MATCHBOX 2016
DAS WANDERNDE KUNST- UND KULTURPROJEKT IN DER REGION RHEIN-NECKAR
MATCHBOX 2016 9.9. – 16.10.2016
INHALT MATCHBOX 06 JOURNALISMUSPROGRAMM 09 NIBELUNGEN CYCLE
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NEUANFANG IM ODENWALD
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HEMSBACH PROTOCOL
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WILLKOMMENER ABSCHIED
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STORYLINES 22 NUR EIN PAAR RUDERSCHLÄGE VONEINANDER ENTFERNT
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TATORT NECKARTAL
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WAS FREMDE FINDEN
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FAHRTENSCHREIBER 30 FERIEN VOM ICH
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NO DRAMA VON ANIS HAMDOUN
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NECKARTAGE VON DAVID WAGNER
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EIN BLUMENTOPF FÜR JUDITH BUTLER VON JULIA WOLF
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KÜNSTLERINDEX 41 MATCHBOX DANKT
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PARTNER UND UNTERSTÜTZER
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TEAM / IMPRESSUM
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MATCHBOX
DAS WANDERNDE KUNST- UND KULTURPROJEKT IN DER REGION RHEIN-NECKAR Matchbox erschließt als wanderndes Kunst- und Kulturprojekt Schritt für Schritt die Landkarte der Region Rhein-Neckar. 2016 trafen zum zweiten Mal Kunstschaffende verschiedener Sparten auf Kommunen der Region, in und mit denen sie ungewöhnliche, eigensinnige und sehr ortsspezifische Kunstprojekte entwickelten. Das Kulturbüro der Metropolregion Rhein-Neckar lädt international renommierte Künstlerinnen und Künstler ein, gezielt den ländlichen Raum abseits der urbanen Zentren zu bespielen. Im Mittelpunkt dieses einzigartigen Kunst- und Kulturprogramms steht der künstlerische Prozess, die unmittelbare Teilhabe und das Erleben von Kunst direkt vor der eigenen Haustür – in Gemeinden in Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz. Matchbox ist ein partizipatives Format, das die Lebenswelten der Menschen in der Region zum Thema, sie selbst aber auch zu Protagonistinnen und Protagonisten macht. Die kulturellen Eigenheiten der Region, die Traditionen und Geschichten der Gemeinden und der Austausch mit den Menschen vor Ort bilden die Grundlagen der Kunstprojekte. Die Lust an Partizipation und das Interesse, künstlerische und soziale Prozesse zu begleiten und mitzugestalten, sind hoch. Das hat sich auch 2016 wieder gezeigt. Bei der zweiten Auflage von Matchbox lag der geografische Schwerpunkt im Neckartal. In Kooperation mit der S-Bahn RheinNeckar wurden Züge und Kommunen von Heidelberg bis Mosbach zum Bühnenbild, Zuschauerraum oder mobilen Schreibtisch. Neben den Projekten STORYLINES (S. 22), TATORT NECKARTAL (S. 26) und FAHRTENSCHREIBER (S. 30) wurden außerdem zwei Projekte präsentiert, die bereits im Auftaktjahr begonnen hatten. Die Performance HEMSBACH PROTOCOL (S. 16) und das Stummfilmprojekt NIBELUNGEN CYCLE (S. 12) werden zukünftig an weiteren Orten im Rhein-Neckar-Gebiet und darüber hinaus zu sehen sein. Denn Matchbox zieht weiter durch die Region, manifestiert sich in unterschiedlichen Formen und strahlt über die Landes- und Bundesgrenzen hinaus.
MATCHBOX 2016 5 PROJEKTE 13 KOMMUNEN 23 VERANSTALTUNGEN 2.500 MITWIRKENDE
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Erรถffnung von Matchbox 2016 im Nationaltheater Mannheim.
Pressekonferenz am Heidelberger Hauptbahnhof.
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Miriam Bott
Jonathan Horstmann
Lisa Wazulin
Manon Lorenz
Sandra Kathe
JOURNALISMUSPROGRAMM 2016 wurden zum ersten Mal auch Matchbox-Projekte und junge Journalistinnen und Journalisten „gematcht“: Vier Autorinnen und ein Autor haben im Auftrag des Kulturbüros der Metropolregion Rhein-Neckar jeweils ein Projekt begleitet. Sie haben Proben besucht, Mitwirkende interviewt und Künstlerinnen und Künstler porträtiert. Haben beobachtet, wie eine Performance oder ein Stück wächst, aber auch beschrieben, was am Ende herausgekommen ist. Die dabei entstandenen Texte und Bilder sind zu finden auf www.matchbox-rhein-neckar.de/blog. Dieses Programm ist eine Möglichkeit, junge Kulturjournalistinnen und -journalisten zu fördern. Ein Angebot, sich intensiver mit Kunst und Kultur auseinanderzusetzen, als es der Redaktionsalltag erlaubt. Und nicht zuletzt eine Chance, Journalistinnen und Journalisten in einen Austausch untereinander, aber auch mit Kunstschaffenden zu führen. Denn nur wer versteht, was er sieht, hört oder fühlt, kann dafür geeignete Worte finden. Erst recht, wenn sich das Erlebnis – wie so oft bei Matchbox – den Kriterien einer klassischen Kunstkritik entzieht. Weil es eben nicht nur um das Erlebnis geht, sondern auch um den Weg dorthin. Für die vorliegende Dokumentation haben sich die Autorinnen und der Autor eine weitergehende Frage zu ihrem Projekt gestellt: Jonathan Horstmann zeigt in seinem Beitrag, wohin die künstlerische Reise des New Yorker Performanceduos Nature Theater of Oklahoma nach dem Erfolg des Stummfilmprojekts NIBELUNGEN CYCLE führt (S. 15). Lisa Wazulin erklärt, warum der Abschied von Geflüchteten bei dem Projekt HEMSBACH PROTOCOL kein Grund ist, traurig zu sein (S. 19). Manon Lorenz erzählt anhand zweier Beispiele, welche faszinierenden Geschichten sich hinter den Ausschnitten und Akteuren verbergen, die das Publikum bei dem performativen Tourformat STORYLINES entdecken durfte (S. 25). Miriam Bott lässt den Regisseur und den Autor des S-Bahn-Krimis TATORT NECKARTAL berichten, wie sie für den Plot durch die Region und deren Geschichte reisten (S. 29). Und Sandra Kathe hat mit den FAHRTENSCHREIBERN über ihre Recherchen für das literarische Experiment im Neckartal gesprochen (S. 33).
U A L IS M JOUR N A M M R P R OG
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Pavol LiĹĄka von Nature Theater of Oklahoma bei der Premiere des Filmprojekts NIBELUNGEN CYCLE am Nationaltheater Mannheim.
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NIBELUNGEN CYCLE
NATURE THEATER OF OKLAHOMA (US)
Der Stummfilm DIE NIBELUNGEN des New Yorker Künstlerduos Nature Theater of Oklahoma feierte im September 2016 seine Uraufführung am Nationaltheater Mannheim. Der Film ist das Ergebnis des Projekts NIBELUNGEN CYCLE, einem fast zweijährigen künstlerischen Prozess und der Zusammenarbeit vieler Menschen: Für die Verfilmung des großen deutschen Epos nach Fritz Langs expressionistischem Vorbild waren Kelly Copper und Pavol Liška ins Rhein-Neckar-Gebiet gereist, an die Originalschauplätze der Nibelungensage. Zur Vorbereitung hatten sie in ihrer Heimat Deutschkurse am Goethe-Institut besucht und Brieffreundschaften mit Menschen aus der Region geschlossen. Drei Wochen radelten sie anschließend mit großer Filmausrüstung durch zehn Kommunen im und um den Odenwald, unterstützt von hunderten Bewohnerinnen und Bewohnern. Die Gemeinden lieferten dabei Themen und Motive, private Schlafzimmer wurden zu Drehorten, die historische Lorscher Stadtkasse wurde kurzerhand zum Nibelungenschatz umfunktioniert, das Hermann Art Kollektiv – ein regional einzigartiger und interdisziplinär ausgerichteter Verbund von Künstlerinnen und Künstlern – unterstützte das Projekt musikalisch. So trägt der Film nicht nur die Handschrift der beiden Regieführenden, sondern auch die metaphorischen Fingerabdrücke der Menschen aus der Region. Der Film wird in Zukunft auf internationalen Gastspielen u.a. in New York und Wien zu sehen sein. MIT Fernando Gomez, Petra Grafenhorst, Daniel Kennig, Astrid Lichti, Pia Marienfeld, Reinhard Küßner, Arne Löber, Monika Loser, August Richard, Jens Schambach, Marilyn Nova White u.v.m.
NATURE THEATER OF OKLAHOMA Kelly Copper und Pavol Liška arbeiten seit 1997 zusammen. 2006 gründeten sie gemeinsam das New Yorker Nature Theater of Oklahoma und entwickelten neuartige Verbindungen von Oper, Tanz, Theater und Film gepaart mit Popkultur und Humor. Mittlerweile ist das Nature Theater of Oklahoma eine der bekanntesten New Yorker Off-Off-Off-Broadway-Truppen. Frühere Arbeiten waren auf den wichtigsten Theaterfestivals der Welt zu Gast, darunter Wiener Festwochen, Berliner Theatertreffen, Festival d’Avignon u. v. m. Die neunteilige Perform anceReihe LIFE AND TIMES wurde in den Mousonturm Frankfurt, nach Kampnagel Hamburg, zur Ruhrtriennale sowie zum steirischen herbst eingeladen und war u.a. in Frankreich, Australien, USA, Schweden und England als Gastspiel zu sehen.
2 NEW YORKER 10 KOMMUNEN 156 MINUTEN FILM
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MATCHBOX PRÄSENTIERT
NATURE THEATER OF OKLAHOMA
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Kelly Copper und Pavol LiĹĄka mit ihren Darstellerinnen und Darstellern auf der BĂźhne.
Schlussapplaus bei der Filmpremiere im Nationaltheater Mannheim.
