Artists Life
MAN RAY
#02
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»One of the satisfactions of a genius is his will-power and obstinacy.« MAN RAY
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E D I T O R I A L Die Reise durch das Leben eines Künstlers – immer spannend, immer anders. Aber jedesmal inspirierend. In dieser Ausgabe des Art Travellers widmen wir unsere Aufmerksamkeit dem amerikanischen Künstler Man Ray. Seinem Leben, seiner Werke – vor allem der Faszination seiner Fotografien. Er prägte die Fotografie zu Beginn des 20. Jahrhunderts wie kein anderer Künstler. Man Ray hat unseren Blick auf die Fotografie ents cheidend geprägt. Insb es ondere die Pariser Jahre sind von zahlreichen Innovationen gekennzeichnet. Begleiten Sie uns und erleben Sie selbst die Faszination seiner Werke, die heute noch progressiv und modern erscheinen. Wir wünschen Ihnen viel Spass auf dieser Reise durch Zeit und Kunst.
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manuel rudnitzky
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rayografie
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fotografie
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societe anonyme
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interview with m. r.
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»Ich werde von nun an die Dinge tun, die ich nicht tun soll« MAN RAY
tete zu Hause als Schneider, und die Kinder wurden in die Arbeit mit einbezogen; schon früh lernten sie nähen und sticken und das Zusammenfü-
EMMANUEL RUDNITZKY WURDE ALS ERSTES VON VIER KINDERN
gen unterschiedlichster Stoffe
LITUANISCH-JÜDISCHER ELTERN, MELECH (MAX) RUDNITZKY
in Patchwork-Technik. Diese
UND MANYA GEB. LURIA, IN PHILADELPHIA GEBOREN.
Erfahrung sollte sich später in Man Rays Werk widerspie-
Auf seiner Geburtsurkunde
amerikanisieren. Auch Man
geln: Der spielerische Umgang
wurde der Junge als „Michael
Ray selbst zeigte sich in
mit verschiedenen Materi-
Rudnitzky“ eingetragen,
späteren Jahren sehr bedeckt,
alien findet sich in vielen
doch nach Aussage seiner
was seine Herkunft betraf.
seiner Assemblagen, Collagen
Schwester Dorothy wurde er von der Familie „Emmanuel“
und anderen Bilder, überdies Zusammen mit seinen
zitierte er gern Utensilien aus
bzw. „Manny“ genannt. Die
Geschwistern erhielt der
dem Schneiderhandwerk, zum
Familie nannte sich später
junge Emmanuel eine strenge
Beispiel Nadeln oder Garn-
„Ray“, um ihren Namen zu
Erziehung. Der Vater arbei-
spulen, in seiner Bildsprache.
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1897 zog Man Rays Familie nach Williamsburg, Brooklyn.
Wie er später einmal sagte,
Dort begann der eigensinnige Junge mit sieben Jahren erste
belegte er die Kurse für Akt-
Buntstiftzeichnungen anzufertigen, was von den Eltern nicht
malerei eigentlich nur, weil er
für gut befunden wurde, so dass er seine künstlerischen Nei-
„eine nackte Frau sehen wollte“.
gungen lange geheim halten musste. „Ich werde von nun an die
Der didaktisch konservative,
Dinge tun, die ich nicht tun soll“ wurde sein früher Leitsatz,
zeitintensive und ermüdende
dem er lebenslang folgen sollte. Im höheren Schulalter durfte
Unterricht war nichts für den
er jedoch Kurse in Kunst und Technischem Zeichnen belegen
ungeduldigen Studenten. Auf
und beschaffte sich bald das Rüstzeug für seine Künstlerlauf-
Anraten seiner Lehrer gab er
bahn. Nach dem Abschluss der High-School wurde Emmanuel
das Studium alsbald auf und ver-
ein Stipendium für ein Architekturstudium angeboten, das
suchte selbstständig zu arbeiten.
er allerdings trotz Zuredens seiner Eltern ablehnte, da eine technische Ausbildung seinem festen Entschluss, Künstler zu werden, zuwiderlief. Zunächst versuchte er sich, eher unbefriedigend, in Porträt- und Landschaftsmalereien; schließlich schrieb er sich 1908 an der National Academy of Design und der Art Students League in Manhattan, New York, ein.
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New York
1911–1921
9 I M
H E R B S T
M O D E R N
1 9 1 1
S C H O O L
E I N E R
O F
T R U G N E W
S I C H
M A N
Y O R K S
L I B E R A L - A N A R C H I S C H K U N S T S C H U L E
–
R A Y
A N
F E R R E R
D E R
C E N T E R –
O R I E N T I E R T E N E I N .
Dort wurde er im Folgejahr aufgenommen. Am Ferrer Center
Ebenfalls im Frühjahr 1913
konnte er dank der unkonventionellen Lehrmethoden endlich frei
verließ Man Ray sein Eltern-
und spontan arbeiten. Die teilweise radikalen, von freiheitlichen
haus und zog in eine Künst-
Idealen geprägten Überzeugungen seiner Lehrer sollten entschei-
lerkolonie in Ridgefield, New
denden Einfluss auf seinen späteren künstlerischen Werdegang,
Jersey, wo er der belgischen
u. a. seine Zuwendung zum Dada, haben. In der Folgezeit arbeitete
Dichterin Adon Lacroix, bür-
der Künstler – er hatte mittlerweile seinen Vor- und Nachnamen
gerlich Donna Lecoeur, begeg-
auf „Man Ray“ simplifiziert – als Kalligraf und Landkartenzeichner
nete; im Mai 1913 heirateten
für einen Verlag in Manhattan. In Alfred Stieglitz’ bekannter „Ga-
die beiden. Etwa 1914/15 kauf-
lerie 291“ kam er zum ersten Mal mit Werken von Rodin, Cézanne,
te sich Man Ray einen Fotoap-
Brâncui sowie Zeichnungen und Collagen von Picasso in Berüh-
parat, um seine eigenen Wer-
rung und fühlte sich diesen europäischen Künstlern auf Anhieb
ke reproduzieren zu können.
stärker verbunden als ihren amerikanischen Zeitgenossen. Über
Am 31. März 1915 veröffent-
Alfred Stieglitz fand Man Ray schnell Zugang zu dem völlig neuen
lichte er eine Ausgabe von The
Kunstgedanken der europäischen Avantgarde. Er erprobte in kür-
Ridgefield Gazook, einem von
zester Abfolge wie besessen verschiedene Malstile: Beginnend mit
ihm selbst entworfenen anar-
den Impressionisten, gelangte er bald zu expressiven Landschaf-
chisch-satirischen
ten, die einem Kandinsky ähnelten (kurz bevor dieser den Schritt
das bereits Grundzüge der
zur Abstraktion vollzog), um schließlich zu einer eigenen futuris-
späteren
tisch-kubistischen Figuration zu finden, die er abgewandelt sein
aufwies, sowie A Book of Di-
Leben lang beibehielt.
