RFLKT #01 - Alexander Binder "Weltschmerz"

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Ausgabe #01

WELT

SCHMERZ





WELT

SCHMERZ

Spricht man qua Definition von Weltschmerz, meint man ganz weitläufig ein Gefühl von ­Trauer und schmerzhaft empfundener Melancholie über die eigenen Unzulänglichkeiten, die als Fehlbarkeit der Welt empfunden werden. Geprägt wurde der Begriff 1823 von Jean Paul: „Nur sein Auge sah alle die tausend Qualen der Menschen bei ihren Untergängen. Diesen Weltschmerz kann er, so zu sagen, nur aushalten durch den Anblick der Seligkeit, die nachher vergütet“. 1 Heinrich Heine nahm den Ausdruck auf und beschrieb ihn als „Schmerz über die Vergänglichkeit irdischer Herrlichkeit“. 2 Thomas Mann nannte es „Lebenswehmut“. 3 Die Phänomene Pessimismus, Resignation oder die Realitätsflucht als Folge eines Ohnmachtsgefühls und die Ausprägung von Hilflosigkeit aufgrund von Erkenntnissen über sich selbst und die Welt sind seitdem für viele Künstler eine inspirierende Triebkraft. Betrachtet man zum Beispiel die Peripherie der musikalischen New-Wave-Popkultur des 20. Jahrhunderts oder die Malerei der Neuen Leipziger Schule, so ist Weltschmerz auch dort ein wesentliches Thema. Aber gibt uns die Kunst auch Antworten auf die Frage, wohin unsere Reise geht? Kann sie uns diese Antworten überhaupt liefern, in einer Zeit, die sich durch immer weiter fortschreitendes Streben nach Ausgewogenheit und dem Willen, alles richtig machen zu wollen und nie zu extrem sein zu wollen, auszeichnet? Dieses Streben nach Balance trifft auch auf die Frage zu, welche Form, welches Stilmittel man für die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Weltschmerz wählt. Die in der vorliegenden Ausgabe zusammengestellten Arbeiten des Stuttgarter Künstlers ­Alexander Binder fangen die Thematik hervorragend ein. Sie sind gleichzeitig abstrakt, autonom und neosurreal. Durch seine konstante schwarz-weiß und unscharf gehaltene Betrachtungs­weise wird seinen Werken zusätzlich ein neoromantischer Charakter verliehen. Ein Durch­wehen ­eines permanent leisen Weltschmerzes ist spürbar. Insgesamt wird eine besondere „Munch meets Dark Wave“-Ästhetik sichtbar, die vor allem durch Binders konsequente Arbeitsweise mit Lochblenden, Acryllinsen und anderen optischen Primitiv-Werkzeugen erreicht wird. Für RFKLT hat Alexander Binder seine Interpretation der gedanklichen Richtschnur „Weltschmerz“ in knapp 50 Fotografien verdichtet.




















Wir leben in einer Kultur, die den Tod w einen Fetisch zelebriert ________________________________________ Alexander Binder


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Das britische Magazin Dazed Digital nennt ALEXANDER BINDER einen „nice guy with a killer imagination“. Geboren wurde er im Südwesten Deutschlands. Die Umgebung des Schwarzwaldes, der Kon­ sum ­von Horror-Filmen und Phantasy-Literatur sowie Black-Metal-Musik beeinflussen seine Werke maßgeblich. Mit seinen Arbeiten, deren Effekt er in erster Linie mit rudimentärster Kameratechnik und ­einem ausgeprägten Gespür für Ungewöhnliches erzielt, hat er in den vergangenen drei ­Jahren für beachtliche Aufmerksamkeit gesorgt. Er veröffentlichte in diversen Magazinen, unter ­anderem in der Vice Photo Issue oder dem Schweizer Kinki Magazine und stellte im Rahmen des ­renommierten Fotofestivals „Les Rencontres d‘Arles“ in Südfrankreich sowie auf dem „PhotoIreland“-Festival in Dublin aus. Neben zahlreichen Einzel- und Gruppen­ausstellungen i­ n New York, Chicago, Denver, London, Rennes, Berlin, Stuttgart und Düsseldorf hat ­Alexander Binder mittlerweile auch eine Reihe an Publikationen bei internationalen IndependentVerlagen wie Mörelbooks oder Kaugummi vorzuweisen. Zeitweise war er in Pforzheim und Hamburg ansässig. Gegenwärtig lebt und arbeitet Binder in Stuttgart.


Alex, du stammst aus einem wunderschönen Landstrich im deutschen Süden. Wie weit war der Weg zur Fotografie?