NEUANFANG IM ODENWALD
VON JONATHAN HORSTMANN
Manchmal im Leben sollte man die Koffer packen und irgendwo anders auf der Welt neu anfangen. Den amerikanischen Performancekünstlern Kelly Copper und Pavol Liška dämmerte das, als sie eines Tages das Gefühl hatten, sich mit ihrem Ensemble vom Nature Theater of Oklahoma festgefahren zu haben. Zehn Jahre lang waren die beiden zusammen mit ihren Kollegen aufgetreten, hatten sich perfekt – vielleicht zu perfekt – aufeinander eingespielt. Bis sie fanden, dass es Zeit war, aus der Routine auszubrechen. Sie folgten der Einladung des Kulturbüros ins Rhein-Neckar-Gebiet und riefen sich den dort spielenden Fritz-Lang-Film DIE NIBELUNGEN in Erinnerung. Frei und unverbraucht wirken die Schauspieler in diesem Klassiker von 1924, bis heute. „Warum nicht mit der gleichen Experimentierfreude eine Hommage an den deutschen Stummfilm drehen und sich dabei künstlerisch neu erfinden?“, überlegten Copper und Liška. Im Sommer 2015 heuerten sie ein paar Laiendarsteller an und zogen durch den Odenwald, um ihren Plan umzusetzen – an den Originalschauplätzen der Nibelungensage. Anderthalb Jahre später ist aus der abenteuerlichen Tour ein fertiger Film geworden. Zufrieden blicken die Künstler auf die Uraufführung ihres NIBELUNGEN CYCLE zurück. Sie sind dankbar für die vielen Freiwilligen, die vor und hinter der Kamera geholfen haben. „Mir wird erst jetzt wirklich klar, wie großzügig alle mit uns waren“, sagt Copper. „Immerhin hatten sie ja keine Vorstellung davon, was wir mit dem Material anstellen würden. Es macht uns sehr glücklich, dass sie am Ende so stolz auf das Ergebnis waren.“ Sich selbst haben die New Yorker den Wunsch erfüllt, festgetretene künstlerische Pfade zu verlassen und dem Spontanen wieder einen Platz im kreativen Prozess einzuräumen. Immerhin gehört das Probieren und Immer-wieder-neu-Anfangen zu den grundlegenden Stilmitteln des experimentellen Theaters, dem sie entstammen. Der motivgespickten, überdrehten Art des Filmemachens wollen die beiden auch in Zukunft nachgehen. Ihr neuer Streifen mit dem Titel GERMANY YEAR 2071 ist bereits im Kasten, auch zwei Darstellerinnen aus dem Nibelungen-Cast waren wieder mit dabei. Das „Nature Theater“ hat sich bei dem Projekt erneut mit nationaler Mythologie und Regionalkultur auseinandergesetzt. Das Ergebnis, eine Science-Fiction-artige Gegenüberstellung der deutschen Vergangenheit und Zukunft, wird im Juni 2017 seine Premiere beim Impulse Theater Festival in Köln feiern und dann als Hörfassung im Radio laufen. „Mit den Nibelungen haben wir ein neues Kapitel in unserer Karriere aufgeschlagen“, sagt Copper. In der Theaterwelt öffnen sich für sie und Liška neue Türen. Sie dürfen jetzt sogar das Werk einer Literaturnobelpreisträgerin inszenieren: Elfriede Jelineks Roman DIE KINDER DER TOTEN spielt in der Steiermark und wird in diesem Jahr beim steirischen herbst, einem internationalen Festival für zeitgenössische Kunst, als Film neu interpretiert. Auch dort werden die Künstler demonstrieren können, wie ihre Kreativität an den Originalschauplätzen einer Textvorlage wirkt. Vor allem Jelinek selbst scheint sich davon viel zu versprechen. Jemand anderem als den New Yorkern, wird die Autorin zitiert, hätte sie ihr Werk nämlich gar nicht anvertraut. JONATHAN HORSTMANN arbeitet nach seinem Studium der Religionsphilosophie, Soziologie und Filmwissenschaft in Frankfurt am Main als freier Journalist und Filmkritiker.
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HEMSBACH PROTOCOL
MAMMALIAN DIVING REFLEX / DARREN O’DONNELL (CAN)
HEMSBACH PROTOCOL hat im Laufe eines zweijährigen Prozesses innovative Ansätze von Integration erprobt – und dabei wertvolle Einsichten gewonnen. Darren O’Donnell, Gründer und künstlerischer Leiter des kanadischen Kollektivs Mammalian Diving Reflex, zog zunächst mehrere Wochen in ein Flüchtlingswohnheim in Hemsbach. Um sich dem Projekt mit größtmöglicher Aufmerksamkeit widmen zu können, verlegte er schließlich seinen Lebensmittelpunkt von Toronto an die Bergstraße. Die Wahl auf Hemsbach fiel vor dem Hintergrund des besonderen Engagements der Stadt, die sich den finanziellen, organisatorischen und vor allem menschlichen Aufgaben der Integration von Geflüchteten auf bemerkenswerte Weise stellt. Für Kreise und Kommunen sind die damit verbundenen Anforderungen, von der ersten Unterbringung bis zur Vermittlung von Zukunftsperspektiven, seit 2015 enorm gestiegen. Allein in Hemsbach wurden in den vergangenen zwei Jahren über 400 Geflüchtete aufgenommen. Das Team um Darren O’Donnell setzt mit seinen langfristig angelegten Projekten stets an den Sollbruchstellen der Gesellschaft an, um sie durch sensible künstlerische Interventionen dauerhaft zu verändern. In Hemsbach baute die Gruppe vielfältige Verbindungen zu Geflüchteten, Ehrenamtlichen, lokalen und überregionalen Akteuren auf. Es entstanden neue Netzwerke aus Einheimischen und Zugezogenen, Freundschaften und professionelle Kontakte – über das Projekt wurden schließlich Praktika und Stellen vermittelt. Das Spektrum der künstlerischen Mittel reichte dabei von Veranstaltungen wie einem internationalen Kochwettbewerb bis zur unkonventionellen Umsetzung einzelner Pilotprojekte, etwa eines Autoexports von Hemsbach nach Gambia. Um die Erkenntnisse des Projekts zu teilen, entwickelte Darren O’Donnell gemeinsam mit einer Gruppe von zwölf Geflüchteten eine Performance. Sie dokumentiert den Weg von HEMSBACH PROTOCOL und lässt die jungen Männer aus Gambia, Nigeria, Mazedonien, Iran und Irak selbst zu Wort kommen und von ihrer aktuellen Lebenswirklichkeit berichten. Nach Projektpräsentationen am Badischen Staatstheater Karlsruhe und bei zeitraumexit in Mannheim wurde die Performance zu Gastspielen ans Theater im Pfalzbau Ludwigshafen sowie ans Schauspiel Frankfurt eingeladen und wird weiter touren. TEAM Igor Avramovski, Konstantin Bock, Nuha Bojang, Ebrima Colley, Jana Eiting, Alice Fleming, Lea Gerschwitz, Hanna Green, Marie-Luise Hohenadel, Lamin Dabally Kassa, Sutay Nije, Darren O’Donnell, Fitim Pajazitaj, Nwachukwu Samuel, Sarjo Sanneh, Arman Sharif, Marina Stefan, Ibrahim Sulaiman, Onwe Sunday, Eva Verity, Jenna Winter, Papa Yankis u. a.
MAMMALIAN DIVING REFLEX / DARREN O’DONNELL Darren O’Donnell ist Gründer und künstlerischer Leiter von Mammalian Diving Reflex, Dramatiker, Theater- und Filmregisseur, Stadtplaner sowie Autor u. a. des Buches SOCIAL ACUPUNCTURE, das sich für eine Ästhetik von bürgerschaftlichem Engagement ausspricht. Die Arbeiten von Mammalian Diving Reflex wurden mehrfach ausgezeichnet und weltweit gezeigt, u. a. bei Kunstenfestivaldesarts (Brüssel), PuSh Festival (Vancouver), Performa (New York), TBA Festival (Portland) sowie am Sydney Opera House, LIFT (London) und bei der Ruhrtriennale.
2 JAHRE 15 NATIONEN 1 AUTOEXPORT
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HEMSBACH PROTOCOL im Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen.
WILLKOMMENER ABSCHIED
VON LISA WAZULIN
Krieg, Terror, politische Verfolgung: alles Bedrohungen, die die jungen Männer dazu bewegt haben, nach Deutschland zu fliehen. Genau genommen hat es sie in die kleine Stadt Hemsbach verschlagen, ein verschlafener Ort, der nicht oft Fremde zu Gesicht bekommt. Dass diese Fremden nun plötzlich auch noch zu Nachbarn werden sollen, gefällt nicht jedem Hemsbacher. Bei einer Wahlbeteiligung von 70 Prozent hatte die „Alternative für Deutschland“ bei der Landtagswahl 2016 hier 19 Prozent erreicht – fast jeder fünfte Wähler stimmte also für die AfD und gegen Zuwanderung. Was aber passiert, wenn plötzlich ein außergewöhnlicher Künstler auftaucht und alles durcheinander wirbelt? Darren O’Donnell hat genau das getan. Aus der Metropole Toronto zog der kanadische Theaterregisseur und Städteplaner ins beschauliche Hemsbach. Mit dem auf zwei Jahre angelegten Projekt HEMSBACH PROTOCOL wollten O’Donnell und sein Künstlerkollektiv Mammalian Diving Reflex zeigen, was Kunst alles bewegen kann. Dafür haben sie Geflüchtete mit Einheimischen in Kontakt gebracht, wie etwa mit dem Projekt „Hemsbacher Heinzelmännchen“. „Was braucht ihr?“, wollte O’Donnell von seinen Schützlingen wissen. Die Antwort war eindeutig: Jobs, Jobs, Jobs. Zwar sind viele der jungen Männer ausgebildete Klempner, Gärtner oder Malermeister – eine Chance, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, gab es für sie in Hemsbach bis dahin aber nicht. Um das zu ändern, arbeiteten O’Donnell und einige Geflüchtete eine Woche lang als „Heinzelmännchen“: Ehrenamtlich verpassten sie der örtlichen Kegelbahn einen neuen Anstrich und befreiten den Friedhof von Unkraut. Das Ziel dabei: potenziellen Arbeitgebern wie Handwerksbetrieben und Unternehmen zu zeigen, dass die jungen Männer die deutschen Standards erfüllen können. Zwar gelang es O’Donnell so, Kontakte zwischen Geflüchteten und Deutschen herzustellen, erste Praktika in Betrieben zu vermitteln und neue Hoffnung zu schüren, aber trotzdem blieben Fragen: Was passiert nach seiner Abreise? Können es die Geflüchteten auch alleine schaffen, den Kontakt zu den Hemsbachern zu halten? Für den Kanadier selbst ist seine Aktion in erster Linie eins: ein Vorhaben ohne Ablaufdatum. Nach dem Prinzip der „social acupuncture“ baut er in seinen Projekten auf bestehende Strukturen auf und stimuliert, wie bei einer Akupunktur, gezielt einzelne Stellen. In Hemsbach konnte er sich auf das Engagement des bürgerschaftlichen Integrations-Projekts (BIP) stützen. Rund 100 Menschen aus Hemsbach und den umliegenden Gemeinden haben sich darin bis heute zusammengeschlossen, um den Neuankömmlingen unter die Arme zu greifen. Denn dem Ergebnis der Landtagswahl zum Trotz wollten einige Hemsbacher klarstellen: Auch wir schaffen das! Sich selbst empfindet O’Donnell bei solchen Projekten als nicht so wichtig. Vielmehr will er als sanfter Unruhestifter Anstöße geben, die neue Verbindungen ermöglichen. Mit manchen Teilnehmern aus früheren Aktionen ist er bis heute befreundet, manche sind sogar Teil seines Künstlerkollektivs geworden. Daher schmerzt es ihn auch nicht, Hemsbach nach fast zwei Jahren wieder zu verlassen. „Wir verabschieden uns ja nur auf Zeit, viele werde ich bestimmt wiedersehen“, sagt der Künstler zuversichtlich. Und die Geflüchteten? Sie verlieren mit O’Donnell schließlich eine vertrauenswürdige Bezugsperson, ein offenes Ohr und seine Wohnung, die für viele wie ein kleiner Zufluchtsort mit kostbarem Internetzugang war, über den sie mit ihren Liebsten Kontakt hielten. Auch dafür hat der gutmütige Kanadier eine Antwort parat: „Unsere Projekte sind so ausgerichtet, dass wir irgendwann selbst überflüssig werden.“ So hat er es geschafft, mit seinen Aktionen die Geflüchteten in die deutsche Gesellschaft einzuführen. In einem Fall ist das sogar so gut gelungen, dass sich der junge Mann am Ende der Kunstaktion ein eigenes Leben in Deutschland aufgebaut hat, mit einem Job und deutschen Freunden. Für die Hemsbacher Gemeinschaft auf Zeit hat das Wort „Abschied“ deshalb eine positive Bedeutung: Wer sich verabschiedet, ist endlich in Deutschland angekommen. LISA WAZULIN ist Volontärin bei der „Stuttgarter Zeitung“.
