem Schah vor al­ lem korrupte Staatsbeamte. Zwar beklagt sich der Herr­ scher bisweilen über den Hang seiner Diener zur Vorteilsnahrne. Doch der Sammler teurer Autos geht selbst mit schlechtem Bei­ spiel voran. Die von ihm gegrün­ dete Pahlewi-Stiftung, der Ho­ tels, Fabriken und Handelsschiffe gehören, legt nie einen Rechen­ schaftsbericht vor. Der Schah lässt das Volk im Unklaren dar­ über, wo die Grenze zwischen staatlichen Ressourcen und sei­ nem Privatvermögen verläuft. Da glauben auch viele Beamte, sie nicht exakt ziehen zu müssen. Die Folge: Eine Korruptionswelle 112

manten und 388 Perlen. Dann schiebt er seiner Frau, die ein Dior-Kleid aus wei­ ßer Atlasseide trägt, das Diamantdiadem aufs Haupt, Trompetenstöße unterma­ len die Zeremonie. In der westlichen Welt sind viele be­ eindruckt. Bundespräsident Heinrich Lübke sendet dem Schah zur Krönung "herzliche Glückwünsche", er beschei-

Der Schah krönt sich selbst und Königin Farah D i ba 1 9 67

nigt ihm "große Leistungen" und "einen angesehenen Platz in der Welt". Tatsäch­ lich ist das Königreich Iran ein geschätz­ ter Handelspartner der Bundesrepublik: Die Perser exportieren Öl und Teppiche, importieren Autos und Industrietechnik. Sie gewinnen westdeutsche Investoren, etwa auch für den Bau ihres ersten Kern­ kraftwerks in Buschehr. Im Jahr 1974 erreichen bundesdeut­ sche Importe aus Iran einen Umfang von 3,2 Milliarden Mark. Zu den Han­ delsbilanzen liefern Diplomaten beru­ higende Auskünfte. So lässt ein Persien­ Experte des Auswärtigen Amts 1967 an­ onym im SPIEGEL durchblicken, Iran sei "zweifellos ein Polizeistaat, wenn auch der liberalste, den ich kenne". Selbst die D D R entdeckt noch für kurze Zeit den Charme des Schahs. Im November 1975 besucht DDR-Minis­ terpräsident Horst Sindermann das "Kaiserreich Iran", wie die Ost-Medien stolz berichten. Der Schah empfängt den Kommunisten im Spiegelsaal sei­ nes Niawaran-Palastes, "in einer sehr freundlichen, aufgeschlossenen Atmo­ sphäre", wie das SED-Parteiblatt "Neu­ es Deutschland" schwärmt. Vereint bekunden die politiker bei­ der Länder "ähnliche Ansichten zu in­ ternationalen Fragen", inklusive der SPIEGEL GESCHICHTE

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Mitte der siebziger Jahre beschreibt die CIA den Schah in einem Dossier als "brillanten, aber gefährlichen Größen­ wahnsinnigen". Der Schah schottet sein System selbst gegen loyale Kritik ab. Er glaubt, seine "besondere Beziehung zwi­ schen meinem Volk und mir" könne "niemand zerstören". Wie realitätsfern er agiert, zeigt sich im März 1975. Da ersetzt er das bisher schon gelenkte Zweiparteiensystem durch die Ein­ heitspartei Rastachis ("Wiederauferste­ hung"), der jeder Iraner angehört. Jahr­ zehntelang obsessiv auf die "kommu­ nistische Bedrohung" fixiert, bemerkt der Autokrat nicht, wie sehr sein Regime nachgerade dem kriselnden Sowjetsys­ tem ähnelt. Hier wie dort treiben Ein­ parteienregime, Spitzelstaat, Überrüs­ tung und eine unfähige Planungsbüro­ kratie die Menschen in Verbitterung und Aufruhr. Sinkende Öleinnahmen Irans füh­

ren zu Rezession und Massenarbeits­ losigkeit Eine Inflation von offiziell 27 Prozent im Jahr 1977 vernichtet die Er­ sparnisse der Mittelschicht. Iran, von US-Präsident Jimmy Carter noch An­ fang 1978 als eine "Insel der Stabilität" gerühmt, wird wenige Monate später mit Großdemonstrationen zum Schau­ platz einer Massenrevolte. Der König in Teheran ahnt nicht, dass er ähnliche Feinde hat wie die kom­ munistischen Machthaber im angren­ zenden Afghanistan, die sich im April 1978 an die Macht geputscht haben. Ge­ gen den Import der Moderne, sei es in Gestalt des "Marxismus-Leninismus", sei es als westliche Lebensweise, mar­ schiert eine breite Volksbewegung. Die gerät schließlich in die Hände von Isla­ misten.

Schah und Königin Farah mit US-Präsident Jimmy Carter und Ehefrau 1 977, H u bschrauber aus US-Produktion in Isfahan

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REZA TAMADDONI 20140501 Mit der triumphalen Rückkehr Ajato lah Chomeinis aus dem Exil beginnt in Iran eine neue Zeitrechnung; Doch das Regime ve�liert bald seine religiöse Legitimation - und driftet . heute in Richt'u ng Militärdiktatur.


DAS M U L LA H - R E G I M E

MEIN IRANISCHE S NOTIZBUCH , AUSZUG SOMMER

1978

Die Ölstadt Abadan glüht vor Hitze und vor Wut. An die 500 Tote bei ei­ nem Brandanschlag aufein Kino. Die Menschen sind überzeugt davon, dass der Geheimdienst des Schahs seine Finger im Spiel hat, was die Savak-Leu­ te heftig dementieren. Vorrevolutionäre Stimmung auch in Teheran. Auf den Basaren spielen mir mehrere Händler Brandreden eines Ajatollah Cho­ meini vor, Kassetten aus dessen Exil, die sie unter Bergen von Pistazien ver­ steckt haben. Wir kennen keinen Chomeini, sagt die deutsche Botschaft. Ajatollah who?, heißt es bei den Amerikanern, die mit 3000 CIA-Agenten in Teheran vertreten sind. Sie glauben, der Mann aufdem Pfauenthron kön­ ne sich noch lange halten.

Von ERICH FOLLATH

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ie Boeing 747 der Air France mit dem Ajatollah an Bord kreist dreimal über dem Flughafen Te­ heran. Die Gerüchte über­ schlagen sich. Abfangjäger, die den Jum­ bo seit seinem Eintritt in den iranischen Luftraum angeblich begleiten, sollen die Maschine abschießen. Sie werde ent­ führt. Eine Bombe sei an Bord. Ruhig bleibt nur Ruhollah Chomeini, so als gin­ ge ihn das alles nichts an - oder er sei sich Gottes Unterstützung, Gottes Auf­ trag absolut sicher. Der grimmige Alte mit dem langen Bart und den alles durch­ dringenden Augen streift die Schuhe ab, kniet auf seinem mitgebrachten Tep­ pich, rückt den schwarzen Turban zu­ recht, der ihn als Nachfahren des Pro­ pheten ausweist. Er spricht ein Gebet gen Mekka. Und dann setzt das Flugzeug auf, ohne Probleme: l. Februar 1979, Ortszeit 9.39 Uhr. Der Schah, der zwei Wochen zuvor geflohen war, ist endgültig Ge­ schichte. Die islamische Revolution bläst zum Sturm auf die Bastionen der Macht. Eine neue Ära hat begonnen. Die Fahrt durch Teheran gerät zum Triumphzug. Chomeinis erstes Ziel ist der Zentralfriedhof Behescht-e Sahra, wo die "Märtyrer" liegen, die im Kampf gegen den verhassten Schah ihr Leben verloren haben. "Imam, du Licht unse­ res Lebens", rufen die Menschen eupho­ risch. Der Ajatollah macht gleich klar, dass er auch eine weltliche Agenda hat: Er werde den vom Schah eingesetzten Übergangs-Premier Schapur Bachtiar nicht tolerieren. Die Zukunft Irans steckt in einer Mappe, die der Chomei­ ni-Vertraute Sadegh Tabatabai während der Landung dem mitreisenden deut­ schen Fernsehjournalisten Peter Scholl116

Latour vertraulich in die Hand gedrückt und ihm dann, als niemand die Entou­ rage des Ajatollahs behelligte, eilends wieder abgenommen hat: Das Reisege­ päck enthält den Entwurf der kommen­ den Verfassung - die Blaupause für ei­ nen Gottesstaat. Der autoritäre Schah war mit seiner "Weißen Revolution", einer erzwunge­ nen Modernisierung Persiens nach west­ lichen Mustern, kläglich gescheitert; sein Geheimdienst terrorisierte die op­ positionellen Studenten, demütigte die einflussreichen Basarhändler. Eine kor­ rupte Oberschicht teilte den durch die Explosion der Erdölpreise sprunghaft gewachsenen Reichtum unter sich auf. Das Volk, stolz auf seine vieltausendjäh­ rige Zivilisation, tief religiös und immer noch zornig über den CIA-Putsch ge­ gen den gewählten nationalliberalen Premier Mohammed Mossadegh im Jahr 1953, empfand die allgegenwärtige Amerikanisierung Persiens als Ausver­ kauf nationaler Interessen.

Wahrend Chomeini für uns wie ein furchterregender mittelalterlicher Ra­ chegott wirkt, sehen die Iraner in ihm einen zukunftsweisenden, gerechten, unbestechlichen Heilsbringer. Der Aja­ tollah, am Tag seines Triumphes schon 76 Jahre alt, hat zeitlebens keinen Hehl daraus gemacht, dass er sich selbst als Werkzeug des Allmächtigen betrachtet. Anders als die meisten schiitischen Kle­ riker predigt er nicht den quietistischen, unpolitischen Glaubensansatz, sondern definiert den Islam als Anleitung zur Re­ volution gegen den "gottlosen" Schah. Und also spricht Chomeini, gewisserma­ ßen als Vertreter des Mahdi, dessen Rückkehr auf Erden von den Schiiten heiß ersehnt wird: "Ich bin gekommen, um Gerechtigkeit walten zu lassen, all die Erniedrigten, Geknechteten, Ausge­ beuteten werden endgültig frei sein." Der Schah hat sein Volk nicht gekannt, er unterschätzte völlig die Volksfrömmig­ keit, die Trauerrituale, den Märtyrerkult, die Erlösungssehnsucht, die das Leben der Perser prägen. Er hat Chomeini ein­ sperren, dann verbannen lassen; eine läs­ tige Fliege, nicht mehr. Bis aus der Fliege ein Millionenschwarm wurde, der seinen iranischen Himmel verdunkelt. Chomeini macht nach seiner trium­ phalen Rückkehr nach Teheran rasch klar, dass er die Macht nicht mit den Ehemaligen teilen will; er lässt auch re­ formwillige Repräsentanten des alten Regimes hinrichten. Und er will auch keine Kompromisse mit den Linken und Liberalen, die ja den Kampf gegen den Schah mitgetragen haben, treibt sie in den Untergrund. In wenigen Tagen hat der reißende Strom der Revolution das

ganze Land durch­ einandergewirbelt, und wer nicht für Chomeini ist, muss mit allem rechnen. Eine überwälti­ gende Mehrheit des Volkes billigt Ende März 1979 die Entscheidung zur Gründung der Islamischen Repu­ blik. Die "Wela­ j at-e Fakih", die "Herrschaft des führenden Rechts­ gelehrten", ist eine einmalige Kon­ struktion, eine Mi­ schung aus Demo­ kratie-Elementen und päpstlichem Vatikan, mit Ein­ sprengseln einer Diktatur a la Nord­ korea. Und mit An­ leihen von Platon: Chomeini schätzt den Griechen und dessen Vorstellun­ gen vom Idealstaat unter einem philo­ sophenherrscher sehr. Chomeini hat zwar der Form nach Institutionen einer parlamenta­ rischen Demokra­ tie akzeptiert, für sich aber ein Amt Chomeini bei geschaffen, das über allen gewähl­ ten Organen steht. Als "religiöser Füh­ rer" legt er die Richtlinien der Politik fest, kontrolliert die Streitkräfte, den Ge­ heimdienst, die Justiz, die Medien. Ein­ zige wesentliche Einschränkung seiner Macht: der "Expertenrat". Das aus 86 Theologen zusammengesetzte Gremium besitzt das Recht, ihn abzusetzen und einen Nachfolger zu bestimmen. Ein rein theoretisches Recht, solange der Chef eine das ganze Volk einigende, un­ umstrittene Persönlichkeit ist. ,;Vom ersten Tag an hat Chomeini kei­ nen Widerspruch geduldet und geplant, wie ein Diktator zu regieren", meint rückblickend im Gespräch mit SPIEGEL GESCHICHTE Abol Hassan Banisadr, 77. Als erster frei gewählter Präsident

publik prägen, de­ ren Schicksal sich wie ein roter Faden durch die Historie des neuen Iran zieht. Diese vier ha­ ben lange gemein­ sam an emem revo­ lutionären Strang gezogen, bis sie dann unterschied­ liche Richtungen einschlagen, nicht mehr nur mit­ einander, sondern auch gegeneinan­ der kämpfen: Hossein Ali Montaseri, der sanftmütige Islam­ gelehrte, den die Menschen ehrer­ bietig "Mardscha­ e Taglid" nennen, "Quelle der Nach­ ahmung"; Ali Ak­ bar Haschemi Raf­ sandschani, Pis­ taziengroßhändler und gewiefter Tak­ tiker' den sie respektvoll, aber misstrauisch "Hai­ fisch" G,Kuseh") ti­ tulieren; Ali Cha­ menei, der im Volk lange Anerken­ nung genoss, aber heute nur noch Diktator" "der heißt; Mir Hos­ sein Mussawi, der gefügige Spitzen­ der ersten Pressekonferenz nach seiner Rückkehr 1 979 Technokrat, der der Islamischen Republik bald in Ungna­ als Oppositionspolitiker in eine Helden­ de gefallen, musste er seine Heimat ver­ rolle gedrängt wurde. Übervater Chomeini und unter lassen - heute lebt er im französischen Exil. Wie die Ironie der Geschichte will, ihm, neben ihm, vier Musketiere: nur wenige Kilometer von Neauphle-Ie­ der Heilige und der Haifisch, der Ver­ Chateau entfernt, wo sich einst Chomei­ hasste und der Vielversprechende. ni auf seine Rückkehr nach Iran vorbe­ Gemeinsam bilden sie das persische Puzzle, das die Welt gespannt ver­ reitet hat. Der Mann an der Staatsspitze mag au­ folgt, dem sie sich nicht entziehen toritär sein - ganz ohne einen Kreis von kann. Denn anfangs mag mancher im Vertrauten agiert er nicht. Diese Mitstrei­ Westen das Experiment eines Gottes­ ter machen gemeinsam mit dem Meister staates mit dem Konzept eines Revolu­ die iranische Revolutionsgeschichte aus, tionsexports belächelt, als exotisches sie sind bis heute die Charaktere, die nahöstliches Konstrukt abgetan haben Chiffren für das große Schattenspiel. - nach dem 4. November 1979 geht das Die pfeiler neben dem Grundpfeiler. nicht mehr. Da legt sich Iran mit den Vier sind es vor allem, die neben Cho­ USA an; da nimmt das Regime Amerika meini die Geschicke der Islamischen Re- als Geisel.

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Chomeini spricht vor Anhängern, September 1987

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Machtpolitiker Chomeini erkennt beim Sturm der Studenten auf die ame­ rikanische Botschaft in Teheran sofort die Chance, sein Volk auf einen Feind von außen einzuschwören. Er billigt die Geiselnahme ausdrücklich, lässt Gerüch­ te streuen, Washington wolle den da­ mals in den USA lebenden Schah zurück ins Amt hieven. Die Bilder der mit ver­ bundenen Augen vorgeführten Diploma­ ten brennen sich in das kollektive Ge­ dächtnis der Amerikaner ein; 444 Tage sollte das unwürdige Drama schließlich dauern und US-Präsident Jimmy Carter nach einem kläglich missglückten Be­ freiungsversuch seiner Marine-Infante­ rie die Wiederwahl kosten. Geduldet von Washington und später sogar von amerikanischel' Logistik un­ terstützt, startet im September 1980 Iraks Diktator Saddam Hussein einen Angriffskrieg gegen sein Nachbarland, das er durch die Revolutionswirren ge­ schwächt glaubt - es sind herzzerreißen­ de Bilder, die kein Iraner vergisst. Der Feind kämpft auch mit chemischen Waf­ fen. In den Sümpfen von Chon'am­ schahr mag damals die Idee geboren worden sein, Teheran brauche die ulti­ mative Waffe, die Atombombe. "Kampf bis zum Sieg" heißt die Parole Chomeinis. Gnadenlos schickt er min­ derjährige Möchtegernmärtyrer mit dem "Schlüssel zum Paradies" um den Hals über Minenfelder (siehe Seite 134). Etwa eine Million Menschenleben kos­ tet der acht Jahre währende Krieg. Er endet mit einem Patt. Dass er überhaupt endet, ist maßgeblich Verdienst des Pragmatikers Rafsandschani. Vom Par­ lamentspräsidenten zum Oberbefehls­ haber der Streitkräfte befördert, kann der mächtige Unternehmer den unnach­ giebigen Chomeini schließlich doch zu einem Waffenstillstand überreden. Der fühlt sich 1988, als hätte er "einen Be­ cher Gift" zu trinken bekommen.

Geiseln in der Teheraner US-Botschaft,

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Reportagereise nach der Revolution, und noch nie war es so schlimm. Wie Robespierre hat Scharfrichter Sadegh Chalchali mit seiner Willkürjustiz ge­ wütet. Längst nicht mehr nur Schah-Vertraute werden hingerichtet, son­ dern auch Homosexuelle, Drogenabhängige, Prostituierte, 14-jährige Jungs, die sich einen Scherz über den Imam erlauben. Der Tod ist nun ein Meister aus Teheran. Grausig und abstoßend wirkt der mit rotgefärbtem Wasser be­ triebene "Blutbrunnen" am Heldenfriedhof - kann man diesen Horror noch steigern?