verse Writings mit Texten von
Pamphlet,
Dadazeitschriften
Donna und Illustrationen von Einen nachhaltigen Eindruck bei ihm hinterließ die Armory
ihm. Im Herbst 1915 hatte Man
Show, eine umfangreiche Kunstausstellung, die Anfang 1913
Ray seine erste Einzelausstel-
in New York stattfand. Schon allein die Größe der europäischen
lung in der New Yorker Daniel
Gemälde überwältigte ihn. Man Ray sagte später dazu: „Ich habe
Gallery, bei der er sechs Ge-
sechs Monate nichts getan – so lange habe ich gebraucht, um zu
mälde
verdauen, was ich gesehen hatte.“ Bei der, in seinen Augen „zwei-
lich traf er dort auf Marcel
dimensionalen“ Kunst seines Geburtslandes hingegen „[…] habe er
Duchamp, der in Amerika ge-
geradezu eine Abneigung gegenüber Gemälden gehabt, bei denen
rade durch sein Aufsehen er-
kein Raum für eigene Überlegungen blieb.“
regendes Bild Akt, eine Treppe
verkaufte.
Vermut-
herabsteigend Nr. 2, das er in der Armory Show gezeigt hatte, bekannt geworden war. Es waren vor allem Duchamps revolutionäre Ideen und Theorien, die Man Ray unvermittelt, aber nachhaltig beeindruckten. Duchamp und Man Ray wurden bald gute Freunde.
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ENTWICKLUNG DES EIGENEN STILS
11 Man Ray war fasziniert von Duchamps Werk,
Gesicht bildete. Nun begann Man Ray sich auch
insbesondere von dessen Darstellungen simpler,
regelmäßig an Ausstellungen zu beteiligen; so
technisch „absurder“, unlogischer Maschinen
wurde der Sammler Ferdinand Howald auf den
mit ihren pseudomechanischen Formen, die
Nachwuchskünstler aufmerksam und begann
eine scheinbare „geheimnisvolle“ Funktion vor-
ihn mehrere Jahre als Mäzen zu fördern. Auf
täuschten, ebenso wie von Duchamps Manier,
Marcel Duchamps Anregung hin befasste sich
einfache Alltagsgegenstände als objet trouvés zu
Man Ray sehr bald auch intensiv mit Fotografie
Kunstobjekten zu erklären, die er Readymades
und Film. Gemeinsam mit Duchamp, dessen
nannte. Ein weiterer wichtiger Impulsgeber war
Werk Man Ray in etlichen Fotografien doku-
Francis Picabia mit seinem Gedankengang zur
mentierte, entstanden in New York zahlreiche
„Überhöhung der Maschine“: „Die Maschine ist
Foto- und Filmexperimente. Um 1920 erfan-
zu mehr geworden als nur zu einer Beigabe des
den Marcel Duchamp und Man Ray das
Lebens […] sie ist wirklich ein Teil des mensch-
Kunstgeschöpf Rose Sélavy. Der Name war
lichen Lebens – vielleicht sogar seine Seele.“
ein Wortspiel aus „Eros c’est la vie“, Eros ist das
Vermutlich gegen Ende des Jahres 1915 begann
Leben. Rose Sélavy war der als Frau verkleide-
auch Man Ray, mit solchen Objekten zu expe-
te Duchamp selbst, der unter diesem Namen
rimentieren und vollzog langsam den Schritt
Werke signierte, während ihn Man Ray dabei
von der zweidimensionalen zur dreidimen-
fotografierte. Zunehmend interessierte sich
sionalen Kunst. Alsbald schuf Man Ray erste
der Künstler für das Unbewusste, Scheinbare
Assemblagen aus Fundstücken, so z. B. das Self
und das angedeutet Mystische, welches hinter
Portrait von 1916, das aus zwei Klingeln, einem
dem Dargestellten und „Nicht-Dargestellten“
Handabdruck und einem Klingelknopf ein
verborgen schien.
Im Verlauf des Jahres 1917 experimentierte er mit allen verfügbaren Materialien und Techniken und entdeckte neben dem Glasklischeedruck (Cliché verre) die Aerographie, eine frühe Airbrushtechnik, für sich, indem er Fotopapier mit Farbe, respektive mit Fotochemikalien, besprühte. Eine frühe Aerographie nannte er Suicide (1917), eine Thematik, mit der sich Man Ray – wie viele andere Dadaisten und Surrealisten aus seinem Bekanntenkreis auch – oft beschäftigte. Man Ray machte sich schnell mit den Techniken in der Dunkelkammer vertraut. Geschah dies anfangs noch aus dem einfachen Beweggrund, seine Gemälde zu reproduzieren, fand er im fotografischen Vergrößerungsprozess bald eine Ähnlichkeit zur Aerographie und entdeckte die kreativen Möglichkeiten dieser „Lichtmalerei“.
12 trikern durchsetzten DadaGruppe, die sich in exzessiven Ausschweifungen erging, fand Man Ray längst nicht die Unterstützung, die er sich erhoffte, zumal bildende Künstler in dieser von Literaten beherrschten Szene wenig Beachtung fanden. Die Dadaisten hatten Dada in ihrer Absurdität bereits lakonisch-scherz-
Man Ray kam am 22. Juli 1921
in
Frankreich
Alfred Flechtheim in Berlin
haft für tot erklärt: „Man liest
teil. Man Ray, der nicht selbst
überall in den Zeitschriften,
nach Berlin reiste, schickte da-
dass Dada schon lange tot
an.
für ein Bild von Tristan Tzara
ist […] es wird sich zeigen ob
Duchamp machte ihn in Paris
mit einer Axt über dem Kopf
Dada wahrhaftig tot ist oder
im beliebten Dadaistentreff
und auf einer Leiter sitzend,
nur die Taktik geändert hat;“
l’Opéra sogleich mit André Breton, Louis Aragon, Paul Éluard und dessen Frau Gala (die spätere Muse und Ehefrau des spanischen Künstlers Rigaut bekannt. Die Europäer akzeptierten Man Ray, der bald fließend französisch sprach, schnell als einen der Ihren. Man Ray verbrachte anfangs viel Zeit damit, die Metropole Paris zu erkunden, konzentrierte sich aber schon bald auf das Zentrum der Pariser Kunstszene: Montparnasse. In den Cafés der Rive Gauche, am Boulevard du Montparnasse, traf er auf die unterschiedlichsten
Künstler:
Matisse,
1921–1940
Salvador Dalí) und Jacques
Die Pariser Jahre
Café Certa in der Passage de
und so wurde Man Rays erste Ausstellung mit den Dadaisten eher zu einer Farce; auch der Mangel an Verkäufen machten dem Künstler insgeheim zu schaffen. Verursacht durch eine Kontroverse, die der rebellische André Breton in Vorbereitung seiner „Surrealistischen Manifeste“ entfacht hatte, und einem damit verbundenen Disput Bretons mit Tzara, Satie, Eluard und weiteren Dadaisten kam es am 17. Februar 1922 mit einem Zensurbeschluss gegen Breton zur Spaltung zwischen Dadaisten und Surrealisten. Unter den 40 Unterzeichnern des Beschlusses befand sich auch Man Ray. Dies war das erste und letzte Mal, dass Man Ray Stellung zu einer künstle-
Diego Rivera, Piet Mondrian,
neben ihm das übergroße Bild-
Salvador Dalí, Max Ernst, Yves
nis eines Frauenaktes (Port-
Tanguy, Joan Miró und viele
rät Tristan Tzara/Tzara und
Erfolglos in der Malerei fass-
andere mehr. Die meisten von
die Axt, 1921). Auf Bestreben
te Man Ray Anfang 1922 den
ihnen fanden später als Port-
Tzaras, der den neuen Da-
Entschluss, sich ernsthaft der
räts Einzug in Man Rays foto-
da-Künstler aus Amerika für
Fotografie zu widmen. Obwohl
grafisches Werk.