19 US A L IS M JOUR N A M M R P R OG
HESSEN
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BENSHEIM
KREIS BERGSTRASSE HEPPENHEIM
WORMS LORSCH BÜRSTADT LAMPERTHEIM
RHEINLANDPFALZ
GRÜNSTADT VIERNHEIM WEINHEIM
LANDKREIS BAD DÜRKHEIM
FRANKENTHAL
BAD DÜRKHEIM
MANNHEIM
LUDWIGSHAFEN
RHEIN-PFALZ-KREIS SCHIFFERSTADT HASSLOCH
NEUSTADT A.D. WEINSTRASSE
SCHWETZINGEN
WALLDORF WIESLOCH
LANDKREIS SÜDLICHE WEINSTRASSE GERMERSHEIM
LANDAU
BADENWÜRTTEMBERG
HERXHEIM
BAD BERGZABERN
LANDKREIS GERMERSHEIM KANDEL
WÖRTH
5 KM
HEIDELBERG
SPEYER
EDENKOBEN
ANNWEILER
HEMSBACH
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BUCHEN
EBERBACH HIRSCHHORN
NECKAR-ODENWALD-KREIS
NECKARHAUSEN NECKARSTEINACH
ZWINGENBERG NECKARGERACH OBRIGHEIM
NECKARGEMÃœND
MOSBACH
RHEIN-NECKAR-KREIS
SINSHEIM
MATCHBOX IM NECKARTAL DIE PROJEKTE STORYLINES, TATORT NECKARTAL UND FAHRTENSCHREIBER FANDEN IN DEN S-BAHNEN UND KOMMUNEN ENTLANG DER BAHNSTRECKE ZWISCHEN HEIDELBERG UND MOSBACH STATT.
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STORYLINES LEA ADERJAN (DE)
Für ihr partizipatives Tour- und Audioformat STORYLINES begab sich Regisseurin Lea Aderjan auf die Suche nach den Narrativen des Neckartals und den Schlüsseln zu diesen Geschichten – den Bewohnerinnen und Bewohnern. Sie lud ein, stellte Fragen und hörte zu. So führte STORYLINES entlang der Bahnstrecke zwischen Heidelberg und Mosbach auf abwegigen Pfaden zu Biografien, Orten, Erlebnissen und Sehenswürdigkeiten, die kein regionaler Fremdenführer verzeichnet. Drei unterschiedliche Touren zeigten an den Schauplätzen von STORYLINES Performances und Dauerinstallationen, die die Künstlerin mit den Projektteilnehmerinnen und -teilnehmern erarbeitete. In Neckarsteinach entpuppte sich der Aufstieg zur Mittelburg als der ehemalige Heimweg der Tourleiterin, die lange in der Burg zu Hause war und dennoch eines Tages beschlossen hatte, dort auszuziehen. Ein Neckargemünder Bürger verriet im Fotolabor sein Lieblingsmotiv: der wartende Mensch. Und in Obrigheim lud eine ganze Familie zur aktiven Teilnahme am Rodeo auf ihrer hauseigenen Ranch ein. Als Anekdoten fanden die gesammelten Geschichten außerdem in Form von Lautsprecheransagen, vertont von den STORYLINES-Protagonistinnen und Protagonisten selbst, ihren Weg zurück in die S-Bahnen. Sie begleiteten Pendlerinnen und Pendler als akustische Alltagsirritationen und luden Einheimische wie Auswärtige ein, den STORYLINES zu folgen. MIT Diana Ambergs, Maria Embulaeva, Enno Folkerts, Ute Fries, Nils Gier, Daniel Grosshart-Maticek, Herbert Hauck, Gilda Hernandez, Jens Hertel, Gerhard Koch, Achim Landwehr, Melanie Melchior, Robert Moray, Johanetta Müller, Lara Müller, Carmen Persch, Luzia Scharf, Dominic Schott, Yannick Söhngen, Manfred Straetz, Moritz Streif, Thomas Uhl, Familie Waldenberg, Familie Warsberg, Yvonne Weber; Café Reichspost in Eberbach, Deutsche Rodeo Cowboy Association e.V. in Obrigheim, Flowerstation in Heidelberg Schlierbach-Ziegelhausen, Freiherr-vom-Stein-Bibliothek in Neckarsteinach, Freundeskreis Fähre Neckarhausen-Neckarhäuserhof e.V., Gasthof und Pension „Zur Eisenbahn“ in Neckargerach, NaturFreundehaus Zwingenberger Hof, Mittelburg in Neckarsteinach, Villa Menzer in Neckargemünd
LEA ADERJAN Jahrgang 1987, wuchs zwischen Norddeutschland und Mannheim auf und arbeitet als freie Regisseurin. Sie studierte Soziale Arbeit in Ludwigshafen sowie Theaterpädagogik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Im Anschluss folgten zahlreiche Assistenzen im Bereich Regie am Nationaltheater Mannheim, u. a. bei Tobias Rausch, Miriam Tscholl, Lajos Talamonti und Dominic Friedel, mit Fokus auf die in der Spielzeit 2012/2013 neu gegründete Sparte der Bürgerbühne. In deren Rahmen leitete sie den Spielclub CLUB DER ALLTÄGLICHEN. Zuletzt inszenierte Lea Aderjan LANGZEITSTÜRMER, eine Stückentwicklung mit 20 Langzeitarbeitslosen, die am Nationaltheater Mannheim gezeigt wurde.
3 TOUREN 7 STATIONEN 67 AVE MARIAS
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NUR EIN PAAR RUDERSCHLÄGE VONEINANDER ENTFERNT
VON MANON LORENZ
Es ist bereits dunkel bei der Ankunft in Neckarhausen bei Neckarsteinach, der einzigen STORYLINES-Station, die zwei Performances bereithält. Die Entscheidung fällt per Los. Wer ein Fährticket zieht, für den geht es mit dem Boot über den Neckar ans badische Ufer. Der Rest, das alte Kommunionsbild eines jungen Mädchens in den Händen, bleibt auf der hessischen Seite und findet sich oberhalb des Neckarufers in einem Holzschuppen wieder. Eine zierliche Frau in nonnenhafter Gewandung öffnet die Tür. Sie spricht kein Wort, sondern schlägt für jeden der Anwesenden ein rohes Ei in eine Tonschale. Beim vorletzten Teilnehmer angekommen, erschrickt sie plötzlich, starrt entsetzt auf den Inhalt des Eis und reibt alle Versammelten eilig mit einem Bündel duftender Kräuter ab. Eine Etage höher wird dann eine Art religiöse Zeremonie abgehalten: Das Publikum kniet auf dem Boden, während die mysteriöse Gastgeberin ein spanisches Gebet unzählige Male wiederholt. Zum Abschluss muss jeder eine Frage von einem Zettel ablesen, die von ihr beantwortet wird. Auch hier wieder alles auf Spanisch, niemand versteht ein Wort. Neckarhausen bei Neckarsteinach ist eine von insgesamt sieben Stationen, die sich auf drei unterschiedliche STORYLINES-Touren verteilen. Für jede Station hat Regisseurin Lea Aderjan eine Performance mit Bewohnern des Neckartals entwickelt. Der Schuppen in Neckarhausen erscheint bei Tageslicht nicht halb so schaurig-schön wie bei Kerzenschein und Weihrauchgeruch. Er dient als Lagerplatz für allerlei Werkzeug und gehört Gilda Hernandez. Mit Anfang 30 zog die gebürtige Mexikanerin an den Neckar, wo sie seither mit ihrem Mann lebt. Während ihrer Performance entführte sie das Publikum in die Welt mexikanischen Brauchtums und in ihre eigene Vergangenheit. Das Eier-Ritual sei ein Mittel, um böse Geister zu entlarven, erklärt sie später. „Wenn der Inhalt des Eis schwarz ist, bedeutet das, dass jemand negative Energie in sich trägt.“ Bei der anschließenden Zeremonie auf dem Dachboden des Schuppens ließ Gilda Hernandez die Anwesenden an ihren Kindheitserinnerungen teilhaben. In Mexiko besuchte sie als junges Mädchen eine Nonnenschule. Mehrere Male machte sie einen Austausch in ein indigenes Dorf, in dem die Nonnen unterrichteten. „Einmal waren wir über Ostern dort. Wir mussten die ganze Nacht in der Kirche bleiben, auf dem Boden knien und den Rosenkranz beten. Irgendwann wurden wir so müde, dass es fast eine ekstatische Erfahrung war“, erinnert sie sich. Doch das war nicht die einzige prägende Erfahrung in dieser Zeit. „Wir sollten den älteren Frauen im Dorf Gesellschaft leisten. Die haben aber nur einen indigenen Dialekt gesprochen“, erzählt Gilda Hernandez weiter. Um trotzdem mit den Frauen ins Gespräch zu kommen, bekam sie von den Nonnen einen Zettel mit Fragen vorgelegt, die sie vorlesen sollte. „So wie die Leute in meinem Schuppen habe auch ich damals kein Wort verstanden.“ Die andere Gruppe muss weder sprachliche Hürden überwinden, noch erfährt sie etwas von der Vergangenheit ihrer Begleiterin. Stattdessen beginnt mit dem Einstieg in das Ruderboot eine Zeitreise in die Geschichte der Region. Am anderen Ufer, im Ortsteil Neckarhäuserhof angekommen, finden sich die Teilnehmer als Einwanderer in der Mitte des 17. Jahrhunderts wieder. Über die Hälfte der Odenwälder Bevölkerung war damals dem Dreißigjährigen Krieg zum Opfer gefallen. „Ihr Neusiedler bringt die erste konstante Besiedlung in dieser Gegend. Willkommen bei uns, lasst uns anstoßen“, begrüßt Ute Fries die Neuankömmlinge und macht es sich mit ihnen am Lagerfeuer gemütlich. Kurze Zeit später werden aus den Einwanderern aber wieder Auswanderer, denn die wirtschaftliche Not in der Region nahm im 19. Jahrhundert zu. „Ihr müsst euch beeilen, das Boot legt schon ab“, mahnt Ute Fries. „Oder seid mutig und lasst uns sesshaft werden.“ Im Gegensatz zur Gruppe, die schließlich wieder ans andere Ufer gebracht wird, hat Ute Fries sich vor einigen Jahren im Ortsteil Neckarhäuserhof niedergelassen. Sie ist Vorstandsmitglied des Freundeskreises der Fähre Neckarhausen-Neckarhäuserhof und setzt sich für deren Erhalt ein – so wie fast jeder im Ort. Denn die Fähre verbindet das badische Ufer mit der S-Bahnlinie auf der hessischen Seite – ein Angebot, das Schüler und Pendler täglich nutzen. Zudem ist sie ein beliebtes Ausflugsziel bei Touristen und Wanderern. Als die Fähre im 19. Jahrhundert in Betrieb genommen wurde, beförderte sie hingegen Pferdefuhrwerke und Arbeiter aus den umliegenden Steinbrüchen. Für Ute Fries hat die „schwimmende Brücke“ nicht nur eine praktische, sondern auch eine emotionale Bedeutung, weil sie hilft, Freundschaften aufrechtzuerhalten. So wie die zu Gilda Hernandez. Auch sie ist Mitglied im Fährverein und wohnte anfangs auf der Neckarhäuserhofseite. „Zum Glück ist sie dann einfach nur ans andere Ufer gezogen“, freut sich Ute Fries. Beide wohnen sich jetzt direkt gegenüber. Obwohl ihr Zuhause in zwei verschiedenen Bundesländern liegt, leben sie nur ein paar Ruderschläge voneinander entfernt. „Im Sommer veranstalten wir häufig Lagerfeuer am Fährhäuschen“, berichtet Ute Fries. „Gilda und jeder, der Lust hat, schippert dann mit der Fähre oder dem Boot von Neckarhausen zu uns herüber. Das sind immer sehr schöne Abende“, schwärmt sie. An Auswanderung denkt keine der beiden Frauen. MANON LORENZ studiert Geschichte in Heidelberg und schreibt für die Studentenzeitung ruprecht.
