EAT THE CITY! Kulinarische Raumstrategien fur die Stadt von morgen
MASTER-THESIS VON RIKE GLOY | MUTHESIUS KUNSTHOCHSCHULE RAUMSTRATEGIEN M.A. | SCHWERPUNKT SPATIAL INTERVENTION
MASTER-THESIS
Rike Gloy
Betreut von Prof. Christian Teckert Muthesius Kunsthochschule Legienstr. 35, 24103 Kiel Fachbereich Raumstrategien
rikegloy@googlemail.com
Schwerpunkt Spatial Intervention
M채rz 2013
INHALT Aufgabenstellung Master-Thesis
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·Theorie· Einleitung
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Die Mahlzeit
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/ Die gemeinsame Mahlzeit als sozialer Raum
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Essen als Erinnerungsraum
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Gewohnheiten und Traditionen
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Werteverschiebungen
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Räume des gemeinsamen Essens
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/ privat
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// öffentlich
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/// Restaurants
38
//// Imbisse und Kantinen
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Re-Naturierung und Urban Farming – Anfänge, Gegenwart und Zukunft
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/ Gemeinsame Essensproduktion als soziale und politische Dimension
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// Vom Garten bis zur Farm – Moderne Stadtvisionen
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Essen und dessen Produktion als zusammengehörig verstehen
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Ausblick / Globale Strategie - glokale Netzwerke
65 65
·Entwurf· Konzept
71
Orte
72
Konzept-relevant
76 ·Farm·
Farm
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Die Farm auf dem Zob
82
/ Café
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// Funktionsverteilung Zob
90
/// Stadtbild
92
Bestellladen
94 ·Lokal·
Lokal Das Lokal im Speicher / Funktionsverteilung Lokal Restaurant / Sprotten // Hängende Tische
100 102 104 106 108 110
/// Detail
112
//// Rollende Container
114
Amateurküche
118
Archiv
120
Saison
122 ·Route·
Route
126
Essens-Tour
128
Lokalhelden
132
Urban Picnic
136
Proviant
138
Netz
140 ·Anhang·
Literatur- und Bildnachweise
144 146
Die re-naturierte Stadt – Essen als Produktion sozialer Räume
AUFGABENSTELLUNG
Zu dem Thema Die Re-Naturierte Stadt/ Essen als Produktion sozialer Räume soll ein fundiertes Research sowie die Entwicklung einer kulturhistorisch argumentierten These zur Relevanz von Lebensmittel und deren Konsumation als Teil räumlicher und urbaner Systeme erfolgen. Wichtig ist hier auch die kulturgeschichtliche Dimension des Akts des Essens als Produktion sozialer Räume sowie dessen Rolle in der Diskursgeschichte. Im praktischen Teil der Thesis soll eine urbane Strategie entwickelt werden, in der ein Ensemble von einzelnen Interventionen und Handlungsanweisungen ausgearbeitet wird. Im Vordergrund steht das Konzipieren einer Toolbox, einer präzisen Sammlung von Eingriffen, Interventionen bzw. Handlungsanleitungen, die im Zusammenspiel eine städtische Wirksamkeit im Sinne einer Gesamtstrategie entwickeln sollen. Es geht darum, dritte Räume (third spaces) und aneignungsfähige Orte zu etablieren, welche um die Thematik des Essens herum organisiert sind und welche den unterschiedlichsten Benutzern eine Plattform des Austauschs bieten können. Es ist dabei einerseits ein hoher partizipativer Faktor erwünscht und andererseits ein hohes gestalterisches Niveau im Detail anzusteuern sowie auch pragmatische Belange der Umsetzbarkeit zu berücksichtigen. Im Vordergrund steht die Entwicklung einer stadträumlichen Strategie, in der ein System von einzelnen Eingriffen im Zusammenspiel als sozialer Kondensator mit hoher Integrationskraft und identitätsstiftenden Dynamiken wirksam werden kann. ARBEITSSCHRITTE Textresearch nach der Literaturliste, Erarbeitung einer eigenen Position zu dem Thema. / Verfassen einer theoretischen Arbeit zu dem Thema / Konzeption einer räumlichen Strategie / ggf. 1:1 Versuche
THEORIE
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DURCH DEN MUND ZIRKULIEREN NAHRUNG UND WORTE, DURCH DEN MUND ENTSTEHEN FREUNDSCHAFT UND LIEBE. (AUS »HANDS-ON URBANISM«)
FOOD IS HOW WE CONNECT WITH OUR COMMUNITY, OUR PLANET AND THE BEST PART OF OURSELVES, THE SHARING BIT. (DAVID TRACEY IN »URBAN AGRICULTURE«)
EINLEITUNG Wenn es um das Thema Essen geht, sind wir alle Experten, „wir haben eben alle mit dem Essen zu tun, tagtäglich, von morgens bis abends, mit oder ohne Abitur, ob als Professor für Sinologie oder Klamaukkoch, hagerer Asket oder als dickes Kind. Wir […] haben rund ums Essen eine dezidierte Einstellung und klar strukturierte Verhaltensweisen.“1 Gutes Essen wird in Zeiten von Lebensmittelskandalen immer wichtiger und auch im Hinblick auf den Klimawandel rückt ein bewussterer Umgang mit Ressourcen bezüglich der Lebensmittelproduktion zunehmend in den Vordergrund. Die Wertigkeit, die Lebensmitteln zugeschrieben wird, variiert jedoch je nach kultureller Prägung oder zur Verfügung stehenden Mitteln. Weltweit gibt es starke Unterschiede in der Höhe der Ausgaben, die für Lebensmitteln getätigt werden. „In Ländern mit niedrigen Einkommen werden 45 % des Haushaltseinkommens für Nahrungsmittel ausgegeben, unter den Ärmsten sogar bis zu 80 %. In den
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Dollase: Wenn der Kopf zum Magen kommt, S.67
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reichen Ländern sind es dagegen nur 12 %,“ so der Atlas der Globalisierung von 2010.2 Steht nicht so viel Geld zur Verfügung, wird in Deutschland dennoch zuerst am Essen gespart. Gleichzeitig stieg der Umsatz mit Bio-Produkten 2011 um 9 %, so eine aktuelle Studie des BÖLW (Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft).3 Im September diesen Jahres lautete das Ergebnis einer Studie der Universität Stanford, dass Bio-Lebensmittel kaum gesünder als konventionelle sein sollen. Das Greenpeace Magazin antwortete darauf, dass Bio-Lebensmittel vielleicht keinen höheren Nährwert haben, man jedoch z.B. weniger Pestizidreste zu sich nehmen würde und stellt außerdem zu recht die Frage: „Ist die eigene Gesundheit der einzige Grund, bio zu kaufen?“4 Längst will der Essende sich nicht mehr nur auf das Angebot des Supermarkts beschränken. Die Biokiste, Wochenmärkte, Hofläden, Mundraub.de, das Containern Das Containern oder auch „Mülltau-
oder Bioläden sind mögliche Alternativen. Einen stetigen Aufwärtstrend zei-
chen“ beschreibt eine Bewegung
gen außerdem der Eigenanbau bis hin zur Selbstversorgung.
von Stadtbewohnern, die sich ihr Essen aus den Müllcontainern der Supermärkte suchen. Kunden haben den Anspruch, dass Obst und
Unsere Vorstellungen bezüglich Ernährung, Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion haben sich innerhalb der letzten 100 Jahre sehr verändert. In-
Gemüse im Supermarkt tadellos
nerhalb von zwei Generationen haben wir Wissen verlernt, dass Menschen
aussieht und kaufen keine Packung
über 4000 Jahre, seit Beginn der Kultivierung von Boden, angesammelt ha-
Tomaten, wenn eine darin matschig ist. Infolgedessen sind die Läden gezwungen täglich absurde Mengen an frischen Lebensmitteln weg-
ben.5 Jetzt besinnt man sich zurück auf alte Anbaumethoden, Viehhaltung oder die Kunst des Einkochens; heutzutage jedoch gekoppelt mit den Möglichkeiten des Social Networkings.
zuwerfen. Um mit diesem Irrsinn zu brechen, „retten“ die Mülltaucher das Essen wieder und ernähren sich sozusagen „freegan“.
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2 Atlas der Globalisierung, S.18 3 http://www.boelw.de/uploads/pics/ZDF/ZDF_Endversion_120110.pdf 4 Vgl. Greenpeace Magazin 1.13, S.53 5 Vgl. Die Bauern von New York (Brandeins 5/2009)
Auch die Tätigkeit des Essens selbst hat einen Wandel vollzogen, ehemals wichtige Werte haben sich verschoben (mehr dazu im Kapitel Werteverschiebungen). Der Wert von Natur, bzw. Grünraum ist in unserem Bewusstsein gestiegen, sei es dadurch, dass immer mehr Menschen in der Stadt leben, wo Grünräume begrenzt sind oder dass uns Natur als zunehmend schützenswert und kostbar erscheint. In dem Kapitel Re-Naturierung und Urban Farming widme ich mich der Landwirtschaft im Allgemeinen und dessen räumlicher Verlagerung in die Stadt. Es stellt sich außerdem die Frage, welche konkreten Ansätze es gibt, den Zusammenhang zwischen Essen und Natur (wieder)herzustellen. Dies soll im vorletzten Kapitel (Essen und dessen Produktion als zusammengehörig verstehen) erläutert werden.
If the world is going to feed itself, cities must be transformed.
We will soon be a planet of nine billion people, with six billion living in cities. If the
world is going to feed itself, cities must be transformed.6
6
Tracey: Urban Agriculture, S. 7
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DIE MAHLZEIT Wir führen ein mobiles Leben, in dem es nur noch wenige feste Konstanten gibt. Oft wissen wir nicht, wo und wann wir die nächste Mahlzeit einnehmen werden, wer uns dabei Gesellschaft leisten wird oder ob wir allein essen werden. Die Mahlzeit scheint nicht mehr so „heilig“ wie zu früheren Zeiten. Eher wird sie „dazwischengeschoben“ oder läuft nebenher ab. Feste Essenszeiten gibt es nicht mehr. Aber ist dann überhaupt noch von einer „Mahlzeit“ zu sprechen? Klaus E. Müller schreibt in Kleine Geschichte des Essens und Trinkens, dass, wer zu Tisch sitze und traulich im Kreis der Familie speise, sich beim Klingeln des Telefons gestört fühle. „Ein Außenstehender drängt sich, ungebeten, in die familiäre Privatsphäre ein. Es gehört sich nicht, zur Essenszeit anzurufen. Doch heute halten sich nicht mehr viele daran.“7 Es stört uns ja auch kaum noch, im Gegenteil, wir fühlten uns eher schlecht, würden wir den Anruf nicht annehmen. Viele Leute essen am Schreibtisch, ohne dabei den Blick vom Bildschirm abzuwenden. Als wäre es ungehörig seine Aufmerksamkeit ganz dem Essen zu widmen. Selbst in Frankreich, Land der Sterneküche, findet hinsichtlich der Essenszeiten eine Verschiebung der Prioritäten statt. „Die traditionelle Mittagspause von zwei Stunden und Menü mit drei Gängen ist auch in Frankreich Vergangenheit. Ein Hauptgericht oder ein Sandwich ist heute die Regel“, so Laurence Ménard-Zantman, Lebensmittelexpertin eines französichen Marktforschungsunternehmens.8 Unsere Ess-Situation ist nicht mehr klar definiert. Täglich wird mehrmals neu entschieden, ob wir nur einen schnellen Snack im Stehen oder sogar im Gehen nehmen oder uns die Zeit gönnen, uns zu setzen, entweder in ein Lokal, an
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Müller: Kleine Geschichte des Essens und Trinkens, S.11 Ramge: Adieu, Cuisine!, S.127
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den Küchentisch oder vor den Fernseher. Wird es nur eine Stulle oder eine „richtige Mahlzeit“? Wird sie uns schmecken, werden wir Kraft tanken oder uns danach wie erschlagen fühlen? Oder etwa nicht satt geworden sein?
Die Sorge, enttäuscht zu werden, begleitet den Esser Tag für Tag: Wird er den
Vorgeschmack, der ihn bei der Bestellung oder bei der Zubereitung eines Gerichts
leitete, tatsächlich realisiert finden? Wird er ein „ordentliches“ Essen bekommen?
Und wird er sein Mahl vertragen, oder wird es ihm schaden? Wird er das
Zusammensein mit den Tischgenossen genießen können?
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/ DIE GEMEINSAME MAHLZEIT ALS SOZIALER RAUM
Das Wort Mahl war ursprünglich identisch mit dem Wort mal und bedeutet: „zu einer festgesetzten Zeit aufgetragenes Essen“10. Wie, um sich diesem speziellen Zeitpunkt noch einmal gewahr zu werden, sagt man – gerade im norddeutschen Raum – ebenfalls als Begrüßung „Mahlzeit“ (oder plattdeutsch: Kurzform von „Gesegnete Mahlzeit“
Mahltiet). Im Prinzip geht es also lediglich darum mal etwas zu essen? So vereinfachen lässt sich die Mahllzeit nicht. Sie hat ein eigenes Regelwerk, das je nach Ort, Zeit und Mit-Essenden immer wieder neu definiert werden muss.
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Die Mahlzeit, so sagt man, war der Beginn der Kultivierung des Essens und der
Gemeinschaft: Anders als Tiere wartete man auf einen gemeinsamen Beginn und
kannte Regeln des Teilens. Der ‚natürliche’ Rhythmus von Hunger und Sättigung
musste dazu an die Kultur der Mahlzeit angepasst werden.11
9 Rath: Der besorgte Esser, S.201 10 Mahl, das (Duden) 11 http://www.familienhandbuch.de/cms/Ernaehrung_Esskultur.pdf
Mahlzeiten sind Kommunikationsräume, in denen gleichzeitig „Elemente der Kultur konstituiert oder reproduziert werden“12. Claus-Dieter Rath spricht in Bezug auf das Mahl sogar von einer „fast rituell geregelten Handlung“:
In diesem Sinne ist „Mahl“ mehr als die bloße Verklammerung der Elemente „Nah
rungsmittel“, „Zubereitungstechnik“, „Sozialer Raum“, „Soziale Zeit“. Sein gere
gelter Charakter verleiht dem Essen ein gleichsam weihevolles Moment, denn das
„Mahl“ ist anderes als nur ein „Sich-Ernähren“, es besteht aus mehr als der Reali
sierung individueller Esslust.13
Das Mahl ist anderes als nur ein Sich-Ernähren, es besteht aus mehr als der Realisierung individueller Esslust.
Auch bei Kollegen, die zusammen in die Mittagspause gehen, gibt es Regeln.
Jeder, der in diesen Klub dazustößt, wird sich erst einmal nicht dazugehörig fühlen.Es existieren Tischsitten, die man als Neuankömmling lernen muss, um Teil der Gruppe zu werden.
So kann es unangenehm sein, den ersten Tag in einem neuen Büro anzutreten und die mittäglichen Gewohnheiten der Kollegen noch nicht zu durchschauen. Geht man auswärts essen? Bringt sich jeder etwas mit? Gibt es Cliquen? Darf man sich dazusetzen? Umso angenehmer, wenn bestimmte Dinge von vornherein geklärt ist. In Dänemark ist es z.B. üblich, dass der Arbeitgeber das Mittagessen (frokost) bezahlt. Es gibt also jeden Mittag für alle zusammen
12 Teuteberg: Zur kulturwissenschaftlichen Phänomenologie der täglichen Mahlzeiten, S.66 13 Rath: Reste der Tafelrunde, S.137; Vgl. in Bezug auf „Sozialer Raum“ und „Soziale Zeit“ von Tolksdorf IN Strukturalistische Nahrungsforschung
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smørrebrød. Abends zu Hause wird warm gegessen, ganz hyggelig im Kreise hygge, ein dänisches Wort, von dem es heißt, man könne es nicht übersetzen (http://wortschatz.uni-leipzig. de/abfrage/), bedeutet soviel wie „behaglich“, „im trauten Heim“, wird aber meist im Zusammenhang mit
der Familie oder von Freunden. Ein aufkommendes Heimwehgefühl kann mit von zu Hause gewohnten Speisen kompensiert, sogar „durch das Kochen und Essen eigener nationaltypischer Gerichte ein identitätsstiftendes Heimatgefühl in der Fremde entwickel[n] [...].“14
dem gemeinsamen Essen und Trinken benutzt.
Der soziale Raum des gemeinsamen Essens kann also, je nach kulturellem Umfeld unterschiedlich aussehen. Prioritäten werden bei Tisch in Japan anders als in Südafrika gesetzt. Die Unterschiede sind zum Beispiel am physischen Raum erkennbar - wo wird gegessen? In der Küche, in einer Art Gemeinschaftsraum oder im Freien? Auch am Essen selbst ist natürlich die jeweilige Kultur ablesbar. Geht man in Deutschland indisch essen, sind die Speisen anders gewürzt als für den indischen Gaumen. Oft ist es aber auch etwas so Banales wie das Esswerkzeug, dass unsere Esskulturen voneinander unterscheidet.