„seine Bewegung“ etablieren
er seit seiner Ankunft in Paris
wollte, fand noch im Dezem-
schon zahlreiche Porträts von
Gegen Ende des Jahres zog
ber des Jahres in der Librairie
Picabia, Tzara, Cocteau und
Man Ray in das berühmte
Six die erste Ausstellung Man
vielen
Künstlerhotel Hôtel des Eco-
Rays in Paris statt.
ten der Pariser Kunstszene
les am Montparnasse. Anfang
rischen Doktrin bezog.
anderen
Protagonis-
angefertigt hatte, wollte er
November nahm Man Ray zu-
Um die gleiche Zeit entstand
sich nun die Porträtfotografie
sammen mit Max Ernst, Hans
Man Rays „offizielle Photo-
als Einnahmequelle sichern
Arp und Marcel Duchamp an
graphie“
der
mittlerweile
und gezielt Auftraggeber su-
einer Sammelausstellung in
untereinander
zerstrittenen
chen. „Ich habe jetzt meine
der Galerie des Kunsthändlers
Dadaisten. In der von Egozen-
Aufmerksamkeit darauf ge-
13 richtet, ein Atelier zu mieten
Im Juli 1922 fand Man Ray ein
geeignetes
IN PARIS ERLEBTE RAY JAHRE DES
und es einzurichten, damit ich
schließlich
effizienter arbeiten kann. Ich
Wohnatelier mit Küche und
ERFOLGS. ANFÄNGLICH LEDIGLICH MIT
wollte ja Geld machen – nicht
Bad in der Rue Campagne
ABBILDUNGEN VON KUNSTWERKEN AUS
auf Anerkennung warten, die
Première 31. Schnell wurde
DER ARTISTENGEMEINDE BESCHÄF-
vielleicht kommt oder sich
TIGT, ERZIELTE WÄHREND SEINER ZEIT
vielleicht nie einstellt.“ Dieser
IN FRANKREICHS HAUPTSTADT DURCH
Entschluss ging mit dem drän-
SEINE EXPERIMENTE MIT DEM MEDIUM
genden Wunsch einher, sich
PHOTOGRAPHIE GROSSE RESONANZ.
von der bisherigen belastenden Situation „im Wettkampf
verwackelten Fotos so begeis-
mit den anderen Malern“ zu
tert, dass sie gleich Dutzende
befreien. Seine ersten Auf-
von Abzügen bestellte, die
tragsarbeiten kamen selbst-
sie an ihren Bekanntenkreis
verständlich aus der Kunsts-
verschickte.
zene: Picasso, Georges Braque, Juan Gris, Henri Matisse und
Zu dieser Zeit entdeckte
viele andere ließen sich im
Man Ray die Aktfotografie für
Frühjahr/Sommer 1922 von
sein neues Studio zu einem
sich und fand in Kiki de Mont-
ihm ablichten. Noch immer
beliebten Treffpunkt der Ma-
parnasse,
lebte und arbeitete Man Ray
ler und Schriftsteller. Eine
Prin, einem beliebten Modell
in einem Hotelzimmer und so
weitere
Auftrags-
der Pariser Maler, seine Muse
beklagte er in einem Brief an
quelle wurden die angloameri-
und Geliebte. Kiki, die Man Ray
seinen Freund und Förderer
kanischen Emigranten und so
im Dezember 1922 in einem
Ferdinand Howald: „Ich lebe
entstanden im Laufe der Zeit
Café kennengelernt hatte und
und arbeite immer noch in
zahlreiche Porträts durchrei-
die bis 1926 seine Lebensge-
einem Hotelzimmer, das sehr
sender Künstler, vornehmlich
fährtin war, avancierte schnell
eng und teuer ist. Aber die
Schriftsteller wie James Joy-
zum Lieblingsmodell des Foto-
Ateliers hier sind unmöglich –
ce oder Hemingway, die sich
grafen; in den 1920er Jahren
ohne Wasser oder Licht für die
u. a. in literarischen Salons,
entstanden unzählige Fotogra-
Nacht, wenn man nicht einen
wie dem von Gertrude Stein
fien von ihr, darunter eine der
sehr hohen Preis zahlen kann,
und Alice B. Toklas, oder in
berühmtesten von Man Ray:
und auch dann muss man erst
Sylvia Beachs renommierter
Das surrealistisch-humorvolle
eines finden.“
Buchhandlung
Shakespeare
Foto Le Violon d’Ingres (1924),
and Company trafen. Zwar
das den nackten Rücken einer
war dies die etablierte Pari-
Frau (Kiki) mit Turban zeigt,
ser Literaturszene, jedoch hat
auf dem sich die beiden aufge-
Man Ray mit Ausnahme von
malten f-förmigen Öffnungen
Marcel Proust auf dem Toten-
eines Violoncellos befinden.
bett, den er auf ausdrücklichen
Die Fotografie wurde zu einer
Wunsch
fotogra-
der am meisten publizierten
fierte, keinen der führenden
und reproduzierten Arbeiten
französischen
wichtige
Cocteaus
bürgerlich
Alice
Schriftsteller
Man Rays. Den Titel Le Vio-
verewigt. Bald wurden auch
lon d’Ingres (Die Violine von
die Pariser Aristokraten auf
Ingres) als französisches Idiom
den ungewöhnlichen Ameri-
für „Hobby“ oder „Stecken-
kaner aufmerksam: Das ver-
pferd“ wählte Man Ray mut-
wackelte Porträt der exzentri-
maßlich
schen Marquise Casati, einer
Anspielung auf den Maler
früheren Geliebten des itali-
Jean-Auguste-Dominique In-
enischen
Dichters
in
doppeldeutiger
Gabriele
gres, der sich bevorzugt dem
D’Annunzio, das die Marquise
Violinenspiel und der Aktma-
mit drei Augenpaaren zeigt,
lerei gewidmet hatte. Ingres’
wurde trotz der Bewegungs-
Gemälde La Grande Baigneuse
unschärfe zu einer der signi-
(Das Türkische Bad) war offen-
fikantesten Fotografien Man
kundig Vorlage für Man Rays
Rays. Die Marquise war ob des
geistreiches Fotorätsel.