Die Beendigung der Kriegshandlun­ gen ist einer der wenigen Kompromisse im ersten Jahrzehnt der Islamischen Re­ publik. Chomeini hat mit Unterstützung seiner Vertrauten Mussawi (damals Pre­ mierminister, der die Kriegswirtschaft kompetent organisiert), Chamenei (da­ mals Staatspräsident, der, durch einen Anschlag in einer Moschee am Arm ver­ letzt, zum "Märtyrer" wird) und Monta­ seri (damals Vize des Religionsführers und sein designierter Nachfolger) die Gründung der Hisbollah (" Partei Got­ tes") im Libanon vorangetrieben und sie auch zu Selbstmordattentaten ermutigt. Gegen tatsächliche oder vermeintliche Gegner im Inneren geht das Regime mit gnadenloser Härte vor.

re, verteidigen sie den Mitstreiter? Mit keinem Wort. Mussawi hat sich bis da­ hin als Mann ohne wirklichen Machtin­ stinkt gezeigt; er zieht sich für die nächs­ ten beiden Jahrzehnte weitgehend aus der aktuellen Politik zurück, wird später Präsident der iranischen Akademie der Künste. Rafsandschani und Chamenei aber kämpfen hinter den Kulissen um Einfluss, lauern gemeinsam und belau­ ern einander: Sie wissen, der erste Mann im Staat ist an Krebs erkrankt - der Ab­ stieg des Freundes Montaseri ist die Chance zu ihrem Aufstieg. Am 3. Juni 1989 stirbt der Gründer des Gottesstaates. Am Tag danach tref­ fen sich die Würdenträger des Experten­ rats zu einer Versammlung, um die Nachfolge zu regeln. Rafsandschani führt das große Wort, wie jüngst aufge­ tauchte Filmdokumente belegen. Er war - so schildert er - als Letzter am Kran­ kenbett Chomeinis, bei diesem Treffen hat ihm der "Imam" angeblich Ali Cha­ menei als seinen Nachfolger empfohlen. Demütig erhebt sich vor den Klerikern der so Gesalbte und erklärt in einer ty­ pisch iranischen Geste der vorgetäusch­ ten Bescheidenheit, das sei zu viel der Ehre. Rafsandschani erzwingt eine Ab­ stimmung per Akklamation zu Chame­ neis Gunsten. Für 'sich reklamiert er ei­ nige Tage später das durch eine Verfas­ sungsänderung aufgewertete Präsiden­ tenamt. Die beiden haben sich arrangiert, ge­ meinsam das Erbe des Staatsgründers angetreten. Chamenei ist formal die Nummer eins, Rafsandschani hat Anlass zu glauben, er sei die faktische Nummer eins. Denn der Merkantile weiß: Chame­ nei hat eine Achillesferse, ihm fehlen als religiösem Führer die hohen theologi­ schen Weihen - seine bisherigen Veröf­ fentlichungen reichen nicht für eine Aja­ tollah-Würde. Doch Rafsandschani unterschätzt Chamenei. Nun, da der Mann aus der heiligen Stadt Maschhad oberster reli-

giöser Führer geworden ist, vermag er auch seine theologische Aufwertung zu arrangieren und ringt der schiitischen Geistlichkeit den Ajatollah-Titel ab. Großajatollah Montaseri lässt er später unter Hausarrest stellen und von ange­ heuerten Hooligans dessen Bibliothek in Ghom verwüsten. Und Chamenei ver­ stärkt auch anderweitig seine Truppen, im wahrsten Sinn des Wortes: Er über­ nimmt die einst vom "Imam" gegründe­ ten Revolutionswächter, die Chomeini als Gegenentwurf zu der durch die Schah-Zeiten geprägten, der Illoyalität verdächtigen regulären Armee ins Leben gerufen hat. Er verschafft ihnen Waffen und Zugang zu Firmenimperien und zur Erdöl-Exploration. Er macht die Revo­ lutionswächter zum milliardenschwe­ ren Staat im Staate. Und deren Unterab­ teilung, die Bassidsch-Milizen, zu all­ seits einsetzbaren Schlägertrupps. Revolutionsführer Chamenei und Präsident Rafsandschani können nicht ohneeinander. Aber, wie sich bald her­ ausstellt, auch nicht miteinander. Chameini schlägt sich auf die Seite der Konservativen, die auf strikte Ein­ haltung der Kleiderordnung und der mo­ ralischen "Sauberkeit" der Presse beste­ hen. Außenpolitisch ist er ein Hardliner und spielt das alte Lied vom "großen Teufel" USA. Rafsandschani plädiert für eine Lockerung der Zügel, für größere persönliche Freiheiten; wenn es Gegen­ wind gibt, ist er allerdings nicht bereit zu kämpfen. Immerhin gelingt es ihm, die verkrustete Wirtschaft teilweise zu privatisieren. Außenpolitisch gibt er den vorsichtigen Realo der Revolution: Er hat zu Schah-Zeiten die USA bereist und kennt gegen eine Annäherung an den Westen keine Vorbehalte - solange Iran als "gleichwertiger Partner" behandelt wird. Doch auch wenn der Multimillionär 1993 noch einmal ins Präsidentenamt ge­ wählt wird, macht sich im Land die Ent­ täuschung über den schneckenhaften Fortschritt breit. Und der Westen weiß nicht, was er von einer iranischen Füh­ rung halten soll, die fast gleichzeitig Ges­ ten des guten Willens Richtung USA und Westeuropa aussendet - und Killerkom­ mandos schickt wie im Fall "Mykonos": Im April 1997 erklärt ein deutsches Ge­ richt die iranische Staatsführung für schuldig, in dem Berliner Restaurant ein Attentat auf kurdische oppositionelle organisiert zu haben. Einen Monat später müssen Chame­ nei und Rafsandschani erkennen, dass

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afsandschani, Chamenei und Mussawi schweigen zu den Exzessen. Sie schließen sich dem vom Revolutionsführer wegen Beleidigung des Glaubens verfügten Mordaufrufgegen den Schriftsteller Sal­ man Rushdie (" Die satanischen Verse") an. Aber einer der vier Musketiere springt ab. Großaj atollah Montaseri kann das Stillhalten nicht mehr mit sei­ nem Gewissen vereinbaren. Er schreibt Brandbriefe an Chomeini, fordert eine Begnadigung des Autors und prangert die Menschenrechtsverletzungen scharf an. Der Mann, den der Staatsgründer einmal "Frucht meines Lebens" genannt hat, fällt in Ungnade. Im März 1989 ver­ stößt Chomeini seinen "liebsten Bruder" und desi­ gnierten Nachfol­ ger: "Du bist dieses Amtes nicht wert." Und die ande­ 5. November 1979 ren drei Musketie-

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sie das Volk nicht mehr hinter sich ha­ ben. Völlig überraschend setzt sich bei der Präsidentenwahl der gemäßigte und weltoffene Reformer Mohammed Cha­ tami, Ende der siebziger Jahre kurze Zeit Direktor des Islamischen Zentrums Hamburg, gegen einen von dem Duo be­ vorzugten konservativen Kandidaten durch - mit gut 70 Prozent der Stimmen. Der religiöse Führer und Rafsan­ dschani tun alles, um dem Neuen Steine in den Weg zu legen. Sie konterkarieren seine Reformbemühungen, schicken den Geheimdienst los, um missliebige Intellektuelle und andere Chatami-An­ hänger zu drangsalieren. Übervorsich­ tig beginnt der Unerfahrene zu lavieren. Und Washington lässt den Reformer im Stich, der öffentlich die Botschaftsbe­ setzung von 1979 "bedauert", einen in­ terkulturellen Dialog anbietet und den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hilft, Qaida- und Ta­ liban-Ziele in Afghanistan zu finden. Keine Wiederaufnahme der Beziehun­ gen, kein "Auftauen" eingefrorener Kon­ ten: Iran liegt für Washington auf der "Achse des Bösen". Es sind Jahre der vertanen Chancen, der Fehleinschätzungen auf allen Seiten. Und obwohl Chatami 2001 noch einmal und mit noch größerer Stimmenzahl ge­ wählt wird, bleiben die Zeiten bleiern, die gesellschaftlichen Fortschritte mar­ ginal. Die Intelligenzija und die Jugend entpolitisieren sich. Wer Geld hat, kann sich mit den Autoritäten arrangieren, es sich bequem in einem parallelen Leben einrichten. Die jungen Frauen der Ober­ schicht sind in der Öffentlichkeit ver­ schleiert, injeder Beziehung unauffällig; in ihren eigenen vier Wanden feiern sie Partys mit tiefen Dekolletes, neuesten DVDs aus Hollywood.

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Chomeinis Mitstreiter und Rivalen: Hossein A l i Montaseri, A l i Chamenei, Hossein M ussawi, Ali Akbar Rafsandschani

ie graue Eminenz Raf­ sandschani will es noch einmal wissen: 2005 kan­ didiert er erneut fürs Prä­ sidentenamt - und erlebt den ultimativen Verrat des Mannes, dem er zum höchsten Amt verholfen hat. "Wenn es sein muss, kann Chamenei selbst Stalin wie ein Weichei aussehen lassen", urteilt der Landeskenner Robert Baer. Der religiöse Führer lässt nicht nur zu, dass Rafsandschani in den Medien als korrupte, "fette Katze" diffamiert wird, er zaubert auch noch einen Gegen­ kandidaten aus dem Hut und macht klar, dass er den für geeigneter hält als den langjährigen Freund: Mahmud Ahmadi-

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Endlich wieder in Ghom, endlich ein von Freunden organisiertes konspirati­ ves Treffen mit Montaseri. Gerade erst ist der Hausarrest des Großajatol­ lah aufgehoben, ausländische Presse soll er nicht empfangen. "Aber ich habe nichts mehr zu verlieren ", sagt er zur Begrüßu ng in seinem bescheide­ nen Heim. Was für ein eindrucksvoller Mann: selbstkritisch im Rückblick über sein langes Schweigen zu den Fehlentwicklungen der Islamischen Re­ publik. "Wir haben durch unsere Exzesse die Achtung der Welt verspielt. Ich möchte so viel wieder gutmachen, ich bin nicht frei von Schuld." Er habe keine Scheu, seine früheren Vorstellungen zu korrigieren, der Gottes­ staat sei gescheitert. Einige Stunden später ein Besuch im Haus des ehema­ ligen Blutrichters Chalchali, der die Revolution zu einem Schlachthofge­ macht hat. Er hat nichts verstanden, nichts zu bereuen, obwohl er von "not­ wendigen Reformen" redet. Zwei Männer, kaum mehr als einen Steinwurf voneinander entfernt, und wenn sie sich sehen, wechseln sie die Straßensei­ te: der Sanfte und der Schlächter.

nedschad. Überraschend behält der lan­ desweit kaum bekannte, aber als unbe­ stechlich und volksnah geltende Tehe­ raner Bürgermeister die Oberhand. Ahmadinedschad küsst nach seiner Amtseinführung "Vater" Chamenei die Hand. Er führt sein Hardliner-Regime weitgehend nach dem Geschmack Cha­ meneis: antiliberal im Inneren, antiwest­ lich in der Außenpolitik - Amerika bleibt das Feindbild, Israel das Hassob­ jekt. In der Atomfrage passt kein Blatt Papier zwischen die beiden. Öffentlich betonen sie, nicht an Kernwaffen inte­ ressiert zu sein, die seien "unislamisch". Im Geheimen treiben sie wohl ein mili­ tärisches Nuklearprogramm mit aller Kraft voran - die Schia erlaubt den Gläu­ bigen in existientiellen Ausnahmefällen ausdrücklich die "Takija", die Notlüge. Trotz des Schulterschlusses zwi­ schen erstem und zweitem Mann im Staate ist Iran alles andere als eine mo­ nolithische Gesellschaft. Viel spricht für die Annahme der US-Außenministerin Hillary Cl inton, Iran bewege sich durch die zunehmende Macht der Revolutions­ wächter (die auch entscheidend in das Atomprogramm involviert sind) "in Richtung einer Militärdiktatur". Und doch existieren verschiedene, gelegent­ lich konkurrierende Machtzentren. Be­ sonders gut war das bei der jüngsten, so dramatischen Präsidentschaftswahl zu beobachten. Der Wahlkampf 2009 dauert nur we­ nige Wochen. Zunächst scheint Ahma­ dinedschads erneuter Sieg gesichert. Der aus der Versenkung aufgetauchte Ex-Premier Mussawi ist ein blasser, un­ inspirierender Gegenkandidat - bis zu 120

jenem denkwürdigen Abend im Juni 2009, als der Amtsinhaber während ei­ ner live ausgestrahlten Fensehdiskus­ sion den Herausforderer unflätig be­ schimpft und dessen Frau beschuldigt, ihren Doktortitel erschlichen zu haben. Da vergisst der aufgebrachte Mussawi alle Vorsicht und greift Ahmadined­ schad frontal an: "Sie führen unser Land in die Diktatur!" Viele junge Leute, die nicht vorhatten, zur Wahl zu gehen, horchen auf. Sie be­ schließen nun, den Oppositionskandida­ ten zu unterstützen. Westliche Wahlfor­ scher sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus, manche sehen sogar Mussawi vorn. Als nach der Auszählung eine Ah­ madinedschad-Mehrheit von fast 63 Pro­ zent verkündet wird, gehen die Men­ schen empört auf die Straße - für sie ist klar, dass es sich um eine massive Wahl­ fälschung handelt. "Wo ist meine Stim­ me?", skandieren die Demonstranten,

die sich darauf verstehen, über neue Me­ dien und Netzwerke zu kommunizie­ ren. Von der Staatsgewalt geschickte Bassidsch-Milizen schlagen auf die Wehrlosen ein, Dutzende Tote und Hun­ derte Verletzte sind zu beklagen. Mit der auf der Straße sterbenden Neda be­ kommt die Bewegung ihre Ikone. Und bald schon ändert sich der Ton der Demonstranten. Auch der religiöse Führer ist nicht mehr sakrosankt. "Nie­ der mit dem Diktator!", rufen manche, andere - wenige noch - fordern eine De­ mokratie. Auch wenn heute die Zahl der Demonstranten abnimmt, wenn wenig auf ein schnelles Ende des Gottesstaates und seiner Machtstrukturen hindeutet - langfristig scheint die Oppositionsbe­ wegung kaum mehr zu bremsen zu sein. Was wurde aus den vier Musketieren, die angetreten sind, gemeinsam mit dem Revolutionär Chomeini den neuen Iran aufzubauen? Nachfolger Chamenei, 70, hat beim Volk seinen Kredit verspielt, scheint un­ fähig zum Kompromiss. Mussawi, 68, könnte über sich hinauswachsen, von der Geschichte zu einem Großen ge­ macht werden, auch wenn er inhaltlich den Protestierenden hinterherhinkt. Raf­ sandschani, 75, hat Witterung aufgenom­ men. Der ewige Händler der Macht stellt sich auf die Seite der Opposition, lässt aber seine Gesprächskanäle zur Staatsführung nicht abreißen - der "Hai­ fisch", der hat Pläne, doch die trägt er nicht im Gesicht. Montaseri hat sich noch einmal zu einer erstaunlichen Fat­ wa aufgeschwungen, in der er sein Volk zum Widerstand aufrief: "Jeder Mensch hat angesichts von Tyrannei eine Verant­ wortung." Dann starb er, 87-jährig, in sei­ nem Haus in Ghom - ein bleibendes Symbol.

THEOKRATEN IN TEHERAN 1979

autors S a l m a n Rushdie auf. Großbritannien bricht dar­

2001

t i ve B ü rgermeister Tehe­

Februar: Ajato l l a h R u h o l ­

W i ederwahl M o h a m med

rans, w i rd Präsid ent der

l a h Chomeini kehrt n a c h

a u f h i n die d i p l o matischen

Chata mis zum Präsiden­

I s l a m i schen R e p u b l i k .

1 4 J a h ren Exil n a c h Teheran

Beziehungen zu I ran ab.

ten.

Juni: Ajato l l a h Chomeini

stirbt; A l i Cha menei w i rd

R e p u b l i k I ra n w i rd prokla­ m iert, eine Volksabstim­ mung i m Dezember bestä­

Verfassu n g : Politische und

Länder I ra k, I ra n u n d

erste Erfolge bei d e r U ra n ­

tigt die theokratische Ver­

geist l ic he Führung werden

N o rd korea e i n e "Achse

a n reicherung; e i n U lt i ma­ t u m der U n o gegen d i e

N a c h J a h ren i nternatio­

sein Na chfo l g e r a l s Revo­

2002

J a n u a r : U S-Präsident

naler D i s pute ü ber seine

lutio nsfü h rer. Revision der

George W. Bush nennt die

N u klearpläne mel det I ra n

fassung m i t hoher M a c ht

getrennt, der Präsident

des Bösen".

der Geist l i chkeit. Der I nge­

führt auch d i e Regierung.

August: I ra n i sche E x i l ­

Fortsetzung d e s N u klear­

nieur M a h d i Basarg a n w i rd Chef einer ersten Ü ber­

August: A l i Akbar Hasche­

Oppositionelle berichten

programms verstreicht.

mi Rafsa ndschani w i rd

ü ber ein geheimes N u ­

g a ngsregierung.

Staatspräsident.

klearpro g ra m m .

November: M i l itante

I s l a m isten nehmen i n der

1995

2003

REZA TAMADDONI 20140501 Teheraner US-Botschaft

z u nächst 90 Geiseln; sie

D i e U S A beg i n nen e i n Ö I - u n d Handelsembargo

2009

SPIEGEL GESCHICHTE

2 I 2010

Ra kete, d i e laut i h ren Erbauern Ziele in Israel

schenrechtsaktivistin

t reffen könnte.

fordern ohne Erfolg d i e

Bei den Wa h l e n gewinnen

A u s l i eferung d e s Schahs

Konservative wiederum

(der i m Juli 1980 im ägyp­

eine große Mehrheit der

t i schen Exil stirbt).

Sitze - viele Reformka n d i ­

1980

terrat d a ran gehi ndert,

A b o l H a s s a n B a n i s a d r w i rd zum ersten Präsidenten

der I s l a m i schen Repu b l i k

daten wurden vom Wäch­ sich zur Wa h l zu stel len.

2009

gewä h lt.