Söhne Phobos und Deimos entsprangen. Sie waren seine steten Begleiter und verbreiteten im Kampf Angst und Schrecken.

Obwohl der Schwarzwald sicherlich eines der beliebtesten Postkartenmotive der Wirtschaftswunder-Republik war und quasi ­direkt vor der Haustür liegt, war mein Weg zur Fotografie vergleichsweise lang und steinig. Zwar hatte ich in frühesten Kinderjahren eine kleine Plastikkamera bekommen und umgehend damit begonnen, meine Umwelt zu dokumentieren, doch verging viel Zeit, bis ich das Medium für mich wiederentdeckt hatte. Ich suchte lange das für mich ideale Ausdrucksmittel und beschäftigte mich mit Malerei, Computer-Renderings, Musik et cetera, um erst dann wieder beim überaus spontanen Medium der Fotografie zu landen. Auch wenn mir das heute schon lange her erscheint, so hatte ich ja erst 2008 meine erste richtige Ausstellung mit Fotografien.

Ich versuchte, das ganze Thema auf einer etwas abstrakteren Ebene zu verinnerlichen und fotografierte Motive, die sich von den Gebeinen toter keltischer Kriegsfürsten bis hin zum Maschinarium des Grabenkrieges erstreckten.

Wie entstehen eigentlich deine Arbeiten? Was für eine Ausrüstung benötigst du dafür? Auf inhaltlicher Ebene gehe ich so vor, dass es eine vage Ausgangsposition gibt, meist ein Thema, das mich bewusst oder unbewusst beschäftigt. Für mein letztes Zine, Phobos, war der Startpunkt zum Beispiel meine Faszination für die archaische und bisweilen recht blutige griechische Mythologie. Ein spannender Kosmos aus Intriganten und moralisch kaputten Figuren, die andauernd Affären mit irgendjemandem hatten, was zu noch schrägeren Gottheiten führte. Zum Beispiel hatte ihr Kriegsgott Ares, ein Sinnbild für wahre Blutbäder auf dem Schlachtfeld, eine Beziehung mit Aphrodite, aus der seine

Neben der inhaltlichen Dimension spielt natürlich auch das Formale eine wichtige Rolle bei mir. Da ich mich nie für HochglanzFotografie und das dazu notwendige Sammelsurium an Hightech begeistern konnte, entschied ich mich von Anfang an dafür, dem Amateurhaften und Primitiven, dem Unperfekten und Halbvollendeten den Vorrang zu geben. Ich arbeite fast ausschließlich mit billigen Glas- und Acryllinsen und kann mich für jegliche Art von optischen Spielzeugen, vom Kaleidoskop bis zu kleinen Prismenkristallen, begeistern. Da es diese Dinge meist nicht von der Stange zu kaufen gibt, baue ich mir von Zeit zu Zeit immer wieder mal selbst ein paar Objektive, die dann leider nicht länger als eine Saison halten. Während ich am Anfang fast ausschließlich analog fotografierte, habe ich aufgrund meines Schaffenswahns mittlerweile den Sprung zur Digitalknipse gewagt. Da ich unglaublich viele Arbeiten in kurzer Zeit schaffen möchte, war es eigentlich nur eine logische Konsequenz, den Film zugunsten der CFSpeicherkarte auszutauschen. Da ich es mit Sentimentalität und Technikschwärmerei ohnehin nicht so habe, war der Schritt auch nicht allzu schwierig.




Deine Produktivität ist hoch. Wie motivierst du dich? Was treibt dich an? Meine gesamte Arbeitsweise spiegelt meine Persönlichkeit wider. Die ist hektisch, ungeduldig und schnell gelangweilt. Während ich an einer Serie arbeite, habe ich schon wieder Ideen für die nächste und dadurch entsteht natürlich ein großes Œuvre in kurzer Zeit. Hinzu kommt, dass ich persönlich nicht an das eine Bild glaube. Ich denke in Serien und in Geschichten – und da spielt die Menge der Arbeiten einfach eine gewisse Rolle. Man beurteilt einen Comic ja auch nicht nur anhand eines Bildes. Ganz interessant übrigens, in der keltischen ­Mythologie wird der 31. Oktober (zufällig der Tag deiner Geburt) als „Fest der Toten“ oder auch „Ende des Sommers“ betitelt. Der „rote ­Faden“ wurde also früh gelegt, oder? Wie wichtig sind dir eigentlich Symbole? Wenn man sich mit Okkultismus, aber auch mit jeglicher Art von Spiritualität im Allgemeinen, beschäftigt, fällt einem schnell auf, welch zentrale Rolle Symbole spielen. Ich meine, eine der größten Religionen der Welt lebt davon, dass sich Millionen Menschen vor dem stilisierten Bild zweier zusammengenagelter Holzbalken verbeugen. Symbole fassen in einem einfachen Bild ganze Philosophien zusammen und erzählen, zum Beispiel allein anhand einer bestimmten Zahl, eine komplexe Geschichte. Gleichzeitig bleiben sie als Symbol auch immer rätselhaft und letztendlich unergründlich. Diese Dualität aus „ganz viel auf einmal sagen“ und gleichzeitig

