Kunst braucht Raum | Dokumentation Denkfest 2017

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KUNST BRAUCHT RAUM – Was soll Rhein-Neckar Kunstschaffenden bieten? Kulturzentrum „dasHaus“, Ernst-Bloch-Zentrum, Pfalzbau und Wilhelm-Hack-Museum

1. Juni Moderation: Rita Böhmer und Robert Montoto

10.00 UHR

BEGRÜSSUNG ≥ Wolfgang van Vliet, Bürgermeister der Stadt Ludwigshafen ≥ Thomas Kraus, Leiter des Kulturbüros der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH Manfred Metzner, Sprecher des Netzwerks der Festivals Dr. Alexander Schubert, Sprecher des Netzwerks der Museen und Schlösser

10.30 UHR

KEYNOTE Die Kraft vergessener Räume ≥ Dimitri Hegemann, Happy Locals

11.15 UHR

DENKANSTÖSSE (PECHA-KUCHA-FORMAT) Wie kann Kunst Räume nutzen? Wie kann Kultur kreativ finanziert werden? ≥ Wulf Kramer, Yalla Yalla! – studio for change ≥ Anita Kerzmann, Nationaltheater Mannheim ≥ Michael Herberger, Naidoo-Herberger Produktion ≥ Corinna Pape, Sponsort

12.30 UHR

PARALLELE ARBEITSGRUPPEN ≥ Arbeitsräume, Moderation: Shiva Hamid, Frank Zumbruch ≥ Netzwerke, Moderation: Robert Montoto, Dr. Alexander Schubert ≥ Förderprogramme und Finanzierungsmodelle, Moderation: Anita Kerzmann, Ilka Fischer ≥ Internationale Kontakte und Austausch, Moderation: Dr. Ingo Schöningh, Nicole Libnau ≥ Präsentationsräume, Moderation: Stefanie Kleinsorge, Daria Holme ≥ Temporäre Kunstprojekte im öffentlichen Raum, Moderation: Hannah Schlosser, Sylvia Ballhause, Yasmin Meinicke, Eric Carstensen

13.30 UHR

MITTAGESSEN UND VERNETZUNG

15.00 UHR

DENKANSTÖSSE Was braucht gute Künstlerförderung? Welche Vernetzung brauchen wir? ≥ Prof. Jean-Baptiste Joly, Res Artis/Stiftung Akademie Schloss Solitude ≥ Christian Henner-Fehr, Kulturmanagement Blog

PROGR AMM


15.45 UHR

PARALLELE ARBEITSGRUPPEN ≥ Gestaltung von Stadträumen, Moderation: Fabian Burstein, Wulf Kramer ≥ Stipendien und Residenzen, Moderation: Gisela Hoffmann, Lea Gerschwitz ≥ Vermeidung prekärer Verhältnisse in der Bildenden Kunst, Moderation: Barbara Auer, Barbara Hindahl ≥ Aus- und Weiterbildungen, Moderation: Prof. Axel Schwarz ≥ Informationsplattformen, Moderation: Daniel Grieshaber, Christian Henner-Fehr ≥ Zwischennutzung und Leerstände, Moderation: Melanie Cocimano, David Maier

17.00 UHR

ABSCHLUSSDISKUSSION (FISH BOWL) Was soll Rhein-Neckar Kunstschaffenden bieten?

19.00 UHR

AUFTAKT „HUMAN LIBRARY“

2. Juni 10.00 – 14.00 UHR

PARALLELE WORKSHOPS UND VORTRÄGE ≥ Vom Künstler zum Kulturunternehmer. Talk mit Cartoonist Hannes Mercker Akquise für KünstlerInnen und Kreative, Susanne Dengel, Beraterin Kreativwirtschaft ≥ Crowdfunding, Christian Henner-Fehr, Kulturmanagement Blog ≥ Strategisches Fundraising, Jennifer Odyja, Baunataler Diakonie Kassel e. V. ≥ EU-Förderung verstehen und nutzen, Renata Kavelj, emcra GmbH ≥ „Gutes besser tun“ – Wirkungsorientierte Projektarbeit, Sandra Khusrawi, PHINEO gAG

10.00 – 11.30 UHR

NETZWERKTREFFEN MUSEEN UND SCHLÖSSER

12.00 – 14.00 UHR

NETZWERKTREFFEN FESTIVALS

AB 14.00 UHR

AUSKLANG UND VERNETZUNG/„HUMAN LIBRARY“

15.00 – 17.00 UHR

NETZWERKTREFFEN REGIONALGRUPPE RHEIN-NECKAR DER KULTURPOLITISCHEN GESELLSCHAFT

15.00 – 18.00 UHR

NETZWERKTREFFEN „BUND DER KREISE UND KOMMUNEN“

PROGR AMM


Sehr geehrte Damen und Herren, das 7. Denkfest der Metropolregion Rhein-Neckar war am 1. und 2. Juni 2017 zu Gast in Ludwigshafen. Von der Denkfest-Schaltzentrale im Kulturzentrum „dasHaus“ ausgreifend auf das Wilhelm-Hack-Museum, das Ernst-Bloch-Zentrum und den Pfalzbau spannte sich das Denk-Netzwerk über die gesamte Ludwigshafener Innenstadt. Zwei Tage lang diskutierte die Kulturszene der Region über die Bedingungen, unter denen Künstlerinnen und Künstler hier arbeiten. Intensiv wurde überlegt, welche Schritte nötig sind, um unsere Region zu einem attraktiven Raum für Kulturschaffende zu machen und somit dem Ziel näherzukommen, zu einer außergewöhnlich starken Kulturregion zu wachsen. Das Thema des diesjährigen Denkfests „Kunst braucht Raum – Was soll Rhein-Neckar Kunstschaffenden bieten?“ orientierte sich an einem in der Kulturvision Rhein-Neckar formulierten Ziel, das sich der Aufgabe widmet, Künstlerinnen und Künstlern Raum für kreative Prozesse zu bieten. Ludwigshafen befindet sich in einer Phase des städtebaulichen Umbruchs – neue Stadtteile entstehen oder sind schon entstanden. Der Abriss der Hochstraße wird unsere Stadt in den nächsten Jahren von Grund auf verändern. Es gibt also gute Gründe, über das Motto „Kunst braucht Raum“ nachzudenken. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass Kunst und Kultur bedeutende Beiträge liefern für den Diskurs, wie wir künftig leben wollen und wie unsere Städte künftig aussehen sollen. Als beispielhaft für die kommunalen Bemühungen, Kunst und Kultur geeignete Räume und im doppelten Wortsinn einen „Freiraum“ zu bieten, darf einer der Austragungsorte des diesjährigen Denkfests, das Kulturzentrum „dasHaus“, angesehen werden. Bietet doch „dasHaus“ mit einer neuen Schwerpunktsetzung als projektbezogenes Produktionshaus der freien Szene Raum und Möglichkeiten, Produktionen zu erarbeiten und zu präsentieren. Dass sich im Rahmen des Denkfests nicht nur die Netzwerker der Festivals, der Museen und Schlösser und des „Bundes der Kreise und Kommunen“ der Rhein-Neckar-Region getroffen haben, sondern auch mit der „Human Library“ die Eröffnung des 27. Ludwigshafener Kultursommers einherging, zeigt, wie stark der Gedanke der Kooperation und Vernetzung mittlerweile das Kulturgeschehen in unserer Region prägt. Daran ist das Kulturbüro der Metropolregion Rhein-Neckar nicht unwesentlich beteiligt. Dafür und natürlich für das Denkfest 2017 gilt unser Dank.

Foto: Stadt Ludwigshafen am Rhein

Dr. Eva Lohse Oberbürgermeisterin der Stadt Ludwigshafen am Rhein

4 GRUS SWOR TE


Liebe Denkerinnen und Denker, rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich beim 7. Denkfest in Ludwigshafen mit dem Lebens- und Arbeitsumfeld von Kunst- und Kulturschaffenden in unserer Region auseinandergesetzt. Unter dem Titel „Kunst braucht Raum“ haben wir dieses Thema gewählt, obwohl uns bewusst ist, dass die finanziellen Bedingungen für Kunst und Kultur nicht besser werden. Künstlerinnen und Künstler aller Sparten standen im Fokus dieses Denkfests, nicht Kulturinstitutionen oder -verwaltungen. Dennoch waren es vor allem Vertreterinnen und Vertreter aus den beiden zuletzt genannten Bereichen, die am 1. und 2. Juni 2017 sehr rege miteinander diskutierten: Was können wir gemeinsam leisten, um die Situation von Kunst- und Kulturschaffenden in Rhein-Neckar zu verbessern? Welche Konzepte lassen sich auf unsere Region übertragen oder regional ausbauen? Wo können wir kooperieren und uns gegenseitig unterstützen? Fest steht, dass wir noch detaillierter von Künstlerinnen und Künstlern erfahren müssen, was für ihre professionelle Entwicklung wichtig ist, um Antworten auf Fragen wie diese zu finden. Deshalb möchten wir den Austausch mit einzelnen Akteuren auch nach unserer Kulturkonferenz fortsetzen. Einige Aspekte, die für die Attraktivität des Lebens- und Arbeitsraums von Künstlerinnen und Künstlern eine Rolle spielen, haben sich aber bereits auf dem Denkfest herauskristallisiert: Dazu zählen zum einen Kunst- und Kulturprojekte im öffentlichen Raum und die damit oft verbundene (Zwischen-)Nutzung von Leerständen, zum anderen neue Formate und Kooperationen wie zum Beispiel die Idee einer von mehreren Partnern der Rhein-Neckar-Region ausgerichteten Künstlerresidenz. Wir sind zuversichtlich, dass das Denkfest wie in den Jahren zuvor entscheidende Impulse gesetzt hat, denen wir, gemeinsam mit Ihnen, nachgehen möchten. Unser herzlicher Dank gilt all denen, die das Denkfest 2017 ermöglicht haben: den unterstützenden Kommunen, insbesondere der Stadt Ludwigshafen als Gastgeberin, unseren langjährigen Partnern Prof. Dr. Cornelia Reifenberg (Dezernentin für Kultur, Schulen, Jugend und Familie der Stadt Ludwigshafen), Dietrich Skibelski (Bereichsleiter Kultur der Stadt Ludwigshafen), Fabian Burstein (Leiter des Kulturbüros der Stadt Ludwigshafen), Dr. Klaus Kufeld (Direktor des Ernst-Bloch-Zentrums) und René Zechlin (Direktor des Wilhelm-Hack-Museums) sowie für ihren intensiven persönlichen Einsatz Michael Cordier (Geschäftsführer der LUKOM Ludwigshafener Kongress- und Marketing-Gesellschaft mbH und Geschäftsführer des Marketing-Vereins Ludwigshafen e. V.) und Jens Rückert. Nicht zuletzt geht auch ein großes Dankeschön an Alexandra Theobalt, die das Denkfest über drei Ausgaben organisiert und geprägt hat.

Zu sehen sind von links: Thomas Kraus, Leiter des Kulturbüros der Metropolregion RheinNeckar GmbH, Manfred Metzner, Sprecher des Netzwerks der Festivals bis 2.6.2017, und Dr. Alexander Schubert, Sprecher des Netzwerks der Museen & Schlösser



Dimitri Hegemann spricht in seiner Keynote über die „Kraft vergessener Räume“.


Anita Kerzmann vom Nationaltheater Mannheim gibt Tipps für den richtigen Umgang mit Förderern und Sponsoren.

Gut gelaunt: Dietrich Skibelski, Bereichsleiter Kultur der Stadt Ludwigshafen (links), und Fabian Burstein, Leiter des Kulturbüros der Stadt Ludwigshafen

Corinna Pape berichtet von ihrer Arbeit bei der regionalen Crowdfunding-Plattform „Sponsort“.

Michael Herberger (Naidoo-Herberger Produktion) stellt die Pläne für ein Stadtquartier für Kreative auf der Mannheimer Konversionsfläche Benjamin-Franklin-Village vor.


Der Ludwigshafener Bürgermeister Wolfgang van Vliet begrüßt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Denkfests im Kulturzentrum „dasHaus“.

Rita Böhmer und Robert Montoto führen durch den Tag.

Wulf Kramer von „Yalla Yalla! – studio for change“ erzählt von Projekten, die sein Team und er im öffentlichen Raum realisiert haben.


Es war einmal die Hausbesetzung. Man hat schon länger nichts mehr von ihr gehört, doch in den 70er, 80er und 90er Jahren gab es sie überall. Aktivisten, die ein paar Wände und ein halbwegs dichtes Dach über dem Kopf benötigten, um zu feiern, zu diskutieren und Plakate aufzuhängen, kletterten durch die Fenster leer stehender Häuser und errichteten drinnen ihr eigenes Reich. Erlaubt war das nicht, aber viele Eigentümer duldeten die Eindringlinge trotzdem. Die gewannen dadurch die Freiheit, zum Beispiel künstlerisch zu arbeiten. Schnell wurde der eroberte Raum Inspirationsquelle, Atelier oder Ausstellungsort. Man zahlte weder Miete noch Versicherungen, organisierte sich überhaupt weitestgehend ohne Geld. Und wirkte damit auf die Gesellschaft zurück, deren Strukturen die besetzten Häuser demonstrativ infrage stellten. Heute schauen auch Städte, die die jungen Wilden damals beargwöhnten oder bekämpften, mit romantischem Blick auf diese Zeit zurück. Längst hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass Kunst das soziale Klima bereichert und deshalb neben Museumshallen auch alternative Treffpunkte und unkonventionelle Bühnen benötigt. Es wird nicht mehr nur als Herausforderung der Künstler angesehen, entsprechende Räume zu erobern, sondern auch als Aufgabe der Kommunen, diese bereitzustellen. Die Initiatoren der Avantgarde haben sozusagen die Seiten gewechselt. In der Rheinstadt Ludwigshafen stellt die siebte Ausgabe des Denkfests die Frage, die sich aus diesem Wandel ergibt: Was sollen Kommunen Kunstschaffenden bieten? Genauer: Welche physischen wie gedanklichen Räume in der Rhein-Neckar-Region braucht es, damit Kultur florieren kann? Antworten – man könnte auch sagen: Ansprüche – gibt es viele. Die freiberuflichen Künstler, die sich in einer der Gesprächsgruppen zu Wort melden, wünschen sich mehr Flächen, auf denen sie eigene Arbeiten präsentieren können. Eine ehemalige Dresdnerin berichtet, sie sei nach ihrem Umzug nach Mannheim verwundert gewesen, wie wenig selbstinitiativ organisierte Ausstellungen es gebe. In ihrer alten Heimat hätten viele junge Künstler ihre Arbeiten in unbenutzten Wohnungen präsentiert. Aktueller Leerstand sei den Stadtverwaltungen bekannt gewesen und bei Bedarf verfügbar gemacht worden. Auch eine Frau aus Karlsruhe kennt diese Kooperation zwischen Kreativszene und Behörden: „Bei uns kann man anrufen und genau sagen, wie viele Quadratmeter man braucht.“ Ist das die erste Anregung für die Region: in den Ämtern einfach mal ein paar Flächenvermittler einzustellen? Ganz so einfach scheint es nicht zu sein. Die Vertreter der Kommunen verteidigen sich: Es gebe die gewünschten Ansprechpartner längst. Nur könne beispielsweise der Citymanager in Ludwigshafen gar nicht so frei über viele Immobilien verfügen, wie manche Interessenten es sich vorstellten. Viele Hausbesitzer säßen in anderen Städten oder im Ausland. Mit dem Anliegen, lokale Kultur zu fördern, stoße man bei ihnen nur selten auf offene Ohren. Der Fall ist ein Beispiel dafür, wie Wunschdenken und Realität nicht immer übereinkommen. Das ausdrücklich an Vernetzung interessierte Denkfest hat an diesem Punkt die gleiche Schwierigkeit wie manche kulturpolitische Debatte – einerseits möchten die Teilnehmer gemeinsame Visionen entwickeln, andererseits tragen sie sich sogleich die Hürden vor. Ein Ziel, das die Mehrheit der Konferenzteilnehmer verfolgt, ist sogenanntes community building. Wulf Kramer von der Initiative „Yalla Yalla!“ berichtet in seinem Vortrag, dass sich ganze Viertel neu beleben ließen, wenn trostlose Räume mithilfe außergewöhnlicher Bespielungen in Treffpunkte verwandelt würden. In Stuttgart hat er zusammen mit Freiwilligen ein Parkhausdach

DIE ZEIT DER AUTONOMEN IST VORBEI Gefragter sind jetzt Künstler, die mit ihren Projekten Menschen aktivieren und in der Gemeinschaft (öffentliche) Räume neu beleben.

