Leseprobe - Ralph Kretschmann - Vereinzelte Niederschlaege

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--- LESEPROBE --Vereinzelte Niederschl채ge

Ralph G. Kretschmann


„Ein tolles Buch – nicht nur für Kinder – sondern auch voller Weisheiten für den erwachsenen Leser.“ A.L. auf Amazon „Eine kluge Geschichte - die berührt und bezaubert. Es werden hier wirklich wichtige Fragen verhandelt und dem kindlichen (oder erwachsenen) Leser unprätentiös - ohne erhobenen Zeigefinder - Antworten vorgeschlagen: Voller Poesie und Tiefsinn.“ Meine Meinung auf Amazon „Der Roman konnte mich spontan überzeugen. [...] Er beeindruckt durch eine gelungene Mischung aus Spannung und Emotionalität. Gekonnt wird die wichtige Botschaft in diese subtile Erzählung eingeflochten." Hauke Wagner, Geschäftsführer Wagner Verlag GmbH


Über das Buch Ende der Siebziger Jahre. Glamrock stirbt und Punk ist soeben geboren worden. Axel - ein übergewichtiger, uncooler Brillenträger, der unzufrieden mit sich und der ganzen Welt ist - stürzt in ein bodenloses Loch, als seine große Liebe ihm den Rücken kehrt. Ohne Erklärung für ihr Verschwinden, ohne Hoffnung, versucht Axel seinen Schmerz mit Drogen zu betäuben. Ihm ist jetzt so ziemlich alles egal, er lässt sich darauf ein, ein paar Kilo gefundenes Dope in Hamburg an den Mann zu bringen. Zusammen mit einer Freundin - Karin - will er das Geschäft durchziehen. Doch bei der Übergabe geht alles schief, und er hat ein paar Gangster im Nacken, keine Freundin, kein Geld, dafür aber Fieber, eine Lungenentzündung und Halluzinationen. Und wo ist Karin? Und wo ist das Geld? Axel begibt sich auf einen Roadtrip der besonderen Art. Über den Autor Ralph G. Kretschmann wurde 1956 geboren und lebt in Hamburg als freischaffender Illustrator, Zeichner und Maler. Mit dem vorliegenden Buch beweist der Künstler, dass er nicht nur im Bild, sondern auch im Wort seine Fantasie und sein erzählerisches Talent zum Ausdruck bringen kann. Er bezeichnet sich selbst also nicht zu unrecht als „Fairyteller“, als Geschichten- und Märchenerzähler.


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Kapitel 1 Das Wetter war so beschissen, wie es an der Küste nur sein konnte. Den ganzen Tag lang hatte es geschüttet wie aus Eimern. Dazu kam noch ein steifer Wind aus West, der den Regen schon nahezu waagerecht vor sich her trieb. Da hat man selbst mit wetterfester Kleidung kaum eine Chance, trocken zu bleiben. Da blieben sogar die Eingeborenen in ihren Häusern und verbrachten den Abend mit Glotze und Bier, statt sich in diese Sauerei hinauszubegeben. Die Pfützen auf den Gehsteigen gingen in ein endloses Band aus Wasser über, das sich über die Straßen und den glänzenden Asphalt hinzog. Passanten sahen aus, als liefen sie über die Oberfläche von Kanälen oder Grachten. Es war unmöglich, keine nassen Füße zu bekommen, es sei denn, man trug Gummistiefel. Eitel? Dann waren die nassen Füße vorbestellt. Wasser war das alles beherrschende Element. Wasser von oben, von unten und allen Seiten. War da überhaupt noch Platz für Luft zum Atmen zwischen all den Wassern? Axel hatte sich über eine halbe Stunde lang nicht entscheiden können, ob er rausgehen wollte oder nicht. Er stand am Fenster und blickte in die vorbeifliegenden Wassermassen. Von hier oben aus konnte er die halbe Stadt überblicken. Die kleine Mansardenwohnung lag im fünften Stock, selbst für einen jungen Menschen nicht grade eine Traumlage, bedingt auch durch die Notwendigkeit, jedweden Einkauf in Ermangelung eines Aufzuges die steilen Treppen hinaufzuschleppen. Aber sie war billig. Im Winter sogar noch billiger, da war sie die wärmste in dem alten Mietsblock, was sich dann im Sommer rächte, wenn die Sonne mit Macht auf das Teerdach über ihm prallte und die Temperaturen in tropische Höhen hinaufjagte. Jetzt war Herbst, die ungemütliche Variante: Sturm, Regen, Kälte. Das Ganze dann wochenlang in verschiedenen