„Wenn ich Zeit habe, wenn ich genießen will, wenn ich aufwendig gekocht habe
und mit Familie oder Freunden esse, dann esse ich mit der Hand“, sagte mir Ama
Ata Aidoo, Schriftstellerin und Dozentin aus Ghana. „ Aber wenn ich in Eile bin,
einen Termin in der Uni oder anderswo habe, dann schaufle ich mir auch
mal schnell das Essen mit der Gabel rein.“
Sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie das Reinschaufeln mit der Gabel für ziemlich
unkultiviert und genussfeindlich hielt. Wie unsereiner es ja nicht für höchste
Lebensart hält, schnell aus der Hand eine Bratwurst oder ein Butterbrot zu essen,
wenn man in Eile ist: Zur wahren Lebensqualität gehört der gedeckte Tisch mit der
silbernen Gabel.
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Neunteufel/Pfusterschmid: Esskultur - Agrikultur, S.148
Was das Esswerkzeug angeht, teilte oder teilt sich die essende Welt in drei Gruppen: Die erste isst mit der Hand, die zweite mit Stäbchen, die dritte mit der Gabel (Messer oder Löffel werden gelegentlich von allen dreien benutzt).15
„Wenn ich Zeit habe, wenn ich genießen will, dann esse ich mit der Hand“
15
Vgl. Dünnebier/von Paczensky: Kulturgeschichte des Essens und Trinkens, S.308
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ESSEN ALS ERINNERUNGSRAUM Das Essen von bestimmten Gerichten kann auch über den Raum im Hier und Jetzt hinaus gehen und imaginäre, auch verschlossene, unbewusste Räume öffnen. Mit unter anderem diesem Phänomen beschäftigt sich die Künstlerin Marije Vogelzang aus den Niederlanden. Sie bezeichnet sich selbst als Eating Designer. Das Essen selbst, so sagt sie, sei schon von der Natur perfektioniert, deshalb sei der Begriff Food Design irreführend. In ihren Arbeiten widmet sie sich dem Akt des Essens, dessen Kultur und den verschiedenen Zubereitungsarten. Sie produziert damit Gedanken und kleine Geschichten rund um das Thema Essen. In ihrer dreitägigen Performance Eat Love Budapest arbeitete sie mit zehn Roma-Frauen zusammen. Diese erzählten den Ausstellungsbesuchern Geschichten aus ihrer Kindheit. Jedoch nicht nur mit Worten. Die Besucher wurden gleichzeitig von ihnen gefüttert, mit Speisen aus der Kindheit der Frauen, an die sie besondere Erinnerungen hatten. Man sah dabei nur die Hände der Frau, die einem zu Essen gab. Der Akt des Fütterns schafft eine intime Situation. Vogelzangs Intention war, eine persönliche Geschichte mit Essen zu transportieren. Jemanden, von dem man gefüttert wird, könne man nur mögen.16 Marcel Proust schreibt in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit sehr ausführlich über eine Erinnerung, hervorgerufen durch das Essen von Madeleines:
In der Stunde nun, wo dieser mit Kuchengeschmack gemischte Schluck Tee meinen
Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Unge
wöhnliches, das sich mit mir vollzog […] Sobald ich den Geschmack jener
Madeleine wiedererkannt hatte […] trat das graue Haus mit seiner Seitenfront
hinzu, und mit dem Hause die Stadt, der Platz, auf den man mich vor dem Mittag
16
Vgl. http://www.marijevogelzang.nl/www.marijevogelzang.nl/home.html
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essen schickte, die Straße [...]17
Hier tritt eine räumliche Erinnerung wieder in Erscheinung. Der Protagonist erinnert sich lebhaft an die Umgebung seiner Kindheit.
Mit Speisen sind Erinnerungen an Personen und Situationen verknüpft, wie auch
umgekehrt bestimmte Speisen Geschmackserinnerungen hervorrufen, die in Situati-
onen, die man „nie vergessen“ wird, geprägt wurden; bestimmte Geschmackspuren
spürt man noch auf der Zunge, man hat Gerüche noch in der Nase und kann sie bei
geschlossenen Augen wieder aufleben lassen.18
Essen kann bestimmte Räume wieder öffnen, die verschlossen waren, erzwingen kann man diesen Effekt leider nicht, zu flüchtig ist die Erinnerung mit dem Geschmackssinn verknüpft, zu viele Umstände haben das Erlebnis einst „mitgewürzt“. Gern nimmt man auch Ess-Rituale aus dem Urlaub für eine bestimmte Zeit mit nach Hause. z.B. die Angewohnheit aus Spanien, sehr spät zu Abend zu essen. Nach einiger Zeit merkt man jedoch, dass sich dieses Ritual nicht so einfach auf den anderen Ort übertragen lässt. Walter Benjamin schreibt in seiner Geschichte Maulbeer-Omelette von einem König, der seinen Leibkoch dazu auffordert, ihm solche Omelettes zuzubereiten, wie er sie vor fünfzig Jahren genossen habe.
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„Damals führte mein Vater Krieg gegen seinen bösen Nachbar im Osten. Der
hatte gesiegt und wir mussten fliehen. Und so flohen wir Tag und Nacht, mein
Vater und ich, bis wir in einen finsteren Wald gerieten. Den durchirrten wir und
waren vor Hunger und vor Erschöpfung nahe am Verenden, als wir endlich auf eine
Hütte stießen. Ein altes Mütterchen hauste darin, das hieß uns freundlich rasten,
17 18
Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit I, S. 70-74 Rath: Reste der Tafelrunde, S.45
selber aber machte es sich am Herde zu schaffen und nicht lange, so stand die
Maulbeer-Omelette vor uns. Kaum aber hatte ich davon den ersten Bissen zum
Munde geführt, so war ich wundervoll getröstet und neue Hoffnung kam in mein
Herz.“
Der König will den Koch zum Erben seines Reiches machen, wenn er ihm nur den einen Wunsch erfülle, noch einmal diese Speise genießen zu dürfen. Bei Nicht-Zufriedenstellung müsse dieser jedoch sterben. Der Koch fordert daraufhin gleich den Henker, denn sein Omelette würde dem König sowieso nicht schmecken,
„denn wie sollte ich sie mit alldem würzen, was du damals in dir genossen hast: der
Gefahr der Schlacht und der Wachsamkeit des Verfolgten, der Wärme des Herdes
und der Süße der Rast, der fremden Gegenwart und der dunklen Zukunft.“19
„...denn wie sollte ich sie mit alldem würzen, was du damals in dir genossen hast?“
19
Benjamin: Gesammelte Schriften, S.380-381
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GEWOHNHEITEN UND TRADITIONEN Wir alle sind regional und kulturell geprägt. Je nach Umfeld, in dem wir aufwachsen, bilden wir unterschiedliche Rituale und Gewohnheiten aus. Geht es um traditionelle Rezepte, hat jeder eine andere Idee davon. Hierzu-
Bei mir ist es Maggi-Würze. Ich er-
lande können beispielsweise die Meinungen darüber auseinandergehen, wie
nähre mich, soweit ich das beurtei-
Kartoffelbrei zubereitet wird. Ob Muskatnuss hineingehört, man Milch oder Sahne unterrühren sollte.
len kann, sehr gesund. Ich esse kein Fleisch, bevorzuge Bio und vermeide Zusatz- und Konservierungsstof-
Entsetzen, wenn jemand ein Gericht aus Kindheitstagen „falsch“ zubereitet.
fe. Am liebsten koche ich alles frisch
Doch warum? Wird damit die Kindheit ein bisschen zerstört? Die Erinnerung
und backe sogar mein Brot selbst.
verwischt? Andersherum: Was passiert, wenn man ein Gericht, das man als Kind gern gegessen hat, heute wieder vorgesetzt bekommt? Schmeckt es uns noch? Oder
Die „Sünde“, die sich mit alldem überhaupt nicht verträgt, das Überbleibsel, der Geschmack meiner Kindheit, ist Maggi aus der Flasche.
sind es nur die daran hängenden Erinnerungen, die unseren Geschmack be-
Als ich Kind war, gab es oft Eier-
einträchtigen?
graupe zu essen. Ein traditioneller
Erinnerungen sind häufig mit Essen und bestimmten Vorgängen in der Küche verknüpft, wir übernehmen die Art und Weise, wie die Mutter den Apfel
schlesischer Eintopf mit geschnittenen Würstchen und Speck drin und - in unserem Fall - sehr viel Maggi. Meine Mutter, meine Oma und meine
geschält hat, benutzen teilweise noch dieselben Küchengeräte, bzw. haben
Uroma haben das so gemacht. Als
sie damals bei unserem Auszug von zu Hause mitgenommen (z.B. den alten
mir eines Tages nach dem Eiergrau-
Sparschäler oder den Kochtopf, in dem schon gekocht wurde, als wir noch klein waren). An manche Dinge haben wir uns so gewöhnt, dass wir auch als Erwachsene nicht davon ablassen können. „Morgens gibt es Butter, abends
peessen übel wurde, war es vorbei mit dem Eintopf für mich - dabei hatte ich nur Magen-Darm-Grippe. (Eigene Erfahrung)
Margarine“; höchstwahrscheinlich noch ein Überbleibsel aus Kriegszeiten, und doch wird diese Gewohnheit in der Familie meines Freundes noch immer gepflegt.
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Oft werden auch Rituale, die sich auf den Raum beziehen, in dem gegessen wird, jahrzehntelang nicht hinterfragt. So kann es zur Gewohnheit werden, dass vor jeder Mahlzeit erst noch ein Stuhl aus dem Nebenraum geholt wird, der Tisch ausgezogen werden muss, man eigentlich vor jedem Essen noch etwas umzuräumen hat, ohne sich daran zu stÜren.
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WERTEVERSCHIEBUNGEN Von der Nachkriegszeit bis heute hat sich die Vorstellung von Essen in unseren Köpfen stark verändert. Sein eigenes Gemüse anzubauen, Früchte einzukochen oder Speisen täglich frisch zuzubereiten erscheint uns heute immer mehr als Idealbild guter Ernährung und als Möglichkeit der Entschleunigung. Wir sehnen uns nahezu nach körperlicher Arbeit. Früher gab es keine Alternative zum Selbermachen, heute „gönnt“ man sich die Frische. Zu Nachkriegszeiten kamen neue Produkte auf den Markt, die der Hausfrau das Leben erleichtern sollten.
Unvergesslich die (in der Erinnerung selbst gemachte) klare Brühe mit Eierstich im
Gasthof. Ein Ereignis […] die angeröstete Grießsuppe mit Curry, die nachzubauen
mir erst etwa 20 Jahre später gelang, und der Hühnersuppentopf, der sowohl im
westfälischen Schwelm als auch in der Autobahnraststätte Bruchsal zu haben
war. Welche gigantische Manipulation eines Unschuldigen! Wie sollte ich von dem
Fischmehl-Zusatz im Hähnchenfutter wissen? […] Dass die Curry-gewürzte
Brühe aus Liebig‘s Fleischextrakt bestand und mir insofern „exotisch“
schmeckte? Wen störte es im Aufbaudeutschland, dass der Hühnersuppentopf ein
Amalgam war aus Huhn, Dosenspargel und -champignons mit Reis und
künstlicher Brühe - leicht begrünt mit einigen Dosen-Erbsen?20
Unsere Eltern und Großeltern ziehen teilweise noch immer die Dosen- oder Tiefkühlvariante dem frischen Gemüse vor. Warum sich die Arbeit machen, wo man doch günstige und schon halbfertige Alternativen fertig kaufen könne. Während der Industrialisierung strömten viele Bauern in die Städte. Dieser Umstand änderte zum Einen die Essgewohnheiten bezüglich der Mahlzeit 20
Reuter: Eingeklemmt zwischen Auster und Currywurst, S.163
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(von nun an gab es feste Essenspausen), außerdem die Einstellung zu Eigenanbau und Selbstversorgung.
Der Wandel unserer Gesellschaft von einer Agrar- über eine Industrie- zu einer
Dienstleistungsgesellschaft wird gemeinhin als Fortschritt verstanden. In diesem
Sinne ist Landwirtschaft daher ein Symbol des Verharrens im ewig Gestrigen.21
Auch die Rolle der Küche als Multifunktions- und Verwertungsraum änderte sich hin zu einer Art sterilem Labor, in dem zunehmend mehr Essen aus anorganischen Verpackungen kam und nur noch aufgemacht und aufgewärmt wurde.
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Die Großfamilie auf dem Lande, die im eigenen Haus wohnte und arbeitete, aber
auch die bürgerliche Familie des Biedermeier, betrieb eine ausgedehnte Vorratswirt-
schaft und die Küche war das Arsenal der dazu notwendigen Einrichtungen. In ihr
wurde nicht nur die tägliche Mahlzeit vorbereitet, man knetete und backte sein
eigenes Brot, fertigte die eigenen Kerzen für den Winter, man pökelte und salzte
Fleisch ein, hobelte jede Menge Kraut, rührte Marmeladen und teilte das Fleisch
für den Räucherplatz im Kamin. Man schlachtete Kleintiere in der Küche,
fertigte die Würste bei der herbstlichen Hausschlachtung, stellte eigene Teigwaren
her aus großen ausgewalzten Fladen, bearbeitete den Flachs zum Spinnen, kochte
sein eigenes Bohnerwachs und die eigene Seife.22
21 22
Müller: Urban Gardening, S. 130 Aicher: Die Küche zum Kochen, S.9
Die K체che 채nderte sich hin zu einer Art sterilem Labor, in dem Essen aus Verpackungen kommt.
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RÄUME DES GEMEINSAMEN ESSENS Markus Schroer schreibt in seinem Buch Räume, Orte, Grenzen, dass es keine eindeutige Trennung mehr zwischen dem privaten und dem öffentlichen Raum gebe. Der sogenannte öffentliche Raum werde zunehmend privatisiert (z.B. durch Shopping-Malls), gleichzeitig habe der Privatraum immer auch Anschluss zur Öffentlichkeit.23 „Die eigenen vier Wände“24 fungieren daher nicht mehr als klare Abgrenzung nach außen. (Im Folgenden unterscheide ich dennoch zwischen privat und öffentlich, da sich die Situation des Essens zu Hause meist noch stark z.B. von der im Restaurant unterscheidet.) Mit Räumen des gemeinsamen Essens sind somit nicht nur physische Räume gemeint, sondern auch soziale, temporäre Räume, die sich immer dann bilden, wenn Menschen zusammen essen. Dies kann zu Hause geschehen, jedoch auch auswärts, bei Freunden oder in Lokalitäten oder sogar in Bewegung (Essen auf Reisen, Proviant, Ausflüge mit Picknick, der schnelle Snack im Gehen). In Gesellschaft zu speisen bedeutet auch immer, sich bestimmten Normen zu unterwerfen. Im 16. Jahrhundert kam es zur Ausbildung der Tischmanieren. Absolute Selbstkontrolle stand dabei im Vordergrund, „man musste dabei seinen Körper mit seinen unanständigen Gelüsten, seinen Funktionen, Geräuschen und Säften vergessen.“25 Privatheit definierte sich nicht lediglich über den Raum, sondern gehörte zum Bereich des Gedachten und Geheimen. Durch die Zunahme von Tischutensilien, die man sich nicht mehr, wie einst im Mittelalter mit seinem Tischnachbarn teilen musste, war es auch bei einem öffentlichen Bankett möglich, mit dem eigenen Teller, Glas und Besteck eine Mauer um sich herum zu errichten und so seine Intimsphäre zu wahren.26 23 24 25 26
Vgl. Schroer: Räume, Orte Grenzen, S.232-235 Vgl. Selle: Die eigenen vier Wände Vgl. Ariès/Chartier: Geschichte des privaten Lebens, S.189 Ebd. S.270
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Auch wenn man gemeinsam aß, grenzte man sich nun voneinander ab, als einzelne Individuen in einer Gruppe Essender. Diese Gewohnheit ist in unserer westlichen Welt bis heute geblieben. Die Scheu besteht, in den Essbereich eines anderen hinein- oder herüberzugreifen und gilt nach wie vor als Eindringen in die Intimsphäre seines Gegenüber, welches es zu entschuldigen gilt.
Bei einem öffentlichen Bankett war es möglich, mit dem eigenen Teller, Glas und Besteck eine Mauer um sich herum zu errichten und so seine Intimsphäre zu wahren. Über den räumlichen Aspekt hinaus, zählen für Ulrich Tolksdorf außerdem noch diverse Faktoren zur Bewertung einer Ess-Situation:
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Unter […] „soziale Zeit“ verstehen wir u.a. lebensgeschichtliche Situationen wie
z.B. Kindheit, Krankheit, Schwangerschaft, Alter (denen z.B. bei „Nahrungsmit-
teln“ bzw. Speise Kinder- und Krankenkost entspricht), aber auch z.B. Hunger-
und Notzeiten oder bestimmte jahreszeitliche Termine wie z.B. Frühling und Herbst
oder Weihnachten und Ostern. Dazu gehören natürlich auch Tages-, Wochen- und
Jahresrhythmus, ebenso wie die Zeiten der Arbeit und der Freizeit. […]
Dasselbe gilt für den „sozialen Raum“, wo wir den Verzehrsort […], also z.B. Haus
- außer Haus, Gute Stube, Küche, Gastwirtschaft, auf der Straße (Imbiss-Situati-
on), Tischordnung usw. bestimmen. So mag es z.B. bei der Kategorisierung von
Situationen wichtig sein, ob der soziale Ort „Tisch“ vorhanden ist oder nicht. Das
Fehlen eines Tisches (bei Parties, Picknicks, Stehhallen, Mahlzeiten auf dem Feld
usw.) bedeutet einen weitreichenden Verlust von dem, was wir
traditionellerweise mit Esskultur verbinden, da es keine feste Sitz- und Tischord-
nung, keine Tafelsitten, keine festen Tischpartner und Tischgespräche usw. mehr
gibt. Weiterhin hat diese Verzehrs-Situation bestimmte Auswirkungen auf die
Auswahl und Zubereitung der Nahrungsmittel.27
In Tolksdorfs Verständnis von Esskultur ist der Tisch als Instrument essentiell. Im alltäglichen Sprachgebrauch ebenfalls präsent (man spricht von „Mittagstisch“ oder davon, dass jemand gerade „zu Tisch“ sei), hat der Tisch jedoch als Verzehrsort keine zwingende Bedeutung mehr. Jemand, der „zu Tisch“ ist, kann auch einen Döner im Stehen essen. Demnach stellt sich die Frage nach noch vorhandenen Verzehrsorten und wie groß ihre Bedeutung für ein gemeinsames Essen ist. Inwieweit wirken sich unterschiedliche Umgebungen und Atmosphären auf unseren Geschmack aus, welche äußeren Umstände lassen uns genießen und welche eher hastig schlingen?