10 VON JONATHAN HORS TMANN


begrünt, und im Mannheimer Jungbusch planschten die Viertelbewohner schon in einem von seinem Team gebauten Pool. Die Idee hinter solchen Aktionen: Die Straße wird wieder wie in früheren Zeiten ein Ort der sozialen Interaktion. „Wer den öffentlichen Raum nicht nutzt, verliert ihn an Verkehr und Industrie“, sagt Kramer. Seine Projekte veranschaulichen, dass Bewohner den Charakter ihrer Wohnorte aktiv mitprägen, wenn man sie anspricht und begeistert. Auch der Kulturmanager Dimitri Hegemann vertritt diesen Standpunkt. Mit seinem Enthusiasmus für innovative urbane Anlaufpunkte bringt er, Gründer der „Happy Locals“ und Keynote-Speaker des Denkfests, fast schon vergessene Ideale ins Gespräch. Ja, es lohne sich beispielsweise noch, Jugendtreffs einzurichten, sofern man sie konsequent an den Bedürfnissen der Zielgruppe ausrichte. Nein, nicht immer seien die Erfolgsmodelle aus den Großstädten auch Patentrezepte für kleinere Kommunen. Trotzdem gibt Hegemann seinen Zuhörern die Zahl der 60 Prozent mit auf den Weg. So viele Berlin-Besucher würden regelmäßig nur von den alternativen Kulturangeboten der Hauptstadt – Nachtclubs, Off-Theater, Szeneküchen, Streetfood-Märkte – angelockt. Konzepte, die vielleicht auch andere Städte, die für Touristen und Bewohner attraktiver werden wollen, zu Experimenten anregen. Eine Beobachtung drängt sich an diesem Konferenztag auf: Kaum noch zeitgemäß aus der Perspektive öffentlicher Kulturförderung erscheint der selbstbezogene Künstler, der Raum für sich und eine im besten Sinne zweckfreie Tätigkeit beansprucht; umso gefragter hingegen der Kreative, dessen Arbeit soziale Happenings erzeugt. Da, wo der Raum des Individuellen und Ich-Bezogenen verlassen wird, bricht die Ära kollektiver Freiräume an, in der Nachbarn und Gleichdenkende sich für eine gemeinsame Vorstellung urbaner Lebenskultur starkmachen. Vorbei ist die Zeit der „Autonomen“, von denen man früher in der Hausbesitzerszene sprach. Der Mut, verschlossene Türen aufzustoßen, wird in den Community-Projekten der Zukunft eher noch im übertragenen Sinne eine Rolle spielen. Je mehr dabei mitmachen, desto besser. Jonathan Horstmann schreibt als freier Journalist über Kunst und Kultur. In seinem Blog www.streifenpolizist.com veröffentlicht er Filmkritiken.


Lothar Quast, BĂźrgermeister der Stadt Mannheim (links), und Prof. Dr. Achim Weizel, Mitglied des Mannheimer Gemeinderats


Dr. Andrea Edel, Leiterin des Kulturamtes der Stadt Heidelberg, und Manfred Metzner, Verleger beim Verlag „Das Wunderhorn“



Christian Engelhardt, Landrat des Kreises Bergstraße

Mannheims Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (rechts) im Gespräch mit Kulturbüro-Leiter Thomas Kraus (Mitte) und Christian Hübel, Leiter des Referats Strategische Steuerung bei der Stadt Mannheim


Arbeitsgruppe Netzwerke

Arbeitsgruppe Fรถrderprogramme und Finanzierungsmodelle


Arbeitsgruppe Temporäre Kunstprojekte im öffentlichen Raum

Arbeitsgruppe Arbeitsräume

Arbeitsgruppe Internationale Kontakte und Austausch

Arbeitsgruppe Präsentationsräume


Folgende Wünsche und Forderungen wurden in den einzelnen Arbeitsgruppen dokumentiert. Sie werden in den Netzwerken der verschiedenen Kunstgattungen zur Diskussion gestellt, um weitere Ideen und Anregungen aus der Künstlerszene zu erhalten. Die gemeinsamen Ergebnisse werden dann in den Gremien „Bund der Kreise und Kommunen“ und „AG Kulturvision“ vorgestellt und diskutiert, um zukünftige Schritte zu beschließen. Die Protokolle der einzelnen Arbeitsgruppen können als PDF auf www.m-r-n.com/denkfest heruntergeladen werden.

WAS SOLL RHEIN-NECKAR KUNSTSCHAFFENDEN BIETEN? 18 ERGEBNIS SE DER ARBEIT SGRUPPEN


Vermeidung prekärer Verhältnisse in der Bildenden Kunst – mehr Atelierräume schaffen – Gemeinschaftsgalerien gründen (Appell an die Künstler) – eine gemeinsame Argumentationsgrundlage für die gesellschaftliche Relevanz von Kunst schaffen – die Kommunikation von Projekten/Ausstellungen in der überregionalen Tages- und Fachpresse verbessern – einen von Unternehmen der Metropolregion Rhein-Neckar getragenen Fonds einrichten, um zum Beispiel Arbeitsstipendien oder Residenzen zu finanzieren – einen „Notfall-Topf“ einrichten – nicht-kommerzielle Ausstellungen und Künstlergespräche vergüten – kommunale Atelierförderung in der Metropolregion Rhein-Neckar auf 20 Künstler ausdehnen – verstärkt Kunst in kleinen/mittleren Kommunen fördern, zum Beispiel auch durch Kunst am Bau – einen städtischen Beauftragten für Bildende Kunst einsetzen, der Künstler überregional vernetzt

Gestaltung von Stadträumen – eine „Kulturquote“ einführen, nicht nur finanziell, sondern vor allem planerisch und gestalterisch (Geldquote, Flächenquote, vor allem aber eine Mitsprachequote von Anfang an) – Kulturakteure/Künstler schon in der Planungsphase von Stadträumen miteinbeziehen und nicht erst im Nachgang verpflichten, um Leerstände oder Problemräume aufzuwerten – Kulturbeiräte, mehrheitlich von Kulturellen besetzt, als ein Dauerinstrumentarium in den Städten einführen, die an allen wichtigen Aufgaben beteiligt sind, kommentieren, anregen, selbst Vorschläge machen und mitgestalten – Kulturangebote erhalten beziehungsweise neue schaffen, wenn bestehende auslaufen oder eingestellt werden (angelehnt an die Grundidee des Naturschutzes, bei der ein generelles Verschlechterungsverbot für Natur und Landschaft gefordert wird. Beispiel: Wird ein Baum abgeholzt, muss dafür ein neuer gepflanzt werden.) – der Kunst Freiräume in einer Stadt zusichern, die nur für die Kunst reserviert und geschützt werden und durch sie und ihre Prozesse genutzt werden können


Förderprogramme und Finanzierungsmodelle – eine zentrale, regionale Anlaufstelle einrichten, die Kulturakteure zum Thema Kulturförderung berät, Projekte einschätzt, geeignete Finanzierungsquellen herausfiltert und Ansprechpartner aus den verschiedenen Bereichen (Kultur, Unternehmen, Öffentlichkeit etc.) vermittelt (Beispiel: Creative Europe Desk/EU-Förderung für Kultur) – Speed-Dating wie bei ehemaliger Sponsoring-Börse des Stadtmarketings Mannheim anbieten, um geeignete „Matches“ zwischen Geldgebern und Projektinitiatoren herzustellen

Zwischennutzung und Leerstände – Künstler bei Behördenangelegenheiten unterstützen – bei Bedarf juristische Beratung für Künstler anbieten – einen (regionalen) Leerstandsmelder installieren – junge „Kulturmacher“ versammeln und vernetzen – privatwirtschaftliche Initiativen berücksichtigen – Rückhalt durch die Stadtspitze sichern

Residenzen und Stipendien – kein weiteres Künstlerhaus, sondern mit einem Netzwerk aus Institutionen und Partnern eine regionale, projektbezogene, nicht-institutionalisierte Residenz etablieren (finanziert durch ein Sonderbudget) – Künstler der Metropolregion Rhein-Neckar in die Ausschreibung von Künstlerresidenzen beziehungsweise bereits in deren Konzeption miteinbeziehen, um zu erfahren, was eine gute Residenz hier auszeichnet – Künstler als Gastgeber einsetzen – generell auch über einmalige Residenzen nachdenken (Pilotprojekte) – Residenzen für Künstler, nicht für Institutionen schaffen – Verbindung mit der Kreativwirtschaft anstreben, die in Mannheim und der Region einen besonderen Stellenwert hat – Künstlern während ihrer Residenz kostenlosen Eintritt in Kulturinstitutionen gewähren

Internationale Kontakte und Austausch – Netzwerke der UNESCO-Titel nutzen und Künstlern zugänglich machen; Künstleraustausch fördern – Städtepartnerschaften zur Nachwuchsförderung nutzen und zum Austausch wiederbeleben – Residencies etablieren – eine Datenbank der Kontakte in der Region aufbauen – Diversität der Region über die Grenzen hinweg sichtbarer machen – überregionale Pressekontakte aufbauen


Netzwerke – interdisziplinäre Netzwerke knüpfen, um (zum Beispiel nach Sparten) „getrennte“ Bereiche miteinander zu verbinden – die in der Region existierenden Kultur-Netzwerke auf der Webseite der Metropolregion Rhein-Neckar beziehungsweise des Kulturbüros veröffentlichen (kurze Beschreibung der Netzwerke und ihrer Arbeit sowie Angabe der Ansprechpartner mit Kontaktdaten)

Temporäre Kunstprojekte im öffentlichen Raum – mehr Kunst im öffentlichen Raum ermöglichen (Stadtaufwertung) – private Kunstinitiativen fördern – Stadt als öffentliche Galerie nutzen, „legale Kunsträume“ schaffen – eine Tauschbörse für Leerstände einrichten

Aus- und Weiterbildungen – die Ausbildung über künstlerische Inhalte hinaus professionalisieren (Beispiel Popakademie) – spartenübergreifendes, nicht speziell auf die Kunst ausgerichtetes Fachwissen (Marketing, Finanzen, Buchhaltung, Akquise, Social Media etc.) als Grundlage für künstlerisches Unternehmertum vermitteln – Kooperationen zwischen Festivals und Ausbildungsinstitutionen anstreben (Masterclasses) – „artist in residence“ als „educating artist“ an Schulen/Unterrichtskonzepte andocken – eine Beratungsstelle schaffen, die über Fördermöglichkeiten und Ansprechpartner informiert – eine Vermittlungsbörse etablieren, bei der Unternehmen ihre Fördermöglichkeiten und Künstler ihre Projekte vorstellen können

Präsentationsräume – Locationscouts einsetzen – unkomplizierte Genehmigungsverfahren für temporäre Projekte entwickeln – Kuratoren und/oder Institutionen in freie Projekte einbinden – eine gedruckte Übersicht über bestehende Kunstorte und Aktionen in der Region zur Verfügung stellen

Arbeitsräume – einen Leerstandsmelder für die Rhein-Neckar-Region aufbauen – bezahlbare Arbeitsräume in den Städten anbieten (12€/m² für Startups akzeptabel, für Ateliers eher 5 €/m² ≥ unterschiedliche Wertschöpfung) – langfristige und gemeinschaftliche (nicht zwangsweise durchgehende) Nutzung ermöglichen

Informationsplattformen – die kritische, fundierte Kulturberichterstattung fördern – eine Informationsplattform mit umfassendem Überblick über das gesamte Kulturangebot der Region aufbauen – idealerweise eine sich ergänzende Kombination aus Print und Online anbieten


Prof. Jean-Baptiste Joly (Res Artis/Stiftung Akademie Schloss Solitude) erklärt, was Residenzen für Künstlerinnen und Künstler attraktiv macht.

Verköstigt werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Denkfests im „Hausboot Ludwigshafen“.

Arbeitsgruppe Vermeidung prekärer Verhältnisse in der Bildenden Kunst


Arbeitsgruppe Stipendien und Residenzen

Arbeitsgruppe Aus- und Weiterbildungen

Christian Henner-Fehr spricht Ăźber die Notwendigkeit sozialer Netzwerke.

Arbeitsgruppe Gestaltung von Stadträumen


Arbeitsgruppe Informationsplattformen

Foto links: Arbeitsgruppe Zwischennutzung und Leerstände Foto rechts: Thomas Kraus (rechts) bedankt sich bei Manfred Metzner, der sein Mandat als Sprecher des FestivalNetzwerks niedergelegt hat.

Rita BĂśhmer (rechts) verabschiedet Alexandra Theobalt, die die drei vergangenen Denkfeste organisiert hat.


Nach dem Denkfest lädt die „Human Library“ zum Zuhören ein: ein Projekt des Kulturbüros Ludwigshafen in Kooperation mit dem Kulturbüro der Metropolregion RheinNeckar, bei dem Menschen ihre Geschichten als „lebende Bücher“ erzählen.