14
15
Man Ray mit Salvador Dali
16 D A S E N D E D E R P A R I S E R J A H R E
In den Jahren bis zu seiner Flucht nach Amerika 1940 machte er eher durch Ausstellungen, die sein internationales Renommee als Künstler festigten, als durch stilistische Innovationen auf sich aufmerksam. Seine kommerziellen Modefotografien waren zwar perfekt und routiniert in Szene gesetzt, dennoch lieferten sie keine wirklichen neuen kreativen Impulse. Neben dem aufkommenden modernen Fotojournalismus mit seinen „neuen“ innovativen Fotografen wie Henri Cartier-Bresson, Chim und Robert Capa in ihrer politischen Emotionalität wirkten Man Rays kühle Studioproduktionen mittlerweile „statisch“ und überkommen. Bald verdrängten lebendige Straßenreportagen, wie die des sehr viel jüngeren Robert Doisneau oder die eines Brassaï, der anfangs ebenso surrealistische Ansätze verfolgt hatte, Man Rays
VON NUN AN WURDE MAN RAYS BILDSPRACHE
Kunstfotografie aus den Magazinen. Der Surrealist Louis Aragon zog auf einem Pariser Kultursymposium 1936 einen direkten Vergleich zwischen dem „Schnappschußfotografen“ Henri Cartier-
ZUNEHMEND DÜSTERER
Bressons und dem Studiofotografen Man Ray:„… er (Man Ray)
UND PESSIMISTISCHER.
verkörpert das Klassische in der Fotografie […] eine Atelierkunst mit allem was dieser Begriff bedeutet: vor allem der statische Charakter der Fotografie […] im Unterschied dazu die Fotografien meines Freundes Cartier, die im Gegensatz zu der friedlichen Nachkriegszeit steht und wirklich durch ihren beschleunigten Rhythmus zu dieser Zeit der Kriege und Revolutionen gehört.“ Man Ray beobachtete diese Entwicklung ebenso wie Aragon, schloss sich aber dem „neuen“ Trend der schnelllebigen realistischen Fotografie letztlich nicht an; vielmehr zog er sich noch mehr in seine eigene Traumwelt zurück. Zeitweise gab er die Fotografie – mit Ausnahme einiger kommerzieller Modefotos – sogar völlig auf und wandte sich wieder der Malerei zu. Er fühlte sich in der Entscheidung bestätigt, als A l’heure de l’observatoire – Les Amoureux bei einer großen Retrospektive surrealistischer Kunst im New Yorker Museum of Modern Art großen Anklang fand. Das Gemälde war Man Ray so wichtig, dass er es immer wieder in zahlreichen Fotografien einbrachte: Modefotos, Selbstporträts und Aktaufnahmen.
17
MERET OPPENHEIM BY MAN RAY Der Bildhauer Alberto
Giacometti machte Man Ray um 1934 mit der jungen
Künstlerin Meret Oppenheim bekannt. Oppenheim stand
ihm Modell in der Fotoserie Érotique voilée (1934). Ungefähr zu dieser Zeit entstanden
auch zwei weitere wichtige Arbeiten: Die Bücher Facile (1935) und La Photographie n’est pas l’art (1937). Facile entstand mit Man Rays altem Freund Paul Éluard und dessen zweiter Frau Nusch. Das Buch bestach durch feinste, teils solarisierte teils invertierte oder doppelbelichtete Aktfotografien von Nusch Eluard und ein neuartiges Layout, welches, ausgewogen zwischen Text und Bild, viel meditative Weißfläche ließ, um das Gefühl von Unendlichkeit zu evozieren.
18 Neben Nusch Eluard ist nur ein Paar Hand-
Das Bild ist nicht nur eine Bilanz seines
schuhe abgebildet. Das andere Werk La Photo-
bisherigen Œuvres, sondern es weist auch
graphie n'est pas l'art war eher eine Mappe, die in der Zusam-
zugleich etliche autobiografiEINE
ZWEIER
sche Elemente auf; der Mino-
FARBIGER,
taurus ist beispielsweise ein
HARLEKINADE
menarbeit mit Breton entstand.
HERVORSTECHEND
Es sollte eine fotografische An-
GEOMETRISCHER FIGUREN VOR
tithese zu Man Rays Fotografien
EINER VON ZERSTÖRTEM MAU-
Picasso, mit dem Man Ray
der 1920er Jahre werden: Zeich-
ERWERK
befreundet
neten sich diese durch die Ab-
TRAUMHAFT
bildung „schöner“ Dinge aus, so
SCHAFT. DIE LINKE OFFENBAR
Mit Picasso, Dora Maar, den
lieferte La Photographie n’est
MÄNNLICHE FIGUR, DEREN KOPF
Eluards, sowie Lee Miller und
pas l’art mit harten, teilweise
EINE LATERNE BILDET, STEHT VOR
Roland Penrose hatte Man
abstoßenden und verstörenden
SPITZEN FORKENARTIGEN SPA-
Ray
Sujets eine sarkastische Ant-
LIEREN; NEBEN DEM HARLEKIN
damaligen Geliebten Adrienne
wort auf die durch Krieg und
LIEGEN EIN AUFGESCHLAGENES
viele glückliche Stunden im
Zerfall bedrohte Gesellschaft
BUCH MIT GEOMETRISCHEN STU-
Süden Frankreichs verbracht.
der ausgehenden 1930er Jahre.
DIEN, SOWIE ZWEI GEMUSTERTE
Die Tür schließlich ist eine
STEINE. DER HARLEKIN DREHT AN
Anspielung auf André Breton,
Die fatalen Auswirkungen
DEM TÜRKNAUF EINER OFFEN-
der Auseinandersetzung mit
des Nationalsozialismus zeigten
BAR UNBEWEGLICHEN TÜR, DIE
dem Surrealismus und des-
sich bald in Paris. Spätestens ab
EHER EINEM PARAVENT ÄHNELT,
sen Verklausulierung einer
1938 hatte sich die Situation in
WÄHREND AUS DEM SCHLÜSSEL-
„Tür zur Realität“. Für Man
der einstmals gastfreundlichen
LOCH EINE BLUTSPUR ZU BODEN
Ray schien sie den schmerz-
Metropole drastisch verändert;
RINNT. AUF DEN VIER FELDERN
haften Eintritt in eine neue
die Diskriminierung und Verfol-
DER PARAVENTTÜR SIND ZARTE
Realität zu bedeuten oder ein
gung der jüdischen Bevölkerung
AKTE IN VERSCHIEDENEN STEL-
Symbol für „Die–Tür–hinter–
eskalierte in Gewalttaten gegen-
LUNGEN
sich–schließen“.