/PRIVAT
Im Bereich des Wohnens ist die Küche im Laufe der Jahrhunderte immer mehr in den Mittelpunkt gerückt. Früher verschämt im Hintergrund gehalten und meist nur für Bedienstete zugänglich, ist sie heute das Herz des Hauses, ein Ort, an dem man zusammenfindet.
Nahrung wird in der Küche produziert und verteilt. Zu Hause, auf einem Schiff, in
der Kantine oder einem Restaurant ist die Küche Zentrum des kollektiven
Metabolismus. Dort wird die Nahrung gelagert, verarbeitet und verteilt.28
27 28
Tolksdorf: Strukturalistische Nahrungsforschung, S.18 Krasny: Hands-on Urbanism, S.55
THEORIE
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Jede Küche {…} ist eine Arche: Sie ist der Raum, wo der Metabolismus seinen
Anfang nimmt; sie ist das primäre Laboratorium physischer Freude.29
Etwas Rituelles haftet den banalsten Vorgängen an. Das Frühstück herzurichten
ist eine Vorbereitung auf den Tag. Umsicht und Dauer der Verrichtung dürfen
nicht gestört werden; dann sitzt man in der Küche bis zu den Nachrichten mit Ver-
kehrslagebericht, ehe die Beteiligten in verschiedene Richtungen davonfahren. Am
Abend wird die Küche zum Ort der Regeneration, die mit dem kritischen Blick in den
Kühlschrank oder dem Entkorken einer Flasche beginnt.30
Wir wollen dabei sein, wenn unser Essen zubereitet wird, wollen sehen, was in den Töpfen vor sich geht. Das Herdfeuer zieht uns magisch an, immer noch zeigt sich der Mensch fasziniert von dem „ursprüngliche[n], lebensspendende[n] Element […]. Kinder wissen es, wenn sie verbotenerweise kokeln […].31 Show Cooking ist mittlerweile fast zum Standard geworden, auch weil Restaurants zeigen wollen, dass sie nichts zu verbergen haben. Das Pendant dazu ist die amerikanische Küche zu Hause. Immer mehr Leute treffen sich mit ihren Freunden zum Kochen, statt diese zum Essen einzuladen. Das Kochen als gemeinsame Aktion rückt in den Vordergrund, die daraus hervorgehenden Speisen scheinen lediglich wie ein netter Nebeneffekt.
34
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EAT THE CITY!
Eine Küche ist attraktiv. Es geht in ihr etwas vor. Es wäre schon ausreichend,
anderen bei der Arbeit zuzusehen. Aber die Küchenarbeit ist nicht laut, man kann
sich unterhalten, man kann sich behilflich zeigen durch die ein oder andere
Nebentätigkeit, und sei es nur das Schnittlauchschneiden. Meistens sind Küchen
anheimelnd. Es riecht gut, es gibt schöne Töpfe, schönes Geschirr. Kochtöpfe
29 30 31
Ebd. S.57 Selle: Die eigenen vier Wände, S.100 Ebd. S.93
summen und sprechen, es ist mollig warm und die innere Sekretion kommt in
Bewegung, man bekommt Appetit.32
Küchen stehen für Gemütlichkeit, für nettes Beisammensein. Dem entgegengesetzt entstand Anfang des letzten Jahrhunderts, zu Zeiten des Taylorismus, in den USA das Konzept der durchrationalisierten Kleinküche.
Ihr Pate war die Schiffsküche, die Küche der neuen Bullmann-Züge. Wohnen und
Kochen sollte getrennt werden wie in einem arbeitsteiligen Fertigungsprozess.
Die Küche sollte zur Arbeitszelle der Essenszubereitung entwickelt werden mit
einem Optimum an arbeitsplatzmäßiger Organisation und mechanischer und elekt-
rischer Ausstattung. […]
Und indem man den zentralen Tisch aus der Küche entfernte, wurde die Küche
kompakter, wurden die Wege kürzer und die Wechselbeziehungen enger, die Objekte
leichter greifbar. Mit dem Tisch verschwand die Muße, der Leerlauf, die Küchen-
arbeit wurde zur Fertigung.33
Gerd Selle spricht 1994 vom „Verschwinden der Küche, an deren Ende die Mikrowelle und der in das Wohnfeld integrierte, unsichtbar gemachte Kühlschrank oder ein multifunktionales Designer-Möbel stehen wird, das die ganze Küche ersetzt.“34 Mittlerweile wissen wir, dass die Menschen ihre Küche zurückerobern und sich nicht alle Arbeit von Maschinen abnehmen lassen wollen. Kochen ist zur (Luxus-)Freizeitbeschäftigung geworden, die es zu überwinden gilt. Kochen kann wieder aktiv und wie selbstverständlich in den Alltag integriert werden und nicht „nur wenn man ganz viel Zeit hat“. Es muss nicht immer ein 3-Gänge-Menü auf den Tisch kommen, auch einfache, schnelle Gerichte können erstklassig sein, durch eine gute Qualität der Lebensmittel.
32 33 34
Aicher: Die Küche zum Kochen, S.28 Ebd. S.11 Selle: Die eigenen vier Wände, S. 99
THEORIE
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35
Von
diesem
Gedanken
ange-
trieben werden die Erfinder des Kochhauses. Mit mittlerweile drei Standorten in Berlin und vier in Hamburg erfreut sich das „begehbare Rezeptbuch“ immer größerer Beliebtheit. Hier sind die Lebensmittel nicht nach Warengruppen, sondern nach Rezepten sortiert, welche wöchentlich wechseln. So kauft man wirklich nur die für das Rezept erforderliche Menge ein (z.B. eine Knoblauchzehe, statt der ganzen Knolle). Die Rezepte sind sehr simpel. Die Idee ist, abends nach der Arbeit, statt zum Fertiggericht zu greifen, sich selbst in maximal einer halben Stunde etwas Frisches zu kochen. Die Küche ist als Labor des Alltags zu verstehen. Hier wird der Rohstoff zum richtigen Essen umgewandelt. Ein Ort der Metamorphose. Gegessen wird oft direkt dort, am Ort des Geschehens. Das Esszimmer kommt zunehmend aus der Mode, die Übergange von Koch-, Ess- und Wohnbereich werden fließender, offene Küchen immer beliebter. Auch im Bett wird gegessen, das sonntägliche Frühstück im Bett gilt bei vielen als Inbegriff der Gemütlichkeit. Bei den alten Römern herrschte die Sitte, alle Speisen im Liegen einzunehmen, mit einem Arm seitlich aufgestützt.35 Essen wird oft mit Kommunikation in Verbindung gebracht. Essen sei kommunikativ, nichts gehe über ein gepflegtes Tischgespräch. Gerd Selle spricht in Die eigenen vier Wände sogar von einer Genusssteigerung, esse man mit
36
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EAT THE CITY!
35
Vgl. Dünnebier/von Paczensky: Kulturgeschichte des Essens und Trinkens, S.308
jemandem zusammen. Nichts sei langweiliger und unkultivierter, als sich allein den Bauch vollzuschlagen.36 Dennoch „empfindet [man] ein gewisses Unbehagen, sich in einem Lokal zu einem Fremden an den Tisch zu setzen und seine Mahlzeit gemeinsam mit ihm einnehmen zu müssen. Selten knüpft man ein Gespräch an. Wenn irgend möglich sucht man sich seinen eigenen Tisch, ob man allein oder in Gesellschaft ist.“37 Fast hat man das Gefühl, in die Privatsphäre des Fremden einzudringen. Zusammen zu essen schafft zu viel Intimität. Das Wort Kumpan entwickelte sich aus dem italienischen Wort compagno, d.h. derjenige, mit dem man sein Brot teilt. Der sogenannte Eigenbrötler bezeichnet hingegen den Allein-Essenden.38 Einen Bruch mit diesen bisherigen Anstandsregeln beschreibt der Trend, auch fremde Gäste bei sich zu Hause zu bewirten. Supper Clubs sind private, informelle Restaurants in Privatwohnungen, bei denen die Gastgeber eine bestimmte Anzahl Gäste bekochen, die sich vorher zu diesem geheimen Treffen angemeldet haben. Die Schwellenangst ist in diesem Fall natürlich nur begrenzt, schließlich hat man sich ja doch offiziell angemeldet und damit die Legitimation mit Fremden um einen Tisch zu sitzen - bei Leuten zuhause, die man ebenfalls nicht kennt.
36 37 38
Vgl. Selle: Die eigenen vier Wände, S.116 Müller: Kleine Geschichte des Essens und Trinkens, S.129 Vgl. Zischka/Ottomeyer/Bäumler: Die anständige Lust, S.371
THEORIE
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37
// ÖFFENTLICH
Im urbanen Kontext stellt sich die Frage, wie sich Esskulturen in Zeiten der Globalisierung verändern. Transportwege sind kein Thema mehr, alle Strecken sind schnell überwindbar. Essen wird dort produziert oder weiterverarbeitet, wo es am günstigsten ist. Wie verhält sich das Gefühl von Urbanität gegenüber Restaurants, Take-Aways oder Imbissbuden?
/// RESTAURANTS
Lange Zeit galt es als eher unbequem außer Haus zu essen, „niemand ging zum Vergnügen auswärts Essen, sondern nur aus Notwendigkeit, etwa auf Reisen. Da musste man vor allem in kleineren Orten mit dem einzigen Gasthof vorlieb nehmen, den es gab und mit dem einzigen Menü, das dieser servierte.“39
Dass Menschen, wenn sie es sich leisten können, häufig in Restaurants ausgehen,
dass sich Paare dort treffen, dass Familien dort feiern, ist in der Geschichte des
guten Essens eher ungewöhnlich. Gewöhnlich ließen wohlhabende Menschen zu
Hause kochen und luden Gäste ein, oder sie waren bei Freunden zu Gast. Das Ver-
gnügen am Essen fand zu Hause statt. Essen ging, wer musste, wer keine Küche
hatte, nicht genug Geld für Brennstoff, nicht genug Platz im Haus. Oder gar kein
Haus. Läden oder Buden, wo solche Menschen etwas Warmes essen oder
mitnehmen konnten, gab es lange, bevor Restaurants existierten.40
Später kehrte sich diese Denkweise um, man ging ins Restaurant, um besser als zu Hause zu essen.41 Heutzutage sind Restaurants auf verschiedene Küchen spezialisiert (z.B. fran-
38
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EAT THE CITY!
39 40 41
Dünnebier/von Paczensky: Kulturgeschichte des Essens und Trinkens, S.130 Ebd. S.126 Ebd. S.138
zösich, indisch, vegan, Steakhouse) oder machen durch besondere Konzepte von sich reden. Oft kehren die Gäste aus besonderen Gründen hier ein. Vielleicht gibt es etwas zu feiern, eine Einladung wurde ausgesprochen, Freunde treffen sich zum gemeinsamen Mahl, Geschäftsessen finden statt, man ist im Urlaub oder der Esser möchte sich einfach nur etwas gönnen. Das einzig Festgelegte scheint der Ort zu sein. Doch ist dieser überhaupt noch relevant? In Zeiten der Globalisierung ist es uns nahezu an jedem Ort der Erde möglich, zu essen was wir wollen. Der uns dabei umgebende Raum wird zweitrangig. Man könnte fast meinen, der Raum, der diesbezüglich überhaupt noch von Interesse ist, ist die Transportbox, in die unser Essen verpackt ist, sozusagen als kleinste gastronomischräumliche Einheit.
Der Raum, der von Interesse ist, ist die Transportbox, sozusagen als kleinste gastronomisch-räumliche Einheit. Besonders deutlich wird dies am Beispiel Sushi – dem Fast Food der Globalisierung. In dem Buch The Sushi Economy wird dies am Beispiel des dafür benötigten Thunfisch erklärt.
Eating at a sushi bar, then, is not so much an escape from fast-paced global
commerce as an immersion in it. [...] Nearly every business across the world has
been in some way affected by the currents of global capitalism, but in few places are THEORIE
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39
the complex dynamics of globalization revealed as visibly as in the tuna‘s journey
from the sea to the sushi bar.42
Die kommerzialisierte Fischerei und verbesserte Kühlungssysteme ermöglichen frischen Fisch in Sushi-Qualität, in Unabhängigkeit davon, ob die SushiBar sich in Meeresnähe oder in einer Metropole im Landesinneren befindet. Issenberg spricht diesbezüglich von der „era of the flying fish“.43 Der wichtigste Hafen für den Handel mit frischem Fisch ist der Flughafen geworden. Mit dem Sushi-Boom begann auch der stete Rückgang der Thunfischbestände. Genauer die des Blauflossenthuns, ein Fisch, der in früheren Zeiten bestenfalls als Katzenfutter verwendet wurde.
Along the way to the sushi bar, tuna are studiously whittled down from majestic
schools patrolling the open seas into headless cadavers into microwave-oven-size
blocks piled in storage rooms into, finally, domino-like serving portions.44
Der Umgang mit dem Produkt wird hier zunehmend anonymisiert. Dass das winzige Stück auf dem geformten Reis mal ein bis zu drei Meter langer Fisch gewesen sein soll ist kaum vorstellbar. Absurd wird es, wenn die SushiRöllchen dann auch noch von Robotern, sogenannten sushi-robots hergestellt werden.45 Am Sushi-Phänomen wird deutlich, dass sich das Verständnis von Restaurants im klassischen Sinne völlig verändert hat. Die Welle, die von Japan in den 80er Jahren nach Amerika schwappte und schließlich Europa erreichte, erzeugte ein neues Gefühl von Urbanität. Dies war eine neue Art von StreetFood, hergestellt in größter Sorgfalt. Dadurch, dass sich dieses je nach Ort ein
40
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EAT THE CITY!
42 43 44 45
Issenberg: The Sushi Economy, S.xi Ebd. S.13 Ebd. S.xiv Vgl. ebd. S.xxi
wenig veränderte und dem dortigen Geschmack angepasst wurde, entwickelte sich eine Art „globale Küche“. Bestes Beispiel dafür ist die California Spring Roll (mit Avocado und „inside-out“46). Los Angeles ist heute bekannt für seine vielen Sushi-Bars. So hat auch jede andere Stadt (oder auch jedes Land) „sein“ spezielles „ethnic food“. In Deutschland ernährt der Döner die Großstädte, in Paris ist es Couscous, Tacos in San Antonio usw.47 Sind die Tage der Sterneküche gezählt? Im Land der bonne cuisine, Frankreich, verzeichnet die Tiefkühlkost-Firma Picard eine jährliches Wachstum von bis zu 10 %. Es gilt nicht mehr als Affront, geladenen Gästen Picard-Produkte aufzutischen. Diese gelten als etwas teurer und haben den Ruf von ausgezeichneter Qualität. Die Mahlzeit in der Box ist praktisch. Der Verbraucher hat nicht mehr mit der amorphen Form des natürlichen Essens zu „kämpfen“, abgewaschen werden muss es auch nicht mehr. Der Kommunikationsdirektor von Picard spricht vom „Siegeszug der ‚cuisine assemblée‘, was in etwa Modulküche heißt und bedeutet, dass sich die Franzosen ihre Mahlzeiten immer häufiger aus fertigen Bausteinen zusammensetzen.“48
//// IMBISSE UND KANTINEN
Der Übergang vom Restaurant zum Imbiss ist in Anbetracht von Sushi-Bars eigentlich fließend. In diesem Kapitel wird jedoch die typisch deutsche Imbissbude oder Kantine beschrieben, in der es beispielsweise „Currywurst, Pommes zum Mittagstisch“ gibt.