Foto: Stadt Ludwigshafen, Joachim Werkmeister

Manfred Geis, jeweils Vorsitzender des Kulturausschusses im Landtag Rheinland-Pfalz, Mainz, und im Bezirkstag Pfalz, Kaiserslautern

René Zechlin, Direktor des Wilhelm-Hack-Museums, Ludwigshafen Das Denkfest hat sich als wichtiges Treffen aller Kulturschaffenden in der Metropolregion etabliert. Das gemeinsame Nachdenken über die zukünftigen Herausforderungen und Zielrichtungen ist äußerst fruchtbar und unverzichtbar! Neben einer direkten Förderung ist für Künstler auch eine gute Infrastruktur mit unterschiedlichen Präsentationsmöglichkeiten notwendig. Das muss angeregt und gefördert werden!

Respekt, was das Kulturbüro der Metropolregion mit seinen engagierten MitarbeiterInnen jedes Jahr immer wieder hinbekommt! Wohltuend, dass auch der formale Schnickschnack kaum noch eine Rolle spielt. Wichtig sind Inputs anregender, unkonventioneller Menschen, wie der von Dimitri Hegemann, Gespräche im kleineren Kreis mit Fachleuten, wie das mit Susanne Dengel. Podiumsdiskussionen mit hohem Selbstdarstellungswert nützen niemandem. Wichtig ist der Gedankenaustausch und die Vernetzung der AkteurInnen in der Region – daraus entsteht Neues.

Melanie Cocimano, Stadtverwaltung Grünstadt, Wirtschaftsförderung, Stadtmarketing, Öffentlichkeitsarbeit Das Denkfest habe ich wieder als eine tolle Gelegenheit erlebt, um sich über das „Kulturwesen“ in der Metropolregion Rhein-Neckar mit den unterschiedlichsten Akteuren auszutauschen. Vielfältige Themen wurden intensiv behandelt. Jetzt gilt es, die Ergebnisse in die Region weiterzutragen und auch die Künstlerinnen und Künstler stärker zu erreichen. Ich freue mich schon auf das nächste Denkfest.

WIE FANDEN SIE DAS DENKFEST 2017? WAS SOLL RHEIN-NECKAR KUNSTSCHAFFENDEN BIETEN? 26 S TATEMENT S


Foto: Steffen Baumann

Frank Zumbruch, Leiter Creative Commission Mannheim / Vorsitzender Kreativregion e. V.

Yasmin Meinicke, Geschäftsführerin Biennale für aktuelle Fotografie e. V., Mannheim Spartenübergreifend ist ein Interesse wahrzunehmen an der Umsetzung von temporären Kunstprojekten im öffentlichen Raum – und damit eine Öffnung der Kunst in einen kunstfernen Kontext. Bürokratische Hürden ließen sich am schnellsten überwinden durch gezielten Austausch mit erfahrenen Partnern bei Netzwerktreffen und idealerweise durch die Einrichtung einer „Kümmerei“ (Vorbild Gießen), einer sozialen Plastik in Form einer Stelle, die Zuständigkeitsbereiche kennt, Genehmigungsverfahren vorantreibt und sich selbst als Ermöglicher begreift.

Foto: Andrea Kahne-Valencia

Mehr Freiraum für Kreativität! Gerade zur temporären kulturellen Nutzung von Leerständen bedarf es einer Allianz zwischen Immobilieneigentümern und Genehmigungsbehörden, um sich auf eine Ermöglichungskultur zu verständigen, in deren Rahmen alle Beteiligten profitieren könnten. Eine regionale Plattform zur Veröffentlichung von Raumbedarf und geeigneten Angeboten wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Eleonore Hefner, Geschäftsführerin Kultur Rhein Neckar e. V., Ludwigshafen Kultur-Räume verändern sich, und Kultur verändert den Stadtraum. Nutzung von leerstehenden Ladenräumen für Kultur kann eine Chance für die Entwicklung und Neu-Definition von Stadt sein. Dies möglich zu machen, ist eine Herausforderung, die es anzunehmen gilt.

Felix Grädler, Geschäftsführer der halle02, Heidelberg Die Rhein-Neckar-Region sollte ihren Kunstschaffenden Raum zur Entfaltung und gute Rahmenbedingungen für ihre künstlerische Entwicklung geben. Die bürokratischen und wirtschaftlichen Hürden sollten dabei möglichst niedrig sein, und es sollte viele Experimentierflächen geben, die man unkompliziert und niederschwellig nutzen kann. Ideal wäre, wenn möglichst viele Menschen Lust bekämen, „einfach mal zu machen“, und dies auch umsetzen könnten.


EU-Förderung verstehen und nutzen

Crowdfunding REFERENT: CHRIS TIAN HENNER-FEHR, KULT URMANAGEMENT BLOG

REFERENTIN: RENATA K AVEL J, EMCR A GMBH

„Gutes besser tun“ – Wirkungsorientierte Projektarbeit REFERENTIN: SANDR A KHUSR AWI, PHINEO G AG

WORUM GING’S?

WORUM GING’S?

WORUM GING’S?

Der Workshop vermittelte einen Überblick über die Struktur der EU-Förderlandschaft und stellte die EU-Fördermöglichkeiten für Akteure aus den Bereichen Kultur, Medien und Bildung anschaulich dar. Die Teilnehmenden erhielten praxisrelevantes Wissen zu verschiedenen EU-Förderprogrammen, die auf europäischer beziehungsweise auf regionaler Ebene in Deutschland umgesetzt werden. Besonderer Wert wurde auf Beispiele und Tipps aus der Praxis gelegt.

Die Finanzierung der eigenen Arbeit wird für Kultureinrichtungen schwieriger. Wohl auch deshalb hat das Crowdfunding einen Boom erlebt. In diesem Workshop lernten die Teilnehmenden, was Crowdfunding ist, welche Arten es gibt und was zu tun ist, damit eine Kampagne ein Erfolg wird. Sie erfuhren auch, wie sie Crowdfunding in ihre Fundraising-/Sponsoring-Aktivitäten integrieren und die Kampagne für ihr Marketing nutzen können.

Wirkung ist plan- und steuerbar. Wer Wirkung mitdenkt und in den Projektalltag integriert, steigert die Arbeitsqualität und verschafft der Organisation Vorteile. Basierend auf dem PHINEO-Kursbuch „Wirkung“ war der Workshop ein Crashkurs für alle, die nicht nur Gutes tun, sondern auch Gutes bewirken wollen. Die Teilnehmenden entschlüsselten den Begriff „Wirkung“ und sprachen über die Benefits von wirkungsorientierter Projektarbeit.

FR AU K AVEL J, WELCHEN FEHLER SOLLTE MAN BEI EU-FÖRDER ANTR ÄGEN VERMEIDEN?

Am besten machen Sie gleich die wichtigsten Dinge richtig: Sie brauchen eine sehr gute Projektidee, die den Kern der Ausschreibung trifft. Zeigen Sie, dass Ihre Ergebnisse über die Projektlaufzeit hinaus nachhaltig positive Auswirkungen haben. Gute Projektpartner sind das A und O für ein erfolgreiches Projektkonsortium. Last but not least: Nutzen Sie international anerkannte Projektmanagement-Methoden wie PRINCE2 oder PM², den neuen von der EU-Kommission veröffentlichten Projektmanagement-Ansatz.

HERR HENNER-FEHR, KOMMT MAN DURCH CROWDFUNDING AN DAS GROS SE GELD?

FR AU KHUSR AWI, WIE K ANN MAN WIRKUNG EIGENTLICH MES SEN?

Nein, die zwei Millionen Euro, die man beispielsweise im Rahmen des EU-Förderprogramms „Creative Europe“ erhalten kann, sind bei einer Crowdfunding-Kampagne nicht zu erwarten. Aber ein fünfstelliger Betrag ist durchaus möglich. Dafür liegt die Erfolgsquote abhängig von der Plattform bei über 50 Prozent, ein Wert, von dem man bei einem EU-Förderantrag nur träumen kann. Vermutlich steigen die Summen, die sich über Crowdfunding einsammeln lassen, in den nächsten Jahren. Dafür sinken aber die Erfolgsaussichten.

Zivilgesellschaftliches Engagement lässt sich selten in eindeutigen Kennzahlen ausdrücken. Dennoch kann man Wirkung analysieren. Zunächst ist es wichtig, klare Wirkungsziele zu definieren. Nur wer weiß, was er erreichen will, kann seine Ziele auch messen. Um Ziele mess- beziehungsweise analysierbar zu machen, werden ihnen Indikatoren sowie Erhebungsmethoden zugeordnet. Die dabei erhobenen Daten tragen nicht nur zur Legitimierung eines Projekts bei, sondern auch zum eigenen Lernen und zur Qualitätssicherung.

WO GIB T ’S WEITERE INFOS?

WO GIB T ’S WEITERE INFOS?

WO GIB T ’S WEITERE INFOS?

Mit dem emcra-EU-Fördertipp (www.emcra.eu/eu-foerdertipp/) bleiben Sie auf dem Laufenden. Viele Tipps zur transnationalen Arbeit in Europa gibt es auf www.europeanisation.eu.

www.crowdfunding.de

Weitere Informationen zum Thema gibt es auf www.phineo.org und auf unserer neuen interaktiven Webseite www.wirkung-lernen.de.

28 WORKSHOP S AM 2. JUNI 2017


Susanne Dengel und Cartoonist Hannes Mercker, der als Gesprächspartner zum Workshop eingeladen war

Strategisches Fundraising

Akquise für KünstlerInnen und Kreative

REFERENTIN: JENNIFER ODYJA , BAUNATALER DIAKONIE K AS SEL E . V.

REFERENTIN: SUSANNE DENGEL , BER ATERIN FÜR DIE KULT UR- UND KRE ATIV WIR T SCHAF T

WORUM GING’S?

WORUM GING’S?

Die strategische Fundraising-Planung gibt Hinweise für die Entwicklung des Fundraisings und schafft eine Basis für künftige Fundraising-Aktivitäten. Sie legt Ziele für die nächsten Jahre im Fundraising fest. Um diese zu erreichen, werden verschiedene Fundraising-Maßnahmen geplant und verfolgt. Der Workshop zeigte, woraus eine strategische Fundraising-Planung besteht und wie sie erarbeitet werden kann.

Vielen Künstlern und Kreativen fällt es schwer, für sich zu werben und neue Kunden zu gewinnen. Dabei gehören Akquise und die Durchsetzung eines angemessenen Preises zum erfolgreichen Wirtschaften dazu und können sogar Spaß machen. Es wurden Akquisetechniken vorgestellt, und die teilnehmenden Künstler und Kreativen diskutierten darüber, wie sie ihre Leistung erfolgreich vermarkten.

FR AU ODYJA , WAS MACHT ERFOLGREICHES FUNDR AISING AUS ?

FR AU DENGEL , WIE WICHTIG IS T SELB S TMARKE TING FÜR KÜNS TLERINNEN UND KRE ATIVE?

Die Basis ist eine fundierte Planung mit festgelegten realistischen Zielen. Im Idealfall liegen sogar Vergleichszahlen und -daten vor, um die Fundraising-Kampagne effektiv und effizient auswerten zu können. Aber erfolgreiches Fundraising ist auch Netzwerken mit (potenziellen) Förderern oder die Gewinnung neuer Unterstützer. Der Aufbau von Beziehungen und die Pflege bestehender Spender sind genauso wichtig wie die Zahlen. Denn nur zufriedene Spender bleiben erhalten und unterstützen weiter.

Wollen Künstler und Kreative von ihrer kreativen Leistung leben, müssen sie auch wie Unternehmer handeln. Ein erfolgreiches, zielgruppenorientiertes Selbstmarketing gehört dementsprechend dazu. Was darunter zu verstehen ist, kann individuell ganz unterschiedlich sein. Ein allgemeingültiges Erfolgsrezept gibt es nicht. Jeder Künstler und Kreative sollte sich so vermarkten, wie es zu ihm passt.

WO GIB T ’S WEITERE INFOS? WO GIB T ’S WEITERE INFOS?

www.fundraising-evangelisch.de www.fundraisingverband.de Praxishilfe Fundraising, verfügbar unter: www.lap-aachen.de/cms/images/ Dokumente/111108_praxishilfe_ fundraising_09.11.pdf

In der Metropolregion gibt es eine Reihe von öffentlichen Unterstützungsangeboten für die Kultur- und Kreativwirtschaft, sei es von den Kommunen, den Ländern oder den Industrie- und Handelskammern. Daneben ist auch die Teilnahme an regionalen Netzwerktreffen zu empfehlen.


Die Regionalgruppe Rhein-Neckar der Kulturpolitischen Gesellschaft

Das Netzwerk der Museen und Schlösser

Mit Giorgina Kazungu-Haß (auf dem Foto rechts) war die neue kulturpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz zu Gast bei der Regionalgruppe Rhein-Neckar der Kulturpolitischen Gesellschaft. Das von Susanne Dengel, David Maier und Dr. Ingo Schöningh (links im Bild), den Sprechern der Regionalgruppe, geleitete Treffen widmete sich dem Thema „Kulturelle Teilhabe“ und insbesondere der Situation in Rheinland-Pfalz. Die Kulturausgaben des Landes liegen unter dem Bundesdurchschnitt. Kazungu-Haß merkte an, dass der Handlungsspielraum aufgrund der Haushaltslage zwar begrenzt sei, es aber auch viele Ausgaben für Kultur im Land gebe, die nicht im Haushalt abgebildet seien. Kulturelle Teilhabe sei sehr bedeutend, da Kultur öffentlich vor allem deshalb gefördert werde, damit möglichst viele Menschen an ihr partizipieren können. Als Best-Practice-Beispiele aus Rheinland-Pfalz nannte die Abgeordnete unter anderem das Format der Bläserklassen, bei dem alle Schüler einer Klasse ein Instrument erlernen und gemeinsam musizieren.