Juni: M a h m u d A h m a d i ­

1980-1988

der Präsidentschaftswah­

Krieg zwischen I ra k und

len erklärt . Die Anhänger

I ra n nach einem Ang riff

sei nes R iva len Hossein

nedschad w i rd zum Sieger

des i ra k i schen D i ktators

M u ssawi demonstrieren

Saddam H ussein - trauma­

wochen lang gegen das

Baustelle des international umstrittenen Kernkraftwerks in Buschehr

tisch verlustreiche Käm pfe besonders auf i ra n ischer

Wa h l ergeb n i s . Im Zuge d i eser "grünen Beweg u n g " g i bt es mehrere Dutzend

gegen I ran; sie bezichtigen

S c h i ri n E b a d i erhält den

Tote und ü ber 1000 Ver­

etwa eine M i l l i o n g e b i l dete

das Land der U nter­

Friedensnobelpre i s .

haftungen.

I raner ins E x i l .

stützung des Te rrorismus.

2004

Chomei n i -R ivalen G roß­

der M e i n u ngsfreiheit treibt

Unser SPIEGEL - Gespräch mit Holocaust-Leugner Ahmadinedschad war entlarvend, unser Interview mit dem lavierenden Mussawi fasziniere nd ­ aber was ist das verglichen mit diesem Abend in Teheran? Mit dieser Mutter, die uns in ihrer bescheidenen Wohnung vom Tod des ältesten Soh­ nes bei einer Demonstration erzählt, von ihrer Odyssee durch die Behörden, um seine Leiche freizubekommen, von ihrer grimmigen Entschlossenheit, mit ihren anderen drei Söhnen bei der nächsten Oppositionskundgebung wieder dabei zu sein? Als wir nach Mitternacht ins Hotel gehen, dröhnt von allen Dächern der Schlachtrufder Opposition: Allahu akbar Gott ist groß! Und die Hausflure sind grün geflaggt. Grün ist die Farbe des Islam, die Farbe der Hoffnung - wie damals, vor 31 Jahren, als es gegen den Schah ging.

2008

Testfl ug e i n e r i ran ischen

D i e Anwä ltin u n d Men­

Seite. D i e Besc h rä n kung

MEIN IRANI SCHES NOTIZB UCH, AUSZUG HERBST

2006

zurück. April: D i e I sl a m i sche

1981

52 U S ­

1997

D i e Konservativen kehren

Dezember: Der Tod des

ajato l l a h Hossein Ali Mon­

D e r g e m ä ß i gte Geistliche

in Parla mentswa h l e n an

taseri führt zu neuen Pro­

Geiseln kommen frei.

M o h a m m ed Chata mi w i rd

die Macht zurück - Ta u­

testen gegen das Reg i me.

Oktober: Der Kleriker A l i

Staatspräsident.

Januar: Die letzten

Chamenei w i rd zum Präsi­ denten gewä hlt.

1 999

Demonstrationen reforme­

sende von Reformka n d i d a ­ t e n waren v o m Wächterrat vor der Wa h l abgelehnt

2010

Februar: Oppositi o nsfüh­

worden.

rer M u ssawi erklärt, sei ne

2005

l i chen Wid erstand gegen

1 989

risch gesin nter Studenten

Februar: Ajato l l a h Cho­

in Teheran enden in Stra­

meini ruft i n einer Fatwa

ßensc h l achten und über

M a h m u d Ahmadi ne­

d i e Regierung weiter fort­

1000 Festnahmen.

dschad, der u l trakonserva-

setzen.

zur Tötung des Roman-

SPIEGEL GESCH I C HTE

2 I 2010

Bewegung wolle den fried­

"r

1 21


DAS M U L L A H - R E G I M E

SPIEGEL-G E SPRÄCH

Prinz Kyros Resa Pahlewi über d ie Politik seines Vaters, d es -l�t�-t��--S-�h-�h-� �---Üb-�-�--i�-��--�l�---s-p-i-�ib�Ü--f�-�-��i�-�--Mä�i�t�--� n d ----Üb��--di�--R�b�Üi��--g�g��--di�--i-�l��-i�-�-h�--FÜh��-�g --i�--T�h-�-�-��---- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

"Eine attraktive Trophäe"

dungseinrichtungen. Um S P I E G EL: Majestät, Kaiser­ Schah Mohammed Resa u n d Königin Farah Diba-Pa h l ewi das Land zu modernisie­ liche Hoheit, Exzellenz ... mit i h ren Söhnen Prinz Ali Resa (2. v. 1.) ren und voranzubringen, wie sollen wir jemanden und Kyros Resa Pah l ewi (r.) 1 978 in Teheran musste man die gesamten ansprechen, der als Kron­ prinz Kyros Resa Pahlewi Lebensumstände verbes­ sern. Das Wichtigste war, ausersehen war, seinem Va­ in einer traditionell von ter, Schah Mohammed Re­ sa Pahlewi, auf den Pfauen­ Männern dominierten Ge­ sellschaft die Rechte der thron zu folgen? Resa Pahlewi: Das ist mir Frauen zu stärken und de­ ren Emanzipation und be­ nicht so wichtig. Titel sind rufliche Qualifikation zu mir einerlei. Wichtig sind fördern. Das steht in völli­ mir die Ideen und Vorstel­ gem Gegensatz zur recht­ lungen, die ich vermitteln möchte zur Zukunft mei­ lichen Lage der Frauen im heutigen Iran. Erhöhung nes Landes ... SPIEGEL: ... das Sie im Somdes Lebensstandards, Bil­ mer 1978 verlassen haben. dung, Gesundheitswesen, Stabilität und Sicherheit Resa Pahlewi: Ich war sieb­ zehneinhalb Jahre alt und ___ das sind Dinge, die für die ging in die USA, um meine meisten Menschen erstre­ benswert waren und für Pilotenausbildung in Texas die mein Vater sich einge­ zu machen. Ich dachte, ich setzt hat. käme nach einem Jahr wieS P I E G E L: Der Erfolg aber der nach Hause. blieb aus. S P I E G E L: Was waren Ihre Resa P a h l ew i : Das ist zu Gefühle, als Ihre Eltern im hart geurteilt. Aber viel­ Januar 1979 ins Exil gin­ gen? leicht wollte er zu schnell eine Agrargesellschaft in Resa Pahlewi: Ich weiß, eine industrielle verwan­ dass meine Eltern damit be­ schäftigt waren, das zu bewältigen, was ruft die junge Generation auf den Stra­ deln. Zum andern wollten die Intellek­ Tag für Tag passierte. Ich glaube, nicht ßen Irans nach Demokratie und nach tuellen an den Entscheidungsfindungen einmal die damalige Opposition konnte der Trennung von Staat und Religion. beteiligt werden, was aber so nicht ge­ vorhersagen, wie es weitergehen würde. Diese Forderungen sind die Folgen von lungen ist. Ich persönlich glaube, dass Injenen revolutionären Wirren hat mein Korruption und Despotie, die mit dem der Liberalisierungsprozess nicht schnell genug vor sich ging. Außerdem waren Vater das Land freiwillig verlassen. Er jetzigen Regime verbunden werden. glaubte, es sei das Beste für Iran. Heute, S P I EGEL: Ihr Vater, der Iran von 1941 bis auch Kräfte am Werk, die nicht unbe­ aus dem Abstand von über 30 Jahren 1979 regiert hat, musste sich ähnliche dingt die Interessen der Nation im Auge hatten - Elemente, die eng mit auslän­ stellt sich vieles anders dar. Das Gegenteii Vorwürfe anhören. dessen, was sich die Menschen ver­ Resa Pahlew i : In den frühen Zwanzi­ dischen Interessen verbunden waren. sprochen hatten, ist eingetreten. Heute gern, als mein Großvater die politische SPI EGEL: Sprechen Sie von Amerikanern Bühne betrat, war Iran noch ein schreck­ oder von den Sowjets? lich unterentwickeltes Land. Es gab Resa Pahlewi: Ich meine marxistische Das Gespräch führten die Redakteure Dieter Bed­ narz und N orbert F. Pötz! in Paris. praktisch keine weiterführenden Bil- Kräfte, die unter sowjetischem Einfluss

REZA TAMADDONI 20140501

122

S P I EGEL GESCH ICHTE

2 I 201 0

standen. Wir waren damals im Kalten Krieg. Das Land lag an der Nahtstelle zwischen Ost und West, eingezwängt in widerstrebende Interessen. In Iran woll­ ten beide Seiten Einfluss gewinnen. Un­ ter den Intellektuellen war die Analyse der Situation sehr oberflächlich. S P I EGEL: Hätte die islamische Revolu­ tion verhindert werden können, wenn Meinungsfreiheit geherrscht hätte? Resa Pahlewi: Eine Menge Faktoren hät­ ten die Revolution verhindern können. Unsere Gesellschaft war sich nicht dar­ über im Klaren, was die Konsequenzen

SPIEGEL GESCHICHTE

2 I 2010

einer religiösen Revolution sein würden. Als Chomeini seinen Fuß auf iranischen Boden setzte, war Iran nicht wichtig für ihn. Es ging ihm um die Vision einer re­ volutionären Interpretation des Islam. Die wollte er in den Rest der Welt exportieren. der S P I E G EL: Wann, glauben Sie, war Ent­ die aus dem von ht, erreic Punkt wicklung unter der Herrschaft Ihres Va­ ters in eine falsche Richtung ging? An­ Resa Pahlew i: Ende der sechz iger, Er­ die n stiege Jahre ger siebzi der fang wartungen immer höher. Eine ganz neue Generation prägte die Gesellschaft. Das

war das Ergebnis einer besseren Ausbil­ dung. Die jungen Menschen waren in­ tellektuell besser gerüstet für Debatten als frühere Generationen. Je mehr die Menschen an Bildung erreicht hatten, desto mehr Freiheiten forderten sie. Und weil die Forderungen ins Leere lie­ fen, führte das zu Frustrationen, die sich in inneren Unruhen entluden. Der ent­ scheidende Druck kam aber von außen. er SPI EGEL: War Iran ein Spielball fremd Mächte? en war Resa Pahle wi: Histo risch geseh Iran immer eine attraktive Trophäe. Und 123


DAS M U L L A H - R EG I M E

das Land ist es noch. Schauen Sie nur wie Russland und Chin a auf dies � Region blicken, eben so die USA und �uro pa. Dahinter stehe n strategische Uberlegungen. Die Regierungsformen mögen sich geändert haben, aber die An­ sprüche gegenüber Iran sind dieselben. Iran wird immer ein Land sein, das be­ gehrliche Blicke auf sich zieht. Doch was hat man aus all diesen Erfahrungen ge­ lernt? Wie lässt sich das Land stabilisie­ ren? Wie kann man Teilhabe des Volkes an politischen Entscheidungen am bes­ ten gewährleisten? Durch Demokratie und Freiheit. Die heutige Führung ord­ net nur von oben nach unten an. Die

gegeben hat, wie Iran seine Geschichte feierte. Weniger als 20 Prozent des Bud­ gets wurd en für die Zeremonie selbst ausgegeben. Von dem allergrößten Teil des Geldes wurden Straßen, Hospitäler u�d 2500 Schulen gebaut. Persepolis war eme gute Gelegenheit, Iran auf die Land­ karte zu bringen. Es war ein Dialog der Kulturen. Die Führer aller Religionen der Welt kamen zum ersten Mal überhaupt zu einer Konferenz zusammen. S P� EG � L: Po'ber mit der religiösen Oppo­ . sItlOn 1m eIgenen Land hat Ihr Vater kei­ nen Ausgleich gesucht. �e� a Pa � lewi: Wenn die damalige Oppo­ sItlOn l1lcht so verbohrt gewesen wäre,

Die Regierung führte Ausbildungspro­ gramme ein, um die soziale Schere zu schließen. Ganze Legionen von Lehrern wurden aufs Land geschickt. Und die Bildung war gratis, auch an den Univer­ sitäten. S P I EGEL: Sie können doch nicht leug­ nen, dass eine kleine Schicht sehr sehr reich wurde und im ganzen Lan'd die Korruption grassierte. Resa Pahlewi: Bei allen Gesellschaften mit solchem Wachstum liegt eine solche Entwicklung in der Natur der Sache. Vielleicht gab es damals auch in Iran eine Handvoll Personen, die sich berei­ chern konnten. Aber schauen Sie sich

mit den damaligen überhaupt nicht ver­ gleichbar - wobei nichts beschönigt werden soll. Jeder einzelne Übergriff war zu viel. S P I EGEL: Haben Sie je mit Ihrem Vater kritisch über seine Herrschaft gespro­ chen? Resa Pahlewi: Das einzige Mal, dass ich Gelegenheit hatte, eine derart persönli­ che Diskussion zu führen, war ganz am Ende seines Lebens, als wir im Sommer 1979 von einem Land zum anderen zo­ gen. Aber da war er körperlich schon sehr geschwächt, er starb im Juli 1980, und es war schwierig, eine tiefgründige Unterhaltung mit ihm zu führen. Und ich hatte damals auch nicht die Infor­ mationen, die ich im Laufe der vergan­ genen 30 Jahre von unterschiedlichen Gruppierungen meiner Landsleute über seine Regentschaft erhalten habe. Es ist schwierig für jeden Sohn, sich mit der Kritik an seinem Vater auseinanderzu­ setzen. Und wenn Ihr Vater der Schah von Persien ist, ist es noch schwieriger. S P I EG E L: Gab es eine Situation, in der Sie ihm menschlich besonders nahege­ kommen sind? Resa Pahlewi: Das war noch in Iran. Mein Vater war sehr betroffen von den Vorwürfen, die ihm gemacht wurden. Er wollte kein Leid über die Menschen bringen. Er sagte, wenn die Menschen nun einen anderen Weg gehen wollten, dann sollten sie es tun. Deshalb hat er das Land verlassen. Viele seiner härtes­ ten Kritiker rechnen ihm dies hoch an. Andere wiederum kritisieren ihn dafür, dass er nicht gekämpft hat. S P I EGEL: Hätte Ihr Vater denn im Kräf­ ternessen mit Chomeini überhaupt eine Chance gehabt? Resa Pahlewi: Es gab sicherlich eine Kraft der Religion. Als Person war Cho­ meini den wenigsten ein Begriff. Die meisten hatten seine Schriften nicht ge­ lesen. Das Phänomen war eine Massen­ hysterie, die das Volk in eine Art Trance, in einen religiösen Taumel versetzte. S P I EGEL: War Ihr Vater enttäuscht, dass die USA ihn so schnell haben fallenlassen? Resa Pahlewi: Die Entscheidung fiel An­ fang Januar 1979 bei der Konferenz auf Guadeloupe. US-Präsident Jimmy Car­ ter überzeugte seine Gesprächspartner - den französischen Staatspräsidenten Valery Giscard d'Estaing, den deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt und den britischen Premierminister James Callaghan -, dass der Schah nicht mehr zu halten sei und man einen Übergang zu Chomeini ins Auge fassen müsse.

Eine der wichtigsten Theorien der da­ maligen US-Administration war, dass ein religiöser Gürtel des Islam in dieser Region eine Schutzzone gegenüber dem Kommunismus darstellen könnte. Und dann hatte man es plötzlich mit einem revolutionären Regime zu tun, das seine revolutionären Vorstellungen auch noch exportierte. Das führte zum Iran-Irak­ Krieg, in dem Saddam Hussein von den USA unterstützt wurde. S P I EGEL: Heute gibt es - wie damals, als Ihre Familie das Land verließ - Aufruhr in den Straßen von Teheran und anderen iranischen Städten. Wohin, meinen Sie, wird die jetzige Rebellion führen?

S P I EGEL: Welche Unterstützung erwar­ ten Sie vom Ausland? Resa Pahlewi: Bisher hat die internatio­ nale Staatengemeinschaft nicht deutlich gemacht, dass sie das iranische Volk bei seinem Wunsch nach einem Regime­ wechsel unterstützt. Die bisherige Po­ litik der meisten westlichen Regierun­ gen war bestrebt, den Status quo zu be­ wahren. S P I EGEL: Hat Deutschland als ein tra­ ditioneller Handelspartner von Iran das Regime in Teheran zu sanft be­ handelt? Resa Pahlewi: Nun, jedes Land muss sei­ ne wirtschaftlichen Interessen berück-

REZA TAMADDONI 20140501 Mittelschicht, die sich einbringen möch­ te, wird ausgeschaltet. SPI EGEL : Genau diese Vorwürfe sind da­ mals gegen Ihren Vater erhoben worden. Resa Pahle wi: Was stimmt, ist, dass seine Ziele nicht richtig vermittelt wurden. So wurde ihm vorgeworfen, zu viel Geld für die Rüstung auszugeben. Warum? Sad­ dam Hussein hat später die Antwort ge­ geben, als er Iran angriff. Ohne diese Be­ drohung aus dem Irak hätten wir etwa keine so mächtige Armee gebraucht. SPIEG EL: Ihr Vater galt als isolie rt vom eigenen Volk, war oft mehr in St. Moritz als i�. ? er iranischen Provinz. Die große JubIlaumsshow in Persepolis 1971 hat Kriti�er auf den Plan gerufen, die sagten, er seI zwar der König von Iran ' aber völlig verwestlicht. Resa Pahle wi: Ich denke, dass mein Vater die Probleme des eigenen Landes sehr gut kannte. Und ich verstehe nicht das ganze Getue, das es im Westen darüber

alles in Frage zu stellen, und wenn die Regierung eher zum Dialog bereit gewe­ sen wäre, vielleicht wäre alles ganz an­ ders verlaufen. So aber kam es zum Wi­ d�rstand des schiitischen Klerus gegen dIe neue Rolle der Frauen. Doch wenn Sie solch einen Grad von Wachstum und Fortschritt haben wie damals in Iran sind die Herausforderungen sehr groß: Zur Regierungszeit meines Großvaters waren 80 Prozent der Bevölkerung An­ alphabeten. Einerseits fiel es der ländli­ chen Bevölkerung schwer, sich auf den neuen Rhythmus einzustellen anderer­ seits forderten die Intellektuellen immer mehr Mitsprache. Es gab eine tiefe Kluft zwischen der bäuerlichen Schicht und dem Bildungsbürgertum. S P I EGEL: Und das Erdöl verschärfte die Kluft zwischen Arm und Reich. Resa Pahlew i: Nein, der Lebensstand ard hat sich durch das Erdöl überall erhöht. Nicht nur die Elite wurde wohlhabend.