46 47 48
Vgl. ebd. S.xxii, 90 Vgl. ebd. S. 93 Ramge: Adieu, Cuisine!, S.128
THEORIE
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41
Die Imbissbude hat ihren Ort im Unterwegs, im Vorübergehen.49 Hier gab es Show Cooking schon immer, nur ohne Show. Schon äußerlich ist sie ein Phänomen. Wie ein „stummer Marktschreier“ macht sie auf sich aufmerksam. Muttersprachliche Originalität und Größe der Mitteilungen können erfolgsDer frühere Imbiss Hunger und
entscheidend sein.50 Ästhetische Grundsätze werden über Bord geworfen, der
Durst, in der Nähe der Bergstraße
Kunde mag es so.
in Kiel, war so ein Ort. Er hatte rund um die Uhr geöffnet, es gab Burger,
Die Imbissbude hat noch etwas Selbstgemachtes an sich; sie gleicht einer Art öffent-
Bier und Jägermeister. Seine Fan-
licher Kochnische. In scheinbar nachbarlicher Weise, in einem scheinbar informellen
gemeinde schätzte ihn besonders
„Mensch zu Mensch“ wird hier schnell etwas gebrutzelt. Dem Restaurant gegen-
nach der durchzechten Nacht, mor-
über nimmt sich die Imbissbude wie ein Puppenküche aus, sie erinnert an Kleingar-
gens um 6 oder 7. Der Laden war
ten und Camping: [...], eine Art Jahrmarkt inmitten der Großstädte und Beton-
schluchten. Der Imbisswirt erscheint nicht als Koch eher als (amateurhafter, ehren-
artikel, ein Fernseher (Fußball), im
amtlicher) Schausteller, der - in leicht erhöhter Position auf seinem Podest oder
Radio lief NDR 1, Welle Nord. Kra-
Lattenrost stehend - im Tages- oder Scheinwerferlicht hantiert. Diese Hervorhebung
kelige Edding-Schrift pries über dem
verleiht seinen selten mehr als einfachen Handlungen einen gewissen Kultwert. Der
Kunde gleicht eher einem Zuschauer oder Zaungast, der am Ritual teilhaben darf
und beiläufig auch etwas abbekommt von dieser öffentlichen Essenzubereitung.51
meist zwei oder drei blasse Gestal-
Der Buden-Esser hat sehr wohl seine Präferenz, denn seine kleinen Vorlieben für
ten. Der Besitzer Nobbi, sein Vater
Geschmack und Atmosphäre sieht er nur bei einer beschränkten Anzahl von Lieb-
lingsbuden befriedigt. So schafft er sich innerhalb der städtischen Topografie, zwi-
mahnte Nobbi immer wieder jeman-
schen U-Bahn-Stationen, Straßenbahnhaltestellen und Buslinien, zwischen
den oder setzte Störenfriede vor die
Arbeitsstelle, Wohnung, Sportverein und Spazierwegen eine Reihe von Fixpunkten,
Tür. Wir als Stammgäste ächteten die
an die sich sein „Magenfahrplan“ halten kann. […]
Neu-Kunden, die
Da wird knapp gegrüßt und still nickend wiedererkannt; es wird jovial auf die
Schulter geschlagen und lauthals geredet. Gegen den Drang des Heißhungers ist
jedoch jeder Versuch eines wohltemperierten Gesprächs fruchtlos. Was seiner Span-
49 50 51
Vgl. Rath: Reste der Tafelrunde, S.192 Vgl. von Wetzlar/Buckstegen: Urbane Anarchisten, S.8 Rath: Reste der Tafelrunde, S.192
Pommes und Bratwurst, außerdem
um diese Zeit stets knüppelvoll. An den Wänden: vergilbte Zeitungs-
Bestelltresen die Spezialitäten des Hauses an („Mega-Burger, Achtung: kaum zu schaffen!“, Pferdewurst usw.). Hinter dem Tresen arbeiteten
oder sein Bruder, alle drei eher von schwerer Statur. Zwischendurch er-
versuch-
ten sich vorzudrängeln oder sich mit dem Angebot nicht auskannten. Wir bestellten immer Cheese Large und Vegetarisch L und harrten aus, bis Nobbi uns - nach langer Wartezeit mit der Güte einer Großmutter unsere Burger rüberreichte.
42
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EAT THE CITY!
nung allein entspricht, ist der Spruch.52 Eine Aneinanderreihung von Sprü-
Solche, scheinbar undurchdringbaren Imbissgemeinschaften wie diese findet, man überall in Deutschland.
chen, von Gesprächen, die zu keinem Ergebnis kommen ist das beispielhafte Schlemmerbistro der Radio-Comedy Frühstück bei Stefa-
Im Nest will man nicht gern gestört werden. Das merken wir, wenn wir Lokale
betreten, in denen viel Stammkundschaft sitzt. Die Gespräche verstummen, wir
ginnt immer gleich: „Steffi, machst
werden angeglotzt. Wir sind da in einen geschlossenen Kreis eingebrochen, der uns
du mir ‚n Mettbrötchen?“ - „Nee,
oft auch merken lässt, dass er sich gestört fühlt - bis die Chefin oder der Chef uns
muss ich erst schmier‘n. Milch und
gnädig nach unserem Durst fragt, allmählich von seiner Ernsthaftigkeit überzeugt
wird, mit Einschenken, vielleicht schon Geplauder eine Art Eintrittskarte ausstellt.
Da haben die anderen ihre Gespräche wieder aufgenommen, und wir sind
akzeptiert. Und reagieren bei der Ankunft der oder des nächsten Fremden ebenso.53
nie auf NDR 2. Das Gespräch be-
Zucker nehmt ihr selber, nä?“ Zur Stammkundschaft gehören der mürrische Herr Ahlers, Lebenskünstler Udo und Opa Gercke
Während der Restaurantbesucher sich weltoffen zeigen will, fühlt sich der Imbissbudengänger einem Klub zugehörig. Dazu ist es nicht nötig, mit anderen „Mitgliedern“ zu sprechen. Man versteht sich ohne Worte. Ähnlich verhält es sich in Kantinen, aber auch in kleinen Kiez-Cafés. Dem vorherrschenden Habitus an deutschen Imbissbuden („ich bin die Wurst, er ist die Pommes“) wird fast genau soviel Aufmerksamkeit geschenkt wie dem Fachsimpeln über die richtige Soße der Currywurst. Imbisse und Garküchen haben eine lange Tradition. Im Mittelalter waren sie eine günstige Möglichkeit für eine warme Mahlzeit, wenn man kein Geld für Brennstoff hatte oder gar keinen eigenen Ofen, geschweige denn ein Haus besaß. Meistens wurde ein Gericht aus einem Topf angeboten. Im Han-China war dies bespielsweise Keng, ein ragoutartiger Eintopf, der sehr lange kochen musste und zuhause viel Brennholz gekostet hätte.
52 53
Rath: Reste der Tafelrunde, S.200 Dünnebier/von Paczensky: Kulturgeschichte des Essens und Trinkens, S.211
THEORIE
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43
Etwa im 12. Jahrhundert wurde in Deutschland die erste Wurstbude gegr端ndet.54 Vorl辰ufer f端r die uns heute bekannten (oben beschriebenen) Imbisse und einer der Bestandteile unseres Gef端hls von Stadt.
44
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EAT THE CITY!
54
Vgl. ebd. S.126
„ich bin die Wurst, er ist die Pommes“
THEORIE
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45
46
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EAT THE CITY!
RE-NATURIERUNG UND URBAN FARMING - ANFÄNGE, GEGENWART UND ZUKUNFT Der Begriff des Urbanen ist bei uns nicht unmittelbar mit der Produktion von Lebensmitteln verbunden. Stadt und Landwirtschaft erscheint gegensätzlich, dabei müssen Stadtmenschen genauso Nahrung zu sich nehmen, wie Menschen aus ländlicheren Regionen.
We like to think of the „farmer“ as someone possessing good old-fashioned Ameri-
can values and common sense, with a big family of healthy wholesome children who
all go to church every Sunday. An image of people like that producing our food
somewhere, makes us feel better than if we saw where most of our food was actually
coming from. [...] It was nomal for an individual to move from the farm to the city,
but nobody grew up in the city to become a farmer.55
Der Bauer führt in unseren Köpfen klassischerweise ein romantisches Leben auf dem Land und beliefert den Stadtmenschen mit seinen Erzeugnissen, von denen er als sein eigener Versorger praktisch autark leben kann. Von Stadtkindern sagt man, sie würden im Kindergarten lilafarbene Kühe malen, weil sie noch nie einer im wahren Leben begegnet wären und somit nur die Kuh aus der Milka-Werbung vor ihrem inneren Auge sähen.
Unser Zulieferer an natürlichen Rohstoffen ist aber nicht die Landwirtschaft,
sondern das Agrarbusiness. Was die Bodenständigkeit betrifft: Von den zwischen
450 000 und 600 000 Tonnen Weißkohl, die in Deutschland pro Jahr produziert
werden, entfällt ein Drittel auf das schleswig-holsteinische Dithmarschen. Von die-
sem Drittel wandern in den einheimischen Kochtopf nur fünf Prozent, der Rest
wird europaweit vermarktet.56
55 56
Despommier: The Vertical Farm, S.XIII-XIV Reuter: Eingeklemmt zwischen Auster und Currywurst, S.184
THEORIE
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47
Landwirte sind meist auf eine Disziplin, wie Milchwirtschaft oder Getreideanbau spezialisiert. Längst spricht man nicht mehr von „dem Bauernhof“ sondern vom „Agrarbusiness“ oder der „Agrarindustrie“. Tiere werden als Fleischlieferanten nicht aufgezogen, sondern Fleisch wird produziert. Den Bauernhof als ganzheitliches Konstrukt mit einer Vielfalt von Nutztieren und Anbausorten gibt es nur noch unter Aussteigern, Selbstversorgern oder aber im biologisch-dynamischen Landbau, wo der landwirtschaftliche Betrieb als lebendige Individualität gesehen wird. Hier hat man begriffen, dass ein behutsamer Umgang mit der Natur sich positiv auf dessen Erzeugnisse auswirkt.
Eine Vermischung von Beton und Pflanze.
In Anbetracht der Tatsache, dass immer mehr Menschen in der Stadt leben, ist ein neues städtisches Gefüge vonnöten, das mehr Heterogenität zulässt, d.h. bildlich gesprochen - eine Vermischung von Beton und Pflanze. Die Möglichkeiten beschränken sich dabei nicht mehr lediglich auf den Schrebergarten. Nahezu überall wird angebaut: auf dem Balkon, der Fensterbank oder dem Dach; auf Verkehrsinseln und Brachflächen; als Guerilla Aktion mit ungeklärten Grundbesitzverhältnissen oder im Gemeinschaftsgarten. Die Leute wollen wieder selbst Verantwortung für ihr Essen übernehmen. Meist beschränkt sich die Landwirtschaft in der Stadt jedoch auf den Anbau von Obst und Gemüse und schließt Nutztierhaltung aus. Urbane Landwirtschaft ist keineswegs nur ein Trend der letzten Jahre. Früher sprach man von „Ackerbürgern“, also Bauern, die innerhalb der Stadt das Feld bestellten. Auch das Halten von Nutztieren war in den Städten durchaus üblich, z.B. Kühe im Hinterhof, sogenannte „Abmelkwirtschaften“.57
48
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EAT THE CITY!
57
Vgl. Müller: Urban Gardening, S. 130
Stadtkarten aus der Zeit vor der Industrialisierung erstaunen immer wieder durch
den hohen Anteil an Gartenland innerhalb der Stadtmauern, der in der Regel den
der bebauten Fläche übertraf. Als Ackerbürger waren auch Stadtbewohner viel
häufiger landwirtschaftlich tätig, als das gemeinhin angenommen wird.
Erst Industrialisierung und Landflucht haben seit dem 19. Jahrhundert jene
extremen innerstädtischen Verdichtungen erzeugt, für die emblematisch die
Berliner Mietskaserne steht. Doch ist der Nutzgarten […] nie ganz aus den Städ-
ten verschwunden. Zu den neu entstehenden Arbeitersiedlungen etwa gehörten wie
selbstverständlich Gemüseanbau und Kleinviehhaltung. Während des Ersten Welt-
kriegs entstanden zahlreiche Kleingartenkolonien, auch zur Abwendung der Hun-
gerkrise. Und der Bogen sozialpolitisch gefärbter Gartenprojekte reicht von den
gemeinschaftlich bewirtschafteten Obstbau-Kolonien der Lebensreformbewegung bis
zu den begrünten Hinterhöfen der alternativ bewegten Hausbesetzer-Szene.58
Der Kulturfoscher Hans J. Teuteberg bezeichnet die Geschichte der menschlichen Zivilisation als eine „Emanzipation aus den Zwängen der Natur“, in der „besonders die Phase der Industrialisierung, Urbanisierung und Technisierung in den letzten einhundert Jahren“ als ein „besonders gewaltiger ruckhafter Ausbruch aus den Schranken der organischen Natur“ zu kennzeichnen sei.59 Die siebziger Jahre waren der Beginn der sogenannten Community-GardenBewegung in New York. Auf Brachen und Dächern entstanden, teilweise über Nacht, die ersten Gemeinschaftsgärten.60 Vor allem Brooklyn ist heutzutage bekannt für seine vielen innerstädtischen Nutzgärten, von denen man manche sogar durchaus als Farm bezeichnen kann.61
58 Vinken: Der Stadtbewohner als Ackerbürger 04.05.2011 FAZ 59 Teuteberg: Zur kulturwissenschaftlichen Phänomenologie der täglichen Mahlzeiten, S.66 60 Krasny: Hands on Urbanism, S.27 61 z.B. http://www.brooklyngrangefarm.com
THEORIE
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49
Novella Carpenter schreibt in ihrem Buch Farmcity über die Höhen und Tiefen ihrer kleinen Hinterhof-Farm im Ghetto von Oakland / Kalifornien. An ihrem Beispiel ist der Prozess des Lernens, Aneignens und Wachsens deutlich nachvollziehbar. Carpenter stellt sich immer neuen Aufgaben, vor denen sie zunächst Angst hat (den Hinterhof beackern, Bienen halten und schließlich Geflügel schlachten). Die größten Herausforderungen sind jedoch die Auseinandersetzungen mit anderen Stadtbewohnern, den Nachbarn oder dem Vermieter. Immer noch ist es – vor allem in der westlichen Welt - untypisch, im Bereich des Urbanen Lebensmittel anzubauen und vor allem Nutztiere zu halten. Carpenter bewegt sich hier auf unsicherem Terrain, in einer rechtlichen Grauzone, die es immer wieder neu auszuhandeln gilt, mit Anderen aber auch mit sich selbst. Sie muss stets erklären, was sie dort tut, nicht immer hat sie Lust dazu, manchmal will sie auch einfach nur arbeiten. Sie tut es dennoch, denn sie sieht das, was sie tut auch als Chance, mehr Menschen zu diesem ungewöhnlichen Leben zu bewegen.62 Ein neu geschaffener Ort, wie Carpenters Cityfarm, kann Menschen zusammenbringen, die sonst niemals miteinander gesprochen hätten. So auch die Idee vieler Gemeinschafts-, interkultureller oder Nachbarschaftsgärten,
Gemeinschaftsgärten können individuellen und kulturellen Ausdruck fördern, sie
können aber auch Orte legalistischen Gezänks sein, wenn die Gärtner über ihre Me-
thoden und Praktiken streiten, wie die Pflanzen wachsen und welche Standards
eingehalten werden sollen. Fast jeder der alten Gärten hat solche Geschichten über
Plänkeleien zu bieten, etwa weil ein Gärtner sein Grundstück vernachlässigte oder
weil einer heimlich verbotene Pestizide benutzte, als er glaubte, unbeobachtet zu
sein. Mit anderen Worten: man kann alles auf seinem Stück Land anpflanzen, was
man will, solange man nicht den Gurken eines anderen Gärtners in die Quere
kommt.63
50
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EAT THE CITY!
62 63
Vgl. Farmcity – The Education of an Urban Farmer (2009) Hands on Urbanism, S.117
Menschlicher Austausch bedeutet auch Unstimmigkeiten und Meinungsverschiedenheiten auszutragen. Manch einer möchte vielleicht einfach, ohne viel Diskussion, vor sich hin gärtnern, ein anderer sucht wiederum den Austausch. Ein Garten mit einem gemeinschaftlichen und einem parzellierten Bereich kann daher von Vorteil sein. Darüber hinaus ist es nicht so, dass Hochbeete auf einer Brache nur aufgebaut werden müssten und schon stürzten sich die Bürger der Stadt nur so darauf um endlich ihrer schlummernden Leidenschaft – dem Gärtnern – nachgehen zu können. Eine Art Manual oder ein übergeordnetes System kann von Nutzen sein um Leute ihre Hemmungen ablegen zu lassen. Anders gesagt: wir fühlen uns wohler mit einer offiziellen Erlaubnis um uns an einem Projekt wie einem Gemeinschaftsgarten oder einer Cityfarm zu beteiligen. Das Culture Design Büro UiWe aus Kopenhagen wurde 2011 beauftragt, eine Gesamtstrategie für die dänische Kleinstadt Bording zu entwickeln.64 Hier ging es nicht nur um die Etablierung von urbaner Agrikultur sondern auch um die Gestaltung einer neuen Stadtlandschaft und die Schaffung von Räumen der Erholung, Freizeit und Regeneration. Bording ist zwar umgeben von Natur, dennoch ist diese schwer zugänglich, bzw. schlecht in den Ort integriert. So wurden in der Strategie zum Beispiel die verschwenderisch breiten Straßen gleichzeitig als Obstgärten genutzt, eine Sportroute angelegt und an verschiedenen Punkten fließende Übergänge in die Natur geschaffen. Wenn man Stadt als Landschaft betrachtet, können sich diese Bereiche überlagern und ineinanderfließen. (Abb. Brücke, Äpfelbäume usw.)