Beim Treffen der Museen und Schlösser der Rhein-Neckar-Region tauschten sich die Mitglieder unter anderem über mögliche Kooperationen innerhalb des Netzwerks in den nächsten beiden Jahren aus: Denkbar erscheint eine Zusammenarbeit im Rahmen unterschiedlicher Ausstellungsprojekte zu Themen wie beispielsweise „Essen und Trinken“, „Licht“, „Outsider Art“ oder „Frankreich“. Geplant ist außerdem eine gemeinsame Präsenz auf der CMT Stuttgart, der nach eigenen Angaben weltweit größten Publikumsmesse für Tourismus und Freizeit. Unter dem Label „Kulturregion Rhein-Neckar“ könnten sich auch die Festivals an dem Messeauftritt beteiligen. Ausdrücklich begrüßt wurde der Vorschlag, die Zusammenarbeit zwischen dem Netzwerk der Museen und Schlösser und dem der Festivals zu vertiefen. Beide Verbünde geben bereits ein gemeinsames und deutschlandweit vertriebenes Magazin heraus, das ihre hochklassigen Programme bewirbt. Darüber hinausgehende Kooperationen sind etwa in den Bereichen Veranstaltungen, gegenseitige Bewerbung und Lobbyarbeit für Kultur vorstellbar.

www.kupoge.de/regionalgruppen/rhein-neckar.html www.m-r-n.com/museen-und-schloesser

30 NE T Z WERK TREFFEN AM 2. JUNI 2017


Das Netzwerk der Festivals

Der „Bund der Kreise und Kommunen“

Das Netzwerk der Festivals der Rhein-Neckar-Region hat eine neue Spitze: Rainer Kern, Leiter von Enjoy Jazz (links im Bild), und Sascha Kaiser, Geschäftsführer der Nibelungenfestspiele gGmbH und Kultur und Veranstaltungs GmbH Worms, wurden einstimmig zum ersten beziehungsweise zweiten Sprecher gewählt. Eine Neuwahl war nötig geworden, nachdem Manfred Metzner die Leitung der Heidelberger Literaturtage und damit auch sein Mandat als erster Sprecher abgegeben hatte. Neben Manfred Metzner wurde auch Gabriele Oßwald aus dem Netzwerk verabschiedet: Sie hatte bereits zum Ende des vergangenen Jahres die Leitung des Mannheimer Künstlerhauses zeitraumexit und damit verbunden die Leitung des Festivals „Wunder der Prärie“ an Jan-Philipp Possmann übergeben. Das Netzwerk hat aber auch Zuwachs bekommen: Neues Mitglied ist seit Jahresbeginn der Kultursommer Ludwigshafen. Das Festival-Netzwerk möchte seine Arbeit für die Öffentlichkeit künftig sichtbarer machen. Außerdem sollen Kontakte zu international agierenden Netzwerken wie zum Beispiel Culture Action Europe geknüpft werden.

Mehrmals im Jahr lädt das Kulturbüro der Metropolregion Rhein-Neckar rund 30 Kulturverantwortliche zum „Bund der Kreise und Kommunen“ ein. Das Netzwerk will gemeinsame Projekte im Sinne der Kulturvision Rhein-Neckar entwickeln und verwirklichen. In der jüngsten Sitzung lag der Schwerpunkt auf einem für das Jahr 2018 geplanten Großprojekt des Kulturbüros mit dem Arbeitstitel „Hambach“. Künstlerinnen und Künstler aus verschiedenen Ländern werden eingeladen, um künstlerische/ politische Statements und Fragen zu Themen wie Freiheit, Demokratie und Europa zu formulieren und mit jungen Menschen aus der Region und Europa in den Dialog zu treten. „Hambach“ ist ein Projekt von Matchbox, dem wandernden Kunst- und Kulturprojekt in der Region Rhein-Neckar. Höhepunkt wird ein „Hambacher Fest“ vom 14. bis 16. September 2018 auf dem Hambacher Schloss sein. Die Kommunen und Kreise der Region sind aufgerufen, sich als Gastgeber zu beteiligen, indem sie zum Beispiel junge engagierte Menschen vor Ort und aus ihren Partnerstädten einladen. Weitere Themen waren unter anderem die von sieben Kommunen herausgegebene Broschüre „Gartenpforte in die Metropolregion“ und die „Human Library“, die während des Denkfests Geschichten von in Ludwigshafen lebenden Menschen an Alltagsorten der Stadt präsentierte.

www.m-r-n.com/festivals

www.m-r-n.com/kulturvision


Das Denkfest ist eine Veranstaltung des Kulturbüros und der Festivals, Museen und Schlösser der Rhein-Neckar-Region.

Organisation (Kulturbüro der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH)

In Zusammenarbeit mit

Unterstützt von

Thomas Busse, Ursula Holdermann und Sonay Ilgar-Schmidt

Natascha Bader, Yannig Baur, Julia Dewitz, Annika Essert, Judith Hillen, Christian Kreklau, Joris Mattern, Ansgar Rubin, Daniel Sackmann, León Stawski und Maximilian Weiß

Patrick Brabanski Enjoy Jazz GmbH, Heidelberg

Fritz Fronius W.W.StProject, Waghäusel

Jutta Braun Künstlerin, Mannheim

Gunnar Fuchs Kulturbüro der Stadt Weinheim

Valentin Bruder Stadt Mannheim

Markus Artur Fuchs Kontext Kommunikation/Form AD, Heidelberg

Axel Brunner Flüchtlingshilfe Leimen

Freya Gahler-Lang Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Barbara Auer Kunstverein Ludwigshafen

Fabian Burstein Kulturzentrum dasHaus/ Kulturbüro Ludwigshafen

Cathérine Gallier Journalistin, Mannheim

Marie Back Heidelberg

Cemile Camci MANUFAKTUR CDESIGN, Heidelberg

Ricarda Baldauf Dortmund

Eric Carstensen OFF//FOTO e. V., Mannheim

Manfred Geis Landtag Rheinland-Pfalz, Mainz, und Bezirkstag Pfalz, Kaiserslautern

Sylvia Ballhause OFF//FOTO e. V., Mannheim

Markus Clauer Die Rheinpfalz, Ludwigshafen

Tilman Gersch Theater im Pfalzbau, Ludwigshafen

Dirk Jan Battau marketsign e. K., Ludwigshafen

Dr. Julia Cloot Kulturfonds Frankfurt RheinMain GmbH, Bad Homburg v. d. Höhe

Willi Gilli BBK + DKB, Mannheim

Anna Arenz, Ilka Fischer, Lea Gerschwitz, Anna Hahn, Simon Herold, Thomas Kraus, Robert Montoto und Alexandra Theobalt (Projektleitung Denkfest)

Michael Ackermann Film Commission Nordbaden/ Kreativregion e. V., Mannheim Kanber Altintas Mannheim Türk Film Festival gUG Helena Andrada Theater und Orchester Heidelberg Charlotte Arens zeitraumexit e. V., Mannheim

Julia Bauer Fotografin, Hamburg

Melanie Cocimano Stadtverwaltung Grünstadt

Fritz Gärtner selbstständig, Mannheim

Dr. Barbara Gilsdorf Stadt Schwetzingen

Thomas Baumann Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Heidelberg

Max Damm filmkombüse, Heidelberg

Pascal Baumgärtner Metropolink/WilliBender Projekte, Heidelberg

Dawn Della Volpe Angel IQ, Hirschberg an der Bergstraße

Judith Becker Er-Lebensräume, Neustadt

Susanne Dengel Beraterin Kreativwirtschaft, Mannheim

Tim Becker Mainz

Wolfgang Dinges Kulturabteilung der Stadt Neustadt

Janet Grau die KulturMacher/ Theaterwerkstatt Heidelberg e. V.

Olaf E. Bergmann Projekt [51] e. V., Neustadt

Ulrike Dittrich Stiftung Hambacher Schloss

Daniel Grieshaber Raum Mannheim

Wolfgang Biller Kulturamt der Stadt Mannheim

Dr. Andrea Edel Kulturamt der Stadt Heidelberg

Jens Grundschock Atelier GrundschocksArt, Waghäusel

Dr. Hans-Jürgen Blinn Ministerium für Kultur, Rheinland-Pfalz, Mainz

Christian Engelhardt Landrat des Kreises Bergstraße, Heppenheim

Ute Eva Haas Controlling-Service, Mannheim

Arvid Boecker Heidelberg

Anna Engmann Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Hubert Habig [Ak.T]-Theater Heidelberg

Gabriele Böhler Kulturzentrum dasHaus/ Kulturbüro Ludwigshafen

Renan Sarah Frankenreiter Tübingen

Markus Halbe k/c/e Marketing³ GmbH, Frankfurt

Beate Frauenschuh Stadtbücherei Heidelberg

Shiva Hamid breidenbach studios, Heidelberg

Rita Böhmer Moderatorin, Mannheim

Michael Fries Metropolregion Rhein-Neckar GmbH, Mannheim

32 DENKERINNEN UND DENKER 2017

Ruediger Glatz Künstler/Fotograf, Hamburg Bella Godkin freischaffende Künstlerin, Mannheim Felix Grädler halle02, Heidelberg


Rhea Häni Raum Mannheim

Stefan Kaumkötter Kulturamt der Stadt Heidelberg

Mathias Mahnke Dietzoldwerke, Leipzig

Oskar Harbich Stuhlmuseum Heidelberg

Renata Kavelj emcra GmbH - Europa aktiv nutzen, Berlin

David Maier Jazz and Joy, Worms

Donjeta Hasani Heidelberg

Anita Kerzmann Nationaltheater Mannheim

Felicia Maier Kulturamt/Kulturbüro Karlsruhe

Klaus Hecke netcondition.de, Mannheim

Sandra Khusrawi PHINEO gAG, Berlin

Cora Malik Enjoy Jazz GmbH, Heidelberg

Paul Heesch Startup Mannheim

Theresia Kiefer Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen

Julienne Matthias-Gund Touristikgemeinschaft Kurpfalz e. V., Plankstadt

Eleonore Hefner Kultur Rhein Neckar e. V., Ludwigshafen

Julia Kieser Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis, Heidelberg

Stefan Matussek Grafik Illustration Art, Weinheim

Dimitri Hegemann Happy Locals/Tresor Berlin und Kraftwerk Berlin

Stephan Kirchner COSA LOGO, Mannheim

Michel Maugé Kultur@Home Metropol Rhein-Neckar e. V., Ludwigshafen

Dr. Regina Heilmann Stadtmuseum Ludwigshafen

Torsten Kleb LUKOM Ludwigshafener Kongress- und Marketing-Gesellschaft mbH

Jessica Maurer Heidelberg

Jesper Klein ruprecht – Heidelberger Studentenzeitung

Yasmin Meinicke Biennale für aktuelle Fotografie e. V., Mannheim

Stefanie Kleinsorge Port25 – Raum für Gegenwartskunst, Mannheim

Jaqueline Mellein Kulturzentrum dasHaus/ Kulturbüro Ludwigshafen

Marcus Heine Fotograf, Dortmund Christian Henner-Fehr CHF Kulturmanagement, Wien Elsa Hennseler-Etté Kulturtage Vogelstang/ Rhein-Neckar-Industriekultur, Mannheim

Ingeborg L. Klinger Gedok Mannheim-Ludwigshafen

Michael Herberger Naidoo-Herberger Produktion, Mannheim

Julia Knopp filmkombüse, Heidelberg

Ingrid Hess Künstlerin, Ludwigshafen

Phillip Koban Kulturamt der Stadt Heidelberg

Lynn Messerschmidt Internationales Filmfestival MannheimHeidelberg/Festival des deutschen Films Ludwigshafen am Rhein

Karin Heyl BASF SE, Ludwigshafen

Ulrich Koglin freischaffender Bildhauer, Kleinkarlbach

Andreas Metz Bürgermeister der Gemeinde Ilvesheim

Julia Madeleine Hildenbrand Enjoy Jazz GmbH, Heidelberg

Silvia Köhler Künstlernachlässe Mannheim

Manfred Metzner Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg

Barbara Hindahl Künstlerin, Mannheim

Bianca Kollinger Biennale für aktuelle Fotografie e. V., Mannheim

Doris Meyer zu Schwabedissen Stadt Neckargemünd

Birgit Hock Stiftung MedienKompetenz Forum Südwest, Ludwigshafen

Thomas Kölsch Chawwerusch Theater, Herxheim

Günter Minas Theatergruppe Heyme, Mainz

Karin Kopka-Musch KON•NEX ART e. V., Heidelberg

Johannes Mnich Heidelberger Frühling

Sandra Köstler Fotografin, Mannheim

Dr. Helmut Müller Kulturfonds Frankfurt RheinMain GmbH, Bad Homburg v. d. Höhe

Gisela Hoffmann Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis, Heidelberg Stefan Hohenadl Kulturamt der Stadt Heidelberg Max Höllen iuh – Institut für unternehmerisches Handeln, Mainz Daria Holme EinTanzHaus, Mannheim Petra Hörmann IHK Rhein-Neckar, Mannheim

Wulf Kramer Yalla Yalla! - studio for change, Mannheim Lena Kräuter Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen Katharina Kromminga Kostümbildnerin, Mannheim Theresa Krukies Kunsthalle Mannheim

Michael Hörrmann Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Bruchsal

Katrin Kruppa Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Jonathan Horstmann Rodgau

Dr. Klaus Kufeld Ernst-Bloch-Zentrum, Ludwigshafen

Christian Hübel Stadt Mannheim

Joachim Kurz kino-zeit.de, Mannheim

Janika Huber Biennale für aktuelle Fotografie e. V., Mannheim

Dr. Peter Kurz Oberbürgermeister der Stadt Mannheim

Anke Illg Stadt Speyer

Camilla Kussl Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen

Manuel Imfeld Ilvesheim

Erdmann Lange Atlantis Filmtheaterbetriebsgesellschaft, Mannheim

Zero Reiko Ishihara Neckarsteinach Karla Jauregui Montpellier-Haus, Heidelberg Karsten John Klangstiftung, Mannheim

Julia Laukert Reiss-Engelhorn-Museen/rem gGmbH, Mannheim Alexandra Lehmler Saxophonistin, Mannheim

Prof. Jean-Baptiste Joly Akademie Schloss Solitude, Stuttgart

Markus Lemberger LUKOM Ludwigshafener Kongress- und Marketing-Gesellschaft mbH

Florian Kaiser Theater Carnivore, Heidelberg

Nathalie Leuerer Vanity‘s Fairy Kulturmarketing, Mannheim

Sascha Kaiser Nibelungenfestspiele gGmbH/ Kultur und Veranstaltungs GmbH Worms

Nicole Libnau Kulturamt der Stadt Mannheim

Alexandra Karabelas-Haacke Tanz_Denken. Choreographie und Kommunikation, Heidelberg

Markus Lindörfer LIMA VENTURES GMBH, Heidelberg Prof. Dr. Hartwig Lüdtke TECHNOSEUM, Mannheim

Hannes Mercker Cartoonist und Illustrator, Mannheim

Jana Müller Brensbach Sophie Müller Journalistin, Heidelberg Margret Mundorf Schreibnetze Worms Erika Mursa Französische Woche Heidelberg Annemarie Nachtigall colourcream, Ludwigshafen Julia Nebenführ Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen Inka Neubert Theaterhaus G7, Mannheim Katrin Noller Planetarium Mannheim Dirk Nowakowski Erzähler, Edingen Jennifer Odyja Baunataler Diakonie Kassel e. V. Volker Oesterreich Rhein-Neckar-Zeitung, Heidelberg Stefan Orschiedt Metropolregion Rhein-Neckar GmbH, Mannheim Eduard Palatin Steinbildhauer, Ludwigshafen Corinna Pape SPONSORT, Heidelberg Claudia Paul TECHNOSEUM, Mannheim Ulrike Pecht Kurpfälzisches Museum, Heidelberg Alia Peix Johannes Gutenberg-Universität Mainz