über allem „Ausländischen“. Für
DER TÜR LUGT EIN ÜBERDIMENSI-
Man Ray, den Einwanderer mit
ONALER STECKNADELKOPF HER-
Sehr bald nach Fertigstel-
jüdischen Vorfahren, war dies
VOR. AUF DER RECHTEN SEITE
lung des Werkes sollte eine
nicht mehr der Ort, an dem er
DER TÜR STEHT EINE WEIBLICHE
Odyssee quer durch Europa
noch vor fast zwanzig Jahren so
FIGUR MIT EINEM BUNTEN ROCK,
beginnen. Nach einer fehl-
freundlich empfangen wurde.
DER
geschlagenen
Das Ende seiner Pariser Zeit war
ZELT ÄHNELT; DIE FIGUR BESITZT
Paris per Flugzeug gelangte
gekommen. Den letzten großen
EINEN
er schließlich per Zug über
Auftritt, bevor er nach Amerika
PER, DER AN EINE GARNSPULE
ging, hatte er 1938 bei der Expo-
MIT
sition Internationale du Surréa-
HINTERGRUND ZITIERT MAN RAY
lisme in Georges Wildensteins
SEIN ZUVOR ENTSTANDENES GE-
Galerie Beaux-Arts in Paris, die
MÄLDE LA FORTUNE (1938): DREI
für ihn den ganz persönlichen
KUGELN, DIE EINER GEWELLTEN
Höhepunkt des Surrealismus
SCHLANGENLINIE FOLGEND WIE
markierte. Von nun an wurde
AUF EINEM CARAMBOLAGE-TISCH
Man Rays Bildsprache zuneh-
ODER EINER BOULE-BAHN LIE-
mend düsterer und pessimisti-
GEN,
scher. Ein wichtiges malerisches
EINEM ERLEUCHTETEN GEBÄU-
Resümee auf seine „schönen
DE
Pariser Zeiten“ sollte das Ge-
MAN RAYS EHEMALIGES LAND-
mälde Le Beau Temps werden,
HAUS SEIN SOLL; IN DEM HAUS
das 1939 kurz vor Beginn des
SIND EINE STAFFELEI UND DER
Zweiten Weltkrieges und seiner
SCHATTENRISS
Abreise nach Amerika entstand.
PAAR ZU ERKENNEN, WÄHREND
Es ist sowohl autobiografische
AUF DEM DACH DES HAUSES EIN
Bilanz wie künstlerische Situa-
MINOTAURUS DARGESTELLT IST,
tionsbeschreibung. Das Bild hat
DER EIN REPTIL BEIM LIEBESAKT
einen ähnlichen Aufbau wie vie-
VERSCHLINGT.
le Werke der Pittura metafisica:
ABGEGRENZTEN DÜSTEREN
ANGEDEUTET.
EINEM
BUNTEN
ALPLAND-
HINTER
ZIRKUS-
MECHANISCHEN
PROPELLER
DIE
ENDET,
KÖR-
ERINNERT;
SCHLIESSLICH
DAS
IM
AN
VERMUTLICH
EINES
LIEBES-
stilistischer
er
Fingerzeig war
zeitlebens
zusammen
und
auf den
bewunderte.
mit
Flucht
Spanien nach Portugal.
seiner
aus
19
Am 8. August 1940 schiffte er sich in Lissabon an Bord der Excambion nach New York ein.
20 Im Exil in
Im Spätsommer 1940 kam
zieller Fotograf, der Kampf
(1945), eine Drehbuch-Episode
Amerika Man Ray im Hafen von New
indes, als Künstler jemals
für den zwei Jahre später
wieder Anerkennung zu fin-
fertig gestellten Film „Dreams
kanischer Staatsbürger, war
den, sollte Man Ray für den
That Money Can't Buy“ von
er in seinem Geburtsland
Rest seines Lebens beschäfti-
Hans Richter, an dem auch
ein Fremder. Er ließ nicht nur
gen. Ohne Förderer oder
Alexander Calder, Marcel
seine Freunde und seinen
respektable Galerie sah die
Duchamp, Max Ernst und
Status als Künstler in Paris zu-
Situation für ihn als Künstler
Fernand Léger mitwirkten.
rück, sondern auch seine wich-
in New York schlecht aus
Man Ray widmete sich in die-
tigsten Werke der letzten
und so hielt ihn dort nichts.
sen Jahren wieder verstärkt
20 Jahre:
Hatte der frankophile Man
der Malerei, nur gelegentlich
Fotografien, Negative,
Ray zunächst New Orleans in
griff er noch zum Fotoappa-
Objekte und zahlreiche Ge-
Erwägung gezogen, folgte er
rat und wenn, dann war
mälde, einschließlich seines
wohl dem allgemeinen Ruf,
seine zweite Frau Juliet das
Meisterwerkes A l’heure de
dem damals viele Europäer
Hauptmotiv. Juliet Browner,
l’observatoire – Les Amoureux.
folgten, nach Hollywood zu
die Man Ray 1940 in Holly-
Die meisten Arbeiten hatte er
gehen. Während des Krieges
wood kennen gelernt hatte,
wohl bei Freunden versteckt,
unterstützte Los Angeles, vor
war jung und lebendig und
dennoch sind zahlreiche
allem aufgrund der ansässigen
inspirierte ihn stets zu neuen
Arbeiten im Krieg zerstört
Filmstudios, mehr als jede an-
Ideen. Von Juliet entstanden
worden oder verschollen.
dere US-amerikanische Stadt
zahlreiche Porträtserien, die
1940–1951 York an. Obwohl noch ameri-
BEI SEINER ANKUNFT WURDE M A N R AY V O N E I N E R T I E F E N D E P R E S S I O N E R FA S S T.
die Kunsts-
er sein Leben lang ergänzte.
zene. Bereits
Einen ähnlich starken Ein-
im November
fluss auf den Künstler hatten
1940 traf Man
zuvor nur seine erste Frau
Ray in Holly-
Adon Lacroix, Kiki de Mont-
wood ein. Da
parnasse und Lee Miller.