64 http://www.uiwe.dk/town-transformation-strategy-delivered/
THEORIE
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51
Ein weiteres Beispiel für Landscape Urbanism ist der High Line Park in New York. Die stillgelegte Hochbahntrasse im Westen Manhattans wurde ehemals für den Güterverkehr genutzt. Ab dem Jahr 2006 wurde sie zu einer Parkanlage transformiert. Da die ursprüngliche Nutzung u.a. durch die Schienen noch erkennbar ist, somit die industrielle Geschichte dieses Ortes noch spürbar ist, macht dies das Projekt zu einem Beispiel gelungener Integration von Grün in den bestehenden Stadtraum. Letztlich entstand durch die Arbeit des Büros UiWe eine nachhaltige Strategie für Bording, die den lokalen Handel der Einwohner/innen fördern kann. Zentrale Anlaufstelle des Entwurfs ist der neu geschaffene Marktplatz mit angegliederten Gemüsebeet-Flächen, außerdem einem Gewächs-und Gemeinschaftshaus. Durch lokales Handeln lässt sich der ökologische Fußabdruck verkleinern, d.h. je mehr wir vor Ort produzieren, konsumieren und lokale Produktion fördern, umso weniger Transportwege muss unser Essen zurücklegen. Kleine Betriebe bleiben erhalten und wir wissen, wo unser Essen herkommt.
/ GEMEINSAME ESSENSPRODUKTION ALS SOZIALE UND POLITISCHE DIMENSION
David Tracey, Designer und Urban Farmer aus Vancouver/British Columbia, schreibt in seinem Buch Urban Agriculture, er wolle mit dem Eigenanbau nicht seinen Lebensunterhalt bestreiten, seine wahre Aufgabe bestehe darin, damit Politik zu machen.
52
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EAT THE CITY!
The fields I cultivate are in politics and the environment. I work through design,
advocacy, community organizing and education. I don‘t grow crops for the market.65
65
Tracey: Urban Agriculture, S.10
Er hilft Einzelpersonen oder Gruppen, eigene Gartenprojekte auf die Beine zu stellen. Ähnlich arbeitet das Pariser Büro aaa (atelier d‘architecture autogérée). Hier sieht man die Zukunft in lokaler Produktion von Waren und stellt sich die Frage, welche Rolle Kultur dabei spielt.66 Die daraus entstandene Strategie R-Urban zeigt Alternativen zum momentanen Leben, Konsumieren und Produzieren auf. Entscheidend ist dabei das Vorantreiben sozialer Netzwerke, Communities und Nachbarschaften, die ihre Fähigkeiten teilen und austauschen. Dabei folgen sie den Prinzipien der „ökologischen R‘s“: Recycle, Reuse, Repair, Rethink usw. Im Bereich des Mikro-Urbanen wurden so mehrere Versuche gemacht, beispielsweise Hinterhöfe in Gemeinschaftsgärten umgestaltet und damit den Bewohnern neue Möglichkeiten des sozialen und ökologischen Lebens aufgezeigt.
Within a resilient condition we need to reach an ‘ecosophic’ stage of culture, which
considers mental, environmental and social aspects alike. In this respect, R-Urban
operates with an extended notion of culture that includes material and immaterial
production, skills, mentalities, habits, patterns of inhabitations, etc.67
In diesem Zusammenhang betonen aaa die Wichtigkeit von trans-lokalen Netzwerken, die wie Rhizome wirken. In der Philosophie von Gilles Deleuze dienen Rhizome als Metapher für ein postmodernes Modell der Wissensorganisation, das ältere, durch eine Baum-Metapher dargestellte, hierarchische Strukturen ersetzt. Merkmal eines Rhizoms ist die Heterogenität, die durch viele Eingänge und „Verwurzelungen“ geschaffen wird. Sie sind dezentralisiert und lassen Vernetzungen und Querverbindungen auch an unerwarteter Stelle zu.68
If the ‘territory’ regarded with a cultural gaze becomes ‘landscape’, we could think
that a ‘place’ would become ‘local’ under a cultural and emotional reading. But in
66 67 68
Vgl. aaa: Translocal Act, S. 19 Ebd. S.162 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Rhizom_(Philosophie)
THEORIE
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fact, ‘local’ has a dimension beyond the fact of just being inhabited.
Local, is overall in the realm of politics.69
In Zusammenarbeit mit Schulen oder anderen städtischen Institutionen können Projekte entstehen, die das ökologische Verständnis von Gärten und Lebensmitteln fördern. Das berühmteste Beispiel ist wohl der Gemüsegarten des Weißen Hauses, initiiert durch First Lady Michelle Obama. Zusammen mit Schülern der Washingtoner Bancraft Grundschule begann sie 2009 auf der Grünfläche hinter dem Weißen Haus den Kitchen Garden anzulegen und setzte damit ein Zeichen für Urban Farming und gesunde Ernährung.70 Es gibt Bauern, die sich für den Erhalt einer bestimmten Tierrasse, Gemüsesorte oder das Bewahren von Saat- als Kulturgut einsetzen. Wie Sebastian Starzinsky, Stadtimker in Kiel, oder Harold Steves, Stadtbauer in Vancouver, der Varianten einer bestimmten Rübensorte züchtet und damit ungeplant dem Agrar-Konzern Monsanto den Kampf ansagte.71 Doch hat es lediglich den politische Aspekt, wenn ich die Aktionen, die ich durchführe auch an die Öffentlichkeit trage? Tätigkeiten wie Guerilla Gardening oder Containern spielen sich im Verborgenen ab, sind aber dennoch von äußerst politischer Brisanz. Und ist nicht schon jede Entscheidung, die wir bezüglich unserer Ernährung treffen politisch?
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EAT THE CITY!
When we eat, we ingest the physical world, accepting into our bodies the customs
and values and politics of the system that got that food into our mouths.72
69 aaa: Translocal Act, S.242 70 http://www.whitehouse.gov/about/tours_and_events/garden 71 Vgl. Tracey: Urban Agriculture, S.144 ff. 72 Ebd. S.14
// VOM GARTEN BIS ZUR FARM – MODERNE STADTVISIONEN
Eine wesentliche Frage, die in Hinblick auf urbane Agrikultur zu klären ist: Sollen die Stadtbewohner zum Selbstanbau ermutigt werden oder liegt die Zukunft eher in groß angelegten Stadtfarmen, für die z.B. die Stadt selbst Verantwortung übernimmt? Wird jeder seine eigene kleine Fläche beackern und dort vielleicht Hühner und Schweine halten oder wird der zukünftige Bauer verkaufsorientiert arbeiten und sein Feld nun eben nicht mehr auf dem flachen Land, sondern in den Vertikalen der Stadt bestellen? Tracey schreibt in Urban Agriculture, dass er noch vor ein paar Jahren dachte, jeder solle die Stadt als einen Garten betrachten. Heute verwendet er jedoch den Begriff Farm.73 Vertikale Farmen können das neue Stadtbild prägen, der Gedanke ist nicht mehr so fremd, wenn man bedenkt, dass bereits seit langer Zeit Gemüse im Innenraum angebaut wird, nämlich in simplen Gewächshäusern. Die Frage, die man sich trotzdem stellen sollte, ist die, ob man sich dennoch saisonal ernährt oder – in Anbetracht der Tatsache, dass es im Innenraum praktisch keine Jahreszeiten gibt – einfach immer die Möglichkeit haben will, alles zu essen. Im 18. Jahrhundert stellte sich bereits Rousseau die Frage: „Wozu brauche ich mitten im Winter Kirschen und goldgelbe Melonen, wenn mein Gaumen weder Feuchtigkeit noch Erfrischung nötig hat?“ (1762) Tracey steht der Idee der vertikalen Landwirtschaft kritisch gegenüber, insbesondere, wenn diese praktisch ohne Menschen funktionieren soll und auch keine Erde mehr für den Anbau von Gemüse mehr benötigt wird. Den so aufgezogenen Pflanzen wird lediglich eine für sie optimierte Nährstofflösung zugeführt. Tracey bezweifelt, dass man den ökologischen Aspekt außer Acht lassen und Essen produzieren kann, dass nicht Teil des natürlichen Gesamt-
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Vgl. Tracey: Urban Agriculture, S.7; 2007 schrieb Tracey das Buch Guerilla Gardening - A Manualfesto
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kreislaufs ist.74 Vertikale Farmen bilden jedoch ihren eigenen Kreislauf. Der Vorteil dieser Anbaumethode besteht darin, dass sehr ressourcenschonend produziert werden kann. Wasser und Nährstoffe werden recycelt und bleiben im System.75 Außerdem besticht der Gedanke, mangelnde Anbaufläche einfach in der Höhe zu nutzen. Hochhäuser, die unser Essen produzieren werden ganz selbstverständlich in unser urbanes Leben integriert. Doch kommen wir ganz ohne die „herkömmlichen“ Bauern vom Land aus? Der Agrarwirt Frieder Thomas plädiert für eine Kooperation zwischen Bauern in der Stadt und auf dem Land. Wissen sollte zum Beispiel in Bezug auf Saatgut und Tierhaltung geteilt werden.76 Es wird kein Wandel von heut auf morgen stattfinden, vielleicht wird es eher zwei parallele Landwirtschaftsformen geben. Somit kann der Stadtbauer viel von dem Landbauern lernen. Es wird wohlmöglich zu einer Mischform der Lebensmittelproduktion kommen, wobei die günstigste Möglichkeit sein sollte, seinen Bedarf durch Eigenanbau zu decken. Dies schließt auch die Haltung von Nutztieren für Milch und Milchprodukte, Eier, Honig, Fleisch und Fisch nicht aus. Auf diesem Weg steckt man zwar die meiste Arbeit in sein Essen, spart jedoch unterm Strich viel Geld und kann hohe Qualität erzielen. Um diese Möglichkeit zu gewährleisten, sollten bereits in der Schule Fächer wie z.B. Urbane Landwirtschaft gelehrt werden. Gleichzeitig würden die Kinder lernen, wie sie ihre Erzeugnisse zukünftig weiterverarbeiten können. Aquaponik bezeichnet ein Verfah-
Doch auch, wenn man keine Zeit oder Lust auf eine Eigenproduktion hat, soll-
ren, das Techniken der Aufzucht
te man als Städter die Chance auf lokale, frische und biologische Lebensmittel
von Fischen in Aquakultur und der Kultivierung von Nutzpflanzen in Hydrokultur verbindet. (http:// de.wikipedia.org/wiki/Aquaponik)
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haben. Diese Möglichkeit können die größer angelegten Cityfarmen bieten, die Gemüse und Obst anbauen und vor Ort verkaufen. Moderne Fischzucht oder Aquaponik, zudem die Verortung von Bienenstöcken wären hier mög74 75 76
Vgl. Ebd. S.230 ff. Vgl. Despommier: The Vertical Farm, S.135 ff. Vgl. Müller: Urban Gardening, S. 126
lich. Für die Haltung größerer Nutztiere sollte jedoch eine Sonderlösung gefunden werden (evtl. in den Randgebieten der Stadt), um die Aufzucht auf engem Raum zu vermeiden. Bis jetzt sind vertikale Farmen noch größtenteils Visionen einer ökologischen Stadt, die Anfänge sind jedoch schon sichtbar. Die vielen Dachgärten – beispielsweise in Brooklyn/NY77 - zeigen, dass Gemüseanbau auch an ungewohnten Orten möglich ist. Der Weg in Richtung moderne Stadt wurde bereits beschritten. Durch so einen bewussten und unmittelbaren Umgang mit unserer Nahrung wird eine wichtige Verknüpfung wiederhergestellt. Der Zusammenhang zwischen dem, was auf unseren Tellern landet und den dafür benötigten Rohstoffen wie Erde, Wasser und Saatgut.
„Eine These in der Sozialforschung ist, dass die Wertschätzung von Lebensmitteln
abnimmt, je weiter der Konsument von der Nahrungsproduktion entfernt ist und je
weniger er darüber weiß.“78
Der Zusammenhang zwischen dem, was auf unseren Tellern landet und Erde, Wasser und Saatgut. 77 http://www.brooklyngrangefarm.com 78 Laudenbach: Am Essen wird zuerst gespart
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Die Bauern von New York
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ESSEN UND DESSEN PRODUKTION ALS ZUSAMMENGEHÖRIG VERSTEHEN Aus dieser o.g. Motivation heraus gründete der italienische Publizist Carlo Petrini 1989 die Organisation Slow Food.
Slow Food […] bedeutet, die Ernährung die ihr zustehende Bedeutung beizumessen
und die zahlreichen Rezepte und Geschmacksnuancen schätzen zu lernen, die Her-
kunft und die Hersteller der Produkte zu kennen und den Rhythmus der Jahreszei-
ten sowie die Bedeutung der verschiedenen Essrituale zu respektieren.79
Die Produzierenden müssen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, so dass ihre
Arbeit wieder geschätzt wird und sie für die Rettung einer Tierrasse, einer
Gemüse-, Wurst oder Käsesorte Anerkennung erfahren. Nicht nur Italien kennt
dieses Problem, sondern viele Länder dieser Welt. Jedes hat seine eigenen typischen
Spezialitäten und Traditionen, sein spezielles Erbe.80
Offensichtlich stellt sich der Begriff klar dem des Fast Food gegenüber. Tatsächlich gründete sich Slow Food als Reaktion auf eine geplante McDonaldsFiliale in Rom. Fast Food hat bis heute nie große Beliebtheit in Italien erlangt. Im Prinzip war die italienische Küche schon immer eine Fast Food-Küche, bei der es möglich ist, in kurzer Zeit mit günstigen Zutaten ein gutes und sättigendes Gericht zuzubereiten. Die traditionelle Küche ist sozusagen schnell genug.81 Bei Slow Food geht außerdem um den Erhalt regionsspezifischer Sorten, Rassen und Spezialitäten. In seinem ersten Buch bringt Petrini das Beispiel von speziellen Paprikaschoten (Peperoni quadrati d‘Asti), die in Piemont in Italien angebaut wurden. Der Anbau wurde irgendwann eingestellt, war finanziell nicht mehr lohnenswert. Stattdessen werden dort jetzt Tulpenzwiebeln kultiviert, die dann nach Holland exportiert werden. Paprika wird wiederum 79 80 81
Petrini: Slow Food, S.7 Ebd. S.67 Ramge: Adieu, Cuisine!, S.129
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kostengünstig aus Holland importiert. Typische Absurditäten der Agrarindustrie. Hier findet eine Verdrängung ursprünglicher Sorten und Spezialitäten, hervorgerufen durch die Globalisierung, statt. Gleichzeitig kann man von Qualitätsverlust und auch Identitätsverlust sprechen.82 Vergleicht man dieses Beispiel mit Kiel und seiner Region, fallen einem als erstes die typischen Kieler Sprotten ein. Original Kieler Sprotten werden in kleine Holzkästchen verpackt. Kleine geräucherte Fische, die man traditionell „mit Kopp un Steert“ (mit Kopf und Schwanz) isst. Will man in Kiel jedoch welche kaufen, sucht man vergeblich. Außer der Schokoladenversion im SouvenirShop gibt es in der ganzen Stadt keine Original Kieler Sprotten. Tatsächlich wurden sie nie in Kiel produziert, sondern im nahegelegenen Eckernförde. Da Eckernförde damals keinen eigenen Bahnhof hatte, mussten die Sprotten über den Kieler Bahnhof vertrieben werden. Die Kisten wurden mit einem Kieler Stempel markiert und deswegen als Kieler Sprotten bekannt. Dadurch, dass aber jedermann diese kleinen Fische mit Kiel identifiziert, erscheint es beinahe absurd, dass die Stadt bis jetzt nicht selbst groß ins Sprottenbusiness eingestiegen ist.
Lebensmittel sind das Produkt einer Region und ihrer Missgeschicke, der Mensch-
heit, die sie besiedelt, ihrer Geschichte und der Wechselbeziehungen, die sie hervor-
gebracht hat. Man kann über jeden Ort der Welt sprechen, indem man über die
Lebensmittel spricht, die dort gegessen und produziert werden.83
Nach Schroer wird der Ort, von dem aus wir in der Lage sind, weltweit zu kommunizieren, nicht weniger wichtig, sondern immer wichtiger. In einer globalisierten Welt erscheint es immer notwendiger, sich regional zu verorten, zu erden.84
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82 83 84
Petrini: Gut, sauber und fair, S.18ff Ebd. S.50 Schroer: Räume, Orte Grenzen, S.224
Für unsere Alltagswahrnehmung mag gelten, dass jeder überall wohnen und von
überall herkommen kann. Gerade dies aber provoziert die Nachfragen nach dem
Wo? und Woher?, die sich keineswegs erübrigen, sondern ausschweifendere Züge
annehmen. Herkunft wird immer schwieriger eindeutig bestimmbar und deshalb als
Gegenstand der Kommunikation immer wichtiger! (gleichzeitige Einordnung in
regionale Verhaltensweisen, Bräuche, Esskultur).85
Es ist merkwürdig, dass der Regionalismus gerade zu einer Zeit zunimmt, wo uns
die ganze Welt offen steht. Wir verbringen unseren Urlaub auf Bali, essen dort mit
Genuss von der indonesischen Küche und entdecken zu Hause den Unterschied
zwischen einem echten und einem unechten Semmelknödel. Wir genießen in Mexi-
ko die scharfen Bohnengerichte und bemühen uns zu Hause um einen guten Kar-
toffelsalat. Offenbar ergänzt sich beides. Je mehr uns der Erdball offen steht, je mehr
Kulturen wir kennenlernen, um so mehr wird uns die Bedeutung des eigenen Mut-
terbodens bewusst.86
Nicht nur Regionalität erscheint im Zusammenhang mit dem Thema Essen wichtig. Petrini ordnet der Gastronomie darüber hinaus diverse Wissenschaften, wie der Botanik, Ökologie, Anthropologie, Soziologie oder die Agrarwissenschaft zu.87 Darüber hinaus bezeichnet er den Konsumenten als „Koproduzenten“.88 Nach Wendell Berry ist Essen eine landwirtschaftliche Tätigkeit.89 Wir sind also mit der Entscheidung etwas Bestimmtes zu essen immer auch für dessen Produktion mitverantwortlich, ob nun direkt (durch Eigenanbau) oder indirekt (durch den Kauf).