Katharina Pelka Stadt Heidelberg Walter Pfannhuber Mutterstadt Julia Philippi Galerie Julia Philippi, Dossenheim Gabriele Pieke Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim Jonas Pirzer BASF SE, Ludwigshafen Heiko Plank Künstler/Instrumentenbauer, Heidelberg Jan-Philipp Possmann zeitraumexit e. V., Mannheim Magdalena Prukop KlangForum Heidelberg e. V. Elena Pullig Johannes Gutenberg-Universität Mainz Lothar Quast Bürgermeister der Stadt Mannheim Matthias Rauch Kulturelle Stadtentwicklung Mannheim Cornelia Rebholz Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim Regina Reich Stadt Mannheim/Dezernat IV Luisa Reisinger freie Journalistin, Worms

Judith Schor Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Ludwigshafen Erika Schroth Kulturgut-im-Quadrat gUG, Heidelberg Dr. Alexander Schubert Historisches Museum der Pfalz, Speyer Prof. Axel Schwarz Popakademie/freier Künstler, Mannheim Roswita Schwarz Theater im Pfalzbau, Ludwigshafen Laura Sebele Kulturamt der Stadt Schwetzingen Dr. Erhard Seiler Ludwigshafen Edelgard Seitz Verband Region Rhein-Neckar, Mannheim

Pia Snella Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Barbara Wendland Theater im Pfalzbau/Festspiele Ludwigshafen

Verena Sobowiec Theater und Orchester Heidelberg

Holger Wieneke Kulturzentrum dasHaus/ Kulturbüro Ludwigshafen

Markus Sommer Universität Mannheim

Romana Rokvic roromo, Künstlerin, Mannheim

Michael Spring Baier Digitaldruck Mannheim

Dr. Stefanie Roth TECHNOSEUM, Mannheim

Ulrike Standke Museen Worms

Berthold Röth Worms Verlag

Dr. Martin Stather Mannheimer Kunstverein

Daniel Rübel Ernst-Bloch-Zentrum, Ludwigshafen

Sarah Strub Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen

Irina Ruppert Fotografin, Hamburg

Silvia Szabó Mannheimer Abendakademie/Künstlerin/ Kunstflug Festival

Hannah Schlosser Biennale für aktuelle Fotografie e. V., Mannheim Reiner Schmidt Sammlung Prinzhorn, Heidelberg Boris Schmitt Verband Region Rhein-Neckar, Mannheim Marion Schneid Mitglied des Landtags Rheinland-Pfalz, Mainz Prof. Dr. Sarah Scholl-Schneider Johannes Gutenberg-Universität Mainz Dr. Ingo Schöningh Goethe-Institut, Mannheim Gudrun Schön-Stoll Malerin und Poetin, Ladenburg Fides Schopp Medienkünstlerin/Autorin für Hörstücke, Mannheim

Angelika Weimer Location Film/TV/Fotografie, Mannheim

Dirk Welz KON•NEX ART e. V., Heidelberg

Markus Sprengler Kulturbüro Ludwigshafen

Laura Schleicher Ernst-Bloch-Zentrum, Ludwigshafen

Markus Weckesser OFF//FOTO e. V., Mannheim

Dietrich Skibelski Stadt Ludwigshafen, Bereich Kultur

Stefanie Rihm Kulturamt der Stadt Mannheim

Bernd Schlag Gesellschaft für Umweltbildung Baden-Württemberg e. V., Weinheim

Matthias Weber Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Koblenz

Prof. Dr. Achim Weizel Gemeinderat der Stadt Mannheim

Lydia Sprengard Adiva, Mannheim

Sabine Schirra Kulturamt der Stadt Mannheim

Franziska Weber Landestheater Tübingen

Petra Simon Nibelungenfestspiele gGmbH der Stadt Worms

Dr. Friederike Reutter BASF SE, Ludwigshafen

Yonas Scherrer Projekt [51] e. V., Neustadt

Bernd Walter Kulturzentrum dasHaus/ Kulturbüro Ludwigshafen

Heiner Weiner Freie Akademie der Künste Rhein-Neckar/ Künstlerbund Rhein-Neckar, Weinheim

Michel Spicka Förderverein KunstPlatz Hemsbach e. V.

Wolfgang Sautermeister Künstler/Kurator, Mannheim

Josef Walch KünstlerInitiative Schwetzingen/ Künstlerbund Rhein-Neckar

Kathrin Sieberling Kunsthalle Mannheim

Marc Reisner The Look of Sound/ Designzentrum Rhein Neckar, Mannheim

Atli Saevarsson Enjoy Jazz GmbH, Heidelberg

Lutz Wagner Moto Waganari, Mannheim

Iris Tenge Choreografin, Wiesental Kerstin Theilmann Universität Koblenz-Landau Jens Thiele Kultur und Veranstaltungs GmbH Worms Katharina Tremmel Alte Feuerwache Mannheim Monica Umstadt Stadt Frankenthal Anca Unertl Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim Gerald Unger Die Linke., Mannheim Christiane van Bemmelen Stadtverwaltung Schifferstadt Wolfgang van Vliet Bürgermeister der Stadt Ludwigshafen Marco Vedana OFF//FOTO e. V., Mannheim Beate Vogel Kulturzentrum Gleis4, Frankenthal Bernhard Wadle-Rohe Buero faR/ Verein internationale Volkskultur e. V., Ludwigshafen Alexandra Wagner Raum Mannheim

Julia Wittwer KulturRegion FrankfurtRheinMain gGmbH Ingrid Wolschin Karlstorbahnhof, Heidelberg Constanze Woltag Designerin, Mannheim Felix Worpenberg Theaterwerkstatt Schwäbische Alb, Tübingen René Zechlin Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen Rainer Zerback Fotokünstler, Mannheim Frank Zumbruch Startup Mannheim


Herausgeber: Kulturbüro der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH N 7, 5-6 68161 Mannheim Postfach 10 21 51 68021 Mannheim Tel.: 0621/12987-55 Fax: 0621/12987-52 kulturbuero@m-r-n.com Twitter: @KulturRN www.m-r-n.com/denkfest Herstellung und Layout: atelier kontrast Wolfram Glatz, Lukas Breitkreutz, Max Hathaway Projektleitung: Wolfram Glatz (atelier kontrast), Anna Hahn (Kulturbüro) Porträtwerkstatt: Julia Bauer, Markus Clauer (Mentor Porträtwerkstatt Text), Ruediger Glatz (Mentor Porträtwerkstatt Fotografie), Anna Hahn (Gesamtleitung Porträtwerkstatt), Donjeta Hasani, Marcus Heine, Sophie Müller und Luisa Reisinger Fotos: Julia Bauer: S. 6 (Mitte), 8 (oben links), 9 (unten), 12 (unten), 13, 14 (oben), 15 (Mitte), 16 (Mitte), 17 (oben links), 22 (unten), 23 (oben und unten), 25 (oben) Gunnar Fuchs: S. 6 (unten), 15 (unten), 24 (unten), 28 (links und rechts), 29 (rechts), 31 (rechts) Marcus Heine: S. 5, 6 (oben), 7, 8 (oben rechts und unten), 9 (oben und Mitte), 12 (oben und Mitte), 14 (unten), 15 (oben), 16 (oben und unten), 17 (oben rechts und unten), 22 (oben und Mitte), 23 (Mitte), 24 (oben und Mitte), 25 (Mitte und unten), 28 (Mitte), 29 (links), 30, 31 (links) Druck: ABT Print und Medien GmbH

In Kooperation mit:

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35 IMPRES SUM



PORTRÄTWERKSTATT


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3

PORTRÄTWERKSTATT 2017 Seit 2013 lädt das Kulturbüro der Metropolregion Rhein-Neckar junge Journalistinnen und Journalisten ein, über das Denkfest zu berichten. Die entstehenden Artikel werden gemeinsam und unterstützt von erfahrenen Mentorinnen und Mentoren redigiert und in einer Print-Publikation veröffentlicht. In diesem Jahr ging das Förderprogramm über das Denkfest hinaus und griff dessen Thema – Künstlerinnen und Künstler in der Rhein-Neckar-Region – auf. Jeweils zu zweit haben drei Journalistinnen, eine Fotografin und ein Fotograf hier arbeitende Kunstschaffende in den Tagen nach dem Denkfest besucht und porträtiert: Kreative unterschiedlichen Alters aus unterschiedlichen Sparten und unterschiedlichen Orten. Vorbereitet und begleitet wurden die Teilnehmerinnen und der Teilnehmer der Porträtwerkstatt – mehr zu ihnen auf S. 28/29 – von Markus Clauer, Kulturreporter der Tageszeitung Die Rheinpfalz, und von dem Künstler und Fotografen Ruediger Glatz, der in seiner Arbeit Aspekte der klassischen dokumentarischen Fotografie, Video und Mischtechniken verbindet.

Wen stellen die sechs folgenden Porträts vor?

Pascal Baumgärtner,

S. 4

der zum dritten Mal das Urban-Art-Festival Metropolink in Heidelberg auf die Beine gestellt hat

Daria Holme und Éric Trottier,

S. 8

die Ende September 2017 das EinTanzHaus in der lange Zeit leer stehenden Trinitatiskirche in Mannheim eröffnen werden

Hans-Michael Kissel,

S. 12

der in seinem Atelier in Ladenburg aus schwerem Metall grazil anmutende Skulpturen schafft

Constanze und Norbert Illig,

S. 16

die in Worms und Umgebung mit ihren Aktionen im öffentlichen Raum agieren

Lennart Scheuren,

S. 20

der mit viel Eigeninitiative Konzerte in Lindenfels organisiert

José F. A. Oliver, der zwar im Schwarzwald zu Hause ist, aber in Ludwigshafen persönliche Lebensgeschichten für eine „Human Library“ gesammelt hat

S. 24


TE X T: LUISA REISINGER, FOTOS: JULIA BAUER

4

DER ALLES-ODERNICHTS-TYP

PASCAL BAUMGÄRTNER LEITET DAS URBAN-ART-FESTIVAL METROPOLINK IN HEIDELBERG. Er ist kein Hippie, er ist kein Rocker, Punker auch nicht, Dandy vielleicht. Nein, das auch nicht. Er könnte ein Hipster sein. Betont lässig kam er gerade auf einer alten BMW Enduro angeschossen, trägt offenes Hemd, zerrissene Jeansshorts, gelbe Turnschuhe. Hat leicht müde Augen. Er grinst mich frech an. Anfänglich sind neu aufkommende Lebensstile provokant und aufmüpfig, später prägen sie eine ganze Generation. Sie kommen als Trend und gehen als Mainstream. Pascal Baumgärtner, der Urban Art, also Kunst im öffentlichen Raum, kuratiert, macht bei so was aber nicht mit. Das stünde ihm auch nicht. Das wäre aufgewärmter Kaffee, und der hat in seinem Leben nichts verloren. Eher der schnelle Espresso am Morgen. Den hat er sich vermutlich während seines halbjährigen Aufenthalts in Rom angewöhnt. Damals, als der 23-Jährige nach dem Abi die kurpfälzische Provinzstadt St. Leon-Rot verließ und erst einmal die Kulturmetropolen Barcelona und Rom unsicher machte. Er hatte Lust, Sprachen zu lernen. Und wenn Baumgärtner was will, dann macht er das. Zum ersten Mal erlebte er dort hautnah eine Kunst, die er nicht kannte. „Das hat mich alles geflasht!“ Dort fand er heraus, wer er wirklich ist. „Das war so ein Selbstfindungstrip.“ Er kreierte für sich einen Stil, der zu ihm passte, denn „dann wirst du erst wirklich wahrgenommen“. Sich immer wieder inspirieren lassen, unerschrocken sein, unabhängig bleiben, das sind 100-prozentige Baumgärtner-Attribute. Irgendwie die Superlative von Coolness. Ziemlich cool sitzt er mir gerade auch auf einem wackligen Stuhl gegenüber. Ich hänge ziemlich unentspannt auf einer zerrissenen Couch. Seine erste große Liebe, die er in Heidelberg zurückgelassen hatte, zerbrach. Bereut hat er die Zeit im Süden Europas nicht. Zurück in der Heimat begann er Philosophie, Psychologie und Spanisch zu studieren, pickte sich das Beste aus allem heraus. Doch das war ihm immer noch zu wenig. „Machen, machen, machen!“ wäre vermutlich die Parole einer Baumgärtner-Bewegung. Oberste Maxime: Hartnäckigkeit. Denn wenn der Bartträger sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann arbeitet und atmet er nur noch dafür.