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TATORT NECKARTAL – EIN BEWEGTER KRIMI DAVID ORTMANN, ANDREAS HILLGER (DE)
Auch in der friedlichen Provinz lauert Gefahr – das haben Regisseur David Ortmann und Autor Andreas Hillger mit ihrem TATORT NECKARTAL unter Beweis gestellt. Das am Anhaltischen Theater Dessau entwickelte, populäre Format ist eine Mischung aus Theaterabend, Live-Performance, Improvisationstheater und Video-Krimi. Ermittelt wird dabei nicht auf der Guckkastenbühne eines Theaters, sondern im wohl aufwändigsten Bühnenbild überhaupt: in den Straßen, Städten, auf den Bahnhofsvorplätzen und sogar in den S-Bahnen der Region. Projizierte Videosequenzen und liebevolle Stereotypen schlagen den Bogen zur beliebtesten Fernsehserie der Deutschen und laden das Publikum gleichzeitig ein, seine Region mit anderen Augen zu sehen. Im TATORT NECKARTAL ermittelten die Kommissare Heinrich Prinz, abgestürzte Polizeilegende aus Heidelberg, und sein Antagonist, der Mannheimer Überflieger Manuel Engel, notgedrungen gemeinsam und gerieten bei ihren Nachforschungen in die jahrhundertealte Fehde einer kleinen Stadt am Neckar. Ein brennender Weinkeller, ein Chor als Alibi und schließlich die Flucht der Täterin per Schnellboot – die aufwendige Produktion wäre ohne die Unterstützung der Bevölkerung vor und hinter den Kulissen nicht machbar gewesen. Gemeinsam haben Theatermacher, Kulturschaffende, Statistinnen und Statisten, Vereine, Sängerinnen und Sänger und viele andere etwas Einzigartiges geschaffen, das vor allem eines ist: eine theatrale Liebeserklärung an die eigene Region. MIT A ngelika Baumgartner, Thorsten Danner, Oliver Jaksch, Reinhard Mahlberg, Florian Mania; Motorradfreunde Neckargerach e.V., Freiwillige Feuerwehr Neckargemünd, Chor Crescendo Scharbach, Neckargemünder Wassersportverein von 1983 e.V.
DAVID ORTMANN arbeitete nach dem Abitur als Regieassistent am Nordharzer Städtebundtheater Halberstadt /Quedlinburg und am Anhaltischen Theater Dessau, später als Regisseur. Neben zahlreichen Inszenierungen am Dessauer Theater inszenierte er auch an den Bühnen Halle, der Bühne Wittenberg, am Theater Wismar, beim Aequinox-Festival Neuruppin und in diversen freien Produktionen. Er arbeitete mit renommierten Ensembles wie der Lautten Compagney Berlin und der Staatskapelle Halle zusammen. Von 2013 bis 2015 leitete er, gemeinsam mit der Dramaturgin Sabeth Braun, das Alte Theater Dessau. David Ortmann ist ab der Spielzeit 2017/18 Hausregisseur und Mitglied der Schauspielleitung am Theater Augsburg.
ANDREAS HILLGER geboren 1967 in Dessau, arbeitete nach einem kirchlichen Abitur zu DDR-Zeiten als Regieassistent, Transportarbeiter und Buchhändler. Nach der Wende war er bis 2012 als Kulturredakteur für die Mitteldeutsche Zeitung tätig, unter Pseudonym schrieb er ab 2007 Theaterstücke. Mit David Ortmann arbeitete Hillger, der von 2013 bis 2015 als Leitender Schauspieldramaturg am Dessauer Theater tätig war, als Autor u.a. bei den Wittenberger Inszenierungen JAGD AUF JUNKER JÖRG und GOTTES NARR UND TEUFELS WEIB sowie bei der Entwicklung der Dessauer Reihen DER STAATSANWALT HAT DAS WORT und TATORT DESSAU zusammen. Mit GLÄSERNE ZEIT hat Andreas Hillger zudem seinen ersten Roman veröffentlicht. Seit der Saison 2015/16 arbeitet er freiberuflich als Autor, Dramaturg und Kurator.
2 KOMMISSARE 1 KRONPRINZ 263 ERMITTLER
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Hauptkommissar Manuel Engel – Florian Mania
Kriminaloberkommissar Heinrich Prinz – Oliver Jaksch
Megali – Angelika Baumgartner
Hans-Jürgen Müller-Burkhardt – Thorsten Danner
WAS FREMDE FINDEN
VON MIRIAM BOTT
Lokalgeschichte der Rhein-Neckar-Region erzählen, die Bewohner teilhaben lassen und mit der S-Bahn fahren – soweit die Ausgangssituation des Matchbox-Projekts für Regisseur David Ortmann und Autor Andreas Hillger. Für Künstler, die nicht aus der Region stammen, ist das gar nicht so einfach. Denn keiner der beiden kannte die Rhein-Neckar-Region besonders gut, als sie das Projekt angingen. „Es ist ein anderes Suchen nach Geschichten. Man muss mehr graben, wenn man nicht dort wohnt und lebt“, sagt Ortmann über die Recherche des Stoffs für den TATORT NECKARTAL. Ortmann stammt aus Dessau – dort kennt er natürlich die Geschichten und Legenden, die sich um Gebäude oder Stadtviertel ranken. Zusammen mit Andreas Hillger hat er am Anhaltischen Theater den TATORT DESSAU entwickelt. Für Matchbox 2016 haben sie das Format weitergedacht – und basierend auf historischen Ereignissen für das Neckartal eine Krimiführung entwickelt, die auf die Partizipation der Zuschauer und Bewohner setzt. „Wir sind naiv und ahnungslos an die Recherche rangegangen“, sagt Hillger. Mehrere Tage hielten sie sich dafür in der Region auf. Nachdem sie über Zugplänen gebrütet hatten, stiegen sie in die S-Bahn, um eine besondere Geschichte zu suchen – und fanden sie in Neckargemünd. Auf dem Weg durch die Stadt entdeckten sie zwei historische Häuser: die ehemalige griechische Weinstube „Stadt Athen“ und die Villa Menzer. „Das war die große Entdeckung“, sagt Hillger. „Wenn man einmal einen Faden hat, kann man daran ziehen, und der Rest kommt hinterher. Vorher wusste ich nicht, wie das werden soll. Bei der ersten Fahrt durch das Neckartal dachte ich: Oh Gott!“ Mit Hilfe der Kulturreferentin von Neckargemünd, Doris Meyer zu Schwabedissen, recherchierten sie die ungewöhnliche Verbindung der Stadt mit Griechenland: Julius Menzer importierte Ende des 19. Jahrhunderts als Weingroßhändler griechische Weine nach Deutschland und bekleidete das Ehrenamt des griechischen Konsuls für die Region. Ihm gehörten sowohl die Weinstube als auch die Villa. Mit ein bisschen Fantasie ergab sich dann die Geschichte um den griechischen Gral, der Wächter und Geheimagenten anzieht. Die Figuren der beiden Kommissare aus Heidelberg und Mannheim waren für Ortmann und Hillger naheliegend: Die Schauspieler Oliver Jaksch und Florian Mania hatten zuvor Engagements in Heidelberg beziehungsweise Mannheim gehabt und standen damit sinnbildlich für die beiden rivalisierenden Städte. Auch wurden deren Polizeipräsidien, wie im Stück beschrieben, tatsächlich zusammengelegt. Im TATORT NECKARTAL gibt es aber auch viele Stellen, die beim Zuschauer kurz Verwunderung auslösen: Kann das wirklich stimmen? Da erzählt Kommissar Prinz in der S-Bahn zum Beispiel vom Motorradclub von Eddy Edelstahl in Neckarhausen oder dem Bordell „Haus Venus“ in Neckarsteinach – beides ist von der S-Bahn aus zu sehen. Oder die Geschichte vom Einsturz eines Menzer’schen Weinlagers, der zur Folge hatte, dass der gesamte Keller mit Wein überflutet wurde – ob seine Arbeiter tatsächlich darin ertrunken sind, sei einmal dahingestellt. „Das Verrückte ist: Das meiste ist eben nicht erfunden“, sagt Hillger. Das beweist: Wer nur gründlich gräbt, der findet auch an den scheinbar verschlafensten Orten tolle Geschichten, die gleichermaßen kurios und unbekannt sind. MIRIAM BOTT arbeitet für das Radio und studiert Mediendramaturgie in Mainz.
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FAHRTENSCHREIBER
ANIS HAMDOUN, DAVID WAGNER, JULIA WOLF (SYR/DE) Im Herbst 2016 lud Matchbox die Autoren Anis Hamdoun, David Wagner und Julia Wolf für eine Residenz in die Region ein und schickte sie dort auf Reisen: Zu Fuß oder mit der S-Bahn erkundeten die drei eine ihnen unbekannte Region mit dem Auftrag, sie zur Heimat auf Zeit zu machen und die dort lebenden Menschen zu beobachten und zu beschreiben. Dabei war die Auswahl der Schreibenden auf drei ganz unterschiedliche Persönlichkeiten gefallen. Der Syrer Anis Hamdoun kam 2013 nach Deutschland und machte sich im Rahmen der Residenz sofort auf die Suche nach Reibung – für den Theaterregisseur und Filmemacher war der offene Schreibauftrag auf dem Land etwas völlig Neues. Julia Wolf bereitete ihren Aufenthalt durch umfangreiche Recherche vor, traf einen Tierpräparator und einen Küfer, um sich schließlich doch für ein ganz anderes Sujet zu entscheiden. Protagonistin ihres Textes ist eine junge Frau und Pendlerin aus der Region. David Wagner geht in seinen Büchern häufig dem Gewöhnlichen auf den Grund, um das Sensationelle zu finden. Das Neckartal erkundete er fast ausschließlich zu Fuß. Die Texte wurden abschließend bei einer Lesung im Heidelberger Karlstorbahnhof von Anis Hamdoun, David Wagner und Julia Wolf präsentiert. Ende 2016 veröffentlichte die Rhein-Neckar-Zeitung Auszüge der entstandenen Texte, die auch hier abgedruckt sind (ab S. 34). ANIS HAMDOUN ist Autor, Regisseur und Filmemacher. Er wurde 1985 in Homs, Syrien, geboren. Er unterrichtete Theater und Englisch an Privatschulen. Ende 2013 kam er nach Osnabrück. Dort entwickelte er neben Inszenierungen für die englische Theatergruppe The Ostensibles gemeinsam mit Maan Mously das Fernsehformat ACHSO FROM OSNABRÜCK, das auf os1 tv und im Internet Geflüchteten die Strukturen der Stadt erläutert. Am Theater Osnabrück inszenierte Anis Hamdoun für das 6. Spieltriebe-Festival 2015 sein Stück THE TRIP, das beim Theatertreffen des Online-Fachportals nachtkritik.de 2016 auf den ersten Platz gewählt wurde. 2016 war mit Beethovens FIDELIO und dem EXPAT PHILHARMONIC ORCHESTRA in Fürth außerdem seine erste Operninszenierung zu sehen. Anis Hamdoun lebt mittlerweile in Berlin.
DAVID WAGNER 1971 geboren, debütierte mit dem Roman MEINE NACHTBLAUE HOSE. Es folgten der Erzählungsband WAS ALLES FEHLT, das Prosabuch SPRICHT DAS KIND, die Essaysammlungen WELCHE FARBE HAT BERLIN und MAUER PARK, die Kindheitserinnerungen DRÜBEN UND DRÜBEN (mit Jochen Schmidt) sowie der Roman VIER ÄPFEL, der auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand. 2013 wurde ihm für sein Buch LEBEN der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen, 2014 erhielt er den Kranichsteiner Literaturpreis und war erster „Friedrich-Dürrenmatt-Gastprofessor für Weltliteratur“ an der Universität Bern. Seine Bücher wurden in 17 Sprachen übersetzt. Im September 2016 erschien EIN ZIMMER IM HOTEL.