85 86 87 88 89
Ebd. S.225 Aicher: Die Küche zum Kochen, S.25 Petrini: Slow Food, S.70 Ebd. S.192 „Eating is an agricultural act.“ Vgl. Berry, Wendell: What are people for?
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Wir haben es in der Hand, wie sich unsere Umwelt durch eine neue Land(wirt) schaft verändern kann. Unsere eigene Ernährung sollte nicht für ein Auslaugen der Erde sorgen, sondern zu deren gesundem Kreislauf beitragen. Vergleichbar ist dies mit der Arbeit der Biene, die nicht nur für die Fortpflanzung der Pflanze sorgt, sondern gleichzeitig dazu beiträgt, dass diese Früchte entwickelt.
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Die Arbeit der Biene ist sexuell, befruchtend und fortpflanzend, aber auch ernäh-
rend: Die eigene Nahrungsaufnahme der Biene hilft den Pflanzen, sich fortzupflan-
zen und Früchte zu tragen.90
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Krasny: Hands-on Urbanism, S.51
Die Biene sorgt nicht nur f체r die Fortpflanzung der Pflanze, sondern tr채gt gleichzeitig dazu bei, dass diese Fr체chte entwickelt.
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AUSBLICK
Der Philosophie-Professor Ludger Heidbrink teilt dem Konsumenten eine Entsorgungs-, Nutzungs- und
Eine unmittelbare Verknüpfung der Gerichte auf unseren Tellern mit dessen Herkunft ist wichtig, um einen bewussten Umgang mit unserem Essen zu schaffen. Esskultur produziert immer auch Räume, Wege, Distanzen, Kollaborationen, Überlappungen. Als Essende sind wir Mit-Produzenten.
Nachfrageverantwortung zu (Knappe Ressourcen. Welche Verantwortung tragen Konsumenten? Vortrag. Night of the Profs, Universität Kiel, 16.11.2012.)
Wichtige „Zutat“ ist die Region. Unsere Region würzt unsere Gerichte zu einem wesentlichen Anteil mit. Für den urbanen Kontext bedeutet dies ganzheitliche Strategien und Handlungsanweisungen zu generieren, die dabei helfen, die Stadt - eingebettet in seine Region - als (Haupt)Ernährer zu sehen. Wofür steht eine Region? Wo liegen ihre Stärken, wo ihre Missgeschicke? »Lebensmittel sind das Produkt ei-
Deweiteren muss sich jeder Einzelne die Frage stellen, was sein persönliches Glück ausmacht. Der in Plastik verpackte Apfel aus Neuseeland, der vom BioHof um die Ecke, gekoppelt an ein nettes Gespräch oder vielleicht sogar der eigens geerntete vom Baum der Stadtfarm?
ner Region und ihrer Missgeschicke, der Menschheit, die sie besiedelt, ihrer Geschichte und der Wechselbeziehungen, die sie hervorgebracht hat. Man kann über jeden Ort der Welt sprechen, indem man über die Lebensmittel spricht, die dort geges-
URBANE STRATEGIE - GLOKALE NETZWERKE
sen und produziert werden.« (Petrini: Gut, sauber und fair, S.50)
Es geht also um das Ideal der Stadt von morgen bezüglich deren Versorgung und Umgang mit den Themen Ernährung, Nahrungsproduktion und dem achtsamen Umgang mit unserer Umwelt. Würde jede Stadt nachhaltig mit ihren gegebenen Ressourcen arbeiten, wäre damit nicht nur den Bewohnern der jeweiligen Städte geholfen, sondern auch den umliegenden Produzenten. Letztlich würde ein gesunder Organismus Stadt entstehen, der sich selbst ernährt, seine Ausscheidungen recycelt - praktisch autark bestehen kann. Jeder Ort der Welt unterschiedet sich von dem anderen. Klima und Topogra-
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fie lassen verschiedene Orte verschiedene Früchte ernten, lassen uns unterschiedlich mit bestimmten Problemen umgehen. Und doch können wir von anderen lernen. So können sich glokale Netzwerke Das Wort Glokalisierung (ein Kof-
bilden, die sich über eine gemeinsame Plattform austauschen. Regelmäßige
ferwort aus Globalisierung und Lo-
Symposien ließen Lokal-Helden zusammenkommen und von Erfolgen und
kalisierung) macht deutlich, dass ein lokal-regionales Handeln auch immer
von
global-überregionaler
möglichen Fehlern in ihrer Stadt berichten.
Bedeutung ist. Geprägt wurde der
Die Produktion sozialer Räume durch Essen bedeutet also nicht nur, dass
Begriff von Roland Robertson (Glo-
sich ein kommunikativer Raum bildet, wenn Menschen gemeinsam um einen
kalisierung: Homogenität und Hete-
Tisch sitzen. Der soziale Raum erstreckt sich noch viel weiter darüber hinaus.
rogenität in Raum und Zeit,1998)
Was für Entscheidungen treffen wir täglich in Bezug auf unser Essen? Was für Auswirkungen - positive wie negative - haben diese auf andere Menschen, Tiere, die Umwelt und so letztlich auf uns? Essen spannt einen gewaltigen Raum auf, in dem wir agieren, sozial und asozial. Aus diesem Grund ist es dringend erforderlich, den gedanklichen Zusammenhang zwischen Essen und seiner
Wie fange ich meinen Bienenschwarm zwischen Hochhäusern wieder ein?
Herkunft wieder herzustellen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist der Anbau und die Produktion von Lebensmitteln direkt in den Städten.
Wir befinden uns in einer Zeit des Wandels. Das Feld der Urbanen Landwirtschaft ist immer noch nicht weit beschritten. Wieviel Erde trägt ein Parkdeck? Wie kommt der Wasseranschluss auf die Industriebrache? Wie fange ich meinen Bienenschwarm zwischen Hochhäusern wieder ein? Es gibt noch viel zu klären, das Abenteuer fängt erst an.
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Umkreis 20 km Stadtgrenze Kiel ZOB Eckmannspeicher Lokalhelden (Bauern, Fischer, K채sereien...)
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KONZEPT Die folgende Strategie setzt sich aus drei gleichwertigen Teilen zusammen, die wichtig für die Schaffung einer neuen kulinarischen Identität für die Stadt Kiel sind. Durch die Farm wird ein Teil lokaler Produktion konsequenterweise in die Innenstadt geholt. Das Lokal bringt den Kieler zur Sprotte und die Produzenten ins Bewusstwein der Essenden. Dies geschieht mithilfe der Route, welche die Stadt mit seinem Umland verbindet. Das Lokal und die Farm bilden den räumlichen Mittelpunkt, die Route ist dabei mehr als eine Art Handlungsanweisung zu sehen. Durch die Aktivität ihrer Nutzer werden Kleinproduzenten der Region in das hier vorhandene System integriert. Sie bezieht sich auf einen Umkreis von 20 km. Farm, Lokal und Route beinhalten jeweils drei Unterpunkte, welche konkretere Funktionen aufweisen.
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ORTE KIEL Die Landeshauptstadt von Schleswig-Holstein hat 240 000 Einwohner, liegt an der Ostsee (Kieler Förde) und ist Endpunkt der meistbefahrenen künstlichen Wasserstraße der Welt, des Nord-Ostsee-Kanals. Die Stadt ist außerdem bekannt durch das Segelereignis und Volksfest Kieler Woche. Aus dem Kieler Seehafen fahren täglich Fähren nach Skandinavien und ins Baltikum. Die Stadt ist Sitz dreier Hochschulen: der Christian-Albrechts-Universität, der Fachhochschule sowie der Muthesius Kunsthochschule.
KIELER ZOB Der Kieler ZOB ist zentral gelegen und
ECKMANNSPEICHER
befindet sich in unmittelbarer Nähe zum
Nicht weniger Stadtgespräch ist
Hauptbahnhof. Direkt neben dem ZOB-
der Eckmannspeicher, der auf
Gebäude befindet sich das neue Atlantic
der anderen Straßenseite und so-
Hotel, für dessen Bau im Jahr 2008 ein Teil
mit direkt am Wasser liegt. Der
des ZOBs abgerissen wurde. Eine schma-
historische Kornspeicher wurde
le Fußgängerbrücke verbindet das Hotel
bis in die 70er Jahre als Lager-
mit dem Parkdeck. Das 1972 errichtete
haus genutzt. Danach wurden
ZOB-Gebäude gilt in Kiel als polarisie-
auf vier Etagen Büro- und Lager-
rend. Sämtliche Bürger scheinen einig da-
räume errichtet. Bis vor ein paar
rüber, dass dieser Ort ein Schandfleck sei.
Jahren war die untere Etage eine
„Schand-ZOB“ oder „düsteres Bröckelare-
beliebte Party-Location und für
KNonline vom
al“ sind durchaus übliche Begriffe in den
Privatleute mietbar. Momentan
26.05.2011
Medien.
wird das gesamte Gebäude für
Im Jahr 2010 gab es einen Ideen-Wettbe-
700 000 Euro saniert. Einen Zu-
werb zur Zukunft des Ortes. Die Erhaltung
gang für die Öffentlichkeit sieht
des Gebäudes war dabei nicht vorgesehen,
das neue Nutzungskonzept nicht
da es als baufällig gilt.
mehr vor.
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ECKMANNSPEICHER
ZOB / PARKDECK
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Als Plattform bzw. Gebäudehülle für Farm und Lokal dienen der ZOB mit dem dazugehörigen Parkdeck
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und der gegen端berliegende Eckmannspeicher. ENTWURF
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KONZEPT-RELEVANT KIELER SPROTTEN Die kleinen Räucherfische verbindet wohl
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MÖBELKRAFT IN KIEL
jeder mit der Landeshauptstadt. Trotzdem
Das Unternehmen Möbel Kraft
sind sie auf der Speisekarte des Kielers nicht
plant die Ansiedlung eines Mö-
gerade präsent. Weder findet man eine Mög-
belhauses in Kiel. Dafür vorge-
lichkeit die Sprotten in der traditionellen
sehen ist ein Standort auf dem
Holzkiste irgendwo in der Stadt zu kaufen,
sich seit langer Zeit eine riesige
noch gibt es empfehlenswerte Fischrestau-
Kleingartenanlage
rants.
schem Grund befindet. 17 Hektar
Kieler Sprotten werden nicht einmal in
sollen dem Bau zum Opfer fallen.
Kiel produziert, sondern im nahgelegenen
Viele Kleingärtner verlieren da-
Eckernförde.
durch ihre teilweise seit Jahrzehn-
Zur physischen Abwesenheit kommt außer-
ten gepflegten Gärten. Die Stadt
dem noch eine Hilflosigkeit, die wir gegen-
gibt vor, „Ausgleichsflächen“ zu
über der kleinen Fische verspüren. Wie isst
schaffen. Nach Möglichkeit sollen
man Kieler Sprotten (mit Kopf und Schwanz
Ersatzgärten auf einem Teil der
oder ohne) und was isst man dazu? Die Kon-
Kauffläche, in unmittelbarer Nähe
sequenz daraus ist für viele - auch alteinge-
und im Anschluss im gesamten
sessene Kieler - diese regionale Spezialität
Stadtgebiet angeboten werden. Im
gar nicht erst zu probieren. Nicht nur dem
Moment ist noch unklar, wieviel
Kieler, auch dem Touristen bleibt damit eine
Ausgleichsflächen sich tatsächlich
Ebene des Stadt-Kennenlernens verwehrt.
verwirklichen lassen.
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auf
städti-
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FARM Die urbane Farm ist nicht nur Lebensmittelproduzent. Sie ist auch ein klares Statement für die Stadt von morgen. Durch ihre Präsenz im Stadtraum werden Gespräche angekurbelt, Dinge in Bewegung gesetzt. Die Zeit der Macher ist gekommen. Die Farm bündelt die Gesamtheit der lokalen Produktion an einem Ort. Sie ist nur ein kleiner Teil in einem großen - oft unsichtbarem - Netz vieler kleiner Bauernhöfe, Fischkutter, Käsereien usw., die die Stadt umgeben. Versteht man all die kleinen Einzelteile als zusammengehörig, bildet sich ein riesiges Netzwerk von Lokal-Helden, die den anonymen Supermarktketten gegenüberstehen. Lasst uns dieses Netzwerk nutzen!
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BAUERNHOF Es passiert hier Die urbane Farm ist nicht nur Lebensmittelproduzent. Sie ist auch ein klares Statement für die Stadt von morgen. Durch ihre Präsenz im Stadtraum werden Gespräche angekurbelt, Dinge in Bewegung gesetzt - die Zeit der Macher ist gekommen. Die Farm bündelt die Gesamtheit der lokalen Produktion an einem Ort. Sie ist nur ein kleiner Teil in einem großen - oft unsichtbarem - Netz vieler kleiner Bauernhöfe, Fischkutter, Käsereien usw., welche die Stadt umgeben. An einem zentralen Ort der Stadt entsteht eine Farm. Dafür bieten sich z.B. Parkdecks, Brachflächen oder ein Konglomerat aus Flachdächern an. Verschieden große Beetflächen können von Institutionen, Gruppen oder Einzelpersonen angemietet und „beackert“ werden. Gartengeräte und Wasseranschluss, sowie diverse Werkzeuge stehen zur Verfügung. Die Farm ist gleichzeitig Produktionsstätte und Lernort. Altes Wissen über Anbau und Pflege, aber auch Spezialwissen, wie den Bau eines Hühnerstalls oder das Anlegen eines Komposthaufens kann hier erlernt werden.
Versteht man all die kleinen Einzelteile als zusammengehörig, bildet sich ein riesiges Netzwerk von Lokal-Helden, die den anonymen Supermarktketten gegenüberstehen. Lasst uns dieses Netzwerk nutzen!
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BESTELLLADEN Das Höfe-Netzwerk
Der Bestellladen bietet die Möglichkeit, bei Bauernhöfen und Produzenten des städtischen Umlandes Lebensmittel zu bestellen. Jeder Hof, Fischer, Schlachter usw. kann sich und seine Waren auf die Bestelllliste setzen lassen. Die Bestellungen werden gesammelt und 1x wöchentlich bei den Produzenten abgeholt. Sie können dann an einem zentralen Ort (der Farm) von den Kunden abgeholt werden. Eine wahre Alternative zum Supermarkt.
CAFÉ Farm-to-table
Angeschlossen an die Farm ist ein kleines Café. Hier kann man sich nach getaner Gartenarbeit stärken, aber auch als Nicht-Gärtner einen Kaffee trinken. Es finden regelmäßige Farm-to-Table-Dinner statt, eine weitere Möglichkeit für die Städter, ihre neue Farm besser kennen zu lernen.
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DIE FARM AUF DEM ZOB Auf der Farm geht es um den Rohstoff Essen und dessen Produktion / Anbau. Hier wird der Essende dem Ursprung nähergebracht. Zugleich ist die Farm eine Erweiterung des Stadtgrüns. Ein re-naturierter Teil des Urbanen, der neue Möglichkeiten der Stadtnutzung eröffnet.
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Auf dem Parkdeck des Kieler Busbahnhofes entsteht eine - für innerstädtische Verhältnisse - gigantische Farm . »In seiner englischen Ursprungssprache bezeichnet das Wort Farm jeden landwirt-
Die Fläche eignet sich perfekt für die Kultivierung von Obst und
schaftlichen Betrieb. In Deutschland werden
Gemüse, unter freiem Himmel sowie in Hoop Houses und kleinen
nur einzelne Arten von Tierzuchtbetrieben als Farm bezeichnet, die keine Weidetiere züchten und von klassischen Vorstellungen
Gewächshäusern. Auch die Haltung von kleineren Nutztieren wie Hühnern, Schafen und Ziegen sowie Bienen ist hier denkbar.
vom Bauernhof stark abweichen.« (wikipedia 30.01.13)
Den Kielern wird hier ein Stück Garten wiedergegeben, denn die Beetflächen sind mietbar. Über Workshops wird Wissen weitergege-
Folien über PVC-Reifen gespannt ergeben tunnelartige Gewächshäuser, die sich schnell auf- und abbauen sowie erweitern lassen.
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ben (z.B. Anbau von Obst Gemüse, Komposten, Hühnerstall bauen, Regenwasser auffangen...)