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Kombinationen. Axel seufzte, zerrte die Krawatte vom Hals und zog das Hemd aus. Im Radio lief die übliche Schlagersauce. Plattenspieler anwerfen und den Tonarm aufsetzen, umschalten von Tuner auf Turntable, Loudness drücken und den Volumenregler so hoch drehen, wie er es den Nachbarn zur Sandmännchenzeit zumuten konnte, ohne dass die Stunk machten. Meat Loaf. „Bat out of Hell“. Axel drehte sich zu dem hohen Spiegel um, der im Flur hing. Ihm gefiel ganz und gar nicht, was er da sah. Schwamm. Das war das Wort, das ihm einfiel, wenn er sich ansah. Zu dick, weich und wattig, so sah er sich aus dem Spiegel heraus an. Die ach so schicke modische Brille verschärfte das Dilemma nur noch. Verdammt, das war er nicht, das wollte er nicht sein. Er drehte sich wieder zur Stereoanlage zurück. Meat Loaf. Der Fleischklops. Der Typ konnte singen, dass es einem heißkalt den Rücken runterlief. Der war auch dick, fett sogar und hatte es doch geschafft. Aber er hatte einen Vorteil, einen entscheidenden! Der Fleischklops saß in Amerika und Axel in Deutschland. Der Klops im Zentrum und er am Rand, marginal, in einem stinkigen Kaff in einem toten Land. Gestorben von neunzehnhundertachtunddreißig bis neunzehn-hundertfünfundvierzig, bewohnt von Toten. Eine landesgroße Gruft, die jeden neuen Gedanken mit dem Staub ihrer Millionen von zerfallenen Soldaten überzog und erstickte. Ruhe in Frieden, Amen und tschüss! Axel fühlte sich beschissen, genauso beschissen wie es das Wetter war. Er hasste seinen Job, sein Aussehen, seine Stimme und überhaupt diese von Gott vergessene Stadt am Meer. Er hatte kein Geld, keine Freundin und kein Auto, ja, nicht einmal einen Führerschein. Ein Sehfehler war mit Brille eigentlich kein Hindernis. Dachte er! Der TÜV sah das anders. Klar, er hatte, wie jeder normale männliche Jugendliche, mit siebzehn angefangen, Fahrstunden zu nehmen. Er fand seine Fahrkünste auch gar nicht so schlecht, nur der Fahrlehrer hatte nach jeder Stunde eine etwas hellere Schattierung von Blässe, und nicht die gesunde Sonnenbräune wie zu Beginn der Fahrstunde. Als der Lehrer während einer Fahrstunde

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dann auch noch in die Lenkung greifen musste, weil Axel sonst die rechts parkenden Autos touchiert hätte, ließ sich ein Gang zum Arzt nicht mehr vermeiden. Axel verstand überhaupt nicht, warum der Mann das getan hatte, aber als der Fahrlehrer versuchte, die Beifahrertür zu öffnen, konnte Axel es selbst sehen. Zwischen dem Fahrschulwagen und den parkenden Autos waren kaum zehn Zentimeter Platz. Die Tür ließ sich praktisch nicht öffnen. Also gut, Termin beim Augenarzt, man kennt sich ja, große Untersuchung und dezentes Kopfschütteln ärztlicherseits. Dann die niederschmetternde Diagnose: Führerschein ist nicht! Er nahm Bewegungen nicht richtig wahr. Keine Chance. Führerschein goodbye! Nix Statussymbol, nix da mit Weiberaufreißen–mit–dickem–Auto! Ein junger Mann ohne Fahrerlaubnis! Ein halber junger Mann. Kastriert! Der größte Gag war obenauf die Bemerkung des Arztes: „Wenn Sie auf dem Auge blind wären, wär’s kein Problem, so aber...“, und der Mediziner grinste ihn blöde an. Axel hätte ihm am liebsten in die Fresse getreten. Aber dazu war er viel zu feige. Zu gut erzogen, hätte seine Mutter dazu gesagt. Immerhin hatte er ein paar Freunde. Nicht viele, fünf, sechs vielleicht. Aber auf die konnte er sich verlassen. Glaubte er zumindest oder er machte es sich vor, denn eigentlich glaubte er nicht ernsthaft, dass ihn jemand mögen könnte. Warum auch sollte ihn irgendjemand wirklich mögen, wo er sich doch selbst nicht leiden konnte! Dabei gab es durchaus ein paar Talente, die in ihm schlummerten. Er konnte sich hervorragend ausdrücken, reden und andere in seinen Bann ziehen. Kaum einer konnte Geschichten erzählen wie er! Nicht dass er log, nein, er hatte nur eine Art sich auszudrücken, dass die gebannten Zuhörer Bilder vor ihren Augen auftauchen sahen. Geschichten, so banal sie auch sein mochten, bekamen Farbe und Witz in seinen Schilderungen. Er hatte dieses Talent nie ausgenutzt. Er wusste nicht einmal um sein Können, nahm es gar nicht wahr. Er hatte sich auf ein anderes Talent gestützt bei seinem Buhlen um Anerkennung. Er konnte ganz gut zeichnen. Viele

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Leute hatten ihm gesagt, dass sie seine Bilder mochten. Früher hatte er Wände bemalt, in Discotheken Che Guevara, die Beatles oder Easy Rider von Plakaten abgemalt, und sogar einmal für einen ortsansässigen Schlachter eine ganze Fassade mit Wild, Wald und Wiesen. Das brachte etwas Geld in die Kasse eines armen Schülers mit zwanzig Mark Taschengeld im Monat. Nur, dass Axel sich selbst nicht als so talentiert einschätzte. Die Klecksereien fielen ihm so leicht, das konnte nichts Gutes, keine richtige Kunst oder so was sein. Axel ließ sich in den muffigen, mit abgewetztem Samt bezogenen Sessel aus Omas Beständen sinken und schnippte mit dem Daumen die Dope-Dose auf. Fast leer. Und keine Kohle. Na, egal. Er zupfte ein Blättchen aus der Packung, etwas Tabak, einen Streifen dünne Pappe zusammengerollt und ein bisschen von dem Hasch hineingekrümelt. Er war die letzten Tage stocknüchtern geblieben, da würde auch diese geringe Menge ihre Wirkung nicht verfehlen. Mit gekonntem Schwung leckte er die Gummierung an und rollte den Joint zusammen. Mit dem Finger über die Klebestelle streichen und fertig. Pappende zwischen die Lippen. Feuer. Das Einwegfeuerzeug flammte auf und Axel inhalierte tief. Luft anhalten, sechzehn Sekunden. Er hatte irgendwann irgendwo irgendwas darüber gelesen, dass die Lunge etwa sechzehn Sekunden lang die Inhaltsstoffe aus dem Rauch absorbiert, was bleibt, ist bloß noch heiße Luft. Und raus mit dem Rest. Eine dicke Wolke Rauch strömte zwischen seinen Lippen hervor. Wabernd stand die Wolke fast genau vor seinem Gesicht, bewegte sich nur unmerklich, so sanft hatte er die Luft aus seinen Lungen entlassen. Der Rauch von Haschisch lag viel länger schwebend im Raum als der von Zigaretten oder Zigarren, ja selbst der fette Rauch einer orientalischen Wasserpfeife, in der echter ägyptischer Wasserpfeifentabak geraucht wurde, der schwer in der Luft hing, selbst dieser beharrliche Dampf war nur ein flüchtiger Wind, verglichen mit dem Rauch, der aus einer Purpfeife stieg. Langsam wehte der Zug, der durch die undichten