Überdies erregte sein Rei-
dort bereits einstige Kollegen
segefährte und Freund, der
von ihm wie Luis Buñuel und
Mitte der 1940er Jahre
exaltierte Salvador Dalí, sofort
Fritz Lang erfolgreich arbeite-
begann Man Ray vereinzelt
die Aufmerksamkeit der Foto-
ten, hoffte auch er wieder im
Vorlesungen über Dadaismus
reporter, während er in Bedeu-
Filmgeschäft Fuß zu fassen;
und Surrealismus zu halten.
tungslosigkeit versank.
doch dies sollte sich als
In der Zeit entstanden zahl-
Irrtum erweisen: an „Kunst“
reiche Objekte, die Man Ray
in Man Rays Sinne waren
„Objects Of My Affection“
Jahre zuvor verstanden, seinen
die kommerziell orientierten
nannte. Zehn dieser Objekte
Namen und seine Kunst auch
Studiobosse nicht interessiert.
stellte er 1946 bei der Ausstel-
in Übersee publik zu machen,
Seine Karriere beim Film sah
lung Pioneers of Modern Art
wohingegen sich Man Ray
er damit bald beendet.
in America im New Yorker
Dalí hatte es die ganzen
fast ausschließlich in Europa aufhielt; so war es nicht ver-
Whitney-Museum aus. Die Enttäuscht rekapitulierte
neuen Arbeiten zeugten von
wunderlich, dass die Amerika-
Man Ray später in seiner
Humor und einer gewissen
ner so gut wie nichts über ihn
Autobiografie, dass er „… die
Selbstironie, so bezeichnete
wussten. Bei einer Ausstel-
Kamera in dem Wissen bei-
Man Ray das Object Silent
lungsbeteiligung im Museum
seite legte, dass sein Ansatz
Harp (1944), das aus einem
of Modern Art im Dezember
beim Filmen ein vollkommen
Geigenhals bestand, als
1940 wurden lediglich drei alte
anderer war als das, was die
„Violon d’Ingres eines frus-
Fotoarbeiten aus den 1920er
Industrie und die Öffentlich-
trierten Musikers. Er kann
Jahren von ihm gezeigt, die
keit von ihm erwartete“.
Farbe so selbstverständlich
neben einer Vielzahl neuerer
Dennoch blieb er elf Jahre in
hören, wie er Töne sehen
Arbeiten der „Daheimgeb-
Hollywood und arbeitete als
kann“. Am 24. Oktober 1946
liebenen“ Edward Weston
inoffizieller Berater bei Film-
heirateten er und Juliet
und Alfred Stieglitz wenig
projekten mit oder steuerte
Browner in einer Doppel-
Beachtung fanden. Ungeachtet
Objekte oder Gemälde als Re-
hochzeit zusammen mit
des fehlenden künstlerischen
quisiten bei. Sein einziger er-
Max Ernst und Dorothea
Ruhms fand Man Ray zwar
wähnenswerter Beitrag blieb
Tanning in Beverly Hills.
schnell Aufträge als kommer-
Ruth, Roses and Revolvers
21
Man Ray portr채tiert von Lothar Wolleh, Paris 1975
22 Um 1947 erhielt Man Ray die frohe Botschaft aus Paris, dass sein Haus in Saint-Germain-en-Laye und zahlreiche seiner Arbeiten vom Krieg verschont worden waren. Zusammen mit Juliet machte er sich im Sommer auf den Weg nach Paris, um den Fundus zu sichten. Bis auf das Gemälde Le Beau Temps verschiffte Man Ray alle Arbeiten nach Hollywood. Im Herbst desselben Jahres kehrte er nach Amerika zurück. 1948 kombinierte er die aus Paris überführten Arbeiten mit dem neuen abstrakt-geometrischen Gemäldezyklus Equations for Shakespeare für eine Ausstellung unter dem Titel Paintings Repatriated from Paris in der William Copley Gallery in Los Angeles. Genau genommen waren die Equations for Shakespeare eine Neuaufnahme einer bereits vor zehn Jahren in
DIE AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG AM 13. DEZEMBER
Paris begonnenen Serie. Für die
1948 WAR EIN GROSSES EREIGNIS UND ERINNERTE
Ausstellung in der Copley Gal-
NOCH EINMAL AN DIE „GUTEN“ PARISER JAHRE.
lery entstand der aufwendige Katalog „To Be Continued Unnoticed“ der als ungebundene Mappe nebst Ausstellungsverzeichnis auch zahlreiche Reproduktionen von Werkzeichnungen, Objekten und Fotoarbeiten sowie Ausstellungskritiken früherer Jahre im charakteristischen Nonsens-Stil der damaligen Dada-Zeitschriften in einem konzeptionellen Kontext zusammenfasste. Die Ausstellungseröffnung am 13. Dezember 1948 war ein großes Ereignis und erinnerte noch einmal an die „guten“ Pariser Jahre. Zahlreiche internationale bildende Künstler, Schriftsteller und Filmemacher zählten zu den Gästen des Café Man Ray, wie die Vernissage in Anspielung auf die Pariser Kaffeehäuser genannt wurde. Man Rays Ausstellung war zugleich Höhepunkt und Abschluss seines Schaffens in Los Angeles.
U N G E A C H T E T D E S R E S P E K TA B L E N E R F O L G S A N D E R W E S T K Ü S T E E M P FA N D M A N R AY D I E R E S O N A N Z D E S P U B L I K U M S I N D E N U S A ALS ZU GERING UND SO LAG ES NAHE, DASS ER 1951 WIEDER N A C H PA R I S Z U R Ü C K K E H R T E .
23
Rückkehr nach Paris (1951–1976)
Im Folgejahr 1959 arbeitete er als kinematografischer Berater an der kurzen filmischen Dokumentation Paris la belle
Im Mai 1951 bezog Man Ray mit seiner Frau
von Pierre Prévert mit. 1960 war er auf
Juliet eine Pariser Studiowohnung in der Rue
der Photokina in Köln vertreten; auf der
Frou, die er bis zu seinem Lebensende bewohn-
Biennale von Venedig erhielt er 1961 die
te. In den Folgejahren wurde es trotz intensiver
Goldmedaille für Fotografie. 1963 legte
Ausstellungsbeteiligungen in Europa und Übersee ruhiger um den Künstler, der sich nun bevorzugt der abstrakten Variationen respektive der Reproduktion früherer Arbeiten (unter anderem Cadeau, Reproduktion 1974) widmete und gelegentlich mit der Farbfotografie experimentierte. Auch die Porträtfotografie ver-
Man Ray in London seine Autobiografie Self-Portrait vor. Zum fünfzigsten Jubiläum des Dadaismus 1966 nahm Man Ray an einer großen Dada-Retrospektive teil, die in Paris im Musée National d’Art Moderne, im Kunsthaus Zürich und im Civico Museo d’Arte Contemporanea in Mailand gezeigt
folgte er weiterhin; so entstanden
wurde. 1966 erhielt Man Ray
in den 1950er/1960er Jahren
seine erste große Retrospek-
u. a. Fotografien von Juliette
tive im Los Angeles County
Gréco, Catherine Deneuve und
Museum of Art. Anlässlich
anderen Künstlerkollegen. Zu
seines 85. Geburtstages
dieser Zeit entstanden auch
fand 1974 eine von Roland
Arbeiten in Acryl, wie die so
Penrose und Mario Amaya
genannten Natural Paintings
organisierte Einzelausstell-
zwischen 1957 und 1965, in denen
ung mit 224 Werken unter
er mit zufälligen Anordnungen pastoser Acrylaufstriche expe-
dem Motto „Man Ray Inventor-Painter-Poet“ im New
rimentierte (Decembre ou le clown, Othello II,
York Cultural Center statt, die anschlie-
1963). 1958 nahm er an der Ausstellung Dada,
ßend 1975 im Institute of Contemporary
Dokumente einer Bewegung im Kunstverein
Arts in London, der Alexander Iolas Gallery
Düsseldorf und an einer Dada-Ausstellung im Stedelijk Museum in Amsterdam teil.
in Athen und schließlich im Palazzo delle Esposizioni in Rom gezeigt wurde.