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Ein Teil der Beetflächen wird von dem gegenüberliegenden Lokal im Eckmannspeicher bewirtschaftet. Diese unmittelbare Nähe bietet die Möglichkeit direkt nach Bedarf zu ernten und Zutaten frisch zu verarbeiten.
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BRAUCHEN WIR NOCH SALAT?
JO! BRING MIT!
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CAFÉ Das Café ist in ehemalige überdachte
Parkplätze
integriert
und bildet einen Ruhepol auf dem oberen Deck.
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M 1:1000 ENTWURF
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FUNKTIONSVERTEILUNG ZOB
Werkzeugschuppen Witterungsschutz
Obstböume und Sträucher Kompost
Bienen
Treppenaufgang
Aufzug
EBENE 2 Auffahrtsrampe
Schafe, Ziegen, Hühner
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Café
Die Funktion als Autoparkplatz und
Bereits vorhandene Überdachungen auf Ebene
Busbahnhof ist mit der Farm nicht
2 werden für das Café, als Witterungsschutz für
mehr vereinbar.
Tiere und Geräteschuppen genutzt.
Die
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Beetflächen für Gemüseanbau
Infrastruktur
des
Gebäudes
An der der Gebäudestruktur selbst wurden nur
bleibt jedoch weitestgehend erhalten,
wenige Eingriffe vorgenommen.
so dienen Treppen, Rolltreppen und
Die Ebene 1 ist rundum verglast, man bekommt
Auffahrten immer noch als Transfer-
Einblicke ins Innere (Aquaponik und Bestellla-
möglichkeiten zwischen den Ebenen.
den).
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M 1:1000
Pflanzbeet
NFTRöhren
Rückfluss
funktioniert so: Sprudelstein
Aufzug
Luftpumpe
Treppenaufgang
EBENE 1 Auffahrtsrampe
Aquaponik
Bestellladen
Lager Lager Aufzug
EBENE 0
Rolltreppe
Auffahrtsrampe
Fahrradverleih + Fahrradparkplätze
(Sprotten-) Räucherofen
Elektro-Transporter (für Bestellladen) ENTWURF
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STADTBILD Der ZOB, vorher ein AngstRaum, an dem man sich nur so kurz wie möglich auffhielt, wird durch die Farm neu besetzt. Er prägt das Stadtbild mit seiner starken Außenwirkung.
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BESTELLLADEN
In die Farm ist auf Ebene 1 ein Be-
ren in den Bestellladen an die Kunden zu brin-
stelladen integriert. Hier gibt es die
gen, die den Weg zum Hofladen evtl. sonst nicht
Möglichkeit von lokalen Erzeugern
auf sich nehmen würden.
aus einem Umkreis von bis zu 20 km
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Produkte zu bestellen.
So werden lokale Kleinbetriebe unterstützt und
Mehrmals wöchentlich und je nach
man kommt in den Genuss regionaler Speziali-
Bedarf wird die Route mit Elektro-
täten, wie Miesmuscheln, Galloway-Fleisch oder
Transportern abgefahren um die Wa-
Dannauer Bergkäse.
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Umkreis 20 km Stadtgrenze Kiel Bez체ge Bestellladen ZOB Eckmannspeicher Lokalhelden (Bauern, Fischer, K채sereien...) Produkte
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Entweder übers Internet oder direkt im Bestellladen kann man seine wöchentliche Bestellung aufgeben. Das Verzeichnis der Produzenten und ihrer angeboteten Waren wird laufend aktualisiert. Die Bestellung wird dann im Laden zu einem vereinbarten Zeitpunkt
hinterlegt,
sodass
man sie abholen kann. Zusätzlich werden im Bestelladen wöchentliche Überschüsse aus der Ernte der Farm verkauft, welche das Lokal nicht verbraucht.
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LOKAL Lokal bedeutet „örtlich [beschränkt], für einen bestimmten Ort oder Bereich geltend“ und gleichzeitig „Raum oder Örtlichkeit, wo man gegen Bezahlung essen und trinken kann; Gaststätte, [Schank]wirtschaft“ (Duden). Das Lokal wird somit zum Dreh- und Angelpunkt der Strategie. Hier werden Rohstoffe eingespeist und weiterverwertet. Es geht um das gemeinsame Essen, ohne dessen Herkunft aus den Augen zu verlieren. Durch die Aktivität seiner Nutzer und Zuspieler bekommt das Lokal erst seine wahre, ortsspezifische Identität.
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RESTAURANT Rituale der Region Das Lokal baut auf einer Fläche der Farm Gemüse für seinen Küchenbedarf an. Weitere Produkte werden von lokalen Produzenten bezogen. Es gibt regionale Spezialitäten zu Essen und zu Trinken. Das Lokal spielt mit regionalen Eigenheiten. Es ist der Ort, wo man mit Freunden hingeht, die nicht aus der Stadt kommen. Gleichzeitig bildet sich hier (vielleicht zum ersten Mal) ein Bewusstsein für die regionale Esskultur aus. Ein neues Begreifen der eigenen Stadt.
Lokal bedeutet „örtlich [beschränkt], für einen bestimmten Ort oder Bereich geltend“ und gleichzeitig „Raum oder Örtlichkeit, wo man gegen Bezahlung essen und trinken kann; Gaststätte, [Schank]wirtschaft“ (Duden). Das Lokal wird zum Dreh- und Angelpunkt der Strategie. Hier werden Rohstoffe eingespeist und weiterverwertet. Es geht um das gemeinsame Essen, ohne dessen Herkunft aus den Augen zu verlieren. Durch die Aktivität seiner Nutzer und Zuspieler bekommt das Lokal erst seine wahre, ortsspezifische Identität.
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ARCHIV Konservieren. Bewahren. Erinnern.
AMATEURKÜCHE Horizonte erwei-
Das Lokal hat auch eine speichernde, archivierende Funktion. Historische handgeschriebene Rezepte, Geschichten und Rituale rund ums Essen bieten in digitalisierter Form einen Fundus an alten / neuen Ideen und bedienen so die Funktion eines begehbaren Kochbuchs. Dieser Archivierungsgedanke bezieht sich auch auf die Lebensmittel. Das beginnt mit dem Aspekt der Konservierung von Feldfrüchten bishin zu einem Saatgut-Archiv, dass Varianten eines Gemüses auch für Folge-Generationen bewahrt.
Die Küche des Lokals hat gleichzeitig einen LaborCharakter in dem neue Möglichkeiten des Essens ausgelotet werden. Ein Experimentalraum, der auch der Öffentlichkeit zur Verfügung steht, nämlich in Form einer Amateur-Küche, die in regelmäßigen Abständen zu vergünstigten Preisen für Gäste kocht. Im Allgemeinen geht es um ein neues Denken von Küche und ihren bisherigen Funktionen.
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DAS LOKAL IM SPEICHER Im Kontext Stadt nimmt der Speicher die Position des Verteilers ein, der Informationen und
Handlungsweisen
auf-
nimmt und streut. Der Ort befindet sich im steten Wandel, je nachdem wo z.B. f端r einen Abend der Schwerpunkt gesetzt wird. Geht es bei der Farm um den Rohstoff Essen, so liegt hier der Schwerpunkt auf dem Akt des gemeinsamen Essens und dessen Zubereitung.
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Haupteingang
FUNKTIONSVERTEILUNG LOKAL Das Lokal befindet sich im Erdgeschoss des Eckmannspeichers. Es ist Restaurant (der Schwerpunkt liegt auf regionaler K端che und Kieler Sprotten), Amateurk端che und Archiv in einem. Der Raum ist durch flexible Module komplett transformierbar.
VON OBEN
VON VORNE
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Empfangstresen
Kochtresen
Archiv
H채ngetische
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RESTAURANT
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SPROTTEN Die Küche des Lokals „Sprotten-Eck“ konzentriert sich auf
SPRATTUS SPRATTUS
Ostsee-Fisch, insbesondere auf die Kieler Sprotten. Diese werden mehrmals wöchentlich direkt am Kai des Eckmannspeichers vom Kutter angeliefert und im sogenannten Altonaer Ofen (in Ebene 0 der Farm integriert) geräuchert. Es gibt die Sprotten im Lokal ganz klassisch mit Schwarzbrot und Rührei, aber auch in moderneren Varianten. Die Küche konzentriert sich auf wenige Gerichte und richtet sich nach Saison und Regionalität. Außerhalb der Sprottensaison gibt es andere Fischspezialitäten und regionale Klassiker. Zu jedem Sprottengericht bekommt man eine Essanleitung.
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EAT THE CITY!
Saison: Februar bis April, September bis Dezember Grösse: ca. 8 bis 10 cm
Anleitung
Wie man Sprotten richtig isst
Methode 2: kopp un steert sunt nix weert Kopf ab
Methode 1: Mit kopp un steert
schwanz ab
Mittelgrate herausziehen
leicht andrucken
Wo mein essen herkommt...
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HÄNGENDE TISCHE
Die Tische sind über ein Seil-System
Beim Essen kann es so schon einmal etwas wa-
von der Decke abgehängt. So kön-
ckelig zugehen, weshalb in die Tische Löcher ein-
nen für das gemeinsame Essen un-
gelassen sind, welche Teller und Gläser auf ihrem
terschiedliche Situationen geschaffen
Platz halten.
werden. Der Tisch kann auf „normale“ Höhe gebracht werden, als Steh-
Die Einstellung der Tischhöhe wird je nach An-
tisch fungieren, eine Picknick-Situati-
lass vom Lokal selbst bestimmt oder im Restau-
on auf dem Boden schaffen oder bei
rantbetrieb vor dem Essen von den Tischgesell-
Nicht-Bedarf unter die Decke gezogen
schaften ausgehandelt.
werden.
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EAT THE CITY!
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DETAIL Als zus채tzliche Sicherung sind in die Tischplatten von unten, sowie an den darunterliegenden Stellen im Boden, kleine Haken eingelassen. Durch ein Drahtseil kann so die Tischplatte mit dem Boden verspannt werden, um ein allzu starkes Wackeln zu Verhindern.
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EAT THE CITY!
Tischplatte
Drahtseil (4mm)
Haken, im Boden eingelassen
10mm
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ROLLENDE CONTAINER
Der Raum wird durch einheitliche
Raumkonstellationen zu.
Rollcontainer in verschiedenen Grö-
Die Container dienen als Stauraum für sämtliche
ßen gegliedert. Bis auf den Herd sind
Küchenutensilien, Gewürze und Zutaten sowie
so auch alle Elemente des Kochtresens
Zubehör des Restaurants.
verschiebbar und lassen so neue, freie
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EAT THE CITY!
100 cm 3 cm 250 cm
120 cm
160 cm 80 cm
30 cm
90 cm
60 cm
100 cm
100 cm
100 cm
60 cm
60 cm
100 cm
100 cm
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AMATEURKÜCHE In
regelmäßigen
Abständen
(einmal die Woche) findet im Lokal die Amateurküche statt. Unter vorheriger Anmeldung wechselt man hier die Perspektive und wird vom Gast zum Koch, der für andere Restaurantbesucher die Gerichte bereitet. Man kann sich als Gruppe und mit Rezeptvorschlägen beim Lokal dafür anmelden, die Kalkulation und den Einkauf übernimmt das Lokal. Am Abend gibt ein Profi Hilfestellung und wird zum Handlanger. Die Atmosphäre erinnert an diesen Abenden eher an einen Imbiss, es geht unkompliziert zu, man isst auch mal seine Portion im Stehen. Die Gerichte werden zu vergünstigten Preisen angeboten.
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EAT THE CITY!
VON OBEN
Der Bereich der Küche wird entzerrt, Rollcontainer können als Arbeitsblöcke nach aussen gezogen werden.
Die Tische werden - je nach Platzbedarf - an die Decke gezogen.
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ARCHIV Das Archiv setzt sich aus einigen der rollenden Container zusammen. Es gibt dem alten Getreidespeicher speichernde
eine
neue
Funktion.
Hier
geht es um das Bewahren. Dem Labor-Charakter der Amateurküche
entgegengesetzt,
geht es hier um Altbewährtes, das es zu schützen und weiterzugeben gilt. Das Archiv fungiert als Speisekammer auf mehreren Ebenen. Es ist zum einen digitaler Speicher für alte, regionale Rezepte, außerdem analoger Speicher für Eingemachtes sowie für Saatgut, welches aus den Züchtungen der Farm hervorgeht und Generationen überdauern soll. Das Archiv transportiert Wissen über verschiedene Zustände des Essens.
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=
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SAISON Im Sommer zieht das Lokal vor die Tür. Eine große Terasse mit Liegestühlen macht das Sprotten-Eck zu einem richtigen Fischrestaurant, das einen die Seeluft genießen lässt. Im Winter werden die Möbel im Keller des Eckmannspeichers eingelagert.
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EAT THE CITY!
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ROUTE Die Route bildet die wichtigen Verbindungslinien zwischen den einzelnen Akteuren. Die Gerichte des Lokals werden zu einzelnen Routen, die sich abfahren lassen. Das Schwarzbrot kommt von hier, der Salat von der Farm, die Eier von dort. Lokal und Farm werden zum Vermittler zwischen Erzeuger und dem, der ihre Produkte isst. Zu den Gerichten im Lokal werden die EssensRouten rausgegeben, die das Essen unmittelbar mit der Region verbinden. Die Route prägt eine neue Art von Lokal-Tourismus, für Fremde und Ortsansässige. Ausflügler, schwingt euch auf‘s Rad!
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PICKNICK (sub)urban Die Route bildet die wichtigen Verbindungslinien zwischen den einzelnen Akteuren. Die Gerichte des Lokals werden zu einzelnen Routen, die sich abfahren lassen. Das Schwarzbrot kommt von hier, der Salat von der Farm, die Eier von dort. Lokal und Farm werden zum Vermittler zwischen Erzeuger und dem, der ihre Produkte isst. Draußen essen bringt Spaß. Nicht nur idyllisch im Grünen, sondern auch mitten in der Stadt, unter Brücken, auf Parkdecks, Bootsanlegern, in Baulücken. Das Lokal sammelt und archiviert klassische und alternative Picknickorte und stellt Routen zusammen. Eine Hilfestellung, seine Stadt und ihr Umland neu zu erkunden.
Zu den Gerichten im Lokal werden die EssensRouten rausgegeben, die das Essen unmittelbar mit der Region verbinden. Die Route prägt eine neue Art von Lokal-Tourismus, für Fremde und Ortsansässige. Ausflügler, schwingt euch auf‘s Rad!
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PROVIANT Essen für Ausflüge
LOKALHELDEN Wissen, wo‘s herkommt
Die Gerichte des Lokals stellen sich nur aus Produkten der Farm oder solcher aus einem Umkreis von höchstens 20 km zusammen.
Nicht jeder hat Lust auf die Vorbereitungen für ein leckeres Picknick. Deshalb gibt es im Lokal, zusätzlich zu den Routen, auch Proviant. Eine Fahrradleihstation ist in der Farm angeschlossen. Ein zentraler Startpunkt für Ausflüge.
Wer nicht genug von den LokalHelden bekommt, kann entweder im Bestellladen deren Produkte bestellen oder sie in ihren Hofläden besuchen. Isst man im Lokal, bekommt man immer auch seine Essens-Route dazu, die einem sagt, was woher kommt. Ein direkter Bezug zur Herkunft seines Essens wird hergestellt, bisher unbekannte Spezialitäten der Region entdeckt.
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Anleitung
Wie man Sprotten richtig isst
Methode 2: kopp un steert sunt nix weert Kopf ab
Methode 1: Mit kopp un steert
schwanz ab
Mittelgrate herausziehen
leicht andrucken
Wo mein essen herkommt...
ESSENS-TOUR Zu jedem Gericht im Lokal bekommt man eine Route, auf der man nachvollziehen kann, wo das jeweilige Gericht herkommt; wie es sich regional zusammensetzt. Auf der Rückseite befindet sich die Sprotten-Essanleitung. Die Routen liegen direkt unter dem Teller, wie Tischsets und sind kreisförmig perforiert, damit das Loch für den Teller ausgespart werden kann.
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EAT THE CITY!
Kieler Sprotten mit Bratkartoffeln und Rote-bete-Salat
= die 3-seen-TOUR Rote Bete von: Villa Wittschap Rendsburger Landstr. 510 24111 Kiel
Sprotten vom: Kutter vor‘m Sprotten-eck Kaistr.33 24103 Kiel Vorderer Russee
Drachensee
SChulensee
Kartoffeln von: Gut Blockshagen Blockshagener Weg 18 24247 Mielkendorf
wie man sprotten richtig isst...
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Kieler Sprotten mit Bratkartoffeln und Rot
= die 3-seen-TOUR Das Gericht bildet somit immer auch eine Tour, die man z.B. mit dem Fahrrad machen kann.
Rote Bete von: Villa Wittschap Rendsburger Landstr. 510 24111 Kiel
In diesem Fall ergeben Kieler Sprotten mit Bratkartoffeln und Rote-Bete-Salat die 3-SeenTour. Die Rote Bete kommt von Villa Wittschap in Kiel, die Kartoffeln von Gut Blockshagen in Mielkendorf und die Sprotten vom Kutter vorm Lokal. Villa Wittschap und Gut Blockshagen haben jeweils einen Hofladen, den man besuchen kann. Der Ausflug l채sst sich mit einem Picknick verbinden.