nichts zu sagen, finde ich herausfordernd. Und das mit dem 31. Oktober kann natürlich kein Zufall sein ... Deine Fotografien sind geprägt von Okkultismus, Melancholie und Düsternis. Woher kommt diese Orientierung beziehungsweise, wie ist deine Vorliebe zu diesem Motiv-Schwerpunkt entstanden? Schon als Kind hatte ich das traurige Talent, in allem Perfekten das Unperfekte, im Gesunden das Kranke und im Schönen das Hässliche zu entdecken. Wahrscheinlich hat mich dieser ureigene Instinkt zu Autoren und Künstlern geführt, die mein Interesse für Düsteres, Okkultes und Totes weiter bedient haben. Wenn man wie ich im Schwarzwald aufgewachsen ist und einen einigermaßen klaren Blick auf die Dinge hat, dann liegen dort Leben und Tod sehr nahe beieinander. Der ganze Wald ist eine faszinierende Verquickung von Zerfall und der Entstehung von neuem. Totes Rehgebein verwest, schafft Platz für etwas Neues und das aussichtslose Spiel geht wieder von vorne los. Einer deiner prägenden Einflüsse ist der USamerikanische Schriftsteller H.P. Lovecraft. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich deine Arbeit an vielen Stellen als sehr nahe am Metal-Umfeld empfinde. Einige Motive würden sicher auch sehr gut als Plattencover funktionieren. Geht es dir selbst ähnlich? Lovecraft ist sicherlich Vorbild für eine Heerschar von Musikern und Künstlern, die sich mit der eher dunklen Materie beschäftigen.


Man findet seine Einflüsse zum Beispiel in den Arbeiten des Schweizer Alien-Designers H.R. Giger, und unzählige Metalbands beziehen sich in ihren Songs auf seine Texte. Er war ein literarisches Talent, das es geschafft hat nicht nur ein paar spannende Kurzgeschichten zu schreiben, sondern Lovecraft hat ein komplexes, selbstreferentielles Universum mit eigenen Mythen erschaffen. Noch heute streiten sich Menschen lustigerweise darüber, ob wirklich ein arabisches „Original“ der dämonischen Kosmologie Necronomicon existiert. Manchmal wundert es mich, dass er nicht schon viel öfter für Mainstream-Verfilmungen herhalten musste ...

beit von sogenannten Outsider-Artists, also von Künstlern, die kaum oder gar keine Berührungspunkte mit der Kunstwelt haben. Dazu zählen Miroslav Tichý, Billy Childish oder auch Joe Coleman. Darüber hinaus begeistern mich die Werke von Edvard Munch und dem ebenfalls aus Norwegen stammenden Maler Theodor Kittelsen. Mit zeitgenössischer Kunst beschäftige ich mich ehrlich gesagt nicht mehr allzu sehr, da mir das aufgrund der häufig wechselnden Namen und Hypes fast schon anstrengend erscheint. Wessen Arbeiten ich aus der zeitgenössischen Richtung dennoch besonders mag, sind die Gemälde von Andreas Hofer.

Um auf deine Frage zurückzukommen: Meine Arbeiten liegen teilweise sehr nahe am Metal-Umfeld, was sich vielleicht auch vor dem Hintergrund erklärt, dass mich diese Musik seit Jahrzehnten begleitet. Ob die Dinge in einem Musikumfeld funktionieren, erprobe ich übrigens gerade mit Musikern, Bands und Labels aus ganz unterschiedlichen Genres. So habe ich zum Beispiel kürzlich ein Cover für das belgische Indie-Label Vlas Vegas beigesteuert, das Artwork für das neue Album von The Present Moment (Disaro / Desire Records) gestaltet oder Motive für den Künstler Black Mountain Transmitter entwickelt, die als limitierte, handgefertigte AudioKassette bei dem amerikanischen Label Auris Apothecary erschienen sind und jetzt auch bald als offizieller CD-Release rauskommen werden.