doch heute an, wie viele Leute Teil des Systems sind und ihre Vorteile daraus ziehen. Wie kann man der Korruption vorbeugen? Am beste n durch Rechts­ staatlichkeit und Liberalisierung. SPIEG EL: Unter dem heutigen Regime herrschen teilweise ähnliche Verhält­ nisse wie jene, die seinerzeit Ihrem Va­ ter zum Vorwurf gemacht wurden: Fol­ ter, Hinrichtungen und Bespitzelungen. Hat Ihr Vater solche Dinge angeordnet oder zumindest gebilligt? Oder war der damalige Geheimdienst Savak ein Staat im Staate? Resa Pahle wi: Jeder hat Verständn is da­ für, dass ein Staat eine Organisation braucht, die über die Sicherheit der Na­ tion wacht. Ist Missbrauch der Macht möglich? Ja. Können Mens chen ihre Befugnisse überdehnen? Ja. Gibt es Ele­ mente, die Menschenrechte verletzten? Ja. Niemand bestreitet das. Aber die schrecklichen Verhältnisse heute sind

124 SPIEGEL GESCHICHTE

2 I 2010

SPIEGEL GESCHICHTE

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Resa Pahlewi: Ich glaube nicht, dass die jungen Iraner, die auf den Straßen ihr Leben aufs Spiel setzen, nur das Wahl­ ergebnis in Frage stellen. Es geht um viel mehr: Sie kämpfen um ihre Freiheit. Das Ergebnis wird der Zusammenbruch des Regimes sein, weil die Kampagne der Menschen für zivilen Ungehorsam zu einer innenpolitischen Lähmung führen wird. Ich hoffe, dass wir ein stabiles par­ lamentarisches System bekommen. S P I EGEL: Wie eng sind Ihre Kontakte zu den Menschen in Iran? Resa Pahlewi: Meine Landsleute und ich kommunizieren täglich per Video, TV oder bevorzugt über das Internet mit den Aktivisten, die im ganzen Land tätig sind, auch während der Demonstratio­ nen und Proteste. Ich hatte diese Kon­ takte über all die Jahre, aber sie sind jetzt intensiviert worden. Wir versu­ chen, mit ihnen zusammen so viel wie möglich zu koordinieren.

sichtigen. Aber irgendwann kommt der Punkt, wo die öffentliche Meinung die moralischen Fragen in den Vordergrund rückt. Deshalb stelle ich zufrieden fest, dass viele westliche Staaten, Deutsch­ land eingeschlossen, die eklatanten Menschenrechtsverletzungen anspre­ chen. Auch finde ich, dass jetzt die Zeit gekommen ist, den Dialog mit der Op­ position zu suchen. SPIEGEL: Haben Sie die Hoffnung, eines Tages nach Iran zurückkehren zu kön­ nen? Resa Pahlewi: Natürlich, das ist meine Heimat. S P I EGEL: Als politischer Erbe des Schahs oder als gewöhnlicher iranischer Bürger? Resa Pahlewi: Das werden die Menschen selbst entscheiden, wenn sie in Freiheit leben. S P I EGEL: Prinz Resa Pahlewi, wir dan­ ken Ihnen für dieses Gespräch. 125


DAS M U L L A H - R E G I M E

f�ene Frauenhaare, dIe beim Picknick im Wind wehen. Verschwitzte Jogge­ rinnen in kurzen Tops. Radfahrerinnen in Shorts. Auch das ist Teheran im Sommer 2009. Die nahezu hüllenlose Frei­ heit findet sich in einem großzügig angelegten Park, der wochentags Frauen vorbehalten ist. Ein drei Meter hoher grüner Wellblech­ zaun verschließt die Oase vor den Blicken der Männer. Verlassen die Frauen den Park müssen sie sich, nach den Kleider� re�eln der Islamischen Republik, mIt Mantel und Kopftuch verhül­ len. "Möge der Schleier in den Au­ gen der Männer liegen" - dieses Prophetenwort wird in Iran nicht beherzigt. Dabei ist die Verschleierung kei­ neswegs das ärgste Problem vieler Iranerinnen. Entwürdigender sind die Vorschriften im Familien-, Straf­ und Erbrecht, die sie zu Menschen zweiter Klasse machen: Frauen er­ ben nur die Hälfte dessen, was Män­ ner erhalten, ihre Aussage vor Ge­ richt zählt nur halb so viel, und auch ihr Leben ist bei Entschädi­ gungszahlungen nur die Hälfte wert. Mädchen können bereits im Alter von 13 Jahren verheiratet wer­ den; auch Vielweiberei ist erlaubt. Dennoch lassen sich heutige Iranerinnen von den diskriminie­ renden Gesetzen und der jahrtau­ sendealten patriarchalischen Tra­ dition nicht mehr einschüchtern. Sie sind aktiv, stolz und gut ver­ netzt und gelten als die lebendigste Kraft der iranischen Zivilgesell­ schaft. Dabei knüpft die Frauenbe­ wegung an eine mehr als 100-jäh­ rige Geschichte an. Eine der Pionierinnen war Sa­ dighe Daulatabadi. Die Schule be­ suchte sie heimlich, in Jungenklei­ dern, da es in Isfahan keine Mäd­ chenschule gab. Ihr Vater, ein Mul­ lah, hatte sie dazu angestiftet. Dau­ latabadi wurde Journalistin und gründete 1918 eine der ersten Frau­ enzeitschriften Irans: "Saban-e Sa­ nan" (" Stimme der Frauen"). 1927 zeigte sie sich als erste Iranerin un­ verschleiert in der Öffentlichkeit. Resa Schah förderte die Eman­ zipation. 1936 verfügte er die Zwangsentschleierung: Auf der

O

126

Straße durften Frauen nun keinen Schleier mehr tragen. Denen, die sich widersetzten, wurde der Stoff gewaltsam abgerissen. Für viele Iranerinnen war dies ein Schock und sie verließen das Haus nich; mehr. Mohammed Resa Pahlewi der Thronerbe, erlaubte die öffent� liche Verhüllung wieder. Zugleich verbesserte er die rechtliche Stel­ lung der Frauen immens. 1962 er­ hielten sie das Wahlrecht, 1967 wurde die Scheidung für Männer erschwert und für Frauen erleich­ tert. Erstmals konnten Frauen das Sorgerecht für ihre Kinder er­ halten. Vor allem säkular eingestellte Frauen der Mittel- und Ober­ schicht profitierten von diesem Fortschritt. Viele traditionell orien­ tierte Familien allerdings hielten ihre Töchter von Schule und Uni­ versität fern, da sie die Koedukation als unislamisch und sittenwid­ rig empfanden. So waren noch 1977 über 60 Prozent der Frauen Anal phabetinnen. An der Revolution 1978/79 be­ teiligten sich viele Frauen unter ihnen die Richterin Schirin' Ebadi damals 31 Jahre alt. Ihre Freud: über den Sieg währte indes nur kurz, wie sie in ihrer Autobiografie schreibt: "Es dauerte kaum einen Monat, bis mir klar wurde, dass ich bereitwillig und voller Enthusias­ mus an meinem eigenen Ende mit­ gewirkt hatte. Ich war eine Frau und der Sieg der Revolution ver� langte meine Vertreibung aus dem Amt." Ende 1980 war es so weit. Die neuen Gesetze, die der tradi­ tionellen Auslegung der Scharia folgen, dulden'keine Frau auf dem Richterstuhl, zudem verfügen sie bei Ehebruch drakonische Strafen wie Peitschenhiebe und Steini­ gung. Schirin Ebadi fühlte sich zu­ tiefst gedemütigt und erklärte ih­ rem Mann: "Als wir heirateten, wa­ ren wir gleichberechtigt. Jetzt stehst du dem Gesetz nach über mü� und das ertrage ich nicht." Die Lösung fand das Paar in einem nachträglichen Ehevertrag, der Ebadi das Recht gewährt, sich scheiden zu lassen, und ihr im Trennungsfall das Hauptsorge­ recht für ihre zukünftigen Kinder lässt. Der Notar war völlig perplex

und wollte Ebadis Mann von der Unter­ schrift abhalten - ohne Erfolg. Doch ausgerechnet die strengen Re­ geln der Islamischen Republik förder­ ten die Bildung von Mädchen und Frau­ en enorm. Mit Kopftuch und in reinen Mädchenklassen ließen auch traditio­ nell gesinnte Familien ihre Töchter ler­ nen und studieren. Auf diese Weise wuchs eine Generation eigenständiger, selbstbewusster und auch berufstätiger Frauen heran. Heute sind etwa 63 Pro­ zent der Studierenden weiblich - so dass 2008 für die meisten Fächer eine Männerquote eingeführt wurde. Es gibt Ärztinnen und Ingenieurinnen, Renn­ fahrerinnen und Polizistinnen, Regis­ seurinnen und sogar Klerikerinnen. Frauen studieren an theologischen

Platz wollten damals mehrere hundert Frauen öffentlich mehr Rechte einfor­ dern, doch die Polizei löste die Versamm­ lung sofort gewaltsam auf. Dutzen de wurden verhaftet. Daraufhin begannen Frauenrechtlerinnen die Kampagne "Eine Million Unterschriften für mehr Gleichberechtigung". Seit November 2006 sammeln sie in Städten und Dörfern, um die Liste zu­ sammen mit Vorschlägen für Gesetzes­ änderungen dem Parlament vorzulegen. Das Besondere: Die Bewegung wird von religiösen und säkula ren, von älteren und jungen Frauen gemeinsam getragen. Zudem wird sie von Geistli chen wie Großajatollah Sanai unterstützt: Die Re­ ligion habe stets auf der Seite der Ge­ rechtigkeit zu stehen, meint er.

litologin, Dichterin und Bildhauerin. Sie begleitete ihren Mann Hand in Hand zu zahlreichen Wahlkampfveranstaltungen ein Novum in Iran. In vielen Reden gab sie sich sogar kämpferischer als ihr Gatte: Das harte Vorgehen der Sittenpolizei etwa nannte sie "die mieseste und dreckigste männliche Bevormundung von Frauen". Wohl die Hälfte der Demonstranten, die im Juni 2009 gegen Ahmadine­ dschads Wahlbetrug auf die Straße gin­ gen, waren Frauen: modische junge La­ dys aus der Mittelschicht ebenso wie tra­ ditionell gekleidete Gläubige. Wie die Männer wurden sie verprügelt, und sie teilten auch selbst aus. Und es war die Iranerin NedaAgha-Soltan, die mit ihrem tragischen Tod vor laufender Kamera der "grünen Bewegung" ein Gesicht gab.

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Seit über 100 Jahren gibt es in Iran eine Frauen­ bewegung. Trotz herber Rückschläge in der Islamischen Republik ist der Rufnach Gleichberechtigung nicht verstummt. ---

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Weiblich, islamisch, stolz Von CLAUDIA STODTE

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Hoch schule n und erwerben den Rang eines Mullahs, der sie berechtigt, den Koran auszulegen. Seit 1992 arbeitet Schirin Ebadi als Anwältin. Im gleichen Jahr wurde ihrer Freundin Schahla Scherkat erlaubt, die Zeitschrift "Sanan" ("Frauen") heraus­ zugeben. Wie zahlreiche Frauenmaga­ zine zuvor spielte "Sanan" eine wichti­ ge Rolle. In mode rater Tonart sprac h das Blatt heikle gesellschaftliche The­ men an - bis es im Januar 2008 verbo­ ten wurde . Schon 2003 hatte Schirin Ebadi wegen ihres Einsa tzes für die Mens chenr echte den Fried ensno bel­ preis erhalten. Seit dem Juni 2006 hat Irans Frauen­ bewegung eine neue Richtung einge­ schlagen. Auf dem Teheraner Haft-e-Tir-

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Doch ebendies fürchten die derzeiti­ gen Machthaber: eine Verbündung von Islam und Feminismus. Denn Frauen­ rechtlerinnen, denen es gelingt, sich als authentisch islamisch zu präsentieren, sind weit schwieriger zu bekämpfen. Nach wenigen Monaten hatten die Aktivistinnen 300 000 Unterschriften beisammen. Auch Sahra Eschraghi, eine Enkelin Ajatollah Chom einis, unter­ schrieb. Doch dann wurden viele Unter­ stützerinnen verhaftet; viele sitzen bis heute im Gefängnis. Seitde m hat die Kampagne an Fahrt verloren. Dennoch scheint der Elan der Frauen ungebrochen. Dass Präsidentschaftskan­ didat Hossein Mussawi 2009 zum Hoff­ nungsträger wurde, lag wesentlich an sei­ ner Ehefrau Sahra Rahnaward, einer Po-

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War es eine Konzession an die Frau­ enbewegung, dass Präsid ent Ahmadi­ nedsch ad im September 2009 die erz­ konservative Marsije Wahid -Dastgerdi zur Gesundheitsministerin ernannte? Sie ist das erste weibliche Kabinettsmit­ glied der Islamischen Republik. Bevor sie zu einem Kongress außer Landes rei­ sen darf, muss sie freilich, wie alle Ira­ nerinnen, ihren Ehemann um Erlaubnis fragen . Für die Frauen Irans bleibt also noch viel zu tun. Der Mut dazu ist seit langem da. Schon 1919 schrieb Sadighe Daulata­ badi, Frauenrechtlerin der ersten Stun­ de: "Und wenn sie glauben, dass wir Angst haben und uns den Mund verbie­ ten lassen oder einknicken, dann irren sie sich." 127


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Schon seit Jahrzehnten wird versucht, kritische iranische Intellektuelle zum Schweigen zu bringen. Doch ebenso lange begehren sie dagegen auf

Hunger nach Demokratie Von KATAJUN AMIRPUR

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li Chamenei will eine Kul­ turrevolution. Nur so kön­ ne man sich vor der kultu­ rellen Invasion des Wes­ tens schützen. Ende 2009, anlässlich der Proteste gegen die vermutliche Wahlfälschung vom Juni, erklärte Irans religiös-politisches Oberhaupt, man müsse alle westlichen Autoren aus den Lehrplänen der Unis entfernen. Sie hätten die iranische Jugend verführt, durch ihre Lektüre sei sie zu den Unru­ hen angestiftet worden. Immer wieder gab und gibt es solche Forderungen - als hätte das Regime nicht schon einmal, von 1980 an, eine Kulturrevolution lanciert und die Wis­ senschaften vermeintlich islamisiert. Doch heute sind westliche Autoren in Iran beliebter denn je. Warum? Wer die Lage der Intellektuellen im Land selbst und im Exil verstehen will, ist gezwun­ gen, auf die Turbulenzen und Wandlun­ gen der vergangenen Jahrzehnte zurück­ zublicken. So haben einige damalige Kul­ tUlTevolutionäre selbst später westliche Autoren und Ideen in Iran eingeführt. .

Abdolkarim Sorusch beispielsweise.

Heute lebt er im Exil und gilt als das Enfant terrible der iranischen Reformer, doch begonnen hat er als Ideologe der neugegründeten Islamischen Republik. In London zum Doktor der Pharmazie promoviert, kam er nach der Revolution zurück nach Iran. Er wurde aktiv im Rat für Kulturrevolution, der seinerzeit die Universitäten für zwei Jahre schloss und alle missliebigen Professoren in den Ruhestand schickte. Nebenbei durfte er im Fernsehen als gewandter Redner die Ideologie der Gegner auseinanderneh­ men. Sorusch bekämpfte Linke und Mar­ xisten und damit die Ideen, die unter ira­ nischen Intellektuellen in jenen Jahren die meisten Anhänger hatten. 128

Eine von denen, die damals die Uni­ ideologisierte Gesellschaft kann keine versität verlassen mussten, weil sie Andersartigkeit zulassen. Nafisi und vie­ selbst und ihre Unterrichtsinhalte als zu le andere Intellektuelle kämpften da­ westlich galten, ist Azar Nafisi. Sie lebt mals für die Vielstimmigkeit, inmitten heute in den USA. Ihre Geschichte hat einer ideologisierten Welt, die nur eine sie in dem auch auf Deutsch erschiene­ Wertung gelten ließ und alles andere als nen Buch "Lolita lesen in Teheran" be­ absonderlich und inakzeptabel brandschrieben. Zwar haben andere Iraner in markte. den USA das Buch oft angegriffen, weil sie Nafisi eine Nähe zu den amerikani­ Aber Literatur findet ihren Weg. schen Neokonservativen vorwerfen - Deshalb, so hat der große Schriftsteller zurzeit des Irak-Kriegs hieß es, die Ge­ Huschang Golschiri, Autor des auch ins schichte biete den Neocons einen wei­ Deutsche übersetzten "Prinz Ehted­ teren Vorwand, auch in Iran einzumar­ schab", einmal gesagt, haben Ideologien schieren. Tatsächlich aber transportiert so große Angst vor Literatur - weil sie "Lolita lesen in Teheran" treffend die At­ das Gegenteil von Ideologie ist: Vielheit mosphäre der achtziger Jahre und die gegen Einheit. subversive Kraft der Literatur. Um dieser Vielstimmigkeit willen Was die Anglistikprofessorin Nafisi gründete Nafisi, nachdem sie die Uni­ im Unterricht behandelte, war der Uni­ versität hatte verlassen müssen, einen versitätsleitung zu unislamisch, bei­ privaten Lesekreis. Sie versammelte sie­ spielsweise "Der große Gatsby" von ben unterschiedlichste junge Frauen, Francis Scott Fitzgerald. "Dieser Gatsby ehemalige Studentinnen, die nur aus Lie­ ist der Held des Buches - und wer ist be zur Literatur am Unterricht teilneh­ er? Er ist ein Scharlatan, ein Ehebrecher, men. Allen gemeinsam ging es um eben­ er ist ein Lügner", erklärt Nafisis Vorge­ jene intellektuelle Freiheit, wie sie an setzter empört. "Das einzig Gute an die­ der Universität nicht mehr möglich war. sem Buch ist, dass es die Unmoral und "Lolita lesen in Teheran" zeigt in bewe­ genden Szenen, wie Men­ Dekadenz der amerikani­ schen sich unter dem Ein­ schen Gesellschaft bloß­ legt, aber wir haben ge­ druck großer Prosa än­ dern. kämpft, um uns von sol­ chem Schund zu befreien, Gemeinsam lesen die und es ist höchste Zeit, Frauen Henry James, dass solche Bücher verbo­ Jane Austen, Gustave ten werden." Flaubert und Vladimir So war es in den acht­ Nabokov. Und siehe da: KATAJ UN AMIRPUR Nabokovs "Einladung zur ziger Jahren tatsächlich: Enthauptung" liest sich Literatur sollte das Volk D i e I s l a m wissenschaftleim Sinne des Islam erzie­ rin, d ie an der U n i versi­ in Teheran anders als an­ derswo. In dem Buch sagt hen. Freiheit, Individua­ tät Zü rich leh rt, g i lt als jemand zur Autorin Na­ lität, Pluralität der Le­ eine d e r w i chti gsten fisi, der Kritikerin: "Du bensentwürfe - diese deuts c h - i ra n i schen Pu­ Themen hatten in Iran b l izistinnen C"Gott ist m i t wirst nicht über Jane Aus­ ten schreiben können, nach der Revolution von den F u rchtlosen"). S i e ohne über uns zu schrei1979 keinen Platz. Eine l e bt i n Kö l n u n d Z ü rich.