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Fenster ständig in das Zimmer drängte, die dichte Wolke in Richtung der Heizung. Die warme Luft hob die Wolke zur Zimmerdecke. Axel rauchte den Joint zu Ende und beobachtete die Wolken aus Hanfrauch auf ihrem Weg zur Zimmerdecke, bereit, sich als dünner Film auf Wände und Möbel zu legen. Er starrte auf die Tropfen, die am Fenster herunterliefen. Wochenende - und welche Möglichkeiten hatte er? Hierbleiben? Lesen oder zeichnen oder fernsehen. Die Welt und ihre Angebote waren da draußen in der Nässe. Sollte er hinaus in die nasse Kälte, oder sollte er sich Wim Thoelke antun? Eins, zwei, drei und aus! Toll, das deutsche Fernsehen! Man hatte vier Möglichkeiten: ARD, ZDF, das Dritte und AUS. Am Wochenende reduzierte sich das Ganze nochmal, wenn man sich nicht für Fußball interessierte. Oder Volksmusik liebte... und welcher junge Mensch um die zwanzig tut das schon? Was gab es denn sonst noch für Möglichkeiten? Allein hier rumsitzen und sich die Birne zuziehen? Er schüttelte sich und nahm noch einen tiefen Zug. Verdammt, irgendetwas lief schief in seinem Leben. Das war ihm durchaus klar. Aber er konnte nicht sagen was. Oder was dagegen zu unternehmen wäre. Er grübelte darüber und rauchte. Langsam tat der Hanf seine Wirkung. Axel entspannte sich, rutschte im Sessel zusammen. Meat Loaf brüllte und der Wind heulte um die Dächer. Völlig stoned saß er noch ein paar Minuten da, als der Joint schon lange verqualmt war, die angekokelte Papprolle, die am Ende des Joints das Mundstück bildete, hochgereckt zwischen Daumen und Mittelfinger. Was soll’s, dachte er, ich geh‘ los, hier passiert ja freiwillig doch nichts. Es dauerte eine ganze Zeit, bis er den Rest seiner Arbeitsbekleidung, Sakko und Krawatte, gegen Cowboystiefel, Jeans und Lederjacke getauscht hatte. Völlig stoned und leicht deprimiert machte er sich auf den Weg. Der Regen peitschte ihm ins Gesicht, als er auf die Straße hinaustrat. Nicht mehr waagerecht von vorn, sondern leicht angewinkelt von oben stürzte das

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Wasser aus den unerschöpflichen Wolken, die von der Nordsee her nicht enden wollenden Nachschub brachten. Abgesehen von ein paar wenigen Autos war er allein auf der Straße. Er hatte eine gute halben Stunde zu gehen und war völlig durchnässt und fror wie ein Schneider, als er in seiner Stammkneipe ankam. Mist, er war der einzige Gast! Lothar hinter der Theke, nett, schwul und ziemlich tuntig. Schade, Anita wäre ihm lieber gewesen. Auch wenn ihre Titten für ihn unerreichbar waren, so sah er sie gern an und träumte von ihnen, wenn er sich nachts einen runterholte. Na, dafür war der Platz auf der Heizung frei. Axel schob sich in die Nische zwischen Fenster und Theke und orderte einen Met. Das Zeug war in Mode gekommen, nachdem Torfrock die Hymne „Rollo, der Wikinger“ in den Hitparaden hatte. Schmeckte gar nicht schlecht, machte aber im Übermaß getrunken einen höllisch dicken Schädel. Egal, hinein damit, wenn’s duhnt. Lothar war sehr gesprächig und plapperte von diesem und jenem, und Golden Earring liebten im Hintergrund mal wieder ihr Radar. Axel kannte die Kassette in- und auswendig. Nach „Radar Love“ kam Donovan mit „Atlantis“, dann „Baker Street“ und danach George McCraes „Rock U Baby“. Er hatte schon die Vermutung gehabt, dass Lothar diese Kassette nie aus dem Recorder nahm und sie schon seit Jahren immer in der Runde lief. Bei Creedence Clearwater Revival kam endlich Nachschub an Gästen. Karin und Jörg, kurz danach Mozart. Der hieß eigentlich Hans-Rainer, aber wer will schon so heißen. Auf einer Party war er mal mit gepudertem Haar und Zöpfchen aufgetaucht, was gar nicht so leicht zu machen gewesen war, bei seinem Drahthaar. Seitdem nannten ihn alle nur noch Mozart. Mozart hatte einen Hang zum Luxus und reiche Eltern. Ein wenig sah er immer wie ein Zuhälter aus mit den schicken breiten Bindern und dem teuren Aigner-Zeug. Aber er war ein Kumpel, auf den man sich verlassen konnte. Jörg und Karin waren schon seit ihrer