JULIA WOLF Jahrgang 1980, studierte Nordamerikastudien, Lateinamerikanistik und Germanistik. Sie schreibt für Radio, Theater und Film. Ihr Theaterstück DER DU wurde 2010 am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt und für den WDR als Hörspiel inszeniert. Ihr Debütroman ALLES IST JETZT erschien 2015 in der Frankfurter Verlags anstalt und wurde mit dem Kunstpreis der Lotto Brandenburg GmbH in der Sparte Literatur ausgezeichnet. Stipendien des Hessischen Literaturrats in Cetate, Rumänien, und der MacDowell Colony in New Hampshire, USA (2015), sowie des Künstlerhauses Edenkoben, der Akademie der Künste (Alfred-Döblin-Stipendium) und des Schriftstellerhauses Stuttgart (2016). Beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2016 stellte Julia Wolf einen Auszug aus ihrem zweiten Roman WALTER NOWAK BLEIBT LIEGEN (FVA 2017) vor und erhielt dafür den 3sat-Preis.
3 FREMDE 61 KILOMETER 1 LESUNG
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David Wagner, Julia Wolf und Anis Hamdoun bei der Lesung ihrer Texte im Karlstorbahnhof Heidelberg.
FERIEN VOM ICH
VON SANDRA KATHE
Literaturschaffende, Theatermacher und Kreative sind von Berufs wegen her erst einmal vieles: Sie vereinen die Funktion des Kritikers mit der des Beobachters, die des Hinterfragers mit der des Entdeckers. In eigenen Projekten beschäftigt sich etwa der Autor und Regisseur Anis Hamdoun, der aus einer syrischen Theatermacherfamilie stammt, mit seiner neuen Heimat in Deutschland. Julia Wolf zeichnet in ihren Romanen Charaktere, deren Stärke die Schwäche ist. Und David Wagner ist ein präziser Alltagsbeobachter, der in seiner Arbeit großes Interesse am vermeintlich Unscheinbaren zeigt. Alle drei vereinten diese Funktionen und Talente, als sie im vergangenen September auf Recherchereise ins Neckartal gingen – vier Tage lang, was eigentlich viel zu kurz ist, um das Bild einer Region zu zeichnen. Löst das ein Gefühl von Zeitdruck aus oder eines von Urlaub? Noch dazu, wenn es um eine Region geht, die für alle drei vor allem von Idylle und Ruhe geprägt ist. Anis Hamdoun lernte eine Seite von sich kennen, die er als meist mit Konflikten, Kriegen und Gewalt beschäftigter Künstler gar nicht mehr kannte: „Ich hatte niemals erwartet, etwas so Friedliches und Humorvolles zu schreiben“, sagt er und betonte schon bei der Lesung im Karlstorbahnhof, dass sich der Kurzausflug fast anfühlte wie Urlaub in einer unbekannten Welt fernab des Großstadtrummels, in dem er sich heimisch fühlt. Auch für Wagner, der während seiner Recherche hauptsächlich wanderte, war die Zeit am Neckar eine Art „Ferien vom normalen Ich“. „Ich durfte ein anderer sein für einige Tage. Das ist doch schon was. Ich war ein anderer. Einer, der spazieren geht.“ Am Ende ging es für alle aber auch darum, binnen weniger Wochen etwas zu Papier zu bringen. Julia Wolf arbeitete an ihrem Text bis zum Vortag der Lesung, David Wagner sogar noch wenige Stunden vorher. Wolf war auf der Suche nach Inspiration während des Schreibens noch ein zweites Mal ins Neckartal gefahren, „als mir schon klar war, dass meine Recherchen bei einem Küfer und einem Tierpräparator nicht in den Text einfließen würden“. Um die dort gewonnenen Eindrücke zu verarbeiten, hätte sie mehr Zeit gebraucht. Es folgte der Entschluss, den Zeitmangel zum Thema zu machen, frei nach dem Grundsatz „Wenn du ein Problem hast, schreibe darüber“. Der offene Auftrag von FAHRTENSCHREIBER erlaubte es ihr. SANDRA KATHE arbeitet als freie Journalistin und Autorin sowie als Content-Redakteurin bei einem Frankfurter Web-Dienstleister.
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34 NO DRAMA
VON ANIS HAMDOUN Als Regisseur, der überall Figuren sieht, ist das Ich sitze also im Zug oder besuche ein paar kleine Städte, völlig allein, und dann schreibe ich darüber! Beobachten von Leuten in Zügen und Bussen quasi Teil Mein Selbst und ich waren erstaunt, und warum? Weil meiner Arbeit. Direkt darüber zu schreiben, ist aber es mein erstes Projekt dieser Art ist, ein Projekt ganz neu für mich, besonders über diese Frau vor mir, die ohne Drama! Kein Konflikt, keine Action, keine Toten, so emotionslos aussieht und eine Plastiktüte mit eikeine Revolution, keine Unterdrückung durch einen ner Kaffeetasse darin hält. Ich weiß, dass dieser Satz Diktator, kein Diktator! Keine Vergewaltigung! Nichts? nach einem Ausrufezeichen verlangt, wegen einer Tasse in einer Tüte! Also schreibe ich ein Ausrufezeichen! Rein gar nichts! Spontan entschied ich mich, in einem Ort namens Also nahm ich den Zug, kam in Neckargemünd an und dann in dem kleinen netten Hotel, aber das war Oberschefflenz auszusteigen. Ich gebe zu, es war nicht die letzte Station: Momente der Überwältigung nicht die glücklichste Entscheidung. Ich lief eine Weiund ein paar Atemaussetzer – eine so berauschende le durch den Bahnhof, aber kein Mucks, da war nieSzenerie, dass mir das Hirn schmerzte. Es ist das al- mand! Als der Zug kam, um mich aus der Leere zu retlererste Mal, dass mir der Kopf schmerzt vor lauter ten, stiegen Dutzende von Kindern aus und brachten Schönheit. Die Häuser spielen wie kleine Kinder an etwas Leben in die beängstigende Einsamkeit. Ich fing beiden Ufern des Flusses, der fließt und schwingt wie an, zu glauben, dass dieses Tal zwei Haupt-Arterien eine hübsche, orientalische Tänzerin, der die Szene hat: den Fluss und die S-Bahn, ohne die dieser Körper ihren Glanz verdankt. Ich stand am Wasser und sprach sterben würde. Abends traf ich in Heidelberg einen Freund, der in mein Aufnahmegerät: Sie hat keine Ahnung, was sie mir geschenkt hat. der Sohn eines Freundes meines Vaters ist. Er studiert Sie hat mich in einen kleinen, gestohlenen Himmel hier und bot mir eine kleine Tour durch die Stadt an. voller Farben gebracht. An einen Ort, von dem man Neckargemünd hat eine wahre Seele, eine authentinicht mehr fort möchte; das Wasser, der Fluss, und sche, während Heidelberg eine falsche, oberflächliche, besonders der Geruch des Wassers. Ich glaube, dass touristische hat. Man ist gar nicht so neugierig auf es kaum jemanden gibt, der den Geruch von Wasser die Geschichten Heidelbergs, denn man merkt ganz in der Natur so schätzt wie ich. Die roten Backstei- genau, dass dort alles vorbereitet und auf Touristen ne am Rande des grünen Wassers, alles hier ist per- zugeschnitten ist, die nur zwei Stunden Zeit haben. Es fekt für die Kamera; oh, seht ihr, ich kann eben nicht ist nett und flach. Irgendwie wollte ich in Neckargeohne etwas Drama. Der Platz in diesem Tal lässt mich münd am Fluss sitzen und nicht in der größeren Stadt. Dritter Tag: Ich saß an meinem Lieblingsplatz am wieder atmen, ich fühle mich so klein im Vergleich zu den jungen Bergen, das Vakuum zwischen ihnen Flussufer und blieb dort ein paar Stunden lang allein absorbiert meine negative Dunkelheit. Zum Glück ist mit meinen Gedanken. Wenn man den Fluss so bedieser Platz nur ein paar hundert Meter von meinem trachtet, hat es den Anschein, dass er, genau wie die Zimmer entfernt, denn das bedeutet viel dazusitzen, Einwohner, die Städte verlässt. Aber die S-Bahn bringt wie ein weißhaariger Greis mit einem Cappuccino und die Einwohner abends wieder zurück. Merkwürdig, wie einem Glimmstängel. Diesen schillernden Moment ein paar Stunden am Fluss einen beruhigen können, unterbrach ich mit der Frage: Was mache ich hier man entkommt dem hektischen Leben, das man gein dieser hübschen kleinen Stadt? Tue ich, wenn ich wohnt ist, es ist friedlich. Vier Uhr nachmittags, dritter Tag: Ich bin in Hirschmeine Worte als Reisender aufschreibe, das, was von mir erwartet wird? Vielleicht ist es die Gelegenheit für horn. Ich kann mich gar nicht einkriegen. Einmal, weil diesen „drama-queen-wanderer“, in ein Märchen ein- dieser Name so unaussprechlich ist, und dann wegen dieser Schönheit. Wenn man aussteigt, überrascht eizutauchen. Der zweite Tag: Nun bin ich zum ersten Mal mit der nen die Burg, was schon mal ein guter Anfang ist. Ich S-Bahn unterwegs, ich saß inmitten einer Gruppe vier ging sofort in die Altstadt und hatte umgehend das Gejunger Menschen, zwei Mädchen und zwei junge Män- fühl, in einem Märchen gelandet zu sein. Eine Stadt am ner. Komischerweise wechselten sie vom Deutschen Fuße eines Berges, mit vielen Häusern und Gebäuden, ins Englische. Das Drama folgte mir zum Glück: Das die eng beieinanderstehen. Die Altstadt hat wohl kaum Mädchen fing an, davon zu sprechen, Gras zu rauchen. 1000 Einwohner. Ich kletterte zu der alten Kirche hiEiner der Jungs sagte, dass er das beste Gras der Welt nauf und trat ein. Es roch nach Jahrhunderten. Diese hätte. Was! Hat Matchbox etwa ein paar versteckte alte Stadt solltet ihr besuchen. Lasst euch von ihr in Kameras und Schauspieler nur für mich engagiert? andere Zeiten versetzen, man kann sich in alle Liebesund Kriegsgeschichten, die in ihrer langen Geschichte Was für eine Ehre.
35 passiert sind, hineindenken. Dieser alte Ort erinnerte mich irgendwie an Damaskus, die gleiche Stadtmauer und die weißen Häuser. Ich liebe das! Neun Uhr morgens, letzter Tag: Ich war unterwegs zum Bahnhof, wo ich einen Geldbeutel, den ich in der Bahn gefunden hatte, am Schalter abgeben wollte. Er enthielt nur eine Schülerkarte und dreißig Cent. Dann saß ich da und wartete darauf, dass die S-Bahn meine Rückreise in Gang setzen würde, nach Osnabrück und von dort aus weiter zu meinem neuen Zuhause in Berlin. Ich dachte über das Leben in kleinen Städten am Fluss nach. Diese Orte sind betörend schön, aber auch schrecklich beängstigend. Ich fürchte mich vor Langeweile; Langeweile ist eine Bestie, die mich leicht umbringen könnte. Ich finde aber auch, dass es aufregend ist, das Leben hier zu erforschen, und deshalb käme ich jederzeit gerne zurück. Übersetzung aus dem Englischen: Kirsten Sarna
36 NECKARTAGE
VON DAVID WAGNER 21.09.2016 (Mittwoch)
11:06 – Du sagst ja immer, ich sollte eine Liebesgeschichte schreiben. Versuche ich es halt mal. Hier fängt sie an. Ein Mann vermißt die Frau, die er liebt. Und wie soll sie heißen?