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ben, über diesen Ort, an dem du sie wie­ derentdeckt hast. Das ist die Austen, die du hier gelesen hast, an einem Ort, mit einem halbblinden Zensor, wo sie Leute auf der Straße aufhängen und einen Vor­ hang übers Meer spannen, um Männer und Frauen zu trennen." Auch die Bücher des deutschen Demo­ kratie-Vordenkers Jürgen Habermas oder Hannah Arendts "Elemente und Ur­ sprünge totaler Herrschaft" lesen sich in Teheran anders als sonst ir­ gendwo. Tatsächlich werden Arendt und Habermas heute wohl nirgends so eifrig studiert wie in Iran. Abdol­ lah Momeni, Führer der prominen­ testen Studentenvereinigung Tah­ kim-e Wahdat, sagt, Habermas sei eine wichtige Quelle der Inspiration. Über seinen "Strukturwandel der Öffentlichkeit" werden Dissertatio­ nen verfasst. Studentengruppen le­ sen Habermas und sind bewegt von der Analyse, wie eine Zivilgesell­ schaft, eine Öffentlichkeit in moder­ nen europäischen Kaffeehäusern entstand. Sie übertragen ihre Er­ kenntnis auf das Internet, wo heute in Iran Öffentlichkeit stattfindet. Abdolkarim Sorusch, der frühere Kulturrevolutionär, war einer der Ersten, die begannen, mit west­ licher Philosophie zu argumentie­ ren. Er, der vor der Revolution in London auch Erkenntnistheorie stu­ diert hatte, sprach sich unter dem Einfluss von Karl Poppers antiideo­ logischer Studie "Die offene Gesell­ schaft und ihre Feinde" nicht nur gegen den Kommunismus, sondern auch für Freiheit aus. Dass es in der Islamischen Republik keine Frei­ heit geben werde, habe er nicht vor­ ausgesehen und so nicht gewollt, sagt ihr ehemaliger Ideologe heute.

fielen physischer Gewalt zum Opfer, an­ dere Kritiker wurden ins Exil getrieben oder mundtot gemacht. Abweichende Meinungen waren also ausgeschaltet. Aber es gab auch eine Form von Dissens, den man zuließ - wenn j ene ihn vortru­ gen, die man als zum System gehörig empfand. Sie hatten die Revolution ge­ macht, bekannten sich zu ihr und zu

mit, dass Sorusch Ende der achtziger Jahre seine wissenschaftliche Hauptthe­ se über die Wandelbarkeit der religiösen Erkenntnis veröffentlichte. Mit ihrer Hilfe versuchte er ein politisches System zu entwerfen, das sowohl islamisch als auch freiheitlich-demokratisch ist. Er nutzte dazu Ansätze westlicher Wissen­ schaften und der Erkenntnistheorie, transportierte aber seine Argumen­ te in ein religiöses Bezugssystem. Laut Sorusch kann Erkenntnis unendlich wachsen, bleibt aber stets Annäherung. Der Mensch kann nie wirklich wissen, was Gott von ihm erwartet. Nur das Ziel Gottes kann er erkennen und ver­ stehen - und dieser Endzweck des Glaubens könne auf keinen Fall zu humanen Konzepten im Wider­ spruch stehen, erklärt Sorusch. Denn wofür Religion im Grunde da sei, ist Gerechtigkeit.

doxie. Und Habermas wird als Erbe der intellektuellen Tradition der Frankfurter Schule gesehen, die von Beginn an jed­ wede Orthodoxie und Autoritarismen hinterfragt hat. Habermas' Eintreten für das, was er post-metaphysisches Denken nennt, ist heute für iranische Intellektu­ elle von großer Wichtigkeit." Kein Wunder, dass Dschahanbeglu im Jahre 2006 für mehrere Monate in Ein­ zelhaft genommen wurde. Verständlich auch, dass nach den Präsidentschafts­ wahlen die rechte Zeitung "Keyhan" Ha­ bermas vorwerfen konnte, er habe bei seinem Besuch in Teheran die "Samtene Revolution" organisiert. Es ist dasselbe Motiv, warum Ali Chamenei nun die zweite Kulturrevolution ankündigt. Sein Urteil trügt ihn nicht: Westliche Philosophie ist gefährlich - wenn nicht für Iran, dann doch zumindest für ihn selbst. Dschahanbeglu spricht von einer "Renaissance des Liberalismus" im heu­ tigen Iran. Wenn damit das Eintreten für Menschenrechte, speziell für Frau-

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In dieser Utopie vom islami­ schen Staat wird Freiheit zur not­ wendigen, gottgefälligen Vorbedin­ gung für frei gewählte Religiosität und so zum Argument für die demo­ kratische Ordnung. Echte Religiosi­ tät könne es nur in einer demokrati­ schen Gesellschaft geben, meint So­ rusch, da Glaube aufWillensfreiheit basiert. So hätten auch die Prophe­ ten ihren Auftrag verstanden: "Die Propheten kamen, um mit dem Zau­ ber ihrer Worte die Herzen der Men­ schen zu gewinnen, und nicht, um ihre Leiber zu beherrschen." Nicht nur ehemalige Revolutio­ näre wie Sorusch haben sich seit dem Ende der achtziger Jahre dem Projekt einer Kurskorrektur ver­ schrieben. Aber die früheren "Eige­ nen" fallen im Chor der Regimekri­ tiker doch besonders auf. Dazu Schon 1983 verließ Sorusch den zählt auch Akbar Gandschi: Ehe­ Hohen Rat für Kulturrevolution mals Mitglied der Revolutionsgar­ und widmete sich neben seiner den und Leibwächter Chomeinis, Lehrtätigkeit an der Universität I ntellektuelle Anreger der Reformer: ist er heute einer der konsequentes­ hauptsächlich der Forschung. Er ar­ Jürgen Habermas 2006, Hannah Arendt 1 935 ten Säkularisten unter Irans Intel­ beitete an der Andschoman-e Hek­ lektuellen. Wie kaum ein anderer mat Wa Falsafe, einem Institut zur Er­ dem Staat, der daraus hervorging. Diese hat er durch Interviews und andere Äu­ forschung der westlichen Philosophie. "Eigenen" durften leise Kritik üben - an­ ßerungen die Ideen reformerischer ira­ Damals galt er noch als einer der soge­ ders als säkulare Schriftsteller wie Hu­ nischer Intellektueller verbreitet; zudem nannten Eigenen G,Chodi"). Das war eine schang Golschiri oder die Literaturpro­ hat er selbst für Demokratie, Pluralismus besondere Gruppe von Intellektuellen, fessorin Azar Nafisi. und Toleranz geworben. Dank der Ener­ die mehr sagen durfte als andere. Doch auch ein Chodi wie Sorusch gie von Menschen wie Gandschi stehen In den Anfangsjahren nach der Revo­ wandte sich im Laufe der Jahre immer solche Werte, samt Gewaltenteilung und lution war zwar jeder deutliche Wider­ mehr vom System ab. Langsam hat er Rechtsstaatlichkeit, heute in hohem An­ stand gegen das System der Islamischen sich zu einem "Nicht-Eigenen", einem sehen. In jüngster Zeit sind viele Abhand­ Republik vernichtet worden. Manche Ghair-e Chodi, gewandelt. Es begann dalungen zu diesen Ideen, häufig von euro-

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päischen Denkern, übersetzt worden, und die persische Diskussion darüber ist in vollem Gange. Das war lange anders. Während der sechziger und siebziger Jahre überwo­ gen in Iran die Demokratie-Zweifler. Ei­ nem der intelligentesten Denker dieser Zeit, Ali Schariati, fiel zur Demokratie, so ausführlich er darüber schrieb, kein positives Wort ein; ja, er machte das de­ mokratische System an sich für die Ver­ brechen einzelner Demokraten verant­ wortlich. Demokratie sei eine Veranstal­ tung von Volksverführern, behauptete er - ganz abgesehen davon, dass die Ira­ ner für ein solches System ohnehin zu dumm seien und einen starken Führer brauchten. Entsprechend riefen auch die bedeutendsten Geistlichen jener Zeit nach einen Vormund für das Volk. Heute jedoch schreiben so altgedien­ te Philosophen wie Darjusch Schajegan, dass in der islamischen Welt angesichts der weitverbreiteten Ablehnung von re­ volutionären Ideologien und der Aus­ breitung einer Stimmung, die Menschen­ rechte fordert, säkulare Demokratien un­ ausweichlich seien. Selbst die Texte von Geistlichen scheinen ohne den Begriff Demokratie nicht mehr auszukommen. Es hat Jahre gedauert, aber nun ent­ wickelt sich das Reformdenken aus eige­ ner Kraft. Das Verlangen nach Demokra­ tie in Iran ist heute weder ein Westim­ port noch eine Konzession an den Wes­ ten; schon gar nicht ist es ein Projekt des Staates oder von einer Elite aufgezwun­ gen. Die Debatte ist aus dem Volk heraus entstanden und wird von ihm geführt.

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Gerade unter jungen Leuten gibt es daher geradezu einen Hunger nach Theorien, wie man Demokratie begrün­ det - wohl der entscheidende Grund, weshalb Habermas in Iran so beliebt ist. Als er 2002 das Land besuchte, wurde er gefeiert wie in Indien ein Bollywood­ Star. Philosophie wird als eine Form von Widerstand gegen politische Ideologien und religiösen Dogmatismus erlebt. Das bestätigt Ramin Dschahanbeglu, ein Iraner, der Bücher über Kant, Hegel und Schopenhauer geschrieben und westliche liberale Intellektuelle wie Ri­ chard Rorty und Paul Ricoeur zum Ge­ dankenaustausch nach Iran gebracht hat: "Heute ist die Philosophie in Iran ein Fenster zur westlichen Kultur, zu einer offenen Gesellschaft und der Idee der Demokratie ... Die meisten Intellektuel­ len heute in Iran kämpfen gegen Funda­ mentalismus, Fanatismus und die Ortho-

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latabadi zuvor geschrieben hatte. Wie auch Amir Hassan Tscheheltans Roman "Teheran - Revolutionsstraße" durfte das Werk in Iran nicht erscheinen; man kann es bislang nur in deutscher Über­ setzung lesen. von einem altgedienten Offizier des Schah-Re­ gimes, der seine Kinder an und durch die Revolution des Jahres 1978/79 ver­ liert. Doulatabadi führt vor Augen, was die Revolution mit den Menschen ge­ macht hat, woran junge Menschen ge­ glaubt haben, wie sie enttäuscht wurden. Die Handlung spielt in den achtziger Jahren während des Kriegs gegen den Irak: Ein Sohn des Colonels ist verschol­ len, einer schon länger tot, seine 13-jäh­ rige Tochter wurde gerade wegen Wehr­ kraftzersetzung hingerichtet. Der Colo­ nel wird zu ihrer Beisetzung gerufen und lässt seinen Gedanken freien Lauf: Heraus kommt ein Parforce-Ritt durch die iranische Geschichte der letzten 150

"Der Colonel" erzählt

Westliche Philosophie ist gefährlich zumindest für Ali Chamenei.

enrechte, Freiheitsrechte, Pluralismus, religiöse Toleranz, Meinungsfreiheit und eine Mehrparteiendemokratie ge­ meint ist, muss jedem einleuchten, wes­ halb dergleichen beliebt und begehrt ist: Iran ist heute ein theokratischer Polizei­ staat. Die Lage der Menschenrechte ist verheerend, nicht erst seit dem Sommer 2009, sondern schon seit 30 Jahren. Das Regime hat niemals verhindern können, dass Übersetzungen verfasst und gelesen wurden und ihre Wirkung entfalteten. Die Zensur konnte nicht vollständig unterbinden, dass iranische Literatur entstand: Autoren schlängel­ ten sich am Zensor vorbei, schrieben einstweilen für die Schublade, nutzten kurze Phasen der Offenheit oder behan­ delten eher unpolitische Themen. Etwa Mahmud Doulatabadi: In Iran wie in Deutschland gilt er als Meister opulenten orientalischen Geschichten­ erzählens. Sein Epos "Kelidar" beispiels­ weise, das im Original mehrere tausend Seiten umfasst und nur zum Teil auf Deutsch vorliegt, erzählt von einem No­ madenstamm: eindrucksvolle Literatur, gewiss, aber sehr weit weg vom heutigen heiklen Geschehen in Iran. Vergangenes Jahr allerdings erschien "Der Colonel" - etwas völlig anderes als alles, was Dou-

Jahre, eine ständige Abfolge von Hoff­ nungen und Enttäuschungen. Nichts ist charakteristischer für Iran als dieser fortwährende Gegensatz. "Beim Gedanken, dass ich zu meinen Kin­ dern über die Freidenker und Patrioten unseres Volkes gesprochen habe, über­ fällt mich manchmal ein Gefühl der Ver­ legenheit, der Scham. Als hätte ich an meinen Kindern Verrat geübt", sinniert der Colonel einmal. "Zum Glück ver­ schwinden aber solche Gedanken rasch, bevor sie sich in mir festsetzen. Doch das war meine pflicht als Vater. Ja, es war meine Pflicht, sie über die Fortschritte in der Geschichte der letzten hundert Jahre aufzuklären. Daraus schöpft man doch die Kraft zum Weiterleben! Junge Menschen hungern nach neuen Ideen, und kein Vater hat das Recht, diesem Ver­ langen gegenüber gleichgültig zu sein." Wie recht Doulatabadi hat, beweisen die politischen Unruhen, die Iran seit dem Sommer 2009 erschüttern. Der Ver­ such, diese Demokratiebewegung nie­ derzuschlagen, könnte ein letztes Auf­ bäumen der Staatsrnacht gegen Ideen sein, die sich letztlich durchsetzen müs­ sen. Wie Huschang Golschiri einst sagte: Am Ende siegt doch die Literatur und mit ihr der Pluralismus.

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Seit Jahrhunderten begeistert persische Miniaturmalerei Herrscher und Kunstfreunde. Noch heute wird die Handwerkstradition in eigenen Malschulen weitergegeben.

Laila unter der Lupe Von CLAUDIA STODTE

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er Tisch quillt über von Die persis che Miniaturmalerei ist sind byzantinische, arabische, indische Tuschkästen, . Paletten mehr als 800 Jahre alt und began n als und chinesische Einflüsse. Durch die mon­ und Papier. Drei junge Buchkunst. Vermutlich entwi ckelte sie golische Eroberung Irans im 13. Jahrhun­ Frauen zeichnen konzen­ sich mit der Übersetzung griech ischer dert verstärkte sich der ostasiatische Ein­ triert, die Atmosphäre ist Werke ins Arabische im 12. und 13. Jahr­ fluss. Chinesisch inspiriert sind Motive entspannt. Eine blonde Frau mit Kopf­ hundert in Bagda d, Kairo und Täbris . wie Drachen, Phönixe und Wolkenkringel, tuch betritt den Raum, in ihren Händen Die bunten Bilder machten die naturwis­ aber auch die komplexere Komposition mehrere Schachteln mit iranischen Sü­ senschaftlichen Werke über Astronomie, und die Qualität der Linienführung. ßigkeiten. Die Berlinerin Mila, 18, feiert Geografie, Zoolo gie und Heilkunde ver­ Wirklichkeitsnähe ist dabei zweitran­ heute ihren Ausstand; ihr zweiwöchiges ständlicher. gig. Die Bilder schaffen ein Ideal, streben Schulpraktikum in nach der Harmoder Isfahaner Ma­ nie von Raumge­ lerschmiede ist zu staltung, Pinsel­ Ende. strich und Farb­ Werkstatt und gebung. Flächige, Geschäft des Mi­ zweidimensionale niaturmalers Hos­ Darstellung und sein Fallahi, 72, lie­ das Fehlen einer gen nur wenige Zentralperspekti Schritte von Isfa­ ve sind wohl auch hans großem Platz auf die Bilderfeind­ entfernt. Hier stu­ lichkeit des Islam dierte Fallahi bis zurückzuführen: 1981 bei dem be­ So mussten die kannten Maler Ali Künstler weniger Sajjad, hier unter­ den Vorwurf fürch­ richtet er seine ins­ ten, sie ahmten gesamt 15 Schüler Gott, den Schöpfer, in der Kunst der . . nach, indem sie kleinen Bilder. selbst gleichsam "Ich wünschte, Leben erschufen. ich hätte einen Alle Menschen Großvater wie ihn", auf den Bildern schwärmt Mila. "Er sind gleich groß. ist so ruhig und ge­ Schülerinnen im Malatelier, M i n i aturkünstler Fallahi beim Entwerfen Frauen tragen oft duldig." Geduld ist wohl die wichtigste Eigenschaft, die ein Illustrationen literarischer Werke wie Männer; manch ähnliche Kleidung mal unterscheiden Miniaturkünstler braucht, neben Inspira­ sind seit dem 13. Jahrhundert bekannt. sie sich nur durch ihre heller e Haut. tion, Zeichentalent und Farbgefühl. Viele Diese Kunstform erlebte in Iran ihre Pferde haben kleinere Köpfe als in der Motive sind so klein, dass sie mit bloßem höchste Blüte: Kein anderes islamisches Wirklichkeit - das liegt am Schönheits­ Auge kaum erkennbar sind. Fallahi zeich­ Land kennt eine derart poetische und ideal der Zeit -, und ihre Auge n wirken net sie auf Papier, Holz, Leder und dekorative Symbi ose von Text, Bild und fast menschlich. Der "humane" Gesich ts­ auf plattgepresste Kamelknochen. über Schrift. ausdruck von Tieren könnte ein Echo seinem Arbeitsplatz prangt eine große uralter indoiranischer Mythologie sein. Lupe, die an einem Gelenk bewegt wer­ Die frühen Miniaturen zeigen ein Als Inspiration diente vor allem das den kann. Potpourri verschiedener Stile: Erkennbar Schahname, das "Königsbuch" von Fer-

dausi (siehe Seite 70). Fast jeder iranische König besaß ein indivi­ duell gestaltetes Exemplar; heute sind diese Prunkbände weltweit in Museen und Bibliotheken zu be­ wundern. Auch die Werke anderer Dichter wurden bebildert, wie Nizamis anrührende Liebesge­ schichten "Laila und Madschnun" und "Chosrau und Schirin". Erste Illustrationen, die Ge­ schichten aus dem Leben des Propheten Mohammed zeigen, datieren aus dem 14. Jahrhundert. Der Koran selbst wurde nie bild­ lich verziert, man beschränkte sich auf die Ausschmückung mit Zierbändern, Ranken und stili­ sierten Lebensbäumen.