Mit Patrick Forgacs gründete er den „subkulturellen Fortschritt“, ein Kollektiv, das sich vornahm, kreative Freiräume in der Stadt Heidelberg zu schaffen. Beide verfolgten die Idee, das, wie Baumgärtner sagt, „künstlerisch versteinerte Heidelberg“ moderner und lebendiger werden zu lassen, sodass regionale Künstler blieben, internationale kamen. Und dann kam die Sache mit der Politik: Eigentlich sollte er nur die Liste der Jung-Partei Generation HD füllen. Doch es kam alles anders, und Baumgärtner hatte auf einmal ein politisches Amt. Er gibt den Relaxten: „Jetzt bin ich Stadtrat, alright, let’s do it.“ Das Amt, das er mittlerweile nicht mehr innehat, wurde für ihn zum Coup. Denn plötzlich gelang es ihm, in der Stadt schneller ein Bewusstsein für seine Urban Art zu schaffen. In dieser Zeit liefen mehrere Dinge gleichzeitig. Ein typischer Baumgärtner-Effekt: Neben dem Studium, der Politik und den Kunstprojekten wurde sein Sohn vorrangiger Bestandteil seines Lebens. Er ist eben ein Alles-oder-nichts-Typ. 2012 gründete er die WilliBender Studios. Namensgeber war ein langjähriger Freund und Begleiter, der an multipler Sklerose verstarb. Ein alter Möbelladen diente als Atelier. International ausgebildete Kreative aus diversen Kunstgattungen lebten dort als wild zusammengewürfelte Künstler-Family. Ein bisschen Hippie steckt anscheinend doch in Baumgärtner. Wir gehen eine rauchen. Also er. Ich schlürfe Tankstellen-Kaffee, den Baumgärtner spendiert hat. Immer noch ein wenig nervös. Also ich. Sein abenteuerlicher Schmuck glänzt in der Sonne. An seinem linken Ohr hängt ein altes Uhrwerk einer Armbanduhr, an den Fingern trägt er Ringe. Neben ihm fühlt man sich echt spießig. Er und dieser exzentrische Kleidungsstil passen in keine Schublade. Da wollen sie auch gar nicht rein. Hätte mich auch gewundert. Nein, zum Hipster kann ich diesen Typen nicht machen. Baumgärtner weiß, wie er wirkt. Er kennt die Spielregeln des Künstler-Chics. Sein selbst kreierter Stil, seine eigenen Manieren, seine Lebensphilosophie sind unkonventionell, ungewohnt, urban – wie die Kunst, die ihn inspiriert. Mit der er seine Heimat begeistern will. Mit dem Künstler Daniel Thouw entwickelte er das Streetart-Festival Metropolink, das in diesem Jahr bereits zum dritten Mal stattfand. Regionalen und internationalen Künstlern bietet es eine Plattform, um Urban Art zu schaffen, um zum Beispiel den Fassaden der Stadt ein neues Ge-


sicht zu geben. Ein wenig stolz zeigt Baumgärtner mir den ziemlich hip aufgemachten Kunstband zum Metropolink-Festival, den man sich von einem Künstler persönlich besprühen lassen kann. Ganz schön gekonnt dealt er da mit seiner Urban Art. Ohne Weiteres, das beherrscht er. Gerade frage ich mich, wie mein Kontostand derzeit eigentlich aussieht? Baumgärtner weiß, was er tut. Und das muss er auch, denn Streetart zu kuratieren ist ein Kraftakt. Die Auswahl der Fassaden hängt nicht nur von den Eigentümern, den Ideen der Künstler, sondern auch von den Oberflächen der Häuser ab. Dazu kommen die ständigen Rücksprachen mit den Ämtern der Stadt. Seitdem der Oberbürgermeister die Schirmherrschaft übernommen hat, sei aber alles ein wenig einfacher geworden, sagt Baumgärtner. Sein Anspruch ist es, flexibel zu bleiben, niemals in einen Trott zu fallen. In seinem Team ist er der dominante Kreativ-Kopf, arbeitet ununterbrochen an seinen Ideen. Er will etwas in der Stadt bewegen, die Bewohner begeistern, Menschen zusammenbringen. „Die Leute sind auf dem Weg zur Arbeit, sehen auf die Fassade und haben einen geilen Moment.“ Das ist so ganz Baumgärtner-Jargon. Einfach nicht so ganz clean. Wie seine fiebrig aufmüpfige Streetart, die Heidelberg so viel frischer gemacht hat. Die er auf gewisse Art selbst verkörpert. Ein bisschen Fassade eben, wild-gekünstelt, sinnlich-frech. Ein bisschen von allem und doch ganz eigen.



TE X T: SOPHIE MÜLLER, FOTOS: JULIA BAUER

9

EIN PAAR, EINTANZHAUS

DARIA HOLME UND ÉRIC TROTTIER ERÖFFNEN EIN NEUES ZENTRUM FÜR ZEITGENÖSSISCHEN TANZ IN DER MANNHEIMER TRINITATISKIRCHE. Zwei blaue Augenpaare blitzen mich an. Zwei Paar Hände zücken synchron Zigaretten. Sie, Daria Holme, 43 Jahre alt, in Mannheim geborene freie Grafikdesignerin, raucht sie fertig gekauft. Er, Éric Trottier, 47 Jahre alt, kanadischer Tänzer und Choreograf, dreht selbst. Wir sitzen zwischen viel Schutt und Staub unter einem Blätterdach auf dem Vorplatz der Mannheimer Trinitatiskirche – ihrer Kirche. Es regnet leicht, und Donner grollt. „Wir sind ein Paar!“, stellen die beiden erst einmal lachend klar. Viele würden das auf den ersten Blick nicht erkennen. Dabei ist es bei jedem weiteren Blick offensichtlich. Während sie fotografiert werden, suchen sie hinter dem Rücken immer wieder gegenseitig ihre Hände. Fasziniert und liebevoll sprechen sie über die Arbeiten und Talente des anderen. Die gegenseitige Wertschätzung ist ihnen deutlich anzumerken. Seit drei Jahren sind sie zusammen. Kennengelernt haben sie sich bei einer von Érics Produktionen. Als Grafikdesignerin arbeitet Daria in der Kulturbranche und zeitweise auch in der Tanzszene. Werbung und so was, das macht sie nicht. Éric macht Tanztheater, also Theater mit Tanz oder Tanz mit Theater, nicht nur Bewegung um der Bewegung willen. Das ist ihm wichtig. Ausgewähltes Publikum, das teure Eintritte bezahlt, mag er nicht. „Dieses elitäre Gehabe, das hasse ich. So was mache ich nicht mit. Tanz ist nicht einfach nur Tanz oder Kunst. I mean, das ist auch Politik.“ Seine Augen glitzern. Das EinTanzHaus, das die Trinitatiskirche in einen Ort für modernen Tanz verwandeln soll, ist ihr gemeinsames Baby. Éric brauchte mehr Raum und Platz für die Produktionen seiner Company. Daria arbeitete mit ihm gemeinsam an der Idee des Projektes. Dass sie die Ausschreibung um die Trinitatiskirche gewannen, war das Ergebnis aus viel harter Arbeit und glücklichen Gelegenheiten. 15 Jahre stand die Kirche leer. Bald wird sie mit Érics eigenen Projekten, aber auch mit Jazzkonzerten und Gastspielen gefüllt. „Das Gemisch zwischen uns ist super“, sagt Éric mit französischem Akzent. Die beiden könn-


ten wohl tatsächlich nicht unterschiedlicher sein. Während er 30 Jahre Erfahrung auf die Bühne bringt und genau weiß, was Künstler und Darsteller brauchen, besitzt sie einen guten Blick für das ganze Drumherum und die Infrastruktur. Konzepte sind ihre Leidenschaft, egal, ob das einer Kunstausstellung, das ihrer von Künstlern für Kinder erstellten „Kindertseitung“ oder eben des EinTanzHauses. Während Éric von der Bühne blickt, schaut sie aus Zuschauerperspektive darauf. „Daria kann viel mehr alleine machen als ich“, sagt Éric. „Also sagen wir, vielleicht mache ich so 47 Prozent, sie 53 Prozent.“ Daria grinst: „Das hat sich aber nach mehr angehört!“ Dennoch gibt es für beide viel Neues zu lernen. So müssen sie sich sowohl mit Bau, Denkmalschutz und Finanzplanung als auch mit Vereinsarbeit herumschlagen. Das klingt nach viel Stress. Die Augen der beiden leuchten aber immer wieder auf, während sie erzählen. Sie strahlen sich an. Man merkt ihre gemeinsame Euphorie. „Wir wirken jetzt so harmonisch und enthusiastisch. Wir streiten uns aber natürlich auch viel“, lacht Daria. Natürlich, sie arbeiten zusammen und leben zusammen. Es ist schwierig, mal über etwas Anderes zu sprechen. Sie machen dieses Projekt nicht nur gemeinsam, sie sind das Projekt. Inzwischen verstehen sie sich blind. „Ich komme mit keiner Idee zu ihr, die ich nicht gut finde. Wenn ich etwas gut finde, dann weiß ich schon, bevor ich sie gefragt habe, dass sie es auch gut finden wird“, sagt Éric. Das Zuhause des Künstlerpaares und ihres EinTanzHauses ist Mannheim. Geplant haben sie das nicht, glücklich darüber sind sie umso mehr. Daria wurde hier geboren und verbrachte Kindheit und Jugend in der Quadratestadt. Sie wollte raus aus Mannheim, rein in die Welt. Doch nach zwölf Jahren kehrte sie wieder zurück nach Hause. Ähnlich erging es Éric. Der Kanadier begann seinen künstlerischen Weg in Israel und kam durch einen Mannheimer Gastdozenten als Tänzer und erster Hauschoreograf an das Nationaltheater Mannheim. Nach einem Bruch in seinem Leben verließ er die Stadt für zehn Jahre, kehrte wieder zurück und gründete seine eigene Company, La_Trottier Dance Collective. Das sei die Mannheimer Spezialität, behaupten beide. Wer einmal nach Mannheim komme, kehre immer wieder zurück. Die Stadt, in deren Nationaltheater Schiller seine „Räuber“ uraufführte, habe viel zu bieten. Doch auch Amsterdam, die alte, wohl schon immer hippe Stadt, beeinflusste beide zu unter-


schiedlichen Zeiten stark. Insgesamt sechs Jahre verbrachte Daria mit Studium und Arbeit in der Grachtenstadt und lebte nahe an der Kunst. Auch Éric arbeitete für etwa ein Jahr in Amsterdam. Zufall oder Schicksal? Gerade in Amsterdam ist es schon lange üblich, Kirchen für Kunst und Tanz zu nutzen. Mannheim dagegen feiert mit dem EinTanzHaus Premiere. Das Projekt und die beiden Städte verbinden das Paar – aber auch ihre ähnliche Art zu denken und der Kampfgeist. Als ich Daria das erste Mal sah, leitete sie eine Arbeitsgruppe auf dem Denkfest zum Thema Präsentationsräume. Mit ihrem langen, blonden, offenen Haar und den lässigen Klamotten erinnerte sie mich sofort an einen Hippie. Es wurde viel darüber gejammert, dass es entweder zu wenig Räume für Künstler gebe oder vorhandene Räume aufgrund bürokratischer Hürden nicht genutzt würden. Irgendwann platzte es aus Daria heraus: „Vielleicht sind wir alle zu brav geworden. Vielleicht müssen wir mal wieder besetzen.“ Mutig und frech sein, sich etwas trauen und nicht erst über alle Hürden der Bürokratie nachdenken, scheint das Erfolgsrezept der beiden freien Künstler zu sein. Sie wären nicht so weit gekommen, hätten sie zuvor alle Hindernisse und Schwierigkeiten bedacht. Am 30. September 2017 soll das EinTanzHaus mit einem großen Fest eröffnet werden. Der imposante Betonbau mit seinen großen, farbigen Fenstern, durch die das Licht scheint, lässt schon erahnen, wie besonders das Tanzerlebnis einmal werden wird. Davon sind auch Daria und Éric überzeugt. „Egal, wie es hier am 30. September aussieht, wir eröffnen!“, blitzen die zwei blauen Augenpaare kämpferisch.


TE X T: DONJE TA HASANI, FOTOS: MARCUS HEINE

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BODENSTÄNDIG UND BEFLÜGELT

HANS-MICHAEL KISSEL ERSCHAFFT IN SEINEM ATELIER IN LADENBURG KINETISCHE SKULPTUREN. „Die Ursehnsucht des Menschen, ab dem Zeitpunkt, an welchem er den schwerelosen Zustand im Mutterleib verlässt und die Last seiner eigenen Existenz spürt, ist das Schweben. Schon immer stellt sich der Mensch vor, davonzufliegen, gleich Ikarus – nur hoffentlich ohne Absturz.“ Hans-Michael Kissel holt weit aus in dem Versuch, den Hintergrund seiner Skulpturen zu erklären. Der 75-jährige Künstler spricht gerne über seine Arbeit. Die kompliziert ineinandergreifenden Gebilde aus Stahl bewegen sich, einmal angestoßen, wie delikate Tänzerinnen: leise, fließend, schwingend. Kissels Atelier gleicht einer Metallverarbeitungswerkstatt. Zwischen Hämmern, Muttern, Schrauben und Rohren stehen dort auch seine Modelle. Wie können diese mechanischen Konstruktionen so leicht beschaffen sein, dass ein Windstoß oder sanfte Regentropfen ausreichen, um sie in Bewegung zu versetzen? Kissel weiß anfangs selbst nicht, wie genau sich seine Werke, der freien Natur ausgesetzt, bewegen. Deswegen ist es auch für ihn immer wieder eine Überraschung und Freude, vor seinen Skulpturen zu stehen. Die Überraschung ist ein Kernaspekt seiner Arbeiten: Ziel ist es, durch die Bewegung des Werkes Stille beim Betrachter auszulösen. Die Dimensionen seines lichtdurchfluteten Ateliers sind beeindruckend. Es ist angeschlossen an sein Haus, das nach Kissels ästhetischen Vorstellungen gebaut und eingerichtet ist und dem Künstler einen ihm sehr wohl bewussten Luxus bietet. So kann Kissel völlig frei arbeiten. Nach dieser Freiheit hat er sich schon immer gesehnt: „Selbstständig sein ist etwas Großartiges“, sagt er und fügt hinzu: „Wenn man sich finanzieren kann.“ Ein pragmatischer Ansatz. Kissel hat sein Ziel früh erreicht: eine authentische Nische, finanzielle Unabhängigkeit. Diese Nische zeigte ihm einst einer seiner Professoren auf, denn Kissel wollte zunächst Designer werden. Nach einer Ausbildung in Metall- und Holzverarbeitung und Silberschmieden im Bereich Innenarchitektur an der Zeichenakademie Hanau studierte er Design und Bildhauerei in Schwäbisch Gmünd. Dort begann Kissel mit seinen kinetischen Skulpturen. Sie sind sein Ding. Die Zeichenakademie in Hanau schmückt sich seit Mitte der 1990er mit einer zwölf Meter ho-



hen Skulptur ihres Absolventen. „Im Sternzeichen des Dädalus“ heißt das Werk, das in verkleinerter Modellform auch in seinem Atelier steht. Dädalus ist in der griechischen Mythologie Erfinder, Techniker und Künstler zugleich. Ebenso ist Kissel nicht nur Künstler, sondern zu gleichen Teilen auch Handwerker, Statiker und Beobachter von Naturkräften. Die Bewegung, die er in seinen Skulpturen erzielen will, soll nicht vorhersehbar sein, dennoch müssen die Abläufe miteinander korrespondieren. Um das zu erreichen, muss Kissel so lange probieren, bis es klappt. Dieser Prozess ist mühevoll und kostspielig, er verlangt Geduld. Ist Kissel denn so ein entspannter Typ? Er räumt lachend ein, dass seine Mitarbeiter ihn bestimmt als schrecklich empfänden, weil ihm meistens alles nicht schnell genug gehe. Am liebsten arbeitet der Künstler alleine und macht bis heute fast alles selbst: Getrieben von seinem Perfektionismus, möchte er sich nicht auf andere verlassen. Das, was Kissel heute weiß, hat er sich mit viel Blut und Schweiß erarbeitet. Er teilt sein Wissen aber nur ungern und hat schon einige Lehrangebote ausgeschlagen. Er will nicht anderen die Arbeit auf einem Silbertablett präsentieren. Das Versuchen, Scheitern, die Frustration und das erneute Tüfteln gehören schließlich zum Werk dazu. In der Schulzeit antwortete er auf die Frage, welchen Beruf er mal ergreifen möchte: „Künstler und Fahrradmechaniker“. Im Hinblick auf seine Werke heute eine ziemlich treffende Antwort. Die Tüftelei bereitet ihm eine kindliche Freude und scheint ihn jung zu halten. In seiner Jugend riet man ihm aber dazu, einen vernünftigen Beruf zu ergreifen. Kissel bereut es, dass er nicht noch früher mit der Kunst angefangen hat. Dennoch prägte seine Schulzeit an einem humanistischen Gymnasium sein Werk. Titel wie „Die Schilde des Glaukos“ zeigen, dass ihn die griechische Mythologie um Götter, Helden und ihre Abenteuer fasziniert, besonders die Geschichte um Dädalus und Ikarus: Dädalus entflieht mit seinem Sohn Ikarus der Gefangenschaft, indem er aus Federn und Wachs Flügel erschafft. In seinem jugendlichen Übermut und angeregt vom Rausch des Fliegens missachtet Ikarus die Warnungen seines Vaters, fliegt zu nah an die Sonne und stürzt in den Tod. „Wäre es denn besser gewesen, sein Kind eingesperrt in der Zelle zu lassen?“, fragt sich Kissel. Überzeugt ist er nicht. Seine Familie empfindet er als ein großes Geschenk. Drei Töchter aus erster Ehe hat Kissel. Mit seiner zweiten Ehefrau Annette, die unser Gespräch begleitet, ist er seit 2003 verheiratet.