08:59 – In der Morgensonne auf dem Bahnsteig in Neckargemünd. So ein schöner Morgen. Und ich bin wieder unterwegs. Für Dich. Heute klarer, blauer Himmel. In diesem Licht hat 11:07 – Heidelberg-Orthopädie. Ein Stationsname, der die Welt es leicht. mir gefällt. Trinke von meinem Kaffee, ich habe ja Und wie hast Du geschlafen? Was hast Du ge- Kaffee dabei, sitze am Fenster, schaue gerade aber träumt? nicht hinaus, sondern auf die blinkenden Schuhe eines Die Bahn, die um 9:11 kommen sollte, kommt nicht. Schülers, seine Schuhsohlen leuchten am sichtbaren Sie soll fünfzehn Minuten später kommen? Dann lieber Rand abwechselnd grün, blau, pink und rot auf, LEDs zu Fuß, am Fluß entlang, durch die Morgensonne. sind in den Kunststoff eingearbeitet. Die Schüler sprechen über die Zugtoilette: „Da 09:20 – Tau auf den Wiesen, Nebel über dem Fluß. Das geh I net nei“. Dann eben nicht. Flußtal ist ein Kaltluftsee – habe ich das nicht gestern Nacht gelesen? Kaltluftseen können, besonders in der 11:12 – Die Bahn hält in Neckargemünd-Altstadt, aber kalten Jahreszeit, zur Nebelbildung neigen. ich steige nicht aus. Bin ich erst zwei Stunden unterwegs? 10:45 – Stehe wieder auf einem Bahnsteig, jetzt in Neckarsteinach. Habe mir den Ort angesehen. Das 11:15 – „Wie viele Stationen noch?“. Die Schülerinnen Eichendorff-Museum hatte leider noch nicht geöff- und Schüler machen herrlichen Lärm. So hört sich das net. Habe die Kirche, die frühere Synagoge und den Leben an. Schraubenbrunnen bewundert. Ich nehme den nächsten Zug, der kommt, egal welche Richtung. 11:17 – Nun steht die Bahn wieder in Neckarsteinach. Es kommt die S1 Richtung Heidelberg. Vor 35 Minuten bin ich hier eingestiegen. Vorhin, auf dem Weg von der Kirche, begegnete mir eine Frau, lä10:47 – Nun fahre ich den Weg zurück, den ich vor- chelte mich an, ich lächelte zurück. Vielleicht lächelte hin gegangen bin. Kleine Erholung im Zug. Sitze wie- sie, denke ich jetzt, über die weißen Sonnencremeder vorne – und möchte so gern kontrolliert werden. flecken in meinem Gesicht? Die habe ich nun hier im Nur weil ich eine so schöne Fahrkarte habe. Eine la- Spiegel in der Bahn entdeckt. So laufe ich seit zwei minierte, unterschriebene Karte, die mir freie Fahrt Stunden herum? zwischen Mannheim und Mosbach erlaubt. Hin und her, so oft ich möchte. 11:19 – Werde kontrolliert! Mein Wunsch ist in Erfüllung gegangen! Ich muß die Karte hinhalten, meine 11:02 – Bahnhof Heidelberg-Altstadt, wie gestern laminierte Sonderfahrkarte. Der Schaffner schaut Abend. Ich steige aus, der Gegenzug kommt in fünf Mi- sie nur flüchtig an und setzt sich dann gegenüber, ans nuten. Ich kaufe mir einen Kaffee im Becher und warte andere Fenster, er beschäftigt sich mit seinem Teleam Bahnsteig gegenüber. Hier gibt es eine Unter- statt fon. Heißt ein Schaffner heute nicht Zugbegleiter? Ich einer Überführung. sollte ihn fragen. 11:03 – Es kommt die S1 Richtung Osterburken. Der Zug ist voll. Eine Schulklasse, macht Krach. Die Sonne scheint. „Wer schreit da so rum?“ ruft die Lehrerin. 11:04 – Hier nun das bebaute Tal: Stadtlandschaft am Wasser. 11:05 – Drei Tage am Wasser / Drei Tage bei Dir / Drei Tage am Neckar / Drei Tage hier.
11:25 – Die Ersheimer Kapelle, die früher so einsam an der Biegung des Flusses stand (habe sie gestern besucht), ist heute von Altneubauten und Fabrikgebäuden umgeben. Sie gehörte einst zu einem Dorf, das aufgegeben wurde. 11:31 – Eberbach sieht so groß aus. Ist es aber nicht. Habe ich gestern gemerkt. Bin ja einmal durch die Stadt spaziert. Läden stehen leer. 12:30 – Gehe seit einer halben Stunde auf dem linken Neckarufer. Bin in Zwingenberg ausgestiegen und
37 über die Brücke mit dem weißen, mit gespreizten Bei- 15:25 – Heidelberg-Orthopädie. Und schon vorbei. Bin nen dastehenden Pylon gegangen. Kein Haus, keine in Neckargemünd nicht ausgestiegen. Bebauung, nur Wald und Weg. Ab und zu ein Radfahrer, meist gleich zwei, meist sind es Paare: Er fährt vor- 15:26 – Heidelberg-Schlierbach. Unterwegs. Ich bin ne, sie dahinter, 65 plus, in Funktionskleidung (mint, die ganze Zeit unterwegs, immer auf der Strecke. Nur hellblau oder apricot – alles Farben, die ich heute nicht auf der Strecke bleiben. schon gesehen habe). Ich bleibe an einer abgebrochenen Eiche stehen, die eine Hälfte des Stamms verfault, 15:30 – Im Tunnel. Fahre ich nun unterm Schloß hinvermodert, zersetzt sich am Boden. Viele Insekten durch? wohnen im alten Holz. 18:24 – Die Sonne verschwindet hinter dem Giebel des 12:32 – Und wieder fährt ein Schiff vorbei. Zeughaus, ich sitze hier, wie gestern, ich könnte ewig hier sitzen bleiben und Erasmus-Studentinnen zuhö12:35 – Wie schön es hier ist. Wie still, jetzt, da das ren: Einer Französin, einer Ungarin, einer Italienerin, Schiff vorbeigefahren ist. Wie ruhig. einer Japanerin und einer Deutschen. Und wie geht es Dir? Was machst Du? Was denkst Du gerade? Ich frage mich das immer. Ich gehe ja zu 20:24 – Bahnhof Heidelberg-Altstadt. Ich bin auf dem Dir. Schloß gewesen, oben. Im Hof und auf der großen Terrasse. War ganz allein. Schöne Aussicht in die Nacht. 13:10 – Fischreiher sitzen auf den Laternen hinter der Schleuse, sie warten auf ihr Mittagessen. Sie warten 20:34 – Im Zug. Ich mag die Stimme, die die Statioeinfach. Die Fische werden schon kommen. nen ansagt. Eine angenehme Stimme. Eine männliche Stimme, die etwas Weibliches hat. Oder spricht da 13:12 – Eine Libelle, keine kleine. Ein toter Frosch, eine Frau? kleiner als der, den ich gestern gesehen habe. Und ich esse mich wieder durch die Äpfel. So viele 20:43 – Neckargemünd-Altstadt. Ich steige aus. hängen in den Bäumen, so viele Bäume säumen den Weg, ich pflücke und probiere von fast jedem. Bald habe ich Bauchweh. 22.09.2016 (Donnerstag) 13:27 – Bananenstauden in einem Vorgarten, ein Man- 10:08 – Wieder am Bahnhof. Eigentlich möchte ich delbaum, ein Feigenbaum. So hart kann der Winter hier gar nicht weg. Nein. Ich möchte weiterfahren. Wieder nicht sein. Ein Schulhaus von 1894. nach Mosbach. Nach Neckarsteinach oder Neckargerach. Und zurück nach Neckargemünd. 13:55 – Auf der Terrasse des Hotels Krone Post, EberEin Vogel ruft, als ob Frühling wär. Der Himmel bach. Trinke Wasser, schreibe Dir und schicke Dir ein heute wieder himmelblau, kein Wölkchen nirgends. Bild der Aussicht. Wir sind ja immer verbunden, ich sehe das alles ja für Dich. Das ist mein Auftrag. 10:09 – Ein Güterzug fährt durch. Ganz schön viele Waggons. 14:56 – Eine Stunde später, wieder eine Stunde näher am Tod, in Eberbach am Bahnhof. Ganz schön vie- 10:23 – Fensterplatz am Neckar. Schön liegst du da, le Fahrgäste warten auf dem Bahnsteig. Die Sonne grüner Fluß zwischen grünen Hängen. Sie leuchten in scheint, und ich bin satt vom Zwiebelrostbraten mit der Sonne, deine Hänge, deine Hügel, deine Berge. Bubespitzle. Wie schön es ist, am Fenster zu sitzen. Der Neckar zieht vorbei. Er fließt. 14:57 – In einem Schaukasten auf dem Bahnsteig lese ich, daß das Bahnhofsgebäude in Neckargemünd zu 10:36 – Hinter Heidelberg kein Tal mehr, keine Berge. verkaufen sei. Die Immobilie hat eine gute Verkehrs Flache, verbaute Ebene. Schwemmland. Kein Neckar anbindung. mehr zu sehen. Schade, kein Neckar mehr, kein Tal. Neckar, kommt das eigentlich von Nektar? 15:03 – Spüre ich meine Beine? Wie viele Kilometer waren es heute? Und was mache ich jetzt?