war kost­ spielig und wurde vornehmlich an Höfen gepflegt. Wo immer sich der Fürsten- und Königshof nach einem Machtwechsel ansiedelte, entstand bald auch eine Malschu­ le, so in Täbris, Schiras, Herat oder Isfahan. Dutzende von Handwer­ kern arbeiteten in den Werkstät­ ten, neben Malern auch Papierma­ cher, Kalligrafen, Vergolder und Buchbinder. Kalligrafen waren Hossein Fallahi lehrt heute noch höher angesehen als Maler alle Stilrichtungen. Für seine Mi­ (siehe Seite 66); sie signierten ihre niaturen benutzt er, wie die frü­ Werke, während Zeichner meist heren Maler, nur Naturfarben. unbekannt blieben. Die Schulung Hergestellt werden sie aus Gold, der Maler begann früh: Schon als Silber und Lapislazuli oder aus Kinder saßen sie in den WerkstätPflanzen wie Hennastrauch, Sa­ ten im Schneidersitz, ein Zeichen­ fran und Färberkrapp. "Schwarz brett auf den Knien, und kopier­ gewinnt man aus der Asche v�n ten Prinzessinnen, Krieger oder Fischknochen", erzählt er. "Dle Blütenbäume. Pinsel müssen sehr fein sein. Sie Unter den Timuriden entwi­ bestehen aus Katzen- oder Eich­ ckelte sich im 14. Jahrhundert ein hörnchenhaar." Ein paar Striche eigener persischer Nationalstil: mit ruhiger Hand, und das Ant­ Die Bildfläche wurde in kleine litz Ferdausis wird erkennbar. Szenen aufgeteilt, winzige Detail­ Die Touristen, die sich im Ge­ verzierungen erschienen, der schäft drängen, staunen. Wie lan­ Himmel wurde einfarbig, Pflan­ ge er für eine Miniatur auf eine� zen stilisiert. Vor allem die schein­ Kamelknochen brauche? "Zwel Das Liebespaar" von Resa Abbasi 1629, "Löwe und bar bis ins Unendliche auslaufen­ . Tage", antv:ortet Fallahl. Erst de Linienführung - gut sichtbar \öwin" aus dem Tierbuch des I b n Bachtischu 1298 zeichne er dle schwarzen Kontuin der Gestaltung geheimnisvoll verwaschener Felsen - wurde zum Mar­ "Raffael des Ostens". Der türkische Li­ ren dann koloriere er. Wichtig sei die teraturnobelpreisträger Orhan Pamu1{ Im�gination des Künstlers. "Die Realität kenzeichen. Der Timuridenprinz Baisonghur (ge- charakterisiert ihn in seinem 1998 ver­ ist nicht bedeutsam." Als die Touristen zu den Sehenswür­ storben um 1434) gründete in Herat eine öffentlichten Roman "Rot ist mein bedeutende Kunstakademie. Hier wirkte Name" als "Maler mit der Wunderhand". digkeiten am großen Platz weiterziehen, Behsad drängte die bis dahin domi­ verteilt Mila ihr Gebäck. "Ich komme be­ auch Kamaleddin Behsad (gestorben um 1535), Irans größter Miniaturmaler. Von nierende Kalligrafie zurück und be­ stimmt wieder", sagt sie und schiebt sich Zeitgenossen als ,;Wunder des Jahrhun­ stimmte selbst den Raum, den er für sei­ eine Köstlichkeit aus Rosenwasser und derts" gerühmt, gilt er in Europa als ne Kompositionen benötigte. Seine Wer- Pistazien in den Mund. Miniaturmalerei

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ke sind naturalistischer, seine Fi­ guren individueller. In genau be­ obachteten Alltagsszenen zeich­ nete er Bauarbeiter ebenso wie Badende in einem Hamam. Das 16. Jahrhundert brachte eine tiefgreifende Neuerung: Die Maler fertigten nun Einzelblätter an die auch für die Mittelschicht er�chwinglich waren. Damit wur­ den die Künstler freier in ihrer Themenwahl. Sie emanzipierten sich vom Hof und signierten fort­ an ihre Werke. Die letzte iranische Miniatur­ malschule entstand im 17. Jahr­ hundert unter Schah Abbas I. in Isfahan. Ihr bedeutendster Künstler, ResaAbbasi (gestorben um 1635), ging selten ohne Tusch­ kasten aus: Er skizzierte in Gär­ ten, Bergen oder auf der Straße, typischerweise elegante Jünglin­ ge mit Backenbart in kostbaren Mänteln und Turban. Humor zeigt Abbasi in der Gestaltung eines Liebespaares: Trotz der komplizierten Umschlingung wahrt es das Gleichgewicht - die Weinschale auf dem Knie be­ weist es.

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DAS M U L LA H - R E G I M E Saddam Hussein i nspiziert ein Geschütz 1 981, Parade vor dem "Blutbrunnen" in Teheran 1986

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Iran will stürmen, bis "Satan Saddam" vertrieben ist. In­ ternational isoliert und vom Embargo schwer getroffen, gehen Chomeini und sein Regime dazu über, die Re­ serven ihres 40Millionen-Volkes rücksichtslos aus­ zubeuten. Um ge­ nügend "Menschen­ material" zu be­ kommen, senkt der Wächterrat 1980 den Beginn der Volljährigkeit auf 15 Jahre. Schüler werden direkt aus den Klassenzim­ mern rekrutiert, Mütter liefern ihre Söhne freiwillig ab. Viele der Kriegs­ freiwilligen in den Bassidsch-Milizen sind Kinder. Ohne militärische Ausbildung schickt man sie an die Front. Sie bilden "mensch­ liche Wellen", die mit Todesverachtung Hand in Hand durch die Minenfelder ins feindliche MG-Feuer gehen. Fanatisiert von der Propaganda des Regimes, das ei­ nen "heiligen Feldzug" beschwört, seh­ nen sie sich danach, als Märtyrer mit ih­ rem Blut die "Saat der Revolution zu be­ wässern".

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De r ira s - ira nis ch e rieg vo n 19 80 bis 1988 fo rderte Hu l! � nderttausende 'PJ er - au ch Kz nder wu rden in die Mine nfel�er gesch ick t.

Plastiks chiü�-�-�i-;;:� Paradie s Von TH OR STE N OLT ME R

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ie Wunden sind fürchter­ der ein. Sogar die hochgiftigen Nerven­ lich: �ite�?lasen, verätzte gase Tabun und Sarin kommen zum Ein­ Schielmhaute und nässen­ satz. D ! e Zahl der Gas opfe r betrug de Geschwüre - schockie­ 50 000 , Jede s zehnte von ihnen starb. rende Beweise für den . Jah rzeh ntelang schwelende Gre nz­ Ems atz von Chemiewaffen. Die Sold a­ streitigkeiten hatt en im Spä tsom mer ten, die Ende 1983 im Teheraner on­ 1980 zum Krie g geführt. Die Beziehun­ r,:otel ausländischen MedizinernHilt vorge­ g�n waren längst gespannt, nun eskaliert fu hrt werden, sind Opfer von Sen fgas . dIe Lage. Im März zieht Iran sein . en Bot­ DIe I�:a�er waren vom Kampfst offe in­ schafter ab, im April macht der Irak das satz volhg unvorbereitet überrascht wor ­ Regi�e in r:eheran für einen Ans chlag den, sie hatten oft nicht einmal Gasmas .: dent Tarik Asis ­ �ufVIzeprasI verantwort ken. Obwohl der Irak das Genfer Pro to­ hch. Am 23. September 1980 schl ießlich koll zum Verbot der Anwendung che mi­ marschiert die irakisehe Armee ein. s �her Waffen unterzeichnet hat, setz t er Der Zeitpunkt sei günstig, glaubt Dik­ SIe deIlil och ab Sommer 1983 immer wie - tator Saddam Hussein: Die Mullahs sind _

erst kurze Zeit an der Macht das irani­ sche Offizierskorps ist nach' dem Um­ sturz dezimiert. Saddam will den Gre �us � Schatt al-Arab wieder völlig untnz­ er �.rak�sche Kontrolle bringen und sich die olre �che Grenzprovinz Chu sestan am PersIschen Golf einverleiben.

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azu kommen innenpolitis che Mo­ tIve: Sa�?�m fürchtet ein Übergre ifen der sch utIs che n Revolution auf sein Land. N un Di isionen setzt Bagdad in �arsch; :m zweI�Wochen längsten s sollte dIe Angelegenheit erledigt sein. Ein ver­ hängnisvoller �rrtum: Was als Blitzkri eg geplant war, ZIeht sich über acht Jah re

hin. Dem iranischen Regime kommt die Eskalation gelegen - so kann man von innenpolitischen Problemen ablenken. Militärisch sind die Kräfte ungleich verteilt. Beide Seiten haben bei Kriegs­ ausbruch rund eine Viertelmillion Mann unter Waffen, aber Iran hat mit einer drei­ mal so großen Bevölkerung weitaus grö­ ßere Reserven. Irans Waffen stammen aus der Schahzeit, als die USA alles lie­ ferten, was gut und teuer war. 450 Kampf­ flugzeuge besitzt Teheran auf dem Papier. Aber seit dem Waffenembargo fehlen Er­ satzteile. Saddams Armee wurde von den Sowjets ausgerüstet und besitzt 2500 Kampfpanzer, seit einigen Jahren liefert auch Frankreich modernes Gerät. Bald erkennt die irakis ehe Militärfüh­ rung, dass sie sich verkalkuliert hat: Nach Anfangserfolgen stockt die Offensive, der Vormarsch wird zum Stellungs- und Ab­ nutzungskrieg am fast 1500 Kilometer langen Frontverlauf. Das Blatt wendet sich sogar: Vom Frühjahr 1982 an erobert Iran in vier Großoffensiven verlorenes Terrain zurück, im Mai schließlich die strategisch wichtige Hafenstadt Chor­ ramschahr. Der Uno-Sicherheitsrat for­ dert einen Waffenstillstand - vergebens.

Rechtzeitig hatte das Regime

500 000 taiwanische Plastikschlüssel ge­ ordert, Pfennigartikel mit enormer Sym­ bolkraft. Sie schließen dem "Schahid", dem Märtyrer, die Paradiespforte auf. Um den Kampfesmut der Kindersolda­ ten anzufachen, erscheinen reitende Schauspieler an der Front, geschminkt und kostümiert. Für die Bassidsch sind sie eine Reinkarnation des geheimnis­ vollen zwölften Imam. Historisch ist er zwar 874 im Alter von fünf Jahren ver­ schwunden; die Schiiten aber glauben fest an seine Wiederkehr. Chomeini nutzt diesen messianischen Glauben aus und verbindet die Erlösungs-

idee mit Opferwillen: Je größer die Bereit­ schaft zum Märtyrertod, desto eher wird der Imam wiederkehren. Mit blutroten Stirnbinden gehen schon Zwölfjährige in den Tod, um den Hals das Schlüsselchen. Aber alle Angriffe bleiben in der Wüs­ te oder im überfluteten Sumpfland rasch stecken, die Verluste steigen. Zudem ge­ winnt der Irak beim Kriegsgerät mehr und mehr die Oberhand. Ob aus den USA, Brasilien oder China, Frankreich oder Großbritannien, Waffenproduzen­ ten aus aller Welt liefern Nachschub. Fi­ nanziell massiv unterstützt von den Golf­ staaten, die 50 Milliarden Dollar über­ weisen, kann etwa die Luftwaffe im letz­ ten Kriegsjahr über fast 500 Jets verfü­ gen; Iran hat nur noch 60 einsatzbereit. Saddam antwortet auf die anbranden­ den Menschenwogen mit dem Einsatz chemischer Kampfstoffe an der Front. Auch die Zivilbevölkerung ist nicht si­ eher. Sie wird zu Opfern des moralzer­ mürbenden Städtekriegs, den beide Sei­ ten gegeneinander führen. Scud-Raketen, Granaten und Bomben - alles, was zur Verfügung steht, regnet jahrelang auf Wohngebiete, Schulen und Kindergärten herab. Im Frühjahr 1984 erreicht der Krieg gegen die Ölanlagen und Tanker eine neue Phase. Mit dem Beschuss panamaischer und saudiseher Tanker macht der Irak klar, dass jeder, der irani­ sches Öl transportiert, zum Feind wird. Iran antwortet mit Attacken auf Öltanker und Frachter, die unter der Flagge von Ländern fahren, die den Irak unterstüt­ zen. Eine scharfe Verurteilung durch den Uno-Sicherheitsrat bleibt wirkungslos. Die Saudis greifen zur Selbsthilfe und schießen einen iranischen Jet ab. Schließ­ lich intervenieren die USA und eskortie­ ren Tanker mit ihren Kriegsschiffen. Lloyd's in London schätzt später die Zahl der beschädigten Handelsschiffe auf rund 550; über 400 Seeleute sterben. In Iran werden die Menschen mit brutaler Direktheit an den Blutzoll erin­ nert: Auf dem riesigen Teheraner Fried­ hofBehescht-e Sahra sprudelt der schau­ rige "Blutbrunnen", plätschert die tief­ rote, dicklich-schäumende Flüssigkeit über die Stufen - symbolisches Blut der Märtyrer an der Front. Unablässig muss das Gräberfeld erweitert werden. Dass es in diesem Krieg keine Sieger geben wird, ist seit Jahren klar. Aber erst am 20. August 1988 tritt der von der Uno geforderte Waffenstillstand in Kraft. Der längste Staatenkrieg des 20. Jahrhun­ derts ist zu Ende. Er hat über eine halbe Million Menschen das Leben gekostet.

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Die Geschichte Irans ist auch eine Geschichte des Exils, in dem Zehntausende iranische Künstler, Intellektuelle, politisch Andersdenkende leben - Besuche bei Shirin Neshat und Faradsch Sarkuhi.

9 mal 13 Zentimeter Heimat Von ANNETTE GROSSBONGARDT

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er Film beginnt mit einem anheften, das ihr nicht zusteht: "Ich ken­ unserer modernen Literatur. Es macht Ende, der ein Anfang ist. ne so viele Exil-Leute mit fürchterli­ mich wütend, wie unsere Künstler in Teheran, Sommer 1953, chem Schicksal, die inhaftiert waren, ge­ Iran behandelt werden", klagt Neshat. Aufruhr in den Straßen, foltert, deren Familien getötet wurden. Als sie 1996 zum bisher letzten Mal ihre das Land steuert auf ei­ Ich habe Glück gehabt, ich kann arbei­ Heimat besuchte, wurde sie selbst auf nen Militärputsch zu. Die 30-jährige ten, bin erfolgreich, ich leide nicht." dem Flughafen festgehalten und verhört. Es scheint ihr Glück gewesen zu sein, Munis verfolgt die Nachrichten elektri­ Und doch ist auch sie im Exil, denn siert; sie möchte aktiv werden, doch ihr sie könnte im Reich der Ajatollahs nie­ so jung nach Amerika gekommen zu tyrannischer Bruder sperrt sie im Haus mals frei leben und arbeiten. "Women sein. Perfekt beherrscht sie die Sprache, ein. Da stürzt sie sich vom Dach - selten without Men" wurde in Marokko ge­ sie ist arriviert. Für ihren Spielfilm be­ ist ein Selbstmord so poetisch fotogra­ dreht, in Casablanca baute ihr Team das kam sie in Venedig den Silbernen Löwen fiert worden: Munis fällt nicht, für die beste Regie. Doch sie hat ihren Preis bezahlt. Lange sie fliegt, ihr schwarzer Tscha­ dor flattert im Wind, die Zeit litt sie unter dem Verlust der steht still und auch die Qual. Heimat, der Entwurzelung. Ihr Munis stirbt, doch sie be­ Vater, ein Arzt, der sie zum Stu­ kommt ein zweites Leben. dium in die USA schickte, woll­ Es sind die iranischen Frau­ te, dass sie die besten Chancen en, die Shirin Neshat interes­ bekam - wie so viele reiche Fa­ sieren, in ihren Fotoarbeiten milien in der Schah-Zeit, die "Women of Allah", ihren preis­ ihre Kinder, so Neshat, "in den gekrönten Videoinstallationen Westen exportierten". Zuerst fand sie es selbst chic, doch zeigt sie Körper, Haut, Ver­ schleierung, kombiniert Schön­ schon bald bat sie, sie wolle zu­ rück - der Vater sagte nein. heit mit Waffen und Gewalt, lässt die im Islam streng ge­ Die ersten zehn Jahre in trennten Männer- und Frauen­ den USA, sagt sie heute, waren Zum Filmfest in Venedig trug Neshat demonstrativ welten aufeinanderprallen die schlimmsten ihres Lebens. Noch immer fühlt sie sich zwi­ für Teherans Sittenwächter Grün, in i h ren Fotoarbeiten "Women of Allah" (I.) sind das schiere Provokatio­ verbindet sie Körper mit Poesie i ranischer Dichterinnen. schen den Welten. Sie hat die Konzepte westlichen Denkens nen. Und nun ihr erster Spiel­ film "Women without Men": Er ver­ Iran der fünfziger Jahre nach - in Tehe­ gelernt und ist doch verwurzelt in der quickt vier Frauenschicksale in Teheran ran hätte sie nie eine Dreherlaubnis be­ Poesie, der Mystik und der ornamentalen in dem Jahr, in dem die demokratische kommen. Im islamischen Staat soll Bildsprache ihrer Heimat. Starke Kon­ Regierung gestürzt wird. nichts an die säkulare Vergangenheit des traste machen ihre Kunst aus, die unge­ Shirin Neshat wurde vier Jahre später Landes erinnern, als die Frauen kurze, mein bildstark, ästhetisch betörend wirkt. Neshat ist eine schmale, fast fragile in der Provinzstadt Kaswin nördlich der taillierte Sommerkleider trugen, man Hauptstadt geboren, da saß der Schah sich auf Cocktailpartys und Konzerten Person, die man leicht übersehen könn­ längst wieder fest auf dem Thron. Doch traf, wie es der Film zeigt. te, wäre da nicht dieser dicke, ge­ seit sie 17 Jahre alt ist, lebt sie in den Das Buch, auf dem er basiert, ist in schwungene schwarze Kajalstrich unter USA, hat dort studiert, Karriere als Iran verboten; die Autorin Schahrnusch ihren Augen, der orientalisch anmutet, Künstlerin gemacht, und längst hat sie Parsipur saß jahrelang in Haft. Längst was er vermutlich auch soll. Sie ist zum auch einen amerikanischen Pass. ist auch sie Exilantin. In einer Garagen­ Filmfestival nach Rotterdam gekommen; Shirin Neshat wurde nicht politisch wohnung in San Francisco hat Neshat vorsichtig wägt sie manche Sätze im In­ verfolgt; sie spricht denn auch lieber sie aufgespürt, verarmt und psychisch terview, sie hat noch Familie in Iran. Ne­ vom "Nomadentum". Sie will sich nichts angegriffen. "Schahrnusch gilt als Schatz ben ihr sitzt ihr Lebensgefährte Shoja