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Schulzeit ein Paar und standen im Verdacht, ihre Zeit zu vervögeln, wenn sie nicht in ihrer Lieblingskneipe waren. Egal, zu welcher Zeit man bei ihnen klingelte, immer war das Bett zerwühlt und die beiden nur halb bekleidet. Man begrüßte sich, wie üblich reichlich flapsig und unterhielt sich über Gott und die Welt. Nach und nach kamen noch einige andere Gäste dazu, die meisten kannte man, wenige nicht. So gegen dreiundzwanzig Uhr war der Laden nicht mal zu einem Viertel gefüllt. Bei dem Sauwetter ging wirklich nur ins Freie, wer unbedingt musste. Sonst barst der kleine Raum um diese Zeit aus allen Nähten. Die Luft war dann dick vom Qualm der Zigaretten, und der Geruch von Schnaps und Bier hing dazwischen. „Was kann man denn in so einem Kaff wie diesem schon machen?“, meinte Mozart und zuckte mit den Achseln, als sich Jörg beschwerte, es wäre ihm zu langweilig. Axel nickte, halb besoffen und halb stoned. „In einer richtigen Stadt hat man ja auch die Wahl zwischen mehreren Angeboten. In einer Stadt wie... na, sagen wir mal Hamburg, da steppt der Bär, da boxt der Papst im Kettenhemd. Langeweile? Bitte sehr, bitte gleich, was darf’s denn sein? Musik? Klar, aber bitte, möchte die Dame Folk oder Rock? Jazz oder was anderes? In die Fabrik oder ins Logo? Auf die Reeperbahn oder ins Onkel Pö?“ Karin runzelte die Stirn. „Du kennst dich aber gut aus. Warst du schon mal in Hamburg?“ Axel schüttelte den Kopf. „Alles graue Theorie und angelesen, aber wenn ich die Wahl hätte – ich würde nach Hamburg gehen.“ Und kippte den restlichen Met in sich hinein. „Wieso grade Hamburg?“, wollte Karin wissen. Axel legte den Kopf schief. „Wieso nicht Hamburg? Willste etwa in Schlicktown bleiben?“ Karin lachte. „Ich hab hier doch alles, was ich brauche...“ Sie grinste Jörg an und griff ihm in den Schritt. Jörg grinste

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und wurde leicht rötlich. Lothar machte: „Ach Gottchen!“, verzog gespielt angewidert das Gesicht und drehte sich Gläser putzend weg. Axel hätte sie am liebsten erwürgt. „Ich jedenfalls nicht! Ich will in die Großstadt, dahin, wo das Leben tobt! Und da bleibt doch nur Hamburg von allen deutschen Städten. Scheiße, Mann, München kenne ich, da war ich ein paar Mal. Alles voller Bayern! Allein das Gebrabbel würde mich in kürzester Zeit wahnsinnig machen! Was noch? Frankfurt? Mainhatten? Also ehrlich, die Äppelwoi-Ecke muss ich nicht haben. Berlin? Nicht, solange die eingemauert sind, da kriege ich schon Klaustrophobie, wenn ich nur dran denke! Bremen? Da kann ich auch gleich hierbleiben! Nee, wenn, dann Hamburg! Ist ja auch kein Problem! Mit der Bahn über Oldenburg, Bremen Hauptbahnhof umsteigen und nochmal gut eine Stunde Zugfahrt, und du bist Hamburg Hauptbahnhof und dir liegt die Welt zu Füßen!“ „Und wirst gleich am Bahnhof verhaftet, wegen Hasch in der Tasche. Gehen Sie in das Gefängnis, begeben Sie sich direkt dorthin, gehen Sie nicht über Los, ziehen Sie nicht tausend Mark ein!“ Jörg grinste. In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und ein kalter Wind fegte durch die Kneipe. Alle sahen zur Tür, wo Willy Heger stand wie ein begossener Pudel. Totenstille für zehn Sekunden. Die Musikkassette war auch eben am Ende. Mit vernehmlichem Knack! schaltete sich der Recorder ab. Willy stand stumm da, in Jeans und Friesennerz, und das Wasser tropfte an ihm und der Plastiktüte, die er in der Hand hielt, herunter. „N'Abend!“, sagte er leise und es klang ein bisschen wie eine Entschuldigung. Die Leute wendeten sich wieder Geräuschpegel schwappte wieder hoch. Klaus trat zu der Clique am Tresen.

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ab

und

der


„Hi Leute!“, sagte er und knallte seine tropfnasse Tüte mit Schwung auf die Bank zwischen Axel und Jörg. „Bist du bescheuert oder was?“, fuhr Jörg ihn an. Er hatte das meiste abgekriegt. „Oder was, glaub ich!“, antwortete Willy ruhig. „Guck mal in die Tüte.“ Jörg sah ihn fragend an, schaute dann vorsichtig in den Beutel, als keine Erklärung kam. Er erstarrte. „Ich glaub’s nich!“ Seine Stimme klang irgendwie dumpf. Axel drängte sich von der Seite heran und linste ebenfalls hinein. Auch er erstarrte für einen Moment. Dann hob er den Blick und schaute Willy ungläubig an. „Ist das wirklich...?“ Willy nickte und legte einen Finger an die Lippen. „Ein Kilo, schätze ich.“ Axel senkte den Blick wieder in die Tüte. „So viel auf einem Haufen hab ich noch nie gesehen. Wo haste das denn her?“ Willy grinste breit bis über beide Ohren. „Am Strand liegt noch jede Menge davon herum. Ich hab den ganzen Kofferraum voll...“ Schweigen. Einer sah den anderen an. Dann, wie aus einem Mund, die Frage: „Wo?“ „Kommt mit!“ Die vier zogen ihre Jacken und Mäntel an und folgten Willy auf den Parkplatz hinter der Kneipe, wo er seine Ente abgestellt hatte. Knallgelb und von oben bis unten mit Stickern und Aufklebern zugepappt. Auch um die zahllosen Roststellen zu kaschieren. Theatralisch öffnete Willy die Klappe – und da lagen sie. Fünfundzwanzig Pakete, in braunes Plastik verpackt, jedes schätzungsweise ein Kilo schwer.