24
MAN RAY STARB AM 18. NOVEMBER 1976 IN PARIS. ER WURDE AUF DEM CIMETIÈRE MONTPARNASSE BEIGESETZT. DIE INSCHRIFT SEINES GRABSTEINS LAUTET: “UNCONCERNED, BUT NOT INDIFFERENT” (UNBEKÜMMERT, ABER NICHT GLEICHGÜLTIG). SEINE FRAU JULIET BROWNER MAN RAY KÜMMERTE SICH BIS ZU IHREM TOD 1991 UM DEN NACHLASS VON MAN RAY UND SPENDETE ZAHLREICHE SEINER ARBEITEN AN MUSEEN. SIE
GRÜNDETE
STIFTUNG
„MAN
DIE RAY
TRUST“. DIE STIFTUNG BESITZT EINE GROSSE SAMMLUNG VON ORIGINALARBEITEN UND HÄLT DIE
URHEBERRECHTE.
JULIET WURDE NEBEN MAN RAY BEIGESETZT.
26
EINHERGEHEND MIT DER ARBEIT IN DER DUNKELKAMMER, EXPERIMENTIERTE MAN RAY UM 1919/20 MIT FOTOGRAMMEN. WIE ER SAGTE, HABE ER BEI DER ENTDECKUNG DER TECHNIK „VOLLKOMMEN MECHANISCH UND INTUITIV“ GEHANDELT.
DIE RAYO
27
OGRAFIE
28
„Champs délicieux“ n°04 (1922)
„Champs délicieux“ n°08 (1922)
29
Talbot hatte 1835 erste Fotogramme geschaffen –, belegte Man Ray das von ihm weiterentwickelte Verfahren sofort mit dem Begriff Rayographie. In der Folgezeit produzierte er etliche solcher
wie
zu zahlreichen Reproduktionen
am Fließband: Fast die Hälfte
„Rayographien“
der Cliché verre – Arbeiten Man
seines gesamten Œuvres an
Rays aus dessen New Yorker
Das „Fotografieren ohne Ka-
Rayographien beziehungsweise
Zeit. Die Originale hatte Man
mera“ entsprach ganz seinem
„Rayogrammen“ entstand in
Ray auf 18×24 cm großen Glas-
Wunsch, die Metaphysik, die
den ersten drei Jahren nach der
negativen angefertigt.
er bereits in seinen Malereien
Entdeckung „seiner Erfindung“.
und Objekten suchte, „auto-
Bereits Anfang 1922 hatte er
Man Ray legte sich in seiner
matisch und wie eine Maschine
alle technischen Möglichkeiten
gesamten Künstlerlaufbahn nie
einfangen und reproduzieren
der damaligen Zeit am Foto-
auf ein bestimmtes Medium
zu können“.In einem Brief an
gramm ausprobiert.
fest: „Ich fotografiere, was ich
Katherine Dreier schrieb er:
nicht malen möchte, und ich
„Ich versuche meine Fotogra-
Später, in Paris, veröffentlich-
male, was ich nicht fotogra-
fie zu automatisieren, meine
te er Ende 1922 eine limitierte
fieren kann“, sagte er einmal.
Kamera so zu benutzen, wie ich
Auflage mit zwölf Rayographi-
Durch die vielfältigen Mög-
eine Schreibmaschine benüt-
en unter dem Titel Les Champs
lichkeiten der Fotografie hatte
zen würde – mit der Zeit wer-
délicieux (Die köstlichen Felder);
die Malerei zwar vorerst ihren
de ich das erreichen.“ Dieser
das Vorwort dazu schrieb Tris-
künstlerischen Zweck für ihn
Gedanke geht mit der Me-
tan Tzara, der darin noch einmal
erfüllt. Er zog damit seinem Vor-
thode
deutlich auf den Neologismus
bild Duchamp gleich, der be-
Schreibens“, die André Breton
„Rayographie“
Die
reits 1918 sein letztes Gemälde
für den Surrealismus adap-
Zeitschrift Vanity Fair griff die-
anfertigte; letztlich durchzog
tierte, einher.
se „neue“ Art der Fotokunst in
aber das ewige Vexierspiel aus
einem ganzseitigen Beitrag auf.
Malerei und Fotografie Man
Obwohl die Idee, Gegenstände
Von diesem Moment an sollten
Rays Gesamtwerk. Er selbst
auf lichtempfindlichem Papier
Man Rays fotografische Arbei-
erklärte dazu widersprüchlich:
zu arrangieren und zu belichten,
ten die Runde in sämtlichen
„Vielleicht war ich nicht so sehr
so alt ist wie die Geschichte der
europäischen Avantgarde-Zeit-
an der Malerei interessiert, wie
Fotografie selbst – bereits Fox
schriften machen. So kam es
an der Entwicklung von Ideen.“
des
„Automatischen
hinwies.
30
ÂťI paint what canno
that wh
imagination or from
I photograph t
I do not wis
things which
a
31
ot be photographed,
hich comes from the
m dreams, or from an unconscious drive.
the things that
sh to paint, the
h already have
an existence.ÂŤ MAN RAY
32
FOTOG FOTOG FOTOG FOTOG
FOTOG
33
GRAFIE GRAFIE GRAFIE GRAFIE
GRAFIE Le Violon d'Ingres (1924)
34
35
Profile and Hands (1932)
36
37
Helen Tamiris (1925)
38 Juliet (1943)
39
40
Glass tears (1932)
Dora Marr (1936)
Man Ray, Self-Portrait (1930)
41
Le Baiser Le Baiser (1930)
42
43
Erotique Voilee (1933)
Woman with Long Hair (1929)
44
Noire et Blanche (1926)
45
46
Lee Miller (1939)
47
48
AN TO Anatomy (1930)
49
NA OMY
50 Société Anonyme
Die Société Anonyme, Inc. wurde am 30. April
Personalunion. Sie leitete eigene kleine Gale-
1920 von Katherine S. Dreier, Marcel Duchamp
rieräume, kuratierte Ausstellungen und schrieb
und Man Ray in Dreiers Appartement in
zahlreiche Essays, in denen sie für die Akzeptanz
Manhattan gegründet. Geplant als das „erste
neuer Kunstrichtungen warb.
experimentelle Museum für Moderne Kunst“ sollte die S.A.I. ein Zentrum zum Studium und
Dreier orientierte sich bei der Ausgestaltung
zur Förderung der internationalen Avantgarde
der Société Anonyme, Inc. vermutlich an der
sein und zur Wahrnehmung und Etablierung
1912 von Herwarth Walden in Berlin gegrün-
moderner Kunst in der Öffentlichkeit beitragen.
deten Sturm-Galerie. Statt als „traditioneller“ on
Als ein Vorbild diente die einflussreiche Galerie
oder Galerie verstand sich die Société Anonyme,
291 von Alfred Stieglitz, die 1917 geschlossen
Inc. vornehmlich als experimentelle Ausstel-
wurde und eine Lücke in der New Yorker Kunst-
lungsveranstalterin und Podium. Ein wichtiger
welt hinterlassen hatte. Dreier und Duchamp
Aspekt hierbei war die Vermittlung zwischen
kannten sich aus Stieglitz’ Galerie, Duchamp war
Künstlern,
ein Freund von Man Ray. Als weiterer Künstler
gesamten 1920er Jahre hindurch präsentierte
schloss sich Joseph Stella der Organisation an.
die Société Anonyme, Inc. eine große Spannbrei-
Sammlern
und
Galeristen.