38 EIN BLUMENTOPF FÜR JUDITH BUTLER VON JULIA WOLF
Is mein Leben, ischschwör!, sie tanzt auf dem Bahnsteig, hebt beide Fäuste, kreist mit dem Po. Fuck your pride, im Bauchnabel funkelt’s. Ich sitz auf der Bank neben der Freundin, als gehörte ich dazu, als wögen meine Wimpern fünf Kilo. Ich eins dieser streetwisen, popakademischen Mädchen. Ich schnicke mein Haar als sei’s eine Mähne. Schürze die Lippen, schnür dir die Schuh. Didl, dudl, dadl, schrum, schrum, schrum, schon bin ich enttarnt: Das ist gar nicht Rihanna! Freundin springt auf, sie laufen davon. Hier kommt die Bahn, so geht es los. Auch ich steige ein, durch eine andere Tür, und gerate in Trachten. Nicht trächtig, nein. Mehr dazu später. Eine Gruppe, oder sollte ich Rudel sagen? Blutjunge Großväter, so Mitte 20. Ledern, kariert. In den Ohren riesige Ringe, oder Löcher davon. Alle Mann bärtig und tätowiert. Dabei ihre Frauen, beschürzt und verzurrt, mit purzelnden Brüsten. Auch sie beringt, wir haben uns getraut. Täubchen, mein Schatz, halt mal die Flasche. Trink einen Schluck, wir wollen glühen. Nur sind sie nicht komplett, es fehlen noch zwei von ihrer Sorte, ein Pärchen, na klar. Die Telefonleitung steht, sie sind auf dem Weg. Da kommen sie!, ruft der an der Tür. Und unternimmt nichts, als die Türen sich schließen. Oh nein, sagt eine der Frauen, eine andere schnalzt mit der Zunge. Der größte Mann verkündet mit dröhnender Stimme: Wer länger vögelt, muss halt schneller rennen! Für den Spruch gibt’s von Täubchen nen Kuss, die Kumpels lachen. Und mein kleines Köpfchen bildet ein Wort: Grillzeitschriftenleser. So eine bist du jetzt also. Mit breitem Arsch, was ist nur geschehen. Sitzt mit Notizbuch im Schoß. Eine, die den Leuten aufs Mal schaut, aufs Dekolleté. Die alles mitschreibt. Kannst nicht mal Steno. Könnt’s aber lernen. Volkshochschule, da denke ich an Mama. Kleine Frau, der ich alles verzieh. Hier hast du Stoff für den nächsten Roman!, sagt sie gerne zu mir und erzählt mir dann einen Schwank aus ihrem Leben. Egal, wie oft ich ihr erkläre, So funktioniert das nicht, Mama. Und wie dann? Alchemie, ich schwadroniere. Rede mich um Kopf und Kragen. Mama glaubt mir kein Wort, ich sehe es in ihren Augen. Dieser Blick, wie wenn ich versuche, sie zum teuren Bio-Kauf zu bekehren: Really? Graffiti, Beton, eine Herde ruhender Müllabfuhrautos. Stehen da und grasen. Ein riesiges Ufo, dann ist Mannheim vorbei, wir schießen hinaus in die Ebene. Galoppieren über Stoppeläcker, das heißt, ich galop-
piere, neben der Bahn, Kamerafahrt, eine Angewohnheit aus Kindertagen. Während langer Autofahrten, ein Mädchen, ein Pony, die Hufe trommeln dahin, fröhlich vereint. Ich sah mich an der Autobahn lang reiten, auf meinem Zottel. Drinnen betretenes Schweigen, nur einer mampft. Der Geruch von Pizzazunge mit Salami und Paprika. Alle wischen auf ihren Geräten rum, nur einer nicht. Der streichelt seinen Finger, sehr zärtlich. Überaus zärtlich, was ich notiere. Als ich wieder aufsehe, trifft mein Blick den des Streichlers. Sofort hört der Streichler zu streicheln auf, nicht nur das, er schließt die Augen. Das wollte ich nicht. Niemand soll sich durch mich beobachtet fühlen. Doch wohin nur mit meinem Blick? An der Wand ein Piktogramm, das will uns was sagen, also darf ich es ansehen. Das versteckt sich nicht gleich hinter geschlossenen Lidern, nur weil ich kurz gucke. Ein Männchen mit dickem Bauch. Sitzt, weiß auf blau. Soll hier sitzen, das ist sein Platz. Aus dem niemand anstarren wollen wird ein Exkurs, wird eine Schleife, Männer mit Bäuchen, mit Babys darin. Neulich gesehen, im Netz. Bild von einem mit Kind an der Brust. Ein bärtiger, haariger Kerl, stillt. Irgendetwas in diesem Mannsbild, sie nennen es Biologie. Sofort knallt’s, Aber verdammt!, der Vater haut mit der Faust auf den Tisch. Frauen können nun mal Kinder kriegen und Männer nicht! Die Szene spielt zu Beginn des Jahrtausends. Die Tochter ist ausgezogen, um zu studieren. Nun begab es sich aber zu dieser Zeit, an Weihnachten kommt sie nach Hause. In dieser Familie begab sich’s, dass bei Zusammenkünften sich alle betranken. Erst recht unter dem Tannenbaum. Die Tochter hat etwas gelernt im halben Semester, in den paar Wochen. Proseminar Gender Studies, das lässt sich schöner nicht sagen, nur mein Computer meint, es soll Genfer Studies heißen. Das ist aber nun wirklich was anderes. Und hat nichts mit der Tochter zu tun, zu Beginn des Jahrtausends. Was interessiert sie die Schweiz, sie weiß was, will’s teilen. Erzählt von Judith Butler. Sagt immer und immer wieder: Unser Geschlecht ist konstruiert. Dem Vater schmeckt’s nicht, er ist betrunken, weiß selbst nicht, warum er auf einmal so wütend ist. Zur Sicherheit haut er mit der Hand auf den Tisch. Wie der Vater die Tochter, ein Hitzkopf, der Wein. Sie springt auf und tritt einen Blumentopf um. Welcher Vater ließe sich das gefallen, in seinem Haus? Welcher Vater würde nicht rumbrüllen? Bleibt nur noch mit Türen zu schlagen. Die Tür ist ein Aufzug, da schlägt nichts, egal. Die Tochter gleitet leise nach unten, rennt aus dem Haus.
39 Und ich muss grinsen. Das war also ihr erster richtiger Streit. In dem’s um was ging, da ging richtig was. Sehe die Tochter durch die heilige Nacht stapfen, ohne Jacke. Sehe sie bibbern und zittern und fluchen, bis der Bruder sie einholt. Der war nämlich auch da, hatte ich das nicht erwähnt? Hat auch blaue Lippen und Zähne, lallt, Ey könnt ihr euch vielleicht mal beruhigen, was soll denn der Scheiß? Legt den Arm um sie und führt sie nach Hause. Ein Blumentopf für Judith Butler, ich denke an B, dessen Bauch ich sehr liebe. Gebär’ du doch die Babys, zu Dir passt das viel besser. Ah und oh, interessant. Die Frau neben mir schreibt. Schreibt auch im Schoß, wie ich. Schwester im Geiste?, ich luge. Vektorenrechnung, zunächst bin ich enttäuscht. Ich will gerade wieder, in Zeitlupe, weg, ohne zu wissen, wohin, da nimmt meinen Blick etwas Gelbes gefangen. Nicht ganz so dramatisch, fällt mir halt auf. Ihr Mäppchen. Gelb sind die Fritten darauf, fette Comicfritten sind das, rosa die Schrift: FRIES BEFORE GUYS. Doch seelenverwandt, ich jubiliere, Oh sister, right on! Lasse mir natürlich nichts anmerken, schmunzele nur vor mich hin, so ein richtig fettiges Schmunzeln überzieht mein Gesicht. Ich fische nach meinem Gerät. Obwohl ich ja eigentlich nicht, das war ein Vorsatz. So eine Vorstellung, dass das wahre Leben analog sein muss. Also wollte ich mich fernhalten vom Display, den ganzen Tag, vielleicht ein paar Stunden. Die Versuchung zu groß, ich zu vergnügt, googele ähnliche Sprüche. Welch ein Reichtum in der falschen Welt steckt. Ey, leihst du mir deinen Edding? Frage ich nicht. Dabei würde ich ihr am liebsten aufs Mäppchen schreiben. SISTAS BEFORE MISTAS! CHICKS BEFORE DICKS! BESTIES BEFORE TESTES! Ich würde Sterne daneben malen, und Herzen. Mein Schmunzeln wie frisch aus der Fritteuse, ich amüsier’ mich. Es sind diese Blickkontakte, die alles zerstören. Diesmal ist es ein roter. Ein knallroter Kopf, ist der wütend? Nö, eher kühl. Blickt völlig cool von seinem Bildschirm auf mich hinab. Da war was. Richtig, sie blenden ein Datum ein, bis dahin soll ich was schreiben. Also, los jetzt, reiß dich zusammen. Ich zücke den Stift und spitze die Ohren.
KÜNSTLERINDEX LEA ADERJAN
FLORIAN MANIA
ANGELIKA BAUMGARTNER
MINE
THORSTEN DANNER
NATURE THEATER OF OKLAHOMA
Matchbox 2016: Storylines
Matchbox 2016: Tatort Neckartal
Matchbox 2016: Tatort Neckartal
AKOS DOMA Matchbox 2015: Matchbox Diaries
MATTHIAS DÖRSAM
Matchbox 2015: Einhausen Unplugged
JULIUS GALE Matchbox 2015: Einhausen Unplugged
MARJANA GAPONENKO Matchbox 2015: Matchbox Diaries
ANIS HAMDOUN Matchbox 2016: Fahrtenschreiber
ANDREAS HILLGER Matchbox 2016: Tatort Neckartal
OLIVER JAKSCH Matchbox 2016: Tatort Neckartal
WILL ST LEGER Matchbox 2015: Sleeping Dragon
QUE DU LUU Matchbox 2015: Matchbox Diaries
REINHARD MAHLBERG Matchbox 2016: Tatort Neckartal
MAMMALIAN DIVING REFLEX / DARREN O’DONNELL Matchbox 2015-2016: Hemsbach Protocol
Matchbox 2016: Tatort Neckartal
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Matchbox 2015-2016: Nibelungen Cycle
JOSÉ F. A. OLIVER Matchbox 2015: Matchbox Diaries
DAVID ORTMANN Matchbox 2016: Tatort Neckartal
SHOWCASE BEAT LE MOT Matchbox 2015: Odenwald Man
NELLJA VEREMEJ Matchbox 2015: Matchbox Diaries
DAVID WAGNER Matchbox 2016: Fahrtenschreiber
JULIA WOLF Matchbox 2016: Fahrtenschreiber
ZIGGY HAS ARDEUR
Matchbox 2015: Einhausen Unplugged
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MATCHBOX DANKT BENSHEIM
Hans-Bernhard Wüst
HEMSBACH
Rainbow Teens
Team Auerbacher Schloss
Gerda Ross
Lukas Adamik
Gilbert Rest
Beate Adler
Regina Richter
DLRG Bensheim Victoria Fendel
FÜRTH, MÖRLENBACH, RIMBACH
Manuela De Angelis
Lennart Scheuren
Doris Föbel-Reichenbach
Arkansas Travellers
Denise Bauer
Walter Schneider
Team Fürstenlager
Nicole Agostin-Spies
BIP – Bürgerschaftliches
Otto Schneider
GGEW Bensheim
Eberhard Bickel
Margret Hensel
Peter Budsky
Clemens Domeier
Familie Spielmann
Thomas Herborn
Callas Multikulturelle
Justine Dudek
Peter Woitge
Historischer Tanzverein Bensheim
Begegnungsstätte e.V.
Integrationsprojekt
Familie Schwarzmüller
Tina Eck, ev. Posaunenchor
David Laan
Matthias Dörsam
Ernst Eckardt
LORSCH
Berthold Mäurer
Udo Dörsam
Dr. Dietmar Flothmann
Natascha Beutel
Heiner Neuschlid
Michael Dreier
Fernando Gomez
Gerda Brunnengräbers Kostümverleih
Andreas Pietralla
Andrea Dudszus
Gospelchor des GV Germania 1889 e.V.
Gabi Dewald
Dis Silomon-Pflug
Fritz Emmert
Hemsbach
Reinhard Diehl
Ulrike Reiser
Stefan Eckert
Marie-Luise Hohenadel
Andy Dirkmann
Rolf Richter
Ulrike Flath
Eva Hohenadel
Emilie Dohrmann
Lukas Ritter
Egbert Fischer
Petra Hohenadel
Familie Dorn
Lars Wagenknecht
Günther Friedel
Christa Hohenadel
Entwicklungsgesellschaft Lorsch
Wassermädchen
Fürther Schützenverein „Hassia“ 1928 e.V.