Den wohl stärksten Einfluss auf mein Schaffen – zumindest den unmittelbarsten – hat Musik. Und in dem Zusammenhang spielt Stephen O’Malley mit seiner Drone-Band Sunn O))) eine besondere Rolle. Er hat nicht nur dem Metal-Genre den Weg in Richtung einer experimentellen Zukunft geebnet, sondern als Künstler, Performer und Grafiker auch gleich noch die visuelle Welt mitgeliefert. Er ist aus meiner Sicht so eine Art Universalgenie.

Es gibt bestimmt weitere herausragende literarische, musikalische oder allgemein künstlerische Einflüsse auf deine Arbeit. Welche wären das? Ich beschäftige mich seit langem mit der Ar-

Häufig sind Künstler ja durch die Eltern „vorbelastet“. Ist das bei dir auch so? Hat dein Elternhaus dich künstlerisch geprägt? Meine Eltern sind überhaupt keine so typischen Spät-68er-„Unser Kind soll Künstler werden“-Typen. Aber was mich in der Richtung sicherlich nachhaltig geprägt hat, ist zum einen, dass ich wirklich alles tun und lassen konnte, was ich wollte, und zum anderen lebte vor allem mein Vater schon immer so eine leicht spleenige Sammelleidenschaft für




unterschiedlichsten Krimskrams aus. Ich erinnere mich noch, wie er zum Beispiel Mitte der 80er plötzlich einen Synthie mit nach Hause brachte, ohne dass jemand bei uns auch nur eine Note lesen oder das Ding mit seinen vielen Reglern ernsthaft bedienen konnte, einfach, weil das Ding so Cyborg-mäßig nach Kraftwerk aussah. Oder welche andere Familie hilft ihrem 13-jährigen Sohn schon dabei, eine Sammlung mit Tierschädeln aufzubauen? Du hast mittlerweile auch Bücher über dein künstlerisches Werk veröffentlicht und stellst regelmäßig in Galerien, Magazinen oder im ­ Netz aus. Es gibt sogar ein erstes Shirt von dir. Wie sieht es mit weiteren künstlerischen Schaffensfeldern aus? Gerade habe ich meine zweite Shirt-Serie mit Seasick Mama aus New York an den Start gebracht. Der Gedanke ist weder neu noch originär von mir, aber T-Shirts sind eine besonders demokratische Form, Kunst und Fotografie ohne viel Geld in den eigenen Alltag zu integrieren. Deshalb mag ich auch fotokopierte Fanzines und andere Möglichkeiten, die jedem einen Zugang zu einer haptisch erlebbaren Form meiner Arbeiten geben. Genauso freue ich mich aber auch über die ersten Sammler, die langsam beginnen, meine Abzüge zu erwerben. Sie geben mir wiederum die Chance, neue Reisen zu organisieren und weiteres optisches Spielzeug zuzulegen. Mich reizt der Spagat zwischen ganz unterschiedlichen Menschen und Medien. Ich kann nicht immer nur der Typ für dies oder der Typ für das sein. Vom T-Shirt bis zum Galerie-Abzug, vom Underground-Fanzine bis zum Lifestyle-Magazin. Ich denke, davon

profitieren alle, das belebt irgendwie. Es gibt natürlich immer Leute, die einem sagen, dass man das besser nicht machen sollte, wegen Profilverlust und so. Aber am Ende des Tages muss man seine Schaffensfelder so aussuchen, dass man sich selbst damit wohlfühlt. Weitere Medien der Zukunft sind so wenig geplant wie alles, was ich mache. Aber reizvolle Felder gibt es viele, zum Beispiel bewundere ich immer wieder die Bühnenbildner beim Theater, die auf kleinstem Raum und mit begrenzten Mitteln oft ganz Unglaubliches schaffen. Eines deiner Bilder der Weltschmerz-Serie ist ein Selbstporträt, bei dem es so aussieht, als hättest du dir in den Kopf geschossen. Was siehst du in dem Bild? Was möchtest du damit ausdrücken? Wir leben in einer Kultur, die den Tod wie einen Fetisch zelebriert. Unsere medialen Schreine sind voll von Totenbildern, TrashTote, Glossy-Tote, Unfälle, Tragödien, Missgeschicke, Krankheit, Seuchen, Selbstmord – all das feiern wir geradezu täglich ab. Ganze Branchen leben davon, dass sie vor potenziellen Lebensgefahren respektive Todesmöglichkeiten warnen, über den Tod von Stars und Sternchen berichten oder sie auf dem Weg dorthin aufmerksam und bis ins Detail begleiten. Unsere Religion ist ein einziger Totenkult, und die Deutschen haben kulturell ohnehin eine gewisse Nähe zum Untergang. Auch die Museen sind ja seit jeher voll mit Knochen, Schädeln, Schmerzen und dem übrigen Tralala. Es wäre ehrlicherweise vermessen zu behaupten, dass mich all das in dem Moment bewegt hat, als ich den Auslöser gedrückt habe – aber als nachträgliche Interpretation würde ich das gerne so stehen lassen.