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Azari, der mit ihr das Drehbuch schrieb. Plötzlich war ihr Film über das zivile Auch der Filmemacher ist Iran er, der Aufb Der lange Arm des Regimes verfolgt egehren der Fünfziger hochaktueIl: sich vor 27 Jahren als linker Oppositio­ OppositioneIle noch bis ins Exil. 1992 Auch da gehen junge Männer und Frau­ neIler in die USA rettete, in einer Zeit, en starben im Berliner Lokal Mykonos bei auf die Straße, sie halten Plakate als die MuIlahs Tausende Diss identen hoch einem Anschlag vier kurdische Aktivis­ , fordern Demokratie, Freiheit. "Für hinrichteten. diese Ziele kämpfen wir immer noch", ten - die Drahtzieher waren "staatliche "Wir gehören nirgends dazu, weder sagt Neshat. Sie ist beunruhigt, gerade Funktionsträger" Irans, wie das Berliner zu unserem Vaterland noch zu unserem wurd e in Teheran wieder ein befreun­ Kammergericht im Urteil feststeIlte. neuen Zuhause", meint Azari. Auch Sha­ deter Den Sänger und Dichter Feridun Far­ Filmemacher verhaftet. ram Karimi, ein Freund der beiden, ist rochsad metzelten Mörder 1992 in sei­ da, der Szenenbildner des Films, noch nem Haus in Bonn mit 40 Messerstichen ehr als drei Millionen ein ehemaliger OppositioneIler, der heu­ nieder. Ex-Premier Schapur Bachtiar, ei­ Iraner leben wie Ne­ te bei Köln lebt. Der Film mit seinen aus­ nen sozialdemokratischen InteIlektuel­ shat im Ausland, viele len, Absolvent der Sorbonne, richteten drucksstarken Frauen bekommt viel Ap­ . in den USA, in Euro­ plaus. "Sind Sie auch Iraner?", fragt eine Killer 1990 in seiner Pariser Exilwoh­ pa, aber auch in InZuschauerin Karimi, doch bevor der nung hin. Als letzter Ministerpräsident dien. Es ist ein großer Teil der iranischen antworten kann: "Ach, natürlich, ihr seid der Schah-Zeit hatte er nur ein paar InteIligenz, ihrer besten Köpfe - Schrift­ ja aIle im Exil !" Wochen für Reformen; er lockerte die steIler, Künstler, Ärzte, Ökonomen. Neshat war gerade 22 Jahre alt und In Paris findet man etwa die einstige Zensur, befreite Tausende von politi­ studierte Kunst in Berkeley, als 1979 die Königin Farah, den Filmemacher Moh­ schen Häftlingen. Islamische Revolution ausbrach und sen Machmalbaf, die Zeichnerin Marja­ dann der Krieg mit dem Irak. Bleib, wo ne nter ihnen war der Schrift­ Satrapi, die in dem anrührend schö ­ du bist!, riet man ihr. Erst über zehn Jahre nen steIl er Faradsch Sarkuhi. Comic "Per sepo lis" ihre eigene Ge­ später besuchte sie, krank vor Heim­ Er entk am, aber in Sicher­ schichte erzählt. Sie war gerade 15 Jahre weh, erstmals wieder Iran - es war ein heit kann er nie mehr sein. alt, da schickten ihre Eltern sie ins si­ Schock. "Das Land war wie umgedreht. cher Nachts, wenn er nicht e Wien, als die politisch-rebellische schlafen Es hatte alle Farbe verloren, war plötzlich kann, kommen seine Folterer Marjane zune hme nd Schwierigkeiten wied er zu ihm; sogar bis nach Frankfurt schwarzweiß: die verschleierten Frauen, an der Schule bekam. In ihrem Reisege­ am Main , wo er seit über zehn Jahren im die Männer in schwarzen Anzügen." päck hat das Mädchen auch einen Topf ­ Exil lebt. Das harte AufeinanderpraIlen von Er­ mit irani sche r Erde . In Lond on leben Sarkuhi, 62, wurde Opfer beider Re­ innerung und Realität gab ihr einen ent­ der Satiriker Had i Chorsandi und Ex­ gime , des Schahs und der MuIlahs. Die scheidenden Schub als Künstlerin, seit­ Chefreda kteu r Amir Taheri, in Berli n erste mehrjährige Haft bekam er 1971 dem heißt ihr Thema: Iran und Islam. der SchriftsteIler Abbas Maroufi, in Of- für die Herausgabe eine r Studentenzei­ Durch die Kunst hat sie sich auch ein fenbach die Künstlerin Parastu Foruhar. tung und einer satir isch en KurzgeStück Heimat zurückerobert. Seit ihrem Viele Iraner mussten ihre Heimat aus schic hte, in der er den Schah karikierte. Film über das Schicksalsjahr 1953 fühlt politischen Gründen verlassen. Mutig kämpfte er danach weiter für sie sich ihren Landsleuten näher ge­ Das Exil ist eine der traurigsten Kons­ Freiheit und Menschenrechte, engagier­ rückt - und umgekehrt, meint sie, die tanten der irani sche n Zeitgeschichte. te sich an der Spit ze des regimekriti­ Erinnerung an den Putsch gegen Pre­ Schon Anfang des 20. Jahrhunderts, als sche n SchriftsteIlerverbandes und als mier Mos sadegh setz e bei Iran ern bis nach der errungenen Verfassung das Par­ Chefr edakteur des Kulturmagazins "Adi­ heute viele Emotionen frei. lament blutig aufgelöst wurde, flohe n neh" gegen die Zensur. Als die Auflage Vergangenen Sommer, als sie in New freig eistige Pers er in frem de Länd er; stieg, habe York gerade den Film fertigsteIlte, gin­ der Psychoterror begonnen: auch in der Weimarer Republik lebten Droh anrufe, EinbesteIlung zum Verhör, gen in Teheran Hunderttausende auf die mehrere hundert Iraner. Viele reüssier­ Besu che zu Hause. Ein Empfang beim Straße. Von den Massenprotesten fühlte ten sogar im Ausland, studierten, mach­ deut schen Kulturaftache wurde ge­ sie sich in einer Wei se befeuert, die sie ten Karriere; manche verzweifelten, nah­ stürm t, die geladenen SchriftsteIler wur­ selbst überraschte. Die Künstlerin, die men sich das Leben wie Sadegh Hedajat, den festgenommen. Einmal versuchte sich nie als Polit-Aktivistin verstand, Vorreiter der modernen iranischen Li­ der Geheimdienst gar, berichtet er, den wurde plötzlich zum kämpferi sche n terat ur. Er vergiftete sich 1951 in Paris, Bus, in dem er mit anderen Autoren nach Mitglied der Exilgemeinde, beteiligte hoffn ungslos. Der Schah trieb die Opp o­ Armenie n unte rwegs war, in eine sich gar an einem Hungerstreik vor der sitio neIle n eben so ins Exil wie spät er Schlucht zu stürzen; das Mordkomplott Uno. "Wie hätte ich ruhig bleiben kön­ Ajat oIlah Chom eini und seine Jünger. misslang. nen und nichts tun, während andere ihr Etliche Gruppen agierten weiter aus Im November 1996 , als Sarkuhi seine Leben aufs Spiel setzen für etwas, das dem Ausland, vor aIlem die militanten schon nach auch ich unterstütze? Ich woIlte Teil der Volk Berlin ausgereiste Familie be­ smudschahidin. Daneben gründete suchen woIlte, schnappten ihn Geheim­ Gem eins chaft sein ." "Wo men without sich aber auch eine gewaltfreie Dem o­ agen ten am Flughafen. Die Werkzeuge, Men" hat sie der iranischen Demokra­ kratiebewegung im Exil, etwa die "Ver­ mit denen sie ihn quälten, kannte er be­ tiebewegung gewidmet - von der Ver­ einigten Republikaner Iran s". Doch sie reits von den Folterknechten des Schahs: fassungsrevolution 1906 bis zur grünen sind längst ernüchtert: "Wir mussten er­ dick e Elektrokabel, "deren Schläge so Bewegung heute. Zur Preisverleihung kennen, dass aus dem Ausland so etwas ungl aublich schmerzhaft sind , dass sie in Venedig trugen sie und ihr Ensemble nicht zu machen ist", sagt eines ihrer selb st den stärksten Willen brechen". demonstrativ Grün. führenden Gründungsmitglieder. Er wurde ohnmächtig, unterschrieb, was

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sie von ihm wollten, bettelte, sie soIlten ihn töten. Seine Kurzgeschichten, die er später in Deutschland veröffentlichte, handeln davon: von Füßen, die von den Schlägen so geschwoIlen und entzündet sind, dass der Gefangene nicht gehen kann, dem Schmerz in den Hoden, an die sie Gewich­ te gehängt hatten, dem Schreien und Schluchzen "der auf den Folterbänken ge­ fesselten Gespenster", den Rezitationen der Vorbetel� die zwischendurch Koran­ suren aufsagten, von einem SchriftsteIler, der im Kopfschreibt, weil man ihm Papier verweigert - das ist er selbst, und es habe ihn gerettet, sagt er. Einmal tröstete ihn die Musik Ludwig van Beethovens. " Freude schöner Götterfunken" hatte Sarkuhi als junger Student der KuI tursoziologie in Täbris gehört. ' Bei Beethovens Musik erahnte ich die Fröhlichkeit der Frei­ heit, für die wir auf die Straße gingen." 31 Jahre später quält� . ihn ein Inquisitor des IslamI­ schen Regimes - Sarkuhi hatte Redefreiheit gefordert. Irgend­ wann legten sie ihm eine Schlinge um den Hals, berich­ tete Sarkuhi nach seiner Frei­ lassung im SPIEGEL, und zo­ gen zu - da hörte er sie, die ' Ode an die Freude", bis er das B ewusstsein verlor. Trotz alI der Qualen schaff­ te er es, einen intakten Kern seiner Persönlichkeit zu bewahren seiner menschlichen Würde auch al� sie ihn zwangen, ein Schwein nachzuahmen, als sie seine Geliebte ver­ hafteten und vor seinen Augen ebenfalIs quälten. Unter dem Schah folterten sie dich, u� Informationen herauszubekommen: Wo ist dein Freund, wo hast du die Flug­ blätter versteckt? Dann wirst du verur­ teilt. In einer ideologischen Diktatur wolIen sie auch Informationen, aber vor allem wollen sie dich ändern, deine Iden­ tität zerstören." Und doch hatte er die Kraft, einen Brief über seine Haft nach Deutschland zu schmuggeln - obwohl er wusste, dass sie ihn dann wieder festnehmen würden. Anfang 1997 gelang es seiner Frau, den Brief zu veröffentlichen: Er offenbart, wie man ihn unter Folter zwang, seine angebliche Spionage für Deutschland zu gestehen und es dann vor laufenden Ka­ meras zu wiederholen. In Deutschland löste der Brief große Empörung aus; die Regierung Kohl

stand wegen des "kritischen Dialogs" mit Iran unter Druck. In Berlin lief der Prozess wegen der Ermordung der kur­ dischen OppositioneIlen im Lokal My­ konos. Sarkuhi war da schon wieder in Te­ herans Folterkellern verschwunden. Neun Monate erwartete er in einer Ein­ zelzelIe seine Hinrichtung. "Jeden Mor­ gen, wenn die Zellentür aufging, fragte ich mich: Ist es das Frühstück oder der Henker?" An dieser "SchweIle zu Ver­ wirrung und Wahnsinn", wie er es ei�­ mal nannte, gab ihm der Gedanke an se�­ nen Vater Halt - einen einfachen ArbeI­ ter unter dem Schah, der etwas lesen, aber nicht schreiben konnte, Mitglied in der kommunistischen Tudeh-Partei und, so Sarkuhis Kindheitserinnerung, "meist

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Schriftsteller Sarkuh i in Berlin

im Gefängnis". "Er kämpfte sein ganze� Leben für Gerechtigkeit", sagt Sarkuhl, "und blieb seinen Ideen treu." Wir sitzen in einem Cafe am Frank­ furter Römerberg, der SchriftsteIler er­ zählt, wie ihn der Vater manchmal bat, ihm für ein Taschengeld aus dem "Kom­ munistischen Manifest" vorzulesen. Vor alIem, wenn er über den so verehrten Vater spricht, spürt man eine große Ver­ lassenheit, in der er heute lebt. Er hustet, er raucht zu viel. Im Januar 1998 kam Sarkuhi endlich frei auf westlichen Druck. In den ersten Jahren fand er sich eingehüllt in die Aura des Aktivismus - er gab Pressekon­ ferenzen Lesungen, hielt Vorträge, ver­ öffentlichte Artikel und Kurzgeschich­ ten. Der PEN unterstützte ihn als "Wri­ ter in Exile", er wurde Menschenrechts­ beauftragter, reiste durch Europa. Deutsch müsse er gar nicht lernen, dach­ te er, bald kehre er bestimmt nach Iran zurück. "Das Exil", sagte er damals be­ flügelt, "hat zwei Fenster, eines zeigt in

die alte Heimat, das andere in eine neue Kultur." Doch dann, nach etwa fünf Jahren, setzte sich in ihm "die Wahrheit des Exils", er rutschte in die Depression. ' Wenn ein Schriftsteller seine Mutter­ �prache verliert, verliert er seine Iden:ität", sagt Sarkuhi heute ernüchtert, dIe . Geschichte von den zweI Fenstern des Exils nennt er "Quatsch". In Iran hatte ich Einfluss, da war ich bekannt, ja beliebt. Und wer bin ich hier?" Wenn er Lesungen hält, "interes­ siert viele gar nicht der Schriftsteller Sarkuhi, sondern bloß der Iraner, der ihnen erklärt, was in seiner Heimat l.os ist". Das macht er gern, aber das Ist nicht, was er will. Nur langsam begriff er, dass er vielleicht nie mehr zurück kann. Da erst begann er, Deutsch zu lernen. Auf einer Veranstaltung fragte ihn ein Schüler einmal: ' Warum woIIten Sie eigent­ iich nach Deutschland?" Da antwortete er bloß: "Was heißt hier wollen?" Weil er Englisch konnte, hätte er sich in Großbritannien wohler gefühlt. "Aber wenn du ins Exil gehst, bestimmen an­ dere über dich - die dich weg­ schicken und die dir helfen." Noch heute hadert er mit sei­ nen Deutschkenntnissen. "So wie ich rede, glaubt keiner, dass ich studiert habe, gebildet bin", geißelt er sich selbst. I� Deutsch­ kurs war er mit bald 60 der Alteste. Immerhin hat er wieder einen Roman geschrieben, "Wir erleichtern dir das Sterben". Lange war er nicht zufrieden, hat umgebaut, neu formuliert. Jetzt ist er fertig. Wann erscheint er? "I�h weiß nicht." Er brauche einen guten Uberset­ zer, Geld, einen Verleger, es gibt viele Gründe, auch, "dass man mit den Jahren im Exil das Interesse an vielem verliert". Im Stillen aber hofft er, dass sein Ro­ man eines Tages in Iran erscheint. Er will zurück nach Hause. Er will es so sehr dass er sogar an höherer Stelle nachgeforscht hat, ob das möglich wäre. ' Das Todesurteil ist weiter in Kraft" d as war ihre Antwort. So läuft er weiter durch Frankfurt, in der Tasche den iranischen Pass - 9 mal 13 Zentimeter Heimat. Den deutschen hat er nie beantragt. "In der Fremde", schreibt er in der Kurzgeschichte "Gren­ ze aus Nebel", "kannst du deine Sehn­ sucht mit niemandem teilen."