Kartoffeln von:
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EAT THE CITY!
Gut Blockshagen Blockshagener Weg 18 24247 Mielkendorf
te-bete-Salat
Sprotten vom: Kutter vor‘m Sprotten-eck Kaistr.33 24103 Kiel Vorderer Russee
Drachensee
SChulensee
wie man sprotten richtig isst...
VILLA WITTSCHAP in Kiel Russee baut eigenes Gemüse nach Demeter-Richtlinien an und verkauft dieses sowie weitere Waren von anderen Höfen in ihrem kleinen Höfeladen. Darüberhinaus gibt es den Service einer Abokiste.
LOKALHELDEN Der Weg über das Essen im Lokal und die daraus entstandene Route eröffnet neue Einkaufsmöglichkeiten, die einem sonst vielleicht verborgen geblieben wären.
GUT BLOCKSHAGEN In Mielkendorf feierte vor Kur-
Ein Besuch im Hofladen lohnt sich fast immer, oder man nutzt den Service des Bestellladens um an die regionalen Spezialitäten zu kommen.
zem der Hofladen und das Café des Gut Blockshagen seinen 1. Geburtstag. Es gibt frische Produkte vom Hof wie Milch, Eier, Käse, Fleischund Wurstwaren, Honig, Obst und Gemüse.
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EAT THE CITY!
PASSADER BACKHAUS Die B채ckerei am Passader See backt seit 25 Jahren in Bioland-Qualit채t. Das Getreide wird eigens angebaut und gemahlen. Das Backhaus verzichtet auf Fertigmischungen und sieht sich als Genusshandwerker. Das Sortiment ist 체berschaubar, regionale althergebrachte Rezepturen werden gepflegt.
Umkreis 20 km Stadtgrenze Kiel Route Lokalhelden ZOB Eckmannspeicher Lokalhelden (Bauern, Fischer, K채sereien...)
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LOKALHELDEN Verzeichnis einiger Höfe und Klein-Produzenten Kiels und seiner Umgebung
WER?
WAS?
WO?*
SONSTIGES
WANN?
ANTIKHOF BISSEE Eiderstr. 13 24582 Bissee
Hofladen, Restaurant
18 km
Einrichtungsgeschäft
Di - Fr ab 18:00 Sa - So ab 12:00
VILLA WITTSCHAP Rendsburger Landstr. 510 24111 Kiel
Hofladen
8 km
Pferdepension, Abokiste
Mo - Fr 10.00 - 18.00 Sa 10.00 - 13.00
SCHOKODEERN Holtenauer Str. 106 24105 Kiel
Chocolaterie, Café
2 km
+ Fachhändler, Internetversand
Mo - So 10.00 - 19.00
HOF STREITBERG Streitberg 12 24113 Molfsee
Galloway-Zucht
10 km
Internetversand
HOFSCHLACHTEREI MUH'S Im Dorfe 4 24217 Krummbek
Hofladen
22 km
Rinderzucht, Schlachterei, Demonstrationsbetrieb, Natur-Erlebnis-Hof, auf Märkten
Di 9:00 - 13:00 Fr 14:30 - 18:00
LINDENHOF Gorch-Fock-Str. 99 24211 Preetz
Hofladen
18 km
Spargel, Erdbeeren, Blumen, Galloways
Mo - Fr 9-13:00, 15-18:00 Sa 9 - 13:00 Uhr, So 10-12:00
PASSADER BACKHAUS Dörpstraat 11 24253 Passade
Bäcker, Hofladen
16 km
Haus-zu-Haus-Service, Zweigstelle Sophienhof; auf Märkten
Mo - Fr 6.00 - 18.00 Sa 6.00 - 13.00
DER HOLZOFENBÄCKER Heischstr.19 24143 Kiel
Bäcker
2 km
auf Märkten
GUT BLOCKSHAGEN Blockshagener Weg 18 24247 Mielkendorf
Hofladen, Café
9 km
Brennholzverkauf
HOF SOPHIENLUST 24241 Schierensee
Hofladen
14 km
KIELER HONIG Kiel
Stadtimker
HOF BERG Dorfplatz 3 24329 Dannau
Fr 16 -18.00
ZIEGENHOF REHDER Kastanienallee 19 24220 Boksee
(Ziegen)Käserei, Hofladen
9 km
Mo 14-19 Uhr
HOF HOTTBARG Preetzer Str. 12A 24211 Kührsdorf
(Ziegen)Käserei
26 km
Bäckerei
23 km
SCHILLERHOF Holzredder 50 24217 Wisch
Getreide, Erdbeeren
22 km
ANGUSHOF Dorfstr. 36 24217 Stakendorf
Hofladen
28 km
AngusRinderzucht
Di/Fr/Sa 9 -12:00 Di/Fr 16 -18:00
KIELER FÖRDEMUSCHEL Tiessenkai 24159 Kiel
Miesmuschelfarm
9 km
Direktverkauf
Mo - Fr 9-12 Uhr
FISCHERHAFEN 24235 Laboe
Anlegestelle für Fischkutter
19 km
Direktverkauf
FISCHERHAFEN Hafen Möltenort 24226 Heikendorf
Anlegestelle für Fischkutter
13 km
Direktverkauf
Hofladen
17 km
Rinder-, Schweinezucht, Milchwirtschaft
Fischräucherei (Kieler Sprotten), Restaurant
29 km
REHBEHN UND KRUSE Jungfernstieg 19 24340 Eckernförde
EAT THE CITY!
noch keine Verkaufsstellen
38 km
RHEZAKS BIOLAND HOF Holander Allee 24 24214 Wulfshagenerhütten
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Di 15:00 - 18:30 Fr 9:30 - 13:00 + 15:00 - 18:30 Sa 9:30 - 13:00
Käserei, Hofladen
REESDORFER HOF Eiderhöhe 10 - 14 24582 Bordesholm
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Laden: Do - Sa 10 - 12:00 und 14 -18:00 Café: Do - So 14 – 18:00
*
unklar, ob Hofladen
Verkauf an Fachhändler
Route vom Eckmannspeicher, nicht Luftlinie
Mo-Fr 16.30-19.00 Sa 10 - 12.00 & 16.30 - 19.00 Mo - Fr. 8:30-18:00 / Sa 9 -14:00
Fischerhafen Laboe
Rhezak‘s Bioland Hof Holander Allee 24 24214 Wulfshagenerhütten
Schillerhof Holzredder 50 24217 Wisch Schokodeern Holtenauer Str. 106 24105 Kiel
Rosenkrantz Gemüse Rosenkranzer Weg 98 24214 Schinkel
Villa Wittschap Rendsburger Landstr. 510 24111 Kiel
Angushof Dorfstr. 36 24217 Stakendorf
Freiberg Hofladen Schönhorster Str. 16 24232 Schönkirchen
Der Holzofenbäcker Heischstr.19 24143 Kiel
Hofschlachterei Muh‘s Im Dorfe 4 24217 Krummbek
Passader Backhaus Dörpstraat 11 24253 Passade
Gut Blockshagen Blockshagener Weg 18 24247 Mielkendorf Lindenhof Gorch-Fock-Str. 99 24211 Preetz
Hof Sophienlust 24241 Schierensee
Hof Streitberg Streitberg 12 24113 Molfsee
Reesdorfer Hof Eiderhöhe 10 - 14 24582 Bordesholm
Ziegenhof Rehder Kastanienallee 19 24220 Boksee
Antikhof Bissee Eiderstr. 13 24582 Bissee
Hof Hottbarg Preetzerstr.12a 24211 Kührsdorf
Umkreis 20 km Stadtgrenze Kiel ZOB Eckmannspeicher Lokalhelden (Bauern, Fischer, Käsereien...) Bio-Betrieb Mitglied bei Feinheimisch
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URBAN PICNIC Der Gedanke des Picknicks, des Essens unterwegs oder an unbekannten Orten, lässt sich auch in den Bereich des Urbanen übertragen. Das Lokal sammelt interessante Picknickorte in der Stadt und im Umland und gibt auch dafür Routen heraus. Nicht nur für Einwohner sondern auch für Touristen ist dies eine Möglichkeit, die Stadt zu entdecken; Räume durch das gemeinsame Essen neu zu besetzen.
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Umkreis 20 km Stadtgrenze Kiel ZOB Eckmannspeicher
Picknickort
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PROVIANT Die Verpflegung sowie Picknickrouten
bekommt
man
ebenfalls im Lokal. Der Proviant-Service packt Stullen und Fischbrötchen für die Tour. In Ebene 0 der Farm ist ein Fahrradverleih integriert.
+
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NETZ Die Strategie ist als eine Art Netz zu sehen, das sich über die Stadt legt. Die einzelnen Bestandteile sind teils fest verortete Ankerpunkte (Farm und Lokal), welche von flüchtigeren Teilchen umspielt werden. Dies sind die in dem Netz handelnden Akteure (Städter, Touristen, Lokalhelden), die durch ihre Handlungen die Zwischenräume füllen und so die Verbindungslinien der Route definieren. Die Vernetzung der Bestandteile generiert neue Raumstrategien für die Stadt. Raumstrategien, die sich durch das gemeinsame Essen entwickeln. Essen anbauen, Essen bestellen, Essen kochen, Essen bewahren, Essen essen. Das Konstrukt Stadt will neu gedacht, neu zusammengesetzt werden. So kann sie in Zukunft nicht nur Wohnort, Arbeitsplatz und Kulturangebot sein, sondern auch Ernährer.
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EAT THE CITY!
LOKAL HELDEN
KIELER BESTELL LADEN
anbauen
bestellen
gärtnern lernen
BAUERNHOF
FARM KIELER
Kaffee trinken
CAFÉ
essen bewahren ARCHIV TOURIST
LOKAL
lernen
Proviant Picknick
kochen
AMATEUR KÜCHE
experimentieren
RESTAURANT
essen
essen
KIELER
TOURIST
TOURIST LOKAL HELDEN
Ausflug ENTWURF
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LITERATUR + BILDNACHWEISE BUCH - Aicher, Otl: Die Küche zum Kochen (Ernst & Sohn Verlag, München 1982) - Ariès, Phillipe und Chartier, Roger (Hg.): Geschichte des privaten Lebens Bd.3 (Fischer, Frankfurt 1986) - Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften, Band IV·1, Kleine Prosa (suhrkamp, Frankfurt a.M. 1972) - Berry, Wendell: What are people for? (North Point Press, New York 1990) - Carpenter, Novella: Meine kleine Cityfarm - Landlust zwischen Beton und Asphalt (Bastei Lübbe, Köln 2010; Originalausgabe: Farmcity - The Education of an Urban Farmer 2010) - Despommier: The Vertical Farm (Macmillan US, New York 2011) - Dollase, Jürgen: Wenn der Kopf zum Magen kommt - Theoriebildung in der Kochkunst, IN Dell‘Agli, Daniele (Hg.): Essen als ob nicht - Gastrosophische Modelle (suhrkamp, Berlin 2009) - Dünnebier, Anna und Von Paczensky, Gert: Kulturgeschichte des Essens und Trinkens (Orbis, München 1999) - Issenberg, Sasha: The Sushi Economy (Gotham, New York 2011) - Krasny, Elke (Hg.): Hands-on Urbanism 1850-2012 - Vom Recht auf Grün (Verlag Turia + Kant, Wien 2012) - Müller, Klaus E.: Kleine Geschichte des Essens und Trinkens - Vom offenen Feuer zur Haute Cuisine (Beck, München 2009) - Neunteufel, Marta und Pfusterschmid, Sophie (Hg.): Esskultur - Agrikultur, Beiträge des Symposion über Essen und Landwirtschaft in unserem heutigen Schlaraffenland (AWI - Bundesanstalt für Agrarwirtschaft, Wien 2004) - Petrini, Carlo: Slow Food - Genießen mit Verstand (Rotpunktverlag, Zürich 2003) - Petrini, Carlo: Gut, sauber und fair (Tre Torri, Wiesbaden 2007) - Proust, Marcel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit I (suhrkamp, Berlin 2000) - Rath, Claus-Dieter: Der besorgte Esser - Zur Psychoanalyse der Esskultur, IN Dell‘Agli, Daniele (Hg.): Essen als ob nicht - Gastrosophische Modelle (suhrkamp, Berlin 2009) 150
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- Reuter, Martin: Eingeklemmt zwischen Auster und Currywurst - Letzter Versuch über
das deutsche Essen, IN Dell‘Agli, Daniele (Hg.): Essen als ob nicht - Gastrosophische Modelle (suhrkamp, Berlin 2009) - Robertson, Roland: Glokalisierung: Homogenität und Heterogenität in Raum und Zeit, IN Beck, Ulrich (Hg.), Perspektiven der Weltgesellschaft (Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1998) - Schroer, Markus: Räume, Orte Grenzen - Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums (suhrkamp, Berlin 2005) - Selle, Gerd: Die eigenen vier Wände - Zur verborgenen Geschichte des Wohnens (Campus Verlag, Frankfurt 1999) - Teuteberg, Hans J.: Zur kulturwissenschaftlichen Phänomenologie der täglichen Mahlzeiten IN Geschmacksache (Schriftenreihe Forum Band 6) (Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deuschland GmbH und Steidl Verlag, Göttingen 1996) - Tolksdorf, Ulrich: Strukturalistische Nahrungsforschung - Versuch eines generellen Ansatzes IN Ethnologia Europea, Vol.9, Heft 1, (Göttingen 1976) - Tracey, David: Urban Agriculture (New Society Publishers, Gabriola Island / Kanada 2011) - Müller, Christa (Hg.): Urban Gardening - Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt (oekom verlag München, 2011) - von Wetzlar, John und Buckstegen, Christoph: Urbane Anarchisten - Die Kultur der Imbissbude (Jonas-Verlag, Marburg 2003) PRESSE - Laudenbach, Peter: Am Essen wird zuerst gespart (Brandeins Essen Spezial 5.2009) - Atlas der Globalisierung (Le Monde diplomatique, Paris 2009) - Greenpeace Magazin 1.13 (Essen Spezial) - Waldherr, Gerhard: Die Bauern von New York (Brandeins Essen Spezial 5/2009) - Ramge, Thomas: Adieu, Cuisine! (Brandeins Essen Spezial 5.2009) - Vinken, Gerhard: Der Stadtbewohner als Ackerbürger (FAZ 04.05.2011) INTERNET Petrescu, Doina; Petcou, Constantin und Awan, Nishat (aaa): Translocal Act – Cultural Practices within and across (2010) ANHANG
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http://www.boelw.de/uploads/pics/ZDF/ZDF_Endversion_120110.pdf http://www.familienhandbuch.de/cms/Ernaehrung_Esskultur.pdf http://www.marijevogelzang.nl/www.marijevogelzang.nl/home.html http://www.ndr.de/ndr2/programm/sendungen/der_ndr2_morgen/fruehstueck130.html http://www.brooklyngrangefarm.com http://www.uiwe.dk/town-transformation-strategy-delivered/ http://de.wikipedia.org/wiki/Rhizom_(Philosophie) http://www.whitehouse.gov/about/tours_and_events/garden http://de.wikipedia.org/wiki/Aquaponik http://www.ernaehrungsdenkwerkstatt.de/fileadmin/user_upload/EDWText/TextElemente/ Mahlzeiten_-_Meal/Tolksdorf_Strukturalistische_Nahrungsforschung_Mahlzeit.pdf BILDER THEORIEARBEIT S.12 http-//recycledflavors.storenvy.com/products/607860-keep-calm-and-go-freegan-poster S.14 http://bippityboppityboo.tumblr.com/post/34089271551 S.20 http://www.marijevogelzang.nl/www.marijevogelzang.nl/PROJECTS/Pages/EAT_ LOVE_BUDAPEST.html S.24 Rike Gloy S.29 http://de.wikipedia.org/wiki/Frankfurter_K端che S.30 http://www.kinfolkmag.com/gallery/brooklyn-new-york/ S.36 http://www.bz-berlin.de/bezirk/schoeneberg/dieser-laden-ist-ein-kochbuch-article969657. html S.40 http://roboticsblog.org/2009/new-robots/sushi-chef-robot-stirs-a-crowd-at-the-international-food-machinery-and-technology-expo/ S.45 von Wetzlar, John und Buckstegen, Christoph: Urbane Anarchisten - Die Kultur der Imbissbude (Jonas-Verlag, Marburg 2003) S.46 http://prinzessinnengarten.net/wir/ S.51 http://www.uiwe.dk/town-transformation-strategy-delivered/ S.52 http://www.designboom.com/architecture/section-2-of-the-high-line-now-open/ 152
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EAT THE CITY!
S.56 http://www.flickr.com/photos/tahneelynn/8399998797/in/photostream/ S.58 Die Bauern von New York (Brandeins 5/2009) S.64 Rike Gloy S.67 http://fab.com/inspiration/farm-to-table-print-12x16
ANHANG
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DANKE
Hanno, Sina + Jo, Mama + Papa Prof. Christian Teckert und Prof. Manfred Schulz; Kai, Roy und Jan aus der Bibliothek, Benni aus der Werkstatt, Frau Pahlke vom Bauordnungsamt, Frau Seemann vom Gut Blockshagen, Bikram Yoga Kiel, CafĂŠ Resonanz