Als Physiotherapeutin spielt Bewegung auch in ihrem Leben eine zentrale Rolle – das verbindet die Kissels. Gemeinsam wohnen sie seit zehn Jahren in dem Haus mit Atelier in Ladenburg. Doch bei so vielen Gaben schwingt immer die Sorge mit, alles zu verlieren. Er habe schon immer überbordende Fantasien gehabt, erzählt Kissel. Er sehe immer die Absturzmöglichkeiten. Schreckliche Unglücksszenarien malt er sich regelmäßig aus, obwohl im Grunde genommen alles in Ordnung ist. „Die Götter verzeihen kein Glück“, sagt er lächelnd. Als er das erste Mal seine erstgeborene Tochter im Arm hielt, spürte er eine überwältigende Freude und dachte im selben Augenblick, wie entsetzlich der Verlust des eigenen Kindes sein müsse. Annette schüttelt entgeistert den Kopf, als sie das hört: „Wer denkt denn so etwas?“ Kissel verliert sich aber nicht in trüben Gedanken. Dazu liebt er seine Arbeit zu sehr. Er bekommt bis heute genug Aufträge, kann einige ablehnen, wenn ihm die Arbeitsbedingungen nicht entsprechen oder die Zeit fehlt. Abgehoben ist er dadurch nicht, dazu ist Kissel zu lange im Geschäft und zu abgeklärt. Kissel hat eine gute Flughöhe für sich gefunden. Von Arroganz hält er nichts: „Demut ist wichtig.“ Man darf ja die Götter nicht herausfordern.



TE X T: LUISA REISINGER, FOTOS: MARCUS HEINE

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VERBUNDENE QUERDENKER

DAS WORMSER KÜNSTLERDUO CONSTANZE UND NORBERT ILLIG FORDERT DIE REZIPIENTEN SEINER ARBEITEN AUF, SELBST ZU ENTSCHEIDEN UND MITZUGESTALTEN. Künstlerpaare sind etwas Besonderes: Zwei sich Liebende, die aus ihrer Beziehung Kreativität schöpfen. Das ist romantisch. Mit dem Partner gleichzeitig das Atelier und das Bett zu teilen, stellt jedoch auch eine potenzierte Gefahr dar. Für die Kunst und für die Beziehung. Das ist unromantisch. Künstlerpaare müssen seelenverwandt sein. Menschen, die durch ihren künstlerischen Geist auf eigensinnige Weise verbunden sind. Das sind sie: Constanze und Norbert Illig, zwei Aktionskünstler, die in Worms und Umgebung „Kunst im Raum des Öffentlichen“ wagen. Kennengelernt haben sie sich während des Architekturstudiums in Düsseldorf. Er, der Neue an der Hochschule, gestaltete damals eine Maskenball-Fete für die Studenten. Sie, die dort Geborene, wurde dabei zum ersten Mal seine Arbeitspartnerin. „Es dauerte aber noch zwei Jahre, bis wir ein Liebespaar wurden“, sagt er. Erst nach einer hitzigen Diskussion mit einem Philosophie-Professor erkannten sie, dass sie mehr verbindet als die Vorliebe für aufwändige Architekturwettbewerbe, die nur „ein richtiger Freak“ durchhält, sagt sie. Sie schauen sich an, lächeln, schwelgen in Erinnerungen. In ihrer schönen Altbauwohnung in der Wormser Innenstadt sitzen wir bei frisch aufgebrühtem Kaffee zusammen. Die zwei kreativen Köpfe haben keine Scheu, mir von ihrer Liebesgeschichte, dem Fundament ihrer Künstlerduo-Biografie, zu erzählen. Schnell merkt man: Es ist das gemeinsame Durchleben eines komplexen Denkprozesses, das die beiden Künstler seit ihren Studententagen zu zahlreichen Projekten gebracht hat. Zu Beginn stehen immer wieder philosophische, psychologische und politische Phänomene, abstrakte Begriffe und Werte, aus denen sie einen „konstruktiven Funken“ herausnehmen, diesen neu interpretieren und in einem eigenen Kontext darstellen. Ihre Kunst ist stark beeinflusst von Marcel


Duchamp, der Anfang des 20. Jahrhunderts den Kunstbegriff radikal erweiterte, indem er alltägliche Gegenstände zu Ausstellungsobjekten machte, sogenannte Readymades. Norbert Illig zitiert Heiner Müller: „Kunst entsteht in der Provinz.“ Dort, in seiner Heimat Worms, sind sie nun seit 20 Jahren, nach Stationen in Düsseldorf, Amerika und der Ukraine, hängen geblieben. Die Stadt ist für sie Fluch und Segen zugleich. Das Provinzielle sei für ihre kreative Entwicklung zum Gestaltungskonzept geworden, für die Erziehung ihrer drei Kinder ein sicherer Raum, für die Präsentation ihrer Kunst ein Nährboden für Unverständnis. Nur gemeinsam verkraften sie es, dass ihre Kunst in Worms oft nicht verstanden werde. Es frustriere sie, dass festgefahrene Meinungen ihnen im Weg stünden. Es sei anstrengend für sie, dass man sie herausfordere, ihr kreatives Feld genau zu bestimmen. Das geht nicht, denn gerade ihr grenzübergreifendes Konzept ist der Motor ihrer Kunst. Illig und Illig handeln mit ihren Aktionen und performativen Ausstellungen im Raum des Öffentlichen bewusst mit einer Flüchtigkeit, einer „nicht privat konsumierbaren Kunst“. Dabei verfolgen sie einen appellativen Ansatz, der zu ihrem Markenzeichen geworden ist. Der Rezipient selbst wird aufgefordert, „zu entscheiden, zu gestalten, auf die Welt und sein Leben Einfluss zu nehmen“. Dies ist zu sehen im „Gerüchteküche“-Projekt, das in einem Problemviertel in Mannheim stattfand. Die Künstler versuchten, konstruktiv mit städtischen und persönlichen Schwierigkeiten umzugehen. Constanze Illig erzählt, wie die Performance ablief. Im Dialog verwandelten Illig und Illig über eine kreative Transformation die von Passanten erzählten Gerüchte in schmackhafte Gerichte. Die Zutaten wurden, wie in einem Artikel des Mannheimer Morgen beschrieben, symbolisch verwendet: Beispielsweise stand ein eng zusammengeschobenes Häufchen Bulgur für räumliche Enge, feuriges Ratatouille für Gewalt. Aus Tratsch wird essbare Kunst. Das klingt äußerst konstruktiv. Das Essbare wird zum Material einer künstlerischen Problemanalyse. Das klingt jetzt aber nach Küchenpsychologie. Illig interveniert: „Wir sind keine Köche, wir sind keine Therapeuten, wir sind Künstler und wir versuchen, mit unserem kreativen Blick die Geschichten der Menschen plastisch darzustellen.“ Das passiert auf unterschiedliche Weise in allen Aktionen, die das Duo entwickelt, in denen es im ständigen Dialog agiert. Wenn er redet, denkt sie. Wenn sie redet, führt er weiter aus. Wenn ein


Beziehungsstreit droht, nutzen sie ebenfalls die Kunst, um diesen abzubauen. Denn beim gemeinsamen Arbeiten verstehen sie sich auf einer undurchdringlichen Ebene. Als sei das gemeinsame Denken das Ergebnis einer komplexen, von ihnen entwickelten Choreografie. Großen Wert legen Illig und Illig auch auf Gleichberechtigung. Sie verweigern sich einer konservativen Rollenzuweisung. Und irgendwie brauchen sie die auch nicht, da sie als Künstlerpaar bereits symbiotisch geworden sind. Auf ihrem gemeinsamen Lebensweg war es für sie immer wichtig, auf mehreren Standbeinen zu stehen. Es sei erträglicher. Denn wenn ein Projekt nicht so läuft, warten zum Glück noch weitere darauf, „gekaut“ zu werden, sagt Constanze Illig. Ihre Offenheit und ihre Neugier haben sie sich dabei niemals von existenziellen Problemen nehmen lassen. Und sie sind stolz, dass die Familie bereits in der vierten Generation Kunst macht. Die Kinder sind ebenfalls gestalterisch tätig. Auf einmal habe ich das Gefühl, dass mir die Eltern der Familie Illig gegenübersitzen. Auf dem Weg in den Wormser Heylshofpark, in dem zum Zeitpunkt unseres Gesprächs diverse Illig & Illig-Installationen zu Martin Luther zu erleben sind, lerne ich dann auch noch Constanze und Norbert kennen: das Liebespaar. Da wird herumgewitzelt und sich geneckt. Als seien sie noch immer die jungen Kunststudenten von damals. Miteinander verbundene Querdenker, sie reden mit Blicken, wie romantisch. Vor allem aber ist es inspirierend. Illig & Illig, zwei Künstler, ein Duo, dialogisierende Inspirationsquelle und konstruktive Impulsgeber. So wie man sich ein Künstlerpaar vorstellt.


TE X T: DONJE TA HASANI, FOTOS: JULIA BAUER

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DAS FEUER HEIMWEH

LENNART SCHEUREN VERANSTALTET OPEN-AIR-KONZERTE IN LINDENFELS. Wo zur Hölle befindet sich eigentlich Lindenfels? Das Städtchen östlich von Bensheim galt einst als „Perle des Odenwaldes“ und war Touristik- und Kurhochburg. Mittlerweile scheint Lindenfels mir in der Falle etlicher verschlafener Nester zu sitzen: Viele packen mit der Volljährigkeit ihre Siebensachen und ziehen in aufregendere Gefilde. Einer der Söhne Lindenfels’ ist zurückgekehrt, um für Abwechslung zu sorgen. Lennart Scheuren ist mittelgroß, sehr schlank und hat längere, zerzauste, braune Haare. Er trägt Jeans, T-Shirt und eine dunkelrote Adidas-Sportjacke. Ein entspannter Typ Ende 20. Vom Grillplatz, an dem er seine Lagerfeuerkonzerte veranstaltet, hat man Lindenfels im Blick, den Ort, an dem er aufgewachsen ist. Wenn Scheuren zurückschaut, zeichnet er ein Bild verklärter Kindheitsromantik: Man ging morgens außer Haus und erlebte mit seinen Freunden Abenteuer im Wald, bis die Sonne unterging. Schätzen kann man das aber erst rückblickend. Als Teenager sahen Scheuren und seine Altersgenossen das anders: Da in Lindenfels nicht viel los war, musste man andere Ortschaften aufsuchen, um sich zu amüsieren – aber dorthin zu kommen, war durch die abgelegene Lage Lindenfels’ mit viel Aufwand verbunden. Vergessen war die Kindheitsidylle, Scheuren war genervt. Mit dem Abitur verließ er Lindenfels. Nach seinem Bachelor in Darmstadt und während des Masters in Detmold kehrte er zurück. Als er eines Abends mit einer befreundeten Musikerin am Lagerfeuer Gitarre spielte, wurde die Idee der Lagerfeuerkonzerte geboren. Unter freiem Himmel, am knisternden Feuer sollten Musiker auftreten. Genau das ist es, was Lindenfels zu bieten hat: Gemütlichkeit und Atmosphäre. Verbindet man das mit jungen und talentierten Musikern, kann man ein Kulturprojekt starten, das Lindenfels gerecht wird. Scheuren macht sich an die Arbeit. Er ist Anfänger, und die Lagerfeuerkonzerte sind sein erstes großes Projekt. Er hat Angst, malt sich aus, was alles schiefgehen könnte, muss sich plötzlich mit Genehmigungen und Behördengängen herumschlagen, und natürlich benötigt er auch Geld. Das sammelt Scheuren mit Hilfe eines Crowdfunding-Projektes. Es braucht Offenheit und Mut, um



mit einem Projekt an die Öffentlichkeit zu gehen und Menschen davon zu überzeugen. Doch der Mut zahlt sich buchstäblich aus: Scheuren bekommt das nötige Geld zusammen, aber es warten weitere Herausforderungen. Er weiß, dass in ländlichen Gebieten oft das Motto „So machen wir das, so haben wir das schon immer gemacht“ herrscht, und ist feinfühlig an seine Vorhaben herangegangen. „Man muss Geduld und Verständnis für seine Ortschaften haben“, sagt Scheuren. Dennoch war er manchmal frustriert: Er kam wieder, um seiner Heimat etwas zurückzugeben, und hatte trotz seines authentischen Anliegens manchmal das Gefühl, dass ihm Steine in den Weg gelegt würden. Was führte bei Scheuren zu der Entscheidung, als junger Mensch wieder in die 5000-Seelen-Stadt zu ziehen? In Darmstadt hatte er zunächst ein Mechatronikstudium begonnen. Eine Vernunftentscheidung, die er bald bereuen sollte. Ein solides Einstiegsgehalt und die Aussicht auf einen sicheren 9-to-5-Job trösteten ihn nicht darüber hinweg, dass er weder an seinem Studiengang noch an seinen Kommilitonen großes Interesse hatte. Die unerträgliche Vorstellung, als Mechatroniker arbeiten zu müssen, sorgte endgültig dafür, dass sich Scheuren nach etwas Passenderem umsah. Scheurens große Leidenschaft war und ist die Musik. Er spielt Posaune, Schlagzeug und probiert sich bis heute immer wieder an diversen Instrumenten. Deshalb sattelte er auf ein Studium im Bereich Digital Media mit Schwerpunkt Sound um. Volltreffer. Statt des Versprechens konservativer Sicherheit herrschte hier ein anderer Ton. Hier riefen die Dozenten den Studierenden schon im ersten Semester entgegen: „Ihr werdet alle Freiberufler!“ Scheuren spürte gewisse Zweifel, aber auch einen neuen Reiz: „Es ist schon geil, keinen Chef zu haben. Du kannst machen, was du willst. Es gibt keine Grenze.“ Die Saat war gepflanzt, 9-to-5 keine Option mehr. Scheuren war aber klar, dass er sich das richtige Handwerkszeug für eine eventuelle Selbstständigkeit aneignen musste, deshalb schloss er seinen Bachelor ab. Danach folgte ein Master in Klangregie. Im Masterstudium fing Scheuren an, das kleine und beschauliche Lindenfels zu vermissen. Auch wenn es in Detmold und in Darmstadt ein viel größeres Angebot für einen jungen Studenten gibt, litt er unter Heimweh. Warum immer nur in die Städte? Warum sich von den großen, schnellen und lauten Dingen beeindrucken lassen? Warum sich diesem Druck überhaupt aussetzen?