Wie nimmst du, ganz allgemein, deine eigene Arbeit wahr? Manchmal als anstrengend, nicht immer zufriedenstellend, aber letztendlich immer als befreiend. Ist es dir per se wichtig, wie deine Arbeit wahrgenommen wird? Ich würde lügen, wenn ich sage, dass es mir egal sei, wie Menschen auf meine Arbeiten reagieren. Aber am Anfang stehe zuerst ich selbst. Ich muss ja immer mit mir alleine ausmachen, ob irgendetwas am Ende des Tages sein zartes Dasein als Negativ oder Datenhäuflein verlassen darf und veröffentlicht wird. Wenn es so weit kommt, finde ich es schon mal nicht schlecht und nehme es dann als etwas Persönliches von mir wahr, das ich auch mit anderen teilen möchte. Und je intensiver diese Wahrnehmung durch andere erfolgt, desto mehr bekomme ich dann natürlich auch zurück. Gibt es neben den zahlreichen positiven Kritiken auch negative Betrachtungsweisen, in Bezug auf Okkultismus und damit auch im Hinblick auf deine Arbeiten, und wie gehst du damit um? Bisher wurde ich vom Scheiterhaufen verschont, wenn du das meinst. Aber natürlich gibt es auch immer wieder mal kritische Stimmen, die versuchen, alle Arbeiten von mir auf zwei, drei Bilder zu reduzieren und das dann in so eine Richtung zu drehen, als ob es mir nur um Provokation um ihrer selbst Willen ginge.

Was natürlich völlig abstrus ist, wenn man bedenkt, dass Totenschädel, Baphomet & Co. heute schon als sinnentleerte Deko auf Schulhefte für 6-Jährige gedruckt werden. Ich glaube, das Publikum, die Kanäle und die Arbeiten selbst suchen sich in unserer medial fragmentierten Welt heute ihren ganz individuellen Weg zu den Menschen. Und dabei gibt es scheinbar nicht mehr so viele Reibungspunkte. Selbst einige Bekannte von mir wissen, glaube ich, nicht so wirklich, was ich da mache – was mich dann, systembedingt, glücklicherweise auch vor der einen oder anderen Negativbetrachtung bewahrt. 2010 war ein sehr erfolg- und ausstellungsreiches Jahr für dich. Kannst du uns schon einen Einblick in die Planungen des kommenden Jahres gewähren? 2010 war super. Ich hätte 2009 niemals gedacht, dass meine Arbeiten ein Medium zu so vielen Menschen werden und ich unter anderem beim „Rencontres“ in Arles oder auf dem „PhotoIreland“-Festival in Dublin gezeigt werde. 2007 wusste ich ja noch nicht einmal, ob ich überhaupt fotografieren soll. Von daher habe ich gar keine Planung fürs kommende Jahr. Bisher haben sich alle Dinge ohne irgendeine Form von Masterplan ergeben. Meist ganz spontan und total kurzfristig. Dank Internet geschieht das ja quasi ohne Vorwarnzeit über Nacht, und man kann zu Dingen eingeladen werden oder mit Personen in Kontakt treten, an die man ein paar Jahre zuvor noch nicht mal im Traum gedacht hätte.




RFLKT Magazin André Habermann Rottalstraße 13 D-81673 München hello@rflkt.net www.rflkt.net Herausgeber André Habermann (andre@rflkt.net) Thomas Günther (thomas@rflkt.net) Christoph Noe (christoph@rflkt.net) Lektorat Adele Bartholmai Konrad Lehnert Konzept André Habermann Thomas Günther Fotos Alexander Binder Art Direktion André Habermann Christoph Noe Text Thomas Günther Auflage 50 Druck PressTex GmbH Hohenstaufen Ring 58 50674 Köln

Quellennachweis

vgl. Jean Paul: Selina oder über die Unsterblichkeit, Stuttgart/Tübingen 1827, S. 132 vgl. Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Weltschmerz, San Francisco (Abruf: 11/10) 3 vgl. Thomas Mann: Tagebücher: 1933-1934, Frankfurt a. M. 1977, S. 123 und NZZ Folio 12/91, Zürich 1991, S. 77 1 2

Abdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion!



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