Herr Jung
Wolfgang Ensinger
Tanja Weber
Freiwillige Feuerwehr Fürth
Jürgen Kirchner
Manuela Feiler
Daniela Werner-Ihl
Bauamt Fürth
Frau Kovac
Petra-Marlene Gölz
Familie Wisniewski
Katja Gesche
Reinhard Küßner
Lenhart Gutermuth
Elke Griech
Jochen Lehmann
Melanie Hartmann
EINHAUSEN
Katharina Hartmann
Männergesangsverein Liederkranz 1867
Margot Hasler
Christiane Abresch
Marion Hartmann
Antje Löffel
Jürgen Heinz Nadja Hohler
Yvonne Bohrer
Reiner Helferich
Monika Loser
Sebastian Burk
Jens Helmstädter
Luisenhoferinnen und Luisenhofer
Eberhard Kabisch
Hansi Deckers
Heuhotel In‘s Scholze
Ingen Pagenberg-Kern
Julius Krapp
Jean Diehl
Rolf Ihrig
Jenny Pfister
Stefanie Levasier
Freiwillige Feuerwehr Einhausen
Chris Jakob
Klaus Pflästerer
Astrid Lichti
Manfred Eisel
Petra Jünger
Moni Pfliegensdörfer
Petra und Andreas Löw
Hans Forell
Daniel Kennig
Thomas Pohl
Jacky Maier
Familie Gärtner
Jonas Kilian
Heike Pressler
Pia Marienfeld
Helmut Glanzner
Beate Mann
Iris Reinemuth
Annette Moll
Tobias Gomer
Edith Meyer
Juliane Rösler
Nicole Mutsch
Albert Grieser
Volker Oehlenschläger
Seniorenrat der Stadt Hemsbach
Herr Neumann
Stefan Grimm
Odenwälder Volkstanz- und
Klaus Schollmeier
Odenwaldbike
Gisela Schulz-Bauerhin
Cornelia Odetra
Holger Grüner
Weschnitz e.V.
Annmarie Sidor
Ökumenische Flüchtlingshilfe Lorsch
Albert Haag
Odenwälder Baumaschinen
Familie Spicka
Melanie Reibold
Hubert Hahn
Philipp Ohlig
Maria Stoehlker
Alfred Riedmayer
Alexander Hedderich
Bernd Pfeiffer
Tabitha Waitheven
Sibylle Römer
Hartmut „Hucky“ Hedderich
Ellen Philipp
Josef Walch
Birgit Saborowski
Jan Henneberger
Bauamt Rimbach
Winfried Wehrle
Jens Schambach
Christiane Hiemenz
Rimbacher Gospelchor
Anita Wetzig
Familie Scheyhing
Katrin Hildenbrand
José Rodriguez
Michaela Zimmer
Christina Streckfuß
Heiko Hillenbrand
Holger Schmitt
Martina Hillenbrand
Erich Schmitt
LINDENFELS
Elmar Ullrich
Heike Kaiser
Bernhard Schneider
Matthias Arras
Aster Walter
Jürgen Kilian
Mark Schwarzmayr
Crack up!
Wikinger-Volk Lorsch
Martina Knaup
Swinging Chords
Frau Bonn
Oliver Kreidemacher
Marina Stefan
Peter Bitsch
Andrea Mizera
Rainer von Stein
Rajaa Buick-Hajji
Diana Ambergs
Musikcorps Einhausen
Annelie Szych
Harry der Drache
Angelika Baumgartner
Hanne Novakowski
Josef Wagner
Michael Helbig
Daniel Born
May Sackenheim
Manuela Vögeler
Jürgen Herzing
Eric Carstensen
Willi Schäfer
Rainer und Ruth Wallewein
Pia Honerath
Chor Crescendo Scharbach
Bernd Schinke
Peter Wecht
Klaus Johe
Thorsten Danner
Burny Schneider
Maria Wetzel
Christina Kindinger
Stadt Eberbach
Rolf Schneider
Joachim Wittke
Peter Kunert
Maria Embulaeva
Angela Schumacher
Weschnitztaler Braumanufaktur
Stephan Lauterbach
Freundeskreis Fähre Neckarhausen –
Walter Stumpf
Gasthaus Zum Talhof
Natalie Grüger
Michel Suljic
Trachtengruppe
Theater Sapperlot
Agnes Magyar Jörg Marquard
NECKARTAL
Neckarhäuserhof e.V. Freiwillige Feuerwehr Neckargemünd
43 Flowerstation Heidelberg
Marlies Pfisterer
Stefan Dallinger
Peter von Saalfeld
Stadt Heidelberg
Klaus Pflästerer
Maximilian Damm
Annette Scheu
Enno Folkerts
Stadtbibliothek
Martina Droste
Sabrina Schimo
Freiherr-vom-Stein-Bibliothek
Frau Röder
Justine Dudek
Thomas Schirmböck Claudia Schmid
Ute Fries
Vlieseline
Grace Dyas
Joachim Fuchs
Juliane Wasser und Team Wachenburg
Jörg Fischer
Hedi Schmidt
Nils Gier
Burg Windeck
Henning Franke
Sonay Ilgar-Schmidt
Schauspiel Frankfurt
Stephanie Schmidt und Familie
Herbert Hauck
WORMS
Geiger & Salber
Horst Schmitt
Werner Helm
Corinna Biermann
Tilmann Gersch
Gina Schöler
Daniel Grossarth-Maticek
Gilda Hernandez
Rudolf Böß
Peter Giefer
Patricia Scholz
Jens Hertel
Heike Eckstein
Wolfram Glatz
Jochen Schulz
Stadt Hirschhorn
Otto Deis Hochzeitstauben
Lukas Gluch
Tilo Schwarz
Petra Holzer
Luisa Dietz
Petra Grafenhorst
Knud Seckel
Oliver Jaksch
Pia Freimuth
Hanna Green
Hannes Seibold
Gerhard Koch
Astrid Frisch-Balonier
Ute Greter
Christine Seikel
Achim Landwehr
Klaus Feuerbach
Nicole Günther
studio clignet
Reinhard Mahlberg
Marika Fürst
Ulrike Hacker
Alexandra Theobalt
Florian Mania
Volker Gallé
Anna Hahn
Julia Thiemann
Rudi Mayer
Hr. und Fr. Gölz, Abenteuerspielplatz
Matthias von Hartz
Christian Thurm
Melanie Melchior
Dr. Thomas Herbel
Max Hathaway
Christina Trefz
Rainer Menges
Hr. Hermann, Ordnungsamt
Hermann Art Kollektiv
Ursula und Elmar Ullrich
Hannah Metz
Dr. Gregor M. Hess
Eleonore Hefner
Don Verboven
Doris Meyer zu Schwabedissen
Michael Kissel
Karin Heyl
Waschfreunde Mannheim
Stadt Mosbach
Elke König
Andrea Hintermaier
Anne Waack
Robert Moray
Claudia Kraus
Gisela Hoffmann
Thomas Wagner
Motorradfreunde Neckargerach e.V.
David Maier
Ursula Holdermann
Andrea Weber
Johanetta Müller
Mitarbeiter Rathaus Worms
Alexander Hölzer
Barbara Wendland
Lara Müller
Nibelungenfestspiele
Herbert Hügenell
Marilyn Nova White
NaturFreundehaus Zwingenberger Hof
Olaf Mückain
Joachim Jäger
Karl Winkler
Stadt Neckargemünd
Hr. Paulus und freiwillige Feuerwehr
Stefanie Jansen
Silvia Wiesenäcker
Gemeinde Neckargerach
Worms
Heike Kehl
Constanze Woltag
Stadt Neckarsteinach
Astrid Perl-Haag
Christine Kirsch
Yalla Yalla
Gemeinde Obrigheim
Hr. Rauh, Grünflächenamt
Ekle Junga-Knapp
Judith Zaiser
Carmen Persch
Doris Rocker
Sarah Knapp
René Zechlin
Heinz-Elmar Pinnow
Hr. Römer, Wasser- und Schiffahrtsamt
Christoph Kölmel
zeitraumexit
M. Koschik
Rudis Radladen
Hr. Ruthmann, Hafen Worms
Cafe Reichspost Eberbach
Ralf Sagner, Dominikanerkloster
Monika Krauss
Luzia Scharf
Sven Schlachter
Christian Kreklau
Heidrun Schmitt
Hans-Joachim Schlosser
KultTour
Dominic Schott
Hr. Schlung, OHF Flußbau GmbH
KulturQuer QuerKultur Rhein-Neckar e.V.
Tobias Soldner
Hr. Steinfeldt
Sally de Kunst
Yannick Söhngen
Strandbar 443
Arne Löber
Manfred Straetz
Matthias Zoller
Florian Malzacher
Eric van Uden
REGIONAL, NATIONAL,
Susanne Marx
Thomas Uhl
INTERNATIONAL
Theo Metzler
Franziska Gabriele Wahl
Norman Amour
Robert Montoto
Familie Waldenberg
Katja Angerbauer
Tina Molter
Neckargemünder Wassersportverein
Thanit Areerasd
Desina Muth
Charlotte Arens
Nationaltheater Mannheim
Bernd Mand
Moritz Streif
von 1983 e.V. Yvonne Weber
Inka und Tobias Bankwitz
Kris Nelson
Dirk Weinmann
Johanna Barth und Familie
Nico Netzer
Gemeinde Zwingenberg
Pascal Baumgärtner
Andrea Neugebauer
Benjamin Bay
Gabriele Oßwald Theater im Pfalzbau Ludwigshafen
WEINHEIM
Basement Bikes
Brasserie Bellini
Beate Becker
Dr. Claus Peinemann
Heiner Bernhard
Nicole Berry
Thomas Rechtenwald
La Cantina
Lukas Breitkreutz
Dr. Friederike Reutter
Evangelische Johannisgemeinde Weinheim
Claus Boesser-Ferrari
Alex Riederer
Evangelisches Kinder- und Jugendwerk
Dennis Borlein
Markus Riefling
Gunnar Fuchs
Tobias Breier
Reverend Krug und die B-Jugend
Kerweverein Alt Weinheim e.V.
Fabian Burstein
Dr. Pascal Riewe
Faith Meyer
Thomas Busse
Julia Rützel
PARTNER UND UNTERSTÜTZER
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PARTNER:
Neckarsteinach
UNTERSTÜTZT UND GEFÖRDERT VON:
IN KOOPERATION MIT:
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TEAM / IMPRESSUM TEAM MATCHBOX: Thomas Kraus, Künstlerische Leitung Anna Arenz, Projektleitung und Kommunikation Lea Gerschwitz, Dramaturgie und Produktion Fabian Burstein und Florian Malzacher, Künstlerische Beratung Ulrike Hacker, Künstlerische Beratung Fahrtenschreiber Annika Essert, Praktikantin Sandy Lanuschny, Praktikantin Nadja Thomsen, Praktikantin Max Koch, Regieassistenz Tatort Neckartal Jule Winkler, Regieassistenz Storylines HERAUSGEBER: Metropolregion Rhein-Neckar GmbH und Zukunft Metropolregion Rhein-Neckar e.V. Kulturbüro N7, 5-6 68161 Mannheim Tel.: 0621 1298790 E-Mail: matchbox@m-r-n.com www.matchbox-rhein-neckar.de www.facebook.com/matchbox.rheinneckar Twitter:@KulturRN www.m-r-n.com/kultur GRAFIK UND DESIGN: Atelier Kontrast REDAKTION: Anna Arenz, Lea Gerschwitz, Anna Hahn JOURNALISTISCHE BEITRÄGE VON: Miriam Bott, Jonathan Horstmann, Sandra Kathe, Manon Lorenz, Lisa Wazulin FOTONACHWEISE: S. 7, 10, 11, 12, 14, 18, 23, 24, 27, 31, 32: Andreas Neumann S. 8 v. l. n .r.: Sarah Ennemoser, Charlotte Sattler, Melanie Prunzel, Sarah Ennemoser, Sarah Ennemoser S. 18 rechts unten: tizianajillbeck.de S. 26 von oben: Sabeth Braun, David Ortmann S. 28: David Ortmann S. 30 von oben: Mohammad Abo Shukur, Susanne Schleyer, Franziska Rieder DRUCK: ABT Print und Medien GmbH
Alle Rechte vorbehalten. Abdruck (auch auszugsweise) nur mit Genehmigung des Herausgebers und der Redaktion.
WWW.MATCHBOX-RHEIN-NECKAR.DE