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„Ich wollte bloß den Schädel lüften und 'nen kleinen Spaziergang am Strand machen, frische Luft schnappen und so, ich mein‘ frischer als zur Zeit geht’s ja wohl nicht, und da lag so ein Paket vor meinen Füßen, also, man könnte sagen, ich bin drübergestolpert. Ich bin direkt draufgelatscht und hab‘ mich der Länge nach hingelegt. Ich mein‘, das ist nicht grade hell ausgeleuchtet da draußen, und wenn ich nicht draufgetreten wäre, hätte ich es bestimmt übersehen. Ja, und da lag dann Willy im Matsch und vor Willys Nase noch so’n Paket und noch ein Stück weiter noch eines und im Wasser schwamm der Nachschub. Erst dachte ich, das seien Schwimmer von einem losgerissenen Netz oder so was, weiß der Himmel, was da von den Käsefressern alles rübergespült wird, aber dann kam es mir doch komisch vor, und ich hab ein Päckel aufgeschnitten und da war’s dann klar. Was soll ich sagen, ich hab angefangen das... äh, Strandgut einzusammeln. Soviel in den Kofferraum reinpasst. Ich hätte ja auch gerne noch den Rücksitz vollgepackt, aber das muss ja nicht sein, weil, wenn die Bullen...“ „Und da liegt noch mehr?“, unterbrach Jörg Willys Redefluss. Er hatte einen gierigen Glanz in den Augen und leckte sich die trockenen Lippen. Willy nickte. „Am Südstrand. Deichstraße runter und dann ein kurzes Stück auf dem Deich fahren. Bis zum Fluttor. Da liegt es. Ich war vor einer Viertelstunde unten, länger fährt man nicht bis zum „Bett“, und unterwegs ist mir keine Seele begegnet. Müsste noch genug für euch alle da rumschwimmen!“.“ Die letzten Worte hörte schon niemand mehr. Mit einem gebrüllten „Danke, Alter!“ und „Wir sehen uns nachher!“ sprinteten die vier los. Karin und Jörg sprangen in ihren klapprigen Kadett, Axel und Mozart in dessen gepflegten VW Käfer. Die Fahrt dauerte nur ein paar Minuten, dann standen sie oben auf dem Deich und der Wind pfiff ihnen in den Ohren. Zu dem Regen gesellte sich jetzt noch die aufgepeitschte Gischt. Die Luft roch nach Salz und Fisch. Der Wind kam von See und machte das Atmen schwer.

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Zu viert standen sie auf der Deichkrone und starrten zum Strand hinunter. Strand war eigentlich ein Hohn. Beton, Steine, Wellenbrecher. So sah es aus, von Strand also keine Rede. Früher hatten hier die Schlicktownians im Sommer im Sand gelegen, aber das war schon lange her. Jetzt war alles zubetoniert. „Einer sollte hier oben bleiben und aufpassen, ob jemand kommt, der Uniform trägt, die anderen sammeln ein, was sie finden können und wir teilen dann alles durch vier!“, brüllte Jörg in den Sturm hinein. „Karin soll bei den Autos bleiben, finde ich!“ Axel nickte. „Gute Idee!“, schrie er zurück. „Lasst uns keine Zeit verlieren!“, und rannte den Deich runter. Da lagen sie. Zahllose Päckchen, alle schön in Folie und anscheinend unversehrt. Sie mussten sich nur bücken und die Pakete einsammeln. Wie im Schlaraffenland für Kiffer. Mehrmals liefen sie zu den Autos zurück und verstauten die gesammelten Pakete im Kofferraum. Sie waren gerade das dritte Mal unten und Axel hatte eben ein Paket aufgehoben, als sich plötzlich vor ihm eine Figur aus dem Regen schälte. Axel erstarrte. Ihm wurde heiß. Wenn das die Bullen waren ... Was sollte er tun. Hinschmeißen und wegrennen? Die Figur hielt ebenfalls in ihrer Bewegung inne. Kam dann langsam näher. Axel konnte kaum etwas erkennen. Der Regen lief an seiner Brille herunter und schränkte seine Sicht ganz schön ein. Er war dabei gewesen, sich zu bücken und verharrte in dieser Stellung, die Knie eingeknickt und den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt, die Arme vom Körper abgewinkelt. Der Schatten vor ihm bewegte sich nicht. „Hey, Mann, keine Panik, ich tu dir nichts, tu du mir auch nichts! Peace, Mann! Hier liegt doch genug für alle herum, da musst du doch nicht auf mich losgehen!“ und der Typ hob die Hände mit den Handflächen nach außen. Er hatte Axels Gesichtsausdruck interpretiert. Axel entspannte sich.