Ihm fielen wieder die schönen Wälder und die Gemeinschaftlichkeit des Ortes ein, die malerische Burg und das Städtchen, das darunter eingebettet liegt. Scheuren ärgerte sich darüber, dass die Schönheit seiner Heimat verkannt wird, und noch mehr darüber, dass niemand Lindenfels’ Potenzial nutzt. Hier sah er seine Chance, etwas Neues und Magisches zu schaffen. 2015 fanden zwei ausverkaufte Konzerte bei der Grillstelle am alten Steinbruch in Lindenfels statt. Regionale wie überregionale Künstler verschafften etwa 150 Gästen ein unvergessliches Erlebnis. Damit zeigte Scheuren, dass in ländlichen Gegenden sehr wohl lohnenswerte Kulturereignisse stattfinden können. Die Lagerfeuerkonzerte sind eine Liebeserklärung an seine Heimatstadt. Er möchte Menschen die Möglichkeit geben, sich von ihrem hektischen Alltag zu lösen und sich wieder auf die schönen Dinge zu besinnen. Ist Scheuren denn selbst ein Künstler? Er überlegt: „Was ein Künstler ist, wird doch im Grunde genommen vom Konsumenten definiert. Zumindest bin ich laut meiner Sozialkasse Künstler.“ Scheuren definiert sich nicht über ein festes Berufsbild, sondern sieht sich als Vermittler zwischen Musikern, Ortsbewohnern, Behörden und Generationen. Sein persönlicher Anspruch ist es, sich selbst gerecht zu werden, anstatt sich in Perfektionismus zu verbeißen, und seinem Publikum etwas zu bieten. Er selbst steht dabei eher im Hintergrund. Im August 2017 folgte die zweite Auflage der Lagerfeuerkonzerte.



TE X T: SOPHIE MÜLLER, FOTOS: MARCUS HEINE

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ERST MAL ZU PENNY

DER SCHRIFTSTELLER JOSÉ F. A. OLIVER LEITETE IN LUDWIGSHAFEN DAS PROJEKT „HUMAN LIBRARY“. „Gäbe ich meinem Leben ein Symbol, so wäre es ein Koffer“, sagt José Oliver und zieht an seiner Zigarette. Die Brille sitzt ihm auf halber Höhe auf der Stirn. Vor ihm steht ein kleines Tablett mit Espresso und einem Glas Mineralwasser – für ihn selbst das typische Bild eines Schriftstellers. Der Blick schweift von Zeit zu Zeit nachdenklich in die Ferne, dann sieht er mir wieder mit intensivem Blick direkt in die Augen. Er lebt seit seiner Geburt 1961 im kleinen Hausach im Schwarzwald. Doch packt er seinen Koffer immer so, dass er nicht mehr dorthin zurückkehren müsste. Dabei liebt er den Schwarzwald, die Wälder, das üppige Grün. Nennt ihn seinen „grünen Altar“. Hier komme er zur Ruhe, könne das in der Fremde Erlebte reflektieren. Selbst als er in Freiburg Romanistik, Germanistik und Philosophie studierte, blieb er nicht lange dort, sondern kehrte wieder heim und wurde zum Pendler. Was Heimat wirklich ausmacht? „Heimat ist dort, wo ich mich nicht erklären muss.“ Er selbst schenkte der kleinen Stadt eines der laut FAZ „spannendsten Literaturfestivals“, die es heute in Deutschland gibt – den Hausacher LeseLenz. Als Kurator holt er Schriftsteller aus der ganzen Welt in die Kleinstadt. Er bindet Schüler in seine Lesungen ein und beschäftigt Gebärdendolmetscher. Sprache bestimmt sein Leben. „Ich wurde mit Sätzen erzogen“, erklärt er seine Leidenschaft für Zitate. Seine Eltern kamen als spanische Gastarbeiter nach Deutschland. Während seine Mutter in der Fabrik arbeitete, entdeckte er mit seiner, wie er sagt, „Pflegemutter“ die Schönheit der deutschen Sprache, die er beherrscht wie seine Muttersprache Spanisch. Er spricht mit sanfter Stimme und alemannischer Melodie – und das auch noch druckreif. Jedes Wort trifft ins Schwarze. Seine Lyrik selbst ist nicht ausschließlich deutschsprachig. Zu Hause in Andalusien schreibt er auf Spanisch. Lebt er gerade für längere Zeit in Montreal, entstehen französische Gedichte. Und ist er im englischsprachigen Raum unterwegs, beispielsweise für seine Literaturprofessur am Massachusetts Institute of Technology in den USA oder wenn seine Poesie tänzerisch in Sydney dargestellt wird, dichtet er eben auf Englisch. Seine Gedichte sind für ihn fragmentierte Wirklichkeit, Augenblicksverortungen. Raum und Zeit müssten mit der Sprache zusammenfließen.


„Jede Sprache ist anders, also schreibe ich auch anders“, sagt Oliver. „Das Schreiben ist aber auch ein anderes, wenn ich hier in Ludwigshafen bin statt zu Hause in Hausach.“ Alles, was ihm in einer neuen Stadt auffällt oder ihn bewegt, schreibt er auf. Oder er malt und zeichnet. Fundstücke klebt er ein. Auf diese Weise collagiert er jedes Mal, wenn er eine neue Stadt erlebt, ein weiteres großes Buch. Das Erste, was ihm in Ludwigshafen entgegenflog? Ein Prospekt mit dem Werbespruch „Erst mal zu Penny“. „Dann bin ich eben auch erst einmal zu Penny“, schmunzelt José Oliver. Ich stelle mir vor, bei ihm zu Hause steht ein Bücherregal mit riesigen Fächern, voll mit seinen großformatigen Erlebnisbüchern. In der Chemiestadt nahm er sich vor, nicht seine eigenen Geschichten zu erzählen. Er wollte ein Sammler und Bewahrer von Geschichten anderer sein. Für die „Human Library“, eine Art autobiografisches Archiv und ein Projekt des Ludwigshafener Kultursommers, sprach er mit über 30 Menschen über ihre persönliche Lebensgeschichte. „Manchmal habe ich mich gefühlt wie ein Psychologe, Sozialarbeiter oder ein Priester, der die Beichte abnimmt. Manchmal war ich auch Verbündeter oder Komplize“, erklärt Oliver. „Manche wollten einfach nur mir, einer außenstehenden Person, ihre Geschichte erzählen und nicht in die Öffentlichkeit damit. Andere wollten sie für ihre Enkel aufschreiben.“ Einige der Geschichten wurden an verschiedenen Plätzen von den „lebendigen Büchern“ selbst dargestellt, vorgelesen oder im gemeinsamen Gespräch erzählt. Ich beobachte den Lyriker während des Projektes, mit dem er sich ein halbes Jahr beschäftigt hat. Er geht liebevoll und mitfühlend mit den Erzählern seiner „Human Library“ um. Folgt ihren Geschichten fasziniert und schafft eine persönliche und vertrauensvolle Atmosphäre. „Ich war in unmittelbarer Nähe, sodass ich ihnen ein Schutzmantel sein konnte“, sagt er. Ein Artikel der Rheinpfalz, der manche der Beteiligten stark kritisiert, macht ihn zornig. Der Verfasser habe nicht verstanden, worum es in diesem Projekt eigentlich ginge. Diese Leute würden nie wieder etwas der Öffentlichkeit preisgeben. Ich merke ihm deutlich an, wie sehr ihn das bewegt. José Oliver glaubt an Schicksal und Verbindungen zwischen Menschen. Es gibt das Sprichwort: „Wer sieben Menschen kennt, kennt die ganze Welt.“ Das haben ihm die Menschen, mit denen er für die „Human Library“ sprach, einmal mehr bewiesen. Bei jedem der Gespräche seien sie


früher oder später auf gemeinsame Bekanntschaften gestoßen. „Zufall, das ist das, was einem zufällt.“ Er glaube an eine besondere Energie dahinter. Und er hat tatsächlich recht. Auch wir finden nach einiger Zeit zwei Menschen, die wir beide kennen. Die Welt ist eben doch ein Dorf. Entfernungen misst er in Zeit. Paris ist ihm näher als Ludwigshafen, da er dort schneller sein kann. Aber wo er sich auch aufhält, ihm ist wichtig, ehrlich zu sein, zu 100 Prozent da zu sein und in eine Stadt mit ihren Menschen einzutauchen. „Eintauchen bedeutet auch, sich nicht zu verlieren“, sagt José Oliver. Noch habe er in jeder Stadt seinen eigenen Raum gefunden – egal, ob als Kurator in Hausach, Stadtschreiber in Istanbul oder Projektleiter in Ludwigshafen. Am Ende unseres Gesprächs gibt er mir noch ein paar Ratschläge, wie man gute Porträts schreibt. Er läuft mit uns geduldig durch die Stadt, um Fotos für das Porträt zu schießen. Erzählt immer wieder von seinen zahlreichen Erlebnissen. Ab und an schweigt er gerne. Am frühen Abend wird er nach Hausach zurückkehren, seinen Koffer gut gefüllt.


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DREI JOURNALISTINNEN, EINE FOTOGRAFIN UND EIN FOTOGRAF HABEN GEMEINSAM DIE SECHS PORTRÄTS ERARBEITET. WAS WAR DAS ERS TE , WAS DU JEMAL S GESCHRIEBEN HAS T ?

Donjeta Hasani (ist Volontärin beim Fernsehsender ANIXE in Mannheim): Meinen Namen im Kindergarten. Sophie Müller (studiert VWL an der Uni in Heidelberg): Ich habe als Kind für meine Eltern und Großeltern oft kurze Geschichten oder Gedichte zu Weihnachten geschrieben. Meine ersten journalistischen Erfahrungen habe ich bei unserer Schülerzeitung gesammelt. Luisa Reisinger (hat Musiktheaterwissenschaft an der Uni in Bayreuth studiert und arbeitet nun als freie Journalistin): Postkarten, als ich ungefähr zehn Jahre alt war. Seitdem versende ich von jedem Ort, den ich besuche, besonders ausgefallene Postkarten, gefüllt mit meinen Eindrücken und Gedanken bis in die kleinste Ecke, immer verfasst mit einem türkisfarbenen Stift. WEN WÜRDES T DU GERNE MAL INTERVIE WEN?

Donjeta Hasani: Meine Eltern, meinen Bruder oder meine besten Freunde, weil das in jedem Fall interessant werden würde. Oder Karl Lagerfeld, denn er kennt keinen Stress – nur Strass! Sophie Müller: Ich würde sehr gerne einmal meinen Lieblingsautor Rafik Schami interviewen. Ich liebe seine Bücher und finde ihn sehr interessant und inspirierend. Außerdem hat er wie ich in Heidelberg studiert. Luisa Reisinger: Den Performance-Künstler Jan Fabre aus Antwerpen, da mich seine künstlerische Genialität inspiriert und bewegt. WAS MAGS T/MACHS T DU, WENN DU NICHT SCHREIB S T ?

Donjeta Hasani: Kunst, Film, Literatur und manchmal Yoga. Sophie Müller: Wenn ich nicht schreibe, schwimme, koche und lese ich gerne. Außerdem reise ich sehr gerne und viel. Luisa Reisinger: Stundenlanges Experimentieren in der Küche mit frischen Zutaten und exklusiven Gewürzen, um aromatische Hochgenüsse zu kreieren. Am liebsten für meine Freunde und die Familie.


Sie haben an der Porträtwerkstatt teilgenommen (von links): Marcus Heine, Julia Bauer, Sophie Müller, Donjeta Hasani und Luisa Reisinger

WANN HAS T DU GEMERK T, DAS S FOTOGR AFIE FÜR DICH MEHR IS T AL S EIN HOBBY?

Julia Bauer (studiert Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Fotografie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg): Als ich mit dem Studium angefangen und meinen ersten Foto-Kurs belegt habe, war mir eigentlich recht schnell klar, dass das mein Schwerpunkt werden wird. Unser Studium ist breit ausgelegt – wir können so viele interessante Fächer belegen. Aber Fotografie ist weit mehr als (nur) Design. Das macht es für mich so besonders. Marcus Heine (ist freier Fotograf, studierte Medien-, Kulturwissenschaften und Kunstgeschichte an der Universität Siegen und studiert seit 2013 Fotografie an der Fachhochschule Dortmund): Während meines ersten Studiums kaufte ich mir eine analoge Kompaktkamera und entwickelte meine Filme im Fotolabor der Universität. Der handwerkliche Aspekt der Fotografie begeisterte mich so sehr, dass ich die meiste Zeit ins Fotografieren, das Anfertigen von Abzügen und das Experimentieren im Labor investierte. Um mich noch intensiver mit dem Medium, seiner Theorie und Geschichte zu beschäftigen, bewarb ich mich für ein Studium der Fotografie. WAS REIZ T DICH DAR AN, MENSCHEN ZU P OR TR ÄTIEREN?

Julia Bauer: Wenn ich jemanden porträtiere, entsteht nicht nur ein Bild. Ich habe die Chance, jemandem zu begegnen, gemeinsam einen intimen Moment zu haben. Im besten Fall findet sich davon auch auf dem Foto etwas wieder. Das öffnet mir eine Tür zu Menschen und Situationen, die ohne meine Kamera verschlossen wäre. Marcus Heine: Die Begegnung mit Menschen und dass ich nie weiß, was genau passieren wird. WEN HÄT TES T DU GERNE MAL VOR DER K AMER A?

Julia Bauer: Puh. Das kann ich gar nicht sagen. Eigentlich kann bei jedem Porträt etwas Tolles entstehen. Marcus Heine: Niemand im Besonderen. Ob ich ein Porträt aufnehmen möchte, hängt immer von dem Menschen und der Situation ab.


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