Die
te internationaler Künstler, wie beispielsweise Als Namen hatte Katherine Dreier zunächst
Alexander Archipenko, Constantin Brâncui,
The Modern Ark (Die Moderne Arche) im Sinn,
Heinrich Campendonk, Wassily Kandinsky,
um den Transport der Kunstwerke von Euro-
Paul Klee, Fernand Léger oder Piet Mondrian
pa nach Übersee per Seeweg zu symbolisieren;
und warb für die „progressivsten künstlerischen
die drei entschieden sich jedoch zugunsten ei-
Experimente in den Vereinigten Staaten dieser
nes Vorschlages von Man Ray, der den Begriff
Zeit.“ (William Clark)
Société Anonyme in einer französischen Zeitschrift entdeckt hatte. Ob seiner mangelnden
Langfristig scheiterte Katherine Dreier an
Französisch-Kenntnisse brachte Man Ray den,
ihrem Opus Magnum, die umfangreiche Samm-
eigentlich eine Geschäftsform bezeichnenden
lung der Société gemeinsam mit ihrer Privat-
Begriff mit einer Geheimgesellschaft („anony-
sammlung in einem eigenen, staatlich subven-
me Gesellschaft“) in Verbindung. Duchamp
tionierten, Museum unterzubringen. 1941 stiftete
fand zudem die Doppeldeutigkeit originell und
sie die Sammlung, insgesamt über 1.000 Kunst-
fügte noch den Zusatz Inc. (incorporated =
werke, der Yale University Art Gallery.
Gesellschaft) hinzu, um der Wortkombination eine sinnlose dadaistische Redundanz zu verleihen (Incorporated Inc.).
In Hinblick auf die neuen Kunstrichtungen, die sich mit Ende des Zweiten Welt-kriegs herauskristallisierten und angesichts etablier-
Man Ray zeichnete zeitweilig für die Präsen-
ter Einrichtungen wie dem Museum of Modern
tation verantwortlich und fertigte zahlreiche
Art, erschien die Société Anonyme, Inc. schließ-
Fotopostkarten für die Gesellschaft. Nach-
lich obsolet. Zum 30. Jahrestag ihrer Grün-
dem sich Duchamp und Man Ray zunehmend
dung, am 30. April 1950, löste sich die Société
eigenen künstlerischen Projekten zuwandten
Anonyme, Inc. formlos, bei einem gemeinsamen
– Man Ray verließ New York bereits im Folge-
Essen der beiden Gründungsmitglieder Drei-
jahr 1921 in Richtung Paris, um sich den dorti-
er und Duchamp, im New Haven Lawn Club,
gen Dadaisten anzuschließen – leitete Katherine
New Haven, auf.
Dreier die Organisation weitgehend in einer Art
51
Katalog Titelblatt für die „International Exhibition of Modern Art.“ (1926) Catalog cover for the 1926 International Exhibition of Modern Art.
52
WHAT TYPE OF CAMERA DO YOU PREFER TO WORK WITH ?
None ! I have to modify them all. My cameras are all of my own design. I take lenses apart and put them together again and put them on cameras that were not meant for them.
WHAT WOULD YOU RATHER DO, PAINT OR PHOTOGRAPH ?
I paint when I cannot photograph.
WELL, THEN, LET’S ASK YOU THIS WAY. DO YOU PREFER THE BRUSH OVER THE LENS FOR CERTAIN TASKS ? OR VICE VERSA ?
I am an economic person; I judge the amount of work involved with the amount of worth attained.
DO YOU CHANGE YOUR WORKING METHODS COMPLETELY WHEN SWITCHING FROM ONE ARTISTIC MEDIUM TO ANOTHER ?
Just as I work with paints, brushes, and canvas, I work with the light, pieces of glass and chemistry.
INT VIE WI M A R A
53
TER EW TH A N A Y
DO YOU THINK THAT MASS PHOTOGRAPHY HAS FURTHERED THE
I still take three shots to
CAUSE OF PHOTOGRAPHIC ART ?
do a portrait !
WHAT FORMATS DO YOU LIKE TO USE IN YOUR PHO-
I am not going to be dictated
TOGRAPHIC WORK ?
to by the size of the camera. I use everything from an 8 x 10 to a 35-mm. But I don‘t use these modern cameras which break down all the time!
WHAT DO YOU THINK HAS BEEN YOUR CONTRIBUTION TO TO-
Thanks to my effort in the
DAY’S PHOTOGRAPHY ?
last 40 years, there has been more paper and film wasted.
DO YOU BELIEVE THAT THE ARTIST
If the affairs of the world
TODAY HAS A MISSION TO FULFILL ?
were put in the hands of the screwball artists, it couldn’t be in a worse state than it is now!
AND FINALLY, DO YOU SEE A
The tricks of today are the truths of tomorrow!
FUTURE IN PHOTOGRAPHY ?
54
I M P R E S S U M D I E S E S
M A G A Z I N
S E M E S T E R A R B E I T K U R S :
V O N
T Y P O G R A F I E
D I P L O M A
–
E I N E
D O Z E N T I N :
U N D
S C H Ä F E R
2 0 1 3 / 1 4
L A Y O U T
K R A U S
T E X T E A R T I N ,
W I K I A R T I S T S ,
P H O T O Q U O T E S
F O T O G R A F I E N M A N
R A Y
D R U C K S O N N E N D R U C K F O R M AT 2 0 0
X
3 2 0
M M
S AT Z S P I E G E L 1 3 0 6
X
2 6 0
S P A LT E N
S C H R I F T E N H E LV E T I C A A L E O
M M
( # 7 0 0 2 5 3 ) .
H O C H S C H U L E
G E S TA LT U N G
W I N T E R S E M E S T E R
W I K I P E D I A ,
K R A U S
2
J E N N I F E R
G E S TA LT U N G
S T U D E N T I S C H E
R A L F
E U R O P Ä I S C H E
F A C H B E R E I C H
R A L F
I S T
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