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völlig

falsch


„Hast recht, Mann!“, gab er zurück, erleichtert, dass der Typ kein Polizist war. Im Gegenteil. Unter der Kapuze seines Ölzeugs wehte langes, schwarzes Haar hervor. Da hupte der Kadett. Oder genauer, Karin hupte. Das verab-redete Zeichen, dass jemand kam. Dann zwei kurze Huptöne. Scheiße! Die Ordnungsmacht rückte an! Axel warf dem Fremden einen Blick zu. Der stand erstarrt da, den Blick in die Richtung gewendet, aus der das Hupen gekommen war. Er wusste offenbar nicht, was er mit dem Gehupe anfangen sollte. „Hör zu“, rief Axel dem Typen zu. „Mach dich lieber vom Acker, die Bullen rollen an. Ich geh auch flitzen.“ Dann rannte er los. Er drehte sich nicht mehr um, aber hinter sich aus dem Sturm vermeinte er etwas zu hören wie: „Ich schulde dir was!“ Die anderen waren schon in den Wagen und warteten mit laufenden Motoren. Axel sprang auf den Beifahrersitz neben Mozart. „Wo bleibst du denn?“, fauchte der ihn nervös an. „Laber nicht rum, fahr!“, gab Axel zurück. Mit ausgeschalteten Lampen fuhren die beiden Autos den Deich hinunter, langsam die Deichstraße entlang, zum Übergang übers Fluttor. Erst hinter der nächsten Biegung, wo sie vor den Blicken der Polizei sicher waren, gab Mozart Gas, schaltete hoch und ließ die Standbeleuchtung den nicht grade ebenen Weg wenigstens notdürftig bescheinen. Jörg folgte dicht auf. Niemand beobachtete sie. Niemand hatte sie gesehen.

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Kapitel 2 „Achtundvierzig Pakete... Alter, nee!!“ Es war schon ein beeindruckender Haufen, der sich da vor ihnen auftürmte. „Für jeden zwölf! Mann, damit kommt man ganz schön lange hin.“ Jörg war total überwältigt. Er putzte schon seit zehn Minuten sein Chillum, um die Tabakkrümel zu entfernen. Diesmal sollte es Haschisch pur sein, was sie rauchten. Mozart griff sich ein Paket und stand auf. „Ich muss mal auf Klo... die Waage deiner Mutter benutzen.“, sagte er grinsend. „Sei bloß leise!“ Jörg hatte zwar nahezu Narrenfreiheit bei seinen Eltern, aber dies hier war eine ganze Ecke illegaler, als seine Alten verkraften konnten, das wusste er. Axel hatte sein Messer aufgeklappt und schnitt ein Paket auf. Prüfend roch er daran und strich mit dem Zeigefinger darüber. „Kann ich mal eure Purpfeife haben? Meine hab ich nicht bei.“ Jörg sah kurz auf. „Ich bin gleich fertig, sei nicht so ungeduldig...“ Axel schüttelte den Kopf. „Nee, nich deswegen. Ich will was testen.“ Jörg machte eine einladende Geste. „Mi casa, su casa! Bediene dich!“ Axel nahm die Messingpfeife Typ Proto vom Regal und füllte etwas abgebröseltes Hasch hinein. Feuerzeug, Flamme, inhalieren. Augenblicklich erstickte Axel in einem Hustenanfall.

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„Igitt!“ Er keuchte. „Verdorben. Da kann ich ja gleich Seetang rauchen! Da ist Seewasser drangekommen!“ „Was?“ Jörg schnüffelte an dem Häufchen Haschisch, das er grade abgemacht hatte. „Also, dieses hier ist nicht verdorben!“ „Gib mal her!“ Axel klopfte die Protopipe aus und füllte etwas von Jörgs Häufchen hinein. Feuer, Zug... kein Husten. Axel stieß den Rauch aus. „Huh, nee, das ist gut, beste Qualität, würde ich sagen. Umso schader um das verkorkste Zeug.“ „Ob wohl noch mehr verdorben ist?“ Karin griff sich eines der Pakete. „Wir müssen wohl oder übel alle Pakete aufschneiden und prüfen.“ Jörg nickte grinsend. „Müssen wir wohl. Aber erst mal müssen wir jetzt dieses Chillum rauchen, denn selbst wenn das hier das einzige Paket ist, das nicht verdorben ist, haben wir einen netten Fang gemacht. Das Zeug kostet bestimmt so um die sechs oder sieben Märker pro Gramm, vielleicht kriegst du es für 'nen Fünfer, wenn du ein Kilo nimmst, aber wann kriegt man schon mal ein ganzes Kilogramm Haschisch nachgeschmissen?“ Axel rückte heran und zückte sein Feuerzeug. „Wahr gesprochen, weiser Häuptling, jetzt rauch mal an!“ Jörg wickelte das befeuchtete Tüchlein um das Ende des Chillums, formte mit den Händen eine Muschel, aus der das Rauchgerät oben wie ein Schornstein herausragte und setzte es an die Lippen. „Auf Willy!“, sagte er. Axel nickte zustimmend und Karin wiederholte: „Auf Willy!“ Dann hielt Axel die Flamme an das Haschisch und eine Wolke Hanfdampf breitete sich in dem Zimmer aus. Jörg inhalierte ein paar Züge, reichte dann an Axel weiter, der es ihm gleichtat. Dann Karin. Sie nahm nur einen tiefen Zug. Mozart kam zurück. Rauchte ebenfalls.