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Der SPIE GE� -Kor resp onde ntfii r Nah ost reist als Tour ist nach Iran ­ und entdeckt ezn Lan d, das anders ist als alle Nachbarn im Nah en Oste n. ------

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"Willkommen im Imperium" Von BERNHARD ZAND

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n alles habe ich gedacht, nur an die extra Pass­ fo�os nicht. Ein Fehler, der mir auf einer Dienst­ . reIse llle unterlaufen würde; Nahost-Korrespon­ denten re�sen immer mit einem kleinen Stapel von PassbIldern. Aber diesmal bin ich nicht auf . . DIenstreIse, sondern mit meiner Familie unterwegs. "Fotos?", fragt der Visabeamte am Flughafen Isfahan . noch eInmal und erhebt sich, um nach meiner Frau zu sehen u�d unseren drei Töchtern, die in der Ankunftshalle Fangen spIelen. "Sorry", sage ich. Keine Antwort. ,,Ana asif", reiche ich nach, gewohnheitsmäßig aufArabisch . wenn Ich auf Englisch nicht weiterkomme. "Es tut mir leid / . KeIne Antwort. "Affedersiniz", versuche ich es. Viele Iraner, das weiß ich von meinen früheren Reisen, sprechen Türkisch. Keine Antwort. 140

Nun erst fällt mir "Bebachschid" ein, das persische Wort .. für "Entschuldigung". Doch dafür ist es jetzt zu spät. Wortlos und ohne aufzublicken, schreibt und stempelt der Beamte auf un� e�en Antragsformularen herum. Die Stille dauert und wird peInhch und verdächtig. Hat er ein Problem damit dass ich Journalist bin? Sitzen wir gleich alle wieder in der Maschine mit der wir eben aus Dubai gekommen sind? Der ganze Auf� wand umsonst, weil ich die Passfotos verges sen habe? Nach drei quälenden Minuten sammelt der Beamte die fünf Pässe von seinem Schreibtisch auf, reicht sie mir durch das Schalterf�nster zu, schaut mir in die Augen und sagt, stolz, . e:nst, ohne dIe Spur eInes Lächelns: "Willkommen im Impe­ num der Zand." Me�� Familienname hat mit Iran nichts zu tun, doch ein Europaer namens Zand fällt in Schiras oder Isfahan etwa so a� f, wie ein Iraner namens Bonaparte auf Korsik a auffiele: DIe Zands waren eine �urzlebige, aber bis heute hochangese­ . hene persIsc he DynastIe des 18. Jahrhunderts - eine der weS P I E G E L G E S C H I C H TE

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nigen übrigens, deren Name nach der Revolution von 1979 nicht von den Monumenten und Straßenschildern der Isla­ mischen Republik entfernt wurde. Etwas ruppig, die iranische Gastfreundlichkeit, denke ich mir, doch tief empfunden. Wir sind entschlossen, uns zu fügen. Das gilt vor allem für meine Frau. Emine trägt, seit wir an Bord der IranAir-Maschine gegan­ gen sind, ein seidenes Kopftuch und einen dunkelroten Man­ teau, den kurzen, für den nachrevolutionären Iran typischen Frauenmantel, den ich ihr von meinem letzten Besuch mitge­ bracht habe. Ich finde, beides steht ihr ausgezeichnet, vor allem mit der Sonnenbrille; Emine aber widerstrebt die Maskerade. Nicht wegen des Kopftuchs, das sie auch trägt, wenn sie das Grab ih­ res Großvaters in der Türkei besucht. Sondern wegen der Hart­ näckigkeit' mit der ich seit Jahren auf diese Familienreise ge­ drängt habe. Alles, habe ich ihr seit meinem ersten Besuch des Landes vorgeschwärmt, sei in Iran anders als sonst im Nahen Osten: die Straßen sauberer, die Menschen selbstbewusster, die Taxifahrer nicht so aufdringlich, die Fruchtsäfte frischer. Meine Frau findet, ich übertreibe es mit dem Enthusiasmus. Aber zeigt unsere Ankunft nicht, wie recht ich hatte? Am Flughafen disziplinierte Schlangen statt des Gedränges, das wir aus Kairo gewohnt sind. Auf dem Weg in die Stadt herr­ liche, tief im Saft stehende Alleen von Platanen, wie wir sie uns in Dubai vergeblich wünschen. Und gleich am ersten Nachmittag am Tschahar-Bagh-Boulevard von Isfahan eine Szene, die in Luxor oder Istanbul undenkbar wäre: Wir be­ treten einen Laden für Kunsthandwerk, Alabaster, Kistchen mit kunstvoll gearbeiteten Intarsien. Unschlüssig stehen wir herum: Was eignet sich am besten als Geschenk? SPIEGEL GESCHICHTE

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Außer uns ist keine Kundschaft da, doch der Ladenbesitzer denkt gar nicht daran aufzustehen, geschweige denn uns seine Ware anzupreisen, wie es seine ägyptischen, türkischen, tu­ nesischen Kollegen inzwischen längst getan hätten. "Wenn ihr glaubt", steht sinngemäß in sein Gesicht geschrieben, "dass ich mich erhebe, nur weil ihr mit euren Dollars und Euros winkt, dann habt ihr euch getäuscht." Mir imponiert die Attitüde, sie begegnet uns immer wieder: keine falsche Vertraulichkeit, keine Unterwerfung unters Dik­ tat des Welt-Tourismus, so spärlich er in Iran auch auftritt. Doch sie wirkt schroff. Ist es Xenophobie, ist es Des­ interesse? Im Gegenteil. Als wir am Abend an der Si-o-se-Brücke, der schönsten und berühmtesten der elf Brücken über den Sajan­ de-Fluss, ein Ruderboot mieten, winken die Jungs in den Nachbarbooten freundlich, drehen bei und suchen das Ge­ spräch. Als die Kinder später im Teehaus an der Brücke ein Eis essen und ich eine Wasserpfeife rauche, steht ein älterer Herr auf, kommt an unseren Tisch und stellt sich förmlich vor. Sein Name sei Hossein, er spreche leider nur sehr schlech­ tes Englisch, doch sein Freund, Dr. Behsad, lasse fragen, ob ich zu einem Gespräch bereit sei. Vorsichtig, jeden Anschein übertriebenen Interesses vermei­ dend, beobachten uns alle Umsitzenden. Westliche Ausländer sind, 30 Jahre nach der Revolution, selten in Iran, westliche Touristen mit drei kleinen Kindern sehr selten. Dr. Behsad, ein Mediziner und Arzneimittelhändler, bittet uns an seinen Tisch und macht Plätze frei. Dann stellt er, fei­ erlich und förmlich, die erste Frage. Sie ist ein Klassiker, jeder Iran-Reisende sollte auf sie vorbereitet sein: "Was denken Sie über Iran?" 141


REZA TAMADDONI 20140501

Ich preise ie r hmreiche Geschic hte, die Kultur des Landes, höchst � . lobe dIe Sc onh formalisierte Höflichkeit e�t der Stadt, ihrer Parks, ihrer gang - "Taarof" ge:V0rt auch .uber dIe ochwohlgeborenen Zan Brücken. Ein na�nt und vo� Iran-Reisenden seitimJahUm rhu nderten mit Faszi­ ds, der en Nam en natIOn beschneben. IC unv:rdIent rweIs trage. Er freu t sich, aber sehr verhalten. � � . Ein Beispiel von aarof erleben EI st als IC begInne, r Iran vorteil wir ein paar Tage später. . hafte Vergleiche mit seinen Em . Freund aus Berlm hat mIc achbarlandern zu zIehen, entspa h gebeten, das Grab seiner in nnt sich sein Gesicht von Isfa han ve:storbenen Großmutter zu eme� reservierten zu einem war suchen. Sie war Ende men Lächeln. der z,:anzIger Jah e ihrem Mann gefo s 1st d r vo lgt, einem deutschen : � .. �'.letzte .Tag des Ramadan, ich mache einen Witz Ingell1e ubel Dubru, w offenthches Essen, U1� dessen FIrma hier nach Kupfer Trin und Nickel schur �. ken und Rauchen im Fas­ 193 4 starb sie. " fte. tenmo at tagsuber stn.kt untersagt � sind und Ausländer sich in Wir fahren ?inaus an den südlichen den TOIletten der Shopping-Malls Stad verstecken, um ihr Sandwich trag en de� Wru't r des armenischen Frie trand von Isfahan zu verzehren. In der Islamischen � dhofs unser Anliege Republik sei uns aber gleich v . am Fl�� afen der erste Soldat mit �r - und losen eme Haupt- und Staatsaktion aus: Zwei Aut einer Zigarette begegnet. os mIt Chauffeuren ", erden gerufen, ,,0 Ja , lacht Dr. Beh sad , "der Westen hat und wie eine Uno-Delega­ . em seh�' beschränktes Bild von Iran IOn urven meine Töchter, meine ." Wahr­ Frau und . scheI. �IIch war es das, wonach Ich ube r den riesigen Friedhof. Ganz obe er anfangs so . Au to wäsche zwischen dem Grab eines britischen n� feIerlIch gefragt hatte: mein beschr änktes Bild Vize von Iran. konsuls und eines Schweizer Mis sionars' vo r Ch Je länger wir uns unterhalten, des om einis werden wir fündig. . to freier WIrd Dr. Behsads Rede, wobei er Unsere Mädchen dekorieren den nie die Ba­ schlich­ lan ce verliert zwischen seinem K la ten us Gra stein mit Kiefernzapfen, Blu e. Nationalstolz men u?d der Klage über das Regime und Stemen. Das Grab von Frie . Er vertreibt del Wurmeu: e besondere Art medizinischer bach erinnert nicht nur an die Tot . . Linsen, die in der Augen­ an eme e, sondern . h � Ilku de emg EpIsode, die lange zwischen Deu es �tzt werden. Die Sturheit der tsch en und Iranern Mu llah s und s and. Ihre Tocht , die Mutter mei dIe dalaus resultIerenden Sanktio nes Freundes, spielte mit �: nen des Westens führt ell1em etwas verwoh dazu, sagt er, dass seine Ware dop nten Mädchen im Sandkasten, das pelt so viel koste wie a Schah oha�med Resa 15 Jahre später d�m Weltmarkt "Und das ist für zur Braut nahm. Weil sie die meisten Augenkranken Ihm : . kemen Thronfolger gebar, verstie Ier z u teuer. SIe verzIchten auf ß er sie nach sieben Jah­ die Operation. Sie müssen ren . Ehe: OI'aya Esfandiru'i, die Tochte SIch em fach abfinden mit ihrem Grauen r eines persischen Fürs­ Sta r" ten und emer Deutschen. Sie lieg Dre i Dinge ber Ira n sind dem t, nach einem einsamen und . Gespräc zu entnehmen von de SIe ta� chen, m t unterschiedlich � .Klatschpresse gnadenlos ausgeleuchteten Leben, auf er Gewichtung, in fast alle � dem Mu Gespra. �hen mIt nchner Westfriedhofb eerdigt. gebildeten Iranern auf: ein solides Selbstbe­ Das schräge d is heute spürba wussts��n und profundes Wissen �� re Missverhältnis zwi­ um die eigene Vergru1genheit und Große; Melancholie, auch �.�h�n der 250 -Jahngen persischen Monarchie und der Zorn über den heutigen Zu­ Jah 30nge� IslamIschen Republik zählt � tand des andes und die Sorge, der Rest der Welt kön zu den stärksten Eindrü­ nte cken, dIe der m derne Iran auf Ihm den Rucken zukehren; und einen westlichen Besucher � schließlich eine ausgeprägte, mac . ht. NIr gends 1St es augenfälliger als in Teh eran, der Zwölf-

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Millionen-Metropole, die Los Angeles ähnlicher sieht als Kai­ ro oder Istanbul. Vor der Revolution angelegte, auf Persisch und Englisch ausgeschilderte achtspurige "Expressways" durchziehen sie von Ost nach West und Nord nach Süd, hoff­ nungslos verstopfte Verkehrs arterien tagsüber, Rennstrecken wie aus einem Computerspiel in der Nacht. Das Zentrum der Stadt hat sich in den vergangenen 100 Jahren immer weiter aus dem flachen, armen Süden in den wohlhabenderen Norden verlagert. Hier oben errichteten Schah Resa und sein Sohn Mohammed ihre Paläste und zogen ihre Höflinge nach; hier oben schlug aber auch Revolutions­ führer Ajatollah Ruhollah Chomeini sein Hauptquartier auf, nachdem er seine Macht gefestigt hatte. In Niawaran haben, bis zu ihrer Flucht, Schah Mohammed Resa und seine Frau Farah Diba residiert. Der Palast liegt in einem wunderschönen, von prächtigen Platanen beschirmten Park. Das neue Regime, das den Namen der Pahlewi-Dynastie aus allen Geschichtsbüchern hat streichen lassen, hat hier merkwürdigerweise alles konserviert. Selbst die Garderobe des Kaiserpaars, das Privatkino, das Büro des Schahs - mit einem Kalender, der bis zum Dezember 1978 abgerissen ist sind zu besichtigen. Ehrfürchtig schreiten meine Töchter durch den ganzen pink und orange gefärbten Plüsch der Siebziger, staunend be­ trachten sie das Jugendzimmer des ehemaligen Kronprinzen Kyros Resa, in dem noch seine Spielzeugautos und Modell­ flugzeuge stehen. Im Südflügel des Palasts sind eine Kunst­ galerie und ein Museums-Shop eingerichtet. Junge, perfekt geschminkte Frauen in engen Jeans unterm Manteau verkau­ fen zeitgenössisches Kunsthandwerk. Alles hier sieht nach Westen, nach Luxus und Moderne aus nach einem Iran, wie ihn Resa Pahlewi, der Vater des let;ten Schahs, vor Augen hatte. Fünf Taxi-Minuten weiter westlich dagegen, im Stadtvier­ tel Tschamran, regiert Bescheidenheit. Hier verbrachte, im Schatten einer grob hinbetonierten Moschee, Revolu-

tionsführer Chomeini seine letzten Jahre. Auch seine Residenz ist zu besichtigen - doch schon das Wort Residenz wäre eine Anmaßung: Es ist ein Zimmer, mehr nicht, in dem ein Bett, ein Bücherregal stehen und auf dem Teppich ein Paar Bade­ schlappen liegt. :'Es war dieses sehr bescheidene Haus, das zum Zentrum fÜI die Herzen von Millionen Muslimen in Iran und auf der ganzen Welt wurde und das die Träume der Tyrannen der Welt störte", steht auf einer Kupfertafel, die das "Institut zur Sammlung und Verbreitung der Werke des Imam Chomeini" hat anbringen lassen. Alles hier steht für Askese und Glau­ bensstrenge, für das Land, das Chomeini wollte. Vor dem Blechverschlag, der das Gebäude vom Eingang zur Moschee trennt, steht ein Soldat der Revolutionswache und wäscht sein Auto. Das Abwasser läuft in einen offenen Kanal, meine Töchter, von diesem Wasserspiel deutlich stärker be­ eindruckt als vom Chomeini-Zimmer, beginnen wieder, Fangen zu spielen und hüpfen schreiend über dem Kanal hin und her. Ich rufe sie zur Ordnung, wir befinden uns schließlich an einer Pilgerstätte der Islamischen Republik. Doch der Mann in Uniform winkt ab. Kinder haben Narrenfreiheit, sogar unter dem strengen Blick des Revolutionswächters. Drei Tage später reisen wir ab. Ich hatte meiner Familie versprochen, es würde keine Korrespondentenreise sein: keine Recherchen, keine Interviews, keine großen Theorien - und keine Passfotos. Daran habe ich mich gehalten. Aber der Frage, wohin dieses Land sich bewegt, Richtung Westen oder Glaubensstrenge, Richtung Niawaran oder Tschamran, kann keiner ausweichen, der heute durch Iran reist. Wir verlassen Teheran über den neuen Flughafen, der nachts hell erleuchtet wie ein Raumschiff am Südrand der Stadt in der Wüste liegt. Er ist aus Glas und Stahl gebaut und so modern, dass er auch in Nevada oder Arizona stehen könnte. Er ist vor ein paar Jahren erst in Betrieb gegangen, und er heißt: Imam Chomeini Airport.

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S C H A U P L ÄT Z E

Zeugn isse u ra l te r Ku l tu r AUF PERSIENS SPUREN Hamadan / Ekbatana

Täbris

Die Siedlung im Zagrosgebirge, von den Griechen später Ekbatana genannt, war schon im 9. Jahrhundert v. ehr. Haupt­ stadt des Meder-Reiches; die Achaime­ niden machten sie zur Sommerresidenz. Nach vielen Zerstörungen lange unbe­ deutend, ist die moderne Stadt auf sechs­ strahligem Straßenkreuz Provinzmetro­ pole und Zentrum iranischer Juden.

Die einstige Mongolen-Residenz, heute von 1,5 Millionen Menschen bewohnt, ist das Zentrum des iranischen Teppichhan­ dels. Zu den Sehenswürdigkeiten zählen der prächtige Basar, die (allerdings be­ schädigte) Blaue Moschee, ein Dichter­ friedhof und das ,,Aserbaidschan-Muse­ um" mit kulturhistorischen Objekten aus ganz Iran.

Ktesiphon

Teheran

35 Kilometer südöstlich von Bagdadj Irak

13 Millionen Einwohner und nur etwa 1000 Jahre Geschichte, das bedeutet für Persien kein richtiges Kultur-Idyll. Aber einiges hat die Hauptstadt doch zu bie­ ten: Etliche bedeutende Sammlungen darunter das Nationalmuseum mit vielen weltberühmten archäologischen Fun­ den - und der erst 1969 errichtete Nia­ waran-Palast des letzten Schahs lohnen eine Besichtigung.

Von der Metropole des Parther- und Sa­ saniden-Reichs, einem Konglomerat frü­ herer Stadtanlagen, ließen die Araber nur Ruinen übrig. Grabungen in der Tigrisebene sind noch wenig fortge­ schritten; immerhin beeindruckt das Ge­ wölbe eines sasanidischen Palastes, der heute Tak-e Kisra genannt wird.

REZA TAMADDONI 20140501 Susa

30 Kilometer von Desful

Seit 1884 haben Grabungen die jahrtau­ sendealte, von den Mongolen schwer zer­ störte Residenz erschlossen. Vom präch­ tigen Dareios-Palast sind nur noch Spu­ ren zu erkennen - dafür lockt das soge­ nannte Grabmal des Propheten Daniel die Pilgerströme an.

Hakan Bayka l : "Vom

Jasd

Abgelegen am Rand der Hochebene, ent­ ging die alte Stadt den Stürmen der Mon­ golen und des Timur. Sie ist bis heute das Zentrum der iranischen Zoroastrier, die hier viele Heiligtümer haben; aber auch die Freitagsmoschee mit ihrem rekord­ verdächtig hohen Portal ist zu einem Wahrzeichen geworden.

Monika Gronke: "Geschichte

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Die nächste Ausgabe von SPIEGEL GESCHICHTE erscheint am Dienstag, dem 1. Juni 2 010

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REZA TAMADDONI 20140501 TITELBILD Stefan Kiefer; Iris Kuhlmann, Gershom Schwalfenberg, Arne Vogt ORGANISATION

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Sieg über Frankreich wird Hitler zum Herrn über einen Großteil des Kontinents, dessen Eliten sich mit ihm arrangieren. In Frankreich entschließen sich Politiker, M i litärs und I ntellektuelle zur Kollaboration mit den Nazis.

Ove Saffe

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Britanniens Premier Winston Churchill setzt auf Widerstand und gewinnt die USA als Verbündete für den Feldzug gegen Hitler.

Um Stalingrad entbrennt eine gnadenlose Schlacht, i n der die deutsche Wehrmacht ihre 6. Armee verliert der Anfang vom Ende.

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