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„Tausendzweihundertacht Gramm!“, verkündete er stolz, nachdem sich sein Husten gelegt hatte. „Wovon zweihundertacht Gramm wahrscheinlich Meerwasser sind!“, gab Axel genervt zurück. Der Haufen sah nun ziemlich breit aus, Schlitzaugen und ein dümmliches Grinsen um die Mundwinkel. Mozart sah Axel verständnislos an. „Da waren wohl ein paar Pakete nicht ganz dicht. Ich hab eines probiert. Schmeckt echt Scheiße. Willste auch mal?“ und hielt Mozart das versaute Dope hin. „Nein, danke, ich vertraue da ganz auf dein fachlich qualizifiertes... quazi...“ „Qualifiziertes!“, half Karin. „Danke! Qualliges Urteil.“ Mozart hatte die Stirn in Falten gelegt. „Wie viel ist denn nun noch gut?“ Jörg und Axel zuckten die Schultern. „Keine Ahnung. Das müsste man mal eruieren.“, sagte Axel. „Du kennst aber schwierige Wörter!“, staunte Jörg. Axel nickte und zeigte auf die Lexika in Jörgs Regalen. „Das kommt, weil ich nachts meinen Horizont erweitere und du die Muschi deiner Freundin.“ Karins Blick verfinsterte sich. Axel grinste. „Würde ich aber genauso machen, wenn’s umgekehrt wäre!“ „Vielen Dank, ich nicht!“, giftete sie zurück, woraufhin Axel ihr die Zunge rausstreckte und „Bäh!“ machte. Dann begannen sie, die Pakete aufzuschneiden. Nach einer halben Stunde war das Zimmer über und über mit Plastikfolie und Klebestreifen bedeckt. In der Mitte, in einem Kreis von etwa einem Meter Durchmesser, stapelten sich zwei Stöße Haschischplatten. „Also“, sagte Axel, „Fassen wir mal zusammen: Wir haben fünfundzwanzig Kilo gutes Hasch und dreiundzwanzig Kilo

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Mist. Das macht pro Kopf und Nase sechseinviertel Kilo. Frage. Was machen wir mit dem Rest?“ „Wegschmeißen!“, sagte Mozart. „Bloß kein Risiko!“ „Abfackeln!“, warf Jörg ein. „Spuren vernichten!“ „Ja, danke, und der Gestank führt die Schmiere direkt zu uns, oder was?“ Mozart schürzte die Lippen. „Dann lieber vergraben!“ „Öl!“, sagte Karin. „Öl?“ Axel rieb sein Ohrläppchen. „Wie, Öl?“ „Lasst uns Haschischöl daraus machen!“ Karin lag fast in ihrem Sessel und man hätte glauben können, sie schliefe. „Ich weiß, wie das geht.“ Ihre Stimme kratzte. Trockener Mund. Vom Kiffen. Die drei Jungs sahen einander an. „Die Dame sagt es!“, gab Axel zu. Mozart nickte. „Ist das denn nicht wahnsinnig kompliziert?“ Karin schüttelte den Kopf. „Nö, du löst das Dope in Alkohol, kippst den Sud ab und lässt den Sprit dann verdampfen. Was übrig bleibt, ist Hanföl. So stand es in dem Buch.“ Jörg sah seine Freundin bewundernd an. „Was du so alles weißt!“, sagte er und meinte es absolut ernst. Axel brannten die Augen und sein Mund war trocken wie Staub. „Habt ihr was zu trinken da?“ Jörg nickte cool. „Klar! Whisky, Wodka, eine Flasche Persiko...“ „Nee“, Axel verzog angewidert das Gesicht. „Was zu trinken, nicht zu saufen!“ „Ach so, sag das doch... nö, nur Leitungswasser. Musst du dir aus dem Bad holen.“ Jörg deutete mit dem Daumen über die Schulter zur Tür. „Du kennst den Weg...“

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Axel stemmte sich aus dem Sessel hoch. Mozart, dessen Augen man kaum noch als geöffnet bezeichnen konnte, hob die Hand. „Warte mal...“ Mühsam kam er vom Boden hoch. „Mir reicht‘s für heute, ich mach die Biege. Oder ich penn hier auf der Stelle ein.“ Er deutete auf die Dopepäckchen. „Den Shit hole ich mir morgen ab, das is mir viel zu gefährlich um die Zeit. Okay?“ Jörg wedelte jovial mit der Hand. „Gebongt, Alter, aber roll‘ hier bloß nicht vor mittags an!“ „Vormittags?“ „Nicht vor zwölf, sagen wir mal. Ja, zwölf ist gut.“ Mozart nickte. Er zog seine teure Schaffelllederjacke über, klappte sorgfältig den Kragen ein. Draußen fegte der Wind immer noch das Wasser vor sich her. Ihn fröstelte bei dem Gedanken an den kalten Wagen. „Gute Nacht dann zusammen, bis morgen!“ Er drehte sich zu Axel um. „Soll ich dich mitnehmen?“ Axel klebte die Zunge fast am Gaumen fest, als er antwortete. „Ich will mein Dope mitnehmen...“ Mozart grinste. „Okay, dann bis morgen, Alter!“ Axel ging noch mit in den Flur. Dort befanden sich der Eingang ins Bad und die Ausgangstür. Mozart blieb stehen, den Türgriff in der Hand. Er sah Axel einen Moment an, als warte er, dass der was sagte. „Unglaublich, das Ganze, was?“ Axel nickte und öffnete die Klotür. „Wenn ich das in einem Buch gelesen hätte... ich hätte es für unglaubwürdig gehalten! Ist aber wohl wahr, wie‘s aussieht.“ Mozart nickte ebenfalls. Stumm nickend standen die beiden einen Augenblick da, den Blick in die Ferne gerichtet.

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Dann zog Axel die Tür ganz auf und trat einen halben Schritt ins Bad hinein. „Ich muss dringend schiffen und was Wasser saufen! Fahr nich gegen was auch immer!“ Er blinzelte seinem Kumpel zu und schloss die Tür hinter sich. Als er den Hahn aufdrehte und den Kopf senkte, hörte er die Außentür ins Schloss fallen. Kurz darauf heulte der Käfer auf und Mozart fuhr in die Nacht hinaus. Kühl und erfrischend rann das Wasser Axels Kehle hinunter. Er klatschte sich noch eine Handvoll ins Gesicht und wusch sich die Augen aus. Besser. Viel besser. Tropfen im Gesicht. Fenster aufmachen und die frische Herbstluft das Gesicht trocknen lassen. Axel schloss die Augen. Es war wirklich kaum zu glauben. Da lagen nebenan ein paar tausend Mark in Drogen. Verdammt! Er kam sich richtig ein bisschen kriminell vor. Schnell schob er den Gedanken beiseite. Alles die Erziehung von früher, sagte er sich. Die Konditionierung funktioniert immer noch, dabei wusste er es eigentlich besser. Der Wind fuhr durch das offene Fenster und Axel griff schnell zu, um den Fensterflügel am Zuschlagen zu hindern. Das sah sehr tapsig aus, denn Axel hatte seine Brille vor dem Trinken beiseitegelegt, und er nahm das Fenster nur schemenhaft war. Leise schloss er das Fenster und tastete nach seiner Brille. Ohne das Ding war er beinahe hilflos. Kurzsichtig wie ein Maulwurf. Alles, was weiter entfernt war als zehn Zentimeter, war unscharf für ihn. In der Schule hatte es ein paar Idioten gegeben, die das witzig fanden. In den Pausen schlichen sie sich von hinten an und schlugen ihm die Brille von der Nase. Und dann setzte es Ohrfeigen. Axel konnte nicht erkennen, woher die Schläge kamen, und die grölenden Kinderstimmen kamen von allen Seiten: Brillenschlange, Blindschleiche! Er hatte oft vor Wut und Hilflosigkeit zu heulen begonnen und dann schlug der Tenor um: Heulsuse! Heulsuse! Dass seine Eltern ihn in diese Lehre

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als Augenoptiker gesteckt hatten, erschien ihm als der reine Hohn. Total zu stand Axel vor dem Badezimmerspiegel und betrachtete sein Gesicht. Bei der harten Beleuchtung sah er noch käsiger aus. Er streckte sich die Zunge heraus. Ihm kam es vor, als würde sein Spiegelbild seine Zunge ein klein wenig vor ihm herausgestreckt haben. Mann, bin ich breit! dachte er. Von irgendwo, zehntausend Lichtjahre entfernt, kam eine Stimme und rief nach ihm. Axel kniff die Augen zu und sprang in die Realität zurück. Er schüttelte den Kopf und ging zu Karin und Jörg. Die beiden lagen knutschend am Boden. Das gefüllte Chillum lag neben ihnen. „Hey, da bist du ja wieder, wir wollten schon nachgucken kommen, was du da treibst!“ Jörg drehte sich herum, reichte ihm das Chillum. „Rauchst du bitte mal an?“ Axel nahm das Gerät und paffte es an, inhalierte und reichte es an Karin weiter. Luft anhalten... ausatmen. Gut! Nur eine kleine Wolke, nichts verschwendet. Obwohl, dachte er, ich kann’s mir ja leisten! „Leute, ich werde mich auch mal auf den Weg machen. Ich hab noch gut `ne halbe Stunde zu latschen und das bei dem Wetter, da mach ich mich besser gleich auf den Weg.“ Er stopfte seinen Anteil in eine der herumliegenden Plastiktüten. „Wir sehen uns dann morgen.“ Karin stemmte sich aus ihrer liegenden Position hoch. Ihre Bluse war aufgeknöpft und aus der Jeans gerutscht. Axel sah ihre rosige Brust mit den dunklen Warzen. Sie trug keinen Büstenhalter. „Willst du wirklich schon los?“, fragte sie sanft. „Komm, bleib' noch ein bisschen. Wir haben bestimmt noch eine Menge Spaß...“ Jörg lag neben ihr, zog am Chillum und bekundete seine Zustimmung mit heftigen Gebärden. Axel wurde kochend heiß. Sein Herz pochte, als wolle es seine Adern zum Platzen bringen und er spürte, wie sein Schwanz anschwoll.

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„Ich...“ Ihm stockte fast der Atem und seine Stimme überschlug sich. „Ich kann nicht...“ Er versuchte zu grinsen, aber das ging schief. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Blitzschnell streifte er seine Lederjacke über und griff seine Tüte. Ein Schritt, er war an der Tür, Hand auf die Klinke, bleib' hier, du Idiot, herunterdrücken, Schlappschwanz, die lachen dich doch aus! Wofür hältst du dich? Versager! Tür auf, Schritt, Schritt, umdrehen. „Wir sehen uns morgen!“ Betont lustig, völlig überzogen, eine Träne rollte ihm die Wange herunter, und er schluckte schwer. Bleib’ hier! Bleib’, bleib’... er schloss die Tür. Klick und zu. Treppe runter, Haustür, leise, Eltern nicht wecken. Den Gartenweg entlang. Auf der Straße biss ihn der Wind und ohrfeigte ihn mit eisigen Tropfen. Geh zurück! Feigling! Ich möchte so gern, aber ich kann nicht! Was, wenn ich keinen hochkriege? Papperlapapp, du wirst doch schon geil, wenn du nur an die beiden denkst! Nein, ich bin zu fett, ich bin hässlich, mein Schniedel ist zu klein. Das wissen die beiden doch, du Trottel, wie oft wart ihr zusammen am Nacktbadestrand? ICH KANN NICHT!... DU WILLST NICHT! Die Stimmen zerrissen ihn fast, den ganzen Weg über rannen ihm die Tränen über das Gesicht. Er hasste sich mehr denn je. ***

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